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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2016 Ursula Wulf

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7412-4727-9

1986 - Mitten in Afrika – Peter, Ulla und Kater Niger

Afrika ist heiß und staubig. Meine alte Vorstellung von Afrika fällt mir gerade in dem Moment ein, als ein kräftiger Schuss Urwaldregen unter meine Jacke läuft. Ich ziehe einen Gummistiefel aus dem zähen Morast und bemühe mich, den Fuß drinzubehalten. Beim nächsten Schritt spritzt die aufgeweichte, rote Erde die Hosenbeine hoch. Heiß ist mir eigentlich nur, weil ich an einer meterlangen Bambusstange zerre, und Staub ist weit und breit nicht zu sehen.

„Gut so“ ruft mein Mann aus der Fahrerkabine unseres 13 Tonnen schweren Wohnmobils, das er durch vorsichtiges Gegenlenken vor dem Wegrutschen zu bewahren versucht, „schiebt die Stangen noch weiter unter die Räder!“ Zusammen mit Freunden schleppe ich weitere Äste und Bambus an. Unser MAN, ein ehemaliger Bundeswehr-LKW, steht mitten in Zaire im dichten, grünen Urwald im schmierseifenartigen Schlamm und rutscht eigensinnig in Richtung Pistenrand, wo ein großes Stück Piste von den Regenmassen weggespült wurde. Peter meint optimistisch, es ginge ja höchstens drei Meter herunter und gibt genau dosiert Gas. Jetzt finden die großen MAN-Reifen Halt an unserer provisorischen Pistenbefestigung; die Fahrt kann fortgesetzt werden.

2016 – Peter und Ulla

Heute leben wir (KFZ-Meister i.R. und Heilpraktikerin) in einem Dorf in der Nähe von Mölln, fahren immer noch gern nach Afrika und sind ansonsten in einem Wohnmobil nach unserem Geschmack unterwegs.

Inhalt

1969 / 1973: Wie alles anfing

Unser Team besteht aus Peter, mir und dem Kater Niger. Peter ist mein lieber Mann; von Beruf KFZ-Meister. Seine sogenannte „Sturm- und Drangzeit“ hat er häufiger in der afrikanischen Wüste verbracht (einen VW-Bus die mauretanische Piste herunterfahren, -schieben und -buddeln) als in der Disco.

Seine Begeisterung für den afrikanischen Kontinent begann auf vielleicht etwas ungewöhnliche Weise: mitten im heißesten Sommer des Jahres 1969 blicken er und sein Kollege Uwe gleichzeitig von den Autos hoch, die sie reparieren, sehen sich an: „Puh, heiß“ stöhnt Uwe, „ich hab keine Lust mehr!“ „Ich auch nicht“ meint Peter, „weißt du was, wir hauen ab“. Am selben Abend gehen die zwei ins Lohnbüro, reichen Urlaub ein und lassen sich das Urlaubsgeld auszahlen.

Nach 65 Stunden Fahrt in einem VW-Käfer und einer kurzen Fährüberfahrt erreichen sie mitten in der Nacht Tanger, eine Stadt wie aus Tausendundeiner Nacht im Norden Marokkos. Sie erleben das erste Mal den Zauber Afrikas, dem Peter sich nie wieder entziehen kann. Peters Anmerkung zu der langen Fahrt: „Der Käfer hatte Schalensitze. Prima für kürzere Strecken, aber da wir die 65 Stunden am Stück gefahren sind (abwechselnd fuhr einer und der andere schlief im Schalensitz), kippte man nach dem Schlafen in genau der krummen Sitzhaltung beim Türöffnen raus und musste seine Knochen erstmal durchsortieren.“

Während Peter von Jahr zu Jahr seinen Fahrradius in Afrika weiter ausdehnte (zuletzt bis in den Senegal), beendete ich bei einem Hamburger Geldinstitut meine Lehre. Meine Zukunftsvorstellungen schlossen das Reisen nicht mit ein und Afrika schon gar nicht. Als Peter mich 1973 in der Tanzstunde zum ersten gemeinsamen Tanz unseres Lebens aufforderte und in den Pausen interessant von Afrika erzählte, war ich in nördlicher Richtung bis Helgoland und im Süden bis Detmold gekommen.

Als wir ein knappes Jahr später unseren Heiratstermin bekanntgaben, stieß Peters Mutter einen erleichterten Seufzer aus: „Gottseidank, jetzt wird der Junge endlich sesshaft!“

Kurz darauf machten wir schon Reisepläne. Afrika musste es sein, was sonst? Da für eine Hochzeitsreise kein Geld vorhanden war, lebten wir ein Jahr lang sehr sparsam und holten die Reise dann nach.

Acht Wochen hatten wir Zeit für die Fahrt im Jahre 1975 von Tunesien durch die Sahara nach Kamerun. Peter und ich hatten uns einen geländegängigen Borgward-Kübelwagen gekauft, Freunde kamen in einem Hanomag mit. Unser Borgward hatte einen Motorschaden und kostete daher nur 100 Mark. Peter diagnostizierte ein verbranntes Auslassventil im Zylinderkopf. Für weitere 100 Mark wurde das Ersatzteil gekauft und Peter hat den Schaden schnell behoben.

Eigentlich bin ich nur mitgefahren, weil Peters Begeisterung mich angesteckt hatte. Das echte Interesse für Afrika, seine Bewohner und deren Sitten und Gebräuche fehlte mir völlig.

Ich erlebte eine faszinierende neue Welt: die Gastfreundschaft eines algerischen Schmiedes, der sein bisschen Couscous wie selbstverständlich mit uns teilte. Das begeisterte Winken der Menschen in den Dörfern im Niger und in Kamerun. Die Gelassenheit, mit der die Afrikaner das Leben nehmen, selbst wenn es uns sehr schwer erschien. Die grandiosen, abwechslungsreichen Landschaften. Die Öde der Steinwüste, die fantastische Schönheit der riesigen Sanddünen und die völlige Einsamkeit in der Sahara. Die schwerfeuchte Hitze und das nächtliche Tiergekreisch im Urwald.

In Kribi, Kamerun, gelang es uns mit großem Verhandlungsgeschick, sowohl den Hanomag als auch den Borgward an einen Hotelier zu verkaufen. Erlös: Jeweils für eine Person 10 Tage Hotelaufenthalt und Rückflug nach Deutschland.

Der Flug nach Hause: Ich saß das allererste Mal in einem Flugzeug. Auf dem Urwaldflugplatz von Kribi fuhr der Pilot die viermotorige Maschine mit dem kompletten Leitwerk rückwärts in die Büsche, weil die Piste zum Starten zu kurz war. Im Flugzeug waren ca. 50 Grad und sehr zu unserer großen Beruhigung hatte man uns erzählt, dass der Pilot ohne einen anständigen Whiskypegel im Blut gar nicht erst losfliegt. Während des einstündigen Fluges nach Douala plumpsten wir in jedes Luftloch.

24 Stunden später, wieder zu Hause: ich war heilfroh. Ein Glück, alles überstanden! Drei Tage später wollte ich wieder losfahren.

Wir sind in den folgenden Jahren noch oft nach Afrika gefahren; immer in zu Fernreisemobilen umgebauten, sehr geländegängigen alten Bundeswehr-Unimogs. Mit jeder Fahrt konnte ich mehr Eindrücke aufnehmen, die Lebensweise der Afrikaner besser verstehen, unsere Freiheit immer bewusster genießen.

Ende der 70er Jahre wollten wir auch einmal einen anderen Teil der Welt sehen und entschlossen uns, für 6 Monate nach Indien zu fahren. In die anfänglichen Planungen platzte eine Einladung von Freunden, die gerade von einer einjährigen Afrika-Durchquerung zurückgekommen waren. Fasziniert guckten wir den Super-8-Film an, den die beiden unterwegs gedreht hatten.

Auf der Fahrt nach Hause meinte ich „ein halbes Jahr Indien ist ja schön...“ und Peter antwortete „ein ganzes Jahr Afrika wäre aber noch viel besser...“ „Stimmt“ hab ich da gesagt, „hast Recht.“

Woraufhin uns unser Geschwätz von gestern kein bisschen mehr interessierte und wir uns nach einem passenden Fahrzeug umsahen.

Als wir wenig später unserem MAN Auge in Motorhaube gegenüberstanden (denn selbst bei unserer Länge von 1,80 m war es nicht möglich, über die hohe Motorhaube hinwegzusehen), hatten wir das Gefühl, dass nichts mehr schiefgehen kann.

Bei unserer ersten großen Afrika-Durchquerung 1980 / 81 mit diesem MAN, einem riesigen, zuverlässigen Eisenhaufen, ging auch tatsächlich nichts so daneben, dass wir hätten aufgeben müssen. Aber es war schon ganz schön abenteuerlich! Von der während dieser Fahrt erworbenen inneren Ruhe und der Gewissheit, dass letztlich alles in die richtige Richtung laufen wird, wenn man es nur richtig anpackt, profitieren Peter und ich heute noch.

Und nun zu Niger, dem Dritten im Bunde. Wir hatten nie ein Haustier, mochten aber Hunde sehr gern. Der winzige, halbverhungerte Kater, den wir 1980 im Lande Niger fanden und auch so tauften, überzeugte uns mit der Zeit davon, dass man dringend ein Haustier braucht und dass dieses selbstverständlich ein Kater sein muss. Im Laufe seines Lebens hat er mit uns über 100.000 km im LKW zurückgelegt. Wenn er merkte, dass der Aufbruch zu einer Reise unmittelbar bevorstand (und er hat es immer gemerkt), schlich er sich vorsichtshalber schon mal ins Auto und schlief dort lieber ein paar Stunden, als später womöglich vergessen zu werden.

1985, fünf Jahre nach Beginn der ersten großen Tour, kauften wir unseren zweiten MAN und wollten noch einmal den großen Kontinent Afrika durchqueren. Es hatte uns richtig gepackt: die Freiheit, über ein Jahr lang tun und lassen zu können, was wir möchten, und das Fernweh nach besonders schönen Orten, die wir noch einmal wiedersehen wollten.

Die Vorbereitungen

Fahrzeugkauf, Innenausbau, Visabeschaffung und weitere tausend Kleinigkeiten nahmen fast ein Jahr in Anspruch. Schließlich wollten wir während der für 15 Monate geplanten Tour zumindest in der Sahara völlig autark und auch später nicht auf die manchmal zum Verzweifeln ausgestatteten afrikanischen Supermärkte angewiesen sein. Die sind nämlich entweder gähnend leer oder unglaublich teuer und liegen zu allem Elend auch noch Hunderte von Kilometern auseinander.

Der passende LKW war schnell gefunden: wieder ein MAN von der Bundeswehr, gekauft für 7.400 DM von einem Flensburger Händler, der gebrauchte Militärfahrzeuge anbot. Diesmal handelte es sich allerdings nicht um einen doppelbereiften Küchenwagen wie bei der letzten Tour, sondern um eine „hochbeinige" einzelbereifte Pritsche, auf der ein MAN-Aufbau befestigt wurde. Aus einem weiteren MAN, den wir für 1.900 DM erstanden, baute Peter rund eine Tonne Ersatzteile aus. Der unbrauchbare Rest des Fahrzeugs wanderte auf den Schrottplatz.

Peter nahm sich den 10-Tonnen-Koloss gründlich vor, fand beim besten Willen nichts zum Reparieren und konnte sich daher ungebremst der Einrichtung widmen.

Nach einigen Wochen war aus dem graugrünen LKW mit der markanten Schnauze ein Schmuckstück geworden. Der "Eiserne Heinrich" erstrahlte in makellosem Weiß, Stoßstange und Unterbau glänzten tiefschwarz. Neue Michelin XL Reifen in den Abmessungen 14.00 x 20 wurden montiert, denn unser Vertrauen in die alten porösen Bundeswehrreifen schwand bei unserer vorigen Afrika-Durchquerung mit der Pannenhäufung: Fünf Reifen hatte der alte MAN verschlissen. Um es schon einmal vorweg zu nehmen: Die neuen Reifen hielten, was sie versprachen. Wir hatten keinen einzigen Plattfuß.

Die Unterkante unserer "Wohnung" lag in einer Höhe von 1,60 m. Daher schweißte Peter eine Leiter zusammen und der Kater lernte, auf glattem Vierkantrohr zu klettern. Abgesehen von wenigen Ausrutschern, die wir möglicherweise komischer fanden als er, beherrschte er diese Kunst bald perfekt.

Den Innenraum von immerhin 11,5 qm hat Peter so wohnlich wie möglich gestaltet. An der Rückwand des großen Aufbaus befand sich ein 1,30 x 2 m großes Bett, unter dem Bett ein Stauraum von 1,5 Kubikmeter. Es schloss sich ein geräumiger Waschraum mit fließendem Wasser aus dem Kanister und Chemie-WC an, gefolgt von der Küchenzeile mit Spüle, 3-flammigem Kocher und Kompressor-Kühlbox; gegenüber (kurze Wege für die Hausfrau) die Sitzecke mit großem Tisch. Auch die leistungsstarke Dieselheizung durfte nicht fehlen, denn im heißen Afrika ist es manchmal ganz schön kalt.

Gewissermaßen nebenher lief die Visa-Beschaffung auf vollen Touren. Wir brauchten Visa für 13 Länder und hatten die Erfahrung gemacht, dass es auf jeden Fall von Vorteil ist, sämtliche Visa schon bei der Abreise zu besitzen. Selbst wenn die Aufenthaltsbewilligung bei Erreichen des entsprechenden Landes abgelaufen ist, ist es leichter, sie dort verlängern zu lassen, als eine gänzlich neue ausgestellt zu bekommen.

Kurz vor der Abreise dann der Sturm auf einen Hamburger Supermarkt; Vorräte kaufen. Die gestresste Verkäuferin sah fassungslos zu, wie wir ihre mühsam aufgeschichteten Fleischkonserven restlos in unserem Einkaufswagen verstauten. „Nächstes Mal sagen sie aber vorher Bescheid!“ verlangte sie. Wir haben es fest versprochen. Dann schoben wir acht Wagen mit Berg zur Kasse, aber die Kassiererin hatte die Ruhe weg.

Die nächsten Tage wurden nur mit Packen verbracht: Lebensmittel einräumen, und zwar mit Verstand. Nicht, dass wir nachher irgendwo im Urwald einen Karton öffnen, der bis oben hin voll ist mit Ananas-Dosen! Massen von Medikamenten in Kühltaschen verstauen. Da wir für nahezu jeden Notfall gerüstet waren, trat nie einer ein. Eine Tonne Ersatzteile für den MAN unter dem Bett und in den äußeren Staukästen unterbringen, dazu ein Schweißgerät und eine unglaubliche Menge von Werkzeugen.

Und noch die paar Kleinigkeiten, die man im Haushalt so braucht.

Zwischendurch war selbst dieses große Fahrzeug mehrmals so voll, dass scheinbar nichts mehr hineinpasste. Aber nach einigem Hin- und Herräumen und der wundersamen Entdeckung ständig neuer kleiner und kleinster Zwischenräume ging die Arbeit weiter, und schließlich war alles verstaut.

30. Oktober 1985 - jetzt wird es ernst.

Unser letzter Tag im zivilisierten Leben bricht an. Wir sitzen in unserer Mietwohnung auf dem Teppich im Wohnzimmer und frühstücken. Der Abschied fällt uns nicht schwer, denn die Wohnung ist leer bis auf die letzten Kleinigkeiten und ca. 20 Plastiktüten, die die vorletzten Kleinigkeiten enthalten. Große helle Flecken an den Tapeten gähnen uns an. Die Wohnung haben wir gekündigt und Peters Schwester freut sich schon, dass sie mit ihrer Familie hier einziehen kann.

Kater Niger liegt natürlich schon im MAN, nachdem er gestern noch den Schreck seines Lebens bekommen hat: Da unsere Wohnung im Erdgeschoss liegt, hat er sich angewöhnt, über den Balkon rauszugehen und seine Erkundungsgänge zu machen. Auf seinem Weg zurück durchs Wohnzimmer stand hinter der Fensterecke nun seit fünf Jahren eine große schwarze Säule mit einem Blumentopf drauf. Nichts ahnend haben wir die Säule in den Keller gebracht, ohne Niger zu fragen. Der Kater betritt also das Zimmer wie immer über den Balkon – und die Säule ist weg! In derselben Zehntelsekunde steht sein Fell komplett aufrecht und er macht einen Riesensatz in die Höhe und zur Seite. Landet mit einem Flaschenbürstenschwanz, guckt empört in unsere lachenden Gesichter und verzieht sich schwer beleidigt.

Das bunte Programm für den heutigen Tag (Sparkasse, Optiker, Apotheke, Amtstierarzt, Supermarkt) erreicht am Mittag seinen vorläufigen Höhepunkt: der MAN wird gewogen. Auf dem Zettel der Autowaage sind 12,8 Tonnen zu lesen. 13 Tonnen darf er haben - aber leider ist das Gewicht nicht zufriedenstellend verteilt; die Hinterachse ist viel zu schwer.

Peter will sofort und auf der Stelle die beiden hinten auf der Pritsche befestigten Reservereifen abmontieren. In diesen Reifen befinden sich jedoch Unmengen von mir eigenhändig in Folie eingeschweißte Kleidungsstücke, die in Afrika teils getauscht, teils verschenkt werden sollen. Ich gucke wie ein Bullenbeißer mit Zahnweh. Die Reifen bleiben dran. Na gut, meint Peter, wir können ja mal abwarten. Eigentlich sollte der MAN das vertragen.

Zu Hause angekommen, soll der Kater, müde vom anstrengenden Tierarztbesuch, mit in die Wohnung, aber er ist aus dem MAN nicht herauszubekommen. Die Wohnung ist doch leer, und wenn man ihn nachher vergisst... da bleibt er lieber hier im Bett.

Zum fünften Mal räumen wir "den jetzt aber wirklich letzten Rest" ins Auto. Für die Verabschiedung von meiner Mutter, meiner Tante und Peters Eltern bleibt nur noch je eine Stunde. Gar nicht schlecht, dann muss ich mich nicht zu lange beherrschen und freundlich lächeln. Mir ist nämlich doch recht „abschiedsmäßig“ zumute!

In unserem griechischen Lieblingslokal treffen wir abends unsere Freunde, eine große, zumeist fröhliche Runde. Nur meine Freundinnen Susi und Renate wirken etwas mitgenommen. Susis Augen schwimmen schon sehr verdächtig. "Reiß dich bloß zusammen", flüstere ich, "sonst geht es bei mir auch los!" Da reißt sie sich.

Ich bin so aufgeregt, dass ich nur die Hälfte esse und noch nicht mal einen Ouzo herunterbringe. Tee ist ja auch viel gesünder. Jeder hat uns etwas Schönes mitgebracht: Lakritze für Peter, Schokolade für mich, Dosenfutter für Niger, einen Sprachführer, Edelkonserven von Lacroix. Tini, die Wirtin, schenkt uns zum Abschied eine Flasche Wein.

Große Umarmung draußen auf dem Parkplatz; 16 liebe Freunde winken uns nach. Wir werden sie ein Jahr lang nicht mehr sehen. Während wir in Richtung Autobahn fahren, sagt Peter liebevoll: "Na, du hast ja gar nicht geweint?" Woraufhin ich wie ein Schlosshund zu heulen anfange. Die Tränen tun mir gut, anschließend sind die Hummeln aus meinem Magen verschwunden.

Wir sind so kaputt, dass wir nur ca. 20 km weit fahren und in Hamburg-Stillhorn auf dem Autobahnrastplatz übernachten. Hauptsache, wir sind schon mal losgefahren.

Endlich unterwegs

Die Fahrt durch Frankreich geht gemütlich vonstatten, denn der MAN hat eine Spitzengeschwindigkeit von 70 km/h. Da er dann allerdings mindestens 30 Liter Diesel auf 100 km bräuchte, fährt Peter nur 60 km/h. Alle diejenigen, die bei der Nennung von immer noch 24 Litern auf 100 km entsetzt zusammenzucken, mögen sich die erstaunliche Reisekosten-Gegenüberstellung im Malawi-Kapitel ansehen.

Ein leichter Dunst liegt in der Luft und lässt die Hügelketten, die sich bis zum Horizont erstrecken, immer heller erscheinen, bis sie schließlich mit dem blassen Himmel verschmelzen. Die Blätter, die von den herbstlich bunten Chausseebäumen fallen, leuchten in den schönsten Farben; ein rotgoldener Teppich breitet sich auf der Straße aus. Die kleinen Dörfer mit den windschiefen grauen Häusern sehen aus, als wäre die Zeit hier vor 100 Jahren stehengeblieben. Das Wetter schwankt zwischen Sonne, Hagelgeprassel und dichtem Nebel, wird aber ab Südfrankreich immer besser.

Nach einigen ruhigen Fahrtagen ist das Städtchen Blanes in Spanien erreicht: ein rummelig-lauter Touristenort an der Uferpromenade und eine verträumte alte Stadt in den Straßen dahinter. Der Wächter des Parkplatzes am Hafen hat nichts dagegen, dass wir hier übernachten möchten; er nimmt trotzdem nur die normale Parkgebühr von umgerechnet DM 3,60. Wir trinken gemütlich im Auto einen Espresso und sehen zu, wie im Hafen die Boote einlaufen, die Netze am Ufer ausgebreitet werden und die alten Fischer ein Schwätzchen halten.

Ein paar Hunde streunen über den Platz. Sie profitieren vom Tourismus, denn sie sind von Natur aus freundlich und - wieder hat`s geklappt - einer bekommt von einer Gruppe junger Leute etwas zu essen. Er schlingt selig alles in sich hinein; zum Schluss gibt es noch eine große Scheibe Graubrot.

Seine Begeisterung erlischt schlagartig und wir sehen ihm seine Gedanken an: "Oh nein, das ist Brot – das mag ich überhaupt nicht! Aber die sind so nett, ich muss das wohl fressen!" Mit sehr langen Zähnen kaut er langsam an der Scheibe. Die Leute gehen weg, er lässt das Brot erleichtert fallen. Ein winziges Stückchen hat er herausgeknabbert.

Seine Gönner drehen sich noch einmal nach ihm um und sehen einen Hund, der hastig und begeistert das Brot frisst - aber nur, um es endgültig auszuspucken, als sie endlich weit genug weg sind.

Abends gehen wir in den Ort und gucken nach einem Restaurant. Die Saison ist vorbei, die Straßencafés an der Promenade sind größtenteils geschlossen. Nur im "Weißen Rössl" ist noch Betrieb. Die Speisekarte des Rössl bietet an: "Fleischspezialitäten: Bockwurst, Wiener Schnitzel, Zigeunerschnitzel" Schnell weg hier.

In den schmalen, nur schwach beleuchteten Gassen der Altstadt wird der leichte Modergeruch der Häuser vom Duft frisch gebratenen Knoblauchs überdeckt. Wir bleiben vor dem Restaurant stehen, das wir noch von früheren Reisen kennen, und bemühen uns um Entzifferung der spanischen Speisekarte. Zu unseren Füßen ertönt ein gleichmäßiges Knirschen: eine kleine magere Katze kaut angestrengt auf einem Seestern herum. Auf meine Ansprache reagiert sie nicht; sie hat gerade gar keine Zeit!

Wir betreten das Restaurant. Die Tische sind noch nicht besetzt, denn der Wirt bietet weder Sauerkraut noch Eisbein an und die Spanier, die das zu schätzen wissen, kommen erst später am Abend. Das geröstete Kaninchen mit majonaisehaltigem Knoblauch, Aioli genannt, schmeckt hervorragend. Der spanische Wein ist sogar so gut, dass Peter nachher auf dem Rückweg zum Auto über meine Gangart lacht.

Am 8. November, irgendwo zwischen unendlichen Orangenplantagen, kehrt der Sommer zurück: 30 Grad! Wir nehmen in der Fahrerkabine die seitlichen Steckfenster aus Plexiglas heraus und fahren so wesentlich luftiger. Von den Blüten der dunkelgrünen Bäume, die gleichzeitig orange leuchtende Früchte tragen, kommt ein schwerer, süßer Duft. Die Ernte ist in vollem Gang, die großen, saftigen Apfelsinen werden an der Straße preiswert angeboten.

Abends fahren wir einfach in ein tiefes, ausgetrocknetes Flussbett hinein und sind nach drei schlängeligen Windungen von der Straße aus nicht mehr zu sehen. Niger wälzt sich begeistert im Sand und pudert sich wie Ludwig der Vierzehnte (allerdings stumpfgrau). Daher wird er vor dem Zubettgehen kräftig gebeutelt und ist für ca. 15 Minuten schwer beleidigt. Dann schmust er aber doch wieder mit uns.

Am nächsten Morgen folgen wir einer Piste durch das Flussbett, um eine alte Westernstadt anzusehen, in der so mancher original amerikanische Film gedreht wurde. Vor der Stadt sitzt ein Kartenverkäufer (freundlich), neben ihm ein angeleinter Hund (freundlich-zurückhaltend), ein Hund ohne Leine (überfreundlich) und noch ein angeleinter Hund (verzweifelt-freundlich), denn er ist zu weit weg angebunden und keiner streichelt ihn.

Wir zahlen einen geringen Eintrittspreis und besichtigen die Stadt, die den halben wilden Westen in sich vereinigt: Erst kommen wir in einen mexikanischen Grenzort, dann am Viehstall vorbei zur Hauptstraße einer alten amerikanischen Stadt, mit Bank zum Überfallen, Sheriff-Büro und Hotel mit großem umlaufenden Balkon im ersten Stock zum Heruntergeschossen werden. Wir sehen uns auch die schöne Postkutsche, die Planwagen und ein paar Indianerzelte an und könnten uns John Wayne hier an jeder Ecke vorstellen.

Zurück geht es durch die Sperre am Eingang. Wir fahren noch ein Stück den Flusslauf entlang; die Ufer ragen hoch auf und sind voller Höhlen und Buchten. Es ist einfach grandios hier.

Wir genießen die schöne Landschaft, doch dann schlägt das Schicksal zu und beschert mir das große Erlebnis des heutigen Tages: eine recht vollgefressene Spinne baumelt von der Decke des Fahrerhauses. Selbstverständlich baumelt sie genau vor meiner Nase. Ich schlage sie heldenhaft mit der Landkarte zu Boden, kann sie aber anschließend nirgends entdecken. Lieber hätte ich eine ausgewachsene Kobra auf dem Schoß! Peter muss anhalten und mitsuchen. Er steigt mit nachsichtigem Kopfschütteln aus und nimmt die Gummimatte aus meinem Fußraum, um sie draußen auszuschlagen. Ich beäuge drinnen misstrauisch jeden Zentimeter - oh großer Graus! Da sitzt das grässliche Monstrum an meinem Hosenbein! Mit lautem Gekreisch springe ich so blitzartig aus dem Auto, dass ich Peter beinahe mit der Tür erschlagen hätte. Gottseidank hat er aber von Niger gelernt, wie man sehr schnell sehr weit zur Seite springt.

Und jetzt versteht er mich noch nicht mal - Männer und Frauen passen eben nicht zusammen! Ich berichte leicht hysterisch, was passiert ist, und bitte ihn um Besichtigung meiner Hose. Ich will nämlich nicht noch mal hingucken. Igitt, was könnt’ ich mich schütteln. Peter findet keine Spinne.

Wahrscheinlich hat sie sich zu Tode erschrocken und ist getürmt. Während der Weiterfahrt Richtung Almeria werfe ich noch eine Zeitlang bohrende Blicke um mich herum in alle Ecken und Winkel, aber außer Peter und mir ist keiner da. Nachher kann ich schon mit Peter über so komische Leute lachen, die nach Afrika in den Dschungel wollen und sich vor Spinnen fürchten!

In Almeria, einer am Mittelmeer gelegenen Stadt, buchen wir für 350 Mark die Fährpassage nach Afrika und telefonieren vom Postamt aus mit Peters Mutter, die hocherfreut ist, uns im „gefährlichen Spanien“ noch unter den Lebenden zu wissen. Sie bestellt Grüße von der gesamten Familie - und schreibt mal! Na klar, machen wir.

Da die Fähre erst morgen ablegt, fahren wir heraus aus der Stadt. Die Straße wird zu einem schmalen Feldweg und verläuft sich schließlich zwischen niedrigen Dünen am Meer. Hier ist es so schön und ruhig, dass wir beschließen, über Nacht zu bleiben.

Die Sonne geht unter und verwandelt das Meer in flüssiges Gold. Dicht am Ufer wachsen bunte Seeanemonen; das Wasser versickert leise glucksend zwischen weißen Kieselsteinen und grünen Seeigelschalen.

Viele Fischerboote und zwei große Fähren tuckern vorbei. Peter, Niger und ich sitzen im Eingang des MAN-Aufbaus und genießen den rotgoldenen Sonnenuntergang.

Später, während Peter und Niger schon einträchtig im Bett schnarchen, sitze ich noch lange auf, schreibe Tagebuch und träume. Morgen fährt das Schiff nach Afrika. Wie kann man da schlafen?!

Auf zu neuen Ufern

Am 12. November 1985 um 12 Uhr finden wir uns am Hafen ein. Die Fähre wird schon mit Panzern und Lastwagen beladen. Um 13 Uhr darf auch Peter den MAN rückwärts in einen engen Gang im Riesenbauch der Fähre bugsieren.

14 Uhr - Abfahrtszeit! Über Lautsprecher wird durchgegeben, dass man leider erst um 16 Uhr starten könne, man bedankt sich für unser Verständnis. Dabei haben wir überhaupt keines.

Aber im Auto werden wir die Stunden schon herumbringen - dachten wir! Alle Türen zum Garagenraum sind verschlossen. Gehen wir also in den Aufenthaltsraum. Aus dem Lautsprecher links brüllt ein spanischer Sender, der mit einem anderen aus dem Lautsprecher rechts konkurriert. Wir sichern uns einen guten Platz in tiefen, weichen Sesseln am Fenster. Glücklicherweise haben wir etwas zum Lesen dabei.

Punkt 16.30 Uhr legt die Fähre endlich ab. Kaum ist sie aus der schützenden Hafenanlage heraus, muss sie durch wahre Wellenberge und -täler fahren. Wegen der schweren See tauschen wir nach einiger Zeit unseren Fensterplatz mit einem Platz in der Mitte des Raumes. Das Schiff schwankt derartig, dass wir Schwierigkeiten beim Gehen haben. Ich stolpere, aber zum Glück kommt mir ein Sessel entgegen, an dem ich mich festhalten kann.

Die ersten Passagiere werden seekrank. Brecher donnern über das gesamte Vorschiff und klatschen an die Panoramafenster. Die anderen "Brecher" geben ihr Essen von sich, wo sie gerade gehen und stehen. Wir sitzen mittendrin und fühlen uns nicht gerade großartig, was bei den Geräuschen rundherum und dem Geruch, der sich langsam ausbreitet, nicht verwunderlich ist. Allerdings werden wir nicht seekrank, langweilen uns nach ca. acht Stunden Fahrt ganz erheblich, werfen noch einen mitleidigen Blick auf die Dame neben uns mit der Tüte vor dem Gesicht - und essen ein paar leckere Kekse. Schließlich kann man nicht die ganze Zeit lesen!

Die Fähre macht um 23 Uhr im Hafen von Melilla, einer spanischen Enklave in Marokko, fest. Wir stellen uns irgendwo in der Stadt einfach an den Straßenrand und gucken im Aufbau nach, wie es dem Kater geht. Niger liegt tiefenentspannt unter unserer Bettdecke und öffnet zur Begrüßung verschlafen ein halbes Auge, bevor er sich wieder zusammenrollt.

Wir übernachten gleich an dieser Stelle und freuen uns, dass die Schaukelei vorbei ist.

Afrika!

Diverse Reiseführer hatten uns vorgewarnt: mit einem algerischen Visum im Pass bekommt man in Marokko Schwierigkeiten. Und: für das Fahren mit einem schweren LKW in Richtung Algerien muss bei der Deutschen Botschaft in Tanger eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden. Da wir diese Genehmigung trotz langwieriger Bemühungen nie erhielten und in unseren Pässen unübersehbar das algerische Visum prangt, machen wir uns auf einiges gefasst.

Der Zöllner weiß das alles nicht, daher ist die Einreise nach Marokko unproblematisch und - für afrikanische Verhältnisse - sehr schnell: sie dauert aufgrund der ganzen Formalitäten nur zwei Stunden. Man muss hier eben etwas umdenken.

Durch eine trockene, karge Hügellandschaft im Norden Marokkos führt die Straße nach Algerien. Weil es nicht viel Interessantes zu sehen gibt, unterhalten wir uns über eine Episode während einer Marokko-Rundreise, die wir ein paar Jahre zuvor gemacht haben.

Wir waren mit einem Mercedes 608 unterwegs und haben uns das schöne Land angesehen. Ich weiß noch, dass wir irgendwo an der Piste bei netten Leuten eine größere Menge Aprikosen gekauft haben. Die Früchte waren klein, lecker und sie haben das ganze Auto mit einem unglaublichen Duft erfüllt.

Das muss irgendwo in der Nähe des Rifgebirges gewesen sein. Unsere Obstbauern waren die letzten freundlichen Menschen, die wir bis zum späten Nachmittag treffen sollten. Trotz der Warnungen anderer Reisender, dass hier im Rifgebirge versucht werden könnte, uns Haschisch zu verkaufen, haben wir diese Route gewählt, weil die Gegend so schön war und weil wir blauäugigerweise dachten, wenn wir kein Haschisch kaufen, kann auch nichts passieren.

Also ignorierten wir die wild armeschwenkenden Verkäufer am Straßenrand und fuhren einfach durch. Und vorbei an den nächsten Haschischhändlern, und vorbei an den übernächsten... bis die ersten Steine hinter uns herflogen, weil die Jungs uns zum Kauf zwingen wollten.

Da war das Rifgebirge schon weniger schön, vor allem, als die Aggressivität uns gegenüber zunahm und kein Ende der Strecke auf der Gebirgsstraße in Sicht war.

Als er sah, dass vor uns am Straßenrand wieder große Steine aufgehoben wurden, um uns zum Anhalten zu zwingen, verlegte Peter sich auf ein Täuschungsmanöver: er hat mit einem kurzen Schwenk bei voller Fahrt so getan, als wollte er die Steinewerfer über den Haufen fahren. Jetzt machte uns die Fahrt überhaupt keinen Spaß mehr und wir bekamen beide extrem schlechte Laune.

Während einer kurzen Pause in einer haschischhändlerfreien Zone haben wir Kriegsrat gehalten: was machen wir bloß? In Luft auflösen ging ja nicht, und wer weiß, wie viele Verkaufsplätze noch kommen? Peter hatte die rettende Idee.

Ca. 1 km weiter: die Händler sehen ein Touristenauto, nämlich unseres, auf sich zukommen und bewaffnen sich mit Steinen. Das Auto kommt näher, ohne langsamer zu werden. Die Person auf der Beifahrerseite, die wie eine Ungesunde mit zwei bunten Plastik-Fliegenklatschen fuchtelt, hätte man ja noch „für Touristen recht normal“ gefunden.

Aber aus dem geöffneten Seitenfenster auf der anderen Seite streckt der Fahrer seinen Kopf und blickt starr nach vorn. Er hat einen unglaublich riesigen schwarzen Schnurrbart, so einen hatte man noch nie gesehen. Der Bart ist mindestens 10 cm hoch und 30 cm breit...

Ohne zu bremsen, sausen wir an mehreren fassungslosen Männern und halbwüchsigen Jungs vorbei, denen der Mund offensteht und die ihre Steine einfach fallengelassen haben.

Als die Luft wieder rein ist, nimmt Peter den Handfeger aus dem Mund und legt ihn neben sich, für den nächsten „Überfall“. Peters Idee hat uns den Tag und wohl auch die Frontscheibe gerettet; er musste den Trick auf der kommenden Strecke noch oft wiederholen. Dass die Haschisch-Strecke vorbei ist und die Leute wieder freundlich waren, haben wir später daran gemerkt, dass sie keine Steine mehr aufgehoben haben und sich vor Lachen bogen, wenn der „Große Bart“ vorbeifuhr.

Wieder in der Gegenwart: Unser MAN rollt langsam auf ein paar Baracken an der marokkanisch / algerischen Grenze zu. Wir sind das einzige Fahrzeug hier; kein Wunder, denn auf der Gebirgsstraße haben wir kaum ein anderes Auto getroffen.

Das Zollgebäude ist winzig klein und von der Welt anscheinend vergessen. Die Zöllner müssen sich erst ihre Mützen aufsetzen und die Pistolengurte umschnallen, bevor sie pflichtbewusst den MAN kontrollieren. Ein freundlicher Beamter klettert ins Auto und fragt, ob wir womöglich Bier dabeihätten? Peter gibt ihm eines aus dem Kühlschrank. Der Zöllner bedankt sich und steigt strahlend wieder aus. Kontrolle beendet.

Erfolgsgewohnt stürmen wir die algerische Grenze. Erst - wie überall in Afrika - werden sämtliche Formalitäten mit der Polizei erledigt. Als das nach ca. einer Stunde reibungslos abgewickelt ist, kommt der Zoll dran. Die fragen, wie schwer der MAN ist. Wir nennen die Zahl, die ein freundlicher Mensch in die Zulassung eingetragen hat: 9,7 Tonnen, das Leergewicht. Dass er in Wirklichkeit fast 13 Tonnen wiegt, müssen wir ja nicht unbedingt erzählen....

Aber auch so kommt es noch dick genug. 9,7 Tonnen? Der Zöllner bekommt einen listigen Blick. Wo denn unsere Durchfahrtsgenehmigung vom algerischen Transportministerium wäre? (Zweimal haben wir das Transportministerium während unserer Reisevorbereitungen um diese Genehmigung gebeten. Wir erhielten nie eine Antwort. Fi sittin dahya, wie man hier zu sagen pflegt, 60 Katastrophen mögen sie treffen!)

Hier wird Französisch gesprochen, also verhandle ich. Peter ist nachher für den englischen Teil ab Ostafrika zuständig. Genehmigung? sage ich mit vorgetäuschter Sicherheit, brauchen wir nicht, denn dieses sei ja kein gewerblicher LKW, sondern ein Wohnmobil. Nicke mit wichtiger Miene und weiß es ganz genau.

Der Zöllner ist leider noch sicherer: das Auto wiegt über 3,5 Tonnen. Also brauchen wir sie doch. Peter soll sich morgen früh ein Taxi nehmen und in der 100 km entfernten Stadt Tlemcen die Genehmigung besorgen. Ich möge solange im MAN an der Grenze bleiben. Ja, das habt ihr euch wohl so gedacht!

Wir nehmen das Ganze äußerlich gelassen hin, erklären uns zu allem bereit und legen beiläufig ein arabisches Empfehlungsschreiben vor. (Noch von der letzten Reise. Wie gut, wenn man alles aufbewahrt). Außerdem lade ich erneut sämtliche Zöllner zur Besichtigung des MAN ein, damit sie sehen, dass er wirklich ein Wohnmobil ist und wir keine Genehmigung brauchen. Aber, wendet der Zöllner ein, über 3,5 Tonnen! Jaja, gebe ich zu, aber ein WOHNMOBIL...

Sie studieren das Empfehlungsschreiben sehr anerkennend. Vielleicht, meint schließlich einer von ihnen, gibt es doch noch eine Möglichkeit. Erstmal möchte er sich das Auto ansehen. Na endlich! Auf dem Weg dorthin probiere ich meine arabischen Sprachkenntnisse an ihm aus. Er ist beeindruckt und freut sich sehr, sieht sich das Wageninnere genau an und bestätigt dann, dass es sich wirklich um ein Wohnmobil handelt.

Im Zollgebäude meldet der Oberzöllner ein Telefonat nach Tlemcen an und hat eine ganze Weile zu reden. Er kommt zurück und macht sich Notizen. Dürfen wir denn nun passieren? Ja, wir dürfen. Ich glaube, die Beamten sind auch ganz froh, dass sie uns Nervensägen nicht noch eine Ewigkeit dort sitzen haben.

Mit frischem Mut füllen wir 99 weitere Zettel aus: Devisenerklärung, Zwangsumtausch, Autoversicherung usw. Anschließend nehmen sie sich mit vier Mann das ganze Auto vor, durchsuchen fast alles, rühren sogar die Dose mit der Farbe um, um zu sehen, ob nichts anderes darin ist, lassen sich ein paar Kleinigkeiten schenken (Kugelschreiber, Kaugummi, Luftballons) - für meine Kinder, Madame! - und haben es anschließend geschafft, dass der Inhalt des halben Autos draußen herumliegt. Unser Geheimfach mit den bereits in Deutschland getauschten Devisen entdecken sie nicht; das Versteck ist perfekt.

Bis wir alles wieder eingepackt haben und auch der letzte Stempel im Pass ist, sind vier Stunden vergangen.

Schon bei unseren vorhergehenden Afrika-Reisen haben wir die Erkenntnis gewonnen, dass es nicht den geringsten Nutzen hat, sich während einer Grenzkontrolle aufzuregen, Eile zu zeigen oder gar zu schimpfen. Die Zöllner haben garantiert mehr Zeit als wir und durchsuchen mit kindlicher Freude ein Fahrzeug umso gründlicher, je mehr man sie antreibt.

Auch das Verweigern von kleinen Geschenken, um die meistens höflich gebeten wird, hat keinen Zweck. Wir würden in ihren Augen unglaublich geizig wirken, denn das, was Touristen im Allgemeinen in ihren Autos spazieren fahren, bekommt ein dortiger Beamter in seinem ganzen Leben nicht zusammen. Daher halten uns die Afrikaner für sehr reich. Wer könnte ihnen verdenken, wenn sie versuchen, ein ganz klein wenig davon zu profitieren?

Inzwischen ist es stockdunkel geworden. Afrikanische Regel Nr. 1: Fahre nie bei Dunkelheit. Aber bei unseren lieben Freunden an der Grenze hätten wir uns auch nicht so recht wohlgefühlt, also bleibt uns nichts anderes übrig, als noch ein paar Kilometer zu fahren.

Wir kurven auf schmalen, gewundenen Straßen durchs Gebirge und entdecken dann endlich einen Platz neben der Straße. Schön ist anders, denn hier gibt es zahllose Schrott- und Müllhaufen. Beim Rangieren sehen wir dicke Ratten herumwuseln. Aber das ist uns gleichgültig, wir sind echt geschafft! Außerdem ist der Müll schon so alt, dass er nicht mehr riecht.

Beißen Ratten eigentlich? So schnell bin ich sicher noch nie von vorn im MAN nach hinten gekommen. Drei rasche elegante Hüpfer mit auf Alarm eingestellten Schuhsohlen durch die Dunkelheit, ein Satz in den Wohnaufbau, Aufatmen: sie haben mich nicht gebissen. Aufatmen wahrscheinlich auch draußen bei den Ratten: sie hat uns nicht getreten!

Wir machen es uns bequem; Peter öffnet eine Flasche Champagner (bei einer Wette mit Freunden hatten wir fünf Flaschen gewonnen) und wir stoßen miteinander an, glücklich, dass wir die erste Hürde in Afrika mit einer gewissen Hartnäckigkeit genommen haben. Champagner auf einer Müllkippe - eigentlich der Gipfel des Snobismus. Aber Afrika ist sowieso voller Gegensätze, und wir passen uns eben an!

Die Straße, die wir nach einer ungestörten Nachtruhe unter die Räder nehmen, schüttelt uns kräftig durch. Sie wird nach folgendem Rezept hergestellt worden sein: man nehme eine ausgewaschene, alte "Wellblech"-Piste, streiche hauchdünn Asphalt darüber und behaupte dann, man hätte ein gut ausgebautes Straßennetz.

Zur Erklärung für diejenigen, die noch nie das zweifelhafte Vergnügen hatten, auf sogenanntem Wellblech zu fahren: erst ist eine schöne, glatte, frisch mit dem Bulldozer geschobene Erdpiste da. Dann kommen die Autos und verdichten die Erde mal mehr, mal weniger, werfen Steine, bohren Löcher - nach und nach entsteht eine Oberfläche mit Wellblechstruktur. Wobei wir dem MAN zugutehalten müssen, dass er aufgrund seines langen Radstandes noch relativ ruhig über derartige Pisten fährt. Bei früheren Touren mit kleineren Fahrzeugen hatten wir auf den ausgeprägt quer geriffelten Strecken immer das Gefühl, auf einem Presslufthammer zu sitzen.

Die Straße führt durch eine kleine Stadt. Die einstöckigen, windschiefen grauen Steinhäuser lehnen sich aneinander. Hier und da steht ein größeres, besser gemauertes Haus mit einer prächtig verzierten Eingangstür. In den Straßen ist viel Betrieb: Männer mit langen Kapuzenmänteln sitzen in den Straßencafés, vor denen große Holzkohlebecken qualmen. In vom Zahn der Zeit stark angenagten Kesseln wird Wasser für den traditionellen Pfefferminztee heißgemacht, auch einige nicht direkt vertrauenerweckende Innereien schmurgeln vor sich hin.

Tief verschleierte Frauen schleppen schwere Einkaufstaschen. Kleine Kinder spielen, winken uns und rennen ein Stück mit. Auch die Erwachsenen grüßen freundlich; und wir nicken und winken wie bei einem Staatsbesuch pausenlos nach allen Seiten. Oh – pass auf! Ein dünnschwänziger Hund, dem die Rippen aus dem schmutzig braunen Fell herausstehen, rast in Panik aus einer Nebenstraße und läuft uns vor die Räder. Peter bremst stark, der MAN rutscht auf der feuchten, lehmbedeckten Straße aus und zwingt einen Radfahrer zu blitzartiger Beschleunigung. Als er sein Rad wieder in der Gewalt hat, winkt er uns lachend zu. Ein sehr kleiner, krummer Hund verschwindet still und unauffällig um die nächste Ecke, den Schwanz fest unter den Bauch gepresst. Er will es nicht gewesen sein!

Wieder geht die Fahrt bergauf, bergab durch eine wunderschöne Gebirgslandschaft. Tiefe Schluchten, von hohen Nadelbäumen bestanden, ziehen sich weit zwischen den Bergen hin; kleine Wildbäche schäumen neben der Straße. Winzige Blumen säumen den Weg. Abends weichen die Berge langsam zurück.

Wir finden einen ruhigen Platz im Wald. Niger wartet schon hinter der Tür des Aufbaus, denn bestimmt darf er gleich wieder raus und es gibt Neues zu entdecken. Er verschwindet voller Vorfreude im Unterholz; Wildschweine jagen. Schnell ziehen dunkle Wolken herauf und plötzlich ist es finstere Nacht geworden. Schlagartig gießt es wie aus Eimern; Blitz und Donner toben ohne Pause. In Abständen von wenigen Sekunden wird der Wald taghell erleuchtet. Der Regen prasselt so laut aufs Dach, dass wir uns anschreien müssen, um etwas zu verstehen. Peter will den Kater suchen, aber ich möchte nicht so gern, dass er vom Blitz gegrillt wird. Also ruft er Niger von der Tür aus, doch der antwortet nicht. Nach einer Stunde ist das Unwetter vorübergezogen; es tropft nur noch von den Bäumen.

Wir rufen den Kater, der daraufhin laut jammernd und wehklagend aus seinem Versteck unter dem MAN herauskommt. Die Leiter heraufsteigen kann er leider nicht mehr, die Angst hat ihn völlig entkräftet. Peter hebt ihn ins Auto und Niger schnurrt, so laut er kann. Nach einer halben Stunde hat er alles vergessen und will wieder raus.

Im Laufe des nächsten Tages werden wir alle paar Kilometer von Polizeistreifen kontrolliert. Lästig, immer dieselben Fragen: woher, wohin, warum.... Zum Glück sind die Polizisten sehr freundlich.

Die Berge sind inzwischen völlig verschwunden, der Wald ist immer lichter geworden. Jetzt stehen nur noch vereinzelt Bäume und niedrige Büsche im trockenen Boden. Die Dörfer und Städtchen sind von weiträumig angelegten Müllhalden umgeben; anscheinend werfen alle ihren Müll einfach vor die Haustür. Kein schöner Anblick, so ein Hektar Dosen und Plastiktüten vor jedem Dorf!

Hinter Alphaville (das heißt wirklich so) fahren wir abends ein Stück von der Straße herunter und stellen uns irgendwo ins Geröll. Jeder von uns geht nun seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Peter prüft beim MAN das Öl, ich prüfe drinnen den Schubladeninhalt, um das Abendbrot zusammenzustellen, und Niger prüft, wie gut man sich in den kleinen Steinchen wälzen kann.

Ein Algerier parkt seinen Traktor an der weit entfernten Straße und kommt mit seinem Sohn zusammen angelaufen. Wir begrüßen uns gegenseitig mit ein paar freundlichen Worten und mit Händeschütteln. Der Mann blickt am MAN entlang und fragt, ob wir ihnen einen Kanister verkaufen würden? Ich lehne ab und erzähle, dass wir noch eine lange Reise vor uns haben und alle Kanister selbst brauchen. Was wir dann zu verkaufen hätten? Ein Hemd? Eine Hose? Schuhe? und, leise: Whisky?

Bei unseren vorhergehenden Reisen haben wir von Algeriern erfahren, dass viele einen recht ordentlichen Monatslohn erhalten, aber nur wenig dafür kaufen können. Jedenfalls, was "Luxusartikel" betrifft: Kleidung von guter Qualität, Autozubehör, Radios, Uhren usw.

Auch Whisky haben wir nicht zu verkaufen. Allerdings interessiert mich, was unser Besucher - als Moslem - mit Whisky anfangen will. Hat Mohammed, der Prophet, nicht Alkoholgenuss verboten? Naja, schon, gibt er zu und lacht uns dann verschmitzt an: auf seinem Haus hat er doch ein Dach. Da wird Allah es schon nicht sehen...

Ich zeige ihm eines der zum Tausch bestimmten Hemden. Genau so eines wollte er, wieviel es denn kostet? Ich darf es ihm nicht einfach so geben, denn das würde ihn kränken. Also antworte ich, er möge mir geben, was er für richtig hält. Voller Freude gibt er mir 30 Dinar. Das entspricht 40 Litern Diesel! Nicht schlecht - auch wenn ein Liter Diesel hier umgerechnet nur acht Pfennige kostet, sofern man den Schwarzkurs nimmt.

Wir unterhalten uns noch ein bisschen und er schreibt uns seine Adresse auf. Nun soll ich ihm unsere Adresse geben. Auch das ist so eine Zeremonie in Afrika: man trifft sich, unterhält sich miteinander, macht vielleicht ein kleines Geschäft, findet sich sympathisch und tauscht die Adressen aus.

Ich schreibe unsere Anschrift in arabischen Buchstaben, denn Arabisch habe ich vor unserer Reise ein Jahr lang an der Volkshochschule in Hamburg gelernt. "Ein Jahr Arabisch lernen" heißt übrigens keineswegs, dass ich jetzt auch Arabisch kann. Dafür sind Sprache und Schrift viel zu kompliziert. Aber für den Hausgebrauch reicht es.

Der Algerier nimmt den Zettel, stutzt, strahlt mich an: "Das ist ja Arabisch, danke, danke!" Er schüttelt mir vor lauter Begeisterung fast den Arm aus dem Gelenk und liest dann vor, was ich geschrieben habe. Die Hälfte ist richtig, die andere Hälfte erklärt er mir. Wir reden noch einige Zeit halb Arabisch, halb Französisch miteinander, bevor Vater und Sohn sich von uns verabschieden und zu ihrem Trecker zurücklaufen.

Es wird schnell dunkel; der Wind frischt auf, draußen sind nur noch 12 Grad. Weit weg grummelt ein Gewitter. Niger kommt vorsichtshalber rein.

In den nächsten Tagen tauschen wir an diversen Tankstellen unsere alten Hemden gegen Treibstoff. Der Marktwert von 30 gut erhaltenen Hemden der Marke "Riesenkragen" beläuft sich umgerechnet auf ca. 800 Liter Diesel.

Am 18. November erreichen wir Ghardaia; eine Stadt, die aus mehreren, auf Hügeln erbauten Städten zusammengewachsen ist und von weitem nur aus weißen und hellblauen ineinander verschachtelten Häusern besteht, überragt vom hohen Turm der Moschee.

In der Stadt herrscht reges Leben; lautes Stimmengewirr liegt in der stauberfüllten, heißen Luft. Vor einem bis unters Dach mit Plastikeimern, Gießkannen, Matten und Draht gefüllten Kramladen ist ein Esel angebunden. Er wartet geduldig in der prallen Sonne, ohne sich zu rühren oder auf unsere Ansprache zu reagieren. Nur wenn die vielen Fliegen zu lästig werden, schüttelt er kurz den Kopf. Sein Herr kommt aus dem Laden und belädt sein Lasttier mit Unmengen soeben erstandener Sachen. Aus dem Berg von Matten und Kannen gucken bald nur noch vier stämmige graue Beine heraus. Nach einigen kurzen Stockhieben setzt sich der Esel widerwillig in Bewegung und verschwindet langsam, schwankend um die nächste Ecke. Er teilt dieses Schicksal mit allen Lasteseln Nordafrikas. Der Anblick ist uns schon lange vertraut, aber trotzdem tun uns die armen Tiere leid!

Die Menschen hier sind sehr zurückhaltend. Niemand drängt sich als Führer auf oder nötigt uns, irgendetwas zu kaufen, keiner versucht zu betteln. Welch ein Gegensatz zu marokkanischen Städten!