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Die HerausgeberInnen

Doris Wallraff, Dr. Petra Thorn und Prof. Dr. Tewes Wischmann sind in der psychosozialen Beratung ungewollt Kinderloser erfahrene zertifizierte Fachkräfte des Beratungsnetzwerkes Kinderwunsch Deutschland (BKiD).

Doris Wallraff

Petra Thorn

Tewes Wischmann (Hrsg.)

Kinderwunsch

Der Ratgeber des Beratungsnetzwerkes Kinderwunsch Deutschland (BKiD)

2., aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten verändern sich ständig. Verlag und Autoren tragen dafür Sorge, dass alle gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung hierfür kann jedoch nicht übernommen werden. Es empfiehlt sich, die Angaben anhand des Beipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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Illustrationen: Doris Wallraff

2., aktualisierte Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-039790-3

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-039791-0

epub:   ISBN 978-3-17-039792-7

 

Inhalt

 

 

 

  1. Übersicht über das elektronische Zusatzmaterial
  2. Gebrauchsanweisung für den BKiD-Ratgeber
  3. Glück und Zufriedenheit in der Kinderwunschzeit I – Was macht glücklich?
  4. Doris Wallraff
  5. 1   Wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt – Was bedeutet das für uns?
  6. Silke Panzau
  7. 2   Der Kinderwunsch als Herausforderung für die Liebe – Wie unterstützen wir uns als Paar?
  8. Susanne Quitmann und Beatrix Weidinger-von der Recke
  9. 3   Sexualität nach Plan – Wo ist Platz für die Lust?
  10. Karin Jörns und Adelheid Kubitz-Eber
  11. Glück und Zufriedenheit in der Kinderwunschzeit II – Wie wichtig sind andere Menschen?
  12. Doris Wallraff
  13. 4   Medizinische Kinderwunschbehandlung – Wie können wir uns gut vorbereiten?
  14. Judith Zimmermann
  15. 5   Alternative Behandlungsmöglichkeiten – Welche natürlichen Mittel wirken wie?
  16. Judith Zimmermann
  17. 6   Kinderwunschbehandlungen überstehen – Wie können wir gut für uns sorgen?
  18. Alexandra Mück und Kathrin Steinke
  19. 7   Familie, Freunde und Kollegen – Wie gehen wir mit unserem Umfeld um?
  20. Elvira Holl
  21. 8   Lesbische Paare – Welche Unterstützung gibt es für uns?
  22. Lisa Green
  23. 9   Psychosoziale Unterstützung – Wann kann sie weiterhelfen?
  24. Petra Thorn
  25. 10   Verluste in der Schwangerschaft und bei Geburt – Welche Trauer ist angemessen?
  26. Beatrix Kozjak-Storjohann und Heike Schneidereit-Mauth
  27. 11   Unerfüllter Kinderwunsch als Lebenskrise – Wie können wir daran wachsen?
  28. Doris Wallraff
  29. Glück und Zufriedenheit in der Kinderwunschzeit III – Was können wir selbst tun?
  30. Doris Wallraff
  31. 12   Endlich schwanger – Was kommt nun auf uns zu?
  32. Gertrud Bongers-Merker und Lisa Wollenschlaeger
  33. 13   Abschied vom Wunsch nach einem leiblichen Kind – Wie finden wir zurück ins Leben?
  34. Andrea Patzer
  35. 14   Alternative Perspektiven zum leiblichen Kind – Welche Möglichkeiten passen zu uns?
  36. Bettina Klenke-Lüders und Petra Thorn
  37. Gastbeitrag: Wenn man die Kinder vor lauter Wunsch nicht sieht
  38. Millay Hyatt
  39. Gastbeitrag: Das Schweigen der Männer
  40. Felix Wegener
  41. Glück und Zufriedenheit in der Kinderwunschzeit IV – Wie erkennen wir das Glück?
  42. Doris Wallraff
  43. Literatur
  44. Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
  45. Stichwortverzeichnis
  46. Link zum elektronischen Zusatzmaterial

Übersicht über das elektronische Zusatzmaterial

 

 

 

Folgende zusätzliche Kapitel erhalten Sie über die Website des Kohlhammer Verlages. Den Weblink, unter dem die Zusatzmaterialen zum Download verfügbar sind, finden Sie am Ende des Buches.

Grundlagen der Fortpflanzung und natürliche Familienplanung – Wie funktionieren unsere Körper?

Judith Zimmermann

Medizinische Behandlungsverfahren – Was kann uns helfen?

Judith Zimmermann und Roland Grau

Chancen und Risiken reproduktionsmedizinischer Behandlungen – Wo stehen wir?

Judith Zimmermann und Roland Grau

Erstgespräch, Basisdiagnostik und frühe Untersuchung des Embryos – Worauf kommt es an?

Judith Zimmermann und Roland Grau

Gemeinsam durch den IVF-Zyklus – Wie können wir uns vorbereiten und gegenseitig unterstützen?

Dorothee Kleinschmidt

Körperübungen bei unerfülltem Kinderwunsch – Was kann ich konkret tun?

Barbara Schmacke

Erfahrungen in einer Gruppe für Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch

Eine Teilnehmerin

Familienbildung mit Eizell- oder Embryonenspende – Wie ist das möglich?

Petra Thorn

Partnerschaft und Kinderwunsch voneinander entkoppeln – Könnte Solomutterschaft mein Weg sein?

Katharina Horn und Petra Thorn

Nutzung des Internets – Was davon ist hilfreich und sinnvoll?

Tewes Wischmann

Gebrauchsanweisung für den BKiD-Ratgeber

 

 

 

Ungewollt kinderlose Paare sind Paare wie andere auch …

… und doch sind sie anders:

•  sie müssen erklären, warum sie ohne Kinder leben,

•  sie nehmen große Belastungen auf sich, um eine Familie zu gründen,

•  sie müssen Entscheidungen treffen, wie weit eine Behandlung für sie geht,

•  sie müssen sich gegebenenfalls von einem Lebenstraum verabschieden.

Diese Aussagen – einem Flyer des Beratungsnetzwerks Kinderwunsch Deutschland entnommen – verdeutlichen die Situation ungewollt kinderloser Paare: Sie wirken nach außen »normal«, womöglich gar gewollt kinderlos, haben aber oft eine Vielzahl von Belastungen zu tragen, die von ihrem Umfeld so meist nicht wahrgenommen werden. Dazu gehören die zunächst bittere Erkenntnis, dass sich der Kinderwunsch nicht so schnell erfüllen wird, das Warten auf den Eintritt einer Schwangerschaft, die Entscheidung für oder gegen eine medizinische Behandlung, die Auswahl eines Kinderwunsch-Zentrums, eine Vielzahl diagnostischer und therapeutischer Behandlungsschritte und gegebenenfalls die Auseinandersetzung mit dem Abschied vom Traum eines Lebens mit einem leiblichen Kind. Diese Kinderwunschzeit wird von vielen Paaren phasenweise als Zeit der Ohnmacht und des Kontrollverlustes empfunden. Unser Anliegen ist es, Paare dazu zu motivieren, sich aktiv mit ihrem unerfüllten Kinderwunsch auseinanderzusetzen. Die in den nachfolgenden Kapiteln beschriebenen emotionalen »Hochs« und »Tiefs« der Kinderwunschzeit werden von ungewollt kinderlosen Paaren in unterschiedlicher Intensität erlebt, auch deren Reihenfolge kann von Paar zu Paar variieren, und nicht alle Paare müssen diese »Achterbahn der Gefühle« so in allen Aspekten tatsächlich erleben. Da aber viele Paare berichten, Unterstützung insbesondere für die schwierigen Phasen der Kinderwunschzeit zu benötigen, haben wir die »Tiefs« nicht ausgespart.

Mit dem Ratgeber von BKiD möchten wir Ihnen helfen, auch in dieser Lebensphase handlungsfähig und achtsam zu bleiben. Das Buch begleitet Sie durch die verschiedenen Phasen der Kinderwunschzeit und gibt Ihnen Anregungen, wie Sie für sich (und Ihre Partnerschaft) sorgen und diese Zeit sinnvoll gestalten können. Der BKiD-Ratgeber ist somit für hetero- und homosexuelle Paare und Einzelpersonen gedacht, die sich bewusst mit ihrem unerfüllten Kinderwunsch auseinandersetzen möchten. Nicht binäre Personen sind hier ausdrücklich immer mit gedacht.

Auch wenn in einigen Kapiteln »schwere« Themen – wie Trauerarbeit – behandelt werden: In zahlreichen Beratungen mit ungewollt kinderlosen Paaren beobachten wir, dass Humor eine Ressource ist, die viele Paare befähigt, diese belastende Zeit gut zu überstehen. Deshalb möchten wir neben aller Ernsthaftigkeit in diesem Buch auch dazu einladen, die Situation gelegentlich mit einem Augenzwinkern zu betrachten. Dabei sollen die Comicstrips in diesem Ratgeber helfen.

Das Buch ist so aufgebaut, dass Sie sich mit den spezifischen Themenbereichen beschäftigen können, die in bestimmten Phasen der Kinderwunschzeit relevant sind. Zusätzlich zu den inhaltlichen Schwerpunkten (Kapitel 1–14) finden Sie im Buch verteilt mehrere Abschnitte »Glück und Zufriedenheit in der Kinderwunschzeit« (I–IV) sowie zwei Gastbeiträge. Es ist nicht erforderlich, das komplette Buch kapitelweise durchzuarbeiten, aber auch das ist möglich und kann sinnvoll sein, wobei natürlich Kapitel übersprungen werden können, wenn deren Inhalt auf Sie nicht zutreffen sollte. Das Inhaltsverzeichnis und ein Stichwortverzeichnis am Ende des Buches können Ihnen zur Orientierung dienen. Viele zusätzliche Kapitel (siehe Übersicht über das elektronische Zusatzmaterial) sind auf der Website des Kohlhammer-Verlages verfügbar (siehe Weblink am Ende des Buches). Sie finden hier ausführliche Informationen über die Fortpflanzung bei Mann und Frau, zu Erstgespräch und Diagnoseverfahren, über natürliche Familienplanung und reproduktionsmedizinische Behandlungsmethoden, Chancen und Risiken der einzelnen Verfahren, Behandlungen im Ausland, Eizell- und Embryonenspende, Familiengründung für Singles sowie Empfehlungen zur Nutzung des Internets in der Kinderwunschzeit.

Alle Kapitel beschreiben wesentliche Aspekte der Kinderwunschzeit, ergänzt durch Fallbeispiele und Erfahrungen aus der Praxis, und enthalten konkrete Anregungen, die Sie im Alltag umsetzen können. Diese Anregungen sind z. B. Fragen, zu denen Sie sich Gedanken machen können oder die man mit dem Partner/der Partnerin besprechen kann, Vorschläge zum Reflektieren und gegebenenfalls zum Verändern eigener Verhaltensweisen oder konkrete Ideen zur alltagsnahen Umsetzung. Einige Kapitel enden mit Literatur- und Internethinweisen, die der Vertiefung dienen können. Noch etwas zur Wortwahl: Wir haben bei vielen Bezeichnungen der Lesbarkeit halber die männliche Wortwahl verwendet. Selbstverständlich sind Ärztinnen, Patientinnen, Beraterinnen etc. genauso gemeint.

Dieser Ratgeber ist durch die Kooperation und den Austausch von psychosozialen Kinderwunschberaterinnen und -beratern des Beratungsnetzwerks Kinderwunsch Deutschland entstanden, die mit den dargestellten Inhalten in der Beratung gute Erfahrungen gemacht haben und die praxisnahen Anregungen so beschrieben haben, dass sie von Paaren mit Kinderwunsch auch eigenständig und unabhängig von einer Beratung genutzt werden können. Nicht alle Inhalte dieses Ratgebers geben die Meinungen aller BKiD-Beraterinnen wieder. Je nach beruflicher Ausbildung und persönlicher Haltung haben psychosoziale Beraterinnen, ebenso wie Paare mit Kinderwunsch, unterschiedliche Ansichten und Herangehensweisen in Bezug auf viele Aspekte der ungewollten Kinderlosigkeit. Gemeinsam ist uns das zentrale Anliegen, Paare in der Kinderwunschzeit emotional zu unterstützen. Dabei wollen wir zu einem liebevollen, sorgsamen, aber auch kritischen Umgang mit sich und allen Beteiligten anregen.

Für die einzelnen Kapitel (auch die zusätzlichen Kapitel unter www.kohlhammer.de) sind die jeweiligen Autorinnen und Autoren verantwortlich. Allerdings sind in vielen Kapiteln auch Textpassagen, Ideen oder Anregungen anderer Kolleginnen enthalten, die wir nicht gekennzeichnet haben. Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Autorinnen und Autoren sowie bei allen weiteren Kolleginnen, die außerdem zu den Kapiteln Beiträge erstellt haben (in alphabetischer Reihenfolge: Heike Cetto, Monika Helber, Susanne Oechler, Michaela Röder-Bassenge, Barbara Rogmans und Irmtraud Roscher).

Wir wünschen Ihnen eine konstruktive Auseinandersetzung mit Ihrem Kinderwunsch und hoffen, dass die hier vorgestellten Anregungen Sie voranbringen. Sie können eine sinnvolle Ergänzung zu einer psychosozialen Kinderwunschberatung sein und Sie an diese heranführen, diese allerdings nicht gleichwertig ersetzen. Konkrete Hinweise zur psychosozialen Kinderwunschberatung einschließlich Kontaktadressen finden Sie im Internet unter www.bkid.de.

Wir hoffen, Ihnen mit dem vorliegenden Buch Hilfestellungen geben zu können, die Ihnen die Zeit der ungewollten Kinderlosigkeit lebenswerter machen. Damit wird auch diese schwierige Lebensphase sinnerfüllt und im besten Fall zu einer Zeit persönlichen Wachstums.

Das Herausgeberteam:

Doris Wallraff          Petra Thorn          Tewes Wischmann

Glück und Zufriedenheit in der Kinderwunschzeit I – Was macht glücklich?

Doris Wallraff

»Ich will am Ende meines Lebens nicht feststellen,

dass ich es nur in der Länge gelebt habe.

Ich will es auch in seiner Breite leben«

Diane Ackerman

Das größte Verlangen der meisten Menschen ist es, glücklich zu sein. Entsprechend viel tun sie in der Absicht, glücklich zu werden. Dennoch gelingt das nicht immer. In einer Lebensphase, in der man sich ein Kind wünscht und nicht weiß, ob dieser existenzielle Wunsch je in Erfüllung gehen wird, fühlen sich einige Menschen gar nicht mehr glücklich. Positive Gefühle sind selten, negative wie Angst, Trauer, Wut, Neid, Nervosität, Scham und Überforderung dominieren. Trotz allem gelingt es einigen Menschen, glückliche Momente zu erleben und mit vielen Lebensbereichen zufrieden zu sein. Vergleichbare Lebensumstände lösen sehr unterschiedliche Gefühle aus:

Jürgen und Daniela wünschen sich seit zwei Jahren erfolglos ein Kind. Nach einer langen Zeit des Wartens, umfangreicher Zykluskontrolle und Clomifenbehandlung hat sich herausgestellt, dass Jürgen nur eingeschränkt zeugungsfähig ist. Für ihn bricht eine Welt zusammen. Sein Selbstverständnis als Mann ist dahin. Obwohl er das Gefühl hat, nichts an der Situation ändern zu können, grübelt er unablässig darüber nach. Jürgen ist es gewohnt, seine Probleme mit sich selbst auszumachen. So hat er jetzt auch keine Freunde, mit denen er darüber sprechen könnte. Mit seiner Frau ist ein vernünftiges Gespräch nicht mehr möglich. Sie bricht bei jeder Kleinigkeit in Tränen aus. Jürgen gibt sich die Schuld daran und befürchtet, dass sie ihn verlassen wird. Er hat an nichts mehr Freude, was sich auch auf seine Motivation und seine Leistungen in der Arbeit auswirkt. Seine Arbeit macht ihm keinen Spaß. Glücklich fühlt er sich überhaupt nicht mehr.

Auch Martina und Stefan versuchen seit zwei Jahren ein Kind zu bekommen. Auch bei ihnen liegt die Ursache des Wartens in der eingeschränkten Fertilität des Mannes. Auch Stefan fühlt sich am Ende eines erfolglosen Zyklus niedergeschlagen. Ihm gelingt es dennoch, seine Lebensfreude nicht zu verlieren. Im Hinblick auf den Kinderwunsch hat er gemeinsam mit Martina vereinbart, welche Behandlungsschritte sie gehen wollen. Obwohl er die Situation nach wie vor optimistisch sieht, stellt er auch Überlegungen an, wie es im Fall eines erneuten Rückschlags weitergehen könnte. Er sorgt dafür, dass sie beide möglichst viele schöne Momente erleben, und konzentriert sich auch auf andere Projekte. Gerade erst hat er seine Arbeitsstelle gewechselt und so neue Motivation geschöpft. Mit Leidenschaft geht er seinen Hobbys nach und unternimmt häufig etwas mit Freunden in der Natur. Viel Anerkennung bekommt er im Sportverein, wo er sehr engagiert eine Fußballmannschaft trainiert. Im Allgemeinen fühlt er sich durchaus glücklich.

Was macht Menschen glücklich?

Es gibt keine einheitliche Definition von Glück. Glück ist im weitesten Sinn ein Überbegriff und steht für eine Vielzahl positiver Gefühle. Glück zeigt sich in unterschiedlichster Form, es kann rauschhaft-euphorisch sein, aber auch heiter, still und gelassen. Manche Menschen bezeichnen sich als glücklich, wenn sie über längere Zeit zufrieden sind und möglichst wenig negative Gefühle wie Ärger, Stress und Trauer haben. Andere möchten möglichst viel Spaß haben, Vergnügen und Freude erleben. Manche Menschen macht es glücklich, sich einer anderen Person oder Aufgabe selbstvergessen hinzugeben, wieder andere fühlen sich erfüllt, wenn sie sich persönlich entwickeln und verwirklichen können. Was den einen glücklich macht, kann für den anderen abstoßend sein. Glück ist individuell und subjektiv, jeder ist sein eigener Glücksexperte. Glück hat viele Gesichter:

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Erst seit Ende der 1990er Jahre machen sich Psychologen und Sozialwissenschaftler vermehrt Gedanken darüber, was Menschen glücklich macht. Insbesondere die Wissenschaftler der »Positiven Psychologie« haben inzwischen intensiv danach geforscht, unter welchen Umständen sich Menschen zufrieden mit ihrem Leben fühlen und vermehrt positive Gefühle erleben. Sie unterscheiden zwei Formen von Glück: »Hedonistisches Glückserleben« umfasst Freude, Lust, Vergnügen. Kurzfristige positive Erlebnisse und Erfahrungen wie ein köstliches Essen, ein Spaziergang in der Natur, guter Sex oder ein Kompliment erzeugen hedonistische Glücksgefühle. Glück und Wohlbefinden wird dadurch erreicht, dass die Summe aller positiven Empfindungen größer ist als die der negativen. »Eudaimonisches Glückserleben« wird verursacht, indem man gemäß den eigenen Werten lebt und etwas dazu beiträgt, die Welt und das große Ganze zu verändern. Glück und Wohlbefinden wird dadurch erreicht, dass man mehr gute als schlechte Taten vollbringt und nach dem objektiv Guten, Richtigen und Sinnvollen strebt, wie z. B. Mitmenschen zu unterstützen oder etwas zur Gemeinschaft beizutragen. »Lebe, wie du, wenn du stirbst, wünschen wirst, gelebt zu haben« (Christian Fürchtegott Gellert).

Was unterscheidet glückliche Menschen von weniger glücklichen? »So glücklich wie ich gibt es keinen Menschen unter der Sonne«, ruft Hans im Glück im gleichnamigen Märchen aus, nachdem er seinen mühsam erarbeiteten Klumpen Gold gegen ein Pferd eingetauscht hat, das Pferd gegen eine Kuh, die Kuh gegen ein Schwein, das Schwein gegen eine Gans und die Gans gegen einen Schleifstein, der schließlich in einen Brunnen gefallen ist. Hans hat überhaupt nichts mehr – außer seinem Glück. Ist es Hans’ Leichtigkeit des Seins, die ihn glücklich sein lässt, egal was geschieht?

Wissenschaftler sind sich einig darin, dass es tatsächlich so etwas wie ein glückliches Naturell gibt. Bestimmte Persönlichkeitseigenschaften sind im Lebenslauf außerordentlich stabil. Etwa fünfzig Prozent des Glücksempfindens sind genetisch festgelegt. Selbstverständlich gibt es kein spezifisches »Glücks-Gen«, aber eine erbliche Veranlagung dafür, glücklicher durchs Leben zu gehen. Möglicherweise ist Stefan, aus dem Beispiel vom Anfang dieses Kapitels ebenso wie Hans im Glück, mit Genen ausgestattet, die ihn das Leben leichter genießen lassen. Offensichtlich gelingt es ihm aber auch, das Beste aus seiner Veranlagung zu machen. Ein Teil des Glücksempfindens ist genetisch festgelegt – auf den anderen Teil kann jeder selbst Einfluss nehmen. Was also führt noch zu dem Gefühl, glücklich zu sein?

Glück durch Geld, Arbeit und Freizeitgestaltung

Das Märchen von Hans im Glück legt nahe, dass materieller Reichtum keine große Bedeutung dafür hat, wie glücklich sich ein Mensch fühlt. Fühlt sich, wer frei ist von Gut und Geld, am glücklichsten? Ganz so wie im Märchen ist es in der Realität nicht: Kein Geld zu haben, macht unglücklich, bis zu einem Brutto-Haushaltseinkommen von ca. 75 000 Euro macht mehr Geld glücklicher, weil damit nicht nur die wichtigsten Bedürfnisse erfüllt werden können und ein gewisses Maß an Sicherheit gewährleistet ist, sondern auch Selbstbestimmung und freie Gestaltung des Lebens ermöglicht werden. Das erstaunliche Ergebnis vieler Untersuchungen ist jedoch, dass noch mehr Geld nicht glücklicher macht, auch wenn die enorme Zeit und Kraft, die die meisten Menschen unserer Gesellschaft in ihre Karriere investieren, den gegenteiligen Anschein erwecken. Gibt jemand viel Geld für materielle Werte aus, macht ihn das höchstens kurzfristig glücklich, denn die Freude währt nie lange. Leo Bormans hat in seinem Buch »Glück. The World Book of Happiness« das Wissen von 100 Glücksforschern aus aller Welt zusammengetragen. Katja Uglanova betont in ihrem Beitrag, wie sehr wir uns an Wohlstand und einen höheren Lebensstandard gewöhnen: »Jemand kann nach einer Beförderung glücklicher werden, aber nach einer Weile lässt der Effekt nach.« Mit den Möglichkeiten steigen die Erwartungen, zufriedener werden wir nicht. Geld macht nur glücklicher, wenn man mit seinem Einsatz etwas erlangen kann, das einem wirklich wichtig ist. So kann Geld Zeit für Freiräume ermöglichen, in denen man Dinge tut, die tatsächlich glücklich machen, wenn man es sich z. B. leisten kann, eine Haushaltshilfe zu engagieren, um mit Freunden Sport zu treiben.

Im Zusammenhang mit Kinderwunsch spielt Geld natürlich besonders dann eine Rolle, wenn es darum geht, ob man sich eine (weitere) Behandlung überhaupt leisten kann.

•  Wofür lohnt es sich in Ihren Augen wirklich, Geld auszugeben?

•  Wofür lohnt es sich zu sparen?

•  Welche Ausgaben erscheinen Ihnen überflüssig?

Unabhängig vom Verdienst spielt berufliche Arbeit eine große Rolle für das Glücksempfinden eines Menschen, ist sie doch ein zentraler Teil des Lebens. Arbeitslosigkeit ist daher einer der größten Glückskiller. Viele Menschen definieren sich wesentlich über ihre Arbeit. Um das individuelle Glück zu steigern, sollte die Arbeitsstelle zu einem passen, einen herausfordern und zu Selbstachtung führen. Das geschieht besonders dann, wenn die Arbeit für einen selbst und die Gesellschaft sinnvoll und wichtig ist. Besonders glücklich macht Arbeit, wenn man mit anderen Menschen zusammenarbeiten kann, wenn sie zeitweise Spaß macht und sie es einem ermöglicht, so sehr in einer Tätigkeit zu versinken, dass man Zeit und Raum um sich herum vergisst. Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi betonte als erster die Wichtigkeit solcher »Flow– Gefühle«, die man erlebt, wenn man eins ist mit dem Geschehen und dem eigenen Tun in diesem Moment. Wenn man eine Tätigkeit ausführt, der man sich ganz hingeben kann, die man als Herausforderung erlebt, die einen weder unter- noch überfordert, kommt man, so Csikszentmihalyi, dem, »was wir gewöhnlich unter Glück verstehen, so nahe, wie man ihm jemals gelangen kann.« Die Zeit vergeht wie im Flug.

Solche Arbeit kann in der Kinderwunschzeit große Stabilität bringen und einen positiven Ausgleich schaffen. Wenn die Arbeit allerdings als unbefriedigend erlebt wird, so wie das im Beispiel am Anfang des Kapitels bei Jürgen geschieht, erhöht sich die Belastung in dieser Lebensphase enorm.

Für Frauen kann der Kinderwunsch, wenn sie mit ihrer Arbeit unzufrieden sind, noch dringender werden, bietet die Mutterschaft doch zugleich die Chance, den unangenehmen Arbeitsbedingungen für eine Weile zu entfliehen. Gerade weil sie jederzeit mit einer Schwangerschaft rechnen, wagen aber viele Frauen nicht, den Arbeitsplatz zu wechseln, eine vorübergehende Auszeit zu riskieren oder gar eine Neuorientierung zu wagen. Viele scheuen sogar davor zurück, sich für größere Projekte oder verantwortungsvolle Positionen innerhalb der Firma anzubieten, weil sie ja nicht wissen, wie lange sie noch zur Verfügung stehen. Dauert die Kinderwunschzeit lange an, entsteht so eine Doppelbelastung. Deshalb ist es grundsätzlich ratsam, gerade in dieser Lebensphase Unzufriedenheit am Arbeitsplatz ernst zu nehmen, über kleinere oder große Veränderungen nachzudenken und sie ohne übertriebene Rücksichtnahme umzusetzen, trotz jederzeit möglicher Schwangerschaft.

Die australische Sterbebegleiterin Bronnie Ware hat in ihrem Buch »5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen« beschrieben, was Menschen kurz vor ihrem Tod am meisten bedauern. »Ich hätte mir mehr Glück und Zufriedenheit gönnen sollen« war das Fazit der allermeisten Sterbenden. »Dass Glück und Zufriedenheit eine Entscheidung sind, bemerkten sie erst in ihren letzten Wochen«, hat Ware beobachtet. »Viele hatten ihre festen Angewohnheiten und Eigenschaften. Die vermeintlich gewohnte und bequeme Umgebung hatte sich auf ihren Körper und ihre Seele ausgewirkt. Dabei hatten sie schlicht und einfach Angst vor Veränderung.« Jeder ihrer männlichen Gesprächspartner bekannte: »Ich hätte nicht so hart arbeiten dürfen.«

•  Gibt es etwas, was Sie an Ihrer Arbeitssituation verändern möchten?

•  Was wünschen Sie sich? Wie sieht Ihr Traumjob aus?

•  Wäre es für Sie angenehm und sinnvoll, Arbeitszeit zu reduzieren?

Auch in der Freizeit liegen zahlreiche Möglichkeiten, glückliche Momente zu erleben und das Leben zufriedenstellend zu gestalten. Das können aktive Hobbys sein, Interessen und Leidenschaften, Tätigkeiten, die dauerhaft bereichern. Für viele sind gesellschaftliche Aktivitäten wie Ausgehen, Clubs, Partys, Spiele-Abende oder Einladungen zum Essen besonders wohltuend, manche erleben kreative Hobbys wie Malen, Basteln, Handwerkern, Stricken, Nähen oder Töpfern als bereichernd. Freude kann auch die Beschäftigung mit Haustieren machen oder eine Sammelleidenschaft. Für viele Menschen ist Sport ein wichtiger Ausgleich, alleine, mit dem Partner, mit Freunden oder im Verein. Besonders Bewegung an der frischen Luft wie Wandern, Spazierengehen, Joggen, Walken, Reiten und Schwimmen löst nachweislich Glücksgefühle aus und ist ebenso wirksam gegen schlechte Gefühle wie Antidepressiva. Ausflüge in die Natur und Reisen sind erfüllende Freizeitaktivitäten. Auch kulturelle Interessen können anregend sein: Bücher lesen, Besuche in Museen, Konzerte, Kino, Oper oder Theater. Inspirierend ist, etwas Neues zu lernen: eine Sprache, Kochen, Fotografieren oder ein Musikinstrument. Besonders glückssteigernd ist Musik in all ihren Facetten, Musik hören, noch besser Musizieren oder Singen. Ebenso beglückend ist das Tanzen. Die Verbindung von Musik, Bewegung, Berührung und Kontakt mit anderen Menschen bietet eine Glücksquelle sondergleichen.

Aktiv zu werden ist das Wichtigste, um in der Freizeit die Lebenszufriedenheit zu erhöhen, Glück zu empfinden. Nur so erlebt man »Flow-Gefühle«. Es ist egal, ob man Bewährtes beibehält, etwas ganz Neues findet oder Altes wieder entdeckt, Hauptsache, es macht Spaß und der Kopf wird frei. Allerdings gehört auch ein gewisses Maß an Muße zu einem zufriedenen Leben. Die Freizeit darf nicht zum Stress werden, gelegentlich gar nichts zu tun, ist gerade in belastenden Zeiten notwendig und tut gut. Auf Dauer haben Fernsehen, Surfen im Internet, Zocken, Beschäftigungen am Handy und Zuhause-im-Sessel-Sitzen jedoch nachweislich die gegenteilige Wirkung.

•  Was haben Sie als Kind oder Jugendliche/r gern gemacht?

    z. B. gemalt, Ball gespielt, getanzt …

•  Was hat Ihnen zuletzt Freude bereitet? Wann waren Sie richtig ausgelassen? Was haben Sie genossen?

    z. B. gemeinsam mit Freunden kochen, ein Besuch im Theater …

•  In welche Tätigkeit können Sie selbstvergessen versinken?

    z. B. beim Lesen eines spannenden Buches, beim Handwerken …

•  Aus welchen Ihrer Stärken in unterschiedlichen Bereichen könnten Sie noch mehr Freude schöpfen?

    z. B. im Beruf kann ich andere gut motivieren …

    Was meinen Körper betrifft, so kann ich gut schwimmen …

    In meiner Partnerschaft kann ich gut zuhören …

    Werte: Ich bin nicht nachtragend und ehrlich …

    weitere Fähigkeiten: Ich kann gut organisieren …

•  Was wollten Sie immer schon mal ausprobieren?

    z. B. eine neue Sportart, ein großes Fest ausrichten …

•  Welchen lang gehegten (Kindheits-)Traum könnten Sie sich endlich erfüllen?

    z. B. eine Safari, Reiten im Wilden Westen, ein Buch schreiben …

1          Wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt – Was bedeutet das für uns?

Silke Panzau

»Wünsche sind nie klug. Das ist sogar das Beste an ihnen.«

Charles Dickens

Jeder Mensch hat Wünsche. Wünsche zu haben bedeutet, etwas zu begehren oder zu verlangen, was wir nicht haben. Wir streben danach, unsere Wünsche zu erfüllen und Ziele zu erreichen. Dieses Begehren nach Wunscherfüllung hat eine enorme Kraft. Ein Kinderwunsch ist zunächst ein Wunsch wie jeder andere auch.

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»Ich bin in einer Großfamilie aufgewachsen. Wir waren acht Kinder. Mit meiner Frau wollte ich unsere eigene Großfamilie gründen. Ich wollte und ich will eigenen Kindern diese Geborgenheit, dieses Lebendige und Warme mitgeben. Außerdem ist das eine Tradition sozusagen. Ob wir das nun schaffen, ist sehr ungewiss.« Oliver

Es gibt Wünsche, die lassen sich relativ leicht erfüllen – z. B. der Wunsch nach einem nächsten Urlaub oder das gemeinsame Essen mit dem Partner/der Partnerin. Bei anderen Wünschen ist die Erfüllung sehr viel schwieriger, vor allem, wenn der eigene Einfluss auf die Erfüllung geringer wird – wie z. B. der Wunsch nach einem sehr langen Leben oder nach Frieden auf der Welt. Einige Wünsche wachsen heran zu Sehnsüchten, verbunden mit sehr starken Gefühlen von Hoffnung, Verzweiflung, Angst, Ohnmacht usw. Diese Verknüpfung von Sehnsucht und intensivem Gefühl kann aus einem ursprünglichen Wunsch ein existenzielles Thema werden lassen.

Der Kinderwunsch als zunächst einfacher Wunsch kann sich zu solch einer Sehnsucht entwickeln.

»Die Frage, ob ich Kinder wollte, stellte sich mir nie. Für mich war es eine absolute Selbstverständlichkeit, dass eigene Kinder in meinen Lebensplan gehören. Nie hatte ich darüber nachgedacht, geschweige denn diesen Plan an seiner Möglichkeit angezweifelt. Erst, als ich erfuhr, dass das nicht so einfach wird mit dem Kinderkriegen, wachte ich auf. Ich wachte auf aus einem Traum der Selbstverständlichkeit. Zu dem Zeitpunkt entstand erst mein Wunsch nach einem Kind. Zuvor hatte ich das nie so empfunden.« Susanne

Kinder zu bekommen scheint heute selbstverständlich planbar. Viele Paare gehen davon aus, bestimmen zu können, wann sie eine Familie gründen. Sie machen sich Gedanken über den »richtigen Zeitpunkt«, um ihren gemeinsamen Lebensplan umzusetzen. Dabei spielt häufig das Erreichen einer bestimmten Lebensbasis, wie die berufliche Entwicklung und eine materielle Absicherung, eine relevante Rolle. Kindern soll es gut gehen.

Wenn es dann so weit ist und der Plan nicht so aufgeht wie gewünscht, ist das meist leidvoll und schmerzlich. Der Kinderwunsch ist der Kern des Lebensplanes »Familiengründung«.

Damit steht hinter dem Wunsch nach einem Kind der Wunsch nach einem bestimmten Lebenskonzept. In einem Lebenskonzept wiederum stecken tiefe Sehnsüchte, Sinngebungen und damit Werte und Bedürfnisse. Diese haben sich aufgrund der eigenen Erziehung, der gesammelten Erfahrungen, des angeeigneten Wissens usw. geprägt und sind natürlich hoch individuell und damit auch innerhalb einer Partnerschaft unterschiedlich gefärbt. Für die einen bedeutet es vielleicht die Umsetzung der Vorstellung von einem Leben in Geborgenheit, mit tragfähigen, sicheren Bindungen und mit der Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Liebe. Für den anderen könnte es bedeuten, ein Leben in Fürsorglichkeit und Verantwortung führen zu wollen. Vielleicht bedeutet es auch, in der nächsten Generation weiterleben zu wollen und damit »Spuren« zu hinterlassen oder ein ganz normales Leben führen zu wollen, wie andere auch.

Es macht Sinn, genauer hinzuschauen und zu ergründen, was eigentlich hinter Ihrem eigenen Kinderwunsch steht. Der Fokus geht damit weg von dem Wunsch nach einem Kind, hin zu Ihnen selbst und Ihren ganz eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Wurzeln. Es ist völlig normal und auch gut, dass hinter jedem Kinderwunsch sehr persönliche Sehnsüchte stehen. Eben deshalb ist es auch so wichtig, sich damit zu beschäftigen. Dieses Zuordnen und Sortieren erleichtert Ihnen das Verständnis für sich selbst und Ihren Partner/Ihre Partnerin.

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Stellen Sie sich selbst folgende Fragen und vielleicht erzählen Sie sich als Paar gegenseitig Ihre Antworten:

•  Wie ist mein Kinderwunsch entstanden und wann?

•  Warum wünsche ich mir eigentlich ein Kind?

Folgendes Gedankenspiel kann dabei hilfreich sein:

•  1. Schritt:

–  Stellen Sie sich vor, was in Ihrem Leben anders wäre, wenn Sie ein Kind hätten? Was bedeutet ein Kind konkret für Sie?

–  Schreiben Sie alles auf, was Ihnen dazu einfällt.

•  2. Schritt:

–  Jetzt wandeln Sie alles, was Sie aufgeschrieben haben, in einen Wunsch für Ihr Leben um, aber so, dass dieser Wunsch nicht mehr auf ein Kind bezogen ist. Beispiel:

    »Ein Kind wäre etwas, das aus unserer gemeinsamen Liebe entsteht …«

    »Ich wünsche mir, dass aus unserer Liebe etwas Neues, Gemeinsames wächst …«

–  Schreiben Sie Ihre Wünsche auf!

•  3. Schritt:

–  Nun überlegen Sie, wie Sie schon jetzt, ohne dass Sie ein Kind haben, etwas von diesen Wünschen in Ihrem Leben verwirklichen können.

–  Schreiben Sie Ihre Antworten auf!

Dem Kinderwunsch Raum geben und ihn begrenzen

Sobald sich ein Paar mit dem Thema »Unerfüllter Kinderwunsch« aktiv beschäftigt, Informationen einholt, Kliniken besucht, Entscheidungen trifft, nimmt dieses Thema auch entsprechend Raum und Platz im Leben ein. Manchmal zu viel, manchmal vielleicht auch zu wenig. Das ist individuell unterschiedlich und kommt immer auf den Einzelnen sowie auf das Paar als »Team« an. Wie bei allem im Leben ist das Maß entscheidend für die eigene Bekömmlichkeit, und dass dies nicht immer gleichbleibt, sondern variiert, ist nachvollziehbar. Wünschenswert wäre für jeden, im Blick zu behalten, wie viel Raum, Zeit, Platz und damit auch Energie der Kinderwunsch tatsächlich einnimmt. Erst wenn Sie wissen, wie der Ist-Zustand ist, können Sie ihn variieren bzw. korrigieren. Denken Sie daran: Sie bestimmen das Maß, Sie kontrollieren und entscheiden. Das ist günstig, um dem überwältigenden Gefühl von Ohnmacht, das immer wieder aufkommen kann, entgegenzuwirken und handlungsfähig zu bleiben.

Folgende Übung eignet sich zunächst für jeden alleine und später im Austausch:

 

Das Lebenshausmodell

 

Zeichnen Sie den Grundriss einer Wohnung. Innerhalb der vier Außenwände befinden sich verschiedene Innenräume, wie z. B. der Berufsraum mit allen beruflichen Belangen, der Privatraum mit Themen, die nur Sie selbst betreffen, der Familienraum mit Partnerschaft, Freunden usw. Außerdem gibt es einen Raum für ungelebte Träume, für Wünsche, für Sehnsüchte – hier gehört unter anderem auch Ihr Kinderwunsch hinein. Diese einzelnen Räume gestalten Sie nun frei nach Größe, Form und Farbe. Welche Fenster und Türen gibt es? Wie hell oder dunkel ist es? Wie sind die Räume eingerichtet? Sind sie vollgestellt oder leer? Stellen Sie Ihr Lebenshaus so dar, wie Sie es im Moment erleben.

Lesen Sie erst weiter, wenn Sie dieses Bild fertig gestellt haben.

Danach zeichnen Sie den Grundriss einer weiteren Wohnung mit denselben Räumen, allerdings überlegen Sie, welche Räume Sie gerne wie verändern würden. Vielleicht sollen einige größer, kleiner, heller, dunkler oder auch ausgemistet werden?

Wie können wir Kraft schöpfen und für uns sorgen?

Existenzielle Themen, die aufwühlen und hoch emotional sind, können erschöpfen. Lebenskraft spürt man vor allem, wenn man den Eindruck hat, das Leben geht den richtigen Weg und man befindet sich am richtigen Platz. Wenn man die für sich passenden Lebensziele gewählt hat, fällt es einem zudem leicht, sich zu motivieren. Aber nicht immer lassen sich Ziele auch umsetzen. Dann kann es hilfreich sein, sich auf andere, kleinere oder größere Lebensziele zu konzentrieren und damit von einem passiven und reaktiven Zustand wieder in einen aktiven oder sogar proaktiven Zustand zu kommen. Wenn man mit einem Schicksalsschlag wie dem unerfüllten Kinderwunsch konfrontiert ist, ist dies nicht immer einfach, aber nur in einer Warteposition zu verharren, wäre ein Fehler. Lebensenergie lässt sich nicht speichern, sie muss aktiv genutzt und verbraucht werden – und erneuert sich damit sozusagen von selbst. Daher: Wenn einem der Kinderwunsch im Moment Grenzen setzt, kann man sich Zeiten festlegen, zu denen man sich bewusst mit anderen Themen beschäftigt. Danach widmet man sich wieder dem Kinderwunsch, und dies hoffentlich mit etwas mehr Lebenskraft. Das bedeutet nicht, dass man den Kinderwunsch vernachlässigt. Sondern es bedeutet, dass man sozusagen von einem Thema, das einem viel Energie raubt, »Urlaub nimmt«, um wieder Kraft zu sammeln.

•  Welche anderen Lebensziele sind Ihnen unabhängig vom Kinderwunsch wichtig?

•  Welche dieser Themen können Sie derzeit aktiv gestalten?

Gerade in der Kinderwunschzeit brauchen wir viel Kraft und müssen mit unserer Energie gut haushalten können. Deshalb ist es so wichtig zu versuchen, sich Raum und Zeit für den Kinderwunsch zu nehmen und ihn gleichzeitig zu begrenzen. Außerdem ist es hilfreich, immer wieder aufzutanken. Jeder hat spezielle Kraftquellen und damit Möglichkeiten, die eigenen Batterien wieder aufzuladen. Finden Sie heraus, was Ihnen Kraft gibt – alleine und als Paar. Für die einen ist es vielleicht der Spaziergang mit dem Hund im Wald, für den anderen ist es Radfahren oder sich mit Freunden treffen. Was auch immer, finden Sie heraus, was Ihnen guttut, und greifen Sie regelmäßig darauf zurück. Wenn Ihre Batterien erst einmal ganz leer sind, ist es sehr anstrengend, diese wieder aufzufüllen. Deshalb bleiben Sie an Ihren Kraftquellen. Täglich.

Eine gute Übung hierzu:

•  Wie tanke ich Energie?

•  Wenn Sie sich erschöpft und müde fühlen, überlegen Sie, was Ihnen wieder Energie geben könnte – und setzen Sie es um! Hier finden Sie einige Anregungen. Vervollständigen Sie die Liste mit Ihren persönlichen »Energieriegeln«.

–  Bewegung draußen in der Natur

–  regelmäßiger Sport

–  massiert werden

–  Musik

–  Tanzen

–  Meditation, Yoga

–  gute Gespräche

–  Sex und zärtliche Berührungen

–  gutes Essen

–  ausreichend Schlaf

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•  Jeder von Ihnen erstellt nun daraus eine Liste mit 10 Dingen, die ihm/ihr persönlich besonders gut tun. Beide Listen (für jeden der beiden Partner) hängen Sie an einem täglich sichtbaren (aber intimen) Ort auf (z. B. im Badezimmer). Setzen Sie jeden Tag mindestens einen Punkt davon um.

Eine weitere Übung:

 

Beide Partner, jeder für sich, schreiben fünf konkrete und einfach umsetzbare Wünsche, die sich nur gemeinsam mit dem Partner/der Partnerin umsetzen lassen (romantisch Essen gehen, Füße massieren, Kinobesuch, Wochenend-Ausflug etc.) auf Notizzettel. Diese kommen in ein Kästchen und der Partner, der dem/der anderen etwas Gutes tun möchte, kann sich einen dieser Wünsche aussuchen.

2          Der Kinderwunsch als Herausforderung für die Liebe – Wie unterstützen wir uns als Paar?

Susanne Quitmann und Beatrix Weidinger-von der Recke

Unerfüllter Kinderwunsch bedeutet häufig:

•  zu warten, zu warten, zu warten auf etwas, worauf man nur wenig Einfluss nehmen kann,

•  sich hilflos zu fühlen, das Gefühl zu haben, das Leben zieht an einem vorbei,

•  sich mit Gefühlen wie Versagen, Missgunst und Neid auseinanderzusetzen,

•  ständig die Frage nach dem Warum nicht beantworten zu können (weil niemand und selbst die Reproduktionsmedizin nicht allmächtig ist).

Wie aber gehen Sie, als Paar, mit solchen Gefühlen um, zu denen oft auch noch Verzweiflung und Wut hinzukommen? Reden Sie noch miteinander? Nicht nur über den Alltag und das Organisatorische, sondern auch darüber, was Sie erleben und empfinden, was Sie gemeinsam teilen oder worin Sie sich unterscheiden und was Sie so spannend und anziehend füreinander gemacht hat – und eigentlich noch macht? Reden Sie mit Freunden oder Verwandten über sich und Ihre ungewollte Kinderlosigkeit oder spielen Sie allen anderen vor, wie zufrieden Sie mit Ihrem Leben seien? Letzteres macht das Leben möglicherweise noch anstrengender, als es durch die ungewollte Kinderlosigkeit und die aufreibenden Behandlungen sowieso schon geworden ist.

In den meisten Fällen ist Ihre Partnerschaft der Ausgangspunkt und die wichtigste Ressource für Ihren Kinderwunsch, deshalb sollte sie gehegt werden. Sie haben im Gegensatz zu unausgeschlafenen Eltern eines Säuglings Zeit füreinander, aber können Sie sie nutzen? Wie können Sie die Phase der ungewollten Kinderlosigkeit für sich als Paar so gestalten, dass Sie sich gegenseitig unterstützen?

Unterschiede zwischen Mann und Frau

Der Kinderwunsch selbst vereint Sie nicht unbedingt als Paar, da er bei den meisten Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist und auch anders wahrgenommen wird.

Sie, als Frau, erleben alles direkt und körperlich, und sich vorzunehmen, nicht daran zu denken, schlägt fehl. Ihr Kinderwunsch ist latent vielleicht schon immer da gewesen. Schon als kleines Kind gab es ihn, als Sie anfingen Ihrer Mutter nachzueifern. In der Zeit vor Ihrer Partnerschaft war er möglicherweise noch nicht präsent, aber konnte dann doch unkompliziert mobilisiert werden und musste meist nicht über Umwege bewusst gemacht werden wie bei Ihrem Partner.

Sie, als Mann, sind vermutlich eher indirekt betroffen, weil Ihre Partnerin leidet und Sie sich nicht in der Lage sehen, ihr Leid zu beenden. Das heißt, Ihre Erwartung an sich als Mann wird nicht erfüllt, und das ist häufig kränkend. Vielleicht gelingt es Ihnen durch Sport oder im Beruf, indem Sie den Tennispartner besiegen oder indem Sie eine bessere Präsentation bieten können als der Kollege, von diesen schwer ertragbaren Gefühlen Abstand zu gewinnen. Ihre Partnerin wird durch den schwangeren Bauch der Kollegin aber ständig an ihren eigenen »leeren« Bauch erinnert, unabhängig davon, ob sie in anderen Bereichen Erfolge verbuchen kann. Ihre Partnerin wäre jetzt dringend auf Ihre Wertschätzung angewiesen, aber ihr z. B. die Attraktivität zu bestätigen, worauf sie dringend angewiesen ist, fällt mit der Zeit immer schwerer, da sie sich selbst nicht mehr als attraktiv ansieht, möglicherweise nur noch als »halbe Frau«, und Ihnen nicht glaubt. In der Folge fühlen Sie sich eventuell von Ihrer Partnerin zurückgewiesen oder Ihnen kommt irgendwann der Gedanke, Sie sollen nur noch zum Erzeuger funktionalisiert werden.

Der Kinderwunsch, der der Liebe und inniger Zweisamkeit entsprungen ist, wird nun, nachdem er nicht spontan in Erfüllung gegangen ist, als trennend empfunden. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass er bei Frau und Mann nie völlig gleich sein kann: Aus der unterschiedlichen psychosozialen Entwicklung von Jungen und Mädchen entsteht meist auch eine Ungleichheit zwischen männlichem und weiblichem Kinderwunsch.

Aber es gibt natürlich auch sonst in Wahrnehmung, Erlebnis und Bewältigung Unterschiede zwischen Ihnen beiden. Ihrer beider individuelle Geschichte und psychosoziale Entwicklung führt dazu, und das ist gut so. Denn stellen Sie sich vor, Sie hätten nicht nur den gleichen Geschmack, was Bilder oder Ihr Haus angeht, sondern Sie würden immer dieselben Gedanken denken, immer dieselben Lösungen vorschlagen usw. Bald schon gäbe es keine positive Spannung zwischen Ihnen und Sie würden aufhören miteinander zu reden. Ihre Unterschiedlichkeit führt dazu, dass man sich in der Trauer trösten kann oder Gefühle zeigen kann, was der/die andere ängstlich vermeidet. Die Ergänzung, die Sie jeweils für die andere Person darstellen, kann so wieder als Bereicherung empfunden werden.

Gegenseitige Unterstützung

Auch wenn Sie meinen, Sie wüssten alles voneinander, fragen Sie Ihre Partnerin/Ihren Partner nach ihrem/seinem Befinden, den Wünschen und Zielen, und zwar in offen gestellten Fragen. Fragen Sie sich gegenseitig, wie Sie von dem allgegenwärtigen Thema Kinderwunsch abgelenkt werden können, und zwar so konkret wie möglich. Fragen Sie sich und Ihre Partnerin/Ihren Partner, was Sie in den letzten Monaten und Jahren vermisst haben.

Machen Sie sich, nachdem Sie beide Vorschläge und Wünsche gesammelt haben, einen konkreten Plan, wie Sie sich vor, während und nach der nächsten Behandlung am leichtesten und am besten ablenken, und halten Sie sich an den Plan. Der spannende Kinofilm lenkt zumindest für 120 Minuten ab, auch wenn es schwerfällt, sich auf den Weg zu machen. Die Yogagruppe hilft zu entspannen, auch wenn Sie vorher erst noch die Kleidung wechseln müssen.