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BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7431-8646-0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

MARKDORF IM NOVEMBER 2016

Hexenkessel. Nach wie vor haftet dem Balkan diese Begrifflichkeit an. Denn in der Tat brodelt es auf der ganzen Länge des Dinarischem Gebirgskammes noch immer. Längst ist der Jugoslawienkrieg traurige Geschichte aber die Wunden und tiefen Krater, mit denen ganz Balkanien überzogen ist, klaffen aus der aufgerissenen Erde und den eingerissenen Häusern. Infiziert von einem aggresiven Virus, verbreitet durch Ethnien aller Art, schleicht sich eine ganz neue Krankheit ein, die sich religiöser Fanatismus nennt. (Auch unter dem Namen Islamismus bekannt, was übrigens nicht zu vergleichen ist mit dem durchaus toleranten Islam.)

Großflächig versucht diese Malaise Besitz zu ergreifen von geschwächten Regionen, anstatt sich nach langen Zeiten religiöser Grabenkämpfe langsam auszuschleichen und wie eine Borke endlich von der Oberfläche eines gezeichneten Landes abzufallen. Der Heilungsprozess ist zwar im Gang, geblieben jedoch sind Narben unter der Borke, und neue Geschwüre tun sich mancherorts auf. So in Bosnien, in Serbien, in Montenegro. Vom Kosovo und der Stadt Mitrovica ganz zu schweigen. Auch in Mazedonien brodelt es nach wie vor, was selbst für uns laut vernehmbar war und ist, gab es doch im Frühjahr 2015 in Ohrid aufständebedingt über 70 Tote zu beklagen.

Anders hingegen ist die Lage in Albanien. Denn dieses Land hat seine Geschichte längst zornfrei hinter sich gelassen, ohne sie dabei je in Vergessenheit geraten zu lassen. Auch wenn nach wie vor eine symbiotische Beziehung zwischen weiten Teilen von Verwaltung und Politk besteht und durch Korruption organisierte Kriminalität an der Tagesordnung ist. In diesem Land stinkt vieles zum Himmel, während die Wirtschaft am Boden kauert und die Arbeits- wie Perspektivlosigkeit manche Seele auffrisst. Dennoch ist der Albaner per se weder unzufrieden noch neidet er den Nachbarn irgendetwas, würde sich womöglich gar darüber lustig machen.

Während die Bosniaken ihrerseits die Montenegriner belächeln, die angeblich im Ansehen sämtlicher Nachbarländer den Ostfriesen in nichts nachstehen, während die Serben die Bosniaken nicht ausstehen können, die Mazedonier niemals auch nur einen Fuß in das Kosovo setzen würden, belächelt jeder aber den Albaner im Allgemeinen. Grundsätzlich jedoch scheint es so, dass die Bevölkerung der Skipetaren auf dem ganzen Balkan kein großes, ach was, überhaupt kein Ansehen genießt.

Dem Albaner indes ist das völlig schnuppe. Er hat bestenfalls ein mildes Lächeln für seine Nachbarn übrig und kann über sich selbst und die Zustände in seinem Land am allerlautesten lachen. Denn eine absolut sympathische Eigenschaft der Albaner ist ihre Fähigkeit, die kleinen wie großen Schieflagen und Katastrophen in Politik, Gesellschaft und Alltag mit Humor zu nehmen. So nimmt auch der Albaner sämtliche Vorurteile, die von Engstirnigkeit zeugen und die Religion als Schürhaken des Hasses in diesem lodernden Feuer unter dem Hexenkessel dient, weder für bare Münze noch als ernsthaft diskutables Argument. Denn Kleinigkeiten, wie Religionszugehörigkeit sind weder von gesellschaftlichem Belang noch von machtpolitischer Bedeutung.

Der Albaner an sich hat nämlich ganz andere Sorgen als der dogmatische Moslem oder der unbarmherzige Christ.

Jetzt soll dieses Buch keinesfalls ein kritisches Werk für oder wider jeglichen Glaubensbekenntnisses werden. Mitnichten aber kommt man auf Balkanien an diesem Thema gänzlich vorbei. Glücklicherweise jedoch gibt es noch viele andere Geschichten, die mit Geschichte und Gesinnung aber auch gar nichts zu tun haben, an denen man aber gerne (nicht) vorbei kommen möchte.

Viele dieser Geschichten sind uns auf unserer Reise widerfahren. Ob es tatsächlich alle waren, die möglich gewesen wären, lässt sich nicht nur nicht sagen, sondern prinzipiell und rein rechnerisch nicht be- noch widerlegen. Denn wiche man nur eine Sekunde lang von seinem Weg ab, wäre der Verlauf vermutlich ein ganz anderer. Insofern stellt sich vielmehr die Frage: Was wäre denn gewesen, wären wir zu keiner Zeit von unserem Weg abgewichen? Wie hätte sich die Geschichte fortgeschrieben? Wären wir heute alle wieder zurück in der Gallusstraße, säßen am warmen Kachelofen und würden Pläne für die nächste Reise schmieden?

Was wäre gewesen ohne die SMS von Vreni und Hendrik: „Das schafft ihr mit dem Wohnwagen niemals!“? Hätten wir’s gewagt und womöglich nicht geschafft? Oder hätten wir’s gelassen? Müßig, darüber nachzudenken. So müßig, wie über die Frage: Sollten wir den nächsten Urlaub nicht besser zuhause verbringen, damit wir uns keiner Gefahr aussetzen?

Von daher ist das Abenteuer Balkanien 2.0 nur eine Möglichkeit von vielen, einen Urlaub so oder so zu verbringen.

Wir verbrachten ihn so ...

Good bye, Gallusstraße

MARKDORF, 30 . JULI 2016

Zugegeben, das Auto ist neu, die Idee nicht mehr so ganz. Und unser Wohnwagen, der ist so richtig alt und feiert in diesem Jahr seinen 20. Geburtstag. Gehört somit schon fast zu den Oldtimern unter den Rolling Homes. Und obwohl unser alter Golf, das tapfere und unermüdliche Dieselross, diese Reise nicht mehr mit uns antreten wird, weil er einem neuen Mercedes (nicht) gewichen ist oder besser gesagt, dieser Karosse einfach nicht gewachsen war (gut, Paula, meine Große, hatte sich im Kräftemessen geübt), war die Idee bereits im vergangen Jahr kurz nach unserer Heimkehr von „Balkanien“ geboren. Bleibt also zu hoffen, dass unser neues Familienmitglied, der Mitshubishi, ihn gebührend vertritt.

Was damals – einmal quer über den Balkan bis in den Norden Albaniens – für Viele ein absolutes No-Go war, fand heuer rasch in den Gemütern mancher alten Zauderer eine neue Nische. Grauenhaft, dreckig, heiß, ärmlich – einfach dumm, dirty und draufgängerisch waren nur einige Adjektive, die dieses Unterfangen untermalen sollten. Immerhin wurden wir seit geraumer Zeit und seit unserer Bewährungsprobe nicht mehr für komplett verrückt erklärt, was unser „neues“ Reiseziel anbelangt, das uns nun über teilweise altbekannte Routen einmal mehr über „Balkanien“ bis ganz in den Süden Albaniens führen soll.

Die Schriftstellerin Mary Edith Durham hat’s als eine der ersten allein reisenden Frauen Ende des 19. Jahrhunderts vorgemacht und mit dem Klassiker „High Albania“ ein schillerndes Kaleidoskop eines Landes erschaffen, das ihr auf diesem Trip ganz besonders an’s Herz gewachsen war. In Anlehnung an dieses Opus Magnum und auf den Spuren Marys wollen wir nun morgen aufbrechen und uns frei nach Gusto und Bauchgefühl (das sich so kurz vor Abfahrt übrigens als äußerst flau erweist) über Slowenien, Kroatien, Bosnien und mitten durch Montenegros grandiose Bergwelt mit viel Zeit im Gepäck nach Albanien leiten lassen. Vielleicht führt uns ein Abstecher nach Mazedonien, in dieses kleine unbekannte Land, das für uns bislang nichts als ein weißer Fleck auf der Landkarte darstellt. All das wird sich im Laufe der „erfahrenen“ Strecke mit sämtlichen Unwägbarkeiten ergeben und situationsabhängig entschieden, immer unter der Prämisse der politisch halbwegs sicheren Lage. Denn so ganz fern der Krisengebiete werden wir uns wohl nicht immer aufhalten. (Alternativ könnten wir somit auch nach Frankreich fahren oder einfach zu Hause bleiben.)

Ob wir es binnen eines Zeitraumes von zirka fünf Wochen tatsächlich schaffen werden, mit unserem Wohnwagen-Gespann das südliche Butrint an der Grenze zu Griechenland und gleichzeitig das albanische Arkadien zu erreichen, das steht zum einen in den Sternen, zum anderen unter den Vorzeichen des gutgesonnenen Halbmondes. Aber wenn wir eines bereits gelernt haben, dann waren dies nie Etüden über das Manifest irgendwelcher Konfessionen oder Glaubensbekenntnisse und schon gar nicht Lehrstücke von Menschen, die ihre religiöse Weltanschauung doktrinär verströmen. Ganz im Gegenteil lehrte uns auf unserer Reise im vergangenen Jahr nicht nur ein ganzes Volk allergrößte Gastfreundschaft, selbstverständliches Miteinander, uneingeschränkte Toleranz und verblüffende Weltoffenheit, was schon Lord Byron mit seinen eigenen Worten beschrieben hat:

„Während sich der eine als Christ bezeichnet und der andere als Moslem, bezeichnet sich der Albaner einfach als Albaner.“

In diesem Sinne sage ich als polyglotte Allgäuerin:

Good bye, Gallusstraße!

Hi, Albania!

Pfiagott und Mirëdita!

Alle Wege führen zum Campingplatz. Denn Platz zum Campen ist überall.

Wir sind dann mal weg!

S T. MICHAEL, A, 31. JULI 2016

Was sich aus unseren Schlussfolgerungen bezüglich der Staumeldungen des zu Ende gehenden Wochenendes entwickelt hatte, zeichnete sich schon in München als eine sehr gute Entscheidung ab. Nämlich unsere Abfahrt auf Sonntagnachmittag zu vertagen. Den Stau am Mittleren Ring deutete lediglich Marlene im übertragenen Sinne mit einem Seitenhieb in meine Richtung, aber ansonsten war da schlichtweg keiner! Auch Salzburg und den Tauerntunnel locker gepackt, floss der Verkehr nicht weniger flüssig, so, wie auch der Regen. Wobei der nicht nur floss, sondern regelrecht strömte … Kann ja auch nicht jede Reise so beginnen, wie die im vergangenen Sommer.

„Ab jetzt kann’s nur noch besser werden“, waren Jörgs Worte, als wir um zirka 22 Uhr den Caravanstellplatz in St. Michael im Lungau erreichten.

Der nächste Morgen war weder klar noch warm und obendrein stand neben unserem Bett eine gewaltige Wasserlache. Nein, nicht doch … Honi soit qui mal y pense …

Nach langen und ernsthaften Überlegungen und einem kurzen Indizienprozess schob ich dieses Malheur kurzerhand auf das undichte Heckfenster, das am Abend vor Abfahrt, nach ein paar Bieren bei Dreas und einem Regenguss in der Gallusstraße einfach nicht geschlossen wurde. Punkt.

Besser jedoch wurde es damit noch nicht gleich. Auch nicht trockener … Aber gut Ding will bekanntlich Weile haben.

Picknick am Autoput

DUGO POLJE, HR, 1. AUGUST 2016

Wer kennt ihn nicht, den berühmt berüchtigten Autoput von Zagreb nach Belgrad? Eigentlich wollten wir diese Route nie und nimmer fahren, waren wir doch eher auf Gemütlichkeit und Beschaulichkeit aus. Aber so lässt sich’s einfach nicht in der Zeit so weit kommen, wie wir uns das vorgenommen haben. Also Augen zu und durch und erst mal Strecke machen! Oder erst mal rein nach Zagreb. Denn bislang lief’s verdammt gut und der Hauptstrom floss Richtung Meer und Split ab.

Zagreb war Hölle unter der diesigen Dunstglocke; immer wieder Nieselregen und ständig Dieselabgase irgendwelcher „nostalgischer“ Autos und Lastwagen der Marke „Yugo uralt“.

Dann endlich durch, verlief die Fahrt eigentlich locker flockig. Oder einfach deprimierend, dröge und langweilig?

„Polje“ heißt „Feld“, und „Feld“ bedeutet bekanntlich „flach“. Oder einfach topfeben. Und jedes dieser Felder um Zagreb und Umgebung hat einen Vornamen. Wie bei Kißlegg das Hasenfeld eben (das hier Zec Polje heißen würde). So tuckerten wir also durch sämtliche Poljes des serbokroatischen Wortschatzes und Tierreiches und waren einfach nur desillusioniert ob dieser Ödnis. Denn unsere Reise im vergangenen Jahr war weder von Regen begleitet, noch von solcher Hässlichkeit. ABER! Und darüber waren wir informiert! Der Autoput hat rein gar nix mit Road-Movie-Romantik zu tun, noch könnte Sonnenschein von all seiner schäbigen Tristesse ablenken. Vielmehr war das für die längste Zeit die allergrößte Ganovenmeile über den Balkan. Von dem her gab es also gar nicht so vieles zu beanstanden. Und der reinwaschende Regen war sozusagen der passende Begleiter auf dieser Etappe.

„Ey Läudde, da steig ich jetzt echt nicht aus!“ Jawoll, das waren die Worte einer unserer Töchter, die längst zu jener Generation gehören, welche alle Menschen (vormals auch als Mama und Papa bekannt) nicht mehr mit „Altahh“ (geschlechtsneutral!) ansprechen, sondern neuerdings zu „Läudde“ machen. (Wem kümmert schon der Akkusativ?)

Als neue „alte“ Eltern haben wir also den Rastplatz mit dem abgefackelten Restaurant, der runtergekommenen Tankstelle, dem versifften und von besseren Zeiten (oder noch schlechteren?) träumenden Klöhäusle, dem komplett zugemüllten Parkplatz sowie dem beißenden Odeur von Urin, das beim Aussteigen unmittelbar die Nasenschleimhäute zu verätzend drohte, abgesehen und haben den nächst besseren angefahren.

Der aber kam nicht …

Jörg hatte recht. Es konnte von nun an wirklich nur noch besser werden. Allerdings nicht unmittelbar. Bevor uns der Autoput so richtig in seinen Bann zog, schafften wir es, die Kurve Richtung Banja Luka zu kriegen. Und siehe da! Autobahn runter – Landstraße rauf, verlief das Reisen wieder in erstaunlich geregelten, um nicht zu sagen beschaulichen Bahnen.

Den Wohnwagen im Schlepptau, steuerte ich (jawoll: ich!) unser Gespann einmal quer„polje“ein, und wir konnten sogar dem „großen Feld“ etwas Schönes abgewinnen. Die Sava, der Grenzfluss zu Bosnien, ist zumindest so eine Landmarke, die einen doch tatsächlich mit ihrer Anmut in ihren Bann zieht.

Aber dann, apropos Bann: Der Fluss war auf einen Schlag gebannt. Zumindest der Autofluss, und das durch den Schlagbaum. Unvermittelt standen wir zirka zwei Kilometer vor der Grenze zu Bosnien und damit vor zirka zwei Stunden Wartezeit.

„Nein, schön finde ich die Sava jetzt echt nicht mehr, wenn die so einen Aufruhr verursacht“, war es Jörg, der ansonsten recht ruhig alles zur Kenntnis nimmt und eigentlich immer das Beste daraus macht – aber nun Vergleiche zum Ruhrgebiet zieht (denn der Grenzort Nova Gradiska hatte durchaus vergleichbares Potenzial).

Jetzt aber gab es keine Wahl mehr zwischen Bestem und Zweitbestem. Es war einfach richtig besch … Wir standen in der Schlange, dann waren wir endlich an der Reihe und nach 118 weiteren Kilometern über Banja Luka schließlich durch den zauberhaften Vrbas-Canyon, der auch bei Regen seinen Zauber nicht verliert, ziemlich erschöpft im bosnischen Jajce angelangt. Unserem ersten richtigen Etappenziel, das wir bereits im vergangen Jahr mit seinen vielen Hunden kennengelernt haben. Aber das war eine andere Geschichte.

Erstes Picknick am Autoput. Als Ernüchterung erwies sich nicht nur der Abwasch ...

Erstes Frühstück in Jajce / Bosnien. Trübe Stimmung war gestern.

Die Pinguine von Jajce

JAJCE, BIH, 2. AUGUST 2016

Diejenigen, die sich an die „Höllenhunde von Jajce“ erinnern, erwarten hier bestimmt eine Neuauflage der nächtlichen Gefechte sämtlicher bosnischer Straßenköter. Aber ganz falsch gedacht: Die Hunde sind weg, dafür sind die Pinguine da! Und viel mehr noch ist da. Über das ich in der Kürze der Zeit gar nicht berichten kann. So vieles haben wir in diesen heutigen Tag gepackt. Also müssen ein paar Stichworte genügen, um Überzeugungsarbeit zu leisten, dass wir wohlauf sind.