Marshall B. Rosenberg
Was deine Wut dir sagen will: überraschende Einsichten
Das verborgene Geschenk unseres Ärgers entdecken

Über dieses Buch

Wir fühlen die Wut, wenn sie uns überfällt. Das Gesicht läuft rot an, der Blickwinkel verengt sich, der Herzschlag nimmt zu, und beurteilende Gedanken überfluten uns. Gleich werden wir etwas sagen, das alles noch viel schlimmer macht. 

Doch es gibt eine Alternative. In der Gewaltfreien Kommunikation lernen wir, dass Wut einem lebensbereichernden Zweck dient. Sie ist ein Alarmsignal dafür, dass wir von dem, was wir wertschätzen, getrennt sind, und dass unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Die Wut in den Griff zu bekommen, indem wir Gefühle unterdrücken, hilft genauso wenig wie andere anzubrüllen, um unsere Beurteilungen loszuwerden. Marshall Rosenberg zeigt auf, wie wir mithilfe unserer Wut unsere Bedürfnisse entdecken und sie auf konstruktive Weise erfüllen können.

Dr. Marshall B. Rosenberg ist international bekannt als Konfliktmediator und Gründer des Center for Nonviolent Communication (CNVC) in den USA. Die von ihm entwickelte Methode der Gewaltfreien Kommunikation hat sich als machtvolles Werkzeug herausgestellt, um Differenzen auf persönlichem, beruflichem und politischem Gebiet friedlich zu lösen.

Copyright © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2006

5. Auflage 2013

Copyright: © 2005 PuddleDancer Press

Translated from the book The Surprising Purpose of Anger, ISBN 1-892005-15-8 by Marshall B. Rosenberg, Copyright © 2005 PuddleDancer Press. All rights reserved. Used with permission. For further information about Nonviolent Communicationsm please visit the Center for Nonviolent Communication on the Web at: www.cnvc.org .

Fachliche Begleitung und Überarbeitung der Übersetzung: Ingrid Holler, München

Coverfoto: © Klaus Eppele – Fotolia.com

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2022

ISBN der Printausgabe: 978-3-87387-985-0

ISBNs dieses eBooks: 978-3-95571-048-4 (EPUB), 978-3-95571-410-9 (PDF), 978-3-95571-409-3 (MOBI)

Einleitung

In „Was deine Wut dir sagen will“ eröffnet Marshall Rosenberg eine einzigartig neue Perspektive darauf, welche Rollen Wut und Ärger in unserem Leben spielen können. Er fordert uns heraus, indem er von der Sichtweise abweicht, Wut sei etwas, das man unterdrücken solle. Im Gegenteil: Unsere Wut ist ein Geschenk, das uns mit unseren unerfüllten Bedürfnissen verbindet, die eine solche Reaktion bei uns ausgelöst haben. Marshall Rosenberg entlarvt gängige Fehlauffassungen über Wut und Ärger und weist darauf hin, dass Wut ein Produkt des Denkens ist. Eine Erörterung von Wut und Ärger führt mit Leichtigkeit zu einem besseren Verständnis der GFK, weil dadurch viele GFK-Grundlagen berührt werden. Aus dem Herzen leben, urteilsfreie Beobachtungen machen, sich seiner Gefühle und Bedürfnisse bewusst werden, klare Bitten aussprechen und lebensbereichernde Verbindungen fördern: All das hat einen Einfluss darauf, wie wir auf Wut und Ärger reagieren.

Eine kurze Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation (GFK)

Die GFK entwickelte sich aus meinem intensiven Interesse an zwei Fragestellungen. Zuerst wollte ich besser verstehen lernen, welche Erlebnisse bei manchen Menschen dazu führen, sich gewaltsam und ausbeuterisch zu verhalten. Und zweitens interessierte es mich zu erfahren, welche Art von Erziehung hilfreich sein kann, um einfühlsam zu bleiben – was, so glaube ich, unserer Natur entspricht –, selbst wenn andere Menschen gewaltsam und ausbeuterisch handeln.

Bei meinen Nachforschungen habe ich herausgefunden, dass drei Faktoren sehr wichtig sind, wenn man verstehen möchte, warum einige von uns in vergleichbaren Situationen gewalttätig und einige von uns mitfühlend reagieren. Das sind:

Ich habe festgestellt, dass diese drei Faktoren eine große Rolle spielen, wenn es darum geht vorherzusagen, ob wir in einer bestimmten Situation in der Lage sind, einfühlsam oder gewalttätig zu reagieren. Das, was unsere Fähigkeit verstärkt, bereitwillig zu unserem eigenen Wohl und zum Wohl von anderen beizutragen, nenne ich Gewaltfreie Kommunikation (GFK). Zu diesem Prozess gehören sowohl die Art des Sprechens und Denkens sowie andere Formen der Kommunikation.

Die GFK fokussiert unsere Aufmerksamkeit darauf, ob die Bedürfnisse der Menschen erfüllt werden, und darauf, was wir tun können, damit die Bedürfnisse zufriedengestellt werden. Die Gewaltfreie Kommunikation zeigt uns Wege, wie wir uns so ausdrücken können, dass andere mit größerer Wahrscheinlichkeit aus freiem Willen zu unserem Wohl beitragen werden. Sie zeigt uns aber auch, wie wir die Aussagen anderer Menschen aufnehmen können, sodass die Chancen steigen, dass wir bereitwillig zu ihrem Wohl beitragen.

Ärger und GFK

Wenn es darum geht, mit Wut und Ärger umzugehen, zeigt uns die GFK, wie wir sie als ein Alarmsignal ansehen können. So kann uns bewusst werden, dass wir in eine Denkweise verfangen sind, die es nicht gerade wahrscheinlich macht, dass unsere Bedürfnisse erfüllt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir in Auseinandersetzungen verwickelt werden, die für niemanden sehr konstruktiv sein werden, ist viel größer. In unseren Seminaren heben wir hervor, dass es gefährlich ist, Wut und Ärger als etwas anzusehen, das unterdrückt werden sollte oder das an sich schlecht ist. Wenn wir dazu neigen, Wut als ein Zeichen anzusehen, dass mit uns etwas nicht ganz in Ordnung ist, dann entwickeln wir eine Tendenz, den Ärger zu unterdrücken und uns nicht mit ihm beschäftigen zu wollen. Dieser Umgang mit Ärger – ihn zu unterdrücken und abzulehnen – bringt uns nicht selten dazu, ihn auf eine Art auszudrücken, die für uns selbst und für andere sehr gefährlich sein kann.

Wenn Sie in der Zeitung etwas über einen Serienmörder lesen und sich anschauen, wie dieser von Menschen beschrieben wird, die ihn gekannt haben, lautet eine ziemlich typische Beschreibung etwa so: „Er war immer so ein netter Mensch. Ich habe nie gehört, dass er ausfallend geworden wäre. Er schien sich nie über jemand anderen geärgert zu haben.“ Deshalb sind wir in der GFK daran interessiert, Wut und Ärger auf eine Art und Weise zu „nutzen“, die uns hilft, näher an die Bedürfnisse heranzukommen, die in uns selbst nicht erfüllt worden sind und die die Wurzel allen Ärgers sind.

Viele Menschen in den Gruppen, mit denen ich in aller Welt arbeite, haben die Erfahrung gemacht, dass wir dazu erzogen werden, Wut und Ärger als etwas anzusehen, das unterdrückt werden muss. Sie haben miterlebt, was geschehen kann, wenn wir lehren, dass Wut vermieden werden sollte. Das kann dazu führen, dass Menschen unterdrückt werden, indem man sie dahin bringt, alles zuzulassen, was immer auch mit ihnen geschieht. Andererseits habe ich aber auch Vorbehalte gegenüber der Art und Weise, wie der Ärger gewissermaßen kultiviert wird oder wie ein Sich-Luft-Machen der Wut befürwortet wird, ohne dass die Wurzeln verstanden würden oder der Ärger transformiert wird. Untersuchungen zu „Ärger-Management-Kursen“ haben ergeben, dass Teilnehmer und Teilnehmerinnen dazu angeregt werden, ihrem Ärger Luft zu machen, indem diese z.B. auf Kissen schlagen. Dadurch wird die Wut näher an die „Oberfläche“ herangeholt, und die Übungen lassen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen dann tatsächlich offener heimkehren. Möglicherweise drücken sie sich dann aber später auf eine Art und Weise aus, die gefährlich für sie selbst und andere werden kann.

Wenn wir die GFK anwenden, um mit Wut und Ärger umzugehen, lassen wir uns stattdessen noch tiefer auf den Ärger ein. Dann werden wir erkennen, was in uns vorgeht, wenn wir wütend sind. So können wir uns an das Bedürfnis herantasten, das die Wurzel unseres Ärgers bildet, und dieses Bedürfnis dann zufriedenstellen. Aus didaktischen Gründen vergleiche ich manchmal den Ärger mit Warnleuchten am Armaturenbrett eines Autos. Diese Warnleuchten liefern uns nützliche Informationen über die Bedürfnisse des Motors. Wir würden nicht auf den Gedanken kommen, diese Anzeige abzudecken, sie abzuklemmen oder zu ignorieren. Wahrscheinlich halten wir an, um herauszufinden, was uns die Warnleuchte mitteilen möchte.

Die GFK funktioniert, selbst wenn sie nur von einer Person angewendet wird

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir – unabhängig davon, wie eine andere Person kommuniziert – dann in Verbindung mit anderen Menschen bleiben, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Wut und den Ärger als Warnsignale konzentrieren können. Das bedeutet: Die GFK funktioniert, selbst wenn sie nur von einer Person angewendet wird.

Es ist gar nicht so schwierig, sich auf diese Weise zu fokussieren. Es kann Furcht erregend sein, weil es immer wieder von mir verlangt, meine eigene Verwundbarkeit zu zeigen; um vollkommen entblößt zu sagen, wie es mir geht und was ich möchte. Und es kann ziemlich gut laufen, wenn beide Parteien in diesem Prozess ausgebildet sind. Aber fast alle Menschen, mit denen ich arbeite, versuchen den Fluss der Kommunikation mit Menschen herzustellen, die vermutlich niemals zu Seminaren oder Workshops kommen werden, um zu lernen, wie dieser Prozess funktioniert. Deswegen ist es so wichtig, dass er mit allen Menschen funktioniert, egal ob sie darin unterrichtet wurden, auf diese Art zu kommunizieren oder nicht.

In unseren Intensivtrainings gehen wir besonders darauf ein, wie wir in diesem Prozess bleiben, ungeachtet dessen, wie die anderen Menschen kommunizieren. Ärger ist auf eine bestimmte Weise auch ein freudvoller Weg, um tiefer in die GFK einzutauchen, selbst wenn wir gerade beginnen, sie zu lernen. Wenn wir wütend und verärgert sind, haben wir einen stark fokussierten Blick auf viele Aspekte des GFK-Prozesses, und wir können den Unterschied zwischen der GFK und anderen Formen der Kommunikation erkennen.