Fauck, Silvia Mid-Love-Crisis

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Für Ben und Valentin.

 

© Piper Verlag GmbH, München 2020
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Vorwort

2004 eröffnete ich die erste Beziehungs- und Liebeskummerpraxis in Deutschland.

Dem vorausgegangen war meine eigene schmerzhafte Trennung, die mich aus heiterem Himmel getroffen hatte. Ich war 49 Jahre alt und in meiner ersten Ehe weit über zwanzig Jahre verheiratet gewesen. Dann hatte ich nach zwei Jahren als Single meinen aktuellen Partner kennengelernt, mit dem ich über vier Jahren zusammen war. Bis das folgenreiche Fax kam. (Das war noch vor den Smartphone-Zeiten, sonst hätte ich wahrscheinlich nur eine WhatsApp bekommen.)

Ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet. Von einer Sekunde auf die andere brach meine Welt zusammen. Nichts war mehr wie vor dem Fax, in dem stand: »Ich möchte keine Verantwortung übernehmen. Ich bin beziehungsgestört.« Der wahre Grund war – wie hätte es anders sein können – eine andere Frau, was er aber natürlich abstritt. Mein Albtraum begann. Der Schmerz war unerträglich. Ich konnte nicht schlafen, nicht essen und verlor extrem an Gewicht. Meine Gedanken drehten sich permanent im Kreis. Das Atmen fiel mir schwer. Ich hatte mit Angstzuständen, Panikattacken, Herzbeschwerden und einer handfesten Depression zu kämpfen. Zu guter Letzt musste meine Galle entfernt werden, weil sich Gallensteine gebildet hatten. Mein Zuhause hatte sich zusammen mit meinem Partner einfach in Luft aufgelöst. Ich fühlte mich heimatlos. Er hatte mir alles genommen: meine Liebe, mein Vertrauen, mein Glück, meinen Sex, mein Lachen, meine Lebensfreude. Ich war einsam und allein, wäre am liebsten unter den Teppich gekrochen, um mich dort vor der Welt zu verstecken. Jede Minute wurde zur Ewigkeit. Es gab nur noch Trauer und Schmerz und leider nie das Gefühl einer heilsamen Wut. Mein erster und mein letzter Gedanke täglich galten meiner großen, verflossenen Liebe. Und immer bohrte in mir die Frage nach dem Warum. Der Versuch, in den Urlaub zu fahren, scheiterte, denn ich hatte meinen Kummer mit im Gepäck. Ich brach die Reise nach drei Tagen ab. Besonders niederschmetternd waren die Berichte »guter Freunde«, die meinen Ex mit seiner neuen Partnerin getroffen hatten und mir erzählten, dass sie ständig seine Hand gestreichelt habe. Und dabei trug er jenes Hemd, das ich ihm in unserem letzten gemeinsamen Urlaub geschenkt hatte.

Bis ins Herz traf mich, als er sagte: »An der Neuen liebe ich so sehr, dass sie finanziell und emotional unabhängig ist.« Die Nackenschläge nahmen kein Ende. Natürlich machte er auch auf »unserer« Insel mit ihr Urlaub. Ich fiel tiefer und tiefer. Wochenenden und Feiertage wurden zu meinen Feinden, mein Büro zu meinem Lebensmittelpunkt. Dort lebte und arbeitete ich, starrte stundenlang auf den PC. Danach ging ich schlafen – bis die Morgendepression wieder vor meinem Bett stand und mich aufweckte. Dieser Zustand hielt über zwei Jahre an. Richtig kummerfrei fühlte ich mich jedoch tatsächlich erst nach fünf Jahren.

Während dieser Zeit, genauer gesagt nach einem Jahr Kummer, beschloss ich, meine schon vorhandene psychologische Praxis in eine Beziehungs- und Liebeskummerpraxis umzuwandeln. Mir war klar, dass ich nicht der einzige erwachsene Mensch auf Erden war, der an dem Schmerz, verlassen worden zu sein, zu zerbrechen drohte. Aber wo bekam man sofort Hilfe oder Beratung, ohne gleich eine Therapie zu machen (auf die man im Übrigen noch viele Monate warten müsste)? Ich selbst drehte mich mit meinem Kummer im Kreis, dann verschwand er für eine Weile, doch immer wenn ich dachte, ich bin über den Berg, kam der Albtraum zurück, und ich stand wieder am Anfang der Trauer. Oft kannte ich den Anlass für dieses Wiederkehren nicht, mal war es ein Lied aus der gemeinsamen Zeit, mal duftete ein Mann nach »seinem Parfüm« oder Freunde berichteten, »ich habe die beiden gesehen – Hand in Hand«. Einmal sah ich selbst die zwei im Segelklub an der Alster, er hatte ein Poloshirt an, das ich ihm geschenkt hatte. Danach kämpfte ich zwei Wochen lang wieder mit depressiven Zuständen. Die beste Therapie war für mich die Arbeit mit meinen Klienten. Dank dieser stieg mein Selbstwertgefühl wieder. Ich fühlte mich nicht mehr alleine auf weiter Flur, sondern konnte meinen Klienten Trost geben. Anderen Menschen zu helfen ist eine wunderbare Therapie.

Ich erarbeitete mir ein Konzept, wie ich Betroffene effektiv unterstützen konnte. Das Konzept ließ ich als Marke schützen. Und los ging es.

 

Seit 15 Jahren berate ich nun Paare, Verlassene, einsame und unglückliche Menschen.

Meine Klientel ist bunt gemischt: von Studenten über Lehrer bis hin zu Politikern und TV-Stars. Frauen und Männer kommen zu gleichen Teilen in meine Praxis. Meine Patienten sind frisch verlassene Menschen; Menschen, die ihren Partner verlassen möchten und nicht wissen, wie sie das, ohne Leid zu verursachen, anstellen sollen; einsame Menschen, die sich einen Partner wünschen; Paare mit unterschiedlichsten Problemen in ihrer Partnerschaft.

Jede Geschichte meiner Klienten ist anders, wenn sich die Lebensmuster auch manchmal wiederholen. Jeder Mensch ist einzigartig, und keine Beziehung gleicht der anderen.

Teil 1

Woran die Liebe heute krankt

Rollenkonflikte

16,8 Millionen Alleinstehende leben heute in Deutschland. Nie zuvor gab es so viele Singles, das belegen auch die neuesten Studien von ElitePartner und Parship. 82 Prozent der deutschen Singles sehnen sich nach der großen Liebe. 53 Prozent davon suchen im Internet ihr Liebesglück und über 7,4 Millionen Deutsche haben ihren Partner online kennengelernt.

In den letzten zehn Jahren hat sich das Verhältnis von Frauen und Männern grundlegend verändert. Das war ein schleichender Prozess. Heute kommen meine Klienten mit ganz anderen Problemen, Wünschen und Ängsten zu mir als früher. Vor Jahren waren meine männlichen Klienten circa 25–30 Jahre alt und berichteten mir Dinge wie: »Ich möchte eine Familie gründen, eine Frau, Kinder und ein glückliches gemeinsames Leben im Kreis meiner Lieben. Ich bin der Mann und möchte meine Familie auch allein versorgen.« Um dieses Ziel zu erreichen, waren die Herren bereit, sich coachen zu lassen und auch Ratschläge umzusetzen. Sie zeigten Verständnis für die Bedürfnisse der Partnerin.

Heute kommen Männer ab dem vierzigsten Lebensjahr zu mir und berichten etwas ganz anderes: »Ich möchte keine Verantwortung übernehmen, benötige keinen Trauring – das ist doch alles Quatsch. Meine Partnerin soll weiterarbeiten, wenn Kinder kommen, dann teilen wir uns die Arbeit. Sie soll sich ihre Wünsche (Kleidung, Handtaschen etc.) selbst erfüllen. Jeder soll seinen eigenen Freundeskreis haben, und ich bleibe weiter auf Partnerseiten angemeldet. Vielleicht kommt ja mal der große Hit der Saison.« Immer auf der Suche nach etwas Besserem!

Bei den weiblichen Klienten entsprechen die Vorstellungen von einer Beziehung viel eher denen, die auch schon vor Jahren geäußert wurden, mit einer einzigen signifikanten Veränderung: Wenn der Mann nicht in allen Bereichen spurt, dann trennt man sich. Umgehend.

Dabei erwartet die Frau von heute schier Unmögliches von ihrem Mann: Er soll der starke Held sein, viel verdienen, humorvoll und intelligent sein, gleichzeitig ein begabter Handwerker, ein super Lover und immer verständnisvoll. Außerdem sollte er natürlich kochen und Windeln wechseln können.

Nicht minder unrealistisch sind die Erwartungen vieler Männer: Frauen sollen attraktiv, klug, nett, lustig und gute Köchinnen sein. Außerdem sexy und liebevolle Mütter. Sie sollen alles alleine können, aber nicht zu selbstständig sein. Und vor allem sollen sie ihren Mann anhimmeln.

Das ist alles schön und gut, im Alltag allerdings kaum umzusetzen. Wie soll das funktionieren, wenn zwei Alphatiere, beide selbstbewusst und finanziell unabhängig, aufeinandertreffen? Dazu kommt, dass Menschen, die lange allein gelebt haben, oft nicht mehr bereit sind, sich voll auf eine Partnerschaft einzulassen, sich auch mal unterzuordnen oder Kompromisse einzugehen.

Der Anfang einer Beziehung ist immer ein Traum, alles wird durch die rosarote Brille betrachtet. Doch dann schlägt das Leben zu und bums, die Idylle bröckelt an allen Ecken und Enden. Anfangs geben sich beide Seiten große Mühe, zu gefallen. Nach ein paar Monaten fällt jeder automatisch in sein eigenes altes gewohntes Muster zurück. Oft traut man sich nicht, die ersten aufkommenden Probleme zu besprechen, das ist ein großer Fehler. Unstimmigkeiten sollten immer sofort angesprochen und geklärt werden. Das erleichtert auf Dauer das Zusammenleben ungemein.

Frauen sind heute unabhängiger denn je. Vom gut bezahlten Job bis hin zu handwerklichen Skills sind sie gut aufgestellt. Männer hören oft den Satz: »Ach, lass nur, ich mach das schon selbst.« Das hat zur Folge, dass Frauen den Respekt vor ihrem Partner verlieren. Sie brauchen ihn nicht, denn sie können alles alleine. Er wiederum denkt: »Dann mach doch«, verliert dabei aber seine Rolle als Held.

Nicht jeder Partner muss alles können, ganz im Gegenteil: Wenn in einer Beziehung jeder alles beherrscht, kann das sogar zum Problem werden. Das A und O einer intakten Partnerschaft ist, sich gegenseitig zu ergänzen. Es reicht, wenn einer der Partner zum Beispiel gut mit den Finanzen umgehen kann oder den Garten pflegt. Der andere kocht dafür lieber oder ist gut darin, Urlaube zu planen.

Mein Job oder dein Job? Welcher ist wichtiger? Auch das ist ein ganz großer Streitpunkt in modernen Beziehungen. Für Frauen spielt die Karriere mittlerweile oft eine genauso große Rolle wie für ihre Männer, und damit ist ständiger Stress und Streit um Kindererziehung und Haushaltsführung meist vorprogrammiert. Wenn bei diesem Thema keine Einigung gefunden wird, die beide Seiten zufriedenstellt, wird es kompliziert. Dann bleiben der Respekt, die Rücksicht und die Achtung voreinander auf der Strecke. Und das kann auf Dauer nicht gut gehen.

Was unsere Geschlechterbilder und die Rollenverteilung von Mann und Frau angeht, hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Oberflächlich betrachtet gibt es heute kaum mehr etwas, was es nicht gibt: Männer können Hausmann und Kindererzieher sein, Frauen sind erfolgreich im Beruf, jüngere Männer leben mit deutlich älteren Frauen zusammen, Fünfzigjährige gebären noch Kinder und scheinen dafür bald nicht mal mehr einen Mann zu brauchen. Doch diese Entwicklung findet nicht statt, ohne dass beide Seiten ihren Preis dafür zahlen.

Wir Frauen haben jahrelang dafür gekämpft, im Job angemessen bezahlt zu werden, gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu bekommen. Wir wollten gesellschaftliche Freiräume, wir wollten unsere eigenen Zigarrenklubs, wir wollten Beruf und Familie vereinbaren, wir wollten Superwoman sein – und die Männer sollten uns dafür lieben. Nun haben wir vieles davon erreicht, doch wie die Männer damit umgehen, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Denn die Selbstermächtigung der Frauen kratzt nicht ganz unerheblich am Selbstwertgefühl und am Image der Männer. Sie dürfen sich jetzt nicht mehr als Helden und Ernährer fühlen, die beruflich erfolgreich sind und die Familie ganz allein finanziell versorgen. Dabei haben sie diese Rolle doch über Jahrtausende hinweg eingeübt: morgens rausgehen und das Wild erlegen, abends mit der Beute zurückkehren und sich dafür feiern lassen. Und dann kommen die Frauen daher und werfen diese Rollenmuster innerhalb einer einzigen Generation vollkommen über den Haufen. Wie soll »Mann« sich da noch zurechtfinden? Dieses Dilemma bestätigt übrigens auch der Schauspieler und Filmemacher Simon Verhoeven in einem Interview mit der Bunten: »Männer wissen einfach nicht mehr, was ihr Lebensentwurf ist, was Frauen von ihnen erwarten. Irgendwie sehnen wir uns sogar nach dem 50er-Jahre-Bild, als der Mann noch der Ernährer war.«

Dr. Stefan Woinoff, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Autor des Buches »Überlisten Sie Ihr Beuteschema«, sieht in diesen Entwicklungen sogar eine Ursache dafür, dass manche Menschen überhaupt keinen Partner finden. Denn selbst heute noch wirkt das »archaische Beuteschema«: Frauen tendieren dazu, sich Männer mit einem hohen finanziellen Status als Partner zu suchen, weil die Chancen, die Familie »durchzubringen«, dann besserstehen. Da sie aber oft selbst beruflich erfolgreich sind, wird die Auswahl an Männern mit mindestens gleichem, besser noch höherem Einkommen immer geringer. Das hat nicht zuletzt gesellschaftliche Auswirkungen, denn Frauen wünschen sich zwar eine Frauenquote in hohen Führungspositionen – für den eigenen Mann soll dort aber auch noch Platz sein.

Dabei darf man sich jedoch nicht dem Trugschluss hingeben, dass alle Frauen über diese Entwicklung besonders glücklich sind. Es gibt auch heute noch genug Frauen, die lieber zu Hause wären und es für die Familie schön machen möchten, sich um Haushalt und Familie kümmern wollen, statt Karriere zu machen.

Auf der anderen Seite sind Frauen in hohen Positionen interessanterweise gerade deshalb so erfolgreich, weil man mittlerweile erkannt hat, dass ein teamorientierter Führungsstil wesentlich effizienter ist als der lange Zeit von Männern gepflegte autoritäre Führungsstil. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Frauen haben ihre fürsorgliche, mütterliche, beziehungsorientierte Rolle ebenso verinnerlicht wie Männer die des durchsetzungsfähigen, starken Jägers und Beschützers.

Und nicht wenige dieser Frauen finden – trotz ihres Erfolges – in ihrem Job häufig nicht die alleinige Erfüllung, sondern wünschen sich zusätzlich eine Familie. Wahrscheinlich überrascht es niemanden, wenn ich verrate, dass 95 Prozent der ledigen Frauen, die in meine Praxis kommen, insgeheim von einer romantischen Hochzeit mit weißem Kleid und allem Drum und Dran träumen. Hinzu kommt, dass sich viele meiner Klientinnen, die kleine Kinder haben, vollkommen zerrissen fühlen zwischen dem Anspruch, den Anschluss im Job nicht zu verpassen, und dem Wunsch, sich am liebsten die ersten drei oder vier Jahre nur um die Kinder zu kümmern. Aber Letzteres wagen diese Frauen kaum noch zuzugeben, weder ihren Freundinnen noch ihrem Partner gegenüber – ein erschreckendes Phänomen, das aus meiner Sicht nicht unwesentlich mit dem Druck zusammenhängt, den die Medien auf »die moderne und erfolgreiche Frau von heute« ausüben.

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Mir hat die Rolle als Hausfrau und Mutter immer sehr gut gefallen und mich durchaus erfüllt, als meine Kinder noch klein waren, und gleichzeitig musste ich schon damals – vor über zwanzig Jahren! – die Häme einiger Leute ertragen, die meinten, eine Frau, die nicht arbeitet, sei automatisch ein »Dummchen am Herd«.

Heute bin ich selbst erstens geschieden, zweitens erfolgreich berufstätig und drittens: ohne Partner! Gerade in letzter Zeit erhalte ich von Männern häufig das Feedback, dass sie Angst haben, mit einer erfolgreichen Frau nicht fertigzuwerden. Deshalb versuchen sie erst gar nicht, bei ihr zu landen. Ein anderer nannte mich sogar ein »Gesamtpaket«, weil ich alles alleine kann: arbeiten, Geld verdienen, immer gut gelaunt sein und für jedes Problem eine Lösung finden. Aber bitte, liebe Männer: Frauen sind weder »Gesamtpakete«, noch sind sie Menschen, mit denen »Mann« in erster Linie »fertigwerden« muss! Berufstätige und erfolgreiche Frauen sind ganz normale Wesen, die sich nach Liebe, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit sehnen. Und da haben wir mit den Männern doch durchaus einiges gemeinsam.

Denn umgekehrt ist es schließlich auch nicht so, als hätten Männer keine Seele, was wir Frauen den patriarchalen Anzugträgern ja lange Zeit unterstellt haben. Auch ein Mann ist durchaus dankbar, wenn er mal ein Kompliment bekommt und wenn »Frau« ihm das Gefühl gibt, gebraucht zu werden. Der letztgenannte Punkt steht allerdings zur Disposition, wenn eine Frau besser verdient als ihr Mann, auch sonst in jedem Lebensbereich bestens allein zurechtkommt und nebenbei noch problemlos Haushalt und Kindererziehung managt.

Die Tatsache, dass der Mann sich neben einer solchen Superfrau nicht mehr wohlfühlt, erklärt wahrscheinlich auch folgendes Studienergebnis: Männer sind zwar inzwischen so weit, dass sie intelligente, selbstbewusste und unabhängige Frauen anziehend finden. Durchsetzungsstarke, beruflich erfolgreiche und finanziell gut gestellte Frauen werden hingegen eher als unattraktiv empfunden.[1]

Männer, die ihrer Partnerin gegenüber Minderwertigkeitsgefühle haben, neigen übrigens dazu, sich die fehlende Anerkennung woanders zu suchen – zum Beispiel bei einer niedriger gestellten Kollegin oder der Nachbarin, die »nur« Hausfrau ist.

In meiner Praxis habe ich es häufig erlebt, dass sich gerade offene, »moderne« Paare gern der Illusion hingeben, bei ihnen sei das alles anders. Wie oft passiert es dann doch, dass einer der beiden weinend in meiner Praxis sitzt, weil der andere fremdgegangen ist, und zwar mit jemandem, der doch »so absolut unter seinem/ihrem beziehungsweise meinem Niveau ist«! Aber von diesem Jemand bekommen sie eben genau die Bestätigung, die ihnen zu Hause verwehrt wird. Und Anerkennung und Achtung sind in diesen Beziehungskonstellationen die Dreh- und Angelpunkte, an denen sich die Partnerschaft beziehungsweise ihr Scheitern bemessen lässt. So kommt es, dass sich die erfolgreiche Frau fürs Bett den Generaldirektor angelt, weil sie den Windeln wechselnden Partner nicht mehr attraktiv findet. Oder dass sich der erfolgreiche Mann zum Schäferstündchen mit seiner Assistentin trifft, weil ihm die Hausfrau daheim zu langweilig ist. Seitensprünge gibt es in jeder Schicht der Gesellschaft, die Beispiele, die mir in meiner Praxis begegnen sind so vielseitig wie die Menschen. Mal ist die Hausfrau zu Hause zu langweilig oder zu prüde, dann wird fremdgegangen, weil der Mann einen spannenden Kick benötigt. Der andere fühlt sich neben einer starken berufstätigen Frau vielleicht minderwertig und nicht ausreichend respektiert, dieser sucht daher Bestätigung bei einer anderen Frau, die ihn anhimmelt und ihm das Gefühl gibt, der Held zu sein. Und in beiden Fällen sind diese Seitensprünge absolut ungerecht, falls man in diesem Zusammenhang von Gerechtigkeit sprechen kann. Denn beide Betrogenen leisten schließlich ihren Anteil am Funktionieren des gemeinsamen Familienlebens – nur wird der Partner, der zu Hause bleibt, in der Regel weniger geachtet, egal ob Mann oder Frau.

Das rät die Expertin

Setzen Sie sich mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin zusammen und sprechen Sie genau über diese Dinge: Wie möchten wir unser Zusammenleben gestalten? Wie teilen wir uns die Arbeit im Haushalt? Wer bleibt wie lange zu Hause, wenn ein Kind kommt? Bewährt haben sich auch zeitlich aufeinander abgestimmte »Karrierepläne«, in denen zum Beispiel festgelegt wird: Die nächsten drei oder fünf Jahre steht meine Karriere im Vordergrund, anschließend halte ich dir stärker den Rücken für deine Karriere frei. Sie sollten sich nicht scheuen, so etwas auch schriftlich festzuhalten, denn das Erinnerungsvermögen hat schließlich schon so manchem einen Streich gespielt.

Man sollte sich zudem bewusst darüber sein, dass Strukturen, die sich im Alltag einschleichen und zu Gewohnheiten werden, nur sehr, sehr schwer zu durchbrechen sind. Nicht umsonst sprechen wir von der »Macht der Gewohnheit«. Wer also meint, dass sich die Dinge schon irgendwie regeln werden, wenn es erst einmal so weit ist – wenn beispielsweise ein Baby da ist oder ein Jobangebot kommt, das man unmöglich ablehnen kann –, der täuscht sich nicht nur häufig, sondern verpasst meist auch die Chance zur aktiven Gestaltung des Zusammenlebens.