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Ronny Blaschke

Versteckspieler

Die Geschichte des schwulen
Fußballers Marcus Urban

VERLAG DIE WERKSTATT

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Copyright © 2008 Verlag Die Werkstatt GmbH

ISBN 978-3-89533-877-9

Inhalt

Prolog

Ohrfeige für den Blitzableiter

Gespensternächte auf dem Rasen

EXKURS:

Im Spiel der Aussätzigen

Der offene Rassismus wurde aus den Profiligen verdrängt. Fans flüchten sich in weniger tabuisierte Diskriminierungen – vor allem in Homophobie

Herzklopfen an der Weltkarte

Alltag mit Maske

EXKURS:

„Fußball ist alles – auch schwul!“

Immer mehr schwullesbische Fanklubs werben in den Stadien um Akzeptanz, doch ihre Mühen werden von vielen Widerständen gebremst

Die Mauer bleibt standhaft

Abschied von Pelé

EXKURS:

„Ein Stück zu Hause“

Fluchtpunkt, Krisenberatung, Gemeinschaft – in schwullesbischen Sportvereinen wie dem Berliner Klub Vorspiel wird nicht nur trainiert

Zwischen den Welten

Der Dammbruch

EXKURS:

Kampf dem Klischee

Homophobie und Sexismus im Frauenfußball treten meist unterschwellig auf und basieren auf jahrhundertealten Geschlechterrollen

Freischwimmen für Anfänger

Entdeckung der Kunst

EXKURS:

Lotsen in der Grauzone

Martin Schweer und Tatjana Eggeling gelten als Exoten in der Wissenschaft, die Homosexualität im Sport vernachlässigt

Revolution mit Perücke

Der Spatz lernt Fliegen

EXKURS:

Die Mauer bröckelt

DFB-Präsident Theo Zwanziger bemüht sich um ein tolerantes Klima, die meisten Funktionäre behaupten sich dagegen als Verdrängungskünstler

Lichtzeichen für den Suchenden

„Das Einfache ist das Göttliche“

Ausblick

Adressen

Quellen

Fotonachweis

Danksagung

Der Autor

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Prolog

Die Lange Reihe in St. Georg, nahe des Hamburger Hauptbahnhofes gelegen, ist nicht mehr die Schmuddelstraße, die sie einmal war. Die Mietpreise steigen, Imbissbuden und Gemüseläden weichen, Restaurants, Künstler und Friseure siedeln sich an. St. Georg ist ein angesagter Kiez geworden, in dem sich auch Marcus Urban wohl fühlt. Er sitzt im Café Gnosa, auf halber Höhe der Langen Reihe, einem beliebten Treffpunkt für Lesben und Schwule. Die Wände sind in einem warmen Farbton gehalten, Sessel und Stühle erinnern an die siebziger Jahre. Marcus trägt Hemd und Sakko, aus Wertschätzung vor der eigenen Geschichte, wie er betont. Er wird über sein Leben erzählen. Das Leben eines Versteckspielers.

Marcus Urban ist homosexuell, er war Leistungssportler, Anfang der Neunziger stand er bei Rot-Weiß Erfurt an der Schwelle zur zweiten Fußball-Bundesliga. Trainer hatten ihm eine große Laufbahn vorausgesagt. Marcus verausgabte sich, um seine Neigung zu verharmlosen, zu leugnen, zu unterdrücken. Er dachte, er sei krank, der Einzige, der ausscherte. Marcus Schneider, wie er damals hieß, als er noch den Nachnamen seines Stiefvaters trug, besuchte die Kinder- und Jugendsportschule, die KJS, in der die DDR ihre Talente zu Staatsbotschaftern aufbauen wollte. Sieben Jahre ging er auf die Sportschule, in der Fußball alles beherrschte. In einem System, das auf Kontrolle fußte, musste er sich am meisten kontrollieren. Aus Angst vor der Enttarnung, aus Furcht vor dem Rausschmiss.

Zwanzig Jahre später kann er gelassen über dieses Kapitel sprechen. Marcus hat ein schmales Gesicht und kurz geschorene Haare, seine O-Beine verraten ihn als Kicker. Er ist zu einem Botschafter geworden, er will Sensibilität für ein Thema schaffen, dem bislang die Gesichter fehlen. Homosexualität im Profifußball ist kaum erforscht, weil kein schwuler Spieler an einer Studie teilnehmen möchte. Dass es sie auch in der Bundesliga geben muss, ist unbestritten. Wissenschaftler gehen davon aus, dass zwischen fünf und zehn Prozent der deutschen Männer homosexuell sind. In den oberen Spielklassen dürfte dieser Anteil geringer sein, weil viele Spieler dem Druck schon in den Nachwuchsteams nicht standhalten können. Für sie war und ist der Fußball eine Bastion der Männlichkeit, in der kein Platz für Alternativen bleibt. Handelt es sich also tatsächlich um eines der letzten großen Tabus?

Die Liste der ignoranten und diskriminierenden Zitate von prominenten Spielern, Trainern und Funktionären ist lang, sie sollen in diesem Buch keine Plattform finden. Beispielhaft sei hier Christoph Daum genannt, der in einer Fernsehdokumentation im Mai 2008 Schwule in Verbindung mit Kinderschändern gebracht hat. Die Aufregung war groß, eine akzeptable Entschuldigung blieb lange aus. Oder die unsägliche Bemerkung Frank Rosts: „Ich dusche immer mit dem Arsch zur Wand.“ Marcus Urban kann über solche geistigen Tiefflüge nur lachen, er hatte in seinem Leben ganz andere Sorgen. Seine Biographie soll nun helfen, ein wenig Licht in das schwarze Loch zu werfen. Die Geschichte ist nur in Teilen repräsentativ für die Probleme schwuler Fußballer die eine Karriere im Schneckenhaus führen müssen. Marcus hat eine traumatische Kindheit hinter sich, die Folgen erhöhten den Druck zusätzlich.

In den vielen Interviews, die für das Schreiben dieses Buches erforderlich waren, im Gnosa, in seiner Wohnung in Barmbek oder an seiner Arbeitsstelle, stockte Marcus mehrfach der Atem. Er hatte Tränen in den Augen, dann brauchte er eine Pause, hin und wieder fing er an zu lachen oder starrte grinsend und verträumt auf einen Punkt. Manchmal merkte er erst nach neunzig Minuten, dass vor ihm ein Wasserglas stand, das er noch nicht angerührt hatte. Zu den Treffen erschien er nicht einmal zu spät, seine Unterlagen waren geordnet, wichtige Gedanken notierte er sich sofort. Es geht um seine Geschichte, seine Erinnerungen, die er loswerden und zugleich verarbeiten möchte. Diese Biografie soll nicht nur ratlosen Spielern als möglicher Leitfaden dienen – sie soll ihm selbst helfen.

Die Massenmedien haben Homosexualität im Fußball als ein Thema entdeckt, mit dem sich Auflage und Quote erzielen lässt. Immer wieder wird der Gegensatz zu Politik und Kultur herausgestellt. Der Fußball verblasse als archaisches Feld der Ewiggestrigen, so der verbreitete Eindruck. Doch ist der Unterschied wirklich so groß? Ist die Politik im Allgemeinen tolerant, weil sich in Klaus Wowereit, dem Regierenden Bürgermeister Berlins, in Ole von Beust, dem Ersten Bürgermeister Hamburgs, oder in Guido Westerwelle, dem Vorsitzenden der FDP, drei bundesweit bekannte Politiker als Schwule bekennen? Sind Kunst, Kultur und Unterhaltung frei von Vorurteilen, weil Anne Will, Hella von Sinnen, Dirk Bach, Thomas Hermanns oder Georg Uecker kein Geheimnis aus ihrer Homosexualität machen? Ist das Verhältnis so einfach zwischen Fußball und dem Rest der Gesellschaft, zwischen Schwarz und Weiß?

Ist es nicht. Nur wenige Outings waren freiwillig, oft blieb den Prominenten keine andere Wahl angesichts der Gerüchte und des öffentlichen Drucks. In der Unterhaltungsbranche sind kaum Charakterschauspieler oder politische Kabarettisten als homosexuell bekannt, in der Wirtschaft kaum Topmanager. „Die Gesellschaft ist nicht per se liberaler geworden dadurch, dass die Herren von Beust, Westerwelle oder Wowereit als schwul bekannt sind“, sagte Klaus Wowereit der Wochenzeitung Die Zeit. „Die Probleme des einzelnen Homosexuellen sind damit nicht leichter geworden.“

Auch Wowereit oder Westerwelle müssen sich schwulenfeindliche Witze anhören, nicht immer haben sie es leicht in ihrer jeweiligen Partei. Homosexualität wird allenfalls geduldet, als Normalität wird sie noch lange nicht angesehen. Der Fußball ist daher keine Insel der Ignoranz. Auf den Tribünen sowie auf dem Spielfeld treten Homophobie, Klischees und Ressentiments einer ganzen Gesellschaft eher verschärft auf. Studien belegen, dass die Ausgrenzung gesamtgesellschaftlich zwar zurückgeht, aber noch lange nicht der Vergangenheit angehört. So soll die Selbstmordrate bei homosexuellen Jugendlichen viermal so hoch sein wie bei heterosexuellen.

Marcus Urban wird von Journalisten oft gefragt, ob er schwule Bundesligaspieler kenne, oder sogar Nationalspieler. Diese Annäherung zeigt, dass es in vielen Medien nicht um Aufklärung und Bewusstseinsbildung geht, sondern um Voyeurismus und Schlagzeilen. So mancher Boulevardreporter hat Spielern schon Geld für ein Coming-out angeboten, andere halten entlarvende Fotos zurück, im Gegenzug fordern sie von den Betroffenen exklusive Informationen. Das Thema ist jedoch nicht von weltbekannten Namen abhängig, Personenkult würde die Inhalte nur überdecken.

Neben der eindringlichen Lebensgeschichte von Marcus Urban will dieses Buch in Exkursen weitere Einblicke bieten. Es will verdeutlichen, warum das Wort „schwul“ schon in Jugendmannschaften zu den gängigen Schimpfwörtern zählt. Es will erklären, warum schwullesbische Sportvereine und Fanklubs so wichtig sind. Es will die schwierige Arbeit eines Psychologen dokumentieren, der homosexuelle Spitzensportler betreut. Und es will einen kritischen Blick auf die Rolle der Funktionäre werfen, die sich erst allmählich für Schwule und Lesben im Fußball zu interessieren beginnen.

Natürlich müssen sich Manager von Klubs und Verbänden die gleiche Frage stellen lassen, wie sie Politiker vor Jahren haben hören müssen: Warum erst jetzt? Der Paragraph 175, der Homosexualität unter Strafe gestellt hatte, wurde erst 1994 endgültig aus dem deutschen Strafgesetzbuch gestrichen. In Satzungen der großen Bundesligavereine wird kein Wort über die Bekämpfung von Homophobie verloren. Marcus Urban möchte mit seiner Erzählung helfen, das zu ändern. So wie sich der Hamburger Stadtteil St. Georg gewandelt hat, so kann sich auch der Fußball verändern. Marcus kann mit seinem Freund Hand in Hand durch die Lange Reihe spazieren. Niemand nimmt daran heute Anstoß, das war nicht immer so.

Ohrfeige für den Blitzableiter

Marcus führte elegant den Ball, er schleppte ihn nicht mit sich, er betrachtete ihn als Partner. Er drehte sich wie ein Kreisel, schlug Haken, dribbelte, fühlte sich unschlagbar. Die Gegner beobachteten ihn bewundernd und liefen ins Leere. Wer wollte ihm etwas anhaben? Im Mittelfeld, in seinem Revier? Es gab jemanden. Langes Bein, Grätsche von rechts, alles fair, der Ball war weg. Marcus stand starr, er konnte es nicht glauben. Wer hatte es gewagt, seine Show zu unterbrechen? Er war wütend, atmete schnell, sein Puls raste. Den Ball hatte er aus den Augen verloren, nur sein Gegner interessierte ihn noch. Er rannte ihm hinterher, als wollte er ein entlaufendes Kaninchen einfangen. Als er ihn eingeholt hatte, gab er ihm einen Tritt in den Hintern. „Das hast du jetzt davon“, sagte er leise, „niemand klaut mir den Ball.“

Der Schiedsrichter zeigte Marcus die rote Karte. Was hatte er getan? Wie konnte er nur so ausrasten? Er schaute nach links, nach rechts, langsam drangen die Rufe von außen in sein Bewusstsein. Die Zuschauer an den Seitenlinien konnten sich kaum beherrschen. Marcus suchte die Reihen nach seinem Stiefvater ab, seinem einzigen Verbündeten. Er entdeckte den massigen Rücken in der Ferne. Sein Stiefvater hatte fast den Parkplatz erreicht, er wollte nach Hause, ohne Marcus, für den er sich zutiefst schämte. „Du gehörst nicht mehr zu mir“, blaffte er Marcus an und machte mit seiner rechten Hand eine abwertende Bewegung. „Du nicht!“ Marcus fühlte sich gedemütigt. Er war ein schmächtiger Junge, gerade zehn Jahre alt. Wie sollte er aus Walschleben, einem Vorort von Erfurt, zurück nach Weimar kommen? Ganz allein? Sein Stiefvater ließ sich doch noch erweichen, auf der Rückfahrt sagte keiner von beiden ein Wort. Marcus schrie trotzdem. Innerlich. Er sollte diesen Tag niemals vergessen. Es war ein Erlebnis von vielen, das seine Kindheit nicht erstrebenswert machte. Im Gegenteil.

Wo beginnt Missbrauch? Wo beginnt Gewalt? Diese Frage hatte sich Marcus, geboren 1971 in Weimar, früh in seinem Leben stellen müssen. Er hat viele Definitionen in dutzenden von Lexika gelesen, doch die glaubwürdigste Antwort gab ihm stets sein Gefühl. Vor allem das Gefühl, nicht erwünscht zu sein. Es begleitete ihn, seit er denken kann. Marcus war nicht geplant gewesen. Seine Mutter stammte aus Köthen in Sachsen-Anhalt, sie war mit seinem Vater nach Weimar gezogen. Seine Eltern waren jung, füreinander geschaffen waren sie nicht, drei Jahre nach der Geburt von Marcus trennten sie sich. Es war eine räumliche und gedankliche Trennung. Seine Mutter erwirkte einen Gerichtsbeschluss, Marcus sollte seinen Vater nicht oft zu Gesicht bekommen, alle drei Monate, höchstens. Sie glaubte, das sei besser für ihn.

Seine Mutter war eine herzliche Frau, leidenschaftlich, tolerant – und manchmal etwas naiv. Sie arbeitete in Weimar als Laborantin im VEB Limona, einem großen Getränkekombinat, das 1991 von Coca Cola übernommen werden sollte. Dort lernte sie Klaus Schneider* kennen. Er war zehn Jahre älter als sie, ein großer, kräftiger Mann mit schwarzen Haaren und einem buschigen Vollbart. Ohne Probleme konnte er schwere Zuckersäcke durch die Fabrik schleppen. Die beiden trafen sich, schätzten sich, gingen eine Beziehung ein, heirateten. Ob sie sich liebten? Die Trennung von Marcus’ leiblichem Vater lag erst wenige Monate zurück, doch seine Mutter wollte nicht allein sein, sie hatte Angst vor der Einsamkeit. Außerdem brauchte Marcus, damals drei Jahre alt, einen Ersatzvater, einen Versorger, das redete sie sich zumindest ein. Klaus Schneider hatte Geld, wenigstens das, ein guter Stiefvater wurde er nicht. Nicht für einen Tag.

Sie lebten nicht schlecht, 1978 bezogen sie einen Plattenbau, drei Zimmer mit Balkon, gelegen im Westen Weimars. Seine Eltern hielten das für ein Privileg, die Neubauten der DDR waren begehrt, sie galten als modern, ihre Wohnung war eine der ersten, die bezugsfertig war. Eine klobige Schrankwand beherrschte ihr Wohnzimmer, in den Regalen standen verzierte Gläser, aufgereiht wie eine Kette, davor ein heller Tisch. Aus dem Fenster konnten sie die Hubschrauber sehen, die auf der sowjetischen Militärstation landeten. Marcus hatte Angst vor dem Krach, er stellte viele Lebensfragen, dachte an Krieg, Antworten erhielt er nicht.

Auf den ersten Blick konnte er sich nicht beschweren. Marcus hatte genug zu essen, er hatte Spielzeug, trotzdem fühlte er sich einsam in seiner Familie. Sein Stiefvater gab ihm nicht die Liebe, die er eigentlich brauchte und sich so sehr wünschte. An den Wochenenden pflegte er lieber seinen gelben Trabant. Abends saß er im Unterhemd vor dem Fernseher, die Arme auf dem massigen Bauch verschränkt. Wie in einem schlechten Film. Marcus musste ihm Bier holen, das zischende Geräusch, wenn der Deckel von der Flasche sprang, und das Bild, wie er die ersten Schlucke genoss und sich dann zufrieden den Mund abwischte, brannten sich in sein Gedächtnis, ebenso der Geruch von Alkohol und Schweiß. Irgendwann sammelte er die Flaschendeckel und stopfte sie in eine Tüte, er wollte seinem Stiefvater zeigen, wie ungesund er lebte. Der lachte nur.

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Streicheleinheit: Marcus, 10 Jahre alt, mit seinem Yorkshire-Terrier.

Klaus Schneider war kein selbstbewusster Mann, er hatte Minderwertigkeitskomplexe, die Ursachen dafür verbargen sich wahrscheinlich in einer schwierigen Kindheit. Er sah in Marcus nie den Jungen, den es zu behüten galt, er betrachtete dessen Erziehung nie als Lebensaufgabe. Für ihn war Marcus ein Konkurrent in den eigenen vier Wänden, er wollte die Aufmerksamkeit seiner Frau, uneingeschränkt. In der Öffentlichkeit brüstete sich Klaus Schneider mit der Intelligenz seines Stiefsohnes, seiner Auffassungsgabe, seiner Neugier. Einmal, im Urlaub an der Mecklenburgischen Seenplatte, fasste er seine Hand, spielte den besorgten Vater und wollte sie nicht mehr loslassen. Marcus schrie, zwei Passanten kamen und forderten Schneider auf, das Kind loszulassen. Zu Hause streifte er die Fassade ab, er schlug Marcus nie, nicht körperlich. Er zeigte ihm, dass er geduldet sei, nicht geliebt, geschweige denn willkommen. Marcus glaubte, das sei normal.

Seine Mutter hatte mit sich selbst zu tun. Sie war unglücklich, sie hatten sich nicht viel zu sagen, aber den Mut für eine Trennung brachte sie nicht auf. Stattdessen bürdete sie die Verantwortung ihrem Sohn auf: „Wenn du nicht da sein würdest, wäre ich längst nicht mehr hier.“ Marcus war jung, leichtgläubig, er dachte lange, nur er würde sie vom Selbstmord abhalten. Dieser absurde Gedanke schwächte, hemmte, blockierte ihn, machte ihn träge. Er glaubte, er sei schuld an der Familienmisere, er allein, niemand sonst, er fühlte sich überflüssig, nutzlos wie Ballast. Marcus speicherte die Empfindungen, legte sie tief ab. Dabei hätte sich seine Mutter nie umgebracht, sie war von Existenzangst befallen. Wer hätte Marcus nach einer Scheidung ernähren sollen? Wer sollte ihr Halt geben? Viele Probleme auf der Arbeit oder in der Ehe, und waren sie noch so klein, erzählte sie ihrem Jungen, sie hatte nicht viele Freunde, er allein war ihre Bezugsperson. Marcus litt unter diesem Druck, für alles verantwortlich zu sein, jahrelang, weitergeben konnte er ihn nicht. An wen auch? An sein Zwergkaninchen Cesar oder seinen Terrier Gessy?