Aus dem Amerikanischen von Thomas Schichtel

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe I’m Not Sam

erschien 2012 im Verlag Sinister Grin Press.

Copyright © 2012 by Dallas Mayr & Edward Lucky McKee

Copyright © dieser Ausgabe 2019 by Festa Verlag, Leipzig

Titelbild: Arndt Drechsler

Lektorat: Marion Mergen

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-798-1

www.Festa-Verlag.de

Ich bedanke mich für dieses Buch bei Paula White, Alice Martell und Kristy Baptist – jede von ihnen weiß sehr gut, warum – sowie bei Caroline, Ana und Jodi von der Theke für ihre Kleine-Mädchen-Modetipps.

– Jack Ketchum

Zwei Namen stehen auf dem Titelblatt dieses Buches, aber niemand würde diese beiden Namen zusammen sehen, wenn nicht die Trägerin eines dritten dafür gesorgt hätte: Alice Martell. Ich danke dir dafür, Alice, dass du unsere Arbeit mit Niveau vertrittst. Ich schätze, wir ergeben ein prima Trio. Auf mehr! Ich bin froh, von dir vertreten zu werden.

– Lucky McKee

Von Lucky McKee:

»Das Netteste auf der Welt, was du für jemanden tun kannst, ist ihm zu erlauben, dass er dir hilft.«

– John Steinbeck, SWEET THURSDAY

Von Jack Ketchum:

»Liebe ist Freundschaft, die Feuer gefangen hat.«

– Bruce Lee

Einleitung

von Jack Ketchum

Im Alltagsleben sieht man keine Anfänge und keine Abschlüsse. Selbst die erstaunlichsten, das Leben umwälzenden Ereignisse werden – es sei denn, sie sind tödlich – in einem fort und anhaltend durch andere Ereignisse gepuffert und umtost, was den Einfluss jedes einzelnen dämpft.

Anders in Erzählungen. Erzählungen sind wie Musik. Sie beginnen und enden in Stille. Zunächst ist da gar keine Musik, dann spielt sie und dann ist sie verstummt. Und wiederum wie bei der Musik – falls sie gut ist – sollte die Stille am Ende eine Resonanz ergeben, die über sich hinauswächst. Ein lautes oder leises Summen im Ohr, das sowohl dich, den Leser, als auch die spezielle Story zufriedenstellt.

Weil eine Erzählung etwas aussagen will. Manchmal vieles. Sie möchte erreichen, dass du an ihrem Ende stockst und nachdenkst und etwas fühlst. Sie braucht also einen klaren Entwurf, ihre Ausrufezeichen, einen Vorhang, der sich öffnet und schließt. Das Leben hat nur einen Vorhang, den, der sich schließt. Das ist Mist.

Ich bin nicht Sam nahm seinen Anfang als Idee zu einer Kurzgeschichte, die Lucky und ich für einen kurzen Film adaptieren wollten.

Dann wuchs das verdammte Ding.

Die Grundidee, an sich recht einfach, erzeugte immer wieder neue Triebe und Zweige und Blätter, während wir durch tägliche E-Mails, die zwischen uns hin- und hergingen, daran arbeiteten. Wir wurden ein bisschen verrückt. Wir verliebten uns in die Figuren. Wir hatten Spaß.

Als wir uns ans Schreiben machten, wurde recht bald deutlich, dass sich der Text zu einer Novelle auswachsen würde, nicht nur zu einer Kurzgeschichte – und noch dazu einer recht langen Novelle. Kein Problem. Eine Novelle hat so ziemlich die perfekte Länge, um sie für einen Film zu adaptieren. Macht man das mit einer Kurzgeschichte, muss man erweitern und hinzufügen. Bei einem Roman muss man komprimieren und weglassen.

Die Sache ist die: Die Regeln und Erfordernisse von Prosa sind nicht die gleichen wie die eines Films. Prosa ist viel lockerer.

Der moderne Film ist meistens in drei klar erkennbare Akte unterteilt. Wie viele Autoren und Regisseure jedem gern erklären, ist das ein schrecklicher Fall von falscher Voraussetzung, denn die Akte werden nicht von der Komplexität der Story definiert oder von der Vision des Regisseurs, sondern einfach von der Laufzeit. Der Vertrieb und die Kinobetreiber möchten ihren Film etwa alle zwei Stunden abspielen, um möglichst viele Vorstellungen anbieten zu können und dadurch ein Maximum an Geld einzustreichen. Die Tage von Spartacus und Ben Hur und prachtvoller Einleitungen und langsam aufziehender Vorhänge sind vorbei, Leute!

Der erste Akt eines modernen Films dauert vielleicht 20 oder 30 Minuten. Er etabliert den Ausgangspunkt, stellt die Charaktere vor und leitet die Action ein.

Der zweite Akt ist etwa 45 Minuten bis eine Stunde lang. Er kompliziert die Ausgangslage und baut die Charaktere weiter auf. Er versucht, den Zuschauer tiefer ins Geschehen hereinzuziehen.

Dann folgt der dritte Akt. Der dritte Akt verknüpft hoffentlich alle losen Fäden, die bislang gesponnen wurden, und treibt die Handlung auf den Höhepunkt, sodass sich der Zuschauer freut, sein schwer verdientes Geld ausgegeben zu haben, statt die Zeit zu Hause mit einem Bier und Kabelfernsehen zu verbringen. Der dritte Akt ist wieder etwa 20 bis 30 Minuten lang.

Für einen Prosatext existieren solche Regeln nicht. Sicher, jede Prosa, die es lohnt, gelesen oder geschrieben zu werden, hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, aber niemand steht dabei mit der Stoppuhr hinter dem Autor. Der Anfang kann ein paar Absätze umfassen, wenn man möchte. Das Ende kann in einem schlichten Hieb in den Bauch bestehen.

Solange man die Regel der Stille einhält.

Eine Stille mit Resonanz und Bedeutung.

Als wir mit Ich bin nicht Sam fertig waren, hatten wir das Gefühl, einen ziemlich guten Song gespielt zu haben. Wir waren mit dem Text glücklich und zufrieden. Wir fanden, dass er funktionierte.

Dass er als Novelle funktionierte. Nicht jedoch als Film. Nicht ganz.

Das Ende war wirklich ein einzelner Hieb in den Bauch. Absolut okay, soweit es uns als Prosaautoren anging.

Aber als Film fehlte ihm der dritte Akt.

So ein Mist!

Lucky und ich arbeiten aber ziemlich gut zusammen. Also brauchten wir nicht lange, um uns auf eine Lösung zu einigen.

Sam würde bleiben, wie es war, eine eigenständige Novelle. Wir wollten nicht versuchen, den Text zu erweitern. Wir nahmen uns jedoch vor, ein weiteres Stück zu schreiben, eine direkte Fortsetzung der Story, die genau an dem Punkt ansetzt, an dem Sam endet – eine Story mit einer gänzlich anderen Form von Resonanz und dem Titel Wer ist Lily? Und das taten wir dann.

Als Film würden beide Storys nahtlos ineinandergreifen. Aber hier auf den Textseiten sollte jede davon eigenständig bleiben. Dieselben Charaktere, gänzlich andere Motive und Farbnuancen.

An dieser Stelle kommst du, der Leser, ins Spiel.

Wir bitten dich um einen Gefallen, Lucky und ich. Hoffentlich findest du das nicht zu aufdringlich von uns. Wir bitten dich nur darum, weil wir glauben, dass es vielleicht deine Leseerfahrung mit der Story vertieft, dir mehr Spaß bereitet und uns mehr Spaß bei dem Gedanken macht, dass du uns diesen Gefallen tust.

Wenn dir Ich bin nicht Sam gefällt, besteht vielleicht die Versuchung, dich gleich auf Wer ist Lily? zu stürzen. Als wäre es nur ein weiteres Kapitel in einer fortlaufenden Erzählung. Als blendete eine in die andere über. Fast so, als wäre es das Leben und keine Erzählung. Wir bitten dich darum, es nicht so zu sehen.

Wir bitten dich, es langsamer anzugehen. Die Anfänge und die Enden zu verdauen.

Sam sich eine Zeit lang setzen zu lassen.

Ein paar Minuten. Ein paar Stunden. Vielleicht einen Tag. Was auch immer.

Wir bitten dich, erst eine Zeit lang der Stille der ersten Erzählung zuzuhören, ehe du den Vorhang zur zweiten öffnest. Es sind durchaus unterschiedliche Melodien, das verspreche ich dir.

Tu dir keinen Zwang an und sag ruhig: Zum Teufel!

Du hast die Knete hingeblättert. Du hast jedes Recht dazu.

Aber wir versuchen, hier eine kleine Musik zu spielen, weißt du?

Könnte nicht schaden, ihr zuzuhören.

– 27. April 2012