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Fürstenkrone
– Staffel 8 –

E-Book 71-80

Friederike von Buchner
Judith von Eschenberg
Carola Vorberg
Barbara Mellin
Maria Bianca
Nina Nicolai
Yvonne Bolten
Marisa Frank

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-026-1

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Schatten über Schloss Hohenstein

Warum Katharinas und Philipps Glück in Gefahr geriet

Roman von Judith von Eschenberg

Die Sonne lachte von einem wolkenlosen Himmel, als Katharina Komtess von Erlenburg mit ihrem roten Auto von der A 21 abfuhr, mitten hinein in die sanften Hügel der Holsteinischen Schweiz. Rechts und links der Straße erstreckten sich große Felder. Bauern auf Schleppern fuhren darüber und ernteten das goldgelbe Getreide.

Katharina hatte die Seitenscheibe heruntergedreht, und ein sanfter Sommerwind spielte mit ihren schulterlangen blonden Haaren. Sie war froh, dass sie sich morgens für die weiße kurzärmelige Bluse und den buntbedruckten Seidenrock entschieden hatte. Beides stand ihrer schlanken Figur nicht nur ausgezeichnet, es ließ auch die Sommerhitze erträglich werden.

Katharina warf einen Blick auf die Wegbeschreibung, die ihre Tante ihr gegeben hatte. Irene Lorenzen wohnte neuerdings in einem ehemaligen Landarbeiterhaus auf einem Reiterhof. Katharina war schon sehr gespannt auf das Haus. Voller Vorfreude bog sie auf eine schmale Straße ein. Nun konnte es nicht mehr weit sein. Doch an der nächsten Kreuzung ging es plötzlich nicht mehr weiter. Die Teerdecke war komplett aufgerissen. Bagger und Planierraupen standen neben Stapeln von Rohren. Ein Umleitungsschild wies nach links.

Seufzend folgte Katharina dem Weg. Nachdem sie eine Weile der kurvigen Straße gefolgt war, wurde sie unruhig. Sie hatte mehrere kleine Abzweigungen passiert. Hatte sie dabei ein Umleitungsschild übersehen? Sie musste doch irgendwo wieder abbiegen, um zur ursprünglichen Straße zurückzukommen! Kurz entschlossen bog Katharina an der nächsten Kreuzung rechts ab. Ein paar Minuten später hatte sie sich hoffnungslos verfahren. Am besten sie rief vom nächsten Ort aus ihre Tante an.

Sie war gerade zu dieser Entscheidung gekommen, als ein Reiter aus einem Waldweg ein Stück vor ihr auf die Straße bog. Spontan hielt Katharina ihr Auto an und stieg aus.

»Entschuldigung«, sagte sie, als der Mann nah genug herangekommen war.

»Kann ich Ihnen helfen?« Er zügelte sein Pferd. Ein Trakehner, wie Katharina am Brandzeichen erkannte. Der Fremde schwang sich aus dem Stuhl. Er überragte Katharina um einen halben Kopf und hatte eine athletische Figur. Dunkelbraune Haare lugten unter seiner Reitkappe hervor. Er nahm sie ab und wischte sich Schweiß von der Stirn.

Katharina schilderte ihm ihr Problem. »Ich habe mich verfahren und suche Gut Lindenhain. Ich dachte, Sie haben vielleicht ihr Pferd dort bei Herrn Witte untergestellt und können mir den Weg zeigen?« Sie schaute ihn aus ihren blauen Augen fragend an.

Ein amüsiertes Lächeln zuckte über die markanten Züge des Fremden und funkelte einen Moment in seinen dunkelbraunen Augen. Katharina konnte sich nicht vorstellen, was den Mann an ihrer Frage belustigte. Aber sein Lächeln löste ein Kribbeln in ihrer Magengrube aus.

»Ich habe mein Pferd zwar nicht bei Witte untergestellt, aber wie sie dorthin kommen, kann ich ihnen sagen.«

Katharina hatte Mühe, sich auf die Wegbeschreibung zu konzentrieren, so sehr irritierte sie die Nähe des Mannes.

»Wollen Sie dort Urlaub machen?« Die Frage klang beiläufig. Doch der Blick des Fremden zeigte ein gewisses Interesse an Katharina.

Ihr Herz klopfte schneller. »Meine Tante wohnt auf dem Gut. Sie ist Rechtsanwältin, und ich will bei ihr meine Rechtsanwaltsstation machen.«

»Rechtsanwaltsstation? Dann haben Sie Jura studiert und machen jetzt Ihr Referendariat.« Es war eine Feststellung keine Frage.

Katharina nickte. »Ja, ich will Rechtsanwältin werden. Sind Sie Jurist?«

Der Fremde schüttelte den Kopf. »Ein Freund von mir hat Jura studiert. Aber …« In diesem Augenblick klingelte sein Handy. Er runzelte die Stirn, zog sein Telefon aus der Tasche seiner gut geschnittenen Reitjacke und warf einen Blick auf das Display.

»Entschuldigen Sie bitte. Der Verwalter. Er würde nicht anrufen, wäre es nicht dringend.«

Er wandte sich ab, und Katharina trat zurück zu ihrem Auto. Sie wollte das Gespräch nicht belauschen, konnte aber nicht verhindern, dass einige Satzfetzen zu ihr drangen. »Ja, Jenkins? ... Jetzt schon? ... Ja ... Ja, ich komme sofort.«

Der Fremde klappte das Handy zu und wandte sich wieder Katharina zu. Ein bedauernder Ausdruck lag in seinen Augen. »Ich fürchte, ich muss unsere Unterhaltung abbrechen. Die Pflicht ruft. Es war schön, Sie kennen zu lernen. Vielleicht begegnen wir uns ja noch einmal.« Er lächelte sie warm an.

Katharina lächelte zurück. »Ich würde mich freuen.«

Der Mann schwang sich wieder in den Sattel seines Pferdes. »Auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen.« Katharina sah ihm sinnend nach, bis er zwischen den Bäumen verschwunden war.

*

Katharina folgte dem Weg, den der gutaussehende Fremde ihr beschrieben hatte. Wer er wohl war? Während sie weiter durch die hügelige Landschaft fuhr, kreisten ihre Gedanken um den Unbekannten. Schließlich erreichte sie Gut Lindenhain. Der eigentliche Gutshof lag ein Stück von der Straße entfernt, am Ende einer langen Allee. Zwischen den Stämmen der Linden hindurch sah Katharina ein rot verklinkertes Fachwerkhaus, das mit Reet gedeckt war. Rechts und links davon standen lange Stallgebäude. Doch Katharina interessierte sich viel mehr für die drei Landarbeiterhäuser, die direkt an der Straße standen. Ihre Tante bewohnte das linke. Es war eine weiß verputzte Kate, auch sie reetgedeckt. Über einer blauen Tür ragte ein spitzer Giebel auf. Katharina stellte ihr Auto vor dem Haus ab und drückte kurz auf die Hupe. Fast augenblicklich flog die Haustür auf, und Irene Lorenzen kam heraus.

»Katharina!« Mit ausgestreckten Armen kam sie auf die Nichte zu. Sie war klein und rund und trug ihre eisgrauen Haare kurz geschnitten. Fröhliche graue Augen strahlten Katharina entgegen. »Schön, dass du da bist!«

»Ich freue mich auch.« Katharina löste sich aus der Umarmung. »Der Farbton steht dir«, sagte sie mit Blick auf den klassisch geschnittenen Hosenanzug aus hellgrauem Leinen, den ihre Tante trug.

»Danke. Komm, ich zeige dir alles. Dein Gepäck können wir später ausladen.«

Irene Lorenzen führte Katharina durch das ganze Haus. Es war nicht groß, aber gemütlich. Im Erdgeschoss befand sich eine Küche, die im Landhausstil eingerichtet war. Daneben lag das Wohnzimmer mit sichtbaren Holzbalken. Irene hatte es mit alten Bauernmöbeln eingerichtet.

»Hier ist dein Zimmer«, sagte Irene im ersten Stock und öffnete eine Tür zur Linken. Das Gästezimmer lag unter de Dachschräge und hatte einen herrlichen Ausblick. Katharina konnte weit über Felder und jene Buschreihen gucken, die hier als ›Knick‹ bezeichnet wurden.

»Es ist wunderschön.« Katharina brachte ihr Gepäck in ihr Zimmer.

Die Frauen tranken Kaffee und tauschten Neuigkeiten aus. Irene erkundigte sich nach Katharinas Eltern und erfuhr, dass es beiden gut ging.

Nach dem Imbiss machten die beiden Frauen einen Spaziergang zum Haupthaus hinunter. Vor den Stallungen trafen sie auf den Eigentümer von Gut Lindenhain, der gerade einen großen Fuchswallach über den Hof führte.

Irene machte Katharina und Thomas Witte miteinander bekannt. Er war Mitte vierzig. Ein Hüne von fast zwei Metern, der ein wenig gebeugt ging, als wolle er sich kleiner machen, als er war. Aus seinem sonnenverbrannten Gesicht schauten zwei graugrüne Augen neugierig auf Katharina herunter.

»Willkommen auf Gut Lindenhain, Komtess. Ich hoffe, es gefällt Ihnen bei uns. Aber Irene sagte, Sie reiten auch, dann sollte das ja kein Problem sein, oder?« Er zwinkerte ihr fröhlich zu.

»Ich reite wirklich gerne.« Katharina erwiderte das Zwinkern mit einem Lächeln. Sie streichelte dem Fuchswallach an Wittes Seite über die Stirn. Dabei fiel ihr wieder der Fremde von vorhin ein. Sie schilderte, wie sie vom Weg abgekommen war.

»Die Baustelle hatte ich ganz vergessen«, rief Irene aus. »Tut mir leid, dass sie dich aufgehalten hat.«

»Das war nicht so schlimm. Ich bin einem Reiter begegnet, der mir den Weg beschrieben hat.« Katharina stand wieder das Bild von dem gut aussehenden Mann vor Augen. Ihr Herz klopfte schneller, als sie an ihn dachte. Möglichst beiläufig sagte sie: »Er muss hier irgendwo in der Gegend wohnen. Er ritt einen Trakehner.«

In den Augen von Herrn Witte glomm Erkennen auf. »Ich glaube, ich weiß, wen Sie meinen. – Mitte zwanzig, dunkle Haare, braune Augen?«

Katharina nickte. Sie hatte gehofft, dass der Gutsbesitzer wissen würde, wer der Mann war. Auf den Dörfern kannten die Einheimischen einander.

»Da haben Sie ja gleich die richtige Bekanntschaft gemacht, Komtess. Das muss der Fürst gewesen sein. Philipp Fürst von Hohenstein.«

Katharina schaute Herrn Witte überrascht an. »Ist er nicht etwas jung für den Titel?«

Ihre Tante antwortete. Ein betrübter Ausdruck stand in ihrem Gesicht. »Die Eltern des Fürsten sind vor knapp zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Tragisch. Jetzt stehen die Kinder alleine da.« Auf Katharinas fragenden Blick fügte sie hinzu: »Fürst von Hohenstein hat noch zwei jüngere Geschwister.«

»Kennst du die Familie näher?«

Irene schüttelte den Kopf. »Nur flüchtig. Ich bin dem Fürsten letzten Herbst auf einer Fuchsjagd hier in der Gegend vorgestellt worden. Hin und wieder begegnen wir uns auf einem Ausritt. Das ist alles.«

Der Wallach an Herrn Wittes Seite schnaubte und warf den Kopf hoch.

»Du willst wohl wieder gestreichelt werden, was, Amadeus? Oder doch lieber geritten?« Herr Witte schaute Komtess Katharina fragend an.

»Ich hätte nichts dagegen«, erklärte diese.

»Wunderbar. Dann kann ich mich um die anderen Pferde kümmern.«

*

Philipp Fürst von Hohenstein ritt zügig zum Schloss der Familie zurück. Der Weg führte ihn durch lichten Wald und an Feldern vorbei. Staub wirbelte von den Hufen seines Pferdes. Der Verwalter hatte ihm berichte, dass Bianca, die junge Stute, fohlte. Dabei war ihre Zeit noch gar nicht gekommen. Philipp hatte Schwierigkeiten, sich auf die bevorstehenden Ergüsse zu konzentrieren. Vor seinem geistigen Auge sah er immer noch die junge Frau, die ihn nach dem Weg gefragt hatte. Ihr schmales Gesicht mit dem blonden schulterlangen Haar und den blauen Augen strahlte offene Freundlichkeit aus. Sie hatte etwas Anziehendes an sich gehabt, etwas, das sein Herz berührte. Philipp hoffte, er würde sie bald wiedersehen. Ein Lächeln flog über seine Züge. Immerhin wusste er wo sie wohnte – zumindest für die nächsten Monate. Da sollte sich ein Treffen einrichten lassen.

Er erreichte Schloss Hohenstein. Der langgestreckte klassizistische Bau reflektierte das Sonnenlicht. Strahlend weiß hob er sich von dem umgebenden Grün ab. Philipp lenkte sein Pferd zu den Stallungen. Er übergab Tassilo einem Stallknecht und suchte Biancas Box auf.

Walter Jenkins, der Verwalter, stand schon dort. »Tut mir leid, dass ich Sie von Ihrem Ausritt zurückgerufen habe, Durchlaucht.« Er deutete mit der Hand in die Box. »Bianca hat das ganz gut ohne uns hinbekommen.«

Philipp trat neben ihn. In der Box stand die junge Trakehnerstute schon wieder auf den Beinen und neben ihr, noch ein wenig schwankend, ein dunkelbraunes Fohlen.

»Kerngesund, die Kleine«, sagte Herr Jenkins und schob die Hände in die Taschen seiner ausgebeulten Jeans.

»Wunderbar.« Philipp ging vorsichtig in die Box und streichelte das Pferdekind. »Laura wird mit Freuden einen Namen aussuchen, wenn sie morgen kommt.«

Der Verwalter nickte zustimmend.

Nach einer Weile verließen sie Stute und Fohlen, damit sich beide von den Anstrengungen der Geburt erholen konnten, und gingen gemeinsam zurück zum Schloss.

»Mir fällt gerade ein, dass die Buchhalterin gekündigt hat. Haben Sie schon eine neue gefunden?«

»Leider nein, Durchlaucht. Ich werde noch einmal eine Annonce schalten müssen.«

»Na, dann viel Glück.«

Philipp nickte dem Verwalter zu und schlenderte zum Haupteingang hinüber. Er atmete tief und befreit durch. Er liebte den Familienbesitz und die Ländereien, konnte sich nicht vorstellen, je anderswo zu leben.

In dem Augenblick, als Fürst Philipp die Freitreppe des Schlosses erreichte, kam mit hohem Tempo ein silbermetallicfarbenes Cabrio die lange Zufahrt herauf. Scharf fuhr es in die kreisförmige Auffahrt vor Schloss Hohenstein. Kies spritzte zur Seite, als das Auto hielt. Philipp seufzte, als er das Auto erkannte. Widerwillig ging er hinüber.

Die Fahrerin öffnete die Tür und reichte Philipp hoheitsvoll die Hand, damit er ihr beim Aussteigen half.

»Fiona, was führt dich hierher?« Dem Fürsten gelang es nur mühsam, seinen Unmut zu verbergen.

Fiona Daldorf schenkte ihm ein verführerisches Lächeln, als sie aus dem Auto stieg. »Hallo, Darling.«

Sie trug ein maßgeschneidertes Kostüm aus rauchfarbener Seide, das ihre schlanke, kurvenreiche Figur hervorragend zur Geltung brachte. Dazu hatte sie ein Paar Pumps mit hohen Absätzen gewählt. »Philipp, du solltest endlich die Einfahrt pflastern lassen. Auf diesem Kiesweg bricht man sich ja die Knochen.«

»Bislang hat sich noch niemand beschwert«, sagte Philipp ungerührt. »Was willst du?«

Fiona fächelte sich mit einer Hand Luft zu. Sie trug einen auffälligen Brillantring. Ihre schwarzen, fast taillenlangen Locken hatte sie über dem rechten Ohr mit einer passenden Spange festgesteckt. Fiona mimte Überraschung und sah Philipp aus ihren katzengrünen Augen groß an. »Mit dir sprechen, mein Lieber. Aber nicht hier draußen in dieser Gluthitze. Willst du mich nicht hereinbitten?«

Nein, will ich nicht, dachte der Fürst. Doch er war viel zu gut erzogen, um das auszusprechen. Stattdessen geleitete er Fiona Daldorf ins Schloss und in ein Empfangszimmer. Der hohe Raum war mit zartblauen Seidentapeten ausgestattet und mit farblich dazu passenden Möbeln im Empire-Stil eingerichtet.

Der Butler kam, und Philipp orderte Tee.

Fiona ließ sich auf einem der Sofas nieder. Sie öffnete ihre Handtasche und entnahm ihr zwei Briefumschläge aus schwerem Büttenpapier. »Der Sommerball der Daldorf-Bank findet in drei Wochen statt. Ich hoffe, du und Markus könnt es einrichten zu kommen.« Sie reichte Philipp die Einladungen für ihn und seinen Bruder. Der Ball der Daldorf-Bank war ein gesellschaftliches Ereignis. Als Privatbank betreute sie weit überwiegend reiche Kunden. Von denen verfügten viele über Einfluss in Politik und Wirtschaft oder waren berühmte Persönlichkeiten aus Sport und Showgeschäft.

»Selbstverständlich kommen wir. Wie jedes Jahr.« Philipp legte die Einladungen achtlos auf ein Sideboard, ging zum Kamin und lehnte sich dagegen.

»Das klingt nicht sehr begeistert«, stellte Fiona fest. »Ich hatte mir vorgestellt, wir beide könnten den Ball eröffnen.«

Philipp zog eine Braue hoch. »Da es ein Ball der Daldorf-Bank ist, solltest du ihn mit dem Zweigstellenleiter aus Hamburg eröffnen.«

Der Butler erschien. Er stellte ein Silbertablett mit Tee und Gebäck auf den Tisch neben Fionas Sofa. Das Gespräch stockte, bis er wieder gegangen war.

»Wir geben ein viel besseres Paar ab«, nahm Fiona den Faden wieder auf. »In jeder Hinsicht. Das weißt du. Wir waren vor zwei Jahren ein schönes Paar und daran hat sich nichts geändert.«

Philipp unterdrückte ein Stöhnen. »Fiona«, sagte er betont ruhig, »wir haben uns damals getrennt. Ich habe nicht die Absicht, daran etwas zu ändern.«

»Du hast damals schon zu viel Rücksicht auf deine Familie genommen. Ich sehe, das tust du noch immer. Denk einmal an dich, mein Lieber.«

»Ich habe keine Rücksicht auf meine Familie genommen, Fiona. Weder auf Vater noch auf sonst jemanden.« Philipp hatte sich von Fiona getrennt, weil sie furchtbar eifersüchtig gewesen war. Doch Fiona glaubte fest, er habe sich dem Willen seines Vaters gebeugt, als er die Beziehung abbrach.

Fiona sah ihn zweifelnd an und erhob sich. »Ich sehe schon, du hast im Moment keinen Sinn für diese Frage. Aber du solltest dir wirklich überlegen, ob du nicht glücklicher mit mir wärst als mit der guten Meinung deiner Familie. – Zumal dein Vater tot ist.« Sie hauchte Philipp einen Kuss auf die Wange. »Du brauchst mich nicht hinauszubegleiten.«

Sie ging, und Philipp starrte auf die Tür, die sich hinter ihr geschlossen hatte.

*

Nach dem Abendessen ging Fürst Philipp noch ein wenig im Schlosspark spazieren. Wieder kreisten seine Gedanken um die schöne Unbekannte. Unwillkürlich verglich er sie mit Fiona. Fiona verfügte über rassige Schönheit, doch die Unbekannte hatte einen inneren Charme und eine zurückhaltende Anmut, die den Fürsten anzog. Er würde sie wiedersehen. Das hatte er fest beschlossen.

Als Philipp zum Schloss zurückkam, stand ein Range Rover in der Einfahrt. Die Fahrertür wurde aufgestoßen, und Markus Prinz von Hohenstein stieg aus.

»Bruderherz!«, rief er und umarmte Philipp herzlich. Markus war fast so groß wie sein Bruder, doch ebenso blond wie jener dunkel.

»Hallo Philipp!« Auf der Beifahrerseite stieg Laura, Prinzessin von Hohenstein aus dem Wagen. Unbändige rotbraune Locken rahmten ein weißes Gesicht mit Sommersprossen ein.

Philipp umarmte auch seine Schwester. Ihre üppigen Haare kitzelten sein Kinn. »Ich dachte, ihr kommt erst morgen.«

»Nach einem knappen Jahr in England? Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause«, protestierte die Prinzessin. Sie war sechzehn Jahre alt und besuchte in England ein Internat. Sie musterte die Schlossfassade, als sähe sie die zum ersten Mal. »Ist es nicht herrlich hier?«

»Provinziell«, spottete Markus, doch Philipp wusste, dass auch er den Stammsitz der von Hohensteins liebte und sich hier zu Hause fühlte.

Während sich ein Diener ums Gepäck kümmerte, betraten die Geschwister die marmorgeflieste Eingangshalle und wandten sich dem Esszimmer zu. Der elegante Raum mit den Biedermeiermöbeln ging nach Norden und lag im Schatten. Angenehme Kühle umfing sie.

Der Butler brachte Tee, und die Geschwister tauschten Neuigkeiten aus.

Laura schwärmte von dem Internat und ihren Freundinnen dort. »Es wäre das Paradies. Wenn ich nicht so viel lernen müsste.«

Ihre Brüder prusteten vor Lachen.

»Ich bin richtig gespannt auf das Praktikum bei Rehmann Pharma«, sagte Markus. Er studierte im vierten Semester Pharmazie und wollte später in der Arzneimittelforschung arbeiten.

»Chemie ist definitiv nicht mein Fach«, stellte Prinzessin Laura klar. Sie schüttelte sich. »Ich bin froh, wenn ich das nicht mehr machen muss.«

»Medikamente sind wichtig«, widersprach ihr Markus. »Und Rehmann Pharma stellt gute Medikamente her. Das neue Herzmittel hat sogar unser Professor erwähnt, weil es so wenige Nebenwirkungen hat.«

Laura hob abwehrend die Hände. »Ich glaube dir ja!« Sie wechselte das Thema und wandte sich an Philipp: »Was gibt es hier Neues?«

Philipp überlegte. »Im Grunde nichts. Alles geht seinen gewohnten Gang. Ach ja«, sagte er, als ihm doch noch etwas einfiel, »Fiona hat vorhin Einladungen zum jährlichen Sommerball der Daldorf-Bank vorbeigebracht.«

Laura verdrehte undamenhaft die Augen. Sie konnte Fiona Daldorf nicht ausstehen. »Läuft sie dir immer noch hinterher? Du hast dich doch schon vor fast zwei Jahren von ihr getrennt.«

Philipp verbannte das Gespräch mit Fiona aus seinen Gedanken und erklärte betont ruhig: »Zu dem Ball sind die Kunden der Bank eingeladen. Wir haben nun einmal Konten dort. Markus hat übrigens auch eine Einladung bekommen, falls dich das beruhigt.«

Laura machte ein finsteres Gesicht. »Nicht wirklich.«

Markus lachte. »Soll ich dich als Begleitung mitnehmen, damit du ein Auge auf Fiona halten und dich schützend vor Philipp stellen kannst?«

»Das wäre vielleicht keine schlechte Idee«, meinte Laura sinnend. »Aber du willst doch sicher mit Marie dahingehen. Immerhin ist sie deine Freundin.«

»Aber leider in New York. Sie besucht ihren Vater bei den Vereinten Nationen.«

»Dann komme ich gerne. Das Spektakel will ich mir doch ansehen.«

Philipp wechselte das Thema. »Ich habe übrigens doch eine Neuigkeit, die dich interessieren wird, Laura: Bianca hat gefohlt. Eine kleine Stute.«

Prinzessin Lauras Augen leuchteten auf. »Das sagst du mir erst jetzt?« Sie schob ihren Stuhl zurück. »Entschuldigt mich. Ich muss in den Stall.«

*

Am nächsten Morgen erwachte Komtess Katharina in dem gemütlichen Gästezimmer unter dem Dach. Sie stand auf und warf einen Blick aus dem Fenster. Die Sonne tauchte die Felder und Knicks in warmes Licht. Herrliches Wetter für einen Ausritt.

Katharina eilte die Treppe hinunter.

»Na, gut geschlafen?«, begrüßte ihre Tante sie, als sie in die Küche kam.

»Wunderbar!«

Der Tisch war schon gedeckt, und Irene goss Kaffee in zwei große Tassen. Hungrig machte Katharina sich über Brötchen, Marmelade und Holsteiner Schinken her.

Nach dem Frühstück beschlossen die Frauen, auszureiten. Irene ritt ihre Schimmelstute Holly und Katharina Amadeus. Der temperamentvolle Wallach tänzelte, bis die Komtess ihn unter Kontrolle hatte. Sie folgte Irene einen Pfad entlang, der von Gut Lindenhain aus in einen lichten Wald führte. Hinter diesem ritten sie weiter an einem Feldrain entlang zu einem kleinen See. Sonnenstrahlen spiegelten auf der Oberfläche und ließen sie wie Diamanten funkeln. Ein Reiher flog erschrocken auf, als die Reiterinnen näherkamen. Katharina atmete tief durch. Es war schön hier. Am liebsten würde sie immer bleiben.

Sie umrundeten den See und wollten gerade auf der anderen Seite in einen Waldweg einbiegen, als ihnen von dort ein Reiter entgegenkam.

Katharinas Herz tat einen Sprung und fing dann heftig an zu schlagen, als sie ihn erkannte. Es war der Fremde, der ihr den Weg beschrieben hatte. Wieder stellte sie fest, dass er sehr gut aussah mit seinen dunklen Augen, dem schwarzen Haar und den markanten Gesichtszügen.

»Guten Morgen, Fürst Hohenstein«, sagte ihre Tante, die den Fürsten ebenfalls erkannt hatte.

Er neigte grüßend den Kopf. »Guten Morgen, Frau Lorenzen.«

Sein Blick wanderte zu Katharina, und in seine Augen trat ein warmer, freudiger Ausdruck, der ihren Magen flattern ließ. Sie lächelte und spürte, wie sie rot wurde. O verdammt! Sie war doch kein Backfisch mehr.

»Ich glaube, Sie kennen meine Nichte noch nicht?«, hörte sie wie von fern ihre Tante fragen.

»Wir sind einander begegnet, wurden aber gestört, bevor wir einander vorstellen konnten.« Die Stimme des Fürsten war samten und dunkel und berührte die Komtess eigentümlich. Sie hätte Philipp stundenlang zuhören können.

»Die Vorstellung übernehme ich gerne«, sagte Irene. »Fürst Hohenstein, dies ist meine Nichte, Katharina Komtess von Erlenburg. Katharina, darf ich dir Philipp Fürst von Hohenstein vorstellen?«

»Fürst Hohenstein.« Katharina reichte ihm die Hand.

»Nennen Sie mich Philipp, bitte.« Er nahm ihre Hand und beugte sich leicht darüber.

Die Berührung durchfuhr Katharina wie ein Schlag. Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren rau, als sie sagte: »Sehr gern. Bitte sagen Sie Katharina.«

»Das wird mir ein Vergnügen sein.«

Ihre Blicke trafen sich, als er aufschaute. In Katharina breitete sich eine Verwirrung und Unruhe aus, wie sie sie seit ihrer ersten Liebe nicht mehr verspürt hatte.

Sie bemerkte, wie ihre Tante überrascht die Brauen hochzog und rasch von einem zum anderen guckte.

»Oh«, meinte Irene Lorenzen plötzlich, »ich fürchte, ich habe den Herd nicht ausgeschaltet, heute Morgen. Ich werde besser zurückreiten und nachsehen.«

»Soll ich mitkommen?«, fragte Katharina, sich mühsam aus dem Bann befreiend, der sie umfing.

»Nein, nein, lass nur. Wir haben unseren Ausritt ja gerade erst begonnen. Vielleicht begleitet dich Fürst Philipp? Da du dich hier ja noch nicht auskennst?«

»Nichts, was ich lieber täte«, sagte Philipp prompt. In seinen Augen lag ein Funkeln. Er wusste ganz genau, dass der Herd nur ein Vorwand war, um Katharina mit ihm allein zu lassen.

»Wunderbar«, sagte Irene Lorenzen und wendete Holly. »Genieß den Ausritt, Katharina. Auf Wiedersehen, Fürst Hohenstein.«

»Auf Wiedersehen, Frau Lorenzen.«

Als Irene Lorenzen hinter eine Biegung verschwunden war, wendete Philipp sein Pferd, so dass er neben Katharina ritt. »Sie kennen die Gegend hier also gar nicht?«

»Als ich Tante Irene das letzte Mal besucht habe, wohnte sie noch direkt in Bad Segeberg.«

»Das muss schon eine Weile her sein.«

Katharina nickte, während sie neben Fürst Philipp in einen Waldweg einbog. Frischer Kiefernduft umwehte sie.

»Meistens besucht Irene uns, meine Eltern und mich, auf unserem Gut bei Eckernförde.«

»Richtig. Komtess Katharina«, sagte er nachdenklich. Er sah sie fragend an. »Ich gestehe, mir sind die Familienverhältnisse nicht ganz klar.«

»Meine Mutter ist eine geborene Müller. Irene ist ihre Schwester. Mama heiratete Ralf Graf von Erlenburg und Irene Paul Lorenzen. Daher bin ich eine Komtess mit einer ganz bürgerlichen Tante.« Sie lächelte. »Und Sie? Ich weiß nur, dass Sie hier irgendwo wohnen müssen.«

Philipp wies mit der Hand nach rechts. »In der Richtung liegt Schloss Hohenstein. Sitz der Familie seit 1649. Das Schloss selber ist übrigens aus dem neunzehnten Jahrhundert. Die meiste Zeit wohne ich allein dort. Im Moment besuchen mich allerdings mein Bruder Markus und unsere Schwester Laura.«

Sie kamen aus dem Wald, und vor ihnen erstreckten sich zwei Kornfelder, die durch einen Knick getrennt waren.

»Das linke Feld gehört Witte, und hier rechts beginnen unsere Ländereien.« Fürst Philipp bog ab, und sie folgten dem Feldrain. Die Sonne stieg höher und mit ihr die Temperaturen.

»Was halten Sie von einer kleinen Pause? Wir könnten im Schloss etwas trinken.«

Katharina nickte zustimmend. Der Ritt hatte sie durstig gemacht. Außerdem war sie gespannt auf Philipps Geschwister.

Schloss Hohenstein war deutlich größer als das Gutshaus von Katharinas Eltern. Es war auch in einem besseren Zustand, wie sie neidvoll zugestehen musste. Der Familie schien es finanziell gut zu gehen.

Ein Pferdeknecht kümmerte sich um die Tiere, und Philipp und Katharina wandten sich dem Schloss zu. Schon als sie den Fuß auf die unterste Stufe der marmornen Freitreppe setzten, öffnete der Butler die Eingangstür.

»Johannsen. Bringen Sie Komtess Erlenburg und mir doch bitte Tee ins Esszimmer.«

»Sehr gern, Durchlaucht.« Der Butler verneigte sich respektvoll.

»Wo finde ich Markus und Laura?«

»Der Prinz und die Prinzessin sind vor einer knappen halben Stunde nach Lübeck gefahren.«

Philipp sah Katharina bedauernd an. »Da kann man nichts machen. Ich hätte sie Ihnen gerne vorgestellt.« Er ging ihr voran und öffnete selbst die Tür zum Esszimmer.

Der gepflegte Eindruck, den das Schloss schon von außen auf Katharina gemacht hatte, setzte sich im Innern fort. Das Esszimmer mit dem lindgrünen Tapeten und den Biedermeiermöbeln fand sie einfach zauberhaft und sagte es auch. Fürst Philipp schien das Lob zu freuen. Sie setzten sich und gleich darauf brachte der Butler den Tee. Sie plauderten über das Wetter, die Ernte und Pferde, und Katharina bemerkte gar nicht, wie die Zeit verrann. Sie gestand sich ein, dass sie sich in Philipps Gegenwart ausgesprochen wohl fühlte. Obwohl sie ihm heute erst das zweite Mal begegnet war, kam es ihr vor, als würde sie ihn schon viel länger kennen. Sie mochte seinen Humor, und er schien ihren zu mögen.

Hin und wieder blitzte in seinen Augen ein sonderbarer Ausdruck auf. War es Zärtlichkeit? Katharina fühlte sich von verwirrenden Gefühlen überschwemmt. Ihr Magen flatterte, ihr Herz schlug schneller. War sie dabei, sich zu verlieben?

Es klopfte an der Tür, und der Butler trat ein. »Verzeihung, Durchlaucht. Bleibt die Komtess zum Essen?«

Katharina warf einen Blick auf die Uhr. Halb zwölf

»Möchten Sie?«, fragte Philipp.

Katharina schüttelte energisch den Kopf. Sie sah die Enttäuschung auf Philipps Gesicht und erklärte schnell: »Ich bin gestern Abend erst angekommen. Da kann ich Tante Irene heute Mittag nicht alleine lassen. Wie ich sie kenne, hat sie ein Drei-Gänge-Menü gezaubert. Wissen Sie, Kochen ist ihr Hobby. Es wäre unhöflich, sie alleine zu lassen.«

Sie erhob sich, und Philipp folgte ihrem Beispiel. »Da haben Sie allerdings recht«, gab er zu. »Also kein weiteres Gedeck, Johannsen. Und sagen Sie bitte in den Stallungen Bescheid, dass wir weiterreiten wollen.«

Johannsen verließ den Raum mit einer Verbeugung.

Katharina und Philipp folgten ihm. Bis die Pferde wieder gesattelt waren, wanderten sie ein wenig im Park umher. Katharina mochte den Rosengarten, den Philipps Großmutter angelegt hatte, und bewunderte eine Sonnenuhr aus dem achtzehnten Jahrhundert.

Als sie losritten, nahmen sie den kürzesten Weg zum Gut Lindenhain. Noch immer brauchten sie über zwanzig Minuten. Katharina prägte sich den Weg so gut es ging ein, damit sie ihn später allein finden konnte.

Auf dem Gut kam ihnen Irene entgegen. Sie hatte ihre Reitkleidung abgelegt und trug wieder einen schlichten Hosenanzug. »Ich habe euch kommen sehen. Ich hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass du zum Mittag kommst, Katharina.«

»Aber Irene. Ich kann dich doch nicht hängen lassen. Du hast doch sicher wieder tagelang in der Küche gestanden«, sagte Katharina und glitt aus dem Sattel.

»Unsinn«, wehrte Irene ab. »Ich habe eine Kanzlei zu führen, wie du weißt. Ich koche doch nur zum Spaß.«

»Das aber sehr gut.«

»Danke. Möchten Sie zum Essen bleiben, Fürst?«

Philipp schüttelte den Kopf. »Danke für das Angebot. Aber meine Geschwister sind gestern angekommen. Sie wären sicher ebenso enttäuscht, wenn ich nicht zum Mittag da bin.« Er schenkte Katharina ein Lächeln, in dem Bedauern und noch etwas anderes lag. Zuneigung? Vielleicht sogar Liebe? »Sie sehen, auch ich habe familiäre Verpflichtungen.«

Sie erwiderte das Lächeln warm.

Philipp verabschiedete sich und wendete sein Pferd.

»Sehen wir uns morgen?«, fragte Katharina spontan. Sie konnte ihn unmöglich einfach so gehen lassen.

Er überlegte einen Augenblick. »Ich muss morgen arbeiten. Ich könnte Ihnen also höchstens einen Ausritt morgens um sieben oder einen abends ab sechs anbieten.«

»Morgen früh ist prima. Da ist die Luft noch frisch. Treffen wir uns an dem kleinen See, wie heute Morgen?«

»Ich werde dort sein.« Philipp nickte den Frauen noch einmal grüßend zu und ritt davon.

Katharina sah ihm bedauernd nach und unterdrückte ein Seufzen.

Irene hakte sich bei ihr unter und drückte ihren Arm fest. »Gehe ich Recht in der Annahme, dass dir der Fürst nicht völlig gleichgültig ist?«

»Ich kenne ihn doch kaum«, wehrte Katharina ab. Das leichte Ziehen in ihrem Herzen sprach jedoch eine ganz andere Sprache. Es sprach von Sehnsucht, die sich nicht darum scherte, wie lange Katharina den Fürsten kannte.

Irene lachte leise und wissend. »Das ist auch nicht immer nötig, um sich zu verlieben.«

*

Fürst Philipp trennte sich nur ungern von der Komtess. Während er durch den Wald und über den Hügel ritt, dachte er weiter an sie. Katharina war unkompliziert und fröhlich. In ihrer Gegenwart fühlte er sich entspannt und ruhig, obwohl sie beide erst heute Morgen nähere Bekanntschaft geschlossen hatten.

Sie war so ganz anders als Fiona Daldorf. Fiona achtete vom Aufstehen bis zum Zubettgehen auf Äußerlichkeiten, und sie war sich ihrer Wirkung sehr bewusst – speziell ihrer Wirkung auf Männer. Philipp gestand sich bitter ein, dass auch er Fionas Reizen erlegen war. Ihre Beziehung hatte ein gutes Jahr gedauert. Am Ende hatte es Philipp nicht mehr ertragen, wie besitzergreifend und eifersüchtig Fiona gewesen war. Er hatte kaum einen Schritt ohne sie tun können.

Ein bitteres Lächeln spielte bei der Erinnerung um die Lippen des Fürsten. Sein Vater hatte damals doch Recht gehabt. Er hatte gleich gesagt, dass Fiona keine Frau für Philipp wäre. Er selbst hatte die Warnung in den Wind geschlagen. Er hatte angenommen, sein Vater störe sich an Fionas bürgerlicher Herkunft. Justus von Hohenstein hatte sehr traditionelle Vorstellungen, die diese Stellung mit sich brachte. Eine Bürgerliche zu heiraten kam ihm ebenso abwegig vor, wie die Güter und die Angestellten im Stich zu lassen.

Die Trennung von Fiona war für Philipp schmerzhaft gewesen. Sie wollte ihn nicht ziehen lassen. Genaugenommen wollte sie das noch immer nicht. Doch inzwischen hatte Philipp sein Herz gegen sie abgeschirmt und begegnete ihr mit kühler Distanz.

In den zwei Jahren seit ihrer Trennung hatte Philipp keine andere Frau getroffen, die ihn interessiert hätte. – Bis gestern, als ihn eine Frau mit einem roten Auto nach dem Weg gefragt hatte. Philipp lächelte. Der Ausritt mit Katharina heute Morgen war der schönste seines ganzen Lebens gewesen. Er hatte das Gefühl gehabt, ganz er selbst sein zu können, keine Rolle spielen zu müssen. Das war wunderbar.

In Philipp tauchte die Frage auf, wie es wäre, sein Leben mit Katharina zu teilen. Mit ihr zusammen morgens aufzuwachen, über die Aufgaben zu sprechen, die auf den fürstlichen Gütern anstanden. Er stellte sich vor, wie es wäre, mit ihr zusammen im Winter vor dem Kamin zu sitzen. Ein warmes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus.

Er schalt sich einen Narren. Für solche Phantasien war es viel zu früh. Erst einmal sollte er sich auf den nächsten Morgen freuen. Katharina blieb nur ein paar Monate. Dann würde sie wieder nach Eckernförde gehen, um dort ihr Referendariat fortzusetzen. Ob sie einen Freund dort hatte? Der Gedanke schoss wie ein Pfeil durch Philipps Gedanken. Er spürte eine Woge der Eifersucht in sich aufwallen und rief sich zur Ordnung. Katharina hatte nichts von einem Freund auch nur angedeutet. Andererseits war sie eine attraktive Frau. Wieso sollte sie keinen Freund haben? Weil sie sich dann nicht so verhalten hätte, sagte Philipp sich. Katharina war viel zu ehrlich, um eine Beziehung geheim zu halten.

Philipp ritt aus dem Wald und erreichte das Schloss.

Von den Stallungen kam ihm Laura entgegen. »Philipp! Da bist du ja. Was erzählt Johannsen da? Du hast eine Komtess mit aufs Schloss gebracht? Wer ist sie? Woher kennst du sie? Und warum hast du nichts von ihr erzählt?«

Philipp ließ sich aus dem Sattel gleiten. »Ich habe dir noch nichts von ihr erzählt, weil ich sie im Grunde erst heute Morgen näher kennen gelernt habe.«

»Heute Morgen? Da hast du dir ja nicht viel Zeit gelassen, um sie hierher einzuladen. Also: wer ist sie?«

Philipp erzählte seiner Schwester wie er Katharina am Vortag begegnet war und wie sie sich am Morgen zufällig getroffen hatten.

Laura sah ihn wissend an. »Klingt für mich, als seist du schwer verschossen in diese Katharina. Schade, dass wir nicht da waren. Ich hätte sie zu gerne kennen gelernt. Na ja, vielleicht beim nächsten Mal.«

Das hoffe ich, dachte Philipp im Stillen.

*

Am nächsten Morgen ritt der junge Fürst wieder mit Katharina aus, und wie am Vortag verstanden sie sich blendend. Er führte sie über Wege, die sie noch nicht kannte, und sie schwärmte von der Schönheit der Gegend. Philipp liebte das Land seiner Vorfahren und freute sich daher besonders über das Lob.

Später am Vormittag saß er im fürstlichen Arbeitszimmer hinter dem wuchtigen Schreibtisch aus Mahagoni. Er versuchte, sich auf die laufenden Geschäfte des Gutes zu konzentrieren, doch schweiften seine Gedanken immer wieder zu Katharina. Sie hatte eine natürliche Anmut zu Pferde, und die eng anliegende Reitkleidung brachte ihre schlanke, sportliche Figur gut zur Geltung. Philipp hatte noch ihr Lachen im Ohr, und sah das Blitzen ihrer blauen Augen vor sich. Die Komtess von Erlenburg berührte ihn auf eine besondere Weise. Ein flüchtiges Lächeln zuckte um seine Lippen. Laura hatte Recht. Er war in Katharina verliebt.

Seine Gedanken wurden unterbrochen, als es klopfte. Der Butler, Johannsen, trat ein. »Herr Rehmann möchte Sie sprechen, Durchlaucht.«

Der Fürst runzelte die Stirn. Was führte den Eigentümer der Rehmann Pharma zu ihm? Normalerweise besprachen Sie Geschäftsangelegenheiten am Telefon. Er stand auf, um den Gast zu begrüßen, und rückte seine Krawatte zurecht.

»Entschuldigen Sie, dass ich so unangemeldet vorbeikomme, Fürst Hohenstein«, sagte Herr Rehmann. Er war klein und stark übergewichtig. Seine Glatze glänzte vor Schweiß. Er nestelte ein Taschentuch aus der Jacke seines eleganten Anzugs und wischte sich über den Kopf.

»Setzen Sie sich doch. Was kann ich für Sie tun?« Philipp wies zu einer Sitzgruppe aus englischen Stilmöbeln, die vor dem Kamin des Arbeitszimmers stand.

»Danke.« Herr Rehmann ließ sich schwer in einen Sessel fallen.«

Philipp nahm neugierig ihm gegenüber Platz.

»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, erklärte Herr Rehmann, als er hinter dem Taschentuch auftauchte. »Die Sache ist mir äußerst unangenehm. Zumal ich sie mir gar nicht erklären kann.«

»Fangen Sie am besten von vorne an«, schlug Philipp vor. Er kannte Herrn Rehmann schon seit seiner Kindheit. Seit sein Vater vor fast zwanzig Jahren als stiller Teilhaber in die Firma eingestiegen war. Herr Rehmann war normalerweise die Ruhe selbst. Doch heute wirkte er ausgesprochen fahrig.

»Nun ja. Es geht um das neue Medikament, das wir entwickelt haben. Und um die Kredite, die wir deswegen aufnehmen mussten. Das Medikament ist sehr gut. So gut wie keine Nebenwirkungen. Daher haben wir viele Bestellungen dafür.«

»Das ist doch wunderbar«, sagte Philipp.

»Selbstverständlich.« Herr Rehmann nickte. »Aber seit etwa zwei Monaten haben wir Probleme. Die Qualitätskontrolle weist immer wieder große Chargen des Medikaments als schadhaft aus. Wir können diese Medikamente nicht verkaufen. Und wir finden den Fehler einfach nicht. Es ist wie verhext. Inzwischen haben wir Lieferschwierigkeiten.« Herr Rehmann zögerte. Das, was er jetzt zu sagen hatte, war ihm sichtlich peinlich: »Ohne Lieferungen bleiben die Einnahmen aus.«

Philipp war alarmiert. »Aber das Problem lässt sich doch sicherlich lösen?«

»Das auf jeden Fall. Die Frage ist nur, wie lange wir brauchen werden.« Herr Rehmann fuhr sich erneut mit dem Taschentuch über die Glatze. »Im Moment sind wir nicht in der Lage, die Kredite zurückzuzahlen, weil wir nichts verkaufen können.«

Ein Eisklumpen breitete sich in Philipps Magen aus. »Die Kredite sind durch das Schloss und die Ländereien abgesichert.«

Herr Rehmann nickte unglücklich. »Deswegen bin ich hier. Ich versichere Ihnen, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um das Problem mit dem Medikament zu lösen. Immerhin haftet auch mein gesamtes Privatvermögen für die Rehmann Pharma. Ich stehe auch schon mit der Daldorf-Bank in Verbindung, um eine Stundung zu bekommen. Aber … aber ich kann einfach nicht garantieren, dass alles gut geht.«

Philipp war wie vor den Kopf geschlagen. Sein Vater hatte vor zwei Jahren eine Hypothek auf das gesamte Eigentum der Familie aufgenommen. Er glaubte an Rehmann und an das neue Medikament. Nun drohte möglicherweise der Konkurs.

Fürst Philipp stand auf und trat ans Fenster. Vor ihm erstreckte sich der Park des Schlosses. Die weiten Rasenflächen und alten Bäume lagen im Sonnenlicht. Philipp hatte sein ganzes Leben hier verbracht und verspürte eine enge Bindung zu dem Land. Er hatte nie damit gerechnet, dass dem Besitz Gefahr drohte.

»Es tut mir leid. Ich versichere Ihnen nochmals, dass ich alles tun werde, um die Angelegenheit zu regeln. Glauben Sie mir, ich möchte die Rehmann Pharma auch nicht verlieren.« Herr Rehmann ächzte, als er sich aus dem Sessel stemmte.

Philipp riss sich zusammen und drehte sich um. »Selbstverständlich glaube ich Ihnen. Danke, dass Sie sich persönlich herbemüht haben, um mich zu informieren.«

»Das war das Mindeste, das ich tun musste.«

*

Die Ausritte mit Philipp am frühen Morgen genoss Komtess Katharina sehr. Sie fühlte sich wohl in seiner Gegenwart und genoss die langsam wachsende Vertrautheit. Getrübt wurde ihre Freude nur dadurch, dass der Fürst oft düster und abwesend wirkte, als hätte er Sorgen. Katharina hätte gerne gewusst, was ihn bedrückte, doch wäre es ihr indiskret erschienen, ihn zu fragen. Sie verstanden sich zwar blendend, kannten sich immerhin aber erst eine Woche. So beschränkte sich Katharina auf den Versuch, Philipp aufzuheitern, was ihr meistens gelang.