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Hühneraugenpflaster im Reklamerausch
„Kukirol“, „Doktor Unblutig“ und die Werbung der
zwanziger Jahre

von Dirk Schindelbeck

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-95894-004-8 (eBook) / 978-3-95894-005-5 (Print)

© Copyright: Omnino-Verlag, Berlin / 2015

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und
der Übersetzung, vorbehalten.

Inhalt

1. Aus Urzeiten der Reklame

2. Werbefachleute als neue Funktionselite

3. Der „Deutsche Werbe-Unterricht“ und sein Verfasser

4. 1923: Kukirol kommt auf den Markt

5. Doktor Unblutig betritt die Reklamebühne

6. Kukirol wirbt – mit Beschimpfungen, Ressentiments, Monstrositäten

7. Die Welt „kukirolt!“

8. „Reklame“ versus „Werbung“

9. Epilog

1. Aus Urzeiten der Reklame...

Sie liegt erst vier bis fünf Generationen zurück – und dennoch mutet uns schon der Versuch, in die Produkt- und Reklamewelt der zwanziger Jahre einzutauchen, so abenteuerlich an wie eine Reise zu antiken Stätten. Aus dem kollektiven Gedächtnis ist kaum mehr etwas abrufbar – vielleicht noch, dass Chlorodont1 eine Zahnpasta war, Bleyle ein Matrosenanzug für Knaben2 und einen Slogan wie „Schreibste mir, schreibste ihr, schreibste auf MK-Papier“3 jedermann auswendig konnte. Nicht besser steht es mit der Bekanntheit von Werbefiguren: Durch Währungsreformen und Weltkriege hat sich bis auf unsere Tage nur der Sarotti-Mohr4 erhalten, andere wie der Rüger-Hansi (um 1895 entstandene Werbefigur für eine Schokoladenmarke) sind allenfalls Sammlern alter Emailschilder ein Begriff.5

Die nähere Inspektion des Konsumalltags dieser Zeit steigert die Fremdheit noch. Zigaretten tragen so abenteuerliche Namen wie Ravenklau oder Greiling, Zahnpasten heißen Pebeco oder Kaliklora, einen schönen Körper bekommt man mit Pflegemitteln wie Khasana oder Hautana, ein dazu passender BH nennt sich Kalasiris. Uhu ist noch kein Alleskleber, sondern eine Wochenzeitschrift aus dem Hause Ullstein, Kant nicht nur der andere Name für den Kategorischen Imperativ, sondern auch eine Schokoladenmarke. Rama schreibt sich 1924 noch mit H, worauf die Butterlobby alle juristischen Mittel aufbietet, dem Fettersatz-Hersteller sein freches Assoziationsspiel mit dem edlen Rahm zu verbieten.6

Doch es gibt auch vertraute Töne: Wer Drogerieartikel anbot, war auf einen Namen bedacht, der seriös daherkam und an Odol erinnerte7, wie etwa Javol (Haarpflegemittel) oder – noch heute erhältlich – Amol (Universal-Schmerzmittel). Auch das Hühneraugenmittel Kukirol, dessen legendäre Reklamekampagne hier beleuchtet werden soll, stellt sich mit der größten Selbstverständlichkeit in diese Reihe.

Man kann „Kukirol“ als einen kleinen Glücksfall bezeichnen, weil die Quellenlage, obwohl eigentlich miserabel, für eine historische Werbekampagne noch immer vergleichsweise ergiebig ist. Das nährt die Hoffnung, nicht nur über dieses Produkt und seine Kommunikationspolitik Aufschluss zu gewinnen, sondern diese als Sonde in die Zeit(verhältnisse) nutzen zu können.8 Schließlich gab es in den zwanziger Jahren in Deutschland keinen erwachsenen Menschen, dem Kukirol nicht zum Begriff geworden wäre. Immerhin konnten die grundlegenden Daten der Kampagne (zeitliche Dauer, Motive etc.) als auch die Urheberschaft für die Texte und Grafiken geklärt werden – die Mindestvoraussetzung, um Anzeigensujets im Hinblick auf Aussagen über die Zeit deuten zu dürfen.9

Im Folgenden geht es um drei Aspekte: erstens um das Porträt eines der frühesten deutschen Werbeberater, der als Vater der Kukirol-Reklame weit mehr als nur ihr Texter war, sondern auch ihr Stratege: Johannes Iversen (1865-1941), zweitens um die Darstellung der Kampagne mitsamt ihrer Wort- und Bildbotschaften sowie der Werbefigur des Doktor Unblutig10 zwischen 1923 und 1929, drittens um „die Reklame“ als dem Oberbegriff für einen spezifischen und zudem zeitabhängigen Massenkommunikationsstil – im Gegensatz zu unserem heute geläufigen Terminus „Werbung“.

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Abb. 1: Papp-Aufsteller für Kukirol mit Dr. Unblutig (Kultur- und werbegeschichtliches Archiv Freiburg kwaf)

2. Werbefachleute als neue Funktionselite

Mit Beginn der zwanziger Jahre explodierte in Deutschland die Reklame.11 Unter dem Einfluss amerikanischer Vorbilder tauchten auch in deutschen Städten großflächige Lichtreklamen, beleuchtete Litfasssäulen und Verkehrsmittelwerbungen auf. Hinzu kamen technische Innovationen wie Radiowerbung, farbige Kinofilme, Werbemobile und bald auch spektakuläre Himmelsschrift-Flugnummern.12 Das weckte die Nachfrage nach Spezialisten, die sich in Deutschland zwar schon vor dem Ersten Weltkrieg formiert13, bislang aber eher ein Schattendasein geführt hatten, und deren Stunde angesichts komplex gewordener Werbeaufgaben gekommen schien: Werbeberater.14 Der erste, der dazu einen Katalog herausbrachte, war der Wiener Verleger J. J. Kaindl. Ab 1919 stellte er mehrere Bände zu diversen Facetten der Reklame zusammen, so z. B „Biographien von verschiedenen Werbefachleuten“. Darin trat auch ein gewisser Johannes Iversen auf, der sich mit folgenden Sätzen empfahl: