Über das Buch:
Zu spät erkannte sie, dass sie der Vergangenheit nicht entkommen konnte ...
Vor dem amerikanischen Bürgerkrieg flieht Deborah Graham in die Weiten der texanischen Prärie. Hier will sie neu beginnen mit dem vielversprechenden Erben eines reichen Viehbarons. Doch eine tödliche Kugel ändert alles. Wieder findet sie sich auf der Flucht. Hinter sich die rohen Balken eines Galgens in einem staubigen Texasnest. Und vor sich? Wird sie in all der wilden Schönheit des Alten Westens den finden, der allein ihr den ersehnten Halt geben kann?
Action, Tragik, Liebe, Westernromantik und die aufregende Geschichte Amerikas – dieser Roman hat von allem etwas. Und er erzählt von einer Frau, die alles verliert, um so viel mehr zu gewinnen ...

Über die Autorin:
Mit großen Romanserien wie der Texas-Lady oder der Russland-Saga hat Judith Pella ihren Ruf als Meisterin des historischen Romans mit christlichem Hintergrund begründet. Sie lebt mit ihrer Familie in Oregon/USA.

7

Deborah schrieb ihre plötzliche Panik bei Leonards überraschender Ankündigung ihrer Hochzeit der ganz normalen Unsicherheit zu, die ein junger Mensch bei einer solchen Gelegenheit empfinden musste. Wenn sie nur begriffen hätte, dass ihre Angst ein Zeichen war und dass sie bei der ersten Gelegenheit aus Texas hätte fliehen müssen.

Wenigstens hatte sie gehofft, dass man ihr Zeit lassen würde, sich an die neue Umgebung und die fremden Menschen zu gewöhnen, bevor ihre Hochzeit stattfand. Ja, sie war hierher gekommen, um zu heiraten, und zwar in vollem Bewusstsein, dass es eine Zweckehe, keine Liebesehe sein würde. Dennoch hatte sie in ihrer jugendlichen, romantischen Art gehofft, dass sie sich noch in diesen Fremden verlieben würde, bevor sie ihr Leben mit ihm teilte. Und jetzt blieben ihr nur noch fünf Tage! Selbst für ein junges Mädchen war das nicht genug Zeit, in sich die Gefühle zu wecken, die sie suchte. Und dennoch redete sie sich ein, dass Leonard hübsch und auf seine eigene Art freundlich war und dass es ihr nicht allzu schwerfallen würde, sich doch noch in ihn zu verlieben. Sie fügte sich also dem festgesetzten Datum, und im Trubel der Vorbereitungen vergaß sie ihre anfängliche Panik.

Caleb hatte, entgegen seiner Rauheit, nichts gegen ein prächtiges Fest, besonders da er es benutzen konnte, um ein weiteres Mal seine wichtige und geachtete Stellung in der Gemeinschaft zu demonstrieren. Die Heirat seines Sohnes mit einer vornehmen Frau aus Virginia bot dazu eine ausgezeichnete Gelegenheit. Und von Anfang an hatte Deborah das deutliche Gefühl, dass sie im Rampenlicht stehen würde, nicht als ein wertvoller Mensch, nicht einmal als die Frau eines Gentleman, sondern als Preis, als Trophäe, als Objekt genau wie irgendeines von Calebs Vollblutpferden. Und was noch schlimmer war, die gleiche Haltung nahm sie an seinem Sohn wahr.

Sie trug das Brautkleid ihrer Mutter, das sie aus Anhänglichkeit an sie mitgebracht hatte, aber auch, weil der Krieg es ihr unmöglich gemacht hätte, ein neues zu kaufen. Hatte sie in Schwarz schon hübsch ausgesehen, so sah sie in dem austernweißen Brautkleid mit feiner Spitze und Perlen blendend schön aus. In Schwarz schien sie zerbrechlich; in Weiß hatte sie etwas von einem Engel. Aber das hier war ein lebendiger Engel, mit schimmernder Haut und leuchtenden Augen. An diesem Tag wenigstens vergaß sie ihre Trauer und die Leere, die sie noch immer fühlte, wenn sie an ihre verlorenen Liebsten dachte. An jenem Tag hatten die Bewohner von Stoner’s Crossing die seltene Gelegenheit, die neue Frau Leonard Stoner lächeln zu sehen. Und Deborah musste zugeben, es tat gut, wieder zu lächeln, auch wenn es nicht ganz von Herzen kam, sondern mehr vom Verstand, der ihr sagte, dass ein Mädchen bei seiner Hochzeit lächeln musste.

Als Leonard sich bei ihr einhängte und sie sich den Gästen zum ersten Mal als Mann und Frau zuwandten, glaubte sie wirklich, ihr Leben würde sich zum Guten wenden. Als ihr neuer Ehemann sie flüchtig auf die Wange küsste, sah sie den Stolz in seinen Augen, und wenn es auch keine Liebe war, sie würde damit leben können. Aber eine seltsame Unruhe überkam sie zugleich, über die sie sich erst später klar wurde. Denn sie nahm noch etwas anderes als Stolz wahr, etwas Verwirrendes, das ihr Lächeln augenblicklich zum Verschwinden brachte. Seine durchdringenden braunen Augen drückten auch Triumph aus. Aber sie schüttelte das Gefühl der Unruhe rasch ab. Sie war nur dumm und überempfindlich. Männer benahmen sich eben in Gegenwart von Frauen so; sie spreizten sich, das war ihre Art. Leonard war ein wenig arrogant, das war ihr völlig klar, aber sie sagte sich, das sei immer noch besser als feige oder langweilig.

Es dauerte keinen Monat, bis all ihre Illusionen zerstört waren; es dauerte nicht einmal eine Woche; es geschah noch am selben Abend.

Natürlich hatte sie keine Ahnung über die Beziehung von Mann und Frau. Sie war ohne die Führung einer Mutter herangewachsen und hatte keine weibliche Vertraute gehabt. Und ganz bestimmt wurden solche Dinge niemals in der Young Ladies Tagesschule besprochen.

War es möglich ...? Verwandelten sich alle Männer in Tiere, wenn sie mit einer Frau allein waren? Kein anderes Wort konnte Leonard Stoner in jener Nacht beschreiben.

Er führte sie in sein Schlafzimmer und schloss die Tür hinter ihnen ab. Er stieß sie sofort zum Bett und begann, an ihrem Kleid zu zerren, alles ohne ein einziges Wort.

„Leonard, sei vorsichtig. Ich möchte nicht das Kleid meiner Mutter beschädigen.“

Wie seltsam, dass ihr erster Gedanke ihrem Hochzeitskleid galt, während ihr Herz vor Furcht hämmerte und ihr ganzer Körper zitterte.

„Pfeif doch auf dein Kleid!“ Er zerrte daran, Knöpfe rissen ab.

„Leonard, bitte!“ Sie wollte sich abwenden, aber seine Hände hielten sie fest. „Warte nur eine Sekunde, bis ... ich fertig bin.“ Sie hatte keine Ahnung, wie man sich auf so etwas vorbereitete, aber sie wollte verzweifelt Zeit gewinnen. Sie dachte daran zu fliehen.

„Ich habe eine Woche lang gewartet ... dich beobachtet ... diesen süßen, süßen Körper, wie er sich bewegt und mich in Versuchung geführt hat. Ich habe lange genug gewartet!“

„Ich – Ich weiß nicht, was ich tun soll!“, brach es aus ihr heraus. Aber wenn sie auf irgendeine beruhigende Geste von ihrem neuen Mann gehofft hatte, hatte sie vergeblich gehofft.

Er lachte – ein hartes, trockenes Lachen. „Das ist doch das Schöne, nicht?“

Dann folgte eins der schrecklichsten Erlebnisse ihres Lebens. Selbst die Aussicht, am Galgen zu hängen, war nicht so schlimm, und der Tod machte ihr weit weniger Angst als der Gedanke, mit Leonard Stoner zusammen zu sein.

Er verwüstete sie regelrecht in jener Nacht. Er nahm seinen Preis in Empfang und machte damit, was er wollte, taub gegen ihr Flehen, ihre Schreie, ihre Tränen. Und als er mit ihr fertig war, ging er aus dem Zimmer, und sie verbrachte den Rest der Nacht krank und einsam. Ihr Körper fühlte sich wie ein Haufen klebriger Lumpen an. Selbst das Bad, das Maria ihr am nächsten Morgen einließ, konnte sie nicht ganz säubern, auch wenn sie ihre Haut fast bis aufs Blut schrubbte.

Am nächsten Abend, als er wieder mit lüsternem Blick in ihr Zimmer kam, war sie vorbereitet.

„Leonard, ich fühle mich heute Abend nicht wohl.“

„Du siehst völlig gesund aus.“

„Bitte, ich kann heute Abend einfach nicht.“

„Du weist mich zurück?“

Ihr schauderte bei seinem anschuldigenden Ton. Ihr wurde klar, dass man einen Stoner nicht zurückweisen konnte – jedenfalls nicht Caleb und Leonard.

„Natürlich nicht.“ Ihre Stimme zitterte, sie klang nicht überzeugend. „Aber ich ... ich dachte nur ...“

„Du hast nicht zu denken, meine Liebe. Überlass das den Männern, ihnen hat Gott es übertragen.“

Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Lippen. Sicher machte er Spaß!

„Lachst du über mich?“, fragte er.

„Das kann nicht dein Ernst sein, dass Frauen nicht denken können“, antwortete sie. „Solche Auffassungen sind aus der Mode.“

„Nicht in diesem Haus! Und das lernst du besser gleich. Hier ist ein Mann immer noch der Herr seines Hauses und seiner Frau. Deine Aufgabe ist es nur, so hübsch auszusehen, wie du aussiehst, und meinen Willen zu erfüllen. Denk immer daran, und du wirst glücklich sein.“

„Ich habe einen Verstand, Leonard, und den werde ich auch benutzen“, gab sie zurück, ermutigt von ihrem Erstaunen gegenüber einer solch mittelalterlichen Haltung. „Ich bin nicht dein Nigger!“ Sie hatte nie zuvor diesen entwürdigenden Ausdruck für Schwarze benutzt, aber das war die einzige Möglichkeit, die Haltung ihres Mannes ihr gegenüber auszudrücken.

Seine Hand fuhr so schnell hoch, dass sie sie nicht einmal kommen sah. Der Schlag traf sie seitlich am Kopf, nicht im Gesicht. Ihre Ohren begannen zu sausen, und ihr wurde für einen Moment schwarz vor Augen. Sie fiel auf das Bett zurück, eher von seinem unerwarteten Angriff als vom Schmerz betäubt. Es war das erste Mal in ihrem ganzen Leben, dass irgendjemand sie geschlagen hatte. Das war fast so schockierend wie seine Misshandlung in der Hochzeitsnacht. Aber als der Schock etwas nachließ, dämmerte ihr eine neue Einsicht. Vielleicht hatte Leonard einfach genauso wenig Ahnung, wie man mit einer Frau umging, wie sie wusste, wie man einen Mann behandeln musste. Wenn sie ihm das sagen würde, vielleicht wäre dann alles gut.

„Leonard, das ist alles so neu für uns“, begann sie und schluckte die Tränen hinunter. „Aber mir scheint, Sanftheit wäre vielleicht eher das, was wir brauchen. Eine Frau ist empfänglicher für eine zärtliche Hand und ein freundliches Wort.“

„Das würde dir gefallen, Liebes?“

„Es würde sehr helfen.“

Er schnaubte spöttisch. „Mein Vater hatte schon recht. Er nannte dich ein verdorbenes, halsstarriges Weibsbild. Wenn man dir den kleinen Finger gibt, wirst du die ganze Hand nehmen und einem auf der Nase herumtanzen. Was du brauchst, ist etwas ganz anderes. Du musst schnellstens lernen, wer hier das Sagen hat.“

„Das ist nicht wahr!“

„Jedes Wort, das du sagst, beweist das Gegenteil. Das Allererste, was du hier getan hast, war, meinem Vater nicht zu gehorchen. Und jetzt willst du mir nicht gehorchen. Mir meine ehelichen Rechte abstreiten, das würdest du doch. Ha! Du hast einen Geist, der schnell gebrochen werden muss.“

Und er hatte die Macht, die brutale körperliche Kraft, das zu tun. Sie kam nicht gegen ihn an, jedenfalls nicht physisch. Sie musste ihm ihren Körper überlassen, aber an ihrem Geist hielt sie verzweifelt fest. Sie weigerte sich, ihn ihren Willen zerstören zu lassen. Obgleich sie manchmal das Gefühl hatte, dass er unrettbar zerschmettert war, glomm doch immer noch ein Funke in ihr. Sie würde es weder Leonard noch seinem Vater erlauben, sie völlig zu beherrschen.

Es gab Momente, wo sie daran dachte, wegzulaufen oder sogar Leonard zu töten, aber für solche Handlungen glaubte sie sich noch nicht verzweifelt genug. Schließlich war sie mit diesem Mann verheiratet. Andere Frauen hatten unglückliche Ehen überstanden, ohne sich zu erniedrigen. Und das konnte sie auch. Bald merkte sie, dass das Leben irgendwie zu ertragen war, wenn sie ihren ,Platz‘ gefunden hatte, wie ihr Mann ihn sich vorstellte. Und wenn er in der Nacht zu ihr kam, konnte sie das überstehen, wenn sie auch zitterte, die Zähne zusammenbiss und ihren Ekel hinunterschluckte.

Tatsächlich war es außerhalb des Schlafzimmers, vor aller Augen, noch schlimmer für sie, ihre unnatürliche Verstellung durchzuhalten. Eines Abends, als mehrere Männer zum Abendessen da waren, ergriff sie in einer Diskussion über Politik das Wort. Später, als sie allein waren – er war immer darauf bedacht, vor den anderen ein ideales Bild abzugeben – schrie Leonard sie wütend an, sie habe sich wie eine Dirne benommen. Wie konnte das derselbe Mann sein, der vor ihrer Hochzeit so vernünftig gesprochen hatte, als Caleb ihr denselben Vorwurf gemacht hatte?

Am Anfang hegte sie noch die Hoffnung, Leonard allmählich durch ihre weibliche Sanftheit zu gewinnen, mehr als nur ein Objekt für ihn zu sein. Wenn sie ihn nur dem üblen Einfluss seines Vaters entziehen könnte. Sie glaubte das wahrscheinlich aus dem einzigen Grund, weil sie an irgendetwas glauben musste; sie brauchte die Hoffnung, dass sie nicht den Rest ihres Lebens in Elend und Unglück verbringen musste. Mit der Zeit würde Leonard seine jugendliche Unsicherheit verlieren, die zweifellos der Grund für seine Herrschsucht über sie war.

Aber es dauerte nicht lange, bis selbst diese schwache Hoffnung ausgelöscht wurde.

Eines Morgens kam sie mit einem Bluterguss im Gesicht zum Frühstück – Leonard hatte sie in der Nacht zuvor geschlagen. Caleb saß allein am Tisch. Er betrachtete sie, besonders den blauen Fleck.

„Du wirst heute nicht vor die Tür gehen“, sagte er.

„Ich wollte in der Stadt etwas einkaufen –“

„Ich sagte, du bleibst hier.“

„Hast du Angst, dass die Leute sehen, was er seiner Frau antut?“ Sie konnte sich die Befriedigung nicht versagen, die diese Worte ihr selber bereiteten.

„Die meisten Männer hier würden ihm Beifall klatschen, dass er seine halsstarrige Frau unter Kontrolle hält“, antwortete er ruhig. „Es ist wegen deiner eigenen Schande, dass du hier bleiben wirst, nicht wegen Leonard.“

Deborah konnte nicht glauben, dass ihre Ehre ihm auch nur einen Penny wert war. Sein kühler ,väterlicher‘ Rat an Leonard, als er kam, machte das klar.

„Leonard, schlag deine Frau nicht mehr ins Gesicht.“

„Sie wollte mir wieder weismachen, dass sie Kopfschmerzen hatte.“

„Es gibt andere Methoden, mit so etwas fertig zu werden, so dass weder du noch deine Frau beschämt wird.“

Deborah konnte sich nicht gegen den Funken Hoffnung wehren, den Calebs Worte in ihr weckten. Vielleicht hatte sie ihn falsch beurteilt. Vielleicht würde er seinem Sohn am Ende doch beibringen, wie man mit einer Frau umgehen musste.

„Schlag deine Frau niemals so, dass man es sehen kann“, sagte Caleb. „Es ist geschmacklos.“

Als die beiden Männer in Calebs Arbeitszimmer gingen, hatte Deborah keine Hoffnung mehr, dass ihr Gespräch für sie etwas Gutes bedeuten konnte.

In dieser Nacht schlug Leonard sie mehrmals, als ob er seine neue Methode ausprobieren wollte. Danach waren keine Spuren zu sehen, aber ihr ganzer Körper schmerzte.

Mehr noch – ihr wurde klar, dass Leonard sich nie ändern würde, solange sein Vater ihm Ratschläge gab, ja ihn ermutigte. Sie würde sich für immer in dieses grausame Leben fügen müssen.

8

Einen Monat nach ihrer Heirat geschahen zwei Dinge, die Deborah eine kurze Erleichterung bescherten. Leonard verreiste, und sie fand einen Freund. Leonard war nur vorübergehend von der Home Guard beurlaubt gewesen. Als Indianer an der Grenze begannen, Siedler anzugreifen, wurde er wieder einberufen. Deborah verabschiedete ihn mit der Anteilnahme, die sie für ihn aufbringen konnte und die kaum die große Erleichterung verbarg, die sie empfand. Sie fühlte sich, als ob eine große Last von ihren Schultern genommen wurde. Jetzt verstand sie, was ein entflohener Sklave empfinden musste, wenn er den Ohio River und damit die Freiheit erreichte.

Sie summte am ersten Morgen ihrer neuen Freiheit vor sich hin. Fast lächelte sie am Frühstückstisch, und Calebs böse Miene machte ihr nichts aus.

„Worüber freust du dich so?“, fragte er, als ob ihr Verhalten ein verabscheuenswertes Verbrechen war.

„Ich weiß nicht.“ Sofort versuchte sie, das Offensichtliche zu verbergen.

„Denk dran“, brummte Caleb, der sie durchschaute, „er wird zurückkommen.“

Insgeheim hoffte sie, ihren Mann würde ein Indianerpfeil treffen und er würde nie zurückkehren, aber diese Hoffnung wollte Deborah sich nicht einmal selber eingestehen.

Sie frühstückte rasch zu Ende und verließ das Zimmer in der Hoffnung, dass Calebs dunkle, grimmige Augen ihr nicht folgten.

Seit ihrer Ankunft hatte sie von den hervorragenden Pferden gehört, die es auf der Stoner-Ranch gab. Am Anfang waren ihr die Erinnerungen an zu Hause noch zu nah, und sie brachte kein Interesse für sie auf. Aber ihre Liebe zu Pferden saß doch zu tief, sie musste sie sehen. Als sie zum ersten Mal bei den Ställen gewesen war, hatte Leonard sie dafür gemaßregelt.

„Die Ställe sind kein Platz für eine Lady“, sagte er streng. „Wenn du reiten willst, wird einer der Diener dir ein Pferd mit einem Damensattel bringen.“

Deborah liebte die Ställe genauso wie die Pferde, und sie hasste Damensättel. Sie beschloss, sich wenigstens in diesem Punkt durchzusetzen. Schließlich hatte sie ihrem Ehemann schon genug geopfert. Aber bei so vielen anderen Schwierigkeiten, mit denen sie fertig werden musste, ging sie zunächst nicht mehr zu den Ställen. Als sie erfuhr, dass er für mehrere Wochen weg sein würde, schien ihr das eine gute Gelegenheit, diese Leute daran zu gewöhnen, dass sie sich bei den Ställen aufhielt. Wenn ihnen klar wurde, wie viel sie von Pferdezucht verstand, würde es ihnen vielleicht sogar recht sein.

Also ging sie am ersten Tag von Leonards Abwesenheit mit ein paar Zuckerwürfeln aus der Küche direkt zu den Ställen. Aber mit jedem Schritt ärgerte sie sich über ihre Ängstlichkeit. Einer der Angestellten war in der Koppel und versuchte, eine junge braune Stute an den Sattel zu gewöhnen. Deborah lehnte sich auf den Balken und sah gespannt zu. Das Pferd bewegte sich so natürlich anmutig, dass es eine Schande schien, es zu zwingen. Die Stute bockte mehrmals, wie um ihren Widerwillen gegen die Last auf ihrem Rücken auszudrücken, aber der Reiter hielt sie fest, und bald machte sie ein paar unsichere Schritte. Dann lief sie ohne großen Widerstand die Koppel entlang und fiel schließlich in gleichmäßigen Trab. Ein weiteres Stonerpferd war gezähmt.

Sie hörte die Schritte nicht, die sich von hinten näherten. Die Stimme erschreckte sie, obwohl sie freundlich klang.

„Ich habe darauf gewartet, dass du herauskommst zu den Pferden meines Vaters.“

Es war Jacob Stoner.

Deborah hatte in all der Zeit auf der Ranch kaum mehr als ein paar Worte mit ihm und seinem Bruder gewechselt. Sie bekam die beiden Brüder nur ab und zu beim Abendessen zu sehen, und dort waren sie sehr schweigsam. Die meiste Zeit waren sie irgendwo anders. Deborah glaubte nicht, dass sie Zimmer im Haus hatten; jedenfalls schliefen sie nie dort, soweit sie wusste.

„Leonard sagte, das ist nichts für eine Lady“, antwortete Deborah und versuchte, keinen Ärger in ihre Stimme zu legen. Sie war nicht sicher, ob dieser Sohn von Stoner ihre Klagen nicht Caleb weitersagen würde, der mit Sicherheit einen Weg fände, sie dafür büßen zu lassen.

„Mein Bruder glaubt, eine Frau ist zu nichts gut als –“ Er verstummte, plötzlich beschämt über seine Deutlichkeit.

„Mein eigener Vater hat Pferde aufgezogen“, sagte Deborah schnell, um die Situation zu entspannen.

„Ja, ich weiß. Deshalb war ich überrascht, dass du so lange nicht hergekommen bist.“

„Mein Vater, mein Bruder und ich hatten viel Freude an unseren Pferden“, sagte Deborah. „Als sie starben, glaubte ich nicht, dass ich jemals wieder ein Pferd ansehen wollte. Es war zu traurig. Ich vermute, das und Leonards Verbot reichte für eine Weile.“

„Aber wenn man diese Tiere nun einmal liebt, kann man sich nicht lange von ihnen trennen.“

„Ja, das ist es.“

Deborah versuchte ein kleines Lächeln in Richtung ihres Schwagers und ermunterte ihn. Er klang und verhielt sich nicht wie die älteren Stoners. Der bittere Ton in seiner Stimme, als er seinen Vater und seinen Bruder erwähnte, zeigte deutlich, dass er keine Liebe oder Bewunderung für sie empfand. Er war nur wenig größer als sie, und das verstärkte den Eindruck, dass er nicht zu ihnen gehörte. An harte Arbeit war er offenbar gewöhnt, denn er war stark und muskulös. Auch an seiner braunen Hautfarbe konnte man das sehen, obwohl man nicht sagen konnte, wie viel davon er seinem mexikanischen Blut verdankte. Sein schwarzes Haar und seine schwarzen Augen bewiesen, dass er eher nach seiner Mutter geraten war. Sein Gesichtsausdruck, als er mit ihr sprach, war warm, fast sanft. Ihr wurde klar, dass der Eindruck eines stumpfen, mürrischen jungen Mannes wohl daher rühren musste, dass sie ihn immer nur zusammen mit Caleb und Leonard gesehen hatte. Das reichte, um jeden abzustumpfen!

„Fangt ihr bei allen Fohlen gleich mit dem Sattel an?“, fragte Deborah, um dieses angenehme Gespräch fortzusetzen.

„Das macht man hier im Westen so. Oft fehlt einfach die Zeit für eine langsame Vorbereitung. Aber ich denke, die Cowboys halten es für männlicher, den Widerstand eines Pferdes beim Reiten zu brechen.“

„Ach ihr hier im Westen! Ihr werft die Zivilisation um Hunderte von Jahren zurück!“

Er kicherte leise – bei weitem kein herzliches Lachen und eher scheu, aber immerhin.

„Ich zeig dir den Stall, wenn du willst“, sagte Jacob.

„Oh ja, gern!“

Als sie sich von der Koppel entfernten, warf Deborah instinktiv einen Blick zurück auf das Haus.

„Ich habe gesehen, wie mein Vater vor ein paar Minuten mit einer Kutsche in die Stadt gefahren ist“, sagte Jacob. Deborah errötete sofort, und er fügte hinzu: „Keine Bange, ich verstehe schon ... Ich bin sein zweitrangiger Sohn.“ Der Abscheu in seiner Stimme ließ Deborahs Herz beben.

„Ich ... Es tut mir leid.“ Das war alles, was sie herausbringen konnte.

„Gott sei Dank gibt es die Pferde“, sagte er mit mühsamer Leichtigkeit in der Stimme. „Sie helfen einem zu vergessen. Komm!“ Er nahm ihren Arm und zog sie mit sich.

Er hatte natürlich recht, und jetzt wusste sie, warum sie schließlich doch zu den Tieren gegangen war, die sie so liebte. Sie ließen sie vergessen, und bei ihnen war sie fast wieder glücklich.

In der nächsten Stunde zeigte ihr Jacob alles. Es gab zwei Vollblüter, die bei Rennen schon Preise gewonnen hatten, aber Deborah musste mehrmals nachfragen, bevor sie erfuhr, dass es Jacob gewesen war, der sie geritten hatte. Er zeigte schulterzuckend an sich hinunter und sagte: „Weil ich klein bin, gebe ich einen ganz guten Jockey ab.“ Deborah wusste, dass zu einem guten Jockey mehr als die richtige Größe gehörte, und das sagte sie ihm auch.

Außer diesen und einigen anderen sehr guten Zuchtpferden war dort ein ganz junges Fohlen, erst eine Woche alt. Deborah streichelte sein weiches Fell und verliebte sich augenblicklich in es. Sie gab seiner stolzen Mutter ein Stück Zucker und einen herzlichen Nasenstüber. Sie und Jacob standen dort eine ganze Weile still und betrachteten zusammen Mutter und Sohn.

„Ich kann sie gar nicht lange genug betrachten“, sagte sie.

„Ich wette, du kriegst auch vom Reiten nie genug, eh?“

„Oh, Jacob, glaubst du, ich könnte?“

„Warum nicht?“

Ihr entging nicht die Ironie in seinem Ton, als sie diese einfache Frage stellte. Aber deshalb vor allem war sie hier herausgekommen, um ihrem Mann zu zeigen, dass er nicht ihr ganzes Leben beherrschen konnte, als ob sie sein Eigentum wäre. Die Tatsache, dass er und sein Vater Meilen entfernt waren, nahm ihrer Tat nichts von ihrer Kühnheit. Sie zweifelte nicht daran, dass ihr Verhalten Caleb und Leonard zu Ohren kommen würde – aber sie war sicher, dass das nicht durch Jacob geschehen würde.

Jacob brauchte nicht lange, um zwei Pferde zu satteln. Deborah bedauerte, dass sie einen Seitensattel nehmen musste, aber sie war nicht zum Reiten gekleidet und wollte nicht erst ins Haus zurück, um sich umzuziehen, denn es konnte immer noch sein, dass Caleb dort war und sie aufhalten würde. Jetzt war sie einfach nur glücklich, wieder auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen. Als sie ins offene Land hinausritten, fühlte sich Deborah so befreit, dass sie den Kopf zurückwarf und lachte. Plötzlich wurde ihr bewusst, welch ein Gefängnis dieses Haus war, wie sehr sie sich als Gefangene fühlte. Sie nahm auch wahr, wie hübsch die Landschaft hier war, obwohl sie sich sehr von der in Virginia unterschied.

Auf ihrer Reise in den Westen hatte sie sich die Zeit mit der Lektüre von Büchern über die Grenzgebiete vertrieben. In einem dieser Bücher hatte sie ein Gedicht gelesen, das sie bis jetzt nur als poetische Übertreibung angesehen hatte.

Dies sind die Gärten der Wüste, dies
die unberührten Felder, grenzenlos und schön,
für die die Sprache Englands keinen Namen hat –
die Prärie. Sie war das Erste,
und mein Herz schwillt beim weiten Blick
in ihre Unendlichkeit. Seht! In luftigen Wellen
erstreckt sie sich, weit hinaus,
als ob der Ozean, an einem windlosen Tag
einhielte und all seine Wellen ruhten,
für immer unbeweglich.

Wie sehr sie nun diese Worte eines Fremden verstand! Wie treu, wie genau war seine Beschreibung! Andere mochten von der Eintönigkeit der Prärie sprechen, aber an diesem hellen Maimorgen hatte sie für Deborah nichts von ermüdender Leere. Für sie bedeutete die flache, endlose Landschaft Freiheit, wo sie für immer reiten konnte, ohne je zu ermüden. Und die wilden Blumen! Sie übersäten das niedrige Gras mit unendlich vielen leuchtenden Farbtupfern. Jacob zeigte ihr das blaue Texasveilchen und die leuchtenden indianischen Pinselbüsche. Deborah glaubte, sie könnte für immer mit Leonard Stoner leben, wenn sie nur jeden Tag hierher ausreiten durfte.

Später sollte sie die Einsamkeit und Verzweiflung dieser Ebenen kennen lernen und ihre Gefahren, aber jetzt, wo sie neben einem Mann ritt, der sie offensichtlich gut kannte, fühlte sie sich geborgen und zufrieden. Als Jacob zu einer kurzen Rast unter einer Gruppe Eichen anhielt, war sie vor purer Freude außer Atem.

An jenem Abend hatte sie jedoch für ihren Ausflug zu zahlen. Sie war Caleb aus dem Weg gegangen, als er aus der Stadt zurückkam, aber er fuhr sie in dem Moment an, als sie zum Essen hinunterging. Sie hatte die letzte Treppenstufe erreicht, als er aus seinem Arbeitszimmer kam. Nichts konnte ihr jetzt die Konfrontation ersparen. Sie musste ihm beim Essen gegenübersitzen, also entschloss sie sich, ihm nicht auszuweichen. Was konnte er schon tun, außer sie zu schlagen? Konnte es denn noch etwas Schlimmeres geben als das, was sein Sohn ihr Nacht für Nacht antat?

„Guten Abend“, sagte sie gleich, mit erhobenem Haupt und trotziger Stimme.

Er warf ihr einen Blick zu, der sie erschaudern ließ.

„Du warst heute bei den Ställen“, sagte er.

„Ja.“

„Und du bist geritten?“

„Ja.“

„Ich denke, mein Sohn hat klargestellt, dass dieses Verhalten nicht akzeptabel ist.“

„Ich kann nichts Falsches darin sehen. Es ist meine einzige Freude hier draußen.“ Obwohl sie sich innerlich wand, sah sie ihn an.

„Mein Sohn ist mit einer Lady verheiratet, nicht mit einem Satteltramp.“

„Leonard ist genauso mit mir verheiratet wie ich mit ihm.“ Dann kam ihr ein köstlich bösartiger Gedanke in den Sinn, und nichts konnte sie hindern, ihn auszusprechen, auch das genüssliche Lächeln hatte sie nicht unter Kontrolle. „Wenn ihm das nicht gefällt, soll er sich von mir scheiden lassen.“

Calebs Hand schoss in die Höhe und traf sie schwer am Kopf. Sie stöhnte und schnappte nach Luft, obwohl ihr plötzlicher Zorn sie den Schmerz sofort vergessen ließ.

„Du wagst es!“, rief sie, fast sprachlos vor Wut.

„Sei versichert, Deborah, dass du diesen Kampf des Willens verlieren wirst. Es gibt für dich keinen anderen Weg zu gewinnen, als dich unterzuordnen.“

„Wirst du mich zu Tode prügeln, wenn ich das nicht tue?“, gab sie zurück.

„Ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird.“ Sein Ton machte deutlich genug, dass er notfalls auch dazu bereit war.

„Also gut, ich werde weiter ausreiten und zu den Ställen gehen! Der einzige Weg, mich daran zu hindern, ist, mich einzusperren wie eine Gefangene.“

Sie wartete seine Antwort nicht ab; stattdessen wandte sie sich ab, als ob sie wirklich überzeugt war, gewonnen zu haben. Sie unterdrückte den Wunsch, sich in ihr Zimmer zurückzuziehen, und ging ins Esszimmer, um sich auf ihren gewohnten Platz zu setzen. Sie wollte ihm nicht die Genugtuung geben, vor ihm davonzulaufen. Er kam einige Augenblicke später, und Maria trug bei gespannter Ruhe das Essen auf.

Deborah aß alles auf, trotz ihres rebellierenden Magens.

Wenn sie nicht schockiert und zu Tode erschreckt war über ihre schlimme Lage und ihre katastrophale Ehe, dann war sie nur noch erstaunt. Wie konnten zwei Männer nur derart unmenschlich sein? Manchmal fragte sie sich, ob es irgendwie ihre Schuld war, ob Caleb und Leonard sie vielleicht anders behandeln würden, wenn sie die Geheimnisse einer Ehe kannte und wusste, was sie zu sagen hatte. Über solche Dinge hatte sie sich bei ihrem Vater und ihrem Bruder niemals Sorgen machen müssen, obwohl das vielleicht nicht das Gleiche war, weil sie eine Familie bildeten, vom selben Blut waren. Aber bei Jacob musste sie doch auch nicht auf jedes Wort und jede Geste achtgeben. Vielleicht war das mit Ehemännern und Schwiegervätern einfach anders.

Als Maria nach dem Essen den Kaffee brachte, war sie mehr verwirrt als wütend. Vielleicht hatte sie sich einfach nicht genug Mühe gegeben mit Caleb. Irgendeinen Grund musste er doch haben!

Als Maria gegangen war, begann sie in ruhigem Ton zu sprechen: „Mr Stoner, ich habe Ihnen Ärger bereitet – nicht erst heute, sondern seit meinem allerersten Tag hier. Auch wenn das so ist, wünsche ich mir aufrichtig, dass Friede in diesem Haus herrscht, und ich bin sicher, Sie wünschen das Gleiche. Es ist nicht zu spät, noch einmal anzufangen. Ich bin sicher, wir können die Dinge klären und gut miteinander auskommen.“

Sie kämpfte, um ihrer Stimme Festigkeit zu geben. „Ich weiß, dass ich manchmal dickköpfig sein kann, und mir ist klar, dass ich mich hier und da ändern muss. Aber ich glaube, dasselbe gilt auch für Leonard.“

„Er ist dein Herr, Deborah. Du bist es, die sich ändern muss, um ihm zu gefallen.“

„Das ist lächerlich“, warf sie hin, und all ihre Anstrengung, einen ruhigen Ton zu wahren, waren mit einem Schlag dahin. „Gegen Sie und Ihren Sohn war Dschingis Khan zart besaitet! Ich würde mich für euch nicht ändern, auch wenn mein Leben davon abhinge!“

Sie stieß ihren Stuhl zurück und warf ihn beim Aufstehen um. Jetzt floh sie nicht ängstlich, sondern aus Sorge, dass sie nicht mehr Herr ihrer Worte und ihrer Taten wäre, wenn sie noch länger blieb.

Calebs geheimnisvolle Erwiderung traf sie an der Tür des Esszimmers.

„Lass es nicht zum Äußersten kommen, Deborah.“

Sie drehte sich um und starrte ihn an. „Und was soll das heißen?“

„Leben und Tod sind relative Begriffe“, antwortete er. „Du bist auf Lebenszeit mit meinem Sohn vermählt. Es liegt ganz an dir, ob es für dich ein lebendiger Tod wird oder ein Leben in Zufriedenheit.“

„Es gibt noch andere Möglichkeiten!“

„Wenn du daran denkst wegzulaufen, sei sicher, dass du niemals weiter als bis zur Stadt kommen würdest. Und wenn du es in irgendeiner anderen Richtung versuchst, würdest du in diesem Land keinen Tag allein überleben, selbst nicht auf meinem besten Pferd. Außerdem glaube ich nicht, dass du für den Rest deines Lebens mit dieser Schande leben wolltest.“

Vielleicht hatte er recht. Sie wusste es nicht. Vielleicht sollte sie aufgeben, tun, was sie von ihr verlangten, obwohl sie nicht einmal sicher war, ob sie das überhaupt konnte. Vielleicht machte ihr Widerstand alles nur schlimmer. Vielleicht würde Leonard sie besser behandeln, wenn sie sich ihm unterwarf. Aber dieser Gedanke an Unterwerfung ließ sie nur noch deutlicher die Gefängnistüren sehen, die sich um sie herum schlössen.

Es war nicht gerecht! Sie verlangten zu viel von ihr.

Dann kam ihr ein merkwürdiger Gedanke. Wie machten es die Sklaven? In Virginia hatte sie viele Sklaven gesehen, auch wenn ihre eigene Familie keine besaß. Sie bewegten sich allem Anschein nach so ergeben, so friedlich, manchmal sahen sie sogar glücklich und zufrieden aus. Wie brachten sie das fertig? Ganz sicher war es unmöglich, dass sie unter solchen Umständen wirklich glücklich sein konnten, ganz gleich, wie gütig ihre Herren auch sein mochten. Es musste Jahre um Jahre, sogar ganze Generationen gedauert haben, bis man diese Geschöpfe so vollkommen unter Kontrolle hatte. Vielleicht würde sie es nach einigen Jahren in diesem Haus auch fertig bringen? Ein lebendes Geschöpf konnte nur so lange geschlagen werden, bis es zusammenbrach. Sie sah sich als willenlosen Sklaven durch das Haus schleichen, mit einem geistlosen Grinsen im Gesicht, wenn sie ihren Mann ansah.

Konnte er das wirklich wollen?

Es schien unmöglich. Und noch unmöglicher war die Vorstellung, dass sie sich wirklich so verhalten könnte. Irgendwie musste sie einen Weg finden zu überleben, ohne ihr Wesen dabei zu verlieren. Flucht mochte nicht in Frage kommen, jedenfalls vorläufig nicht. Da hatte Caleb recht. Aber sie konnte es überstehen, und vielleicht sogar die eine oder andere Schlacht gewinnen.

9

In den folgenden Tagen fand Deborah wenigstens vorübergehend Wege zum Überleben, bei den Pferden und den Ritten in die Prärie. Und merkwürdigerweise sagte Caleb nichts mehr dazu. Vielleicht war sogar ihm klar, dass man von einem Menschen nicht alles verlangen konnte. Vielleicht wartete er auch nur auf Leonards Rückkehr, dem noch ganz andere Mittel zur Verfügung standen, um ihren Willen zu brechen. Warum auch immer – Deborah nutzte ihre neue Freiheit, so viel sie konnte.

Mehrere Tage lang begleitete Jacob sie auf ihren wunderbaren, langen Ausritten, und alles wurde durch ihn nur noch schöner und angenehmer. Es war so lange her, seit sie die Möglichkeit gehabt hatte, sich mit einem klugen und freundlichen Menschen zu unterhalten. Jacob war trotz seiner schlechten Schulbildung sehr intelligent, und er war sehr einfühlsam. Seine Persönlichkeit war anders als die ihres Bruders Graham, aber dennoch entwickelte sich zwischen ihnen langsam eine Beziehung, die derjenigen ähnelte, die sie früher zu ihrem Bruder gehabt hatte. Es wurde eine wahre Freundschaft daraus. Jetzt fühlte sie sich nicht mehr allein, verloren und verzweifelt.

Er sprach freimütig von sich, als ob auch er lange schon auf einen Freund gewartet hatte.

„Meine Mutter war die Tochter eines großen Patron unten in Mexiko“, erzählte er ihr eines Tages. „Sie war sehr schön und hätte sich ihren Mann unter vielen Caballeros wählen können.“

„Warum dann Caleb?“, fragte Deborah, die sich kaum vorstellen konnte, wie eine Frau sich von einem solchen Mann angezogen fühlen konnte.

„Vor zwanzig Jahren war Caleb ein sehr schöner Mann. Manchmal glauben Frauen, so ein Mann muss auch so ein Herz haben.“

Deborah sah weg. „Ja“, seufzte sie schließlich. „Leonard schien vor unserer Heirat auch so ein Gentleman zu sein. Ich nehme an, einiges von der Härte seines Vaters habe ich an ihm bemerkt, aber ich habe es nicht ernst genommen, weil er so gut aussah. Manchmal war er wirklich charmant.“

„Natürlich war er das“, sagte Jacob bitter. „Er wollte seine feine Südstaatenlady haben. Er hätte nichts getan, was seine Hochzeit gefährden konnte. Es ist ihm ganz schön schwergefallen, sich derart zurückzuhalten, selbst für eine Woche, und mehr als ein Arbeiter auf der Ranch hat dafür seine harte Hand zu spüren bekommen.“

„Wie konnte ich nur so blind sein?“

„Ich wünschte, ich hätte dich gewarnt, aber damals kannte ich dich nicht und habe gar nicht daran gedacht. Es schien mir unmöglich, dass sich so etwas wiederholen könnte.“

„Ich hätte dir ohnehin nicht geglaubt“, sagte Deborah.

„Wenigstens kannst du dich damit trösten, Deborah, dass du nicht die einzige Frau bist, die von einem gut aussehenden Mann getäuscht wurde“, sagte er voller Wärme.

„Es gibt auch gut aussehende Männer mit guten Herzen“, sagte Deborah. „Du bist ein Beweis dafür, Jacob.“

Er zuckte mit den Achseln, aber an seinen Augen sah sie, dass er dankbar für das Kompliment war. Ohne Zweifel hörte er nur selten eines.

„Eins verstehe ich nicht, Jacob“, fuhr Deborah nach kurzem Schweigen fort. „Weder Caleb noch Leonard scheinen Menschen mit anderer Hautfarbe besonders zu mögen. Sie behandeln dich und Laban fast so schlecht wie ihre Diener, und das heißt erniedrigend und herablassend. Ihre mexikanischen Hilfen behandeln sie noch schlechter. Warum hat Caleb bei dieser Abneigung eine Mexikanerin geheiratet?“

„Ganz einfach. Mein Großvater hat eine große Mitgift angeboten, dazu gehörten große Teile dieser Ranch hier. Und damals gab es noch viel weniger Frauen in Texas als heute. Caleb schraubte seinen Anspruch etwas herunter, und er bekam viel dafür – viel Geld, viel Vieh, Land, eine schöne Frau und noch zwei Diener mehr, meinen Bruder und mich, um sein Land zu bestellen. Die Schande zweier Bastarde ist ein kleiner Preis für das alles, nicht?“

„Es tut mir leid für dich, Jacob. Du verdienst es nicht, so behandelt zu werden.“

Er hielt plötzlich sein Pferd an und drehte sich im Sattel, um Deborah voll ins Gesicht sehen zu können.

„Du sollst kein Mitleid für mich empfinden, Deborah! Das ist das Letzte, was ich von irgendjemand will – und besonders nicht von dir!“

„Es war so dumm und gedankenlos, was ich gesagt habe. Ich schätze, du tust mir auf die gleiche Weise leid, wie ich mir selber leid tue.“

Das aufgeloderte Feuer in seinen Augen wurde wieder milder. „Du solltest von hier weggehen, Deborah, solange du noch kannst.“

„Dasselbe könnte ich dir sagen.“

„Mein Großvater ist tot, und seine Ländereien sind zerstreut, sonst würde ich vielleicht zu ihm gehen. Wo sollte ich auch sonst hin? Ich mag die Ranch und das Land hier. Es wird nie mir gehören, aber wenn ich bleibe, erbe ich vielleicht ein Stück. Irgendwo anders in Texas wäre ich nichts als ein Tagelöhner, ein dreckiger Mexikaner. Warum sollte ich also nicht hierbleiben? Wenigstens eine kleine Hoffnung habe ich, etwas zu bekommen. Außerdem würde ich nicht in den Osten passen, mit all diesen Menschen. Ich habe an Kalifornien gedacht ... vielleicht eines Tages. Bis dahin ist Caleb jedenfalls mein Vater, die einzige Familie, die ich habe. Es ist nicht so einfach, deiner Familie den Rücken zu kehren. Und dann ist da auch noch Laban. Ich würde ihn nicht einfach so allein lassen.“

„Er sollte auch gehen.“

„Er würde nicht weggehen.“

„Aus dem gleichen Grund wie du?“

„Wer weiß? Laban ist ein Rätsel. Er spricht nicht viel. Du denkst, wir stehen uns sehr nahe, in der Lage, in der wir beide sind. Aber das ist nicht so. Er ist verschlossen und unerreichbar wie ein ferner Planet.“

Er schwieg, dann fragte er: „Und was ist mit dir, Deborah?“

„Leonard ist mein Mann. Ich muss ebenfalls weiter hoffen.“

Jacob runzelte die Stirn, und ein dunkler Blick voller Schmerz huschte über seine Züge. „Du solltest wirklich gehen“, sagte er einfach, und dann trieb er sein Pferd zu einem scharfen Galopp an.

Nach einer Woche solcher Ausritte – für Deborah die schönste Woche seit dem Tod ihres Bruders – wurde ihr klar, dass es nicht gut für Jacob und sie war, wenn sie weiter so viel Zeit zusammen verbrachten. Sie kannte das Land jetzt gut genug, und das diente ihr als Ausrede für Jacob. Sie dankte ihm herzlich für seine Geduld mit ihr und entband ihn von der unausgesprochenen Pflicht, sie zu begleiten. Er schien ihre wahren Gründe zu verstehen, und da er sie für richtig hielt, protestierte er nicht. Trotzdem fühlten sich beide für eine Weile ungeheuer leer und verlassen.

Es dauerte nicht lange, bevor sie Jacob hier und da ,zufällig‘ auf einem ihrer Wege traf. Sie wussten beide sofort, dass es mehr als bloßer Zufall war, was sie zusammenführte. Sie hungerten nach Freundschaft, besonders Deborah, die ihr ganzes Leben lang nur Wärme, Freundlichkeit und Liebe von den Menschen gekannt hatte, die ihr nahe waren. Sie begann, sich auf ihren Ausritten nach Jacob umzusehen und war enttäuscht, wenn er nirgends auftauchte. Bald begannen sie, ihre Treffen zu planen, an abgeschiedenen Orten, wo niemand sie finden konnte. Es war alles ganz harmlos. Sie waren Freunde und sonst nichts, aber beiden war klar, dass weder Caleb noch Leonard jemals eine solche Freundschaft verstehen würden.

Als Leonard einen Monat später zurückkehrte, brauchte Deborah Jacobs Freundschaft mehr denn je. Leonard war wütend, weil sie wegen der Ställe nicht gehorcht hatte. Wie bei Caleb gab sie nicht nach und erklärte, dass sie weiter ausreiten würde, wann immer sie wollte. Ihren Ungehorsam musste sie in dieser Nacht im Bett bitter bezahlen. Am ganzen Körper hatte sie durch seine Brutalität und Gemeinheit blaue Flecken, aber nicht an Stellen, die andere sehen konnten.

Für zwei Tage schloss er sie ohne Essen in ihrem Zimmer ein. Als er sie am dritten Tag herausließ, ging sie zum Stall und sattelte ihr Pferd. Er jagte ihr nach und holte sie zurück. Als er sie wieder in das Zimmer stieß, geschah etwas in Deborah. Vielleicht war es der Anfang der ,Unterwerfung‘, die Leonard wollte, aber sie war zu verzweifelt, es war ihr gleichgültig. Sie fiel vor ihm auf die Knie.

„Bitte, Leonard! Lass mich reiten und mit den Pferden arbeiten ... Ich bitte dich!“ Sie weinte wie eine versklavte Dienerin. „Ich tue alles, wenn du mir nur das erlaubst. Bitte!“

Leonard mochte auf eine solche Erniedrigung seiner Frau gehofft haben; als sie dann kam, war sie dennoch unerwartet. Seine Überraschung wurde aber schnell durch einen triumphierenden Glanz in seinen harten Augen ersetzt.

„Alles?“, fragte er sanft, als ob er seinen Ohren nicht traute.

„Ja!“, antwortete sie ohne Zögern. Wenn sie schon in Elend leben musste, hätte sie wenigstens noch diese eine Freude.

In den nächsten Monaten spielte Deborah ihre Rolle gut und erfüllte den Buchstaben ihres Vertrags genau. Wenn Gäste kamen, war sie die sittsame, demütige Ehefrau, die ihrem Mann und ihren Gästen jeden Wunsch von den Augen ablas. Wenn sich das Gespräch Dingen zuwandte, die sie interessierten und über die sie eine wohlbegründete Meinung hatte, sagte sie kein Wort. Einmal fragte sie ein ziemlich fortschrittlicher Texaner sogar nach ihrer Meinung.

„Soweit ich weiß, Mrs Stoner, war Ihre Familie mit General Lee bekannt. Wird er den Süden in den Sieg führen?“

Instinktiv öffnete sie den Mund, um eine intelligente Antwort zu geben. Sie kannte Lee und wusste, welch ein großer General er war, aber der Süden brauchte mehr als große Generäle, um gegen die ökonomische Macht des Nordens anzukommen. Aber in dem Moment, wo sie antworten wollte, blickte sie zu Leonard hinüber und sah seinen Gesichtsausdruck; er schien nur darauf zu warten, dass sie seinen Wünschen zuwiderhandelte ...

Statt zu antworten, wie es ihr auf der Zunge lag, kicherte Deborah also nur dumm. „Oh, fiddle-de-dee!“, summte sie. „Wie in aller Welt soll ich so etwas wissen?“

Wenn sie gehofft hatte, Leonard zu beschwichtigen, dann wurde sie enttäuscht. Sie gab ihm weniger offenen Anlass, aber ihr wurde klar, dass Leonard Gewalt um ihrer selbst willen genoss. Er brauchte keinen logischen Grund; es machte ihm Spaß, andere zu beherrschen, und wenn er sie physisch ebenso wie ökonomisch beherrschen konnte – umso besser! Man konnte das an der widerwärtigen Art sehen, mit der er seine Diener behandelte. Glücklicherweise hatten sie keine Sklaven, und Deborah schauderte, wenn sie daran dachte, welches Schicksal sie an einem Ort wie der Stoner-Ranch gehabt hätten.

Die tägliche Flucht zu den Ställen und die Ausritte in die Prärie machten ihr Los etwas erträglicher. Ihre Freundschaft mit Jacob tat ihr in dieser schrecklichen Lage sehr gut.

Auch das neue Fohlen brachte unerwartetes Glück in ihr Leben. Sie nahm das Kleine unter ihre Fittiche und nannte es ,Prärie‘, weil sein sandfarbenes Fell sie an das umgebende Land mitten in einem glühend heißen Sommer erinnerte. Jacob lachte, aber niemals verletzend, weil sie das Pferd so bemutterte. Und wie sie gehofft hatte, verschaffte ihr ihr Wissen sogar Respekt unter den Leuten, die in den Ställen arbeiteten. Sie gewann den Vorarbeiter ganz für sich, als sie einem Gaul das Ausschlagen vor der Fütterung abgewöhnte.

„Nehmen Sie einen Kinderball, nicht größer als meine Faust, und binden Sie ihn mit einem kurzen, weichen Band an ihr Fesselgelenk“, schlug Deborah vor. „Sie wird schon verstehen, wenn der Ball sie jedes Mal an der Fessel trifft, wenn sie gegen ihre Stallwand ausschlägt.“

Es funktionierte, und es dauerte nicht lange, bis der Mann sie öfter um Rat fragte. Der Stall wurde ihr Zufluchtsort, der einzige Ort, wo sie nicht nur Respekt genoss, sondern auch etwas zu sagen hatte. Nach den vielen Stunden der Schauspielerei mit ihrem Mann war sie erleichtert, an einen Ort zu kommen, wo sie sie selber sein und daran denken konnte, wie alles früher einmal gewesen war. Ironischerweise war sie nach Texas gekommen, um den schmerzlichen Erinnerungen an das glückliche Leben zu entgehen, das der Krieg zerstört hatte. Und jetzt klammerte sie sich in ihrer Verzweiflung an nichts so sehr wie an diese Erinnerungen. Sie brauchte die Gewissheit, dass Glück in dieser düsteren Welt doch möglich war.