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Thomas Reich

Scher den Bär

Eine kleine Anthologie sexueller Desaster





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80331 München

Scher den Bär

Scher den Bär

- eine kleine Anthologie sexueller Desaster

 

 

 

Thomas Reich

Text Copyright © 2008 Thomas Reich

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Impressum: Thomas Reich

Bachenstr. 14

78054 Villingen-Schwenningen

Eine Titelgeschichte ohne Intimrasur

Rückblickend konnte man sagen, dass alles Udos Schuld war. Eigentlich hieß er Ronny, aber da er aus dem Osten kam, nannte ihn jedermann nur den Udo (= unser doofer Ossi). Und doof war er wirklich. Während andere Kollegen reich verzierte Türrahmen zu fertigen wussten, hatte man ihm eine Ecke angewiesen, wo er Dielen glatt schleifen konnte für das diplomatische Parkett. In der Schreinerei Happelwies spielte es keine Rolle. Hier war das Sammelbecken der Verstörten und Gestrandeten, wo Menschen wie Udo gar nicht weiter auffielen. Da gab es den Vorarbeiter Heinz, der den Witz mit Fünf-Bier-fürs-Sägewerk zu wörtlich nahm. Die Lehrlinge fürchteten seine Stahlkralle, mit der er den Faulen öfters eins hinter die Löffel schlug. Richtig praktisch war sie nur als Bieröffner. Keine vollkommene Weihnachtsfeier ohne Heinz!

Die gute Ute war Spezialistin für naturbelassene Dildos, am liebsten in Ständerbauweise. Das hatte sie nämlich der Tine beim letzten Einsatz in vier Wänden abgeguckt. Oder den Paten, der den ganzen Tag nur Holzgewehre baute und von der Weltverschwörung brabbelte. „Feinde, so sagte er, gibt es überall. Ich will die Armee der letzten Freiheitskämpfer aufrüsten.“ Man ging ihm besser aus dem Weg.

Jupp ließ sich von all dem Irrsinn nicht beeindrucken. Treudoof wie Soldat Schwejk kam er seiner Pflicht nach. Die Arbeit erfüllte ihn auf die Weise, dass er nicht viel denken musste. Wenn der Verstand abgelenkt war, konnte er einfach er selbst sein. Mit seinen einundvierzig Jahren bewohnte er eine Einliegerwohnung im Haus seiner Eltern. Mit einem Bett für sich, einem Schrank mit karierten Flanellhemden und einem eigenen Computer. Wen störte es da, dass sein blöder Bruder ihn wegen seinem Haarschwund verspottete: Draußen gibt’s nur Kränzchen! Ja, sein Bruder war der Liebling der Eltern. Laut bürgerlichen Maßstäben hatte der es immerhin zu etwas gebracht. Er leitete ein kleines Geschäft für Felltapeten in der Innenstadt (in letzter Zeit hatten ihm Tierschützer das Leben schwer gemacht).

Doch es wurden nicht weniger Haare, im Gegenteil! Sie verteilten sich nur anders. Was auf dem Kopf ausfiel, wuchs in den Ohren und auf dem Rücken weiter. Jupp war kein eitler Mann, beileibe nicht, aber als er die buschigen Augenbrauen eines alten Mannes bekam, fing er an zu zupfen. Darin war er so ungeübt wie zimperlich. Wie hielten Frauen das eigentlich aus? Für ihn war es nur eine mittelmäßige Foltermethode, der er sich missmutig stellte.

Am liebsten zockte er nostalgische Computerspiele bis spät in die Nacht. Über seinem Schreibtisch hing ein Poster von Lara Croft. Auch wenn ein Generationenwechsel der Spieler sie aus der Mode gebracht hatte, blieb er ein glühender Verehrer. In den Jahren hatte er Rechner kommen und gehen sehen, war mit Windows 3.1 aufgewachsen und ärgerte sich heute mit Vista herum. Seinen Gameboy der ersten Produktionsreihe nahm er gerne für die Mittagspause mit auf Arbeit. Bis Udo auftauchte.

„Weeste, da musste nur den Bär scheren.“

„Ne danke, mein Sack bleibt haarig.“

„Det meente ick doch nicht. Ick meente Bärschering.“

„Klingt für mich wie in Kuhkaff in Bayern.“

„Ne, det is ne Plattform für Feilschering im Netz.“

„Du meinst Fileshering.“

„Na wie ick sagte.“

„Davon habe ich schon mal gehört.“

„Wenn du Pornos ohne Ende willst, kannste dich dort mal umkicken.“

„Echt? Ohne Ende?“

„Ick sag dir, det is wie det Friss-soviel-du-willst Buffet bei Karstadt.“

„Kannst du mir die Adresse mal aufschreiben?“

„Na siehste, ick wusste doch, das dette was für deinereiner ist.“

*

 

Udo hatte nicht untertrieben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten fand Jupp schnell den Einstieg in die glitzerbunte Welt der Sexfilme. Bis dahin hatte er gelegentlich einen Clip oder etwas Unanständiges bei Youtube runtergeladen. Jetzt waren die Einsätze gestiegen. Sein Rechner lief während er arbeitete, und während er schlief. Binnen kürzester Zeit war seine Festplatte voll, und er musste eine Pause einlegen. Bei aller reiflichen Planung hatte er nicht daran gedacht, sich einen Brenner zu kaufen! Normal wäre seine Festplatte auch umfangreich genug gewesen, aber wer hätte den mit so vielen geilen Filmen gerechnet? Softwaretechnisch war Jupp ein Ass, aber ansonsten nicht in der Lage, eine Maus richtig zu verkabeln. Also musste der doofe Bruder gerufen werden. Der sich in Selbstgefälligkeit suhlte. Unterdessen nicht müde wurde, immer wieder um neue Zigaretten zu bitten. Jupp war gezwungen, dessen Arroganz zu ertragen, bis das Laufwerk drin war. Dann hatte der Mohr seine Schuldigkeit getan, der Mohr konnte gehen.

Jupp würde ihm zum Dank in den Briefkasten kacken. Kleine Geschenke erhalten die Feindschaft. Dann hatten sie unter dem Weihnachtsbaum wieder eine unselige Episode, über die sie sich in die Haare geraten konnten. Mutter würde den Verlierer in die Gummihose stecken und zwingen, während der Feiertage auf der stillen Treppe auszuharren.

 

*

 

Danach konnte Jupp sich wieder den wesentlichen Dingen widmen. Festplatte auf DVDs überspielen, Rechner defragmentieren, und wichsen, was das Zeug hielt. Seine Mutter fragte ihn nur, warum er denn immer die Rollos unten ließ.

„Junge, du brauchst auch ein bisschen Sonnenlicht. Du wirst mir noch depressiv.“

„Mir geht es gut, Mutti.“

„Und wie du wieder aussiehst. So blass um die Nase. Immer nur Computer, Computer, Computer. Willst du nicht rauskommen und mit deinen Freunden spielen? Die frische Luft würde dir gut tun.“

„Mutter, ich bin einundvierzig Jahre alt.“

„Noch lange kein Grund, aufmüpfig zu werden. Sechsunddreißig Stunden habe ich damals mit dir in den Wehen gelegen, und höre ich dafür heute ein Wort des Danks?“

„Nein, Mutti.“

„Und zieh dir frische Sachen an. Deine Hose ist schon ganz fleckig!“

Damit war das Thema gegessen. Fürs Erste wenigstens. Denn seine Mutter konnte einem in ihrer Beharrlichkeit den letzten Nerv rauben.

 

*

 

Sein Problem lag ganz woanders. Noch nie in seinem Leben war er der Besitzer einer derart großen Anzahl von Pornofilmen gewesen. Die Gefahr, mit der Zeit abzustumpfen, war gegeben. Wie also sollte er sich einen respektvollen Umgang mit dem schönsten aller Medien wahren? Er durfte die Filme nicht einfach nur platt konsumieren, er musste sie zelebrieren wie das achte Weltwunder! Die beste Form, die ihm dafür einfiel, glich einer Schiffstaufe. Wenn ein neues Boot in die Weltmeere entlassen wurde, schlug man eine Flasche Sekt gegen seinen Rumpf. Mit Schaumwein konnte er nicht dienen, mit seinem Schaum hingegen schon. So wurde es ihm zum Ritual, jeden Film mit den goldenen Palmwedeln von Cannes auszuzeichnen. Die Wahl zur besten weiblichen Darstellerin des Jahres wurde euphorisch mit einem dreifachen Ehrensalut begrüßt. Böllerschüsse für den Frieden!

Was in der ersten Zeit so reibungslos funktionierte, fiel ihm zusehends schwerer. Neben seinem Computer stapelten sich die DVD-Stapel bis in schwindelerregende Höhen. Trotz aller Vorsicht ließ es sich nicht vermeiden, dass er manchmal mit dem Fuß gegen den Stapel kam, und sein ganzer Turm in sich zusammen fiel. Fluchend schichtete er sie wieder auf. Wohl wissend, dass es einem Mikadospiel glich, welches er nicht gewinnen konnte. Frage: Was hatten Pornofilme mit Logistik zu tun? Antwort: Fall noch mal über deine Sammlung, und wir reden weiter.

So konnte es jedenfalls nicht weitergehen. Er hatte doch mal einen Ferienjob am Lager gehabt. Warum fiel es ihm so schwer, sich zu erinnern? Weil er dort Säcke voll Katzenstreu geschleppt hatte, Hamsterkäfige und Kratzbäume. Größere Güter. Aber wohin mit all den Filmen?

Am nächsten Tag stöberte er im örtlichen Möbelhaus, mit knallrotem Kopf. Er fühlte sich schmutzig, so als würde jeder mit dem Finger auf ihn zeigen und als blöden Wichser verlachen. So verweigerte er sich auch jeder Beratung. Einfache CD-Regale wären von der Aufteilung her ideal gewesen, aber für Jupp kam nur ein abschließbarer Schrank in Frage. Wenn seine Mutter einmal die Woche zum Putzen kam, konnte sie keine dummen Fragen stellen. Leider fand er zwar schöne Aktenschränke, doch alle waren sie nur für Ordner gedacht. Enttäuscht von den vorgefertigten Möglichkeiten nahm er zuhause genau Maß, fertigte Skizzen an, berechnete den Materialbedarf und den Verschnitt. Die Filme verstaute er unter seinem Bett und bat seinen Chef um private Überstunden. Mach’s dir selbst, dann hilft dir Gott. Eine Binsenweisheit, die über dem Esstisch seiner Eltern hing. Wie so viele weise Sprüche, die man auf Jahrmärkten kaufen konnte. Seine Eltern besaßen eine ganze Sammlung davon. Manchmal verfolgten sie ihn bis in den Schlaf. Nach ihrem christlichen Verständnis war sogar Onanie eine Todsünde. Aber was sollte er tun, es sich etwa aus den Rippen schwitzen? Der Herr hatte ihm zwei gesunde Hände gegeben und einen Schniedelwutz. Es war an ihm, die beiden zusammenzuführen. Ein kleiner Schritt für die Hand- ein großer Schritt für die Pornografie.

 

*

 

Nun waren seine Schätze hinter sicheren Türen. Entsetzt sah er das grüne Lämpchen an seinem Rechner blinken. Während er nur sein neues Möbelstück im Kopf hatte, war ihm kein Gedanke an die laufenden Downloads gekommen. Er hatte einfach vergessen, den Computer auszuschalten. Ein Fehler, der ein freudiges Ziehen in der Magengrube bewirkte. Fünfzig neue Filme, die Festplatte wieder bis an den Anschlag voll gestopft! Euphorische Angst: Sein Herzschlag dröhnte ihm in den Ohren. Dann setzte er sich vor den Bildschirm, wie er es so oft getan hatte. Er unterbrach alle laufenden Downloads. Brennen kam später, morgen war auch noch ein Tag. Seine zitternde Rechte fand die Maus, während die Linke den Reißverschluss langsam öffnete. Draußen vor dem Fenster trugen Katzen ihre Revierkämpfe aus. Kneipiers kehrten ihre letzten Gäste zur Tür. Ein tiefer Schlummer lag über der Stadt. Doch nicht über Jupps Wohnung.

 

*

 

„Mensch Jupp, wie siehste denn aus? Voll die Eule, det kann ick dir sagen.“

„Ich habe den Bär geschoren.“

„Na wenn’ de nicht oofpasst, schert der Bär dich.“

„Ich habe den Bär geschoren.“

„Nü gomm, wir holn erstma Kaffee.“

 

 

 

Dreams are my reality

Leopold arbeitete im Nippel-Nastrovje, einem unabhängigen kleinen Sexshop im Bahnhofsviertel. Seine Eltern hatten darauf bestanden, dass er Fleischereifachverkäufer wurde. In gewissem Sinne war er das ja auch.

Er war bei Eugen in die Lehre gegangen, einem stalinistisch gehärteten Haudegen mit pornografischen Gedächtnis. Eugens Erinnerungen reichten zurück bis in die frühen Tage des Stummfilms, wo die Darstellerinnen noch selbstgehäkelte Reizwäsche trugen (in den Wirren zwischen den beiden Weltkriegen machte die Not geil und erfinderisch). Heute dachte er wehmütig daran zurück, wenn er über das Zierdeckchen unter der Registrierkasse strich. Und heute? Da häkelten dieselben Damen, die damals ihre Möpse jedem zeigten, der darum bat, an Bettvorlegern und Pilsrosetten. Den Anschluss an die digitale Pornografie allerdings hatte er verloren. Alles, was ohne 8mm-Spulen auskam, erschien ihm suspekt. Nicht, dass es ihn nicht erregt hätte, aber er verstand es einfach nicht. Richtig warm ums Gemächt dagegen wurde ihm, wenn der Filmvorführer die Rolle rattern ließ und der Begleitmusiker auf dem Piano klimperte. Gerne ließ sich sein Chef auch im alten KGB-Stil verhören. Im Anschluss versohlte ihm seine Frau fulminant den Hintern. Keine Unterdrückung war so süß wie selbstgemachte. Was bei Marmelade funktionierte, konnte bei Sadomaso nicht verkehrt sein. Wobei… Sadomaso war in Usbekistan eine Gurkencreme, die sowohl als Dipsauce für Dörrfleisch als auch als Gleitcreme für einsame Nächte in der Steppe Anklang fand.

„Kommst mit, Leo, zeig ich dir meine größte Schätze.“

Hinter dem Pausenraum führte ein selbstgegrabener Tunnel in die Tiefe.

„Wow! Was ist das denn?“

„Tja, würden feine Herren von Direktion Augen machen, wenn sie wüssten.“

„War der Tunnel schon immer da?“

„Nein, hat mein letzter Praktikant für mich ausgehoben. Das Arbeitsamt hat für die Dauer der Aushebungsarbeiten einen Kasten Bier genehmigt. Setzen die wohl von der Steuer ab.“

„Wozu der ganze Aufwand?“

„Bist blöd oder was? Kein Dieb wühlt in Dreck. Oder vermutest Bernsteinzimmer unter Sexshop, Jungchen?

„Nicht wirklich, Chef.“

„Na siehste. Und hier ist es.“

„Sieht aus wie Kaufhaus des sozialen Wohnens.“

„Jungchen, du hast keine Ahnung. Ich sammle erotische Antiquitäten.“

Mit Staunen hörte Leopold zu, wie sein Chef ihm die Exponate erklärte. Da war Goethes Ausgehschreibfeder. Wenn man sie auf den Kopf stellte, stand Lotte im Adamskostüm da. Ein Kandelaber in Form eines neunschwänzigen griechischen Athleten.

„Was ist das? Ein vorsintflutlicher Handmixer?“

„Mag sein, dass die Hausfrau es benützte, aber erst wenn die feine Teegesellschaft verschwunden war. Das ist ein Vibrator mit handgetriebener Vibration.“

„Und das hier?“

„Vorsicht! Musst du sanft behandeln wie Mingvase. Ist erste Sexpuppe der Welt, aus Meissner Porzellan.“

„Aha. Macht sie die Augen zu, wenn man sie auf den Rücken legt?“

„Ne, aber Beine breit.“

„War das nicht ein wenig… wie soll ich sagen: Unbequem?“

„Es ging. Zwischen den Beinen war ein ledernes Futteral, das man entnehmen konnte und im örtlichen Waschsalon gegen eine geringe Gebühr reinigen lassen konnte.“

„Jetzt wo sie’s sagen, spüre ich es auch. Handschuhweiches Ziegenleder.“

„Vorsichtig mit den Weichteilen. Das alte Leder ist ein wenig mürbe geworden, seit ich sie benutze.“

„Igitt.“

Verstört wischte Leopold sich die Finger an der Hose ab.

„Und jetzt verrate ich dir große Überraschung. Wenn du deine Ausbildung mit Erfolg abschließt, darfst du dir eines meiner Exponate aussuchen.“

„Welches?! Welches?!“

„Nicht so ungeduldig. Wirst du sehen, wenn der Tag gekommen ist.“


*


Der Tag der Gesellenprüfung rückte näher. Leopold präsentierte der IHK ein Bückstück, welches die Prüfer nach einer tiefgründigen Untersuchung für gut befunden. Leopold musste einen bleibenden Eindruck bei ihnen hinterlassen haben- kleidete sich der junge Mann schließlich nur nach feinster Pornomanier. Aufgrund seines derzeit beschränkten Lehrlingsgehaltes musste es die preiswerte Variante sein, was seinem Glanz aber keinen Abbruch tat. Aus dem Altkleidercontainer, in dem sein Kumpel Dimitrij hauste, fischte er John Travoltas original weißen Diskoanzug. Sein Seidenhemd knöpfte er bis zum Bauchnabel auf, um seine spärliche Brustbehaarung zur Schau zu stellen. Um den Hals baumelte eine echt vergoldete Kette aus dem Kaugummiautomat. Darüber trug er Sommer wie Winter einen Pelzmantel, den er aus den Schonbezügen alter Wagen vom Schrottplatz geklaut hatte. Abgerundet wurde seine ganze Erscheinung von einer verspiegelten Pilotenbrille. Wenn er lächelte, blitzte sein Goldzahn. Anzeichen dafür, dass er die Geschlechtsreife erreicht hatte. Denn für Russen war der erste Goldzahn eine Mannbarkeitsprüfung, ähnlich wie für die Juden die Beschneidung.

Aus unerfindlichen Gründen konnte er bei den Frauen damit keinen Eindruck schinden. Selbst wenn er ihnen den guten Kaviarersatz von Aldi auftischte mit einer Scheibe trocken Brot! Waren etwa seine Schnellfickerstiefel zu langsam? Wurde er an der Ampel von drei Dutzend Männern überholt, die mehr Pferdestärken in der Hose hatten als er? Da war wieder ein Besuch bei Timur’s Tuningshop fällig.


*


Während der Arbeit flüchtete er sich in Tagträumereien über die Models auf all den Hochglanzmagazinen in den Regalen. Was wäre, wenn sie unter seinen blätternden Händen zu Leben erwachen würden? Wenn sie mit ihm sprechen könnten?

„Was machst du da?“

„Ich reibe ihnen über die Nippel.“

„Finger weg von den Magazinen und willkommen in der Wirklichkeit, Junge.“

„Tut mir Leid Eugen, soll nicht wieder vorkommen.“

„Hast doch nicht mehr nötig, Jungchen. Ist heute deine große Tag.“

„Was gibt es besonderes?“

„Nun, gibt es deine bestandene Prüfung zu feiern. Erinnerst du dich, was ich dir versprochen habe?“

„Ein Stück aus deiner Sammlung! Oh ja, jetzt erinnere ich mich. In den Keller, in den Keller!“

„Nicht so stürmisch, junge Mann. Erst trinkst du Wodka mit mir.“

Eugen griff unter den samowarischen Teekocher, und zauberte einen Bauerntequila von bräunlich-trüber Konsistenz hervor.

„Ist Wodka normal nicht durchsichtig?“

„Nicht wenn ihn meine Babuschka gebraut hat. Die ist auf einem Auge blind, und das andere schielt gen Westen.“

„Tja, wer den Kapitalismus im Auge hat, sieht schlecht.“

„Dann wollen wir mal testen, was mein altes Großmütterchen zusammengepanscht hat.“

Eugen zog zwei Plastikbecher aus dem Wasserspender, der den Angestellten kostenlos zur Verfügung stand, und füllte sie bis an den Rand.

„Auf dein Bückstück.“

„Nastrovje!“

„Dann mal ab in den Keller, bevor die ersten Kunden auftauchen. Juri, du hältst die Stellung.“

„Welche soll es denn sein, Chef.“

„Irgendeine. Blätter den Kamasutra durch, wenn dir keine einfällt.“

„Da steht: Wenn es eine Vorhaut gibt, muss es auch eine Nachhaut geben. Verstehe ich nicht.“

„Das ist ein altes buddhistisches Rätsel. Denke darüber nach, und du wirst deinen Geist befreien.“

„Ich kann’s ja versuchen.“

„Mein Gott, diese Aushilfen! Kaum zu glauben, was einem der Kreml da schickt. Morgen werde ich um einen Austauschagenten bitten.“

„Eigentlich Schade. Juri konnte besser Kaffee kochen als all die anderen.“

„Willst du nun in den Keller oder nicht?“

„Aber ja!“

„Nun gut. Dann nimm eine Fackel und folge mir.“

Dieses Mal war es aufregender für Leopold, auch wenn er wusste, was am Ende dieses in den lehmigen Boden gehauenen Ganges lag. Er war sich auch der Ehre bewusst, die ihm Eugen zuteil werden ließ.

„Weißt du Jungchen, ich bin auch nicht mehr der Jüngste. Irgendwann wird einmal mein Nachfolger den Laden übernehmen müssen. Es würde mich freuen, wenn du das bist.“

„Das ist viel Verantwortung, die du mir da aufbürden willst.“

„Ja, aber ich vertraue darauf, dass du der Aufgabe gewachsen bist.“

„Ich werde mir Mühe geben, dich nicht zu enttäuschen.“

„Das weiß ich Jungchen, das weiß ich. Darum bekommst du jetzt deine Prämie.“

„Was ist das?“

„Reiner Bernstein mit einer eingeschlossenen Fliege. Direkt vom russischen Königshof.“

„Stammt das etwa aus dem Bernsteinzimmer?“

„Ne, da habe ich nur einen Witz gemacht. Dies ist ein Intimschmuck Katharinas der Großen.“

„Der Zarenschlampe?“

„Genau der.“

„Das kann ich nicht annehmen.“

„Doch, kannst du. In St. Petersburg ist alte Mythos, dass Schmuck von Königshaus macht attraktiv und sexy für andere Geschlecht. Oder warum denkst du, hat Katharina mehr Reitlehrer auf Kreuz gelegt als Lady Di?“


*


Von da an trug Leopold das Kleinod an seiner Halskette. Manchmal glaubte er, eine Wärme von ihm ausgehen zu spüren. Wie ein Feuer, das im Innern der gelben Kugel loderte. Und dann spürte er, wie das Feuer in seiner Brust weiter brannte und sich in seinem Körper ausbreitete. Ein Flächenbrand unter der Haut. Es begann mit einem leisen Flüstern, wie das Rascheln alten Pergaments. Erst dachte Leopold an die Ratten, die im Winter eine reine Plage darstellten. Im Laufe der Woche allerdings veränderte sich das Geräusch: Die Tonlage wurde heller. Mehr und mehr glaubte er, Stimmen herauszuhören. Und was noch viel schlimmer war, sie riefen seinen Namen! Er wurde doch nicht etwa verrückt?

„Leo!“

„Ja?“

„Sag mal Jungchen, träumst du wieder? Die Arbeit macht sich nicht von alleine. Dawei, dawei!“

„Leo, ich bin es doch. Die süße Chantal.“

„Ich bin die rassige Lea.“

„Hör nicht auf die anderen. Susi besorgt es dir am besten.“

Schweiß stand ihm auf der Stirn. Die Covergirls redeten mit ihm. Warum hatte Eugen nichts gehört? Leopold begriff. Das Bernsteinpiercing.

„Sag mal Eugen, macht es dir etwas aus, wenn ich die Inventur alleine mache? Ich habe noch nichts vor, und könnte den Nachtzuschlag gut brauchen.“

„Klar Jungchen, wenn du willst. Aber keine Spermaflecke an der Decke, die ich nicht selbst auch gemacht hätte.“

„Geht klar Chef.“

„Hier, nimmst du Schlüssel. Kannst schlafen in Lager. Deckst dich mit Strapse zu, wenn dir kalt ist.“

„Du bist wie ein Vater zu mir.“


*


Endlich war der letzte Kunde aus dem Laden, die Tür verriegelt und Leopold alleine mit den Sirenen. Räucherstäbchen sollten für eine entspannte Stimmung sorgen.

„Komm, preisvoller Leopold, du großer Ruhm der Pornokraten, lenke deine Lust ans Land und horche unserer Stimme. Denn hier ging noch keiner im grauen Alltag vorüber, eh' er dem geilen Gestöhn gelauscht aus unserem Munde.
Dann aber scheidet er wieder, erregt, und weiß um ein Neues. Denn wir wissen alles, was je im Felde von Sin City die Wächter der Zensur geduldet. Wissen, was irgend gefickt auf der wollüstigen Erde!"

„Wo liegt denn Sin City?“

„Na, wenn Köln die Rosette unter den Städten ist, dann ist Berlin die Möse.“

„Und Wien? Das soll doch auch sehr dekadent sein um diese Jahreszeit?“

„Nur Schenkelgeplänkel.“

„Was ist aber mit Hamburg? Geburtsstadt der Reeperbahn.“

„Außer Spesen nix gewesen. Die Hurenmeile verkommt zum Tagungsort der Automobilindustrie. Morgens noch auf dem Golfplatz, abends beim Einlochen.“

„Wow! Ihr müsst ja weit rumgekommen sein auf der Welt. Wenn ihr all die großen Metropolen kennt.“

„Wir sind solange rumgekommen, bis wir verkommen sind. Nun sind wir verwirrt und suchen einen neuen Meister, der uns zeigt, wo der Hammer hängt.“

„Dann seid ihr aber falsch. Das Nippel-Nastrovje ist ein Sexshop, kein Baumarkt.“

„Ach du Dummerchen. Mach schon deinen Hosenstall auf.“

„Ich muss euch warnen. Wenn der Stier erst auf der Weide ist, gibt es kein Halten mehr.“

„Darauf lassen wir es ankommen.“

„Na schön.“

„Boah. Das ist ja der größte Fickprügel, denn ich je gesehen habe.“

„Stimmt nicht. Erinnerst du dich noch an Gigantos, den trojanischen Hengst?“

„Mädels, könntet ihr vielleicht das Thema wechseln? Ich tue mich schwer, in Stimmung zukommen!“

„Das will ich doch schwer hoffen. Wagt es nie wieder, die Autorität meines Prügels in Frage zu stellen.“

„Wie wäre es mit den magischen Karten?“

„Ich könnte euch den tanzenden Stock zeigen.“

„Okay, dann lasst euch überraschen. Wartet hier.“

„Was er wohl vorhat?“

„So leer wie Chantals Birne.“

„Zapzarapp- da ist sie!“



„Jungchen, ich finde es schön, dass du nimmst Arbeit so wichtig. Aber machst dich nicht kaputt.“

„Sag mal, da steht ein leeres Gurkenglas. Hast du Party gefeiert oder was? Warst auch wirklich alleine?“

„So ist gut. Hilfst du mir nachher, Dildos nach Größen zu sortieren.“

„Stalinorgel, dawei, dawei!“



Stimmung war das wichtigste. Er besaß ein ätherisches Öl auf der Basis einer Muschiimitation, das er als Raumduft einsetzte. Alles weitere kam von ganz alleine. Wenn der Fisch nicht zum Seemann kommt, dann eben der Seemann zum Fisch. Kein teuer Essen gehen bei einem Fastfoodhändler ihres Vertrauens. Kein romantischer Kinofilm, wo der neuste Steven Segal im Nebensaal läuft (den man nur in der Hoffnung auf einen Erkundungsgang unter ihr T-Shirt sausen lässt). Keine Blumen, keine Pralinen, kein Schmuck. Nicht auf Shoppingtouren mitkommen, bloß damit little Diva zufrieden ist. Nichts von alledem.



„Du könntest mal wieder den Müll runter bringen.“

„Deine Bude stinkt wie Sau. Da wäre wieder lüften fällig.“

„Ich wüsste nicht, was euch das angeht.“

„Wer hat denn von einem Zusammenleben gesprochen? Ihr seid nur fleischgewordene Männerphantasien, nicht mehr.“

„Warum fangt ihr jetzt erst damit an?“

„Das ist Betrug!“

„Phantasie ist frei. Jeder Mensch hat eine!“



„Bitte, nimm es zurück.“

„Ich will das Bersteinpiercing nicht mehr. Es bringt Unglück.“

„Stell einfach keine Fragen und leg es wieder zu deiner Sammlung.“