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Inhalt

Teil I: Einführung

Märchenstunde

Drei Fragen, die alles verändern

Gagarin im Kleinwagen

Glück in der Finsternis

Requiem für eine Schönheit

Rendezvous mit Hindernissen

Der Zweck dieses Buches

Teil II: Carpe Noctem

Märchenstunde

Echnatons Irrtum

Liebe und Spinnen

Die größte aller Plagen

Exkurs I

Wer sitzt im Kino?

Vier Trillionen Leinwände

Mit Kinderaugen

Rosenblüten und Drachen

Novalis’ Geheimnis

Exkurs II

Teil III: Mutter

Märchenstunde

Isis‘ Schleier

Das Jonas Syndrom

Exkurs III

Letzte Begegnung

Letzte Märchenstunde

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Teil I:
Einführung

„Da sprach Salomo:
Die Sonne hat der Herr an den Himmel gestellt;
er hat aber gesagt, er wolle im Dunkel wohnen.“

Das erste Buch der Könige, 8, 12

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Märchenstunde

Eines Tages suchte Herr Nikolai Mäuserich, ein angehender Schriftsteller, in seinem Gebet Gott auf. „Ich habe eine große Bitte an dich“, sprach er zu Gott, „ich möchte ergreifende Geschichten schreiben voller Spannung und Weisheit und ein großer Schriftsteller werden. Kannst du mir meinen Wunsch erfüllen?“

Von der göttlichen Güte überzeugt, bedankte sich Herr Mäuserich bei seinem Herrn, ließ sich vor einem weißen Blatt Papier nieder, griff nach einem Stift und wartete auf die Eingebung. Doch seltsamerweise geschah nichts Besonderes. Trotz seiner Bitte, hatte Herr Mäuserich keine bemerkenswerten Einfälle.

Stattdessen brach über sein Leben eine unerklärliche Welle von furchtbaren Ereignissen herein: Zuerst wurde er ungewöhnlich lange krank. Seine Gesichtshaut überzog sich mit unansehnlichen und abstoßenden Furunkeln. Zur gleichen Zeit betrog ihn seine Frau mit seinem besten Freund und verlies ihn schließlich. Von seinen Arbeitskollegen wurde er schikaniert und geächtet. Hunde und Katzen knurrten ihn an. Er stotterte, fürchtete sich vor verschlossenen Räumen und konnte nie seine rechte Socke finden. Bei einem Autounfall brach er sich beide Beine, landete im Krankhaus und teilte sein Zimmer mit einem laut schnarchenden und umherpupsenden Patienten. Herr Mäuserich verstand die Welt nicht mehr.

Eines Tages betrat er völlig aufgelöst eine Kirche. Dort sah er den Beichtstuhl und lief hinein. Als der Priester nach seinen Wünschen fragte, begann Herr Mäuserich von seinem schrecklichen Leben und von der Ungerechtigkeit Gottes zu berichten: „Was halten Sie davon, Herr Priester?“, fragte er weinerlich den Geistlichen, „Warum lässt Gott so etwas geschehen? Und wie soll ich mit diesen Tragödien fertig werden?“

Der Priester, der zutiefst fasziniert seiner Erzählung zuhörte, schwieg einen Moment, dann sagte er: „Schreiben Sie darüber!“

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Drei Fragen, die alles verändern

Die verblüffende Botschaft dieses Buches verdanke ich meiner Frau: Als ich sie einst während eines nächtlichen Gesprächs nach ihrem Glauben fragte, sagte sie, sie glaube nicht an Gott, sondern an etwas anderes. „Und an was?“, entgegnete ich doch recht verwundert. Daraufhin deutete sie auf die schwungvolle Tribal-Tätowierung der Heiligen Maria auf ihrem Nacken mit der folgenden Erklärung: „Ich glaube an die Mutter und das Kind“. Ich wusste nicht weshalb, aber ich war berührt und irgendwie beeindruckt. Natürlich war mir nicht bewusst, dass ich drei Jahre später auf etwas stoßen würde, das den Glauben meiner Frau nicht nur bestätigen, sondern meiner spirituellen Erforschung und Entwicklung eine völlig neue Richtung geben sollte:

Alles, was ist, darf sein, weil es bereits da ist. Es gibt keine Dualität, nur Formen, die die Quelle oder wie auch immer man die Urkraft nennen mag (ich nenne sie Gott), ins Leben ruft, um sich einen Ausdruck zu verschaffen. Gott ist Dunkelheit. Seine Schöpfung ist Licht.

Ich vermute, dass die letzten beiden Ausführungen sich ein wenig sonderbar anhören. Darum würde es mich nicht wundern, wenn du den Wunsch verspürst, das Buch wegzulegen, aus der Vermutung heraus, irgendwelche satanische Botschaften oder eine verrückte Weltuntergangsformel in den Händen zu halten. Aus diesem Grunde gebe ich dir jetzt eine Gelegenheit, einen kleinen Selbsttest bezüglich dieses Themas durchzuführen.

Ich stelle dir drei Fragen. Du kennst sicherlich den Beginn der Bibel: Und Gott sprach „Es werde Licht“.

1. Was war davor?

2. Warum ist das gesamte Universum fast vollständig dunkel?

3. Kann Gott Licht sein, wenn Gott das Licht erschuf?

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Gagarin im Kleinwagen

Als am 12. April 1961 der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin als erster Mensch den Weltraum betrat und aus seinem Raumschiff Wostok 1 die Erde erblickte, war er sicherlich über den unheimlichen Hintergrund, der unseren blauen Planeten umgibt, mächtig erstaunt. Ähnlich muss es den ersten Kosmonauten der Apollo 11 Mission ergangen sein, die auf dem Mond landeten. Was mögen sie wohl gedacht haben, als sie die kleine leuchtende Erde auf dem großen Teppich des dunklen Weltraums beäugten?

Es ist wohl wahr, dass einige von uns davon ausgehen, in einer Welt aus Licht zu leben. Doch aus dem Weltraum betrachtet, verändert sich diese Sicht auf eine phänomenale Weise und etwas anderes rückt in den Vordergrund, etwas, was wir nicht so gerne betrachten: Die Finsternis. Wir alle sind mit dieser Schwärze verbunden. Und wohl jeder kennt die tiefen verwirrenden Empfindungen, die sie in uns weckt. Doch ist Angst und Unbehagen das Einzige, womit uns die Finsternis beschert?

Warum lieben wir uns am liebsten nachts und verspüren diese geradezu verbotene Lust und Wildheit, wenn die Sonne untergeht? Warum führen wir diese kuscheligen und intimen Gespräche, wenn draußen das Laternenlicht angeht und die Grillen ihre Konzerte veranstalten? Und warum vertrauen wir der Finsternis unseren Schlaf an, diese Zeit, wo wir doch so verwundbar sind?

Intuitiv haben wir eine Beziehung zu der Dunkelheit. Wie sollte es auch anders sein? Schließlich ist sie das Symbol der fruchtbaren Erde, der dunklen Urmutter und des allmächtigen Unterbewusstseins. Unsere allererste Erfahrung ist die des dunklen Mutterleibs, in dem wir noch blind die ersten Herzschläge des Seins erleben. Tiefe, Komplexität, Zentrum, Bewusstsein, Ursprung, Gott – diese Dinge sind stets verborgen, unergründlich und daher dunkel. Die Weiten des Universums sind zu 95 Prozent völlig schwarz und die eines Atoms ebenfalls. Das mächtigste uns bekannte Objekt ist ein Schwarzes Loch und die mächtigste Energie die des dunklen Vakuums. Die Dunkelheit ist eine kosmische Macht, sie erschafft Leben und bringt Klarheit, denn alle großen spirituellen Führer wurden nachts erleuchtet. Alles beginnt in der Dunkelheit. Auch die Entstehung dieses Buches begann mit einem überspannten Im-Dunkeln-Tappen.

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Wie in der seltsamen Geschichte vom Herrn Mäuserich wurde auch meine spirituelle Reise durch ein besonderes Leid eingeleitet: Vor einigen Jahren saß ich abseits der Stadt, in der ich damals lebte, in meinem Kleinwagen, mit voll beschlagenen Fensterscheiben und geplatzten Augadern. Verzweifelt schrie ich die Wut und den Schmerz heraus, all die peinigenden Gedanken, die wie eingerostete Zahnräder in meinem Kopf knirschten, mich immerzu an Dinge aus meiner Vergangenheit erinnerten und leidvolle Bilder erzeugten voller Beschuldigungen und Wahnsinn, gerichtet an Gott, an das Leben und an mich selbst.

Plötzlich geschah etwas Unerwartetes: Als hätte mein Körper mein Geschrei satt, bekam ich plötzlich keine Luft. Ich begann zu keuchen. Hastig, wie von selbst, öffnete ich die Tür und landete im Matsch. Ich verblieb einige Zeit in einer Pfütze liegend, weil ich der Zeuge einer kleinen inneren Verwandlung wurde: Ich ertappte mich beim Genuss der Kühle. Frische Luft kitzelte mein Gesicht. Der Regen hatte nachgelassen. Nun war es still um mich herum, irgendwie verzaubert und verändert. Und dunkel. Ich hörte nichts, bis auf meine irrsinnigen Gedanken, die mir jetzt völlig belanglos erschienen. Ich fühlte mich präsent. Ich atmete. Ich lebte. Und da erkannte ich diesen seltsamen Unterschied zwischen dem mystischen Schweigen um mich herum und dem hastigen, zittrigen Getöse in meinem Kopf. Die Nacht, in der ich mich nun befand, umklammerte mich mit ihrer Stille und ließ nicht mehr los.

Ihre Botschaft war: Alles, was ist, ist erwünscht, weil es in diesem Moment nicht anders sein kann. Welch eine Erleichterung.

Der Psychologe Klausbernd Vollmar schrieb in seinem Werk „Das Geheimnis der Farbe Schwarz“ (das leider nicht mehr gedruckt wird) Folgendes über das mystische heilende Dunkle:

„Das Licht des männlichen Geistes kann zwar das Dunkel des Weiblichen erhellen, wie auch das Dunkel des Weiblichen den männlichen Geist aus seiner Erstarrung im Lichte befreien kann, doch der männliche Geist fürchtet das weibliche Dunkel, das Unbewusste. Er fürchtet in jenes Urchaos, das Leben schenken kann, zurück geschlungen zu werden und kämpft mit Logik und Struktur gegen jene Erscheinungsformen des Weiblichen, die ihm ein dunkles Rätsel bleiben.“

Trotz oder wegen ihrer Geheimnistuerei stellt die Dunkelheit das größte Rätsel überhaupt dar. Sie ist mehr als all die langweiligen Klischees, mit denen wir sie verbinden, sie ist mehr als „unheimlich“ oder „Leid“. Die Dunkelheit ist weise und sehr, sehr alt. Und eine ihrer Botschaften lautet:

Mit offenen Augen siehst du das Wunder, mit geschlossenen Augen bist du das Wunder. Möchtest du wissen, was diese Worte bedeuten?

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Glück in der Finsternis

Eines sonnigen Tages wollte der neugierige Hase Graupfote wissen, was Glück ist. Er ging hinaus und machte sich auf die Suche. Doch niemand kannte die Antwort auf seine verwirrende Frage. Irgendwann traf er jedoch eine alte Igelfrau, die ihm bezeugte zu wissen, was Glück ist. Sie führte ihn in ihr Haus und zeigte ein mit einem Tuch bedecktes Bild.

„Was sieht man auf dem Bild?“, wollte der Hase wissen.

„Die Antwort auf deine Frage“, entgegnete die alte Igelfrau, „bist du bereit?“

Der Hase nickte ganz ungeduldig. Die Igelfrau entfernte das Tuch und offenbarte das Geheimnis. Der Hase Graupforte versank allerdings in tiefer Verwunderung. Denn das Bild war kein Bild, sondern ein uralter, zerkratzter Spiegel.

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Das Glück und die Sehnsucht nach uns selbst sind die stärkste Motivation, die wir haben. Obgleich wir bisweilen davon überzeugt sind, andere Beweggründe für unser Getriebensein zu haben, spüren wir, wenn wir für einen Moment inne halten, das tiefe Verlangen nach innerer Erfüllung.

Alles, was wir tun, ganz gleich, wie schrecklich es auch erscheinen mag, tun wir, um glücklich zu sein (was natürlich keineswegs als eine Rechtfertigung für eine Schandtat dient). Wir alle wollen Glück erfahren. Vielleicht erscheinen dir diese Worte banal oder selbstverständlich. Doch ist dir wirklich bewusst, dass wir alle ohne Ausnahme glücklich sein wollen? Weder reich noch berühmt, weder schön noch erfolgreich, sondern einfach nur glücklich. Es geht uns nicht um Gegenstände oder Erfolg oder Anerkennung, sondern um ein bestimmtes Gefühl.

Bereits vor 40000 Jahren benutzten die Menschen vergorene Früchte, um dieses Gefühl zu berühren. Die Babylonier verwendeten Halluzinogene, ebenso wie die Ägypter und die indianischen Schamanen. Durch die Wirkung von Mutterkorn, Stechapfel oder Tollkirsche glaubten die Weisen den Kontakt mit den Ahnen oder Naturgeistern aufnehmen und so die eigenen heilenden Kräfte stärken zu können. Doch in erster Linie waren sie auf der Suche nach der absoluten Ekstase. Sie wollten das Unsichtbare, jenseits von Materie und Gewohnheit kosten. Sie wollten die Welt hinter der Welt erleben, den Ort, wo das Glück zuhause ist.

Auch heute ist jeder von uns auf der Suche nach dieser einen Quelle. Hast du diese Quelle gefunden? Bist du glücklich? Ich kenne nur wenige Menschen, die wirklich glücklich sind. Natürlich ist jeder dann und wann beglückt und hopst durch die Gegend, wenn irgendetwas Tolles passiert ist. Doch die meiste Zeit sind wir doch eher besorgt, unruhig, unsicher.

Unzufrieden. Warum? Wo ist diese verdammte Quelle?

Wenn man sich mit dem Wesen und der Wirkung einer Droge ein wenig auseinandersetzt, wird man auf etwas Verblüffendes aufmerksam: An sich ist es völlig unwichtig, welche Droge man konsumiert, sie alle spielen lediglich mit den Transmittern und Rezeptoren unserer Wahrnehmung, ohne neue Elemente hinzuzufügen. Die Droge stimuliert, aktiviert oder deaktiviert Elemente, die sich in unserem Gehirn bereits befinden: Chlorpromazin beispielsweise ähnelt dem Glückshormon Dopamin. Alkohol hemmt die Nervenleitungen. Bei den Opiaten Morphin und Heroin ist es sogar nachgewiesen, dass der menschliche Körper Zellen für solche Strukturen bereithält. Sie werden Endorphine genannt, Glückshormone.

Mit anderen Worten: Alles, was wir brauchen, tragen wir in uns. Wir sind die Quelle. Die Suche nach Glück, ist die Suche nach uns selbst. Und wo sollten wir diesem Selbst näher sein, als in einem dunklen Raum, in dem die Welt verschwindet?

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Warum also ein dunkler Raum? In der buddhistischen Tantra wird diese Frage auf eine wunderbare Weise beantwortet: „Wenn du vor dir im Raume nichts mehr siehst, und dann mit deinem eigenen Geist den eigenen Geist betrachtest, verschwinden alle Unterscheidungen, und du gelangst zur Buddhaschaft.“ Übrigens gilt im Tibet ein längerer Aufenthalt in einem völlig dunklen Raum als der Königsweg zur Erleuchtung. Doch warum?

Wahrscheinlich kennst du das geniale Märchen von einem Betrunkenen, der um eine Laterne herum seinen Schlüssel sucht und einem Passanten auf die Frage, warum er ausgerechnet unter einer Laterne seinen Schlüssel vermutet, antwortet: „Weil es hier hell ist!“ Wir sind es gewohnt, im Lichte nach der Wahrheit zu suchen. Doch obwohl das wundersame Licht die tiefen Sehnsüchte nach Wärme, Liebe, Hoffnung und Klarheit erfüllt, unterstreicht es gleichzeitig einen bestehenden Mangel. Das Licht bringt uns dazu, außerhalb des eigenen Selbst nach Glück zu suchen. Schließlich erleben wir ja das Licht außerhalb von uns. Das Licht kompensiert sozusagen einen Mangel.

Das Spannende ist die Tatsache, dass das Gehirn, in dem die Glücksmacher Endorphine freigesetzt werden und die gesamte Emotionalität reguliert wird, von der Außenwelt und vor allem vom Licht völlig abgeschnitten ist. Ist es nicht merkwürdig? Das Gehirn kennt kein Licht. Somit sind wir nicht nach Licht süchtig, sondern nach dem, was das Licht in uns auslöst. Das Licht ist, vorsichtig ausgedrückt, eine Droge. Sie weist auf etwas in uns hin:

Das Licht ist in uns.

Die eher langweilige und in Verruf geratene Finsternis erfüllt zunächst keinerlei Sehnsüchte, sondern bietet einen stillen Raum für eine Selbstbetrachtung. Damit macht sie aus einem Mangelwesen ein vollkommenes Wesen, das das Glück in sich sucht. Die Finsternis offenbart die Quelle des Lichtes und des Glückes: Dich.

Wenn die islamischen Derwische tanzen und sich dabei um die eigene Achse drehen, erfahren sie ein tiefes Geheimnis der Welt: Sie spüren, dass die Welt sich um sie dreht. Dies ist die Erfahrung der Finsternis: In der Dunkelheit geht es allein um dich, es geht nicht darum, was für einen Job du hast oder, ob du deine Gesichtshaut regelmäßig eincremst. Es geht um dich, es geht um das, was du bist. Erst wenn sich der Sturm aus Gedanken legt, spüren wir die Essenz des Seins. Wir spüren uns selbst und erkennen, dass wir Stille sind.

Dunkelheit ist Stille, optische Stille.

Doch gerade weil wir in einem dunklen Raum nichts mehr sehen, wird unsere Phantasie geradezu herausgefordert. Wir vermuten Monster, Mörder, wilde Tiere. Wohl deswegen ist die Dunkelheit zum Symbol des Bösen und des Leids geworden, zu einem Gegenteil von Licht.

Doch die Finsternis ist keineswegs das Gegenteil von Licht. Das Licht entsteht vielmehr in der Dunkelheit. Licht kann man erzeugen, die Finsternis nicht. War dir das bewusst? Ich wiederhole den letzten Teil: Die Finsternis kann man nicht erzeugen. Oder hast du schon Mal Dunkelheit erschaffen? Alle Formen des Lichtes wie Glühlampenlicht, Kerzenlicht, Laternenlicht können wir herstellen, die Dunkelheit nicht. Selbst wenn wir die Vorhänge oder Rollläden zuziehen, erschaffen wir keine Dunkelheit, sondern hören auf, Licht zu erschaffen. Denn die Finsternis ist ein Raum, in dem das Licht leuchtet – ein Raum, der immer da ist, mit Licht oder ohne Licht.

Mit anderen Worten: Die Dunkelheit ist immer da. Man kann sie weder erzeugen, noch imitieren. Es gibt nur ein „Ding“ auf das eine ähnliche Beschreibung passt: Energie.

Oder: Gott.

Und genau hier wird es sehr spannend: Seit klein auf leben viele oder sogar die meisten von uns mit der Vorstellung, der liebe Gott und alles andere, was „gut“, „richtig“ oder „erstrebenswert“ ist, sei Licht. Wogegen alles andere, was nicht diesen Werten entspricht, mit Unbehagen in den dunklen Keller hinab geworfen wird. Zeugt diese Einstellung von einer Ganzheit? Wo verbleiben unsere Wutausbrüche und Fehler, unsere Schuldgefühle, Verlangen und alles andere, was in der Welt des Lichtes und der Moral nicht willkommen ist? In der Dunkelheit. Warum?

Weil die Dunkelheit immer „Ja“ sagt. Sie macht keine Unterschiede.

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Requiem für eine Schönheit

Innerhalb meiner dreijährigen Nachforschungen, habe ich festgestellt, dass die Büchereien und das Internet frustrierend wenig Wissen über das Wesen der Dunkelheit besitzen, da wir diese mysteriöse Schwärze ganz einfach meiden. In den Gesprächsrunden fällt eher selten ein Wort über die Dunkelheit. Und ich selbst komme nicht umhin, mich immer wieder zu fragen, was du wohl von einem Menschen denkst, der ein Buch über die Dunkelheit schreibt: „Spinner? Satanist? Weltfremder?“

An dieser Stelle möchte ich erneut den Farbenforscher Klausbernd Vollmar zitieren. Es wundert ihn nicht, „dass die neue Welle der Spiritualität, die so genannte New-Age-Bewegung, das Schwarze verdrängt oder ablehnt. Immer wenn in diesen Kreisen über Spiritualität gesprochen wird, ist zugleich vom Licht und von der Farbe Weiß die Rede. Die meisten prominenten Referenten und Lehrer der ‚Szene’, Medien und Geistheiler zeigen sich in der Öffentlichkeit in weißer Kleidung. Im ‚Light Age’ scheint das Schwarze und Dunkle keinen Platz mehr zu haben. Wir sollen positiv denken und uns von keinem bösen Gedanken beflecken lassen; meditieren dürfen wir nur auf das weiße Licht. Das mag eine Zeit lang den Geist erhellen, doch das Dunkle wird in den Untergrund der Seele verdrängt.“