1Betriebsratsarbeit in Zeiten von Corona

Einleitung

Seit Anfang März 2020 hat die Corona-Pandemie ganz Deutschland in einen Ausnahmezustand versetzt. Nicht nur das öffentliche Leben ist massiv beeinträchtigt, die Auswirkungen treffen auch die Wirtschaft und die Arbeitnehmer. In dieser Situation sind die Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter in den Betriebsräten ganz besonders gefordert.

Die Arbeitnehmer gehen auf die Betriebsräte zu mit Ihren Fragen zur Arbeitspflicht, zur Fortzahlung der Vergütung und auch zur Einführung von Kurzarbeit bis hin zur Kündigung aus betriebsbedingten Gründen. Zudem spielen die Probleme der Eltern mit schulpflichtigen Kindern eine gewichtige Rolle. Der Betriebsrat ist dabei nicht nur als Informationsgeber der Kollegen gefragt, sondern auch in der Zusammenarbeit mit der Personalabteilung. So ist zB die Beantragung von Kurzarbeit ohne die Mitwirkung des Betriebsrats gar nicht möglich, ohne eine Betriebsvereinbarung kann Kurzarbeit nicht erfolgreich eingeführt werden. Dem Betriebsrat fällt damit eine ganz wichtige Rolle zu. Er verhandelt mit der Personalleitung die Rahmenbedingungen für die Einführung von Kurzarbeit, hat damit entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung der wirtschaftlichen „Abfederung“ der Corona-Pandemie.

Bei der Ausgestaltung der Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice ist der Betriebsrat in vorderster Front gestaltend eingebunden. Auch dazu gibt die Arbeitshilfe den Betriebsräten konkrete Hilfestellung. Wenn der Höhepunkt der Krise erreicht sein wird, werden andere Themen das Feld bestimmen, nämlich Betriebsänderungen und Restrukturierungen. Hinweise und Tipps auch dazu sind in die Arbeitshilfe aufgenommen.

Ein weiteres Problemfeld eröffnet sich für den Betriebsrat bei der internen Zusammenarbeit. Der Gesetzgeber hat die festgefügten Regelungen zur Beschlussfassung des Gremiums befristet aufgelöst. Betriebsräte können jetzt auch über Video- oder Telefonkonferenzen Beschlüsse wirksam fassen. Welche Folgen das für die Zusammenarbeit im Betriebsrat hat, wird dargestellt. Schließlich werden auch die Auswirkungen der aktuellen Gesetzgebung zur Abhaltung von Betriebsversammlungen und Wahlen dargestellt.

Damit bietet diese Arbeitshilfe für Betriebsräte die perfekte Hilfe zu rechtssicherem Handeln in dieser Krisenzeit.

 

 

Die Autoren

RA Lars Althoff, Kanzlei Althoff in Remscheid, www.arbeitsrecht-althoff.de

RAin Anna Bauer, Anwaltskanzlei Bauer in München, www.arbeitsrecht-bauer.de

RAin Regina Bell, Anwaltskanzlei Bell in München, www.anwaeltinnen-arbeitsrecht.de

RAin Dr. Stephanie Kaufmann-Jirsa, Kanzlei Dr. Kaufmann-Jirsa in Feldafing, www.rechtsanwalt-feldafing.de

RAin Leonie Potthoff, LNS Rechtsanwälte in Bochum, www.anwaelte-lns.de

RA Tim Richter, Kanzlei Hintzen&Richter in Nürnberg, www.hr-anwalt.de

RAin Susanne Schaperdot, LNS Rechtsanwälte in Bochum, www.anwaelte-lns.de

3I. Pflicht zur Meldung der Infektion beim Arbeitgeber

Wenn Arbeitnehmer krank werden und dadurch an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert sind, besteht häufig eine große Verunsicherung darüber, welche Informationen dem Arbeitgeber über die Erkrankung weitergegeben werden müssen und welche Informationen der erkrankte Arbeitnehmer für sich behalten darf. Besonders groß ist die Verunsicherung, wenn die Krankheit, an der der Arbeitnehmer leidet, ansteckend ist. Das folgende Kapitel liefert einen Überblick über das richtige Verhalten im Falle einer Infektion mit dem Corona-Virus und einer daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit.

1. Welche Pflichten haben Arbeitnehmer, wenn sie erkranken?

Arbeitnehmer haben gegenüber dem Arbeitgeber gem. § 5 EFZG zwei Verpflichtungen, wenn sie infolge von Krankheit an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert sind. Zum einen besagt die sog. Anzeigepflicht, dass Arbeitnehmer den Arbeitgeber unverzüglich darüber unterrichten müssen, dass Sie wegen einer Erkrankung nicht arbeiten können. Darüber hinaus ist die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen. Zum anderen besteht eine sogenannte Nachweispflicht, die besagt, dass die Erkrankung durch Vorlage eines ärztlichen Attestes (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) nachzuweisen ist.

achtung Praxistipp

Gelegentlich findet sich in Arbeitsverträgen eine Klausel, wonach der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich persönlich krank zu melden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der erkrankte Arbeitnehmer persönlich im Betrieb erscheinen muss. Die Anzeige der Arbeitsunfähigkeit kann auch ohne weiteres telefonisch oder per E-Mail erfolgen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann per Post versandt werden. Da in diesem Falle nicht unbedingt sichergestellt ist, dass die Bescheinigung rechtszeitig beim Arbeitgeber ankommt, sollte der erkrankte Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Bescheinigung ggf. vorab per Email zukommen lassen.

2. Müssen die Diagnose mitgeteilt werden?

Nein! Der Arbeitgeber muss lediglich darüber informiert werden, dass die Arbeitsleistung aufgrund einer Erkrankung nicht erbracht werden kann. Welche Art von Erkrankung vorliegt, muss nicht mitgeteilt werden. Dies gilt auch dann, wenn der Mitarbeiter an einer ansteckenden Krankheit leidet.

3. Wie vermeidet man die Verbreitung des Virus im Betrieb?

Da ein Arbeitnehmer, der an einer ansteckenden Erkrankung leidet, nicht verpflichtet ist, diesen Umstand dem Arbeitgeber mitzuteilen, besteht die Gefahr, dass sich Kollegen bei der Erbringung der Arbeitsleistung anstecken können. Insofern besteht ein Interesse des Arbeitgebers und der Kollegen, über die Ansteckungsgefahr informiert zu werden. Diese Information muss jedoch nicht der infizierte Arbeitnehmer selbst vornehmen. Vielmehr ist der behandelnde Arzt, der die Infektionskrankheit feststellt, nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) verpflichtet, die Erkrankung dem Gesundheitsamt zu melden. Die Behörden werden dann ggf. weitere Maßnahmen ergreifen. So wird ein Ausgleich geschaffen zwischen dem Interesse des infizierten Arbeitnehmers an der Geheimhaltung seiner Krankheitsdaten und dem Interesse der übrigen Belegschaft an der Verhinderung einer weiteren Ausbreitung der Krankheit im Betrieb.

44. Ist ein Infizierter verpflichtet, den Arbeitgeber zu informieren?

Eine Informationspflicht kann sich allenfalls in Ausnahmefällen ergeben, wenn die Unterrichtung des Arbeitgebers erforderlich ist, um schlimme Folgen zu vermeiden. Eine Unterrichtungspflicht kann sich für den Arbeitnehmer uU aus §§ 15, 16 ArbSchG ergeben, wonach Beschäftigte verpflichtet sind, für die Gesundheit der Personen zu sorgen, die von ihren Handlungen bei der Arbeit betroffen sind und Gefahren für die Gesundheit dem Arbeitgeber unverzüglich zu melden.

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Ein solcher Ausnahmefall könnte zB vorliegen, wenn Corona durch einen Schnelltest bestätigt wurde und im Rahmen der beruflichen Tätigkeit ein intensiver Körperkontakt mit Angehörigen von Risikogruppen stattfindet (zB Physiotherapeut in einer Lungenfachklinik). In diesem Fall könnte das Interesse der Allgemeinheit vor einer Ansteckung mit einer gefährlichen Krankheit die Datenschutzinteressen des infizierten Arbeitnehmers überwiegen. Dieser Fall dürfte aber in der Praxis regelmäßig nicht eintreten, da nach einer bestätigten Infektion der behandelnde Arzt und das Gesundheitsamt unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen treffen werden (insb. Krankschreibung und Anordnung von Quarantänemaßnahmen), sodass es letztlich nicht dem Arbeitnehmer überlassen bleibt, das „Richtige“ zu tun.

5. Muss der Arbeitnehmer über einen Corona-Verdacht informieren?

Wenn der Arbeitnehmer im Regelfall nicht einmal verpflichtet ist, den Arbeitgeber über eine bestätigte Infektion zu informieren, besteht erst recht keine Informationspflicht, wenn der Arbeitnehmer lediglich befürchtet, dass er mit dem Corona-Virus infiziert sein könnte. Der bloße Verdacht muss dem Arbeitgeber keinesfalls mitgeteilt werden.

6. Wie verhalten sich Arbeitnehmer richtig, wenn sie eine Infektion befürchten?

Wenn ein Arbeitnehmer feststellt, dass er an typischen Symptomen leidet (zB Fieber, trockener Husten, Kurzatmigkeit) sollte er auf jeden Fall schnellstmöglich einen Arzt aufsuchen, um die Ansteckung weiterer Personen zu vermeiden. Dies gilt auch dann, wenn eine ärztliche Heilbehandlung aus Sicht des Arbeitnehmers nicht zwingend erforderlich scheint. Das weitere Verhalten sollte dann mit dem behandelnden Arzt abgestimmt werden. Sofern die vom Arbeitnehmer beschriebenen Symptome auf eine Infektion mit dem Corona-Virus hindeuten, wird der Arzt seinen Patienten im Regelfall krankschreiben, auch wenn der Corona-Verdacht noch nicht positiv bestätigt ist.

7. Darf der Arbeitgeber eine Untersuchung bei einem Corona-Verdacht anordnen?

Krankheiten sind grundsätzlich Privatsache. Aus diesem Grunde kann der Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechtes keine ärztliche Begutachtung seiner Mitarbeiter anordnen. Eine Anordnungsbefugnis kann sich aber uU aus kollektivrechtlichen Bestimmungen ergeben (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung). Die Anordnung ist aber auch in diesen Fällen nur dann rechtmäßig, wenn der Arbeitgeber für die betriebsärztliche Untersuchung im Einzelfall gravierende Gründe hat und die ärztliche Untersuchung sachlich gerechtfertigt ist.

II. Arbeitspflicht während der Coronakrise

Das nachfolgende Kapitel geht der Frage nach, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Arbeitnehmer verpflichtet sind, auch während der coronabedingten Krisensituation ihre Arbeitsleistung zu erbringen, bzw. 5unter welchen Umständen ein Arbeitnehmer berechtigt ist, die Arbeitsleistung ganz oder teilweise zu verweigern.

8. Sind Arbeitnehmer in Corona-Zeiten zur Arbeitsleistung verpflichtet?

Ja! Die derzeitige Situation in Zusammenhang mit dem Corona-Virus ändert an der Verpflichtung zur Erfüllung der Vertragspflichten nichts. Insbesondere berechtigt die abstrakte Befürchtung, sich mit dem Corona-Virus anzustecken, nicht zur Verweigerung der Arbeitsleistung.

9. Müssen Angehörige der Risikogruppen zur Arbeit erscheinen?

Die Erbringung der Arbeitsleistung kann für einen Mitarbeiter unzumutbar sein, weil im Betrieb ein Kontakt mit Infizierten und damit die Gefahr der Ansteckung wahrscheinlich ist und die Ansteckung eine ernsthafte Gefahr für Leib, Leben oder Gesundheit begründet. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer nach § 275 Abs. 3 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht. Er kann die Arbeit verweigern, ohne dass ihm deswegen Nachteile entstehen dürfen. Eine wegen einer berechtigten Leistungsverweigerung ausgesprochene Kündigung wäre rechtsunwirksam.

10. Haben Angehörige einer Risikogruppe einen Vergütungsanspruch, wenn sie die Leistung verweigern?

Vorrangig hat sich der Arbeitgeber zu bemühen, die Arbeit so zu gestalten, dass das Risiko einer Ansteckung minimiert wird (zB Zuteilung eines Einzelbüros statt Großraumbüro, Entzug von Teilaufgaben mit Kundenkontakt, Erbringung der Arbeitsleistung zu anderen Arbeitszeiten usw). Wenn keine geeigneten Maßnahmen in Frage kommen, ist der Arbeitnehmer nach § 275 Abs. 3 BGB berechtigt, der Arbeit fernzubleiben (Leistunsgverweigerungsrecht). Einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts hat der Arbeitnehmer für die Zeit des Fernbleibens dann aber nicht. Weigert sich der Arbeitgeber hingegen, Maßnahmen zur Reduzierung des Ansteckungsrisikos zu ergreifen, obwohl ihm dies ohne weiteres möglich wäre, ist der Arbeitnehmer wiederum berechtigt, der Arbeit fernzubleiben. Er kann in diesem Fall ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB ausüben, mit der Folge, dass der Vergütungsanspruch bestehen bleibt.

11. Darf der Arbeitgeber in der Krise andere Arbeiten zuweisen?

Unter Umständen ja! Allerdings hat der Arbeitgeber die arbeitsvertraglichen Regelungen zu beachten. Wurde der Arbeitnehmer zB als Erzieher in einer Kindertagesstätte eingestellt, kann er nicht als Pflegehilfskraft in einem Altenpflegeheim eingesetzt werden. Eine entsprechende Arbeitsanweisung wäre rechtswidrig und muss daher nicht befolgt werden. Ein vollkommen anderer Aufgabenbereich kann allenfalls mittels Änderungskündigung durchgesetzt werden. Dann müssen aber die Voraussetzungen für den Ausspruch einer Kündigung vorliegen (→ Frage 85: Unter welchen Voraussetzungen kann eine Kündigung ausgesprochen werden?).

12. Sind Schwangere verpflichtet zu arbeiten?

Beschäftigt der Arbeitgeber schwangere Mitarbeiterinnen, hat er eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Werden unverantwortbare Gefährdungen festgestellt, hat der Arbeitgeber zunächst die Arbeitsbedingungen so umzugestalten, dass eine Gefährdung ausgeschlossen ist. Ist dies nicht möglich, hat er die schwangere Mitarbeiterin an einem anderen, geeigneten Arbeitsplatz einzusetzen. Ist ein solcher Arbeitsplatz nicht vorhanden, darf er die Schwangere nicht beschäftigen.

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