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Romantische

GARTENREISEN

IN den Niederlanden & Belgien

ZU BESUCH IN DEN SCHÖNSTEN GÄRTEN
MIT DEN BESTEN GEHEIMTIPPS

- Anja Birne -

FOTOS VON

- Elke Borkowski -

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INHALT

EINLEITUNG

DIE TOUREN

Nord- und Südholland sowie Utrecht

DR. JAC. P. THIJSSEPARK

DE THEETUIN IN WEESP

HORTUS BULBORUM

TUIN AAN HET WEELTJE

HORTUS BOTANICUS LEIDEN

DIE TULPE – MODEBLUME DES BAROCK

VILLA AUGUSTUS

TUIN D. BEYNES-HEIJMEIJER VAN HEEMSTEDE

VLINDERHOF IM MÁXIMAPARK

REISETIPPS

Overijssel und Flevoland

MIEN RUYS TUINEN

TUIN LIPKE SCHAT

PLUKTUIN HESSELERHOF

REISETIPPS

Gelderland

KWEKERIJ EN TUIN DE BOSHOEVE

PALAIS HET LOO

ROSENHAEGE

LANDGOED DE WIERSSE

REISETIPPS

Groningen und Friesland

LIANNE’S SIERGRASSEN

KWEKERIJ JACOBS

TUINFLEUR

JAKOBSTUIN

KWEKERIJ DE KLEINE PLANTAGE

DE TUINERIE

CRUYDT – HOECK

REISETIPPS

Limburg

KWEKERIJ BASTIN

TUIN VERHEGGEN

DE HISTORISCHE GROENTEHOF

HUYS EN HOF VON CHRISTIEN REINDERS

REISETIPPS

Zeeland & Nord Brabant

JUUST WA'K WOU

TUINEN EN KWEKERIJ LAURA DINGEMANS

KASTEEL GELDROP

ROMANTISCHE ROZENTUIN HETTY VAN BAALEN

REISETIPPS

Belgien

ARBORETUM KALMTHOUT

HAMAMELIS – DIE ZAUBERNUSS

KÖNIGLICHE GEWÄCHSHÄUSER IN LAEKEN

TUIN CHRIS GHYSELEN

RUBENSGARTEN IN ANTWERPEN

DE ROMANTISCHE TUIN

HET BIJSTERVELD

REISETIPPS

Rezepte

AUS DEN REGIONEN

SERVICE-ANHANG MIT ALLEN WICHTIGEN ADRESSEN UND WEITEREN TIPPS

BILDNACHWEIS, GARTENREISE-VERANSTALTER, BLUMENZWIEBEL-ANBIETER

IMPRESSUM, DANK

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EINLEITUNG

Reisen INS LAND DER TULPEN

Meine Bücher über Gartenreisen entwickelten sich aus Erlebnissen und Erfahrungen privater und beruflicher Reisen, die mich seit Mitte der 1980er-Jahre auch in die Niederlande und nach Belgien führten. Schon während des Gartenbaustudiums waren Exkursionen in die niederländische Baumschulregion Boskoop mit der Baumschule für Pflanzenliebhaber Plantentuin Esveld (Katalog mit 10443 ! verschiedenen Gartenpflanzen) sowie nach Belgien in das Arboretum Kalmthout mit seiner Hamamelis-Sammlung (siehe S. 132) eine große Inspiration. Meine Begeisterung für alte Gartenpflanzen wie historische Tulpen und Narzissen zog mich über Jahre an die Nordsee nach Haarlem – mitten in die Blumenzwiebelfelder. Der historische Garten im Keukenhof, der Hortus Bulborum (siehe S. 26) und die Zwiebelgärtner erzählten spannende Geschichten einer vergangenen Gartenkultur. Die Sammlung des Narzissengärtners Karel van der Veek mit Sorten wie Narcissus 'Glory of Lisse', 'van Sion' (Narzissus telamonius plenus), Narcissus pseudonarcissus 'Princeps' oder die gefüllte Form der wilden Narcissus minor var. pumilus 'Rip van Winkle' betreut heute sein Sohn Carlos van der Veek. Im Hortus Bulborum in Limmen können Liebhaber historischer Tulpen Duc van Tol-Tulpen aus den ersten Zuchtversuchen vor über 300 Jahren und echte Rembrandt-Tulpen bewundern. Die älteste noch erhaltene Tulpensorte aus der Zeit der Tulpomanie von 1620 ist die cremeweiße und lachsrosa-geflammte Rembrandt-Tulpe 'Zomerschoon' (siehe S. 6: ‘Zomerschoon A.D. 1620’, Aquarell, Anita Walsmit Sachs). Die Niederlande sind ein Land der Museen, und nicht nur bei Regenwetter begeistern die Tulpen auf den Stillleben der niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts im Rijksmuseum in Amsterdam, im Frans-Hals-Museum in Haarlem (siehe S. 48) oder im Mauritshuis in Den Haag. Neben der Wahrung des reichen Kulturerbes gehen die weltoffenen, liberalen Niederländer mit der Zeit und entwickeln kontinuierlich Neues und, vor allem in der Architektur, Futuristisches.

Die botanische Malerin Anita Walsmit Sachs, die Pflanzenillustrationen für das Nationaal Herbarium Nederland an der Universität Leiden fertigte, gründete 2006 die Vereinigung der botanischen Künstler Botanisch Kunstenaars Nederland. Regelmäßig macht sie mit Ausstellungen in Museen wie De Zwarte Tulip in Lisse (siehe S. 48) oder De Buitenplaats in Eelde (siehe S. 100) auf die Vielfalt der Pflanzen und den Wert alter Tulpensorten (siehe S. 37) aufmerksam. Auch der junge Fotograf Bas Meeuws haucht dem Genre der niederländischen Blumenstillleben neues Leben ein. „Meeuws componeert zijn foto’s zoals de oude meesters dat deden: bloem voor bloem, één en al luxe en pracht. Het resultaat is gelaagd werk, dat de tijd overstijgt“,* beschreibt die Galeristin Carla Wilms seine ausdrucksstarken Arbeiten (siehe S. 10). „Ik probeer de gevoelens van de kijkers van toen bij mezelf op te roepen. Het ontzag dat zij meoten hebben gevoeld bij het bekijken van al die dure en exotische bloemen bij elkaar.“ ** (Bas Meeuws 2015, * und ** Übersetzung S. 189).

Seit den 1990er-Jahren besuche ich die Gartentage am Kasteel Hex und am Huis Bingerden, Sammlergärten, Gärtnereien, historische Gärten sowie zeitgenössische Gräser- und Staudengärten, die vor allem Mien Ruys, Henk Gerritsen sowie Piet Oudolf geprägt haben.

DIE KULTURLANDSCHAFTEN

Gartenkultur spiegelt Gesellschaftsordnungen, Machtverhältnisse und Schönheitsideale sowie das Verhältnis des Menschen zur Natur. Die interessantesten Gärten entwickelten und entwickeln sich noch heute inmitten der Kulturlandschaften mit ihren jeweiligen geologischen, topographischen und klimatischen Eigenarten. Das Leben in den Niederlanden ist vom Wasser geprägt. Im Westen und Norden grenzt das Land der Gewässer an die Nordsee und den Nationalpark der Wattenmeerküste (UNESCO Weltkulturerbe). Nur rund ein Fünftel der „Niederlande” liegt über Normal Null (NN), das heißt über der Niveaufläche des sogenannten Amsterdamer Pegels (Normaal Amsterdams Peil, N.A.P.) Das Flussdelta von Rhein, Maas und Schelde bildet in Südholland und Zeeland eine komplexe Wasserlandschaft aus Inseln und trichterförmig erweiterten Ästuarien (Flussmündungen). Die im Rhein-Maas-Delta gelegene Metropole Rotterdam mit einem der größten Seehäfen der Welt ist ein Geheimtipp für Liebhaber zeitgenössischer Architektur (siehe S. 48), die sich die Reize der ultramodernen Stadt auf einer Amphibienbus-Tour zu Land und zu Wasser erschließen können. Sogar die jüngste Provinz Flevoland ist das Ergebnis modernster Entwässerungstechniken. Das Land liegt im Schnitt rund fünf Meter unter dem Meeresspiegel. Ein Abschlussdeich ließ aus der ehemaligen Zuiderzee mit Zugang zum offenen Meer ein Binnengewässer, das Ijsselmeer, mit einer Fläche von rund 120.000 Hektar, entstehen.

Deiche und Dämme, Dünen und Erdhügel (Warfte, Wurte) schützen das Land vor Sturmfluten, Hochwasser in den Flüssen und Überschwemmungen. Ab dem 14. Jahrhundert sorgten Windmühlen (Poldermühlen) nach der Eindeichung eines Gebietes für die Entwässerung und Trockenlegung von Sümpfen und damit für die Entstehung erster Polder (ein dem Meer oder einem Sumpf abgerungenes Land). Vielerorts prägen die Windmühlen, heute weitgehend von modernen Pumpsystemen abgelöst, noch immer das niederländische Landschaftsbild. In der flachen Kulturlandschaft sorgen Baumschutzgürtel und Stelzenhecken aus Linden an Bauern- und Siedlungshäusern für Windschutz. Seerosenblätter zieren die Flagge der wasserreichen Provinz Friesland mit Binnengewässern, Teichen, Kanälen und Bächen seit dem Mittelalter.

Nicht nur vom Wasser aus betrachtet, haben niederländische Landschaften wie der Naturpark De Bies- bosch (siehe S. 129), der Amsterdamer Grachtengürtel mit Grachtengärten (siehe S. 40), Dörfer wie Giethoorn (siehe Titelbild) oder der Küchengarten der Villa Augustus am alten Wasserturm (siehe S. 38) in Dordrecht ihren charakteristischen Charme. Feuchtgebiete wie die Oostvaardersplassen (siehe S. 63) bieten einheimischen Vogelarten und Zugvögeln einen idealen Lebensraum. Der Kiebitz (Vanellus vanellus), Nationalvogel der Niederlande, ist ein typischer Bewohner der Feuchtwiesen.

Die hochindustrialisierten Niederlande sind das am dichtesten besiedelte Land Europas. Die Hälfte der Bewohner lebt in der „Randstad Holland“, dem Ballungszentrum zwischen Amsterdam, Rotterdam und Utrecht. Flächenversiegelungen und eine damit einhergehende Zerstörung von Lebensräumen beflügelten im 20. Jahrhundert die Gründung der Naturgartenbewegung Stichting Oase, von Gärtnereien für heimische Pflanzen wie Cruydt Hoeck (siehe S. 98) und die Gestaltung von heemsparks (Naturgärten). Einer der bekanntesten ist der Jac. P. Thijsepark im Süden von Amsterdam (siehe S. 18). In dieser Tradition stehen auch die zeitgenössischen Gartenentwürfe der Dutch Wave-Bewegung (siehe S. 12), die eine naturnahe Pflanzenverwendung anstrebt. Die Umweltschutzorganisation Vereniging to Behoud van Natuurmonumenten betreut mehr als 100.000 Hektar Natuurmonumente (Naturschutzgebiete). 20 Nationalparks bewahren Dünen-, Heide- und Waldlandschaften wie De Hoge Veluwe (siehe S. 79), De Zoom-Kalmthoutse Heide oder Drents-Friese Wold. Belgien ist eines der kleinsten Länder Europas und erstreckt sich zwischen der schmalen Nordseeküste, dem binnenländischen Tiefland und den Ardennen. Nur noch reliktartig sind die alten naturhaften Kulturlandschaften wie der Hallerbos, der Wald von Halle, südlich von Brüssel erhalten (siehe S. 153). Für weitgehend natürliche Pflanzengemeinschaften als Lebensräume für Tiere und Pflanzen ist vor allem das Hochmoor in dem Deutsch-Belgischen Naturpark Hohes Venn-Eifel bekannt.

GÄRTEN UND GARTENTOUREN

In diesem Reisebuch führen sieben Touren durch die Niederlande und in den angrenzenden nördlichen Teil Belgiens. Rund um geschichtsträchtige, kulturell interessante Städte wie Amsterdam, Rotterdam, Utrecht, Groningen, Antwerpen, Gent oder Brügge entwickelten sich eindrucksvolle Gärten aller Epochen der Gartengeschichte.

Ein seltenes Zeugnis für einen barocken Park aus dem 17. Jahrhundert ist die rekonstruierte Gartenanlage am Nationalmuseum Palais Het Loo. Die Gärten erinnern an das goldene Zeitalter, als die Schiffe der Niederländischen Ostindien-Kompanie exotische Pflanzen aus Südafrika, Indonesien oder Südamerika in die heimischen Gefilde brachten. Die Sammlung der Orangenbäume in Het Loo verweist auf die Bedeutung der symbolträchtigen Südfrüchte. Orange ist die Farbe des Königshauses Oranien-Nassau. Die Oranier nutzten die zufällige Namensgleichheit ihres südfranzösischen Stammsitzes Orange mit den kostbaren Obstbäumen und erklärten sie zum Emblem in ihrem Wappen.

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An diese glanzvolle Epoche des 17. Jahrhunderts erinnern auch die Grachtengärten der reichen Kaufleute in Amsterdam sowie der Carolus-Clusius-Garten im Botanischen Garten in Leiden, der als Initialfunke des Blumenzwiebelanbaus gilt.

In Belgien wurde der Garten des Barockmalers Peter Paul Rubens am Museum Rubenshuis in Antwerpen, das der flämische Diplomat als Stadtpalast und Atelier nutzte, als Zeitzeugnis rekonstruiert. Die Königlichen Gewächshäuser am Schloss Laeken in Brüssel sind im Stil der Belle Époque des ausgehenden 19. Jahrhunderts gebaut. Sie verkörpern beispielhaft die Begeisterung für die tropische Pflanzenwelt und die Kolonialgeschichte des belgischen Königshauses.

Eine Sonderform niederländischer Gartenkultur sind die Slingertuinen östlich von Groningen. In der historischen Gemeinde Oldambt erzielten die Bauern im 19. Jahrhundert auf fruchtbaren Böden reiche Getreideernten. Ihren wirtschaftlichen Aufschwung demonstrierten die selbst ernannten „Herenboeren“ (Herrenbauern) durch elegante Bauernhäuser mit prachtvollem Fassadenschmuck und repräsentativen Vorgärten, den Slingertuinen. Die an den Landstraßen nebeneinander aufgereihten Gulfhöfe zählten zu den größten der Niederlande. Von der Straße aus eröffnete sich eine einmalige Sicht auf Garten und Haus. In Anlehnung an die Modegärten des 18. Jahrhunderts, die Englischen Landschaftsgärten, gestalteten die Landwirte ihre von rechtwinkligen Grachten durchzogenen Vorgärten in grüne Rasen- und Teichlandschaften mit geschwungenen slinger (geschwungen) Ufern, Spazierwegen sowie imposanten Trauereschen oder Blutbuchen. Der Gartenarchitekt Lucas Pieters Roodbaard (1782-1851) propagierte den neuen Gartenstil und gestaltete ab 1820 die barocke Parkanlage an der Wasserburg Fraeylemaborg (siehe S. 101) mit geschwungenen Wegen, Baumgruppen und Teichen partiell in einen Englischen Landschaftsgarten um. Erst mit der Industrialisierung der Landwirtschaft in den 1930er-Jahren endete die Zeit der Slingertuinen. Die Wertschätzung für das historische Gartenerbe führte jedoch in den 1990er-Jahren zur Restaurierung von rund 100 Gärten. Eindrucksvoll sind der denkmalgeschützte Hof Geertsemaheerd in Slochteren oder der Hof Boerderij Hermans-Dijkstra in Midwolda (siehe S. 100), der sogar Logeren in historisch erfgoed (Übernachten in einem historischen Denkmal) anbietet.

Ein weiteres bemerkenswertes Thema in den Niederlanden sind die Stinzenpflanzen (oder Stinsenpflanzen). Die aus fremden Regionen wie Südeuropa stammenden Pflanzen, zumeist Zwiebel-, Knollenoder rhizombildende Pflanzenarten, brachten Pflanzensammler wie Carolus Clusius (1526-1609) oder die Gebrüder Cornelis und Marinus van Tubergen (Ende des 19. Jahrhunderts) nach Mitteleuropa. Der Name geht auf das friesische Wort Stins für Steinhaus, Wasserburg oder Gutshaus zurück. Die wohlhabenden Bewohner konnten sich die Pflanzung besonderer Frühlingsblüher wie Schneeglöckchen (Galanthus nivalis 'Flore Pleno'), Winterlinge (Eranthis hiemalis), Kleines Immergrün (Vinca minor), Schachbrettblumen (Frittilaria meleagris) oder Blausterne (Scilla bifolia) leisten. Die Stinzenpflanzen verwilderten. Häufig existiert die ehemalige Burg nicht mehr, aber die Zeigerpflanzen historischer Gärten erinnern noch an die ursprüngliche Besiedlung. Schneeglöckchen blühen im Park der Ennemaborgh in Midwolda, Gelbe Windröschen (Anemone ranunculoides) im Park der Fraeylemaborg, und die Gärtnerei De Warande am Landgut Keppel verwandelte einen Wald in einen Garten mit Stinzenpflanzen.

Englische Einflüsse belebten in Belgien und den Niederlanden auch die Gartenkultur des 20. Jahrhunderts. Viele Gartenarchitekten und Amateure begeisterten sich für den von Hecken und Mauern in Räume gegliederten Gartenstil, den Architektonischen Garten. Sie entdeckten auf der Insel die Offene Gartenpforte, inspirierende Gartenikonen wie Rosemary Verey oder Vita Sackville-West und gliederten ihre vergleichsweise kleinen Gärten mit Schnitthecken und gestalteten Sammlergärten, kunstvollen Staudenrabatten oder Wassergärten. Die Gartenarchitektin Jacqueline van der Kloet kreierte ihren Theetuin (siehe S. 22) als Schaugarten für Blumenzwiebel- und Staudenkombinationen und bot Besuchern Tee an (damals eine Neuheit!). Dineke Logtenberg setzte die neuen Ideen aus England im Tuin De Boshoeve (siehe S. 66) mit der Gestaltung eines dekorativen Küchengartens um und organisierte das erste sneeuwklokjesfeest (Schneeglöckchenfest) auf dem Kontinent.

Über die belgische Grenze hinaus haben sich vor allem der bekannte belgische Landschaftsarchitekt Jacques Wirtz (1924-2018) und seine Söhne Martin und Peter einen Namen gemacht. Die stilbildenden Planer gestalteten beispielsweise die Gärten um den Élysée-Palast, den Park für das Caroussel du Louvre in Frankreich, den Jubilee Park am Canary Wharf in London sowie private Villengärten. Im Garten ihres eigenen Hauses in Schoten bei Antwerpen, einen ehemaligen Gärtnerhaus auf einem Landgut aus dem 18. Jahrhundert, werden ihre Gestaltungsprinzipien deutlich. Die Belgier knüpfen an die Tradition des Formschnitts der Barock- und Renaissancezeit an. Zeit online beschreibt 2011 den Garten anschaulich: „Hinter einer dichten Buchenhecke lugen Eiben und Buchsbäume in unterschiedlichen Formen hervor: Quader, Kegel, Spiralen, Kugeln. Es wirkt, als habe jemand mit den Bäumen Figurenwerfen gespielt und sie in ihren eigenwilligen Positionen erstarren lassen. Ein Baum ähnelt einem Stopfei, ein anderer einem Eis am Stiel, ein dritter scheint gleich abzuheben, so spitz wie eine Rakete ragt er in die Luft. Ein bisschen fühlt man sich inmitten dieser lustigen Gestalten wie in der Requisitenkammer eines Theaters. Auf dem Spielplan steht eine Komödie.“

BEDEUTENDE NIEDERLÄNDISCHE EINFLÜSSE AUF DIE GARTENKULTUR

Es sind vor allem die Blumenzwiebel-Kultur, die Naturgarten-Bewegung und das zeitgenössische Gartendesign mit Stauden und Gräsern im Stil der Dutch Wave-Bewegung, die Pflanzenfreunde mit der Gartenkultur in den Niederlanden verbinden.

DIE BLUMENZWIEBEL-KULTUR

Endlose Tulpenfelder tauchen die Niederlande von Mitte April bis Mai in ein leuchtendes Farbenmeer. Die Zwiebelzüchter kultivieren Tulpen sowie Krokusse, Narzissen oder Hyazinthen vorwiegend im Bollenstreek, der Zwiebel-Gegend zwischen Noordwijk, Leiden und Haarlem in Südholland sowie im Noordoostpolder rund um Emmeloord in Flevoland. Die jährliche Blumenzwiebel-Ausstellung im Keukenhof präsentiert die neuesten Sorten der Züchter. Über 100 Kilometer lang ist eine Fahrt durch das über 1000 Hektar große Anbaugebiet im Noordoostpolder. Die längste Tulpenroute der Welt wird jährlich mit einem Tulpenfestival gefeiert.

Die bis heute anhaltende Begeisterung für Blumenzwiebeln hat ihren Ursprung in der bewegten Vergangenheit des Seefahrer- und Kaufmannsvolks. Eine liberale Mentalität begünstigte die florierenden Geschäfte während der Kolonialmacht der Niederlande im 17. Jahrhundert, dem „Goldenen Zeitalter“. Um 1600 eroberte die exotische Tulpe aus der Türkei Europa im Sturm (siehe S. 36). Das botanische Studienobjekt, Diplomatengeschenk und Statussymbol begeisterte den Adel, aber auch wohlhabende Bürger und Kaufleute, und führte in Zeiten der Tulpomanie als Spekulationsobjekt zum ersten Börsencrash. Wer sich die begehrteste und teuerste, rot-weiß geflammte Tulpe 'Semper Augustus' nicht leisten konnte, engagierte berühmte Maler wie Ambrosius Bosschaert (1573-1621), Balthasar van der Ast (1594-1657) oder Jan van Huysum (1682-1749), um Tulpen zu malen. Die holländische und flämische Malerei erlebte im 17. Jahrhundert eine Blütezeit. Selbst die zu Reichtum gekommenen einfachen Leute konnten sich die Werke der Maler leisten. Die Beliebtheit von Blumenstillleben spiegelte aber auch ein gesteigertes Interesse an Pflanzen und Gärten. Die Züchter führten ihre Gärtnereien immer professioneller wie Unternehmen. Die Tulpe wurde Handelsware. Der fruchtbare, durchlässige Sandboden und die windexponierte Lage um Haarlem eignen sich bis heute ideal für den Blumenzwiebelanbau.

DIE NATURGARTENBEWEGUNG

Seit Ende der 1960er-Jahre entbrannte in den Niederlanden die Naturgartenbewegung – ein Aufbegehren gegen die Folgen der Industrialisierung, gegen den starken Artenrückgang der heimischen Flora. Während es noch Anfang der 60er-Jahre Äcker mit Sonnenwend-Wolfsmilch (Euphorbia helioscopia) und rotem Ackergauchheil (Anagallis arvensis) gab und Wiesen im Deichvorland von Lek mit Großem Klappertopf (Rhinanthus angustifolius) und Wiesenpippau (Crepis biennis) blühten, waren jetzt die letzten Standorte der heimischen Wildflora beinahe verschwunden. Das Gärtnern mit heimischen Pflanzen sollte den gefährdeten Wildblumen letzte Rückzugsorte verschaffen. Heemparks (Naturgärten) entstanden überall in den Niederlanden (siehe S. 18).

Die unkonventionellen Ideen des Ökopioniers Louis le Roy (1924-2012) zur Freiraumgestaltung trafen kurzzeitig den Nerv der Zeit. Le Roy trat für eine dynamische Wildnis ein, lehnte Gartenpflege weitestgehend ab und schwärmte dagegen für Brennnesseln und Quecken. Mit dieser extremen Haltung konnte er bald selbst mit der Ablehnung der meisten Naturgärtner rechnen. „Natürlich sind Brennnesseln prächtig. Bei näherer Betrachtung sind alle Pflanzen wunderbare Wesen. Aber da gerade Brennnesseln zu der Gruppe von Pflanzen gehören, die vom Rückgang der Wildflora profitieren, brauchen wir sie nun wirklich nicht noch in Gärten zu pflegen“, kommentierte Henk Gerritsen (1948-2008) bissig. Le Roys eigenwilliges Konzept richtete sich vehement gegen eine eintönige, lebensfremde Stadtplanung. „Stattdessen versuchte er, möglichst vielfältige Strukturen aufzubauen. Erst im Garten seines Wohnhauses in Oranjewoud, dann entlang einer Straße in Heerenveen. Sein Konzept: die Kultursteppe mit Bauschutt bedecken, gemeinsam mit den Anwohnern graben, Bäume, Blumen, Büsche pflanzen und schließlich wachsen lassen,“ schreibt Zeit Online 2003 über den holländischen Künstler und seinen Gegenentwurf zur öden Normalarchitektur. Louis Le Roy initiierte ein Refugium, das sich die Wildpflanzen zurückerobern sollten. Noch mit 80 Jahren schichtete er jeden Tag auf einer drei Hektar großen Wiese Steine zum berühmtesten Projekt seiner experimentellen Umweltgestaltung auf: die ecokatedraal (die Ökokathedrale) in Mildam in Westfriesland – sie ist heute noch frei zugänglich.

DIE DUTCH WAVE-BEWEGUNG

Eine zentrale Leitfigur der jüngeren niederländischen Gartengeschichte und Philosoph der Dutch Wave- Bewegung in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist Henk Gerritsen. Der in Utrecht geborene Quereinsteiger studierte Politik und Geschichte, später Kunst an der Gerrit Rietveld Academie, bis er sich als Gestalter von naturnahen Gärten einen Namen machte. Bis 1977 interessierte sich Gerritsen ausschließlich für Wildpflanzen. Dann entdeckte er die Gärten der legendären Mien Ruys (siehe S. 52). Ihre innovativen und gartenkünstlerischen Gestaltungsansätze und Pflanzkombinationen waren ein Augenöffner für Gerritsen. Ein Jahr später zog er mit seinem Partner Anton Schlepers auf dessen Hof in Schuinesloot, wo sie gemeinsam Priona Tuinen anlegten. Sein Ansatz: Je naturbelassener der Garten, umso mehr braucht er eine konsequente Struktur. „Die Hecken müssen regelmäßig geschnitten werden, Graswege und Rasen häufig gemäht werden, schreibt Gerritsen in seinem Buch „Gartenmanifest“Waltham Place