Über das Buch:
Was für ein Albtraum: Eigentlich wollte Tennyson Kent auf der beschaulichen kleinen Insel, die seit Generationen im Besitz ihrer Familie ist, ihre Hochzeit planen – stattdessen lässt ihr Verlobter sie völlig überraschend sitzen und ihre Cousine kommt unter mysteriösen Umständen ums Leben. Tennyson, die Polizistin und Spezialistin für Unterwassereinsätze ist, nimmt sofort die Ermittlungen auf. Sie weiß nicht, dass der Mörder es eigentlich auf sie abgesehen hatte. Und dass er nicht vorhat, lockerzulassen. Zu allem Unglück ist inzwischen eine Sturmflut aufgezogen. Alle Kommunikationsmöglichkeiten mit der Außenwelt sind unterbrochen. Und die Bedrohung rückt immer näher …

Über die Autorin:
Dani Pettrey ist für ihre spannenden Romane mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Im deutschsprachigem Raum wurde sie durch ihre sehr erfolgreiche Alaska-Serie rund um die fünf McKenna-Geschwister bekannt. Sie ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Maryland.

Kapitel 8

Sie stapften den matschigen Hang hinauf, der von Callens Haus zu ihrem führte – besser gesagt zu dem, was davon übrig geblieben war. Dank ihrer Gummistiefel blieben ihre Füße zwar trocken, aber auf dem glitschigen Boden hatte sie damit keinen richtigen Halt. Deshalb hielt Callen sie am Arm und stützte sie ab. Teni versuchte zu ignorieren, wie gut sich seine Berührung anfühlte. Sie war durch die Ereignisse dieses Tages so aufgewühlt, dass sie ihre Schutzmauern aufgegeben und sich wieder in seine Arme geflüchtet hatte. Damit sandte sie das falsche Signal aus. Sie sollte nicht bei ihm Kraft und Hilfe suchen! Aber er war da und …

Und im Moment konnte sie nur daran denken, dass sie ihr Herz besser schützen sollte, obwohl es so wehtat, dass sie den Schmerz kaum ertragen konnte.

Es regnete, aber das Blätterdach der Bäume bot ihnen einen gewissen Schutz vor den wolkenbruchartigen Niederschlägen.

Als sie am Waldrand ankamen, sah sie, dass das, was bis vor wenigen Stunden ihr Haus gewesen war, jetzt nur noch ein Skelett aus verkohlten Überresten war und dass das Feuer fast gelöscht war.

Tiefe Verzweiflung erfasste sie, als sie auf dem Boden die Überreste einer verkohlten und zerbrochenen Schindel liegen sah.

Würde sie je ein neues Haus bauen können?

»Hey.« Callen legte ihr beruhigend den Arm um die Schultern. Seine Stärke schien sie auf den Beinen zu halten. »Alles wird gut werden.«

Wie gern würde sie ihm das glauben, aber nach den letzten zwei Jahren fiel ihr das sehr schwer. Sie schien Tragödien fast magnetisch anzuziehen.

Es reicht!

Sie wollte es zum Himmel hinaufschreien, aber sie beherrschte sich, da sie genau wusste, wie sehr Callen an Gottes Führung und Souveränität glaubte. Er war fest davon überzeugt, dass ihr Leben in Gottes Hand lag und ihr himmlischer Vater über ihr wachte. Wenn das so war, warum sollte sie sich dann noch um eine Beziehung zu Gott bemühen?

Callen schaute sie von der Seite an. Die Sorge war tief in sein Gesicht geschrieben. »Ist alles okay? Ich kann Paul bitten, dich in mein Haus zurückzubringen, wenn es zu schwer für dich ist.«

Erschüttert starrte sie die armseligen Überbleibsel ihres Hauses an und das Flackern der letzten Flammen, die von dem Wasser aus den Schläuchen und dem strömenden Regen gelöscht wurden.

Mein Zuhause.

Tenis Brustkorb zog sich schmerzvoll zusammen.

Natürlich konnte sie es neu aufbauen, aber so viele Erinnerungen waren in einem einzigen Moment verloren gegangen. Erinnerungen an ihre Eltern und an Julia und …

Sie legte die Hand an den dicken, knorrigen Stamm eines schwarzen Walnussbaums, um sich abzustützen, zuckte aber zusammen, als etwas Spitzes ihre Hand verletzte. Schnell zog sie die Hand zurück und schüttelte sie vor Schmerz.

Callen runzelte die Stirn. »Was ist?«

»Da war etwas Spitzes am Baumstamm.« Sie hielt die Hand hoch, damit er sie untersuchen konnte.

Er hob seine Laterne hoch. »Ein Splitter von einer Schindel«, sagte er. »Es ist besser, wenn Paul die Wunde näht.«

Sie nickte und ging mit ihm zum Wagen des Sanitäters.

Obwohl das Feuer schon fast gelöscht war, hing der beißende Rauchgeruch noch schwer in der Luft und raubte ihr beinahe den Atem.

Callen blieb bei ihr sitzen, während Paul sich um ihre Hand kümmerte. Als Sam, der Brandmeister, erklärt hatte, dass das Feuer vollkommen gelöscht war, und den anderen Feuerwehrleuten befohlen hatte, hohe Pfosten mit Scheinwerfern aufzustellen, um die Ruine zu beleuchten, winkte er Callen zu sich.

Callen legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich spreche nur kurz mit Sam. Danach gehen wir zum Eiskeller.«

Teni nickte, obwohl sie ganz genau wusste, dass sie unmöglich einfach hier sitzen bleiben und warten konnte.

Callen trat zu Sam und die beiden gingen um die verkohlten Reste des Hauses herum. Teni wartete, bis Paul den letzten Stich gemacht hatte und sie endlich allein ließ. Dann huschte sie davon, eilte um den abgebrannten Schuppen herum, der zwanzig Meter vom Haus entfernt gestanden hatte, und lief dann den gewundenen Waldweg entlang, der zum Eiskeller führte. Eigentlich hätte sie auf Callen warten sollen, das war ihr durchaus bewusst. Falls die Tragödien des heutigen Tages gar keine Unfälle waren, wäre das in jedem Fall sicherer. Aber Jared würde doch nicht …

Entschlossen setzte sie einen Fuß vor den anderen durch den dichten dunklen Wald. Zum Eiskeller war es nicht sehr weit und sie konnte selbst auf sich aufpassen. Callen hatte schließlich Wichtigeres zu tun. Er musste herausfinden, was genau die Explosion ausgelöst hatte.

* * *

Callen ging neben Sam her und betrachtete im grellen Licht der Scheinwerfer die Verwüstung, die das Feuer hinterlassen hatte. Der heftige Regen trübte seinen Blick ein wenig.

»Ich will mit der Hauptgasleitung anfangen, die ins Haus führt«, sagte Callen.

Sam runzelte die Stirn. »Was denkst du?«

»Teni hat gesagt, dass sie etwas gehört hat. Etwas, das kein typisches Sturmgeräusch war. Und unmittelbar vor der Explosion hat sie die Umrisse eines Mannes vor ihrem Haus gesehen. Das war der Grund, warum sie nicht im Haus gewesen war. Sie wollte draußen nachsehen, was da war.«

»Willst du damit sagen, dass jemand in ihren Keller eingedrungen sein und die Leitung manipuliert haben könnte?« Sam sah ihn voller Entsetzen an. »Du meinst, jemand hat den Brand mit Absicht gelegt?«

Callen schluckte. Genau das dachte er, aber er wollte Jared Connors Namen noch nicht ins Spiel bringen, solange sie nicht mehr Informationen hatten. »Wir wissen beide, dass es eine Gasexplosion war. Bei der Wucht, mit der alles nach außen geflogen ist, kann es nichts anderes gewesen sein. Ich glaube, sie ging vom Keller aus und die Schockwellen haben sich nach oben ins Haus ausgebreitet und die Trümmer nach außen geschleudert.« Callen drehte sich zum Wald herum, durch den er gerannt war, als er den Knall der Explosion gehört hatte. Die ganze Zeit über hatte er gebetet, dass Teni das irgendwie überlebt hätte. »Mindestens hundert Meter weit.«

Sam nickte und zu zweit gingen sie zur offenen Kellertreppe. Die Betonstufen hatten der Explosion standgehalten, aber von den Türen war nichts mehr zu sehen.

Callen betrachtete die Leitung, die vom Gastank wegführte. Nach wenigen Sekunden fand er, was er gesucht und zugleich befürchtet hatte. Er deutete mit der Hand auf die durchtrennte Leitung und schaute Sam an.

Dieser richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf die Stelle, an der die Leitung amateurhaft durchtrennt worden war. »Ich würde sagen, wir haben die Ursache für die Explosion gefunden.«

Jemand hatte tatsächlich versucht, Teni zu töten.

* * *

Teni hörte Callens und Sams Stimmen in der Senke im Wald, als sie an Resten ihres Hauses vorbeiging. Verkohlte Schindeln, zerrissene Holzteile und Stücke des Blechdachs übersäten den gewundenen Weg zum Eiskeller.

Bitte lass nicht zu, dass mit Julia etwas ist.

Rechts von ihr knackte es.

Sie erstarrte und blickte sich im Wald um. Unter den dichten Blättern kam von dem starken Regen nur ein leichtes Nieseln an.

»Hallo?«

Nichts.

Schüttle es ab, Teni. Du bist paranoid. Jared verfolgt dich nicht. Und selbst wenn er es versuchen sollte! Du bist inzwischen Polizistin und kein eingeschüchtertes kleines Mädchen mehr.

Der Weg zum Eiskeller führte zuerst bergab und dann wieder ein Stück bergauf.

Vorsichtig trat sie über den schmalen Bach. Rechts von ihr hörte sie ein lautes Plätschern, als wäre jemand in den Bach gesprungen.

Sie schluckte. »Callen, bist du das?« Wenn er zu Pauls Auto hinüberschaute und bemerkte, dass sie nicht mehr dort war, würde er ihr sicherlich sofort folgen. Sie bekam keine Antwort.

Sollte sie umkehren oder weitergehen?

Inzwischen war sie dichter am Eiskeller als an ihrem Haus, das sie heute Abend verloren hatte. Am besten, sie ging einfach weiter.

Vorsichtig suchte sie mit den Augen die Dunkelheit ab und setzte ihren Weg fort. Die Scheinwerfer warfen einen gespenstischen, nebligen Lichtschein durch die Bäume. Teni blieb stehen und lauschte.

Es war zwar vollkommen still, aber etwas sagte ihr, dass sie nicht allein war. Kurz entschlossen beschleunigte sie ihre Schritte, nur noch zehn Meter trennten sie vom Eiskeller. Plötzlich vernahm sie schwere Schritte hinter sich. Das war jedenfalls nicht Callen. War es Jared? War er zurückgekommen, um ihr etwas anzutun?

Sie begann zu laufen und schrie nach Callen.

Lauf zum Eiskeller! Dort kannst du dich verbarrikadieren.

Der Eiskeller war ein niedriges Gebäude, das sich kaum vom Waldboden abhob und wie ein Fels auf der hügeligen Erde aussah.

Die Schritte wurden lauter. Hörte sie jemanden atmen? War er ihr etwa schon so dicht auf den Fersen?

Eine Gänsehaut lief ihr über den schweißnassen Rücken.

Ein Teil von ihr wollte, dass sie stehen blieb und sich umdrehte, um ihren Verfolger zu konfrontieren – aber sie war unbewaffnet.

Schließlich erreichte sie den Eiskeller und tastete nach dem Schloss. Es war aufgebrochen worden. Hastig riss sie die Tür auf und knallte sie hinter sich zu. Dann nahm sie die Schaufel, die an der Wand hing, und schob den Holzstiel durch den Griff an der Tür.

Schnell trat sie einen Schritt zurück und wünschte, sie hätte ihren Revolver bei sich. Sie hatte ihn Callen gegeben, weil sie befürchtet hatte, die Waffe könnte ihr aus der Tasche der viel zu großen Jogginghose herausfallen.

Die Eiskellertür klapperte und der Moschusgeruch eines Rasierwassers drang durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Wand.

Sie schrie erneut nach Callen und trat vor, um zu sehen, ob sie durch den schmalen Spalt Jareds Gesicht erkennen könnte. Eine Messerklinge drang durch den Spalt und verfehlte ihr Auge nur um Zentimeter.

Entsetzt taumelte Teni zurück und suchte nach etwas, mit dem sie sich verteidigen könnte. Dabei betete sie, dass Callen ihr Schreien gehört hatte.

Wieder wurde an der Tür gerüttelt und das Messer durchgeschoben. Dann wackelte es hin und her. Anscheinend wollte ihr Angreifer es herausziehen und noch einmal zustechen. Aber es kam nichts.

Schweigen.

Hatte er aufgegeben oder versuchte er nur, sie zu täuschen?

In der Nähe ertönten Schritte. Kam er zurück?

Jemand rüttelte kräftig an der Tür. Ihr Herz stockte und ihr Brustkorb zog sich zusammen.

»Teni!«, rief Callen und sie seufzte erleichtert auf.

Danke, Herr!

»Ich bin hier drinnen. Warte.« Sie zog die Schaufel heraus und drückte kräftig gegen die Tür. Callen zog von außen, während sie von innen schob, um die Tür, die nach oben aufging, zu öffnen. Einen Moment später lief Callen eilig die Stufen zu ihr hinunter. »Was ist passiert?«

Nachdem sie ihm alles erzählt hatte, fragte er: »Aber du hast nicht gesehen, wer es war?«

Teni schüttelte den Kopf.

»Normalerweise würde ich jetzt den Wald absuchen. Aber er könnte überall sein. Und im Moment ist es wichtiger, dich in Sicherheit zu bringen.« Er strich ihr über den Rücken und atmete tief aus. »Glaubst du, er war die ganze Zeit hier im Wald und hat alles beobachtet?«

»Ich weiß es nicht.« Sie trat zu dem Laken, in das Callen ihre tote Cousine eingewickelt hatte, und hob es hoch. Unter dem Laken lagen nur Getreidesäcke. Entsetzt keuchte sie auf. »Julia ist nicht mehr da.«

»Was!? Du glaubst doch nicht …?«

»Er muss Julia weggebracht haben. Dabei hat er mich gesehen und …«

»… und gedacht, dass er diese Gelegenheit nutzen könnte, um dich umzubringen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Was, glaubst du, hat er mit Julia gemacht?«

»Vielleicht hat er sie woanders versteckt. Wir könnten Leichenspürhunde vom Festland anfordern, aber bei dem Sturm …«

»… sind die Telefonleitungen tot.«

»Du hast also nicht einfach aufgelegt, als ich mit dir telefoniert habe?«, fragte er.

»Wie bitte? Nein! Natürlich nicht. Wie kommst du darauf, dass ich das machen würde?«

»Ich fand nur, dass du das Gespräch ziemlich abrupt beendet hast.«

»Das habe ich nicht. Die Leitung war plötzlich tot.« Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. »Glaubst du, dass er auch meine Telefonleitung durchtrennt hat?«

»Wahrscheinlich war das eher der Sturm, aber das können wir ja feststellen, wenn wir wieder bei mir sind.«

»Wolltest du nicht zuerst nach der Brandursache suchen?«

»Die haben wir schon gefunden.«

Abwartend schaute sie ihn an.

»Eine manipulierte Gasleitung.«

»Manipuliert? Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, dass jemand absichtlich dein Haus in die Luft gejagt hat.«

Sie schluckte. »Und ich sollte mit dem Haus in die Luft fliegen?«

Er nickte. »So sieht es leider aus.«