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Unsere Empfehlung

zum Lesen dieses Buches:

Nehmen Sie sich etwas Zeit, setzen Sie

sich in einen ruhigen Raum und lesen

Sie dieses Buch so, als wenn Sie bei

Freunden zu Gast sind. Hören Sie einem

interessanten Gespräch zu und seien

Sie dabei, wenn Ideen entwickelt und

Konzepte erläutert werden.

Impressum:

Marcellus Menke im Gespräch mit Jürgen Heinrich

Der Anti-Stress-Regenschirm

Sieben Schritte, Stress positiv zu bewältigen

Konzept, Redaktion, Layout, Grafik und Satz: Creativity Cologne, Marcellus M. Menke

Photos: Marcellus M. Menke, CrK Bildarchiv, Köln

Lektorat: Manuela Tiller, Köln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2015 Jürgen Heinrich und Marcellus M. Menke

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783739253459

Herausforderungen des Alltags

mit Gelassenheit meistern

Ein Schlagwort

Stress ist ein Schlagwort. Unser Leben scheint bestimmt von den vielen Erfordernissen, effektiver, besser und schneller sein zu müssen. Im Beruf, im privaten Leben, in Familie und Freizeit, alles wird erfasst, verwaltet und optimiert. Unser Status misst sich an der Zahl der Kontakte, der Menge der E-Mails, die wir pro Tag bekommen, und der Kilometer, die wir im Jahr fahren. Wir tragen das Gerät, über das wir rund um die Uhr erreichbar sind, immer bei uns in der Hosentasche. Und wenn wir im Lärm des uns umgebenden Alltags einmal den Klingelton überhören, kommt postwendend der Vorwurf, warum wir denn nicht drangegangen seien. Der Druck ist enorm.

Manchmal ist der Druck zu stark. Die Verhaltensweisen, die wir uns angeeignet haben, um mit Belastung umzugehen, versagen irgendwann angesichts dessen, was da auf uns einprasselt. Oft ist es so, dass wir das zunächst gar nicht bemerken. Wir sind etwas müde, aber wir haben ja auch letzte Nacht schlecht geschlafen. Irgendwo im Bauch drückt es, aber wahrscheinlich war das Essen in der Kantine gestern wieder etwas zu fettig. Wenn man solche ersten Symptome zu lange nicht beachtet, wird es gefährlich. Das pfeifende Summen im Ohr geht nicht mehr weg und die Kopfschmerzen bleiben, auch wenn man sich jeden Abend einen kühlenden Umschlag auf die Stirn legt. Die vergessenen Termine lassen sich ein- oder zweimal noch auf eine Fehlfunktion des elektronischen Kalenders schieben, aber irgendwann fallen einem keine Entschuldigungen mehr ein.

Die Belastung durch Stress hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. So erleben wir unseren Alltag. Die Ärzte merken das bei den Patienten, die in den Wartezimmern ihrer Praxen sitzen, und zu den Therapeuten kommen immer mehr Klienten, die einen Gesprächspartner für die Suche nach einer Lösung dieses Problems suchen.

Was kann man tun? Es gibt viele Antworten auf diese Frage. Sind die körperlichen Symptome unübersehbar, sind Medikamente eine schnelle Antwort. Sie senken den Blutdruck und die brennende Magensäure. An den umwelt- und verhaltensbedingten Ursachen ändern sie nichts.

Jürgen Heinrich beschäftigt sich seit Langem mit dem Thema Stress und wie man damit umgeht. In diesem Buch erklärt er im Gespräch mit Marcellus Menke seine Methode und berichtet von seinen Erfahrungen.

Im Gespräch

Im Mittelpunkt dieses Buches steht ein Gespräch. Ein Gespräch zwischen einem Therapeuten und einem Philosophen. Der Therapeut arbeitet seit über 20 Jahren in den Bereichen Training, Counseling, Therapie, Supervision und individuelle Beratung. Er hat Ausbildungen als Gestalttherapeut, Meditationslehrer und Traumatherapeut. Er berät Klienten aus allen Feldern des gesellschaftlichen Lebens. Der Philosoph arbeitet an einer Universität. Er hat sich auf philosophische Beratung spezialisiert und unterstützt Studierende, die ihren Berufseinstieg planen. Er hat ein speziell für die Berufsfindung konzipiertes Coaching-Programm entwickelt. Beide Gesprächspartner begleiten seit vielen Jahren Menschen in entscheidenden Situationen ihres Lebenswegs, Situationen, in denen es wichtig ist, überlegt, ruhig und gelassen das Richtige zu erkennen und zu tun.

Deshalb ist das Thema des Gesprächs der Umgang mit Stress und Belastungen. Stress ist ein allgegenwärtiges Phänomen der heutigen Gesellschaft: Stress im Alltag, in Beruf, Ausbildung und Studium, Stress im privaten Leben. Das Gespräch ist dabei nicht nur die Form, sondern auch die Methode dieses Buches. In der Therapie ist das Gespräch die Methode, im geschützten Raum der Beratungssituation Lösungen zu finden. In der Philosophie ist das miteinander Sprechen, der Dialog, die grundlegende Methode des Erkenntnisgewinns. Als prägendes Beispiel für diese Methode steht in der Geschichte der abendländischen Philosophie die Figur des Sokrates. Mit seiner Hebammenkunst ist er der fragende Partner beim sensibel entbergenden Hervorbringen der Erkenntnis.

Der Dialog ist aber nicht nur eine alte und bewährte, sondern auch eine vielfältig variierte und in den unterschiedlichsten Formen genutzte Methode. Journalisten entlocken in Interviews ihren Gesprächspartnern Informationen, an die sie so sonst nicht kommen würden. In abendlichen Unterhaltungsprogrammen mühen sich Moderatoren und Gäste, in ritualisierten Frage- und Antwortspielen etwas Tiefgang auf den glänzenden Flachbildschirm des heimischen Wohnzimmers zu bringen. Von konstruktiv und sich gegenseitig bestärkend bis agressiv kontrovers und provokativ auf Konflikt angelegt reicht das Spektrum des in den elektronischen Medien inszenierten miteinander Sprechens.

Das in diesem Buch aufgeschriebene Gespräch nimmt sich da zurück. Die Form des Gespräches steht hier vor allem für die immer bewusste Subjektivität der gemachten Erfahrungen und den auf die Individualität der Fragestellung bezogenen Charakter der Antwort. Dieses Buch möchte keine Gebrauchsanweisung sein, kein Kochbuch mit einem allgemeingültigen Konzept zum guten und glücklichen Leben, kein Patentrezept, sondern es ist das vorsichtige Nachzeichnen der Spur eines Weges, der in den vorgestellten individuellen Fällen zur Lösung geführt hat. Und deshalb möchte das in diesem Buch wiedergegebene Gespräch als ein aufmerksamer und mit großer Ernsthaftigkeit bemühter Versuch verstanden werden, seinen eigenen Weg finden zu können.

Wir leben in einer Welt, in der Wirkliches und Dargestelltes, Realität und Medialität so sehr wie nie zuvor miteinander verwoben sind. Die enormen technischen Möglichkeiten haben dazu geführt, dass sich die Grenzen zwischen der Wirklichkeit und dem Ge- und Erdachten zu verschieben scheinen. Zumindest sind sie vielfach nicht mehr so deutlich erkennbar. Im mittlerweile häufig und vielfach auch unüberlegt gebrauchten Begriff der „virtuellen Realität“ wird dies besonders deutlich. Deshalb an dieser Stelle der an sich selbstverständliche, aber durchaus nicht triviale Hinweis: Die Lektüre des in diesem Buch wiedergegebenen Gesprächs kann und will das direkte persönliche Gespräch mit einem Coach, Therapeuten oder Berater nicht ersetzen. Intention dieses Buches ist es vielmehr, eine Einladung zu sein, ein solches Gespräch zu suchen. Mit seinen Übungen und Impulsen will dieses Buch dazu befähigen, den eigenen Weg zu einem guten Umgang mit Stress und Belastung zu finden.

Grundlage

Anstoß für die Entstehung dieses Buches war die von Jürgen Heinrich entwickelte Methode der sieben Schritte zur Stressbewältigung. Zum besseren Verständnis an dieser Stelle ein kurzer Überblick über die wichtigsten Grundideen dieser Methode:

Die Basis der Methode Jürgen Heinrichs stellt ein Set klassischer, bereits seit Langem bei der Stressbewältigung erfolgreicher Methoden dar. Dazu gehören Methoden wie zum Beispiel Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR), Achtsamkeit, Akzeptanz, Selbstmanagement und Methoden aus unterschiedlichen Therapierichtungen. Diese Methoden werden bei Jürgen Heinrich dann um folgende, von ihm als wesentlich beschriebene Aspekte ergänzt:

Erstens: Die Auseinandersetzung mit persönlichen und meist unbewussten Lebensskripten als eigentliche Arbeit an den individuellen Wurzeln des Stresses. Dabei liegt ein wichtiger Schwerpunkt auf der Entwicklung von Selbstannahme, Liebe und Fürsorge für uns selbst. Denn eine ganz grundsätzlich vollzogene Selbstannahme ist die Bedingung für den Ausstieg aus der Stressspirale. Sie schützt vor Selbstausbeutung und Überforderung.

Zweitens: Beschäftigung mit Werten – denn ohne eine kritische Auseinandersetzung mit den Werten unserer Gesellschaft wird kein dauerhaft erfolgreicher Ausstieg aus der Stressspirale gelingen. Die Methode der sieben Schritte zur Stressbewältigung ist dabei keine Abkehr von dem Willen nach Leistung und Erfolg. Vielmehr führt sie zu einer veränderten und gesunden Sichtweise auf diese Aspekte.

Drittens: Rückkehr zu Freude, denn Freude ist vielleicht die beste Methode gegen Stress. Deshalb zeigt dieses Programm zur Stressbewältigung Wege zur Entwicklung von mehr Freude im Alltag auf.

Viertens: Die Verzahnung der einzelnen Methoden. Die Entstehung von Stress ist ein sehr komplexes Geschehen. Ein wirklich und nachhaltig wirksames Konzept zur Stressbewältigung muss dieser Komplexität Rechnung tragen. Die sieben Schritte zur Stressbewältigung machen dies, indem sie die unterschiedlichen Methoden aufeinander abgestimmt und vernetzt zu einem einheitlichen, in seiner Gesamtheit stark wirksamen Programm bündeln.

Die in diesem Buch beschriebenen sieben Schritte verstehen sich deshalb als ein aus sich gegenseitig stärkenden Bausteinen bestehendes Programm. Die Kraft des einzelnen Schrittes entfaltet seine volle Wirksamkeit erst dadurch, dass auch die anderen Schritte erfolgen. So entsteht ein ganzheitlich wirkungsvolles Gesamtprogramm.

Über Stress reden

Marcellus Menke: Stress ist ein Phänomen, über das heute viel gesprochen wird. Stress entsteht in allen möglichen Situationen. Kannst du dich erinnern, wann in deiner Arbeit als Therapeut zum ersten Mal das Thema Stress aufgekommen ist?

Jürgen Heinrich: Das war so vor zwanzig Jahren. Ich erzähle die Geschichte, auch in Seminaren, ganz gerne, weil sie sehr schön zeigt, wie sich der Umgang mit dem Thema Stress entwickelt hat. Ich habe damals meine erste Ausbildung zum Entspannungstherapeuten gemacht, weil ich schon damals fand, dass das ein wichtiges Thema war. Und dann habe ich ganz forsch Seminare und Trainings zum Thema Entspannung und Stressbewältigung angeboten. Aber kaum jemand wollte das haben. Stress war damals für viele einfach noch kein Thema.

Es ist dann aber schnell Thema geworden. Wann hattest du den ersten Klienten, bei dem das Thema Stress eine Rolle gespielt hat?

Also, ich glaube das war so vor zehn Jahren. Da wurde den Leuten bewusst, dass viele Belastungen, die man lange einfach so weggesteckt hatte, doch Auswirkungen auf das eigene Leben haben und dass man da etwas tun muss. In den Medien wurden prominente Fälle diskutiert. Leistungssportler, wie zum Beispiel Sven Hannawald, machten öffentlich, dass sie am Burn-out-Syndrom litten. Das Ganze kann man auch sehr gut sehen, wenn man sich zum Beispiel die Zahlen der Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin anschaut.1 So seit 2004 ist dort ein deutlicher Anstieg zu sehen. Seitdem ist die Nachfrage nach Unterstützung bei diesem Thema stark gestiegen.

Aus was für Bereichen kamen die Leute?

Zunächst einmal vorwiegend aus der Wirtschaft, also Klienten, die in Unternehmen in unterschiedlichsten Funktionen arbeiten. Das konzentrierte sich gar nicht einmal auf bestimmte Funktionen oder Hierarchie-Ebenen. Das waren Außendienstmitarbeiter genauso wie Manager oder Sachbearbeiter. Es gab dann auch schon viele Klienten, die mit ihren Stressproblemen aus dem privaten Bereich zu mir kamen. Ich erinnere mich noch gut an den Fall einer Mutter. Sie war halbtags berufstätig und der Arbeitgeber hatte für die Familienaufgaben kein Verständnis. Im Unternehmen war sie die, die nur halb da war, und als Mutter war sie mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht ganz für ihre Kinder da zu sein.

War damals schon das Bewusstsein dafür da, dass Stress ein Problem war, oder kamen die Klienten mit einer anderen Fragestellung und es stellte sich dann erst während des Gesprächs heraus, dass Stress das Thema war?

Der Umgang mit dem Thema Stress als Problem ist erstaunlicherweise sehr schnell sehr offen geworden. Die meisten Klienten kamen ganz direkt mit dem Thema. Es war für sie kein Problem zu sagen, dass sie sich beruflich oder privat überfordert fühlten und dass sie wissen wollten, wie man damit umgehen kann. Im geschützten Raum, den die Beratungssituation bietet, war es für sie möglich, tabufrei mit dem Thema umzugehen.

Wie erkenne ich, dass ich Stress habe? Kann ich das überhaupt selbst erkennen? Und was ist Stress?

Für Stress gibt es ein Frühwarnsystem. Jeder hat das. Das Frühwarnsystem ist sehr individuell und man muss sich den Zugang dazu selbst erarbeiten. Das mache ich mit den Leuten, die zu mir kommen. Es gibt den günstigen, den guten Stress, man spricht auch vom Eustress. Und es gibt den belastenden, den schädlichen Stress, den Disstress. Oft ist es ein fließender Übergang zwischen Eustress und Disstress. Die wichtige Frage ist jetzt: Wie merke ich, wenn der Eustress in Disstress umschlägt? Körperliche Zeichen sind wichtige Hinweise. Vielfach neigt man dazu, diese ersten Hinweise zu übersehen: Augenliedflackern zum Beispiel oder das unkontrollierte in sich Hineinstopfen von Süßigkeiten. Das sind solche klassischen ersten Vorboten. Und wie gesagt, oft schiebt man das beiseite. Denkt, dass das morgen schon wieder weggeht und so weiter. Man nimmt es nicht ernst. Und das ist falsch! Es ist eben ein wichtiges Signal, das mir mein Körper gibt.

Im Coaching und in der Therapie werden die Menschen für die Signale ihrer Frühwarnsysteme sensibilisiert. Sie lernen die ja immer sehr individuelle Sprache ihres Körpers und ihrer Psyche kennen. Das ist ein Prozess, auf den man sich einlassen muss. Man kann nicht grundsätzlich sagen, wenn das und das Symptom auftritt, zeigt das, dass du die und die Form von Stress hast. Mir ist es immer wichtig, dass jeder seine individuellen Anzeichen kennt. Und schon vor dem Auftreten von körperlichen Symptomen in seinem Verhalten merkt, dass etwas aus dem Ruder läuft. Und dass er dann lernt, stopp zu sagen. Dass er sagt: Ich will etwas ändern, ich muss etwas ändern, jetzt muss ich etwas unterbrechen.

Du hast von den unterschiedlichen Sorten von Stress gesprochen: vom Stress, der belebend und aktivierend ist und den ich vielleicht sogar brauche. Und dann von dem Stress, der stört und belastet, der mich einschränkt und der letztendlich auch krank macht. Was mache ich mit diesem Stress?

Da sind wir dann schon beim Kern der eigentlichen Arbeit. Ich arbeite mit einem Konzept, das ich sieben Schritte zur Stressbewältigung nenne. Es fängt damit an, dass ich die Signale meines Frühwarnsystems wahrnehme. Ich merke, dass ich etwas tun muss. Der erste Schritt, der Einstieg in die Stressbewältigung, ist dann, mit Achtsamkeit zu schauen, was bei mir im Alltag konkret den Stress auslöst. Das können einzelne Gewohnheiten sein, aber auch Abläufe, in die ich eingebunden bin. Das zu sehen kann schon dazu führen, dass ich Gewohnheiten verändere oder mit einer anderen Einstellung in eine Situation gehe.

Ich sag mal ein ganz einfaches Beispiel: Vor kurzem habe ich eine Studie gelesen, die sagte, dass die Menschen in den letzten zehn Jahren ihre Gehgeschwindigkeit um 30 % gesteigert haben. Meine erste Einladung ist tatsächlich: Mach alles einen kleinen Ticken langsamer, und das kann bei vielen Menschen schon zu einer Stressreduzierung führen. Es hilft, einfach aus der stresserzeugenden Gewohnheit auszusteigen. Das hört sich einfach an, aber meistens muss man daran intensiv arbeiten, denn Gewohnheiten sind vielfach sehr mächtig und gar nicht so leicht zu verändern. Und deshalb kann es schon sehr hilfreich sein, wenn man zumindest vorübergehend, sagen wir für einige Stunden oder Tage, bewusst seine Geschwindigkeit im Alltag reduziert. Das rate ich besonders Menschen, die aufgrund einer momentanen hohen Belastung keine Möglichkeit sehen, aus dem „Rennen“ auszusteigen. Etwas, und wenn es nur ein kleiner Schritt ist, ist mehr als gar nichts.

Vielfach wird Stress ja auch ignoriert. Meine Augen flattern, aber ich denke, ich halte das durch. Ich mache weiter, ohne Pause, hole mir keine Entlastung, denke, dass ich das schon schaffe. Abends habe ich zwar Kopfschmerzen, aber ich nehme mir nicht die Zeit, um mir mal ein kaltes Tuch auf die Stirn zu legen. Ich powere auch den nächsten Tag ohne Unterbrechung voll durch und schiebe die Signale meines Körpers beiseite. Ausschlafen kann man ja im Urlaub. Was für Folgen hat es, wenn ich für längere Zeit Stress ignoriere?

Ich halte das grundsätzlich für gefährlich, wenn man die Warnsignale des Körpers und der Psyche so übergeht. Wenn man eine Phase hat, die sehr stressig ist, die vielleicht über Tage, vielleicht auch über Wochen geht, ist es ja zunächst einmal ganz okay und durchaus ein gutes Zeichen, wenn man sich zutraut, das durchzuhalten. Und man hält auch eine ganze Menge aus. Und das ist wahrscheinlich genau das Problem. Deshalb merkt man nicht, wenn es zu viel wird.

In der Stressliteratur wird ja immer gerne der Säbelzahntiger zitiert. Für unsere Urvorfahren waren Stress und die körperlichen Reaktionen, die er auslöste, überlebensnotwendig. Denn wenn die einem Säbelzahntiger begegneten, dann brauchten die alle verfügbaren Ressourcen des Körpers, um fliehen oder sich verteidigen zu können. Aber der Mensch hält solche hohen Belastungen eben nur kurze Zeit aus. Heute steht bei vielen der Säbelzahntiger permanent vor der Tür oder wie die Seminarteilnehmer gerne sagen: Nicht nur einer! Wenn man dann nicht bewusst mal innehält und „runterfährt“, führt das zu einem permanent hohen Aktivierungsgrad des Nervensystems. Man ist dauerhaft in Alarmbereitschaft und unter Anspannung. Der gesunde Wechsel von Anspannung/Anstrengung und Entspannung/Loslassen ist gestört. Das hält auf Dauer kein Organismus aus.

Das mit dem „schnell Weglaufen“ ist ja ein bisschen schwierig, wenn man im Büro sitzt, der Chef neben einem steht und fragt, warum denn die Akte für die Sitzung, die in drei Minuten beginnt, noch nicht vollständig ist.