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YOUR SMILE: WIE EIN STRAHLEN IN DER DUNKELHEIT

Cheryl Kingston

© 2020 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

info@plaisirdamourbooks.com

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg (www.art-for-your-book.de)

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-467-2

ISBN eBook: 978-3-86495-468-9

 

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

 

Glossar

Playlist

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Danksagung

Autorin

 

Glossar

 

Aegyo: Verhaltensweise bei der eine Frau sich besonders niedlich/süß gibt

Agassi: Fräulein

Aigo: Ach du meine Güte!

Aish: Verflucht!/ Fuck!

Ajumma: ältere/ verheiratete Frau

Aniyo: Nein (höflich/siezende Form)

Annyeong: Hi

Annyeonghaseyo: Hallo (höfliche Form)

Annyeonghaseyo, F.Sound sajin jagga Riley Evans ibnida: Hallo, ich bin Riley Evans, die Fotografin von F.Sound

Bogo sip-eo: Ich vermisse dich./ Ich will dich sehen.

Daebak: krass/ mega cool

Dong ppang: koreanischer Pfannekuchen in Form eines Kothäufchens mit Schokoladenfüllung

Eoseo oseyo: Willkommen.

Gaeguli: Frosch

Gaesaekki: Hurensohn

Gamsahamnida: Dankeschön.

Gwaenchana: Ist alles okay?

Gwaenchaneuseyo: Ist alles okay bei Ihnen?

Habsida sijaghaja: Fangen wir an.

Hajima: Lass das!

Hallyu Star: besonders in Asien bekannter Star (Hallyu steht für die koreanische Welle und beschreibt die weltweit ansteigende Popularität der koreanischen Popkultur)

Hoesik: Treffen von Kollegen nach der Arbeit zum Essen oder Trinken

Hyung: älterer Bruder oder nahestehender älter Freund eines Mannes

Hyungnim: höfliche/ehrfürchtige Art den älteren Bruder oder nahestehenden älteren Freund anzusprechen (Mann)

Ippeusi: schön/hübsch

Jal ja: Schlaf gut.

Jalhaess-eoyo: Gut gemacht.

Jaljinaess-eo: Wie geht es dir?

Jal meoggessseubnida: Guten Appetit (wörtlich: Ich werde es mir schmecken lassen.)

Jinjja: Dein Ernst?/ Wirklich?

Joesonghamnida: Entschuldigung.

Jug-eul lae: Willst du sterben?

Koachinim: besonders ehrfürchtige Form den Trainer anzusprechen

Kol: Deal (sinninhaltlich: So machen wir es.)

Matseumnida: Das stimmt./Du hast recht.

Mas-issge desuseyo: Guten Appetit (wörtlich: Lass es dir schmecken.)

Ya!: Hey oder auch Ey

Mianhae: Es tut mir leid.

Micheosseo-yo: Sind Sie verrückt?

Mi-so: Lächeln, weiblicher Vorname

Nado: Ich auch. (Umgangssprachlich)

Nado Saranghae: Ich liebe dich auch.

Netizen: K-Pop-Fans, die den Großteil ihrer Freizeit online verbringen und nahezu alles über ihre Lieblingsstars herausfinden

Noraebang: Karaoke

Nuguyeyo: Wer ist das? (höflich/siezende Form)

Omo: Ausruf, der so viel wie „Ach du meine Güte“ bedeutet

Oppa: älterer Bruder oder nahestehender älter Freund einer Frau, wird aber auch gerne als Kosewort für den fest Freund genutzt

Oraenmaniya: Lange nicht gesehen

Oraenmanieyo: Lange nicht gesehen (höflich/siezende Form)

Ppoppo: Küsschen oder Kuss

Saengil chukahae: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.

Saranghae: Ich liebe dich.

Sasaeng-Fan: ein verrückter Fan, der zu krankhaften Handlungen neigt

Schwarzer Ritter (Heukgisa): Mann, der für eine Frau das alkoholische Getränk bei einer Trinkrunde/-spiel übernimmt

Seollal: koreanisches Neujahr nach dem chinesischen Mondkalender

Sugohasyeossseubnida: Gute Arbeit (wörtlich: Ihr habt hart gearbeitet./Danke für die harte Arbeit.)

Unnie: ältere Schwester oder nahestehende ältere Freundin einer Frau

Varity Show: abwechslungsreiche Realityshow, die von Gastgebern moderiert werden

Wasseo-yo: Du bist hier?

Ye: Ja

Yeppeo: Hübsch

Yeoboseyo: Begrüßung, wenn man einen Anruf entgegennimmt

 

Für dich, weil du dich dazu entschlossen hast, die Geschichte von Jae-Joon und Riley zu lesen.

 

 

Playlist

 

BTS ft. Charli XCX – Dream Glow

Dua Lipa ft. Blackpink – Kiss & Make up

GD x Taeyang – Good Boy

Vandal Rock – Rewind

VIZE ft. Laniia – Stars

Monsta X – Someone’s Someone

Monsta X – Shine Forever

Taeyang – Wake Me Up

Steve Aoki ft. Monsta X – Play It Cool

Steve Aoki ft. BTS – MIC Drop

Viction – Nostalgic Night

Lauv ft. BTS – Who

Kim Yeon Ji ft. Sarah – Cry

Gaho – Stay Here

BTS – Heartbeat

iKon – Killing Me

Argon - Stranger

Taeyang – Eyes, Nose, Lips

Stray Kids – Levanter

BTS - Dionysus

EXO – Obsession

Far East Movement x Marshmello ft. Chanyeol & Tinashe – Freal Luv

SuperM – Jopping

Stray Kids – MIROH

BTS ft. Lauv – Make It Right

Stray Kids – Story That Won’t End

 

Kapitel 1

 

Riley

 

Herzklopfen.

Vorfreude.

Aufregung.

Staunen.

Ein Haufen euphorischer Gefühle strömt auf mich ein, als ich den Internationalen Flughafen Incheon in Südkorea verlasse und nach knapp zwanzig Stunden endlich wieder festen Boden unter den Füßen habe. Überwältigt realisiere ich, dass die Sonne dabei ist, aufzugehen, und ein tiefes Gefühl von Glück überkommt mich. Ich bin so glücklich, dass selbst die Tatsache, dass mein Gepäck zwischen Los Angeles und Taipeh verloren gegangen ist, meine Freude nicht mindern kann.

Dieser Sonnenaufgang bedeutet nicht nur Tagesanbruch, sondern symbolisiert auch den Beginn eines neuen Lebensabschnittes für mich. Ich habe Los Angeles, meine Familie, Freunde und meinen Traumjob hinter mir gelassen, um endlich wieder mit Nathaniel zusammen sein zu können.

Als mein Freund mir vor zwei Jahren verkündete, dass seine Firma ihn in die südkoreanische Außenstelle des Unternehmens versetzen wolle und er diese Chance ergreifen würde, brach eine Welt für mich zusammen. Während der drei Jahre Beziehung, die wir bis zu diesem Zeitpunkt bereits geführt hatten, sind wir nie länger als einige Tage voneinander getrennt gewesen, und plötzlich sollten knapp zehntausend Kilometer zwischen uns liegen? Viele prophezeiten uns, dass wir uns schon bald trennen würden, aber das haben wir nicht.

Natürlich ist die Entfernung eine große Belastung gewesen und war letztlich der Grund, weshalb ich mich dazu entschlossen habe, ebenfalls umzuziehen. Sich alle paar Monate und sonst nur über Videochat sehen zu können, ist auf Dauer einfach zu wenig gewesen. Selbst wenn Nate erst vor einem Monat zuletzt in den Staaten gewesen ist, fühlt es sich für mich wie eine Ewigkeit an, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben.

Plötzlich aufgeregt schalte ich mein Handy ein und warte darauf, dass es startet. Sobald eine Netzverbindung besteht, öffne ich den Messenger und schreibe Nate, dass ich gut angekommen sei und mich auf den Weg zu unserer Wohnung machen würde. Eigentlich war sein Plan, mich mit dem Auto abzuholen, da ihm jedoch kurzfristig ein wichtiger Termin dazwischengekommen ist, mussten wir am Abend vor meiner Abreise umdisponieren. Ein wenig mulmig ist mir schon bei dem Gedanken, dass ich den Weg nach Nonhyeon-dong, einem Stadtviertel von Seoul, allein finden muss, aber ich werde diese Hürde meistern. Immerhin muss ich nur den Zug bis Magongnaru und von dort aus die U-Bahn nehmen.

Für einige Augenblicke gönne ich es mir, den Sonnenaufgang zu betrachten, danach mache ich mich auf den Weg zum Zug und merke, dass ich dazu wieder zurück ins Flughafengebäude muss. Der Ticketkauf stellt sich als eine kleine Herausforderung heraus; auch wenn die Ticketautomaten eine englischsprachige Option haben, brauche ich die Hilfe einer netten Angestellten.

»Gamsahamnida«, bedanke ich mich auf Koreanisch und bin stolz darauf, dass sich all die Monate in der Sprachschule nun bezahlt machen. Mir ist das Koreanischlernen schwergefallen, dennoch bin ich der Meinung, dass man die Sprache des Landes, in dem man leben möchte, beherrschen sollte, und habe mich deshalb durchgebissen.

Mit dem Ticket in der Hand und der Wegbeschreibung der Frau im Ohr mache ich mich auf den Weg zum richtigen Gleis. Ein Blick auf mein Handy zeigt mir nicht nur, dass es kurz nach acht ist und der Zug in fünf Minuten kommen wird, sondern auch, dass mein Akku nicht mehr lange durchhalten wird – bei neunzehn Prozent Batteriestatus höchstens zwei Stunden. Ich sollte daher besser sparsam mit ihm umgehen und das Gerät ausschalten. Ohne großartige Probleme steige ich in den Zug und finde sogar einen Sitzplatz.

Während die Landschaft an mir vorbeizieht, überlege ich, was Nathaniel nach seiner Arbeit für uns geplant haben könnte. Ich sollte todmüde sein, das bin ich aber nicht, im Gegenteil, ich fühle mich berauscht und ein wenig aufgedreht. So vergehen Minuten, in denen ich wie ein Schwamm jeden noch so kleinen Eindruck der unbekannten Umgebung in mich sauge. Als es an der Zeit ist, umzusteigen, meistere ich auch diese Hürde und komme eine weitere Dreiviertelstunde später am Ziel an.

Als ich nun vor der U-Bahn-Station auf dem Gehweg stehe, ist der neue Tag zur Gänze hereingebrochen und die Sonne strahlt am wolkenlosen Winterhimmel. Von dem berühmten Feinstaub ist bisher zum Glück nichts zu sehen oder zu spüren, daher atme ich tief ein und lasse die Gegend auf mich wirken. Das wird von nun an also meine neue Heimat sein.

Laut Nate und der Wegbeschreibung, die ich mir zuvor angeschaut habe, dürfte der Weg bis zum Appartementhaus, in dem sich unsere Wohnung befindet, etwa zehn Minuten dauern. Auch wenn ich mich an die ungefähre Richtung erinnere, packe ich mein Handy aus meinem Rucksack und schalte es wieder ein, um mich von einer Navigations-App führen zu lassen. Und tatsächlich, knapp zehn Minuten später stehe ich vor der angegebenen Adresse. Erleichtert, weil sich mittlerweile doch Erschöpfung in mir breitmacht, betrete ich das Gebäude und gehe geradewegs auf die Aufzüge zu. Bevor ich einen der Knöpfe drücken kann, kündigt das Pingen einer Glocke die Ankunft der Kabine an, und die Türen öffnen sich für einen großen Mann. Innerhalb weniger Sekunden habe ich sein Aussehen erfasst. Das Alter von Asiaten einzuschätzen, fällt mir schwer, ich nehme jedoch an, dass er etwas älter sein könnte als ich. Die Jeans und die weißen Nike Air Max an seinen Füßen deuten zumindest darauf hin, dass er nicht allzu alt sein dürfte. Sein Wintermantel mit Kunstpelzbesatz, die Sonnenbrille und die Strickmütze vervollständigen den Look und unterstreichen meine Vermutung.

»Annyeonghaseyo«, grüße ich ihn mit einer angedeuteten Verbeugung.

»Annyeonghaseyo«, erwidert er mit der gleichen Bewegung und geht an mir vorbei.

Gut gelaunt betrete ich die leere Kabine und tippe auf den Knopf für die zehnte Etage. Bevor sich die Türen schließen, habe ich die Chance, den Fremden noch einige Sekunden von hinten zu betrachten. Süß, denke ich und grinse. Außerdem realisiere ich, dass er groß ist. Im Vergleich zu mir, mit meinen knapp ein Meter sechzig, ist das zwar nicht unbedingt schwer, dennoch widerlegt er das Vorurteil, alle Asiaten wären klein. Diese Erkenntnis bringt mich zum Kichern. Wie viele Vorurteile werden sich noch als falsch erweisen? Amüsiert steige ich wenige Augenblicke später in der zehnten Etage aus und suche nach dem Appartement 1004. Bereits von Weitem sehe ich das für uns Amerikaner ungewöhnliche Türschloss. Laut Nathaniel muss ich die Schutzklappe über dem Tastenfeld für den Türcode hochschieben und diesen eingeben. Testend schiebe ich die Klappe hoch und es kommt ein Nummernfeld zum Vorschein. 2-2-0-6 tippe ich das Datum unseres Jahrestages ein und warte darauf, dass sich das Schloss entriegelt. Doch das tut es nicht, stattdessen gibt es einen warnenden Piepton von sich. Verunsichert gebe ich die Zahlenfolge ein weiteres Mal ein und habe erneut keinen Erfolg. Bevor ich es ein drittes Mal versuche, öffne ich Nates Nachricht, in der er mir alle wichtigen Informationen weitergeleitet hat, und gleiche den Code ab. Nein, ich habe mich nicht vertan, es ist 2-2-0-6. Als Nächstes schaue ich, ob ich mich in der Etage oder in der Tür geirrt habe, aber auch das ist nicht der Fall.

Ratlos scrolle ich unseren Nachrichtenverlauf durch. Meine letzte Mitteilung ist von ihm bisher nicht gelesen worden. Das heißt, er ist immer noch in dem Meeting. Einige Zeit hadere ich mit mir, doch dann entscheide ich mich dazu, ihn anzurufen. Ich wähle seine Nummer und werde direkt auf die Mailbox umgeleitet, daher hinterlasse ich ihm eine Nachricht mit der Bitte, mich zurückzurufen oder mir zumindest den Pin per Kurznachricht zu schicken. Danach lege ich auf und starre das verflixte neumodische Schloss an. Mittlerweile bin ich ein wenig genervt.

Müde betrachte ich mein Hintergrundbild, das uns beide zeigt. Gerade als mein Unmut verpuffen und die Vorfreude auf Nate zurückkehren will, wird der Bildschirm schwarz und das Smartphone lässt sich nicht wieder einschalten. Mist! Die Navigation hierher hat so viel Akku gefressen, dass er nun leer ist. Glücklicherweise bin ich nicht der Typ Frau, der leicht in Panik gerät, trotzdem macht sich ein ungutes Gefühl in meinem Bauch breit. Was soll ich jetzt tun? Mein Ladekabel befindet sich in meinem Koffer und der wiederum in einem anderen Land. Natürlich könnte ich losziehen in der Hoffnung, dass ich ein Geschäft finde, das Ladekabel verkauft, als Nächstes würde sich aber die Frage nach einer Steckdose stellen. Irgendwo kann ich mich schließlich nicht an die Buchse hängen. Letztlich bleibt mir also keine Alternative, als hier stehen zu bleiben und auf Nates Rückkehr zu warten.

Es vergehen dreißig Minuten, dann eine Stunde und eine weitere. Irgendwann verliere ich jegliches Zeitgefühl, dafür fühle ich die Kälte im Flur umso deutlicher. Also entschließe ich mich dazu, in ein Café zu gehen, das ich auf dem Weg hierher gesehen habe, mich dort frisch zu machen und aufzuwärmen, während ich eine Kleinigkeit essen würde. Im Café angekommen, gesellen sich im Laufe des Tages zwei weitere Kaffee zu meinem geplanten Tee und dem Sandwich. Ich ärgere mich über Nate, noch viel mehr ärgere ich mich jedoch über mich selbst. Weshalb musste ich ausgerechnet meine Powerbank vergessen? Wie hilflos und aufgeschmissen man ohne Handy oder Internetzugang ist, realisiere ich gerade in aller Deutlichkeit. Gegen achtzehn Uhr entschließe ich mich dazu, zurück zum Appartement zu gehen und dort weiter auf Nate zu warten. Das würde zumindest das Risiko mindern, dass wir einander verpassen.

Als ich mich neben der Wohnungstür an die Wand hocke und kurz davor bin, die Nerven zu verlieren, erkenne ich, dass der Klumpen in meinem Magen mindestens genauso groß ist wie der Eisblock, zu dem meine Hände und Füße geworden sind. Resignierend lege ich die Stirn auf die Knie und schließe die Augen – warte weiter. Wie lange, weiß ich nicht, doch ich muss eingenickt sein, denn als mich eine männliche Stimme anspricht, schrecke ich hoch.

»Gwaenchaneuseyo?«, fragt die Stimme erneut, ob es mir gut gehe.

Noch bevor ich mir die richtige Antwort zurechtlegen kann, wechselt er ins Englische und wiederholt: »Ist alles okay bei Ihnen?«

Peinlich berührt von der Erkenntnis, wie erbärmlich ich erscheinen muss, nicke ich. »Ja, danke. Ich warte nur …«

Mein Gegenüber schweigt so lange, dass ich mir nicht sicher bin, ob er mich verstanden hat, doch dann erwidert er in einem klaren Englisch: »Warten Sie auf den Amerikaner?«

Zögernd beantworte ich die Frage: »Er müsste eigentlich jeden Moment von der Arbeit kommen.«

Wieder schweigt er, dieses Mal scheint er offensichtlich mit einer Antwort zu zögern. Gleichzeitig gibt er mir so Zeit, ihn genauer anzusehen. Es ist der Typ, den ich Stunden zuvor bei den Aufzügen getroffen habe.

»Ich bezweifle, dass er wiederkommt. Er und seine Freundin sind gestern ausgezogen«, lautet letztendlich seine Erwiderung.

Es braucht einen Moment, bis ich den Sinn der Worte verstanden habe. »Er ist was?« Ungläubig fahre ich hoch und gerate wegen meiner eingeschlafenen Beine ins Straucheln. Netterweise fängt der Fremde mich auf und hilft mir, das Gleichgewicht wiederzufinden. Die Berührung seiner warmen Hand auf meiner kühlen Haut jagt mir einen Schauer durch den Körper und lässt mich noch deutlicher spüren, dass ich friere. Sobald ich sicher stehe, zieht er seine Hände zurück, und ich habe das Gefühl, ich wäre etwas Lebensnotwendigem beraubt worden.

Statt auf meinen schockierten Ausruf einzugehen, fragt er: »Wie lange warten Sie hier schon? Seit heute Morgen?«

Ertappt senke ich den Blick und versuche, die Bombe zu verarbeiten, die er auf mich abgefeuert hat. Er kann nicht von Nathaniel gesprochen haben, oder?

»Mehr oder weniger«, gebe ich zu und muss, der grotesken Situation zum Trotz oder gerade wegen ihr, lachen. Nervös lecke ich mir über die Lippen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein zweiter Amerikaner in diesem Gebäude und auf dieser Etage mit nur sechs Wohnungen lebt? »Wie sah er aus?«

Selbst wenn der Fremde mich für verrückt halten sollte, lässt er es sich nicht anmerken und deutet mit seiner Hand eine Größe an, die Nathaniels entspricht. »So groß, blonde Haare und Brille. Ich habe ihn nur wenige Male gesehen, weil ich selbst noch nicht lange hier wohne, aber er hatte jedes Mal einen Anzug an und einen grünen Aktenkoffer aus …«

»Krokodilleder in der Hand«, beende ich seinen Satz und lasse mich plötzlich kraftlos zurück auf den Boden sinken. Er muss von Nate sprechen, denn genau diesen hässlichen Krokodillederkoffer hat er sich in Miami gekauft und ist besonders stolz auf ihn gewesen. Dennoch, das alles ergibt keinen Sinn! Wir haben vor weniger als zwei Tagen über meine Abreise und unsere gemeinsame Zukunft gesprochen. Doch auch wenn ich es mir selbst noch nicht eingestehen kann, wird der Fremde die Wahrheit sagen. Das mulmige Bauchgefühl, das seit heute Mittag immer stärker geworden ist, war bereits das erste Vorzeichen dafür, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Wieder lache ich, obwohl mir viel mehr nach Weinen zumute ist. Mein neues Leben in Seoul ist bisher ein absoluter Albtraum!

 

 

Jae-Joon

 

Mir ist die Situation deutlich unangenehm, gleichzeitig habe ich Mitleid mit der jungen Frau und muss mir eingestehen, dass sie mich fasziniert. Wie mir kurz zuvor bewusst geworden ist, habe ich sie vorhin, auf dem Weg zum Training zum ersten Mal gesehen, was mittlerweile knapp zehn Stunden her ist. Dementsprechend fassungslos macht es mich, dass sie scheinbar die ganze Zeit hier gewartet hat. Bei genauerem Hinsehen fällt mir auf, wie erschöpft sie ist. Dennoch erkenne ich eine besondere Art von Schönheit an ihr und finde, dass die zerzausten braunen Strähnen, die sich aus ihrem Haarknoten gelöst haben, sie niedlich erscheinen lassen. Ich schüttle über mich selbst den Kopf, denn meine Gedanken sind im Moment alles andere als angebracht.

»Haben Sie schon versucht, ihn anzurufen?«, frage ich und versuche, das Problem, welches hoffentlich nur ein Missverständnis ist, zu lösen. Irgendetwas lässt mich jedoch ahnen, dass sie soeben herausgefunden hat, dass ihr Freund fremdgeht.

»Ja, aber mein Akku ist seit Stunden leer, und ich hatte bisher keine Möglichkeit, ihn aufzuladen. Ich bin direkt vom Flughafen hierhergekommen und mein Gepäck steckt in Taipeh fest«, erklärt sie und fängt wieder an zu lachen. Gleichzeitig werden plötzlich ihre Augen von einem feuchten Schimmern überzogen. Erneut bin ich fasziniert, denn die Farbe dieser Augen erinnert mich an das kristallklare thailändische Meer, in dem ich vor wenigen Tagen gestanden habe, während ich für die südkoreanische Ausgabe von Men’s Health geshootet wurde.

»Wollen Sie reinkommen und sich bei einer Tasse Tee aufwärmen? Ich suche in der Zeit nach einem passenden Ladekabel.« Noch bevor ich mir darüber im Klaren bin, was ich ihr gerade Hirnrissiges vorschlage, habe ich die Einladung ausgesprochen und halte ihr meine Hand hin.

Nur kurz zögert sie, ergreift dann aber die von mir angebotene Hand. Die Berührung ihrer eiskalten Finger versetzt mir einen Schock. Wie schrecklich durchgefroren sie sein muss. Welcher Mann behandelt eine Frau so?

»Danke, ich bleibe auch bloß so lange, bis mein Handy wieder funktioniert und ich eine Unterkunft gefunden habe«, verspricht sie.

Ich habe jedoch die Vorahnung, dass das nicht so schnell passieren wird. Dennoch ziehe ich sie mit einem sanften Ruck auf die Beine. Nun, da sie direkt neben mir steht, bemerke ich, wie klein sie ist. Sie hat wahrscheinlich nicht die zarte, zierliche Figur einer Koreanerin, doch selbst in den Wintermantel gepackt, weckt sie mein Interesse. Eine Tatsache, die mich irritiert. Ich habe schon lange keine Frau mehr getroffen, die mich auch nur annähernd interessiert hat. Dafür habe ich in meinem straffen Terminplan sowieso keine Zeit. Davon abgesehen war ich die letzten Jahre über nicht der Typ Mann, der Frauen gegenüber aufgeschlossen gewesen oder dem es leichtgefallen ist, locker mit ihnen umzugehen. Genau genommen halte ich sie höflich auf Abstand. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass ich die Fremde gerade aus Mitleid und Sorge um ihre Gesundheit zu mir in die Wohnung eingeladen habe. Vielleicht ist es ihr verzweifelter Blick, der etwas in mir berührt und mich an eine dunkle und schmerzhafte Zeit in meinem Leben erinnert hat. Eine Zeit, während der mir lange niemand die Hand entgegengestreckt hat.

Bevor ich mich in alten Erinnerungen verlieren kann, lasse ich sie los und wende mich meiner eigenen Wohnungstür zu, um uns einzulassen. Ich schalte das Licht ein und gebe ihr den Vortritt, erst dann trete ich selbst ein und schließe hinter uns die Tür. Zum ersten Mal ist es mir peinlich, dass ich es für unnötig gehalten habe, Geld in Möbel zu investieren, und dass ich außer einem einzelnen Hocker beziehungsweise Sitzkissen keine vernünftige Sitzmöglichkeit habe. Bisher hatte ich aber auch noch nie Besuch - von meinem Personal Trainer und meinem Manager mal abgesehen.

»Ich habe leider nicht mehr zu bieten, Sie können sich aber gerne setzen«, murmle ich ein wenig verlegen und deute auf das Plastikstühlchen und die Polster, während ich ihre Mimik beobachte. Zu meiner Erleichterung verzieht sie keine Mine, sondern lässt sich auf eins der Kissen sinken und lehnt sich an die Wand. Sie scheint wirklich müde zu sein, erkenne ich einmal mehr.

»Ist grüner Tee okay?«, frage ich, löse den Blick von ihr, ziehe meine Jacke und Mütze aus und schmeiße sie auf einen Haufen Kartons, der von meinem Umzug übrig geblieben ist.

»Mir ist alles recht, Hauptsache, es ist warm«, antwortet sie.

Als ich wenige Minuten später mit zwei dampfenden Tassen zurückkomme, lächelt sie mich matt, aber offensichtlich ehrlich an. »Vielen Dank, ich weiß das wirklich zu schätzen. Ich bin übrigens Riley. Riley Evans.«

»Mein Name ist Park Jae-Joon«, antworte ich und schüttle ihre Hand. Zu meiner Erleichterung sind ihre Finger jetzt bereits etwas wärmer. Gleichzeitig löst die Berührung ein Kribbeln in meinen Fingern aus, das einmal mehr dafür sorgt, dass ich irritiert bin.

»Park Tae-Joon?«, wiederholt sie langsam meinen Namen, spricht ihn jedoch nicht richtig aus.

»Jae-Joon«, verbessere ich sie. »Sie können mich aber auch Jay oder JJ nennen.«

»Jay? Hast du amerikanische Wurzeln?«, fragt sie interessiert. »Ich meine natürlich Sie, haben Sie amerikanische Wurzeln?«

Einmal mehr über mich selbst verwundert, antworte ich: »Es ist für mich okay, auf Englisch vertraut miteinander zu reden, und nein, ich bin durch und durch Koreaner. Ich habe … einige Zeit in den USA gelebt.«

»Ah, das erklärt, weshalb dein Englisch so gut ist.«

»Danke.« Ihr Kompliment bringt mich zum Lächeln.

»Ist es dir schwergefallen, Englisch zu lernen? Ich lerne seit knapp einem Jahr Koreanisch und habe das Gefühl, meine Aussprache ist noch keinen Deut besser geworden.«

»Ja, sehr, aber ich habe es immer und immer weiter versucht, nie aufgehört zu sprechen und wurde dann irgendwann dafür belohnt.«

»Matseumnida«, stimmt sie mir zu und wir müssen beide grinsen.

»Deine Aussprache ist doch gar nicht so schlecht.«

»Trotzdem fehlt mir die Übung, daher bin ich noch sehr unsicher, wenn es ums Sprechen geht.« Verhalten gähnt sie hinter vorgehaltener Hand. »Entschuldigung.«

Ich schweige einen Augenblick. Sie trägt immer noch ihre Jacke, dessen ungeachtet sind ihre Lippen blau angelaufen und ihr Gesicht ist blass. Allein daran kann ich deutlich erkennen, wie müde und durchgefroren sie ist. Wäre es komisch, wenn ich ihr vorschlagen würde, eine warme Dusche zu nehmen? Normalerweise würde ich niemals auf die Idee kommen, einer Frau – und schon gar nicht einer Fremden – anzubieten, bei mir zu duschen, aber dies hier ist ein Sonderfall. Allgemein scheint die Begegnung mit Riley auf verrückte Weise etwas Außergewöhnliches zu sein. Ihr zu ermöglichen, sich vernünftig aufzuwärmen, wäre doch nur aufmerksam von mir, oder? »Möchtest du duschen? Wenn du den ganzen Tag draußen warst, bist du sicher durchgefroren.«

Ihr Kopf ruckt zu mir hoch und sie schaut mich mit großen Augen an. »Wäre das wirklich in Ordnung? Ich möchte dir nicht noch mehr Umstände bereiten.«

Ich weiß, dass mein Angebot nicht selbstverständlich ist, dennoch berührt ihre schüchterne Reaktion mein Herz. »Ja, warte, ich hole dir frische Handtücher und Wechselkleidung.«

Zu meinem Entsetzen beginnt sie plötzlich, zu weinen. Selbst wenn ich erahnen kann, dass es eine bloße Stressreaktion ist, bin ich betroffen. Dieser blöde Amerikaner war mir bereits seit unserem ersten Aufeinandertreffen unsympathisch, jetzt weiß ich endlich, weshalb – weil er ein Arschloch ist!

»Tut … tut mir leid, ich bin einfach so dankbar für deine Hilfe«, rechtfertigt sie sich.

»Schon okay, es ist wirklich alles in Ordnung.« Um ihr ein wenig Freiraum zum Beruhigen zu geben, stehe ich auf und hole ihr die versprochenen Handtücher, zusammen mit einem meiner wärmsten Pullover und einer Jogginghose. »Hier. Das Badezimmer ist den Flur raus hinter der ersten Tür links.«

»Danke«, schnieft sie. »Ehrlich, vielen Dank, sobald ich kann, werde ich mich dafür erkenntlich zeigen.«

Ihre Dankbarkeit bringt mich in Verlegenheit. »Das Wasser braucht einige Zeit, bis es heiß ist, danach reicht es für ungefähr zwanzig Minuten.«

Riley nickt und steht auf. »Kann ich irgendwo meine Jacke hinlegen?«, fragt sie und ist bereits dabei, sie auszuziehen. Zum Vorschein kommt ein dünner Strickpullover, der wahrlich nicht warm halten kann. Ein Wunder, dass sie sich noch nicht den Tod geholt hat.

»Die kannst du mir geben«, biete ich an und nehme sie ihr ab.

»Danke.« Offenbar scheint sie noch zu hadern, ob sie mein Angebot wirklich annehmen kann, doch dann lächelt sie verhalten und kündigt an: »Ich werde jetzt duschen gehen.«

Ein wenig unbeholfen bleibe ich ihm Wohnzimmer zurück und sehe dabei zu, wie sie im Badezimmer verschwindet. Es ist ein ungewohntes Gefühl, zu wissen, dass sich gleich eine Frau unter meiner Dusche befinden wird. Nein, es ist generell ungewohnt, jemanden in meiner Wohnung zu haben. Eigentlich hasse ich es, Menschen in meine private Wohlfühlzone zu lassen. Dass Riley hier ist, ist mir zwar fremd, aber erstaunlicherweise nicht unangenehm. Zu meiner Beschämung muss ich sogar zugeben, dass ich mir vorhin kurzzeitig weitere Gedanken über ihre Figur gemacht habe. Sie scheint schlank zu sein, dennoch konnte ich deutlich die Rundungen ihrer Brüste und Hüften erkennen. Etwas, dem ich sonst keine große Beachtung schenke.

Es ist nicht so, dass ich generell blind für Frauen bin oder sie nicht mögen würde, doch im Moment habe ich einfach andere Prioritäten. Das habe ich bis jetzt zumindest angenommen, denn im nächsten Augenblick überlege ich, ob ich Riley etwas zu essen machen soll. Viel geben meine Vorräte zwar nicht her, es wird aber reichen, um sie satt zu bekommen. Vorher suche ich jedoch nach einem Ladekabel für ihr Handy. Da ich nicht weiß, welches Gerät sie hat, lege ich drei verschiedene neben ihre Handtasche, in der Hoffnung, dass eins davon passen wird. Um mich danach beschäftigt zu halten und meine Gedanken nicht wieder in eine unangebrachte Richtung schweifen zu lassen, gehe ich in die Küche und durchforste die Schränke nach etwas Essbaren.

Alles, was ich finde, sind drei Packungen Ramyeon und eine Handvoll tiefgekühlter Mandu. Mein Diätplan erlaubt zwar kein Instantfood, und Trainer Han würde mich extra Übungen dafür machen lassen, wenn er von meiner Planabweichung wüsste, aber das tut er nicht, daher ist es mir egal. Vor allem da ich gerade merke, dass ich am Verhungern bin. Wobei ich genau genommen immer hungrig bin und auch immer etwas essen könnte.

Ich höre, wie die Badezimmertür aufgeht und Riley kurze Zeit darauf das Wohnzimmer betritt.

»Fühlst du dich schon etwas besser?«, frage ich und drehe mich zu ihr um.

»Ja, sehr viel besser, danke! Auch danke für das Ladekabel, Micro-USB hat gepasst.« Deutlich verlegen steht sie im Türrahmen und knetet nervös ihre Hände. Meine Hand wandert zu meiner Brust. Weshalb klopft mein Herz plötzlich so stark? Und warum finde ich, dass sie in den viel zu großen Sachen süß statt albern aussieht?

»Keine Ursache, das Essen ist gleich fertig. Ich hoffe, du magst Ramyeon mit Teigtaschen«, verkünde ich und richte irritiert meinen Blick zurück auf den Topf.

»Klingt perfekt, kann ich dir helfen?«, fragt sie und macht einen Schritt auf mich zu, was zur Folge hat, dass ein Dufthauch meines Duschgels zu mir herüberweht. Ich erkenne deutlich den Geruch wieder, trotzdem ist er an ihr ein komplett anderer, und das irritiert mich auf unerklärliche Weise. Ich räuspere mich und antworte nach einer gefühlten Ewigkeit: »Nein, setz dich einfach schon mal hin, ich komme gleich.«

Als sie meiner Anweisung folgt, bin ich erleichtert, wegen meiner Reaktion auf sie jedoch gleichzeitig verlegen. Man könnte meinen, sie wäre die erste Frau, der ich im Leben begegnet bin. Über mich selbst grübelnd warte ich darauf, dass die Nudeln gar sind, und bringe danach den Topf ins Wohnzimmer.

»Ich war so frei«, erklärt Riley und hat augenscheinlich meinen Tabletttisch entdeckt, denn er steht ausgeklappt neben ihr.

»Danke.« Ich stelle den Topf ab und sehe ihren leeren Becher. »Möchtest du noch einen Tee oder Wasser?«

»Wasser wäre super, danke.« Lächelnd blickt sie von dem Topf zu mir auf. »Das sieht unglaublich gut aus.«

»Ich hole noch Geschirr und Besteck, danach können wir essen.« Kurz darauf bin ich zurück und sehe, dass Riley ihr Handy in der Hand hält und etwas eintippt. »Hast du eine Antwort bekommen?«

»Nein, ich habe gerade meinen Eltern geschrieben, dass ich gut angekommen bin. Sie sind, im Vergleich zu einer gewissen anderen Person, vor Sorge fast gestorben.«

Unangenehm berührt nicke ich. »Lass uns essen. Vielleicht sieht die Welt danach schon ganz anders aus.«

»Ja, vielleicht«, stimmt sie zu, klingt aber nicht überzeugt. Trotzdem lächelnd nimmt sie die Schüssel mit Ramyeon entgegen und wir verbringen die nächsten Minuten schweigend, was für mich okay ist, da ich beim Essen sowieso nicht gern rede. Nach einiger Zeit merke ich jedoch, dass sich die Stimmung ändert und ihre Verlegenheit zunimmt. Gleichzeitig wächst meine Besorgnis. Vor allem beschäftigt mich die Frage, wie oder weshalb sie in diese Situation geraten ist. Bisher konnte ich nur erfahren, dass sie zu ihrem Freund – meinem ehemaligen Nachbarn – wollte, der sich aber inzwischen mit einer anderen aus dem Staub gemacht hat.

»Darf ich dich etwas fragen?«, hakt sie nach, sobald ich aufgegessen habe, und schiebt ihre eigene halb volle Schüssel von sich.

»Sicher«, bejahe ich und lehne mich auf meine Hände gestützt nach hinten.

»Ist das hier der Mann, den du meintest?« Riley zeigt mir ein Bild von sich und dem Amerikaner.

Sofort überkommt mich ein merkwürdiges Gefühl. Die beiden als Paar zu sehen … gefällt mir gar nicht.

»Ja, das ist er«, bestätige ich und empfinde Mitleid mit ihr. Während ich aus irgendeinem Grund froh bin, dass die Sache mit ihm mittlerweile beendet zu sein scheint. Als sie dann im nächsten Moment die Augen schließt und tief durchatmet, habe ich jedoch sofort ein schlechtes Gewissen.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Noch viel weniger verstehe ich, weshalb er so plötzlich abgehauen ist. Wir haben gemeinsam, über Monate hinweg, meinen Umzug nach Seoul geplant. Wir haben sogar noch vor zwei Tagen darüber gesprochen, was wir heute machen wollen, und dann komme ich hier an und … er ist mit einer anderen durchgebrannt? Himmel, ich habe für ihn alles zurückgelassen – Familie, Freunde, meinen Traumjob. Es war so schwer, alle Visa zu bekommen, und jetzt soll das alles umsonst gewesen sein? Hätte er nicht einfach fair sein und mir vorher sagen können, dass er die Beziehung beenden will und eine neue Freundin hat? Wie lange ist er schon zweigleisig gefahren?«, fragt sie und unterbricht für einen kurzen Moment ihren Monolog.

Da sie tatsächlich eine Antwort zu erwarten scheint, äußere ich meinen Eindruck. »Genau kann ich dir das nicht sagen. Ich wohne, wie gesagt, erst seit knapp zwei Monaten hier und war während dieser Zeit oft unterwegs, aber sie haben meiner Auffassung nach bereits zusammengelebt, als ich hier eingezogen bin. Zumindest habe ich sie regelmäßig gesehen. Tut mir leid, dass ich dir das sagen muss.«

»Muss es nicht. Tatsächlich tut es mir leid.« Mit einem Schniefen unterdrückt sie ein Schluchzen. »Mir ist das alles unendlich peinlich. Ich nutze deine Freundlichkeit nicht nur aus, sondern belästige dich auch noch mit meinen Problemen. Du musst mich für total erbärmlich und naiv halten.«

»Nein, das tue ich nicht, und es muss dir auch nichts peinlich sein.« Das denke ich wirklich. Die Situation ist merkwürdig, sogar ein wenig verrückt, aber Riley trägt daran keine Schuld, ihr wurde einfach übel mitgespielt. Zum Glück war ich noch nie in ihrer Lage, kann mir aber vorstellen, wie sie sich fühlen muss. Mein Leben war vor einigen Jahren ebenfalls ein einziger Scherbenhaufen.

»Danke.«

»Ich könnte einen Drink vertragen, du auch?«, frage ich und entlocke ihr zu meiner Erleichterung ein kleines Lächeln.

»Ich sollte Nein sagen, aber das wäre gelogen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie dringend ich den jetzt nötig habe.«

Ihre Antwort ist genau das, was ich erwartet habe, dessen ungeachtet bin ich mir nicht sicher, wie ich sie einschätzen soll. Ihr Verhalten ist völlig anders als das von koreanischen Frauen. Sie ist wesentlich aufgeschlossener und direkter, gleichzeitig wirkt sie aber auch schüchtern – fast schon unsicher, was jedoch bestimmt nicht daran liegt, dass wir uns erst kennengelernt haben. Dieser Kontrast in ihrem Wesen macht mich so neugierig, dass ich wissen will, wer sie wirklich ist. Was zur Folge hat, dass ich sie gern besser kennenlernen möchte, und das ist Irrsinn. Nicht nur weil ich keine Zeit für so etwas habe, sondern vor allem wegen meiner Lebensumstände. Ich bin ein aufstrebender Star, der kurz vor dem großen Durchbruch steht und dessen Vertrag eine Klausel beinhaltet, die besagt, dass ich noch knapp ein Jahr ein offizielles Datingverbot habe.

»Trinkst du Soju?«, frage ich und verhindere so, dass ich mir weitere Gedanken machen kann.

»Soju klingt gut.«

»Bier habe ich auch da.«

»Wie wäre es dann mit Somaek? Ist die Mischung aus Soju und Bier nicht ein Muss, wenn es um die koreanische Trinkkultur geht?«

»Da hat wohl jemand seine Hausaufgaben gemacht«, necke ich sie und habe sofort das Gefühl, dass die Stimmung sich wieder aufgelockert hat.

Die nächste Stunde mische ich uns Drinks und wir unterhalten uns. Im Nachhinein weiß ich gar nicht mehr, worüber, nur dass es lockere Themen gewesen sind und ich mich erstaunlich wohlgefühlt habe. So wohl, dass wir mittlerweile nebeneinander an die Wand gelehnt sitzen und für den Moment in angenehmes Schweigen verfallen sind. Eigentlich hätte ich sie längst in ein Hotel oder Hostel schicken sollen, aber das habe ich nicht und werde ich auch nicht. Ich will sie nicht gehen lassen. Nachdenklich drehe ich den Kopf zur Seite und betrachte ihr Profil. Aus der Nähe erkenne ich, wie zart und rein ihre Haut ist. Unweigerlich frage ich mich, wie sie sich unter meinen Fingerspitzen anfühlen würde. Mein Blick wandert weiter und als Nächstes fällt mir ihre Nase auf. Sie hat keine Stupsnase, dennoch ist sie fein und irgendwie … süß. Am meisten faszinieren mich aber nach wie vor ihre Augen, denn ich habe noch nie so ein außergewöhnliches Blau gesehen. Riley wendet den Kopf zu mir und blickt mich aus ebendiesen unglaublichen Augen an.

»Was ist?«, fragt sie und schenkt mir ein leicht angetrunkenes Lächeln, das meine Aufmerksamkeit wiederum auf ihren Mund lenkt. Sie hat schön geschwungene und volle Lippen. Ohne es verhindern zu können, denke ich für einen Augenblick darüber nach, sie zu küssen.

»Du solltest hierbleiben«, antworte ich, bevor mein Blick von ihrem Mund zurück zu ihren Augen wandert.

»Warum?« Es ist kein herausforderndes Warum, sondern die ehrliche Frage nach dem Grund.

»Weil ich mir Sorgen machen würde, wenn ich dich jetzt gehen lasse«, gebe ich ungefiltert zu.

»Du hast mich doch gerade erst kennengelernt«, flüstert sie und wir sind einander plötzlich nahe.

»Ich weiß, aber ich kann nichts daran ändern.« Dieses Mal bewege ich mich bewusst ein Stückchen näher zu ihr. Ich bin ihr mittlerweile so nah, dass ich grüne Sprenkel in ihrer Iris erkennen kann, die ihre Augenfarbe Türkis erscheinen lässt. Mehr zu mir selbst als zu ihr meine ich, dass sie hübsch ist. »Yeppeonae …«

Ich bin mir nicht sicher, wer zuerst die letzten Zentimeter zwischen uns überwunden hat, doch im nächsten Moment berühren sich unsere Lippen. In jedem Fall ist es jedoch sie, die zurückschreckt, bevor wir uns richtig küssen können.

»Tut … tut mir leid, das war unangebracht. Ich hätte das nicht tun dürfen«, stottert sie verlegen und will sich von mir abwenden.

Ich weiß, dass ich es nicht tun sollte und bereits angefangen habe, mit dem Feuer zu spielen, als ich sie zu mir in die Wohnung gelassen habe, dennoch kann ich nicht anders und lege meine Hand an ihre Wange. Wie oft habe ich wegen Shootings oder Aufnahmen Frauen anfassen müssen und es gehasst? Doch dieses Mal ist es keine Arbeit, sondern ein Bedürfnis, das ich nicht unterdrücken will.

Mein Herz beginnt zu flattern. Es ist lange her, dass ich einer Frau auf diese Weise nähergekommen bin. Mit dem Daumen fahre ich über ihre weiche Unterlippe. Mein Blick wandert zu ihren Augen, kurz sehe ich ein unsicheres Flackern ihn ihnen aufblitzen, doch dann schließen sie sich und Riley reckt mir kaum merklich den Kopf entgegen. Ein letztes Mal denke ich, dass ich diese Grenze nicht überschreiten sollte, kann aber nicht verhindern, dass mein Körper seinem eigenen Willen folgt und mein Mund ihren zu einem anfänglich zarten Kuss berührt. Zuerst ist er vorsichtig testend. Sobald Riley jedoch die Arme um meinen Hals schlingt und ihre Fingerspitzen den Haaransatz in meinem Nacken berühren, lasse ich jegliche Vernunft sausen. Meine Hand legt sich wieder an ihre Wange, gleichzeitig drücke ich mit dem Daumen ihr Kinn nach oben, sodass ich besseren Zugang zu ihrem Mund habe. Sie schmeckt nach einer Mischung aus Bier und Blaubeeren-Soju. Am liebsten würde ich den Kuss intensivieren, aber das tue ich nicht, sondern nehme mir Zeit, hauche weitere zarte Küsse auf ihre Lippen, um sie danach wieder im perfekten Einklang miteinander verschmelzen zu lassen.

Nachdem ich ihr einen letzten Kuss auf den Mundwinkel gehaucht habe, löse ich mich widerwillig von ihr. Auch wenn ich beim Küssen die Führung übernommen habe, möchte ich nicht das Risiko eingehen, sie zu überfordern. Prüfend schaue ich ihr in die Augen. Die vor Erregung geröteten Wangen und der lustvoll verschleierte Blick bringen mich dazu, sie ein weiteres Mal kurz zu küssen. Danach warte ich jedoch ihre Reaktion ab. Bis zu diesem Augenblick ist mir nicht klar gewesen, wie sehr ich mich nach dieser Art von Nähe gesehnt habe.

Rileys verträumter Ausdruck klärt sich ein wenig, und es scheint mir, als würde sie mich zum ersten Mal richtig sehen. Ihre Hände gleiten von meinem Nacken an meine Wangen. Dieses Mal ist sie es, die mit den Fingern meine Lippen nachfährt. Spielerisch gebe ich ihr einen Kuss auf die Fingerspitze und bringe sie damit zum Lächeln. Mein Puls rast vor Erregung, doch dieses süße Lächeln bringt mein Herz für einen Moment zum Stolpern.

Zu meiner Überraschung stützt sich Riley als Nächstes mit ihren Händen auf meine Schultern und schwingt ihr Bein über meine Hüften, sodass sie rittlings auf mir thront. Sofort durchfährt mich eine erwartungsvolle Welle der Lust. Nachdem Riley nun auf mir sitzt, scheint sie plötzlich schüchtern und verlegen zu sein. Nervös leckt sie sich über die Unterlippe und schenkt mir dabei ein scheues Lächeln. Spätestens jetzt hat sie mein Herz berührt. Um ihr die Situation zu erleichtern und sie ein wenig zu ermuntern, lege ich meine Hände um ihre Hüften und ziehe sie enger an mich, sodass sich ihre Brüste gegen meinen Brustkorb drücken und ich sie bequem umarmen kann.

Weitere Augenblicke vergehen, in denen wir einander wortlos anschauen und ich verschiedene Emotionen in ihren Augen lesen kann. Nach einer gefühlten Ewigkeit macht sie dann den ersten Schritt und beugt sich zu mir herunter. Ihr Kuss ist nicht aggressiv, aber dennoch eindeutig fordernd. Für den Moment lasse ich sie den Takt angeben und genieße es, als sie erst an meiner Unterlippe saugt, um sie dann freizulassen und sanft über sie zu lecken. Schnell wird sie mutiger und neckt mich weiter mit ihrer Zunge - spielt mit mir und reizt mich so lange, bis ich nicht anders kann und die Kontrolle übernehme.

Im Takt unserer Münder bewegen sich unsere Körper aneinander, sodass meine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe gestellt wird. Wäre es schlimm, wenn ich sie verlieren würde, frage ich mich. Will ich mir darüber im Moment überhaupt Gedanken machen? Immerhin wird es einen Grund dafür geben, dass wir uns auf diese Weise und zu diesem Zeitpunkt getroffen haben. Über das Warum und mögliche Konsequenzen werde ich mir morgen lang genug den Kopf zerbrechen können. Das ist das Letzte, woran ich mich erinnere, bevor sich mein Gehirn ausschaltet.

 

Kapitel 2

 

Riley

 

Verschlafen drehe ich mich auf die Seite und kuschle mich an den Körper neben mir. Suchend schiebe ich meine Finger unter Nates T-Shirt und spüre warme Haut und feste, durchtrainierte Muskeln. Für einen Moment genieße ich das Gefühl, doch dann wird mir klar: Das ist nicht Nathaniel! Nate ist alles andere als durchtrainiert! Erschrocken erstarre ich zur Salzsäule und reiße die Augen auf.

»Entspann dich, es ist alles gut. Es ist nichts passiert«, brummt Jae-Joon an meinem Scheitel.

Erst jetzt bemerke ich seinen Arm, der um mich geschlungen ist. Stück für Stück kehren meine Erinnerungen zurück. Meine Ankunft in Seoul, das stundenlange Warten auf Nate … die Erkenntnis, dass ich vergeblich auf ihn warte und er mich für eine andere verlassen hat. Beim Gedanken an diesen Verrat zieht sich mir die Brust zusammen. Ich bin jedoch vielmehr wütend als verletzt oder verzweifelt. Eigentlich sollte ich wegen Nate am Boden zerstört sein und Rotz und Wasser heulen, aber das tue ich … nicht?

Verwirrt hebe ich ein wenig den Kopf und betrachte den Mann, der mich schützend in seinen Armen hält. Jae-Joon, der mir bis gestern fremd gewesen ist, der mich trotzdem mit seiner rücksichtsvollen Art gerettet hat und mit dem ich stundenlang Drinks getrunken und Gespräche geführt habe, die in Küssen geendet haben. Verlegen, aber mit einem Kribbeln im Bauch, berühre ich mit den Fingerspitzen meine Lippen. Wir waren beide betrunken, aber nicht zu betrunken, um nicht Herr unserer Sinne zu sein. Zumindest ich nicht, daher erstaunt es mich, dass ich fast mit ihm geschlafen hätte und es bloß nicht getan habe, weil er die Reißleine gezogen hat. Sollte ich nicht verletzt sein, weil er mich abgewiesen hat? Tatsache ist jedoch, ich fühle mich nicht zurückgestoßen, sondern wertgeschätzt. Gleichzeitig ist mir die Situation peinlich. Hält er mich nach gestern für flatterhaft und leicht zu haben?

»Hör auf, so viel zu grübeln. Wir hatten gestern beide einen anstrengenden Tag, gönn uns noch etwas Schlaf. Danach können wir uns immer noch Gedanken darüber machen, ob das, was zwischen uns passiert ist, ein Fehler gewesen ist … oder nicht«, meint er und ich begegne seinem Blick. Sofort bin ich vom schokoladigen Braun seiner Augen in den Bann gezogen. Wir sehen einander an, und ich warte darauf, dass die Situation doch noch unangenehm wird, aber das tut sie nicht. Daher schließe ich die Augen und entspanne mich. Zu meinem Erstaunen haucht er einen kaum spürbaren Kuss auf meine Stirn und zieht mich ein wenig enger an sich. Diese Geste irritiert mich, löst aber auch die Enge in meiner Brust und bringt stattdessen mein Herz erneut heftig zum Klopfen.

Stunden später wache ich wieder auf und finde mich allein auf der weichen Schlafmatte wieder. Beklemmung überkommt mich und ich spüre sogar einen leichten Stich in der Brust. Wo ist Jae-Joon? Suchend schaue ich mich nach meinem Handy um, erinnere mich aber, dass es immer noch im Wohnzimmer ans Ladekabel angeschlossen ist. Verunsichert richte ich mich auf. Was erwartet mich, wenn ich aufstehe? Wird er kalt zu mir sein und mich rausschmeißen?

»Grübelst du wieder?«

Erschrocken fahre ich herum. Schmunzelnd steht er im Türrahmen und hält eine Tasse in der Hand. Er scheint nicht zu bereuen, dass ich hier bin, im Gegenteil, er wirkt lockerer als noch am Abend zuvor. Oder bilde ich mir das nur ein?

»Ist der für mich?«, frage ich verlegen und nicke in Richtung der Tasse.

»Ich wusste nicht, wie du deinen Kaffee magst, und habe ihn daher so gemacht, wie ich ihn trinke, mit Süßstoff, aber ohne Milch.« Immer noch lächelnd, kommt er zu mir und hockt sich vor mich. Erst dann reicht er mir die Tasse und ich nehme sich dankbar an. »Hast du gut geschlafen?«

»Ja, danke. Ich hoffe, du auch?« Ich spüre deutlich, wie mir Hitze in die Wangen steigt und ich rot werde. Froh darüber, dass ich mich hinter dem Becher verstecken kann, trinke ich einen Schluck. Der Kaffee ist leider viel zu süß, dennoch wärmt er mein Inneres. Vielleicht ist es aber auch Jae-Joons fürsorgliche Geste.

»Ich muss sagen, ich habe schon ewig nicht mehr so gut und lang geschlafen«, antwortet er. »Normalerweise bin ich um diese Zeit schon lange unterwegs.«

»Hoffentlich habe ich deine Pläne nicht durchkreuzt.«

»Zumindest keine, die wirklich wichtig waren und nicht auf später verschoben werden konnten.« Jae-Joon wippt auf seinen Füßen vor und zurück. »Hast du Hunger? Ich war vorhin einkaufen und habe Sandwiches mitgebracht.«

Statt auf seine Frage zu antworten, entgegne ich: »Warum tust du das? Warum kümmerst du dich so sehr um mich? Versteh mich nicht falsch, ich bin dir unendlich dankbar und weiß nicht, wie ich dir das jemals zurückzahlen kann, aber du musst das nicht tun, weißt du?«

»Ich weiß, aber ich habe das Gefühl, zumindest für den Moment die Verantwortung für dich übernehmen zu müssen.«

Dieses Statement macht mich sprachlos, denn es ist definitiv eins. Eins, das mein Herz wieder zum Flattern bringt.

Jae-Joon klatscht in die Hände und holt mich damit in die Realität zurück. »Da wir das nun geklärt haben, lass uns frühstücken, und danach schauen wir, wie es weitergeht. Deine Kleidung liegt übrigens frisch gewaschen im Badezimmer. Eine neue Zahnbürste habe ich dir auch mitgebracht.«

»Danke.« Ich kann wirklich nicht beschreiben, wie gerührt und dankbar ich ihm bin.

»Keine Ursache.« Offenbar gut gelaunt, richtet er sich auf und verlässt das Zimmer - gibt mir dadurch Zeit, mich kurz ein wenig zu sammeln. Ich bin verwirrt, ein wenig überfordert und meine Emotionen spielen verrückt. Am Boden zerstört bin ich jedoch immer noch nicht. Nates Aktion hat mich kalt erwischt, aber ich bin immer noch vielmehr stinkwütend als verletzt. Natürlich tut mein Herz weh, aber es fühlt sich nicht so an, als würde ich sterben müssen. Haben wir uns wegen der Distanz in den letzten zwei Jahren bereits emotional voneinander entfernt? Er sich offenbar schon, aber ich mich anscheinend, ohne es zu realisieren, ebenfalls. Trotzdem, hätte ich nach fünf Jahren Beziehung nicht mehr als diese feige Aktion verdient? Niemals hätte ich erwartet, dass ich meine Entscheidung, alles für Nate aufzugeben, bereuen würde. Ich seufze. Selbstverständlich könnte ich mir jetzt noch stundenlang den Kopf über das Wie und Warum zerbrechen, aber was würde das bringen? Nate hat mich verlassen und betrogen, den Grund dafür kennt allein er. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als das Beste aus der Situation zu machen.

Daher stehe ich auf und gehe ins Badezimmer, um mir die Zähne zu putzen und mich anzuziehen. Als ich mich kurz darauf im Spiegel erblicke, bin ich erschrocken darüber, wie zerzaust ich aussehe. Das ist nicht unbedingt der Anblick, den ich Jae-Joon oder überhaupt jemandem bieten wollte. Erneut seufzend entwirre ich mit Mühe mein Haar und kämme es mit den Fingern notdürftig durch, danach fasse ich es zu einem Knoten zusammen.