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© Querverlag GmbH, Berlin 2014

Erste Auflage September 2010

Zweite Auflage Oktober 2013

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag und grafische Realisierung von Sergio Vitale unter Verwendung eines Fotos von Barbara Stenzel

ISBN ISBN 978-3-89656-576-1

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Querverlag GmbH

Akazienstraße 25, 10823 Berlin

www.querverlag.de

Für meine wunderbare Regenbogen­familie –
you are the wind beneath my wings

Vorwort

MirjamMuentefering.tif

Meine Güte, jetzt wollen die auch noch ‘ne bunte Familie!

Nachdem wir unser „Lebenspartnerschaftsgesetz“ durchgeboxt haben und auf Verbesserungen pochen, beanspruchen wir jetzt auch noch das zweite hohe Gut, das eine Gesellschaft neben der Ehe zu vergeben hat: Die Familie! Und zwar eine, die regenbogenfarben schillert.

Dabei haben wir doch alle schon eine, nämlich unsere Herkunftsfamilie. Doch davon abgesehen, dass es leider auch heute noch viele Schwule und Lesben gibt, die in ihrer Herkunfts­familie aufgrund ihrer Lebensweise Ablehnung erfahren und um Anerkennung kämpfen müssen, wollen wir natürlich auch mal erwachsen werden und selbst eine Familie gründen.

Dass keine lesbische Frau und kein schwuler Mann mit diesem Wunsch allein steht, das soll dieses Buch dokumentieren.

Eine Familie zu sein – Mutter, Vater oder auch Tante und Onkel – hat nur bedingt etwas mit Blutsverwandschaft zu tun. Es sind Zusammengehörigkeit, Verantwortung und gemeinsame Ziele, die eine Familie ausmachen. Wachsen darin Kinder auf, sind die sich stellenden Herausforderungen in Familien, in denen zwei Mütter bzw. zwei Väter erziehen, die gleichen wie in der klassischen Familie mit Vater, Mutter, Kind. Nur dass zusätzlich zu den „ganz normalen“ Problemen wie nerviges Trotzalter oder fehlende Kindergartenplätze eine Regenbogenfamilie noch mit anderen Aufgaben zu tun hat. Zum Beispiel mit dem Umgang mit möglicher Ausgrenzung und Skepsis der Umwelt. Oder mit der Frage, ob „bunte“ Familien die Traditionen der klassischen übernehmen oder den Versuch starten, sich selbst neue zu schaffen.

Eine Regenbogenfamilie ist also das Gleiche wie eine klassische Familie! Und doch ist sie anders.

Dies aufzuzeigen und deutlich zu machen – dafür soll dieses Buch stehen.

Mit den besten Wünschen dafür, dass die darin enthaltenen Beispiele lesbischen und schwulen Eltern und solchen, die es werden wollen, Mut und Zuversicht vermitteln werden!

Mirjam Müntefering, Autorin

Hattingen, im Juni 2013

Einführung

„Ich habe eine Mami und eine Mama“, sagt die achtjährige Rosa selbstbewusst zu ihrer Freundin Marie. Rosa ist die Tochter von Charlotte und Katharina, seit bald 20 Jahren ein Paar. Mit Hilfe einer Samenspende wurde Charlotte schwanger. Ein Freund der beiden Frauen entschied sich, Charlotte und Katharina bei der Erfüllung ihres Kinderwunsches zu helfen – als Freund. „Papa“ ist er nicht.

„Also, mir fehlt hier jetzt keine Frau. Guido und Thomas sind wie zwei Väter. Sie helfen einem, wenn man Probleme hat.“ (Nadine, 13)

Heute ist Nadine erwachsen. Ihre früheren Pflegeeltern sind ein schwules Paar, Guido und Thomas, die für viele Jahre immer wieder Pflegekinder aufnahmen.

Regenbogenfamilien – zwei Beispiele von vielen1: Es gibt tausende von Kindern, die in lesbischen oder schwulen Haushalten groß werden. Viele Kinder stammen aus heterosexuellen Beziehungen, in denen die Mütter oder Väter sich später für ein lesbisches oder schwules Leben entschieden haben. Und immer mehr Lesben und Schwule erfüllen sich ihren Kinderwunsch nach ihrem Coming-out – allein oder innerhalb ihrer Beziehungen. Ob leibliche Kinder über Samenspende und Insemination, Pflege- bzw. Adoptivkinder, ob Co-Elternschaft außerhalb einer Paarbeziehung oder „zwei Mamas und ein Baby“ – die Vielfalt bei den Familienmodellen ist grenzenlos.

Während sich allerorten traditionelle Familienformen auflösen und Patchworkfamilien und Ein-Elternfamilien zum gesellschaftlichen Alltag gehören, machen sich lesbische Frauen und schwule Männer auf, für Nachwuchs zu sorgen. Lesben und Schwule auf dem Weg zur „traditionellen Kleinfamilie“?

In den vergangenen 25 Jahren sind Lesben und Schwule rechtlich, politisch und gesellschaftlich ein ganzes Stück weitergekommen. Als Folge davon gehen die meisten heute sehr viel selbstbewusster mit ihrer Lebensform um. Es heißt, Lesben und Schwule seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Da gibt es den Quotenschwulen in den daily soaps; über Lesben wird regelmäßig sogar in seriösen Frauenzeitschriften geschrieben. Aber dass Lesbisch- oder Schwulsein einfach als eine Lebensform unter vielen gesehen wird, davon sind wir noch meilenweit entfernt. Und bei der Kinderfrage scheiden sich die Geister besonders.

Noch immer wird in konservativen Kreisen darüber diskutiert, ob Lesben und Schwule überhaupt Kinder haben sollten, dabei haben sie diese längst. Lesbische Frauen und schwule Männer werden immer häufiger Eltern, und zwar nach ihrem Coming-out. Und es sollte ein Anliegen der Gesellschaft sein, diese Kinder gegenüber anderen Kindern nicht zu benachteiligen.

Doch manche PolitikerInnen aus der CDU/CSU tun sich mit dieser gesellschaftlichen Entwicklung sehr schwer. Von konservativer Seite gab es große Widerstände gegen die Stiefkind­adoption, die 2005 auch für lesbische und schwule LebenspartnerInnen zugelassen wurde. Als 2009 die erste Studie zu Kindern aus gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften veröffentlicht wurde, hieß es gar aus der Bayerischen Staatskanzlei, die Studie sei unseriös, obwohl vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegeben und von einem bayerischen Institut durchgeführt. In dieser Studie wurde gezeigt, dass Lesben und Schwule gute Eltern sind, dass sich ihre Kinder adäquat entwickeln und zum Teil höhere soziale Kompetenzen aufweisen als Kinder aus vergleichbaren heterosexuellen Familien. Immer wieder zeigt sich in Untersuchungen, dass der Schlüssel für ein gelungenes Aufwachsen in der Beziehung der Eltern liegt. Wächst ein Kind in einem harmonischen Umfeld auf, hat es große Chancen, sich selbst wertzuschätzen und zu einem selbstbewussten Erwachsenen zu werden. Das Geschlecht der Eltern ist dabei sekundär.

Im Zuge der weichenstellenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts ist der Druck auf die Politik gestiegen, gleichgeschlechtlichen Paaren und Regenbogenfamilien endlich die gleichen Rechte wie heterosexuellen Eheleuten und Familien zuzubilligen. Mittlerweile brodelt es auch innerhalb der CDU. Längst gibt es in der Union PolitikerInnen, die die Rechtssprechung der modernen gesellschaftlichen Entwicklung anpasssen wollen. Auch die beiden letzten Eckpfeiler der Diskriminierungspolitik werden bald der Vergangenheit angehören. Früher oder später werden auch für LebenspartnerInnen steuerliche Entlastungen sowie das volle gemeinsame Adoptionsrecht selbstverständlich sein. Die Mehrheit der Bevölkerung spricht sich bereits seit Längerem für die vollständige Gleichstellung von homosexuellen Paaren aus. Es wird Zeit, dass die Regierung endlich nachzieht.

Miteinander spielen, toben, lachen, Herausforderungen meistern, Alltag leben – das wünschen sich alle Kinder. So auch Sofie (9), die in einer traditionellen Mama-Papa-Familie aufwächst. Neulich besuchte sie ihren gleichaltrigen Freund. Mit ihm und seinen zwei Müttern unternahm sie einen Badeausflug. Nachdem die Kinder beim Wasserball knapp gegen die Mütter gewonnen hatten, sank Sofie erschöpft ins Gras: „Ich möchte auch gern so normale Eltern. Meine lesen immer nur Zeitung!“

Kinder haben als lesbische Frau oder schwuler Mann – heute schon ganz „normal“? Sicher ist, dass mit der gestiegenen Akzeptanz und den neuen rechtlichen Möglichkeiten ein Leben mit Kindern viel selbstverständlicher gedacht und gelebt wird.

Manche lesbische und schwule Beratungsstelle spricht von einem Babyboom innerhalb der „Szene“, Informationsabende zum Thema Kinderwunsch sind regelmäßig gut besucht, per Kleinanzeige werden Samenspender gesucht oder potenzielle Spender bieten ihre Dienste an, und in nahezu jeder größeren Stadt gibt es Gruppen für lesbische Mütter und schwule Väter.

Für all diejenigen, die am Thema Regenbogenfamilie „dran“ sind, ist dieses Buch. Also für Lesben und Schwule, die sich Kinder wünschen und fragen, wie sie dies am besten in die Tat umsetzen, für die, die schon eine Familie sind und wissen möchten, wie andere Regenbogenfamilien leben, natürlich auch für interessierte (potenzielle) Großeltern und nicht zuletzt für alle, die beruflich oder „einfach nur so“ daran interessiert sind, mehr über Regenbogenfamilien zu erfahren.

Das Buch will nicht nur Wege zur Familie aufzeigen, sondern auch Wegbegleiterin sein. Es will informieren und Lesben und Schwulen mit Kindern oder Kinderwunsch Mut für ihren Alltag machen. Darüber hinaus möchte das Buch pädagogische Fachkräfte ermuntern, sich mehr mit der Lebenssituation von Regenbogenfamilien zu beschäftigen, denn schließlich kennt die Vielfalt der Familienformen keine Grenzen: Familie ist da, wo Kinder sind!

Seit 1990 beschäftige ich mich mit dem Thema „Homosexuelle Elternschaft“. Ein Studien- und Forschungsaufenthalt in den USA, die Mitarbeit an verschiedenen themenrelevanten Projekten sowie unzählige Gespräche mit lesbischen und schwulen Eltern und ihren Kindern bilden die Grundlage für dieses Buch. Mutige PionierInnen der ersten Stunde und junge Lesben und Schwule haben mir ihre Geschichte erzählt. Die Hochs und Tiefs auf dem Weg zum Elternwerden oder beim Elternsein kennen sicherlich alle, die mit Kindern leben. Aber für Regenbogenfamilien stellen sich viele zusätzliche Herausforderungen, die bisher in kaum einem Familienhandbuch behandelt wurden. Dieses Buch möchte Lücken schließen, Fragen aufwerfen und natürlich auch beantworten.

Das Handbuch ist in drei Teile gegliedert.

Der erste Teil (Kapitel 1–5) steckt den Rahmen ab: Wie können Lesben und Schwule Eltern werden? Welche Familienformen gibt es? Was spricht für das eine, was für das andere Modell? Wie kann ich meine Familie rechtlich absichern? Und schließlich wird das große Thema Coming-out behandelt.

Im zweiten Teil (Kapitel 6–10) wird es konkret: Ein Kind kündigt sich an, der Weg vom Paar zur Familie beginnt. Wie sieht der Alltag aus? Wie gestaltet sich das Familienleben? Wie gehen lesbische und schwule Eltern mit Konflikten um? Auch muss die Pubertät der Kinder als „Zeit der Unzurechnungsfähigkeit“ durchgestanden werden. Manchmal trennen sich Paare: Wie schaffen es Elternpaare, weiterhin gemeinsam Eltern zu bleiben, auch wenn die Liebesbeziehung beendet ist? Was geschieht, wenn ein Elternteil stirbt?

Im dritten Teil (Kapitel 11–14) geht es um die Frage, wie Regenbogeneltern ihre Kinder unterstützen können. Wie machen sie sie stark für mögliche Diskriminierungserfahrungen? Außerdem melden sich Töchter und Söhne zu Wort, die in einer Regenbogenfamilie aufwachsen oder aufgewachsen sind.

Neben den Einflussmöglichkeiten der Community auf die Politik und der Frage, welche Rolle Netzwerke und Gruppen dabei spielen können, wird zum Schluss der aktuelle Stand der Forschung zum Thema Regenbogenfamilien aufgezeigt.

Geänderte Namen sind mit einem * gekennzeichnet. Fakten zur rechtlichen Situation sind aktualisiert, zitierte Erfahrungsberichte spiegeln zum Teil einen früheren Stand wider.

Viel Spaß beim Lesen!

Stephanie Gerlach, Juni 2013

1 Bernd Eggen (2009) kam bei der Auswertung des Mikrozensus 2006 auf einen Wert von 19.000 Kindern, die in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften aufwachsen. Die tatsächliche Zahl dürfte höher sein.

Kapitel 1 – Die Regenbogenfamilie

Wenn sich mindestens ein Elternteil nach außen als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender definiert und sich in irgendeiner Form der LGBT2-Community zugehörig fühlt, dann wird in der lesbisch-schwulen Szene häufig von einer Regenbogenfamilie gesprochen. Zwar ist dieser Begriff nach wie vor eher eine szeneinterne Bezeichnung, doch mittlerweile ist die „Regenbogenfamilie“ im Duden zu finden – ein großer Schritt in Richtung Mainstream-Sprache.

Der amerikanische Künstler Gilbert Baker entwarf 1978 die Regenbogenfahne. Seither ist sie ein weltweit etabliertes Symbol für lesbischen und schwulen Stolz. Die verschiedenen Farben stehen für die Vielfalt der Community. Rot steht für das Leben, orange für die Gesundheit, gelb für das Sonnenlicht, grün für die Natur, blau für die Harmonie und violett für den Geist.

Regenbogenfamilien in Deutschland

In Deutschland gibt es drei bis vier Millionen Lesben und Schwule (bei einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von etwa 5%), etwa die Hälfte davon lebt in festen Beziehungen. In jeder achten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft wachsen Kinder auf.3 Danach müssten hier mindestens 50.000 bis 100.000 lesbische bzw. schwule Familien mit einem oder mehreren Kindern unter 18 Jahren leben. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Familien mit lesbischen Müttern. Tatsächlich ist meist von viel weniger Kindern die Rede, die lesbisch-schwule Eltern haben. Dies liegt zum einen daran, dass es unklar ist, wie viele Frauen und Männer tatsächlich lesbisch bzw. schwul leben und sich selbst auch als lesbisch oder schwul bezeichnen. Bei Volkszählungen werden die wenigsten ihre Lebensform angeben, haben doch viele noch eine Erinnerung daran, dass es einst lebensgefährlich war, die sexuelle Identität preiszugeben. Zum anderen gibt es bisher erst eine einzige repräsentative Studie in Deutschland, die sich mit Kindern aus gleichgeschlechtlichen Familien befasst hat.4 (Siehe Kapitel 14) Diese Studie spricht von etwa 2200 Kindern, die in Eingetragenen Lebenspartnerschaften leben – die einzige Zahl, die wirklich zuverlässig ist und gleichzeitig irreführend, denn die Vielfalt der Regenbogenfamilien kann dadurch nicht abgebildet werden. Viele lesbische Mütter haben ihre Partnerschaften nicht eintragen lassen. Manche sind allein erziehend, einige noch mit dem Vater der Kinder verheiratet, andere warten auf die steuerliche Gleichbehandlung, wieder andere haben schon immer die Ehe abgelehnt, und so sind eine Menge lesbischer Mütter offiziell allein erziehend, fallen also wiederum aus diesen Statistiken heraus.

Bei schwulen Vätern ist die Situation gleichermaßen vielfältig. Kinder von schwulen Vätern bleiben nach dem Ende einer heterosexuellen Beziehung mehrheitlich bei ihren Müttern. In schwulen Eingetragenen Lebenspartnerschaften leben selten minderjährige Kinder, allein erziehende schwule Väter bleiben häufig unsichtbar – all diese Familienkonstellationen sind in keiner Statistik zu finden. Die tatsächliche Zahl von Kindern, die bei lesbischen Müttern oder schwulen Vätern aufwachsen, lässt sich aus diesem Grund nicht benennen – viele Tausende sind es in jedem Fall.

Regenbogenfamilien hat es schon immer gegeben. Die Kinder stammen allerdings nach wie vor mehrheitlich aus heterosexuellen Beziehungen. Das Phänomen der geplanten lesbischen bzw. schwulen Elternschaft ist dagegen noch relativ jung. Vor etwa 25 Jahren begannen Lesben u.a. in den USA, ihren Kinderwunsch auch nach ihrem Coming-out zu realisieren, und seit ungefähr zehn Jahren kann analog dazu in Deutschland von einem homosexuellen Babyboom gesprochen werden. In geringerer Zahl trifft diese Entwicklung auch auf Schwule zu. Sicher haben die Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft und die Möglichkeit der Stiefkindadoption dazu beigetragen, dass sich lesbische (und schwule) Paare vermehrt mit Familienplanung beschäftigen. Die größere gesellschaftliche Akzeptanz und das gestiegene Selbstbewusstsein führen bei vielen Lesben und Schwulen dazu, ihren Lebensentwurf zu erweitern und Kinder als Möglichkeit dazu zu denken, wenn sie ihre Zukunft skizzieren. In einer bereits 1998 durchgeführten Umfrage unter Lesben und Schwulen in Nordrhein-Westfalen5 gaben etwa 40% der Lesben an, dass sie gerne mit Kindern zusammenleben möchten. Bei den Schwulen waren es immerhin ca. 30%.

Regenbogenfamilien unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von heterosexuellen Familien. Dabei sind der Vielfalt der Familienmodelle keine Grenzen gesetzt. Da gibt es die Viererkonstellation, in der ein lesbisches und ein schwules Paar miteinander Kinder haben und Elternschaft zu viert leben (auch Queerfamily6 genannt), die lesbische Kleinfamilie mit zwei Müttern, der schwule Mann und die lesbische Frau, die gemeinsame Elternschaft leben, aber ihre Liebesbeziehungen außerhalb ihrer Familie haben, die allein erziehende Lesbe, die das Projekt Familie ohne Partnerin geplant hat, der Schwule, der über Leihmutterschaft im Ausland seinen Kinderwunsch realisiert usw. All diesen Familien ist gemeinsam, dass sie abseits der heterosexuellen Norm ein Nischendasein führen und dass sie sich sehr häufig erklären müssen. So steht deshalb ein regelmäßiges Coming-out auf der Tagesordnung.

Stärken, Herausforderungen, Vorbilder

Abseits der Norm zu leben bedeutet allerdings auch einen Zugewinn an Freiheit. Wie eine Familie ihren Alltag lebt und in welcher Form sie die anfallenden Aufgaben bewältigt, kann in einer Regenbogenfamilie demokratisch und partnerschaftlich ausgehandelt werden, weil das biologische Geschlecht nicht bereits Festlegungen impliziert. Kann, muss aber nicht. Natürlich gibt es auch Regenbogenfamilien mit Hausfrau, Ernährerin, zwei Kindern, Hund und Häuschen am Stadtrand. Dennoch haben Studien aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum ergeben, dass die Bereiche Gelderwerb, Kinderbetreuung und -erziehung sowie Hausarbeit bei lesbischen Familien gerechter aufgeteilt werden als in vergleichbaren heterosexuellen Familienkonstellationen.7

Kinder suchen sich ihre Familien nicht aus. Sie haben strenge Eltern, junge oder nicht mehr junge; ihre Eltern haben Freude am Leben oder sie haben viele Probleme, sie sind allein erziehend oder nicht, manche sind wohlhabend, andere müssen jeden Cent zweimal umdrehen. Und in all diesen unterschiedlichen Familien wachsen Kinder auf, die lesbische oder schwule Eltern haben.

Steht am Anfang einer Regenbogenfamilie eine Trennung, dann beginnt für alle Beteiligten eine Zeit des Umbruchs. Hat sich eine Mutter vom Vater ihrer Kinder getrennt, um in Zukunft mit Frauen zu leben, bedeutet dieser Schritt doch viel mehr als ein Abschied von einem einst geliebten Menschen. Das heterosexuelle akzeptierte Leben zu verlassen und damit vielleicht einen gesellschaftlichen Abstieg in Kauf zu nehmen, kann Unsicherheit, Wut und Trauer mit sich bringen. Kinder brauchen ihre eigene Zeit, mit dieser Veränderung klarzukommen. Sind sie noch klein, wird dieser Prozess kürzer dauern als bei älteren Kindern oder Jugendlichen, die Angst haben, von ihren FreundInnen plötzlich nicht mehr akzeptiert zu werden, wenn ihre Mutter lesbisch lebt.

Werden Kinder in einen lesbischen oder schwulen Kosmos hin­eingeboren, dann kennen sie erst einmal nichts anderes; es ist normal und selbstverständlich. Erst die Konfrontation mit der Umwelt und die damit verbundene Erkenntnis, dass nicht alle Kinder zwei Mamas oder einen schwulen Vater haben, führt bei Kindern möglicherweise zu einem Gefühl des „Andersseins“. Bis zu diesem Zeitpunkt haben diese Kinder allerdings viele Möglichkeiten, eine Vielfalt an Lebens- und Familienformen kennenzulernen – und plötzlich sind beim genaueren Hinsehen ganz viele Kinder „anders“, denn Lars ist ein adoptiertes Kind, Helene wächst bei ihren Großeltern auf und Luisa ist schwarz – in einem weißen Umfeld.

Für viele Menschen ist das Phänomen „Regenbogenfamilie“ neu. Lesbisch-schwule Lebensentwürfe stehen anderen Lebensentwürfen noch nicht gleichberechtigt gegenüber. Nach wie vor vermitteln viele Eltern ihren Kindern, dass „lesbisch“ und „schwul“ etwas Negatives ist. Für die meisten toleranten Menschen hört die Toleranz auf, wenn es das eigene Kind betrifft – andere dürfen schon schwul oder lesbisch sein, aber doch bitte nicht mein Kind. Kinder spüren sehr schnell, welche Begriffe negativ konnotiert sind. Und mit welchen Schimpfworten sie auf dem Schulhof punkten können. „Schwule Sau“ ist dort immer noch sehr präsent. Lesbisch-schwule Eltern haben deshalb verstärkt die Aufgabe, ihren Kindern den Rücken zu stärken, denn homophobe Hänseleien kommen vor. Der beste Schutz ist ein starkes Selbstwertgefühl und das Stolzsein auf die eigene Familie. Diese Kombination macht Kinder stark, um sich gegen Homophobie zur Wehr zu setzen.

Regenbogenfamilien haben keine Vorbilder, an denen sie sich orientieren oder von denen sie sich abgrenzen können. Sie müssen sich ihr Familienmodell selbst „zusammenbasteln“. Dies bedeutet einerseits ein enormes Maß an Freiheit, denn diese Familie muss sich sowieso jenseits tradierter Rollenvorstellungen definieren und hat dabei vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Andererseits erfordert es viel Energie, das Projekt Familie von Grund auf zu verhandeln.

Wünschen sich Lesben oder Schwule ein Kind, stehen gleich zu Beginn viele Fragen im Raum. Einige Beispiele: Geht es um leibliche Elternschaft oder kann ein Pflege- oder Adoptivkind eine Möglichkeit sein? Lesbische Paare müssen entscheiden, welche von den beiden Frauen das Kind austragen soll. Wie soll die Rolle der anderen Mutter aussehen? Wer soll Samenspender sein? Soll der Spender eine Vaterrolle einnehmen? Für schwule Männer bzw. Paare mit Kinderwunsch stellt sich die Frage, ob sie sich für ein leibliches Kind mit einer lesbischen Frau bzw. mit einem Paar zusammentun oder einen ganz anderen Weg wählen.

Alle zukünftigen Eltern beschäftigt die nahe Zukunft: Wie können die Aufgaben rund um den Familienalltag verteilt werden, damit es für alle Beteiligten stimmig ist? Auch dazu gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, wie eine Familie ihren Alltag gestaltet. Dieses Modell muss dann jahraus, jahrein der Umwelt erklärt werden – ein manchmal anstrengendes Unterfangen, denn in der heterosexuellen Nachbarschaft lösen unkonventionelle Familienmodelle bisweilen vielfältige Gefühle aus, von Neid über Unverständnis bis hin zu offener Ablehnung kann alles dabei sein – oder es gibt ein Interesse, gepaart mit Neugier, was die angenehmste Variante darstellt.

Wie die Umwelt auf die Regenbogenfamilie reagiert, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen kommt es darauf an, wie jemand gegenüber Minderheiten eingestellt ist. Zum anderen beeinflusst der Umgang, den eine Familie mit ihrer Familiengeschichte pflegt, sicherlich auch die möglichen Reaktionen. Ist die Familie ganz offen und spricht selbstverständlich die „brenzligen“ Worte wie „lesbisch“ oder „Lebenspartnerin“ aus, dann signalisiert das dem Gegenüber eine Sattelfestigkeit, die sehr entwaffnend wirken kann. Tut sich ein Mann hingegen schwer, von sich und seinem Partner als Paar zu sprechen, wird das Gegenüber sicherlich versuchen, das Thema auszusparen. Andererseits gibt es natürlich auch Menschen, die eine so starke homophobe (homosexuellenfeindliche) Einstellung haben, dass auch ein lockerer Umgang damit diese Haltung nicht verändern wird. Dennoch gibt es viele Menschen, die sehr wohl zumindest in dieser Frage positiv zu beeinflussen sind, wenn sie Lesben oder Schwule persönlich kennenlernen.

2 Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender

3 Statistisches Bundesamt: Leben und Arbeiten in Deutschland, Ergebnisse des Mikrozensus 2004, S. 22

4 Rupp, Marina (Hg.) (2009): Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Bundesanzeiger Verlag, Köln.

5 Lesbische und schwule Familien. Ergebnisse einer Befragung unter Lesben und Schwulen in NRW, 1999

6 Queer: bezeichnet eine Lebensform, die sich von der heterosexuellen abgrenzt und unterscheidet. Manchmal bedeutet „queer“ auch einfach LGBT.

7 Dunne, Gillian (1998): Living “Difference”: Lesbian Perspectives on Work and Family Life. Haworth Press, Binghamton.