INHALT

Grußwort

Vorwort

Reinhold Baumstark

Kunstgeschichte und Bildung

Joseph Imorde

Bildung durch Reproduktion – Wissenschaft als Re-informierung

Zur Popularisierung kunsthistorischen Wissens nach 1900

Claudia Hattendorff

Konvergenzen und Divergenzen zwischen Kunstgeschichte und Kunstpädagogik heute

Ludwig Tavernier

Hilfswissenschaft oder Bildungsfach?

Überlegungen zur Rolle der Kunstgeschichte im Schulunterricht

Barbara Welzel

Kunstgeschichte, Bildung und kulturelle Menschenrechte

Dortmunder Projekte

Klaus Krüger und Karin Kranhold

Bildung durch Bilder

Ein Erfahrungsbericht zur interdisziplinären Vermittlung kunstwissenschaftlicher Kompetenzen im Schulunterricht

Sylvia Metz

Kunstgeschichte als Impulsgeber

Neue Wege der kunsthistorischen und kunstpädagogischen universitären Ausbildung am Beispiel der Bildungspartnerschaft zwischen der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Florentiner Appell

Ein starkes Zeichen für Europa:

Kunstgeschichts-Unterricht in den Ländern der Union

Eine Stunde Kunstgeschichte

Autorinnen und Autoren

GRUSSWORT

Wir Kunsthistoriker arbeiten auf sehr unterschiedlichen Feldern – in Museen, Denkmalpflege, Universität, Erwachsenenbildung, Handel und so weiter. Was uns dabei eint, ist, dass wir für ein Publikum, oder präziser, eine Gesellschaft arbeiten, der die Kunst, alte wie neue, etwas bedeutet, ja unverzichtbares Bedürfnis ist: als ein Teil ihrer Geschichte, ihrer Identität.

Selbstverständlich ist das Bewusstsein solcher Unverzichtbarkeit freilich nicht, vielleicht weniger denn je. Es muss gepflegt, ja erst geweckt werden, eine Aufgabe, die dem Verband Deutscher Kunsthistoriker e.V. existentielles Anliegen ist. Denn es geht dabei um nichts weniger als den Generationenvertrag für das kulturelle Erbe im Bereich der bildenden Künste. Da die Schulen hier meist nur unzureichend ihrem Bildungsauftrag entsprechen können, kommt es darauf an, Lösungen zu finden und sicherzustellen, die den Kindern und Jugendlichen den Zugang zur Kunst und möglichst auch zu einer Bildkompetenz eröffnen.

Wir haben deswegen das Thema Kunstgeschichte und Bildung prominent auf dem letzten Kunsthistorikertag 2011 in Würzburg platziert. Unser Vorstandsmitglied Prof. Dr. Barbara Welzel, die hier seit Jahren Beispielhaftes leistet, hat sich der Aufgabe energisch angenommen; ihr und den Mitherausgebern sei herzlich gedankt. Besonderer Dank gebührt auch unserem früheren Vorsitzenden, Prof. Dr. Reinhold Baumstark, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen i.R., der mit seinem gewichtigen Plenumsvortrag dem Anliegen Nachdruck verliehen hat.

Mit der Publikation der Sektionsbeiträge wird es gewiss gelingen, dem Thema weitere Aufmerksamkeit zu verschaffen und der sich erfreulich ausbauenden Initiative zugunsten einer kunsthistorischen Bildung für Kinder und Jugendliche noch größere Unterstützung zu gewinnen.

Prof. Dr. Georg Satzinger

Erster Vorsitzender

Verband Deutscher Kunsthistoriker

VORWORT

Kunstgeschichte und Bildung: Mit der Sektion zu diesem Thema auf dem 31. Kunsthistorikertag in Würzburg 2011 hat sich der Verband Deutscher Kunsthistoriker vorgenommen, nach dem Beitrag und nach der Verantwortung der Kunstgeschichte sowie nach dem spezifischen Potential der Kunstwerke in Bildungsprozessen zu fragen. Um die Stimmen der professionellen Kunstgeschichte möglichst auch über die Grenzen des Faches hinaus in Bildungsdebatten zur Geltung zu bringen, wurde die Anregung aufgegriffen, die Vorträge dieser Sektion und weitere Beiträge aus dem Forum »Kunstgeschichte in Schule und Lehrerbildung« auf dem Würzburger Kunsthistorikertag in der vorliegenden Form zu publizieren.

Wie ist die Ausgangslage für eine Einmischung der Kunstgeschichte in Bildungsprozesse? In Deutschland sind zahlreiche kunsthistorische Institute und einzelne kunsthistorische Professuren für den fachwissenschaftlichen Anteil in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung für das Fach Kunst zuständig. Hier findet das Studium künftiger Lehrerinnen und Lehrer zu den Themen und Bereichen der Bildkompetenz, der Vermittlung des kulturellen Erbes, der schichtenübergreifenden Hinführung zur Teilhabe an den kunsthistorischen Schätzen in den Museen und in den Städten, der Verankerung der Denkmalpflege in der schulischen Bildung et cetera statt. Aber auch in anderen Fächern spielen Bilder und kunsthistorische Objekte eine bedeutende Rolle, beispielsweise im Geschichts-, Religions- oder Deutsch- und Fremdsprachenunterricht. Dessen ungeachtet sind in aller Regel keine Kunsthistoriker an der Ausgestaltung von Bildungsplänen und -standards sowie von Curricula beteiligt. Auch nimmt das Fach keinen Einfluss auf die Ausformulierungen von Fachdidaktiken, Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien. Damit aber kann es – im Unterschied zu beinah allen anderen Fächern (wie Germanistik, Geschichte, den Philologien, weiter auch Mathematik, Physik, Chemie und so weiter) – ein entscheidendes Feld seiner gesellschaftlichen Verankerung nicht mitprägen. Das Fach überlässt die Fragen von Legitimation und Inhalten vielmehr weitestgehend Nichtkunsthistorikern.

Vor diesem Hintergrund wird im vorliegenden Band zunächst die Debatte innerhalb der Kunstgeschichte aufgenommen, wie sich das Fach in der Bildungsdiskussion verortet. Welche Verantwortung kommt der Kunstgeschichte als dem Sachwalter der künstlerischen Überlieferung zu? Reinhold Baumstark spricht in Anlehnung an Aby Warburg von der »Mnemosyne« und beleuchtet die besondere Rolle der Museen als Orte der Vermittlung und Bildung. Die Frage nach der Vermittlung von Kunstwerken in die Gesellschaft hinein berührt auch die Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte in zentralen Punkten. Es gilt einerseits die Medien der Rezeption – Stichwort: Fotografie –, andererseits das Verhältnis zwischen affektiver Rezeption und Analyse zu reflektieren. Dieser Knotenpunkt zwischen Kunstvermittlung, Rezeption und Fachgeschichte ist Thema des Beitrages von Joseph Imorde.

Ein zentrales Thema des vorliegenden Bandes ist das Verhältnis des Faches Kunstgeschichte zur Kunstpädagogik, die sich regelmäßig als Bezugswissenschaft des Schulfaches »Kunst« versteht, das in Deutschland künstlerisches Arbeiten und Kunstgeschichte unter einem Dach mehr schlecht als recht verbindet. Beinahe inexistent ist eine Fachdidaktik Kunstgeschichte. Hier ist einerseits, so Claudia Hattendorff, der zielführende Dialog zwischen Kunstpädagogik und Kunstgeschichte ein dringendes Desiderat. Andererseits, so Ludwig Tavernier, ist im europäischen Vergleich noch einmal zu fragen, ob nicht die Kunstgeschichte ein Grundlagenfach eigenen Rechts sein sollte. In diese Richtung jedenfalls weist der »Florentiner Appell«, der als wichtiger, in Deutschland bisher jedoch weitgehend ungehört verhallter Beitrag an diesem Ort noch einmal abgedruckt wird. Bildungslegitimationen, die Verortung der Teilhabe am kulturellen Erbe in Konventionen von der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« über das »Europäische Kulturabkommen« bis hin zur »Konvention von Faro«, die diese Diskurse für die heterogenen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts programmatisch öffnen, bieten den Rahmen, in dem Barbara Welzel kunsthistorische Bildungsprojekte in Dortmund vorstellt. Solcherart »Best-practice-Beispiele« waren ein wichtiges Anliegen der Sektion »Kunstgeschichte und Bildung« auf dem Würzburger Kunsthistorikertag, um die mit ihnen verbundenen Absichten zu erläutern, um Modelle bekannt zu machen, um voneinander zu erfahren und zu weiteren Projekten zu ermutigen. Einer solchen Vernetzung von Einzelinitiativen dient das Projekt »Eine Stunde Kunstgeschichte«, das in diesem Band vorgestellt wird. Das von Karin Kranhold und Klaus Krüger konzipierte und von der Robert Bosch Stiftung geförderte »Denkwerk Kunstgeschichte – Bildung durch Bilder« existiert bereits seit mehreren Jahren und führt breit angelegte Projekte mit Schulen in Berlin und Brandenburg durch. Es zeigt – ebenso wie die beiden anderen Projektbeispiele –, dass diese Aktivitäten sehr gut in das Studium der Kunstgeschichte integriert werden können. Das dritte der vorgestellten Projekte ist die Bildungspartnerschaft zwischen der Universität Gießen und der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Auch bei dieser von Sylvia Metz betreuten Kooperation wird deutlich, wie sehr die Studierenden diese Programme als Bereicherung ihres Studiums und als Beitrag zu ihrer Professionalisierung wahrnehmen.

Der »Florentiner Appell« misst mit guten Gründen der kunstgeschichtlichen Bildung eine zentrale Rolle in der Zukunftsgestaltung Europas zu. Moderne Kunstgeschichtsschreibung liefert die Grundlagen zu einer Kommunikationsfähigkeit über kulturelles Erbe und über Bilder. Kunstgeschichtliche Bildung ist ein wesentlicher, ja geradezu bestimmender Teil interkultureller Kompetenzen, die zu den Schlüsselkompetenzen des 21. Jahrhunderts zählen und den täglichen Erfolg in den dynamischen multiethnischen Gesellschaften einer globalisierten Welt, gerade auch in Europa bestimmen.Vor diesem Hintergrund scheint es dringend geboten, dass die fachlichen Auseinandersetzungen um Kunstgeschichte und Bildung weiter intensiviert und die bisherigen Projekte nachhaltig fortgeführt werden. Die Verankerung der Kunstgeschichte in Bildungsprozessen hat, so unsere Überzeugung, wesentlich Anteil an der Entwicklung der modernen Gesellschaften in einer globalisierten Welt.

Claudia Hattendorff, Ludwig Tavernier, Barbara Welzel im Dezember 2012

KUNSTGESCHICHTE UND BILDUNG

Reinhold Baumstark

Kunstgeschichte und Bildung: Dies ist das Thema einer Sektion des XXXI. Deutschen Kunsthistorikertages in Würzburg, in der Kolleginnen und Kollegen einer jüngeren Generation den Bereich der Erziehung – und damit der Heranführung an kunstgeschichtliches Wissen, des Weges der Ausbildung hin zu Bildung – an Hand von Fallstudien aufzeigen werden. Als Museumsmann habe ich die Arbeit der Vermittlung von Kunst und kunsthistorischem Wissen an Jugendliche zu schätzen, ja zu bewundern gelernt. Denn mit diesem Einsatz wird ein Fundament gelegt, ohne das eine Teilhabe an dem Erbe von Kunst und Kultur von der Antike bis hin in unsere Zeit kaum möglich wäre. Ausgehend vom Staunen vor der Kunst und von der Lust des Schauens wird dank dieser Vermittlungstätigkeit Verständnis für das komplexe Verhältnis von historischem Zeugnis und künstlerischem Duktus geweckt, werden Keime späterer Bildung gepflanzt. Und so behandelt die Sektion »Kunstgeschichte und Bildung« das Hereintragen der Kunstgeschichte in den schulischen Unterricht, dazu Lehrpläne und Lehrerausbildung, kurz den Eros der Weitergabe des Kerns unserer Disziplin. Ich will für diesen Weg der Ausbildung hin zu Bildung keine eigenen Rezepte hinzufügen – meine Position ist eine andere, und zwar die an der Ziellinie, auf die hin die Anstrengungen der Erziehung gerichtet sind. Diese Ziellinie meint das Repositorium der Werke, die es zu befragen gilt, die zum Sprechen gebracht, die verstanden und dann geliebt werden sollen, das Museum. Wenn nun über »Kunstgeschichte« und »Bildung« zu handeln sein wird, so muss allerdings sofort ersichtlich sein, dass in dem Begriffspaar die Gefahr der Tautologie lauert, erhebt unsere Disziplin doch seit jeher Anspruch auf Kernbereiche gebildeter Konversation, scheinen selbst für den weitest gespannten Bildungsbegriff der Umgang mit den Künsten und das Wissen um sie unverzichtbar. Angesichts dieser Verwobenheit des Fachs mit dem Ideal des pädagogischen Wertes der Kunst lösen sich in der Tat altehrwürdige Maximen aus dem Urgrund der noch jungen Kunstgeschichte und kollidieren mit den Gegebenheiten, den Ansprüchen, den Krisen unserer Zeit. Der Diagnose dieses Konflikts und seinen Folgen sollen hier einige Bemerkungen gewidmet werden, ohne allerdings den Themenkreis auch nur annähernd ausloten zu können.

Zunächst gilt es, den Blick auf den heute diffus, ja schemenhaft gewordenen Begriff der Bildung zu richten. Wir brauchen dabei in der Etymologie nicht bis auf Meister Eckhart zurückzugehen, sondern können gleich mit Herder, Pestalozzi und Wilhelm von Humboldt auf den Siegeszug eines bürgerlich gewordenen Bildungsbesitzes klassisch antiker, dann europäisch neuzeitlicher Kultur einschwenken. Der Dreischritt eines lebenslangen Bildungsprozesses von Lernen, Kenntnissen und Reflexion sollte den individuellen Charakter einer Person wie die Gemeinschaft der Nation entfalten, versprach mit der Formung von Geist und Seele die eigentliche Menschenbildung, die überzugehen hatte in staatsbürgerliche Gesittung. Die sich so entwickelnde Mündigkeit erlaubte sicheres Urteil, einen klaren Blick, ermöglichte die Teilnahme am geistigen Leben der Zeit. Dieses Gebildetsein in einem humanistischen, die Klassik der Griechen und der Goethezeit umgreifenden Sinn bezog sich nicht nur auf den Wortbegriff des »Bildens« und damit die künstlerische Formgebung, sondern sah zugleich einen seiner zentralen Bildungsinhalte in der Kunst. Friedrich Schillers politisches Glaubensbekenntnis, zugleich sein Postulat der pädagogischen Kraft der Kunst, die Schrift »Über die ästhetische Erziehung des Menschen«, geschrieben im Wetterleuchten der Revolution, erschienen 1795, gilt der Schönheit, durch die der Mensch zur Freiheit wandert. Die Erfahrung der Schönheit, so Schiller, heilt den modernen Geist, erschafft kulturelle Harmonie, bildet den Menschen zum wahren gesellschaftlichen Wesen. Damit ist ein idealistisches Panorama entfaltet, von einer kristallklaren Unbedingtheit und einem großmütigen Pathos, die kaum in das Leben zu übertragen waren. Dennoch waren der Humboldt’sche Bildungsbegriff und der ästhetische Glaubenssatz Schillers Leitbilder von prägender Kraft, beförderten ein bürgerliches Statusdenken, wurden wie ein Palladium durch die Erziehungslandschaft des 19. Jahrhunderts getragen, um dann zu purer Konvention zu gerinnen. Den Prozess der Veräußerlichung übernahm das 20. Jahrhundert, um dann über Sinnentleerung und Sinnentzug das Ende eines Kanons humanistischer Erziehung wie gesellschaftlicher Stellung und Distinktion herbeizuführen. Was uns heute bleibt, sind Scherben eines alt gewordenen Bildungsideals.

Wir können diese wie auf einer archäologischen Fundstelle mühsam aufklauben, ein Zusammenfügen gelingt im besten Fall nur mehr lückenhaft.

Das Fach der Kunstgeschichte könnte versucht sein, sich dieser Vergangenheit mit der Wissbegier des historischen Studiums zuzuwenden, fern gewordene Bildungsinhalte vermittels der Abgeklärtheit wissenschaftlicher Recherche aufzuarbeiten. Doch eine solche Distanz lässt sich kaum aufrechterhalten. Denn unsere Disziplin ist ursächlich verwoben mit dem neuzeitlichen Bildungsgedanken, ja wurde geradezu mit diesem zusammen geboren, schöpfte aus den gleichen geistigen Quellflüssen eines der Ästhetik verpflichteten Idealismus. Nach den Generationen eines Winckelmann, Kant, Schiller, Heinse, Goethe war es vor allem das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts, in dem die Kunstgeschichte gültige Maßstäbe ihrer Professionalität und Wissenschaftlichkeit etablierte, während gleichzeitig der bürgerliche Bildungsbegriff seinen stärksten Wirkungsradius erfuhr. Zeitgleich mit der Ausformung der Kunstgeschichte zu einer Disziplin der Wissenschaft entwickelte sich das Museum aus den Anfängen fürstlicher Kunstsammlungen zu einer Institution des Eigentums einer alle Klassen umfassenden Öffentlichkeit am Kulturgut, zu einer Stätte allgemeiner Bildung. Wie eng die einzelnen Bildungsinitiativen miteinander verzahnt waren, belegt das Beispiel Berlin. Hier hatte Wilhelm von Humboldt mit dem Dreischritt von Elementarschule, Gymnasium, Universität das alles entscheidende Instrumentarium des neuen Bildungsprozesses geschmiedet. Zugleich war er die einflussreichste Persönlichkeit unter den Gründungsvätern, denen wir die Planung und Errichtung von Schinkels Altem Museum verdanken. 1829 an die Spitze der Kommission zur endgültigen Auswahl der Objekte, deren Aufstellung und zur Ausarbeitung von Vorschriften der Museumsverwaltung ernannt, nutzte Humboldt seine Position zur Verwirklichung des Ideals, um das Museum zu einer Freistätte des Geistes, zu einem Ort der Erziehung des Menschen vermittels – ganz im Sinne Schillers – der Kräfte der Schönheit auszuformen. Mit diesem Gründungswerk einer der Bildung dienenden, dem Fachgebiet der jungen Disziplin der Kunstgeschichte übereigneten Institution nimmt in Deutschland die Phalanx der Kunstmuseen ihren Anfang.

Wie aber steht es heute um dieses Fundament, das damals unabweislich schien, dem das Museum Wert und Tragkraft verdankte? Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, muss der Blick noch einmal auf den heutigen Gebrauch des Begriffs der Bildung geworfen werden. Das Wort ist schal geworden, so wie der Inhalt, für den es steht, keinen Glanz verbreitet, keinen Nutzen verspricht. Bildung wird vielfach als antiquiert beiseitegeschoben, hat Staub angesetzt, und selbst wenn ab und an der Wert des Bildungsbesitzes beschworen wird, so sind dies rhetorische Floskeln, die zumeist den Begriff der Bildung mit dem Vorgang der Ausbildung verwechseln, ihn damit auf pragmatische Aussagen reduzieren. Kulturpolitiker, Erziehungswissenschaftler, die Öffentlichkeit gebrauchen dagegen eine Formel, die eine zupackendere Nutzanwendung verheißt: Dies ist das Wort vom Wissen, das, täglich gebraucht, sich aus der Fülle der medial verbreiteten Information speist. Die damit etablierte Wissensgesellschaft setzt Maßstäbe zur Ausbildung wie für ein lebenslanges Lernen. Dabei ringt dieses Wissen kaum mehr um das Erkennen von Wahrheit, stellt sich nicht in den Dienst der Menschenbildung, sondern hat funktionalen Wert, ist ausgerichtet auf Fähigkeiten und Fertigkeiten und damit auf die Erlangung von Kompetenz. Eine solche Ökonomisierung des Wissens greift selbst dort, wo einst der Einstieg in den Bildungsprozess begann, der schulischen Erziehung. Ein Beispiel mag genügen. Die PISA-Studie untersucht jeweils in zeitlichem Abstand Leistungen der Lesekompetenz von fünfzehnjährigen Schülern. Dabei geht es nicht um Texte der Dichtung, nicht um Hölderlin oder Kleist, Kafka oder Benn, sondern um Trivial- und Gebrauchstexte, deren Informationsgehalt zu erschließen ist. Lesen wird zur Hilfsfunktion, zum »gezielten Informationslesen« – so PISA –, zur Basiskompetenz und damit anwendungsbezogenen Dienstleistung, wobei das Gespür für die Kunst der Sprache, erst recht das Erlebnis der Kunst der Dichtung ausgeklammert bleibt. Eine derartige Ökonomisierung des Wissens beflügelt selbstredend auch den Bologna- Prozess an den Universitäten. Doch auf ihn will und kann ich nicht eingehen, zu viele Experten – hoffnungsvolle oder leidgeprüfte – befinden sich im Auditorium.

Nun wird man einwenden können, dass selbst angesichts einer Korruption des alten Bildungsbegriffs gerade Museen aufgerufen seien, wirksam Gegenpole zu setzen. Sie seien geradezu Bildungsmaschinen, deren Räderwerk Jung und Alt mit dem Elixier traditionsreicher Bildungsinhalte zu versorgen hätte. In der Tat, die Museen verzeichneten in den vergangenen Jahren steigendes Interesse und demonstrieren heute eine staunenswerte Konjunktur. Eine Welle des Bauens, Neugründens und Erweiterns von Museen steigert die Urbanität unserer Städte und beweist, wie ernst es die öffentliche Hand mit der Bildungspolitik meint und dass sie diese auf gesellschaftliche Akzeptanz gründen kann. Entsprechend wird die jüngere Entwicklung von Besucherzahlen gekrönt, wie sie innerhalb der gut zweihundertjährigen Geschichte der Museumsinstitution zu keinem anderen Zeitpunkt zu verzeichnen waren. Mehr als hundert Millionen Menschen besuchen jährlich ein Museum in Deutschland; es ist dies ein grandioser Ertrag, buchstäblich lässt sich damit Erfolg mit Händen greifen.

Sie werden einem alten Museumspraktiker verzeihen, wenn er hinter dem Glanz dieser Fassade auch Ecken finsterer Vernachlässigung kennt und benennt: mangelnden Unterhalt der Neubauten, gekürzte Subventionen, unzureichende finanzielle Ausstattung, Personalnot, administrative Zwänge, Abhängigkeiten von staatlichen und kommunalen Trägern bis hin zur Knechtung, zu schweigen von dem teils arroganten, teils herrischen, selten verständnisvollen Auftreten von Sponsoren, der Macht von Sammlern wie des Kunstmarkts. Ich will hier jedoch nicht über Leidensdruck und Leidensfähigkeit der Museen lamentieren, vielmehr bei dem Positivum bleiben, das die geradezu überwältigende Massierung des Besuchs bezeugt. Zu fragen ist dabei, welche Erwartungen der Museumsbesuch auslöst, welche Früchte er trägt, in wie weit eine Bildungslandschaft genutzt und hierfür zuvor gehegt wird, ob Fragmente des Ideals der »Ästhetischen Erziehung des Menschen« noch Wirkung zeigen und in wie weit an den Museen Maximen der Bildung als Anspruch auf angemessenes Verstehen vorgelebt und rezipiert werden.

Bevor der Versuch einer Antwort gegeben wird, ist allerdings darauf zu verweisen, dass die gesteigerte Aufmerksamkeit des Publikums auf die Museen einem Umstand geschuldet ist, der in den letzten Jahrzehnten steigende Bedeutung erfahren, ja die einzig ausschlaggebende Wirkung gezeitigt hat: das Faszinosum der Wechselausstellungen. Die Besucherströme in die Museen sind vor allem Huldigungen der Menge an die Attraktion des nur für einen kurzen Zeitraum Vereinigten, des Außergewöhnlichen, des in den Medien und der öffentlichen Meinung hoch Gepriesenen. Tiefer reichen Gründe für die Akzeptanz, ja kollektive Begeisterung, mit denen ein großes Publikum Ausstellungen begegnet, sie einfordert, nach ihnen verlangt, wenn man sich vor Augen führt, dass es einer Ausstellung stärker als jeder anderen Präsentationsform gelingt, eine Geschichte überzeugend zu erzählen, das Gesamtbild einer künstlerischen Entwicklung, einer historischen Begebenheit zu vermitteln und die Sprache der Zeugnisse mit der stimulierenden Wirkung ihrer Präsentation zu bündeln, um so Erlebnisse zu generieren, bleibende Eindrücke zu hinterlassen. Ausstellungen verhelfen damit Museen zum Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit, sie verbreiten den Glanz des Bedeutenden, lassen die Sonne des Erfolgs über unseren Institutionen aufgehen. Doch ein kritischer Beobachter würde die Augen verschließen, wenn ihm nicht die Parallelen zu denken gäben, die sich zwischen diesem Siegeszugs des Mediums der Ausstellung und dem Befund auftun, den Gerhard Schulze in seiner Kultursoziologie der Gegenwart unter dem Stichwort der »Erlebnisgesellschaft« erarbeitet hat. Erleben – so Schulzes Zeitdiagnose – sei die nun dominante Form, Sinn zu definieren; Erlebnisorientierung sei heute die unmittelbarste Form der Suche nach Glück. Der unser Leben zunehmend bestimmende Erlebnismarkt verstärke eine Konsumhaltung, bei der Vorzeigbarkeit, Medienwirksamkeit, Imageträchtigkeit, Publikumswirksamkeit gefragt seien. Nach Schulze ergibt sich dann Gefahr, wenn kulturelle Einrichtungen beginnen, sich der Rationalität des Erlebnismarktes unterzuordnen, die Publikumswirksamkeit als alleinigen Erfolgsindikator zu werten.

Was aber ergibt eine derart pessimistische Diagnose für unsere Fragestellung nach der Bildungsfähigkeit des Museums- oder auch Ausstellungsbesuchers? Zweifellos steckt ein Stück der Suche nach dem Erleben, des Glücks im Finden von Faszination und Authentizität in jedem Ausstellungserfolg, und unbestreitbar wird die Grenze hin zur Kommerzialisierung erreicht, wenn in den Museen Designer und Couturiers zu Inszenierungen greifen, um den Schauwert des Originals zu steigern. Nachdenklich muss zudem stimmen, wenn wie jüngst bei Berufungen zur Museumsleitung die Popularität der von Kandidaten verantworteten Ausstellungen mit ihrem Einsatz von Repliken, Computersimulationen und Großprojektionen die Qualifikation für das Amt nachdrücklich steigert. Dass Kunsthistoriker im späten 19. Jahrhundert die Leitung der Museen Künstlern und Liebhabern aus der Hand nahmen, sollte heute nicht zu Gunsten eines vordergründig reibungslosen, erfolgsorientierten Managements aufgegeben werden. Doch die eigentliche Problematik des Ausstellungsbooms reicht in tiefere Schicht. Denn gemäß dem Gesetz kommunizierender Röhren antwortet auf den Besucheransturm für das Ereignis der Ausstellung der schmerzlich spürbare Rückgang in der Akzeptanz der ständigen Sammlungen, zahlt das Museum für den Glanz seiner Ausstellungen den bitteren Preis der Hintanstellung seines ursprünglichen Auftrags. Was zunächst der zusätzlichen Belebung des Museumsalltags hatte dienen sollen, nimmt nun vielfach den eigentlichen Sitz des Lebens in einem Museum ein. Zu ungleich sind die Ausgangspositionen verteilt: Wo die Ausstellung Zusammenhänge präsentiert, herrscht im Museum Vereinzelung; Zuspitzungen und Aktualisierung auf der einen stehen Egalisierung, Reihung und Gewöhnung auf der anderen Seite gegenüber, die Sensation des Neuen überstrahlt das Althergebrachte, und doch übersteigt – paradoxerweise – Rang, Aussagekraft, ja selbst die Aura von Größe und Meisterschaft der eigenen Bestände meistenteils den Status der kurzzeitigen Gäste. Wenn das Museum immer stärker zu einer Kunsthalle mutiert, kommen wir nicht umhin, eine Auszehrung des bisher überlieferten Museumsgedankens zu konstatieren, die Aushöhlung bisheriger Sehgewohnheiten, die Geringschätzung des Nutzens der Museumsinstitution für die Bildung der Allgemeinheit.

Nun wird kein Vertreter unserer Disziplin, kein für ein Museum Verantwortlicher so töricht sein und das Ende der Ausstellungserlebnisse ausrufen wollen. Ich selbst wäre dabei als ein Savonarola höchst ungeeignet, bin ich doch steter Ausstellungsbesucher, angewiesen auf und höchst dankbar für die in Ausstellungen erbrachte Forschung und erinnere mich mit Freude, auch Genugtuung vieler Ausstellungen, die ich in meinem Berufsleben konzipieren durfte. Dennoch trage ich auch an der Last der Verantwortung, die Kollegen meiner Generation und ich auf uns geladen haben, als wir begeisternden Eifer für eine Sache erbrachten, die in sich nicht nur gerechtfertigt, sondern dank ihrer erfolgreichen Wissensvermittlung eine Fundierung von Bildungsinhalten war, und dennoch die Institution schwächte, die uns anvertraut war. Was ist zu tun? Wie gesagt, sicherlich nicht das Ziehen eines Schlussstrichs unter Ausstellungen, wohl aber der Versuch, diese stärker auf die Sammlungsschwerpunkte auszurichten, sie als Propädeutika zum tieferen Eindringen in die eigene Sammlung zu nutzen, dabei Hauptwerke des eigenen Hauses mit der Präsentation von Geschwisterstücken und Objekten des geschichtlichen Umkreises dem Betrachter derart nahezubringen, dass für ihn ein solches Werk geradezu unvergesslich wird. Doch sind dies eher Quisquilien vor einer ungleich größeren Herausforderung, die sich den Museen, stärker noch der Disziplin der Kunstgeschichte stellt. Aus der Fülle dessen, was zu tun aufgetragen ist, will ich hier nur zwei Wegstrecken aufzeigen, von denen ich überzeugt bin, dass es Königswege sind.