300 Seiten, 44 Farbbilder

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Deutschen Nationalbibliothek

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© 2018 Foto Gisela

Lektorat: Beatrix Falkenberg

Covergestaltung: J. P. F. Berke

Satz und Layout: J. P. F. Berke

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783744853910

INHALTSVERZEICHNIS

Ein Brief nach Denpassar

Sehr verehrte Frau Doktor Klugin,

nun muss ich Ihnen einen langen Brief schreiben. Wie Sie wissen, wollte ich Ihnen, als wir im April 1996 auf dem Äquator umher krochen, die Geschichte von den tanzenden Kamelen erzählen. Also, irgendwie kam es nicht dazu. Entweder verschlossen Sie Ihr Gehör vor mir oder Sie wurden von irgendwelchen anderen Dingen abgelenkt. Zu viele Eindrücke stürmten auch auf uns ein. Nun muss ich alles von den Kamelen aufschreiben. Eigentlich ist dies eine ganz schöne Zumutung! Warum wollten Sie mir nicht auf dem Airport Mau Hau auf Nusa Sumba zuhören? Auch wäre in Sumba, am Tag als der kleine Flieger wegen unseren vielen Koffern die Nase in die Luft hob, und er sich auf den Schwanz setzte, genügend Zeit gewesen. Nein, Sie wollten nicht! Sie waren viel zu aufgeregt, zu nervös, vielleicht wegen der "rote-Rosen-schenk-ich-schöne-Frau" vom mitreisenden Operettensänger oder wegen dem Angetörne des Herrn Drogisten. Wie immer es auch gewesen sein mag, so muss ich doch noch, korrekter Weise, liebe Frau Doktor Klugin, hier erwähnen, dass Sie mich zuletzt, an unserem Abschiedsabend, auf Nusa Dua, nach den "Tanzenden Kamelen" gefragt haben. Zu einem unmöglichen Zeitpunkt, so spät in der Nacht, dass ich meine Gedanken nicht mehr sammeln konnte, und außerdem wollte ich auch nur die Wahrheit erzählen. Wissen Sie, das war da an der Säule im Tempel Batu Bolong, wo ich Sie fotografierte, na, ich kann das jetzt gleich mitteilen, das Foto gelang nicht, es wurde ganz unscharf. Habe das nicht verstanden. Eigentlich sind Sie doch nie so unscharf gewesen! Lag wohl an der Dunkelheit oder an dem so bekannten Skorpion-Syndrom. Diese schwere Krankheit, auch ich leide - wie Sie wissen - an dieser Neurose, führt immer wieder dazu, Wahrheiten zu verzerren oder diese aufzublähen und verleitet sogar zu lügnerischen Übertreibungen. Zumindest bin ich mir dieses Zustandes sicher. Doch bei Ihnen, Frau Klugin - gestatten Sie mir bitte den „Doktor” wegzulassen, verehrte, gnädige Frau - scheint das Skorpion-Syndrom besonders weit fortgeschritten zu sein. Nur drei, von vielen Ereignissen, werde ich hier zur Bestätigung meiner Feststellungen aufführen.

Während unserer Seereise nach Loh Liang behaupteten Sie, dass in den Gewässern am Äquator viele Wale umherwimmeln würden. Darauf forderte ich Sie auf, mir diese Riesentiere zu zeigen. Das konnten Sie nicht, es gab keine dort! Was sollten die da auch, unter der senkrechten Sonne umeinander plantschen? Hab ich schon in der Schule gelernt, Süd- und Nordwale, jeder bleibt wo er ist. Südwale eben südlich vom Äquator und Nordwale, na, das können Sie sich selber denken. Kommt ein Wal in die Gegend des zehnten Breitengrades, dann weiß er schon, nicht weiter schwimmen, dort unten oder dort oben, da ist der Äquator, also umdrehen. Hier, so denke ich, kann es sich nicht - bei Ihrem langen Studium, nur um eine Unwissenheit handeln.

Ihre schwere Krankheit verleitete Sie sogar dazu, sich in andere Fachbereiche einzumischen! Schon mein Vater sagte immer zu mir: „Schuster bleib bei deinem Leisten!”. Nein, aber nein, Sie wurden immer wieder vom Teufel geritten, sorry, vom Skorpion-Syndrom, und legten sich sogar mit dem Doktor der Pharmazie an! Mein Gott, der Mann hat doch in Sachen Malaria promoviert und da wollen Sie es auch noch besser wissen! Der Herr Apotheker hat doch wirklich deutlich genug zu verstehen gegeben, dass die Mücken auch dann nicht eingehen, wenn man die Pülverchen auf ihre Flügel streut! Also, merken Sie sich bitte, Schuster bleib bei deinem Leisten! Lassen wir es dabei. Die Schwere Ihrer Erkrankung wird besonders durch das dritte Ereignis bestätigt. Am 8. Mai 1996 stand ich am Nachmittag im Dorf Pu'u Naga in Ihrer unmittelbaren Nähe. Sie, Frau Doktor, bewunderten einen Hengst, der, so wie es männliche Tiere immer tun, von einer schönen Stute träumte. Zu gleicher Zeit ließen sich einige Dorfbengels von Frau Rechtsanwältin fotografieren. Mit schriller Stimme kommandierte diese die Kinder lauthals in eine fotografische Schussposition. Sie aber, gnädige Frau, wurden durch die Schreierei aus Ihren Gedanken gerissen und stellten auf einmal fest:

„Ach, was für eine schöne Yoni, das find ich ja toll, hier, an einem Dorfrand auf Sumba“. Wirklich, dies war der eindeutige, dritte Beweis, eines eklatanten, weit fortgeschrittenen Stadiums des bekannten Syndroms. Dieser Vorfall hat mich derart erschüttert, dass ich ihn erst im Kapitel SUMBA abschließen konnte!

Arme, kranke Frau Klugin! Leider ereigneten sich viele, weitere Vorfälle ähnlicher Art während der Zeit unserer gemeinsamen Reise durch die indonesische Inselwelt. Auch denke ich, dass ihre Erzählung von der Dracheninsel vom Skorpion-Syndrom geprägt wurde. Damals, als wir uns im Spätherbst 1998 in Java wieder trafen und Sie mir ihre Robinsonade erzählten, fiel es mir schwer, Wahrheit und Dichtung auseinander zu halten. Vielleicht werde ich auch dieses Abenteuer, ob nun wahr oder unwahr, unter dem Titel “Verschollen in Nusa Tenggara” aufschreiben.

Obwohl auch ich, wie schon erwähnt, eine gewisse Anfälligkeit gegenüber dieser Erkrankung, hier sind es vor allem astrologische Einflüsse, besitze, bemühe ich mich immer, wahrheitsgemäß zu berichten. Es liegt mir fern, Tatsachen zu verzerren oder diese aufzublähen oder sogar lügnerisch zu übertreiben. Nur die Wahrheit, die reine Wahrheit berichte ich. Dieser bin ich verpflichtet, liebe Frau Doktor, sie wird schon durch den Titel „Tanzende Kamele” zum Ausdruck gebracht. Erst fand ich die Überschrift „Tanz der Kamele“, doch diese Aussage wäre falsch, da hier der Eindruck entstehen könnte, dass die Kamele nur einmal getanzt haben. Das stimmt eben nicht, denn die Viecher tanzten fast täglich! Bevor ich nun beginne - oh mein Gott, was graust mir vor dieser langen Story - sei noch bemerkt, dass ich unter kameltanz die Abspeicherung in meinem Computer vornehme. Damit dürften für alle Zeiten die künstlerisch so wertvollen Darbietungen der Kamele festgeschrieben und dokumentiert werden.

Entschuldigung, es muss noch etwas nachgetragen werden, von diesem Syndrom und ich denke, ich kann Ihnen Hoffnung machen. Meine Frau hat mir soeben berichtet, dass die Freundin ihrer Nachbarin in Namibia war. Sie hätte als Malariapropylaxe ein Mittel geschluckt, das bei ihr epileptische Anfälle ausgelöst habe. Vielleicht war es das gleiche Zeug, das bei Ihrem Mitreisenden, liebe Frau Klugin, die Lähmung bewirkte. Wenn diese Information meiner Frau stimmen sollte, kann man, so denke ich, das von Ihnen mit dem Herrn Apotheker geführte Streitgespräch nicht mehr als Krankheitsbild des Syndroms ansehen.

Der Wahrheit verpflichtet, muss ich Ihnen noch etwas mitteilen. Auf dem Rückflug hatten wir auf dem neuen Airport in Jakarta einen längeren Aufenthalt. Dort entdeckte ich in einem Buchladen eine schön bebilderte, deutsche Ausgabe der Broschüre INDONESIEN. In diesem Büchlein sind zwei Bilder mit Walen am Äquator abgedruckt. Jetzt bin ich ganz unsicher geworden und ich schäme mich, dass ich Ihnen so ein schweres Syndrom angedichtet habe! Zusätzlich hat mein Freund, er war Seemann, gemeint, ich wäre ziemlich doof, denn die Wale wüssten nicht, wo der Äquator ist! Ob ich schon mal gehört hätte, dass diese Tiere die Äquatortaufe bekommen würden, so wie die Menschen? Hab ich noch nie gehört, vielleicht habe auch nur ich dieses verdammte Syndrom! Moment mal, da bleibt doch noch der Schiffbruch in Nusa Tenggara und das schöne Yoni aus dem Adat-Dorf Pu'u Naga!

Eigentlich sollte ich nun mit diesem Brief Schluss machen. Doch die Kamele sind noch nicht fertig, aber sie werden noch tanzen, sicherlich nur auf dem Papier. Bis ich alles aufge-schrieben habe und auch noch die anderen Geschichten dazu, wird es noch etwas dauern. Aber, ich hoffe sehr, dass es gelingt und vielleicht kann ich Ihnen dann sogar irgendwann mein neues Buch senden. Man kann nicht alles erzählen, vieles liest sich besser. Auch macht es mehr Spaß!

In diesen gesammelten Erzählungen können Sie dann schmökern und Sie werden die “Tanzende(n) Kamele” kennenlernen und sich erinnern, was Sie mir, Frau Doktor, vom “Verschollen (sein) in Nusa Tenggara” berichtet haben.

Sie werden ein Kapitel mit der Überschrift “Im Land der Gegenfüßler” - ein Erlebnis aus Neuseeland finden, das Sie sicherlich wegen der dortigen Lebensweisen, ebenso wie das Abenteuer des Sonnenaufganges auf dem “Nemrud Dag” in der Türkei, interessieren dürfte. Denken Sie bitte daran, dass Sie selbst gern Sonnenaufgänge auf hohen Bergen erleben. Um diesem Laster zur frönen, jagen Sie nächtlings Touristenscharen sogar auf den Vulkankegel Gunung Kelimutu auf Flores. Leider versteckte sich damals die Sonne hinter dicken Wolken und die ganzen Aufregungen und Anstrengungen hatten sich nicht gelohnt.

Im Buch folgt dann noch Kanada, dort waren Sie noch niemals. Darum lesen Sie doch bitte “Auf der Robson Ranch” und was darin vom Rüden River, und vom schwarzen Bären alles aufgeschrieben ist.

Der Besuch “Beim Doktor in Shanghai ” wird Sie sicherlich entzücken und der Schrieb “Die Osterinsel“ in den Pazifik weit entrücken.

Wenn Sie dann alles durchgesehen haben und ihnen immer wieder mein Skorpion-Syndrom aufgefallen ist, dann nehmen Sie bitte einen roten Stift, malen Sie die heißen Stellen an und senden Sie mir die Geschichtchen zurück. Vielleicht weiß ich dann, wie krank ich bin!

Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute und grüße Sie

Ihr

Joachim Berke

Auf Sumba

Reise zu Kleinen Sundainseln Nusa Tenggara Wissenschaftliche und organisatorische Leitung Fran Doktor Klugin

Der Start war auf Bali, dann ein kurzer Flug nach Lombok, von da nach Sumba, mit einem Fischerboot nach der Insel Komodo, dann Flores, von hier wieder durch die Luft nach Timor, Sumbawe und zurück nach Bali.

Sumba

Inmitten der Kleinen Sundainseln in Indonesien liegt Sumba. Unsere Reisegruppe war von Timor mit zwei winzigen Fliegern auf diesem Eiland gelandet. Der sumbanesische Flughafen war eine Stoppelwiese als Flugfeld. Von ihm wurden grasende Haustiere kurz vor der Landung mit Sirenengeheul vertrieben. Ein größeres, gemauertes Gebäude diente als Empfangshalle und bestach durch imposante Werbung des hiesigen Grand Hotels. Übergroße Fotos zeigten Zimmereinrichtungen mit Nasszellen, Duschen und Badewannen. Wir hatten uns schon vier Wochen im Archipel umhergetrieben, waren verschwitzt und schmutzig, rochen aus allen Knopflöchern und so freuten wir uns auf den Luxus der Herberge.

Der Weg bis zu ihr war nicht weit und ich glaube, der betagte Bus benötigte nur knapp 20 Minuten. Frau Doktor Klugin, die Reiseleiterin, gab uns ein Doppelzimmer im Erdgeschoss. Wir waren müde, warfen unser Handgepäck auf die Betten und suchten das Badezimmer.

Die Toilettenschüssel befand sich hinter einem Vorhang aus Binsenrohr, aber eine Dusche war nicht da, es gab sie nicht, nur ein Waschecken im Schlafraum. Immerhin, dachten wir respektvoll, und wuschen uns die Hände. Ich war der Erste und als ich das Wasser laufen ließ, plätscherte es munter in die Porzellanschüssel. Irgendwie bekam ich nasse Beine. Das Abwasser lief in die Schlafstube, rann dann an der Zimmerwand bis zur Tür, um anschließend im Freien zu versickern.

Wir meckerten bei der Reiseleitung, wollten einfach etwas besser, eigentlich nur normal untergebracht werden. Frau Doktor sicherte uns dies zu, heute Abend, wenn wir von der Rundreise zurück sind.

Kulturell gab es eine Mischung der Moderne und Steinzeit auf dieser Insel Sumba. Hier der moderne Flughafen, in den Dörfern Steinzeit. Wir sahen die Männer am Abend von der Arbeit kommen, jeder schleppte einen großen Stein mit sich und legte diesen am Dorfeingang ab. Was sie über Tag getrieben und wo, das erfuhren wir nicht.

Auf der westlichen Spitze des Eilandes war eine Menschenmenge unterwegs. Es wurde ein Grab errichtet. Auf einem schwarzen Steinblock, Frau Doktor sprach von mehr als einer Tonne Gewicht, stand ein kleiner Kerl. Sein spitzer, weißer Bart weht im Wind. Er hatte das Kommando, er war der große Zampano, der Schamane. Zwanzig, fünfundzwanzig muskulöse junge Männer, bekleidet mit Lendenschürzen, zogen den Fels mit zwei Seilen. Tschiebumm, tschiebumm, tschiebumm brüllte der Zwerg, die Ziehenden wiederholten ihr Hauruck. Jedes Kommando brachte den Steinblock zehn bis fünfzehn Zentimeter weiter. Die Jungs schwitzten, die Dorfjugend sprang um den Zug und schrie Tschiebumm. Unsere Ethnologin war total entzückt, sie hatte ganz leuchtende Augen. Wir wunderten uns, warum die zahlreichen ringsum weidenden Rindviecher nicht als Zugtiere eingesetzt wurden.

Frau Doktor war sehr kundig, denn als wir am Dorfrand eine Vorrichtung sahen, es war eine kreisrunde Vertiefung im Boden, sagte sie:

"Guck an, eine Opferstätte für Shiva! Eine Yoni! Sind alles Hindus hier!"

Unser mitreisender Anwalt erkundigte sich bei einem ungefähr Zwölfjährigen nach dem Sinn der Opferstätte. Der Notar aus Freiburg zeigte auf das Erdgebilde:

"Shiva, Shiva?"

Der junge Mann guckte fragend den Anwalt an, schüttelte plötzlich den Kopf, rannte in diese Erdvertiefung, hob seinen Lendenschurz und entleerte sich. Nun wussten wir, dass es die Dorftoilette war.

Unsere Frau Doktor war wieder einmal von ihrem Syndrom genarrt worden, denn eine Yoni war das Gebilde wirklich nicht und der Hinduismus hatte dieses megalithische Dorf mit seinem Ahnenglauben nicht erreicht.

Vor diesem Notdurftereignis sahen wir einen Kriegstanz. Acht Kerle, spärlichst bekleidet, es war ja auch tropisch heiß, mit Messern und Schilden, bezogen mit der Haut der Wasserbüffel, tanzten im Kreis zu dumpfen, donnernden Trommeln mit einfachem Singsang auf dem Dorfplatz. Uns gruselte es. Wussten wir doch, dass in diesem Kulturkreis der unterlegene Feind von den Siegern wegen dem Mana verspeist wurde.

Dankestanz der Kopfjäger nach erfolgreicher Jagd

Am Abend erhielten wir einen neuen Raum, ein Zimmer im zweiten Stock unseres internationalen Hotels. Was soll ich sagen? Die Treppe nach oben war sehr, sehr steil. Die einzelnen Stufen hatten eine Höhe von ungefähr sechzig Zentimeter. Auf dem Absatz vom ersten Stock saß ein älterer Mann in weißen Tüchern vor seiner Zimmertür, daneben eine Frau, bunt gewandet. "Sallam, Sallam alleikum", grüßte er.

Oben, in der zweiten Etage angekommen, schoss Grete gleich in das Zimmer, es war falsch, der Schlüssel passte in jedes Schloss! Ich konnte sie gerade noch daran hindern in ein zerwühltes Bett zu steigen, sie war so müde. Ich sah fremdes Gepäck. Nun, wir fanden noch unsere Bleibe. Ein Raum, von der Sonne durchflutet, heiß, das Bettzeug ziemlich schmuddelig. Als ich mich auf das Linnen warf, stank die ganze Schlafstatt nach altem, abgestandenen Schweiß. Pfui Teufel! Danach zog ich mich an und krabbelte in voller Montur auf die Liege. Ich ekelte mich ungeheuerlich.

Nach dem Essen, am Abend, erhielten wir noch Besuch von Frau Zimmermann auf unserem Zimmer. Sie brachte einen Flachmann, so eine Flasche, die in eine Gesäßtasche passte, voller Rum. Sie und ich soffen die Pulle aus, Grete röchelte ohne Alkohol in ihrem Bett. Die Witwe Zimmermann erzählte mir ihre Geschichte. Ihr Mann hatte einen Herzinfarkt beim Schwimmen in der Cookbucht auf Moorea. Er wurde auch dort begraben, seit fast zwei Jahren, reise sie nun pausenlos hin und her. Ein Mietshaus in Düsseldorf war schon draufgegangen, zwei hätte sie noch, in Köln. Irgendwann schlief ich im Stinkebett ein, ich war müde und es war so heiß. Wann die Witwe uns verließ, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls schaute sie mich am nächsten Tag nicht mehr an, sie schien sauer zu sein, vielleicht weil ich sie nicht in meine schweißnassen Laken eingeladen hatte.

Am nächsten Tag reisten wir ab. Flug in zwei Stoppelhopsern nach Bali. Vorher gab es noch ein Problem. Arbeiter beluden die beiden Vögel mit unseren Gepäckstücken. Erst hob einer der Flieger seine Nase in den Himmel, dann der Andere. Es dauerte bestimmt eine Stunde, bis das Gewicht in den Maschinen so vereilt war, dass wir nach dem System, ein Dicker neben einem Dünnen einsteigen durften. Der Flug zurück in die Zivilisation dauerte nur 45 Minuten.

Verschollen in Nusa Tenggara

Die Fahrt mit dem Fischerboot

Das Schiff trug den Namen Komodo Plus. Es war weiß lackiert, aus Holz gebaut, vom Bug bis zum Heck, ohne ein Stück Eisen. Backbords hing ein alter Rettungsring am Steuerhaus. Bugis, Ureinwohner der Insel Flores, waren die Erbauer des Wasserfahrzeuges. Das Schifflein schleppte eine lange Kunststoffschnur mit einem Haiköder hinter sich her. Der Eigner, ein Seefahrer von der Insel Sumbawe, saß hinter dem Steuer. Sichtbar war sein braundunkles Gesicht, umrahmt von schwarzen, ungekämmten Haaren. Zwei Reihen weißer Naturzähne leuchteten zwischen rotem Zahnfleisch über dem Ruder. Der Kapitän steuerte Komodo Plus ohne nautische Instrumente durch die Inselwelt von Nusa Tenggara. Keine Uhr, kein Kompass, einfach ohne alles, nur so, pie mal Daumen über die Kimm. Schnurgerade nach Osten, sich etwas nördlich vom Äquator haltend, versuchte der Indonesier, die Insel der Drachen mit dem Namen Komodo zu erreichen.

Im kleinen Ruderhaus drängten sich zusätzlich drei weitere Einheimische. Es waren Mahmut Waterman, ein Mann in den besten Jahren von holländischer Abstammung, Roy, ein Christ, der als Reiseleiter tätig war, er stammte aus Java und Hadschi Omar von Sumbawa, ein örtlicher Kontakter. Diese Herren machten schlaue Gesichter, mümmelten auf ihren Kaugummis und schauten über den Bug in die Ferne. Es schien, als ob sie das Ziel herbeizuhexen versuchten. Damals, im Mai des Jahres 1998, war von dem heißen und trockenen Süd-Ost-Monsun noch wenig zu spüren. Es war die Zeit, in der die Winde umlaufen, bevor sie sich entschließen, stetig aus einer Richtung zu blasen. Die Luft war wie Seide und der Fahrtwind fächelte Kühle über das Deck. Joachim Kolbenmeier schlich mit seiner Kamera auf dem Schiff umher. Er fotografierte den Kommandanten hinter seinem Steuerrad und die anderen Herren mit dem Weitwinkel. Mahmut Waterman grinste mit breitem Mund in die Kamera. Dem Kolbenmeier war dieser Waterman unheimlich, er dachte, das ist bestimmt der Agent von Herrn Suharto. Sicherlich ist er eingesetzt worden, um uns Touristen zu überwachen. Roy behauptete, dass Waterman kein Englisch spreche, kein Deutsch, dafür aber Niederländisch. Der Fotograf hatte es mehrmals in seiner Muttersprache versucht, Kontakt mit dem Unheimlichen zu bekommen, doch Waterman zuckte nur mit den Schultern und murmelte etwas von „kann nit verstaan” vor sich hin. Er war sehr hilfreich und immer wieder hatte man den Eindruck, dass er die deutsche Sprache sehr gut verstand. Angeblich war er nur dabei um den Weg zu erkunden.

Schließlich war es die erste europäische Gruppe, die nach vier Jahren dieses abgelegene Gebiet bereiste. Wenn die Fremden kamen, liefen die Kinder schreiend weg. Alte Frauen erzählten hier, dass diese Menschen kleine Kinder fräßen. Hier waren diese Weißen der "schwarze Mann".

Auf der Insel Komodo, im Meer zwischen dem Stillen und dem Indischen Ozean, leben große Echsen, Warane, wissenschaftlich Varanus komodonensis benannt. Zehn Weltenbummler waren auf dem Fischerboot dorthin unterwegs. Eigentlich gruselte es ihnen vor diesen Drachen. Ihre Reiseleiterin, Frau Doktor Klugin, hatte schon im Bus auf der Insel Sumbawa die tollsten Geschichten von diesen fleischfressenden Viechern erzählt. Davon, wie sich die Biester wissenschaftlich paaren, wie sie Ziegen, Rehe und Hirsche zerfleischen, und dass sie derart schlechte Zähne hätten, dass die Opfer nach dem leichtesten Biss durch Blutvergiftung sterben.

Noch waren alle Seefahrer in guter Stimmung. Der Diesel tuckerte das Schifflein aus dem Hafen von Labuhan Sape. Die Sonne schien fast senkrecht von einem tiefblauen Himmel. Es war noch sehr früh, erst acht Uhr am Morgen. Der Herr Drollinger versuchte mit Frau Doktor zu flirten, doch heute hatte sie keine Zeit, denn sie kümmerte sich um die Sicherheit ihrer Schäfchen.

Fischerboot „Komodo plus”

Herrn Wiesenbock war schlecht, er wurde so leicht seekrank. Auch Frau Kolbenmeier ging es nicht so gut. Vorsorglich war sie von ihrem Mann neben dem Seekranken in der Mitte des Schiffes, genau vor dem Ruderhaus, platziert worden. Die Leutchen saßen auf wackligen Stühlchen, die bei jeder Schiffsbewegung schlingerten.

Frau Doktor begann mit einem langen Seil die Stühle an der Reling festzuzurren. Zufrieden stellte sie fest, dass die Sitze nicht mehr umherrutschten. Zusätzlich ermahnte sie die Hockenden, ihre Beine fest auf den Schiffsboden zu stemmen, das helfe sehr gut gegen das Angstgefühl. Frau Kolbenmeier begann schon nach kurzer Zeit zu weinen. Ihre Oberschenkel schmerzten, sie machten nicht mehr mit. Sie waren derart verkrampft, dass der Herr Liessen, Doktor der Pharmazie, diese nur mit einer energischen Massage der Beininnenseiten lösen konnte. Seine Frau Erika war darüber nicht besonders erfreut. Frau Lautermann tröstete sie, es sei doch nur eine medizinische Hilfe, die der Herr Apotheker geleistet habe. Schließlich sei er ja dazu verpflichtet. Wie immer tutete Doktor Lautermann, der Jurist aus Süddeutschland, in das Horn seiner Ehefrau. Anneliese hätte da ganz recht und er könne bei der Oberschenkelreflexmassage von Frau Kolbenmeier nichts Böses denken. Dem Reinen sei eben alles rein und dem Unreinen alles unrein.

Nachdem sich alle etwas entspannt hatten, begann die Reiseleiterin mit lauter Stimme die Fahrtroute anhand einer kleinen Karte zu erklären:

„Wir habe nun das Hafengebiet der Insel Sumbawa verlassen und das Schifflein würde seinen Kurs genau nach Osten nehmen. Es könne ungefähr sieben Stunden dauern, bis man bei den Drachen von Komodo wäre. Das Camp, Loh Liang, liegt auf der östlichen Seite der Insel. Nur dort könne man anlegen. Also müsste das Fischerboot die Südspitze der Echseninsel umrunden.

Der Kapitän habe ihr gesagt, dass es zwar starke Strömungen, vor allem bei der Insel Pulau Langkoi gebe, er aber sicher wäre, dass seine kräftigen Dieselmotoren dagegen ankommen würden. Diese südliche Strecke wäre bedeutend kürzer. Die Fahrzeit verringere sich um drei Stunden. Der Nordkurs, den man auch nehmen könne, benötige mindestens zehn Stunden, aber dieser Weg wäre gefährlicher. Dort liegen einige Sandbänke. „Außerdem möchte sie noch einmal“, so fuhr die Frau Doktor fort, „die Hinweise für diesen Reisetag in das Gedächtnis zurückrufen.“ In den Unterlagen ist ausdrücklich aufgeführt: Das einfache Schiff, dass mit rauer See gerechnet werden müsse und die Übernachtung in einer sehr einfachen Lodge stattfände. Gott sei Dank ist das Meer bis jetzt ruhig und es ist ihr gelungen, den Eigner davon zu überzeugen, dass er einen Koch mitnehmen müsse. Roy habe bestätigt, dass dieser an Bord sei und frische Ware von dem Markt in Labuhan Sape mitgebracht habe. Hier nickte Kolbenmeier zustimmend, denn er hatte den Smutje, einen Chinesen, schon beim Schneiden von großen Salatgurken abgelichtet. Also, Frau Doktor fuhr in ihrer Rede fort: „Verpflegung aus der Konservendose“, wie es in den Reiseunterlagen stehe, das wäre diesmal nicht der Fall. Der Koch würde sogar in das Lager mitgehen und noch ein warmes Abendbrot bereiten. Verschmitzt meinte sie, selbstverständlich nur für die übrig bleibenden Gruppenmitglieder! In zwei, drei Stunden gebe es erst einmal Mittag, der Küchenchef warte noch auf das Anbeißen eines Fisches und so könne sie zwischendurch noch einiges von den Echsen auf der Insel erzählen. Wie sie inzwischen alle wissen, habe sie Ethnologie studiert und sie trage erst einmal die Schöpfungsgeschichte der Oras, so heißen die Waran-Drachen bei den Einheimischen, vortragen. Daraufhin hockten sich die Weißen in einem Kreis zu Füßen der Märchentante. Frau Schneidersohn, sie war ledig, und Frau Winter, einer Witwe, gelang das Sitzen auf den flachen Planken nur nach einigem Bemühen. Diese beiden Reisenden hatten schon kurz nach dem Auslaufen aus dem Seehafen um eine Flasche Scotch gewettet, wer den ersten Wal sehen würde. Bis jetzt war ein solcher Säuger noch nicht in Sicht gekommen. Nur ein Schwarm Schweinsfische platschte kurze Zeit neben Komodo Plus. Die pflichtgemäße Stille unterbrach die Dozentin.

„Es war einmal ein Sultan, dem das ganze Inselreich gehörte. Seine Frau gebar ihm nur einen Knaben und ein Mädchen. Dieser Herrscher hatte keine Nebenfrauen, auch keine weiteren Kinder. Als nun die Zeit gekommen war, verliebten sich Schwester und Bruder ineinander. Der Sultan war darüber derart erbost, dass er seinen Sohn verfluchte und ihn in einen Waran verwandelte. Die Insulaner glauben, dass dieser der Urahn der Komodo-Echsen ist. Das Mädchen wurde schwanger, sie gebar einen Sohn, er wurde der Stammvater der Insulaner. Es handelt sich um eine Schöpfungslegende. Weiterhin wird berichtet, dass der Sultan veranlasst habe, den Drachen immer ein Beuteteil bei erfolgreicher Jagd zu überlassen. Noch in unserer Zeit wird diese Anweisung befolgt. Nun, so denke ich, das dürfte für die einheimischen Jäger auch besser sein.

Ausgehungerte Echsen könnten den ganzen Mann mit seiner Beute auffressen. Jetzt machen wir erst einmal Schluss mit unseren Geschichten. Wir werden noch genügend Zeit finden, uns über die Drachen zu unterhalten. Der Koch will auf dem Vorderdeck das Essen servieren und wie ich sehe, können sie alle sehr schlecht auf den flachen Planken sitzen. Nehmen sie bitte ihre Plätze wieder ein und verhalten sie sich ruhig.”

Mühsam erhoben sich die Reisenden, suchten ihre Stühlchen wieder auf, meinten untereinander, das wäre schon die dritte Inzeststory von Frau Doktor und zogen ihre Füße ein, denn der Smutje drängte hindurch. Dieser trug ein Bastkörbchen, das mit einer weißen Serviette ausgeschlagen war. Goldbraune Garnelen, zu einem kleinen Hügel aufgeschichtet, füllten den Korb. Der Küchenchef sah wie ein waschechter Chinese aus. Frau Winter meinte, wie ihr Freund Klaus zur Karnevalszeit. Unter einem flachen Hut hing ein langer, schwarzer Zopf. Sein gelbes Gewand schloss mit einem dunklen Saum oberhalb seiner Knie ab. Darunter trug er eine weit ausgestellte Hose. Die Füße waren nackt. Sein Bart war dünn, in Form eines spitzen Dreiecks gewachsen, gepflegt, geschnitten. Jetzt trug er zum Schutz des Essens eine blütenweiße Bartbinde. Die Damen waren von ihm entzückt. Roy sprang nun ebenfalls auf dem Vordeck umher. Er verteilte Besteck, Pappteller und Papierservietten. Frau Winter dachte bei sich, das sieht nach einem Bankett aus. Nacheinander, als Erster wiederum der Küchenchef, dann Roy, dann der Bootsmann, ein Malaie, und zuletzt Hadschi Omar schleppten sie Köstlichkeiten der Schiffsküche herbei. Wasser stand in Pappbechern bereit. Als Vorspeise, so zum Knabbern, waren die ganz frischen Garnelen gedacht. Dazu wurde warmes, duftendes Fladenbrot genossen. Einfach köstlich, wie Frau Lautermann feststellte. Dann eine große Schale mit Fisch. Ganz frisch, denn dieser hatte vor einer guten Stunde noch nichts von seinem Glück geahnt. Ein Sud aus Tomaten, wenig Zwiebeln und ausgesuchten Gewürzen unterstützte den Eigengeschmack des Meerestieres. Der Hauptgang, Hühnchen im Reisrand, in einer feinen Currysoße, begeisterte die Passagiere besonders. Ausrufe wie hervorragend, delikat, belissimo, prima, ausgezeichnet und die Bemerkung von Drollinger, diesen Künstler nehme ich mit nach Pfullingen, lobten das Mittagsmahl in den höchsten Tönen. Lautlos tauchte der Meister der Küche mit einer großen Schale, gefüllt mit südländischen Früchten, wieder auf. Die Europäer empfingen ihn mit Klatschen und Bravorufen. Vorsichtig stellte er das Porzellangeschirr auf die Deckplanken, verneigte sich artig, stellte sich wieder kerzengrade und strahlte über das ganze Gesicht. Schon war er wieder verschwunden.

Nun, nachdem die Mahlzeit sich ihrem Ende näherte, war das Meer etwas unruhiger geworden. Langsam, im Rhythmus einer langen Dünung wurde das Schifflein in die Höhe gehoben, um danach behäbig in das folgende Tal hinabzugleiten. Auf und ab, zwischen dem leisen Tuckern des Motors, gleich einer großen Wiege. Schlaf kam über alle. Sogar Kolbenmeier gab endlich Ruhe. Zwischen dem Blinzeln seiner Augenlieder bekam er noch mit, wie der Bootsmann ganz vorn am Schiff ein großes, blau-weiß-kariertes Segel aufspannte. Tuck, tuck, tuck, das Lied des Diesel, der Herzschlag des Fischerbootes, tuck, tuck, tuck, tuckerte es durch den Halbschlaf von Kolbenmeier. Der Fotograf fühlte sich so wohl. Er träumte von einem knusperbraunen Spanferkel auf festlich gedeckter Tafel. Plötzlich hörte er, weit weg, seine Grete mit „wach auf, Kerl wach doch endlich auf.” Langsam kam er zu sich, riss die Augen auf und starrte in das verstörte Gesicht seiner Frau.

„Da kommt ein Schiff, gleitet nur unter Segeln dahin, richtig unheimlich, ziemlich groß, hat eine schwarze Flagge, Frau Doktor sagte, es können Piraten sein, sie würden hier zwischen den Inseln lauern. Alle sollten sich nach hinten verkrümeln, in Deckung gehen, dort beim Verschlag von der Küche. Vielleicht haben wir dann die Chance, nicht entdeckt zu werden.”

Kolbenmeier war blitzartig wach. Blödes Gequatsche, meinte er halblaut, doch dann zwinkerte er vorsichtig in das Licht der Sonne. Wahrhaftig, da stand so eine richtige, alte Brigg! Mein Gott, es riß ihn aus seinem Stühlchen hoch, dann schoss es durch sein Gehirn, vielleicht haben die da drüben einen Schiffer mit einer schwarzen Klappe vor einem Auge und mit einem Holzbein! Das könnte dann der alte Ahab von Moby Dick sein! Vorsichtig, halbgebückt schlich er zum Achterdeck. Die anderen drängten sich zwischen der Toilette und der Küchenbude zusammen. Frau Schneidersohn zitterte, Frau Lautermann versuchte mit leisen, aus den Mundwinkeln gezischelten Bemerkungen ihre Angst zu bekämpfen. Mann oh Mann, dachte Kolbenmeier, wenn die da drüben wüssten, was ich alles an Fotokram dabei habe, allein die 15-Optik von der Leica kostet ein Vermögen! Doktor Lautermann ging das Problem juristisch durch. Klarer Fall, schwerer Raubüberfall, Versicherung, Haftpflicht, kann das Reiseunternehmen an den Rand des Ruins bringen! Hier wimmelt es ja richtig von Piraten, da kann man uns doch nicht einfach umher schippern lassen! Nicht auszudenken, was passieren kann! Raub, Totschlag, Mord, Verschleppung, sogar Sklaverei! Auch Entmannung, wenn die Leutchen später als Eunuchen arbeiten sollen! Hier wurde es dem fünfundsechzigjährigen Anwalt ganz mulmig. Bei mir ja wohl nicht mehr, werde denen schon sagen, dass ich sie vor den Kadi bringe. Hoffentlich verstehen die Burschen mich. Erika Liessen war einer Ohnmacht nahe. Ihr Mann hielt sie fest umschlungen, ihr Kopf lag auf seiner Schulter, sie schluchzte leise vor sich hin. Sie war total fertig. Ihr Partner bebte mit. Er dachte, auf welchen Quatsch hab ich mich nur eingelassen! Der Spaß kostet mich eine Riesenstange Geld und wir fallen unter so lausige Räuber! Er sah sich zu Frau Schneidersohn um, die krächzende Laute von sich gab. Sie versuchte einen Hustenanfall zu unterdrücken. Kommt nur von der Raucherei, durchzuckte es den Herrn Apotheker. Unruhig nestelte Frau Winter an ihrem Reisetrinkfläschchen aus der Gesäßtasche ihrer Herrenhose. Leichter Wiskygeruch verbreitete sich und Liessen meinte, sie solle den Tröster mal rumreichen, könnten alle einen guten Schluck vertragen. Die Trinkerin war derart verdutzt, dass sie das Fläschchen aus der Hand gab. Es reichte nur bis zum Herrn Wiesenbock. Dieser schüttete sich den letzten Tropfen auf die Zunge. Die Reiseleiterin kniete auf einem kleinen Holzpodest an der Rückwand des Ruderhauses. Sie versuchte mit Handzeichen ihre Schäfchen still zu halten. Über das Dach der kleinen Steuerkabine hatte sie Blickkontakt mit Hadschi Omar, der betont lässig auf dem Vorschiff beim Anker stand. Sie befürchtete, dass die Piraten zum Entern längsseits kommen würden. Der Segler war unheimlich schnell. Schnittig lag er im Wind, sein Deck war leer, kein Mann der Besatzung war zu sehen. Wie ein Geisterschiff drückte der Wind die Großyacht durch die Wellen. Teufel des Meeres - gleich zweimal, chinesisch und indonesisch – stand in Buchstaben knallig rot an ihrem Bug. Schnell holte sie zur Komodo Plus auf. Bald warfen die Segel des vermeintlichen Freibeuters ihren Schatten auf das Fischerboot. Jetzt konnte Hadschi Omar auf der Brücke des fremden Schiffes zwei Männer entdecken. Einer stand am Ruder, der andere griff zu einem Megaphon und schrie zur Komodo Plus hinüber:

"Hallo, wer seid Ihr? Gebt euch zu erkennen! Wohin wollt Ihr?"

Hadschi Omar antwortete, nachdem er seine Hände zu einem Trichter geformt hatte:

"Hier Komodo Plus, Fahrt nach Loh Liang, nach der Komodo-Insel. Schiff ist leer."

Von der letzten Bemerkung versprach sich der Moslem, dass die Fremden auf einen Überfall verzichten würden. Auf dem Segler, so konnte Omar sehen, sammelten sich viele Männer. Sie kamen aus Deckluken und versteckten Niedergängen nach oben. Noch konnte er nicht erkennen, ob sie Waffen trugen. Endlich kam die Antwort:

„Okay, alles klar. Wir sind aus Taiwan,” jetzt sah der Hadschi auch die nationalchinesische Flagge am Mast, „und fahren im Charter zur Insel Pádar. Forschungsauftrag, wir haben französische Zoologen an Bord. Gute Reise und bye, bye Komodo Plus!”

Der Großsegler rauschte vorbei und alle Männer winkten. Puuh, das war noch einmal gut gegangen! Die Touristen umarmten sich!

„Fühl mich wie neugeboren!” meinte Max Lautermann. Frau Doktor klatschte in die Hände und bat um Ruhe. Sie entschuldigte sich, aber es gäbe in dieser Gegend wirklich viele Piraten. Wenn diese auch nur die Wertsachen abholen würden, so sei das sehr ärgerlich, aber sie wären immer leicht zu ersetzen. Manchmal, das müsse sie schon sagen, würden die Räuber die Reisenden bis auf die Unterwäsche ausplündern. Der Jurist machte ein langes Gesicht und meinte, so einfach könne man sich das nicht machen. Er bestehe auf eine exakte Meldung an das Reiseunternehmen in Deutschland! Frau Doktor glaube doch nicht, dass die Versicherungen zahlen würden, wenn sie auf einen Zettel schreiben würde, dass Seeräuber seine Rolex, bitte, die ist wirklich echt, geklaut hätten! Auch müsse er sich vorbehalten, einen Schriftsatz an Herrn Suharto zu senden, in dem er wegen seelischer Not um Schadenersatz bitten werde. Diese Bemerkungen posaunte der Anwalt mit kräftiger, lauter Stimme über das ganze Schifflein. Kolbenmeier beobachtete Watermann. Würde dieser reagieren? Der Fotograf konnte keine Regung im Gesicht des Verdächtigen feststellen. Frau Doktor Klugin bat darum, sich wieder hinzusetzen und noch etwas Geduld zu haben. Bald würde Komodo in Sicht kommen.

Inzwischen war es schwierig geworden, zu den Sitzplätzen zu gelangen. Das Schifflein wiegte sich hin und her, stieg immer wieder in die Höhe um gleich darauf in das nächste Tal zu gleiten. Das Wetter wurde schlecht. Der Fotograf hatte seine Frau an die rechte Hand genommen und führte sie langsam, sich mit der Linken an der Reling entlang hangelnd, zu ihrem Stuhl. Der war nass, total nass. Wasser spritzte über das ganze Vordeck. Grete hielt plötzlich an, beugte sich über die Bordwand, Kolbenmeier flog Halbverdautes in das Gesicht. Ätsch!

„Pass doch auf!” er war sauer, knallte seine Angetraute auf den Stuhl und schrie sie an:

"Halt dich fest! Nimm die Tüte, da kannste reinkotzen!"

Er selbst musste sich nun sichern. Auch dachte er, die Leutchen sehen ganz schön mies aus. So gelb-grün um die Nasen. War auch kein Wunder, so wie das Schiff umhertanzte. Es herrschte mindestens Seegang Stärke 4. Er hatte das Gefühl, dass der Kahn nicht mehr voran kam. Das kleine Eiland an der rechten Seite zog einfach nicht vorbei. Der Schiffsdiesel tuckerte weiterhin zutraulich. Daran konnte es also nicht liegen. Von der Holzbank, auf der er saß, sprang er in einem günstigen Moment auf und mit einem großen Satz war er drüben bei Roy. Als er diesen ansprach, Komodo Plus würde wohl auf der Stelle treten, nickte der Reiseführer aus Java und wandte sich an den Eigner. Nach einigem Palaver bekam Kolbenmeier folgende Antwort:

„Er sagte, dass wir im Augenblick nur ganz wenig voran kommen. Er müsse in der nächsten halben Stunde entscheiden, ob er diesen Südkurs beibehalten könne. Nur ungern würde er nach Nord eindrehen, denn wir wären schon sehr weit und wir müssten eine große Strecke noch einmal fahren. Das kann Nacht werden! Wind und Wellen stünden zudem sehr ungünstig für den Nordkurs.”

Kapitän und Eigner von Kommodo-Plus

„Versteh ich zwar nicht so ganz, aber der Kapitän muss das ja wissen”, war die Antwort von Kolbenmeier und er fuhr fort „liegt das an den Strömungen, dass wir nicht voran kommen?”

Roy bestätigte diese Vermutung. Der Südkurs führe durch die Meerenge zwischen den Inseln Komodo und Rinca. Dabei verließe das Schiff den nördlich liegenden Indischen Ozean und kämpfe sich in den Stillen Ozean vor. Da aber die Gezeiten das Wasser des Pazifiks stärker auftürmen würde, müsse man sich die Sache so vorstellen, dass das Schifflein einen hohen Berg erklimmen muss. Außerdem wäre die starke, an Katarakte erinnernde Strömung, äußerst hinderlich. Man könne das rings um das Boot sehr gut erkennen. Diese unzähligen, kleinen Kräuselwellen dort draußen, die gegeneinander liefen. Hier zeigte Roy mit seinem Finger in die gleißende, im Gegenlicht schimmernde Wasserfläche.

Der Fotograf hatte die Erklärung nicht ganz verstanden, mochte aber nicht weiter fragen. Die Seefahrerei war ihm unheimlich. So schwieg er und starrte nur in die Wellen.

Der Schiffbruch

Das Fischerboot tanzte immer heftiger auf seinem Element. Jetzt glitt es wieder in ein Wellental, ganz tief hinein, die Schraube hob sich aus dem Wasser und mahlte Luft. Der Kahn zitterte und bebte. Die Damen stießen spitze Schreie aus. Aber sanft schmiegte sich das Schifflein wieder in den nächsten Wellenberg. Nun plötzlich eine Unregelmäßigkeit, ein Stottern der Maschine, erst ein Aussetzer, dann tuuck, tuck, tuck, tuuck, tuuuck, Stille. Der Diesel schwieg. Verdutzte Gesichter ringsum. Der junge Bootsmann verschwand durch eine Luke im Achterdeck. War der Treibstofftank leer? Der Kommandant schrie unverständliche Befehle. Der Koch eilte nach vorn zum großen Segel.

Kommodo-Plus unter Segel

Komodo Plus nahm etwas Fahrt auf, drehte sich leicht nach Ost und wurde in Richtung der Insel, die an seiner Backbordseite zu sehen war, gedrückt. Tuck, tuuck, tuuuck, noch einmal ein paar Töne vom Antrieb, dann war dieser für immer still. Panik erfasste die Seefahrer.

„Schwimmwesten raus, Schwimmwesten raus!” schrie Frau Doktor Klugin. „Machen Sie schon! Es wird Zeit! Hab eine solche Sache schon einmal mitgemacht!”

Sie riss an dem Verschlag, auf dem sie vorher saß, und begann Schwimmwesten den einzelnen Passagieren zuzuwerfen. Der Herr Drollinger hatte als erster das rote Ding übergestreift. Er hatte wohl die größte Angst. Die Damen Winter und Schneidersohn weigerten sich. Die Westen wären so dreckig, schmierig, i gitt, wäre ja wohl auch nicht so eilig. Die junge Frau, hier meinten sie die verehrte Frau Doktor, solle mal nicht so hysterisch werden. Doch bald saßen alle in den roten Lebensrettern auf dem Vordeck. Ihr Schiff indessen tanzte weiter, drehte immer mehr nach Ost, lief aus dem Ruder und immer schneller werdend, trieb es breitseitig dem Eiland entgegen. Inzwischen war es allen klar, dass sie in Seenot waren. Der Kapitän drehte an seinem Steuerrad, vergebens. Komodo Plus reagierte nicht. Frau Lautermann meinte zu ihrem Max, dass alles nicht so schlimm werden könne, denn das Wasser sei sicherlich schön warm. Vorn drehte der Smutje an irgendwelchen Kurbeln, um das Segel in den Wind zu bekommen. Es hing leer und schlapp und nass und schwer an seiner Stange und klatschte immer wieder an den großen, weißen Mast. Der Malaie, der von der Maschine kam, sah wie der Teufel aus. Er turnte nach vorn zum Bug. Verschmiert war sein Gesicht, sein Haar, seine Hände, einfach alles, von oben bis unten war der Kerl voller dunkelschwarzem Öl. Am Bug griff er neben dem Koch an die Segelkurbel, rutschte ab, rutschte weiter, Wasser kam über und die Woge spülte den Bootsmann über Bord.

„Mann über Bord, Mann über Bord!” schrie Frau Doktor. Doch der Kapitän reagierte nicht. Er hatte schon alle Hände voll zu tun. Der Koch, vorn am Bug, hielt sich inzwischen an der Kurbel fest. Mittschiffs, in seiner roten Schwimmweste, sprang in tadelloser Haltung Hadschi Omar in die Wellen. Roy riss den Rettungsring vom Nagel und warf diesen hinterher. Der Malaie war wieder aufgetaucht. Er kraulte in Richtung Eiland, sehr schnell, die Strömung trieb ihn vor sich her. Die Leute auf dem Deck klatschten vor Begeisterung. Inzwischen war Omar hinter dem Schwimmer her, doch der Rettungsring, der ihm um den Hals hing, hinderte ihn, diesen einzuholen. Komodo Plus trieb nun immer schneller zu der Insel. Plötzlich Kratzen, Knirschen, Splittern, so, als ob Holz entzwei gerissen wurde. Das Schiff glitt nur noch langsam weiter. Die Augen des Steuermannes waren vor Angst riesengroß. Stille, das Boot wurde wieder etwas schneller, dann ein Ruck, Frau Lautermann meinte ihr Kopf flöge weg. Ächzend kam der Pott zum Stehen. Langsam neigte er sich nach Steuerbord, pendelte noch einmal etwas in die Senkrechte um dann um so entschlossener wegzukippen. Das Riff vor der Insel war dem Schiff zum Verhängnis geworden. Wasser drang durch einen großen Riss in den Bug. Max Lautermann meinte, er wäre auf der Titanic.

„Alle Mann von Bord! Alle Mann von Bord! Rette sich wer kann! Gott sei uns gnädig! Rette sich wer kann!”

Katrin Klugin schrie mit überschnappender Stimme immer wieder ihre Befehle. Mein Gott, dachte Frau Schneidersohn, fehlt nur noch die Kapelle mit „näher mein Gott zu dir”!

Frau Doktor Klugin lief nach Hinten, nach Achtern, suchte und brüllte immer wieder: „Alle nach vorn zum Bug!“ Doch es war keiner mehr zwischen den jämmerlichen Aufbauten. Sie lief zum Bug und stellte fest, dass der Herr Jurist aus Freiburg die Führung übernommen hatte. Aus Erfahrung wusste sie, dass in derart gefährlichen Situationen nur einer das Kommando haben durfte. Sie schwieg von jetzt an und sah nur zu, wie der Anwalt die Gruppe leitete.

Frau Winter zitterte. Sie hatte einen Weinkrampf. Angst stand ihr in das Gesicht geschrieben. Sie konnte nicht schwimmen, ebenso wenig Herr Wiesenbock und Erika Liessen. Mahmut Watermann versank fast in seiner Schwimmweste, sie war ihm zu groß, er machte ein besorgtes Gesicht, war hilflos. Jetzt brauchte er wirklich kein Deutsch zu verstehen. Max, der Jurist, übernahm das Kommando. Er sprach Frau Winter an, warum sie weine und als er erfuhr, dass sie nicht schwimmen könne, stellte er die Frage, ob noch mehr Unkundige dabei wären. Obwohl sie sich mühsam auf dem Deck festhalten mussten, reckten Erika Liessen und Paul Wiesenbock die Finger hoch. Max sprach:

„Keine Panik bitte! Ist alles halb so schlimm. Man muss jetzt nur die Nerven behalten. Schwimmwesten haben wir alle an”, und nach prüfenden Blicken fuhr er fort, „sie scheinen richtig zu sitzen. Damit geht man nicht unter, auch wenn man nicht schwimmen kann. Wir machen das jetzt so, dass immer ein Erfahrener mit einem nicht so Guten zusammen in das Meer springt. Nach dem Eintauchen, am besten sie schließen die Augen, kommen sie ganz von allein wieder an die Oberfläche. Sie können mit den Beinen etwas strampeln, einfaches Wassertreten. Jeder hat also einen Schutzengel und der kümmert sich bitte um seinen Anempfohlenen. Also, wer hilft Frau Liessen?”

Hier meldete sich sofort der Apotheker. Max Lautermann wollte Frau Winter persönlich begleiten. Nur dem Herrn Wiesenbock wollte keiner der Verbliebenen helfen. Endlich, ganz stumm, ohne Worte, hob Mahmut Watermann die Hand. Der Jurist legte noch die Reihenfolge der Sprünge fest, betonte außerdem, sofort vom Wrack wegzuschwimmen und mit dem nächsten Sprung zu warten bis wieder genügend Platz im Wasser sei. Auch meinte er, dass man sich von der Bugspitze hinabstürzen sollte, da es dort wegen des Riffes am sichersten sei. Das Schiff hing im letzten Drittel seines Rumpfes fest. Der Herr Drollinger stand ganz vorn am Ankerspill. Bis jetzt hatte er sich gut festhalten können. Doch die nächste Woge wischte ihn einfach von Deck.

Auf dem Vorschiff kommandierte inzwischen Max: „Eins, zwei, drei, hopp!” Seine Frau, die Hilde, schwebte durch die Luft, knallte mit dem Bauch voll auf das Wasser und tauchte unter, prustend und spritzend kam sie wieder nach oben. Grete Kolbenmeier sprang mit den Füßen voran. Eigentlich war sie noch gar nicht an der Reihe. Max drehte sich inzwischen nach dem Koch um, packte ihn an den Schultern und stieß ihn in die Tiefe. Der lange Zopf flatterte wie ein