Aus dem Amerikanischen von Patrick Baumann

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe The Ninth Configuration

erschien 1978 im Verlag HarperCollins Publishers.

Copyright © 1978 by William Peter Blatty

Copyright © dieser Ausgabe 2020 by Festa Verlag, Leipzig

Titelbild: Arndt Drechsler

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-825-4

www.Festa-Verlag.de

Für Linda

Ich habe mir beim Erzählen dieser Geschichte einige Freiheiten im Umgang mit den Tatsachen erlaubt; beispielsweise verfügt das United States Marine Corps weder über Psychiater noch über Sanitätsoffiziere.

Vorbemerkung des Autors

Als ich jung war und noch sehr hastig und unter Druck arbeitete, schrieb ich einen Roman mit dem Titel Twinkle, Twinkle, »Killer« Kane. Das Grundkonzept war sicher das Beste, was ich je erdacht hatte, aber ebenso sicher war das, was dann veröffentlicht wurde, nicht mehr als eine Sammlung von Notizen für einen Roman – einige formlose, unvollendete Skizzen ohne eine zusammenhängende Handlung.

Aber die Grundidee war mir wichtig, also habe ich noch einmal einen Roman darüber geschrieben. Diesmal weiß ich jedoch, dass ich mein Bestes gegeben habe.

Ich habe alte Recht’ an dieses Reich.

Hamlet,

Fünfter Aufzug,

Zweite Szene.

1

Es war ein abgelegenes Herrenhaus im gotischen Stil, gewaltig, von Wald umschlossen, grotesk. Mit seinen Turmspitzen duckte es sich unter die Sterne wie etwas Ungeheuerliches, Entstelltes, das sich nicht verbergen kann und auf die Gelegenheit zur Sünde wartet. Die Fratzen der Wasserspeier grinsten den Wald an, der sich auf allen Seiten dicht an das Haus herandrängte. Eine Zeit lang bewegte sich nichts. Die Dämmerung kam. Die dünnen Strahlen der Herbstsonne versuchten, den Morgen aus seinem finsteren Grab unter den Bäumen zu befreien, und Nebelschwaden stiegen von verrottetem Laub auf wie entschwindende Seelen, schwach und vertrocknet. Ein Fensterladen ächzte im Wind und eine verschreckte Krähe krächzte rau auf einer weit entfernten Wiese. Dann Schweigen. Warten.

Eine feste, überzeugt klingende Männerstimme drang aus dem Inneren des Hauses hervor und schreckte einen kleinen, grünen Reiher am Wassergraben auf.

»Robert Browning hat ’nen Tripper gehabt, und den hat er sich bei Charlotte und Emily Brontë geholt.«

Ein zweiter Mann bellte wütend zurück: »Halt den Mund, Cutshaw!«

»Von beiden hat er ihn gekriegt.«

»Sei ruhig, du verdammter Irrer!«

»Kannst ja bloß die Wahrheit nicht vertragen.«

»Krebs, rufen Sie die Einheit zusammen!«, befahl der Mann mit der wütenden Stimme.

Ein militärisches Hornsignal schrillte, bohrte sich durch die Stille und den Nebel. Eine trotzig flatternde amerikanische Flagge wurde auf einer der Turmspitzen gehisst. 27 Männer in grünen Uniformen schossen wie Granatsplitter aus dem Herrenhaus hervor und hasteten zur Mitte des Innenhofes, wobei sie vor sich hin murmelten und die Ellbogen anwinkelten, um eine militärische Linie zu bilden. Einige waren noch mit anderen Utensilien ausgestattet: Einer trug ein Rapier sowie goldene Ohrringe; auf dem Kopf eines anderen thronte eine Mütze aus Waschbärfell. Aus der Gruppe stieg eine Flut von Beschimpfungen auf, die wie eine Funken sprühende Dampfwolke über ihnen hing:

»›Ha! Heißa, Junge! Komm, Vögelchen, komm!‹«

»Mann, das kannst du dir sonst wo hinstecken; ganz im Ernst.«

»Geh doch die Bismarck versenken!«

»Pass auf mit deinem Ellbogen!«

Ein Mann, der eine zottige Promenadenmischung auf dem Arm trug, drängte sich in die Mitte der Linie. Dabei plärrte er: »Mein Umhang! Hat jemand meinen Umhang gesehen?«

»Was zum Teufel ist schon ein Umhang?«, knurrte der mit dem Schwert. »Bloß Stoff, verdammt noch mal.«

»Stoff?«

»Ja, bescheuerter, beschissener Stoff.«

»In welchem Land sind wir hier?«, fragte ein Mann am Ende der Reihe.

Ein blonder Mann trat ihnen schwungvoll entgegen. Er trug ramponierte, schmutzige schwarze Keds, aus denen sein linker großer Zeh hervorragte. Über der Uniform trug er einen Pullover der New York University zur Schau: Auf einem Ärmel waren die Streifen einer Letterman-Auszeichnung zu sehen, auf dem anderen ein Astronautenaufnäher der NASA. »Stillgestanden!«, befahl er streng. »Hier komme ich, Billy Cutshaw!«

Die Männer gehorchten und hoben steif die Arme zum römischen Gruß. »Captain Billy, wir wollen dir dienen!«, johlten sie in den Nebel. Dann ließen sie die Arme wieder sinken, blieben reglos stehen, still wie die Verdammten, die auf ihren Urteilsspruch warteten.

Cutshaws Blicke huschten schnell über sie hinweg, mysteriös funkelnd, strahlend und tiefgründig. Schließlich sprach er:

»Lieutenant Bennish!«

»Sir!«

»Sie dürfen drei große Schritte vortreten und den Saum meiner Kleidung küssen!«

»Sir!«

»Nur den Saum, Bennish, denken Sie dran, den Saum!«

Bennish trat drei Schritte vor und schlug mit lautem Knall die Hacken zusammen. Cutshaw musterte ihn reserviert.

»Exzellente Haltung, Bennish.«

»Vielen Dank, Sir.«

»Aber lassen Sie es sich nicht zu Kopf steigen, verdammte Scheiße. Es gibt nichts Schlimmeres als Überheblichkeit.«

»Ja, Sir. Das haben Sie schon oft gesagt, Sir.«

»Das weiß ich, Bennish.« Cutshaw durchbohrte ihn mit Blicken, als ob er nach Anzeichen von Unverschämtheit suchte, als der mit dem Schwert schrie: »Da kommt der Bulle!«

Die Männer stießen Buhrufe aus, während die steife, militärisch strenge Gestalt eines Majors des Marine Corps mit zornigen Schritten das Herrenhaus verließ. Cutshaw trippelte in die Reihe vor und brüllte dem Major über die Buhrufe hinweg zu: »Wo ist mein Ho-Chi-Minh-Dechiffrierring? Ich hab den gottverdammten Deckel von der Schachtel eingeschickt, Groper; wo zum Teufel bleibt jetzt der …«

»Ruhe!«, brachte Groper die Männer zum Schweigen. Sein Gesicht, aus dem die kleinen Augen hervorfunkelten, wirkte wie ein Stück gut durchgeklopftes Rindfleisch, gekrönt mit einem Bürstenschnitt. Mit seinem massigen Körperbau war er groß und unförmig. »Ihr Spinner, ihr Grünschnäbel, ihr College-Klugscheißer!«, schnarrte er.

»Darum geht’s also«, murmelte jemand.

Groper schritt die Reihe ab, wobei er den großen Kopf gesenkt hielt, als wäre er bereit, zuzustoßen wie ein Stier. »Was glaubt ihr eigentlich, wen ihr mit eurer albernen kleinen Maskerade zum Narren halten könnt? Tja, ich hab schlechte Neuigkeiten für euch, Jungs. Ganz schlechte. Ratet mal, wer nächste Woche das Kommando übernimmt. Na, ahnt ihr was? Hm? Ein Psychiater!« Er brüllte nun regelrecht und zitterte vor unkontrollierbarer Wut. »Ganz genau! Und zwar der beste! Der beste, der eine Uniform trägt! Der verflucht noch mal großartigste Psychiater seit Jung!« Er sprach das ›J‹ englisch aus.

Dann stand er schwer atmend da, schnappte nach Luft und versuchte, die Beherrschung zurückzugewinnen. »Ihr beschissenen, feigen Drückeberger! Er kommt, um rauszufinden, ob bei euch wirklich ’ne Schraube locker ist!« Groper grinste; seine Augen strahlten. »Ist das nicht ’ne tolle Nachricht, Jungs?«

Cutshaw trat einen Schritt vor. »Können wir den Scheiß mit dem ›Jungs‹ bitte sein lassen, Major? Das fühlt sich sonst an, als wären wir Cockerspaniels und Sie der alte Pirat aus ›Tortilla Flat‹. Können wir …«

»Zurück in die Reihe!«

Cutshaw drückte eine Gummihupe etwa von der Größe eines Baseballs zusammen, die er in der Hand hielt. Sie erzeugte ein lautes, unangenehmes Geräusch.

Groper krächzte: »Cutshaw, was ist das, was Sie da haben?«

»Ein Nebelhorn. Es gab Berichte über chinesische Herumtreiber in der Gegend.«

»Eines Tages brech ich Ihnen das Rückgrat, das versprech ich Ihnen!«

»Eines Tages verlasse ich Fort Zinderneuf; ich hab keine Lust mehr, Leichen aufzustellen.«

»Ich wünschte, Sie hätten im Weltraum eins auf den Schädel bekommen«, gab Groper zurück.

Die Männer begannen zu zischen.

»Ruhe!«, bellte Groper.

Das Zischen wurde lauter.

»Ja, zischen könnt ihr, ihr schleimigen, kleinen Schlangen.«

»Bravo! Bravo!«, lobte Cutshaw und brachte die Männer dazu, höflich Beifall zu klatschen. Andere setzten das spöttische Lob fort:

»Sehr bildlich ausgedrückt.«

»Fabelhaft, Groper! Fabelhaft!«

»Nur eine Sache noch, Sir«, begann Cutshaw.

»Was denn?«

»Schieben Sie sich ’ne Ananas in den Arsch.« Cutshaw wandte den Blick ab. Ihn überkam eine Vorahnung. »Da kommt jemand.«

Es war mehr ein Gebet als eine Feststellung.

2

Mit Nammack hatten die Probleme angefangen. Am 11. Mai 1967 war Nammack, ein Captain der United States Air Force, in einer mit Bomben beladenen B-52 in Richtung Hanoi geflogen, und sein Co-Pilot hatte eine hydraulische Fehlfunktion gemeldet.

Nammack war in aller Ruhe aufgestanden, hatte seinen Fliegerhelm abgenommen und leise und voller Überzeugung gesagt: »Sieht aus wie ein Job für Superman.«

Der Co-Pilot übernahm die Kontrolle. Nammack wurde in ein Krankenhaus eingewiesen, wo er weiter auf seiner fixen Idee beharrte, er habe übermenschliche Kräfte und könne ›ohne Kryptonit‹ nicht vollständig geheilt werden. Die psychiatrischen Tests und Untersuchungen führten jedoch zum frustrierenden Ergebnis, dass man ihn nicht eindeutig als psychotisch einstufen konnte. Bis zu dem Moment, als er im Cockpit aufgestanden war, hatte vielmehr alles darauf hingedeutet, dass seine Psyche und sein Emotionshaushalt sogar bemerkenswert robust waren.

Nammack war der Wegbereiter. Bald folgten ihm Dutzende andere, dann noch viele mehr. Militärische Offiziere legten plötzlich geistige Störungen an den Tag, die für gewöhnlich in Form irgendeiner verblüffenden, bizarren Zwangsvorstellung auftraten. In keinem dieser Fälle gab es eine Vorgeschichte mentaler oder emotionaler Instabilität.

Die Regierungsbehörden waren verwirrt und zunehmend beunruhigt. Waren diese Männer Simulanten? Es war auffällig, dass Nammacks Fall sich sehr kurze Zeit nach der Sache mit Captain Brian Fay ereignet hatte. Dieser, ein Marine, hatte sich geweigert, ein Kampfgebiet zu betretenm und war dafür zu mehreren Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden. Es war ein umstrittener Krieg, und die meisten dieser Männer waren im Kampfeinsatz oder würden es bald sein. Der Verdacht, dass sie ihre Krankheit nur vortäuschten, kam unvermeidlich auf.

Aber diese Schlussfolgerung warf einige Probleme auf. Manche dieser Soldaten waren überhaupt nicht an Kämpfen beteiligt gewesen, und viele derer, die es gewesen waren, hatten Tapferkeitsauszeichnungen erhalten. Warum waren sie alle Offiziere? Weshalb ging es in den meisten Fällen um Zwangsvorstellungen? In einem internen Arbeitspapier des Weißen Hauses wurde der dunkle Verdacht formuliert, dass hier ein geheimer Offizierskult mit unbekannten, aber möglicherweise gefährlichen Absichten am Werk war. Angesichts der Rätselhaftigkeit der Vorgänge erschienen solche Vorstellungen kaum abwegig.

Um dem Geheimnis auf den Grund zu gehen und gegebenenfalls seine Ursache und mögliche Heilmethoden zu ermitteln, rief die Regierung Projekt Freud ins Leben: ein geheimes Netzwerk militärischer Erholungslager, in denen diese Männer vor der Öffentlichkeit verborgen blieben und in Ruhe studiert werden konnten. Das letzte dieser Camps war Zentrum 18. Diese hochgradig experimentelle Einrichtung war in einem Herrenhaus untergebracht, tief in einem Kiefern- und Fichtenwald nahe der Küste des Bundesstaats Washington. Das Haus gehörte Amy Biltmore, und seine Architektur war eine Nachahmung der mittelalterlichen Burg ihres Mannes, des Grafen von Eltz. Aber bevor sie es im Herbst 1968 an das Militär vermietete, hatte sie es schon lange verlassen. Jetzt war es von einer Minimalbelegschaft aus Marines sowie von 27 Insassen bewohnt, allesamt Offiziere. Einige gehörten zum Marine Corps, andere hatten früher zu B-52-Fliegermannschaften gehört. Außerdem hielt sich dort ein ehemaliger Astronaut namens Captain Billy Thomas Cutshaw auf, der eine Mondflugmission während des letzten Countdowns auf so absonderliche Weise abgebrochen hatte, dass nur diejenigen die Geschichte glaubten, die dabei gewesen waren.

Das Pentagon hatte Cutshaw und den anderen in Zentrum 18 einen brillanten Psychiater vom Marine Corps zugeteilt, der für seine außergewöhnliche geistige Offenheit bekannt war und schon erstaunliche Erfolge mit neuartigen Methoden erzielt hatte: Colonel Hudson Stephen Kane. Jemand dieses Namens erschien dort tatsächlich am 17. März, nur wenige Wochen nach der Rückeroberung von Hué. Major Groper, der Adjutant und zeitweilige Kommandant des Zentrums, trat in diesem Moment gerade den Insassen im Hof gegenüber. Als er sah, wie sich der Dienstwagen näherte, und annehmen musste, dass derjenige, der darin saß, Colonel Kane war, verfluchte er sein Schicksal dafür, dass dieser während des Morgenappells eintraf – der Zeitpunkt, an dem der Zustand der Insassen immer am schlimmsten war. Wie Läuse waren sie zur Mitte des Innenhofs gehuscht – alle außer Fairbanks der Fechter. Dieser war an diesem Morgen seine Optionen durchgegangen und hatte sich dazu entschieden, sich an einem Seil zur Formation hinabzuschwingen, das er an einem der Türme befestigt hatte. Jetzt spielten sie ein von Cutshaw erfundenes Spiel namens In Zungen sprechen: Jeder Mann plapperte in voller Lautstärke kryptischen Nonsens – abgesehen von Reno, dem Insassen, der einen Hund hatte. Reno starrte wie benebelt geradeaus und sang Let Me Entertain You. Sein Hund wirkte verängstigt durch all das fremdartige Geschrei.

»Herrgott!« Groper spuckte in den Staub vor seinen Füßen und donnerte: »Achtung! Schnauze halten, ihr Schwanzlutscher! Haltet verdammt noch mal den Rand und reiht euch ein! In die Reihe!«

Die Insassen beachteten ihn gar nicht.

Der Dienstwagen hielt vor dem Eingang. Der Fahrer, ein Sergeant, öffnete die Tür für den Mann auf dem Rücksitz, ein Marine-Corps-Colonel, der ausstieg, schweigend stehen blieb und Groper und die Insassen betrachtete. Der Colonel war groß, stämmig und verfügte über raue und doch irgendwie sanfte Gesichtszüge. Nur in seinen Augen war Bewegung: Grünliche Flecken wirbelten dort fast unmerklich durch kastanienbraune Seen. Auch Traurigkeit war in diesen Augen.

»Meine Herren, darf ich für einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit bitten?« Gropers tiefe, raue Stimme bekam einen salbungsvollen Beiklang.

Die Insassen setzten ihr Spiel fort. Der Colonel beobachtete sie mit undurchdringlicher Miene. Dann sah er zur Seite. Neben ihm stand ein finster dreinblickender Marine im frisch gebügelten Gabardinehemd und der Hose einer Klasse-B-Uniform. Am Kragen trug er ein Sanitäterabzeichen und die Blätter eines Colonels. In der Hand hielt er ein Stethoskop. Er starrte die Insassen an und schüttelte den Kopf. »Arme Schweine«, murmelte er. Dann richtete er den Blick auf den Colonel. »Kane?«

Der Angesprochene bestätigte mit einem Nicken.

»Ich bin Colonel Fromme, der Sanitäter hier im Zentrum. Bin wirklich froh, dass Sie mit an Bord kommen. Ich kann jede Hilfe gebrauchen, die ich kriegen kann.« Er sah zu den Insassen, die immer noch außer Kontrolle waren. »Mein Gott, die sind ganz schön hinüber.«

»Würden Sie mich bitte zu meinem Quartier bringen?«, bat Kane.

»Folgen Sie einfach der gelben Ziegelsteinstraße.«

Kane starrte ihn an.

»Lieutenant Fromme, zurück ins Glied!«, donnerte Groper in Richtung des Mannes mit dem Stethoskop.

»Fromme, du Irrer!«, rief ein Mann ohne Hose, der aus der Eingangstür des Herrenhauses marschiert kam. »Gib mir meine Hose und mein Stethoskop wieder, verflucht noch mal!« Er stapfte auf Kane und Fromme zu.

Ein Sergeant mit ausdrucksloser Miene und tadelloser Uniform tauchte vor Kane auf und salutierte zackig. »Sergeant Christian meldet sich zum Dienst, Sir!«

»Das wird auch langsam Zeit, Kildare!«, begrüßte Fromme den Sergeant eisig. Er zeigte mit dem Finger auf Kane. »Um Gottes willen, bringen Sie diesen Mann jetzt in den Operationssaal oder haben Sie vor, ihn hier verbluten zu lassen, während Sie und Ihre Kumpels Soldat spielen? Was zum Teufel ist das hier, ein Krankenhaus oder ein Irrenhaus?«

Während Fromme nach einer passenden Entgegnung suchte, führte Sergeant Christian ihn gewaltsam davon. In der Zwischenzeit war der Mann ohne Hose eingetroffen. Im Vorbeigehen riss er Fromme geschickt das Stethoskop aus der Hand und rief Sergeant Christian zu: »Lass ihn die Hose diesmal nicht verknittern!« Dann wandte er sich Kane zu und salutierte.

Ein seltsamer Ausdruck erschien kurz in Kanes Miene, und der Mann stieß hervor: »Vincent!«

Kanes Blick wurde wieder unergründlich. »Was haben Sie gesagt?«

»Sie sehen genauso aus wie Vincent van Gogh. Oder wie eine Lerche in einem Weizenfeld; ich bin nicht ganz sicher. Die sind sich ziemlich ähnlich. Ich bin Colonel Richard Fell. Der Sanitäter.«

Kane musterte ihn. Ein untersetzter Mann Mitte 40 mit listigen, fröhlichen Augen in einem traurigen Gesicht. Er schwankte leicht, und die Hand, mit der er salutiert hatte, war dieselbe, in der er das Stethoskop hielt.

»Colonel Fell, haben Sie etwa getrunken?« Kanes Stimme war leise und sanft, ohne jeden Vorwurf.

»Was? In Uniform?«, entgegnete Fell scharf. »Das ist meine letzte Gabardinehose, die er da hat. Die anderen sind alle in der Wäsche. Und, Colonel, wenn Sie wollen, dass ich noch länger salutiere, rufen Sie dann bitte im Memorial Hospital an und sagen denen, dass der Spenderarm bereit zur Transplantation ist? Er müsste jetzt jeden Moment abfallen …«

Kane salutierte zurück.

»Danke. Sie sind ein wahrer Prinz, Sir, bei Gott.«

Ein anderer Sergeant mit vielen Sommersprossen tauchte vor Kane auf und salutierte ebenfalls. »Sergeant Krebs meldet sich zum Dienst, Sir.«

»Würden Sie mich zu meinem Quartier bringen?«

Fell rülpste und murmelte mit abgewandtem Blick: »Wahrscheinlich.« Dann drehte er sich unerklärlicherweise um und ging.

Für einen Augenblick sah Kane ihm nach. Dann folgte er Krebs, der ihn an den Insassen vorbei zum Eingang des Herrenhauses führte.

Die Patienten plapperten weiter vor sich hin. Groper flehte sie förmlich an, Haltung anzunehmen. Er war bei den Beförderungen zweimal übergangen worden; nur eine hervorragende Bewertung in seinem nächsten Effizienzbericht konnte ihn noch davor bewahren, für immer in seinem gegenwärtigen Rang zu verharren. Er funkelte die Insassen wütend an. »Herrgott noch mal, Ruhe!«, brüllte er.

»Groper, Sie müssen Simon sagt sagen«, erinnerte ihn Cutshaw.

Groper dröhnte: »Simon sagt: Achtung!«

Sofort verstummten die Männer und nahmen Haltung an – alle bis auf den mit den Ohrringen und dem Schwert, der Groper seine Rechte vorlas: »Sie haben das Recht zu schweigen«, leierte er herunter.

Kanes abschätziger Blick glitt über jeden der Männer in der Gruppe dahin. Dann sah er in die blauen Augen von Billy Cutshaw, der ihn konzentriert anstarrte.

Kane erwiderte Gropers Salut und ging weiter zur Tür des Herrenhauses. Dort drehte er sich um. Captain Cutshaw hatte ihn immer noch nicht aus den Augen gelassen. Mit den großen, sehnigen Fingern strich Kane sich sanft über das Gesicht, fuhr an einer Erinnerung entlang, der Narbe einer Entstellung, die ein koreanischer Chirurg ihm vor Jahren entfernt hatte: eine Verbrennung, die sich gezackt wie ein Blitz vom Auge bis unter das Kinn erstreckt hatte.

Er ging ins Haus.

Später saß Groper grübelnd in seinem Büro, während seine Wut abkühlte und sich in trüben Missmut verwandelte. Er war der Elfte in der Rangliste der meistausgezeichneten amerikanischen Soldaten des Zweiten Weltkriegs, hatte in Korea viele Tapferkeitsmedaillen erhalten. Er war immer weiter im Rang aufgestiegen, beginnend mit einer Beförderung auf dem Schlachtfeld während der Ardennenoffensive. Seine Karriere war einmal sehr vielversprechend gewesen, doch jetzt war sie abgenutzt, verblasst, unbefriedigend; und sein Privatleben bestand aus einer Ansammlung von Zurückweisungen. Nichts in ihm war weitergewachsen, abgesehen von seinem Zorn. Er hasste nun die Insassen. Und Kane, vor dem sie ihn blamiert hatten.

Kane. Groper war der Ansicht, dass etwas an ihm merkwürdig war. Er wusste allerdings nicht genau, was es war. Etwas Unpassendes, gleichzeitig jedoch Vertrautes.

Es beunruhigte ihn.