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Nr. 2809

 

Heimsuchung

 

Die Tiuphorenwacht glaubt, der Kampf sei zu Ende – auf einem ihrer Raumschiffe beginnt er erst

 

Oliver Fröhlich

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man den Jahresanfang 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Menschen haben Teile der Milchstraße besiedelt, Tausende von Welten zählen sich zur Liga Freier Terraner. Man treibt Handel mit anderen Völkern der Milchstraße, es herrscht weitestgehend Frieden zwischen den Sternen.

Doch wirklich frei sind die Menschen nicht. Sie stehen – wie alle anderen Bewohner der Galaxis auch – unter der Herrschaft des Atopischen Tribunals. Die sogenannten Atopischen Richter behaupten, nur sie und ihre militärische Macht könnten den Frieden in der Milchstraße sichern.

Wollen Perry Rhodan und seine Gefährten gegen diese Macht vorgehen, müssen sie herausfinden, woher die Richter überhaupt kommen. Ihr Ursprung liegt in den Jenzeitigen Landen, in einer Region des Universums, über die bislang niemand etwas weiß.

Auf dem Weg dorthin kommt es zu einem Unfall, der Perry Rhodan in die Vergangenheit der Milchstraße verschlägt, mehr als 20 Millionen Jahre vor seiner Geburt. Im Gegenzug dringen die kriegerischen Tiuphoren aus dieser Epoche in die Gegenwart ein und greifen mehrere Welten an. Auch für das Flaggschiff der Tiuphorenwacht, die GALBRAITH DEIGHTON V, erweisen sie sich selbst nach einer Niederlage als wahre HEIMSUCHUNG ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Anna Patoman – Die Kommandantin der GALBRAITH DEIGHTON V geht von Gelb nach Rot.

Heydaran Albragin – Die Robotregentin erkennt die Lehren alter Legenden.

Pino Gunnyveda – Der USO-Spezialist mag kein Rührei.

Topper Chimes, Sitor Tapanuli und Myala Làs-Therin – Die Freunde suchen einen Weg zu ihrem Arbeitsplatz.

Dirikdak – Der KATSUGO trägt den Namen einer Sagengestalt.

»Wie man nicht wehren kann, dass einem die Vögel über den Kopf herfliegen, aber wohl, dass sie auf dem Kopfe nisten, so kann man auch bösen Gedanken nicht wehren, aber wohl, dass sie in uns einwurzeln.«

(Martin Luther)

 

 

Prolog:

Der Schatten der Vuloy

 

In jenen Jahren lebten wir in Paynwerds, in den flachen Ebenen des Landes Parn.

Unsere Väter nannten es die Ewig Grünen Gefilde. An jedem Tag schien ihnen die Sonne, wärmte sie mit sanftem Strahl. Und so lachten sie und sangen ihre Lieder.

Die Wiesen waren saftig, die Ernte reich, das Leben schön.

Dann jedoch fiel ein Schatten über das Land. Das Lachen verstummte. Die Lieder verklangen.

Wenn wir, die Söhne und Töchter, über die ehemals Ewig Grünen Gefilde blickten, sahen wir harte Erde und kümmerliche Pflanzen. Die Ewigkeit hatte ihr Ende gefunden.

Es waren die Vuloy, die das Land verdarben. Wesen, groß wie Häuser, schwarz wie der Tod. In gewaltigen Schwärmen zogen sie durch den Himmel, verdunkelten die Sonne, raubten uns das Licht, raubten uns die Wärme.

In diesen Jahren waren der Hunger und die Not groß in den flachen Ebenen von Parn.

An jenem Tag, der sich von allen Tagen unterschied, kam der Vogel Dirikdak zu uns.

Wir baten ihn: »Flieg hoch und vertreib die Vuloy.«

»Ich kann nicht fliegen«, sprach der Vogel Dirikdak, und er klang traurig. »Aber ich werde für euch singen.«

Und an jenem Tag, der sich von allen Tagen unterschied, begab sich der Vogel Dirikdak auf das kärglichste der Felder und stimmte ein Lied an.

Wir traten aus den Häusern und lauschten ihm mit wehem Herzen, bis wir das Lied erkannten. Es war das Lied unserer Väter.

So stimmten wir in den Gesang ein, und es kamen alle Lebewesen von Paynwerds hinzu, um mit uns zu singen.

Die Vuloy aber krächzten vor Zorn, schlugen mit ihren gewaltigen Flügeln und klapperten mit den Schnäbeln. Ihnen gefiel das Lied nicht. Doch der Himmel füllte sich mit unserem Gesang.

Da sahen die Vuloy, dass ihnen in Paynwerds keine Heimat beschieden war. Sie ergaben sich der Gewalt der Lieder, der Macht des sangesreichen Vogels Dirikdak, und zogen von dannen.

Und die Welt ist eine andere seitdem.

(Aus den Marschberichten des Vogels Dirikdak)

1.

Kraniche und Schulterreiter

29. März 1518 NGZ

 

»Die größte Belastung für einen Soldaten«, sagte Topper Chimes, »ist die Schlacht, in die er nicht zieht.« Er zupfte ein paar Himbeeren von einem Strauch im Biotop der GALBRAITH DEIGHTON V und kaute genüsslich darauf herum. Schmatzend fuhr er fort: »Zumindest hat das mein Großvater Lucius immer behauptet.«

»Dein Großvater war Soldat?«, fragte Myala Làs-Therin. Ihr samtbrauner Teint und das schulterlange mahagonifarbene Haar verrieten, dass sie teilweise Akonin und teilweise Terranerin war.

Eine extrem reizvolle Mischung, wie Topper Chimes fand. Er musste sich zwingen, den Blick von ihr zu lösen. Schließlich wollte er ihr nicht das Gefühl geben, sie anzustarren. Sitor Tapanuli, der dritte aus ihrer Spaziergängergruppe durch das Biotop, teilte diese Bedenken offenbar nicht.

Chimes wusste, dass Sitor mindestens genauso vernarrt in Myala war wie er selbst. Dennoch waren sie Freunde, keine Konkurrenten. Er hoffte nur, dass Sitor Tapanuli das ebenso sah.

»Mein Großvater war Koch«, stellte Topper Chimes richtig, was der Wahrheit entsprach – nun ja, einem Teil davon. Er deutete auf eine Parkbank am Ufer des Biotop-Sees. »Wollen wir uns setzen?«

Sie nahmen Platz. Links und rechts die Männer, in der Mitte Myala Làs-Therin.

Die Biotop-Steuereinheit des LPV, des Logik-Programm-Verbunds der GAL, erfreute die Besucher der Anlage mit einem milden Frühlingstag. Der schwache Lufthauch, der über ihre Gesichter strich, trug den Geruch von Blüten und Gras mit sich.

»Und du glaubst, dass er als Koch viel über Soldaten und Schlachten wusste?«, fragte Sitor Tapanuli.

Topper Chimes sah zu seinem Freund, nicht ohne vorher der zwischen ihnen sitzenden Myala einen sehnsuchtsvollen Blick zuzuwerfen. »Er war fast achtzig Jahre auf einem Flottenstützpunkt beschäftigt. Reichlich Zeit für intensive Gespräche mit den Einsatztruppen. Außerdem las er in seiner Freizeit alles über Psychologie, was er in die Finger bekam. Die Memoiren des Flottenkommandanten Leng Hopfar konnte er fast auswendig. Eine Betrachtung des denkenden Geistes von Kurb Norzer hat er geliebt. Und natürlich Biografien, nicht nur von Terranern, sondern zum Beispiel die über Farthu von Lloonet, den späteren ersten Imperator des Großen Imperiums der Arkoniden.«

»Ich hoffe, du willst uns jetzt nicht seine gesamte Bibliothek aufzählen«, sagte Sitor mit leichtem Schmunzeln. Ernster fügte er hinzu: »Dein Großvater war also nicht nur Koch, sondern belesener Koch. Ich verstehe trotzdem nicht, was er dir damit sagen wollte. Wie kann die Schlacht, in die man nicht zieht, eine Belastung darstellen?«

»Das würde mich ebenfalls interessieren«, sagte Myala. Sie lächelte, und kleine Grübchen kerbten ihre Wangen.

Chimes schaute den holografischen Insekten für einige Sekunden bei ihrem Tanz über einer der Lotosblüten auf dem See zu und ließ die Ereignisse des Vortags Revue passieren. Er sah sich selbst an der Ortungsstation der GAL-LK 19 sitzen, nicht weit entfernt Sitor Tapanuli im Waffenleitstand und Myala Làs-Therin am Funk. Die Anspannung stand ihnen ins Gesicht geschrieben, während sie darauf warteten, den Leichten Kreuzer der MERKUR-Klasse aus der GALBRAITH DEIGHTON V auszuschleusen und in die Schlacht gegen die Tiuphoren einzugreifen.

Ein Moment, der nie kam.

Für einen winzigen Augenblick verschwammen die Insekten über der Lotosblüte zu einem flirrenden Nebel, stabilisierten sich aber gleich darauf wieder.

Topper Chimes rieb sich die Augen. Er brauchte dringend ein paar Stunden erholsamen Schlaf. Oder einen Zellaktivator.

»Ist der Angriff der Tiuphoren etwa spurlos an euch vorübergegangen?«, fragte er.

Sitor Tapanuli lachte. »Wir waren an dem Gefecht doch gar nicht beteiligt.«

»Eben. Mein Großvater meint, dass sich die Anspannung vor einer Schlacht im Kampf entladen muss. Wenn sie das nicht tut, wenn der Soldat sie stattdessen in sich hineinfrisst, belastet ihn das mehr, als die Schlacht selbst es tun würde.«

»Interessante These«, sagte Myala Làs-Therin.

Chimes konnte nicht beurteilen, ob sie das ernst oder spöttisch meinte. »Als gestern plötzlich das zweite Sterngewerk der Tiuphoren auf die GAL zuhielt und feuerte, war ich mir sicher, dass wir raus und uns ihnen stellen müssen. Aber was passierte stattdessen? Der Angreifer drehte ab, die Schlacht war beendet, und ich durfte allein zusehen, dass ich meinen Adrenalinhaushalt in den Griff bekomme. Ich habe mich niedergeschlagen gefühlt, um den Kampf betrogen.«

»Das ging jedem so«, rief ihm Tapanuli ins Gedächtnis. »Auch denen, die im Einsatz waren. Und es hat nichts mit überschüssigem Adrenalin zu tun, sondern mit der Explosion des Sterngewerks und der Zerstörung der gestohlenen Ordischen Stele.«

»Das weiß ich selbst! Trotzdem fühle ich mich immer noch aufgeputscht und müde zugleich. Das kann nicht gut für einen Körper sein.«

»Lass dir doch von einem Medoroboter ein Mittel verabreichen«, schlug Myala vor.

»Längst geschehen. Hat nichts geholfen.«

»Vielleicht solltest du dich mal eingehender untersuchen lassen.«

Topper Chimes lächelte sie an. »Bereits die Sorge in deiner Stimme wirkt wie Medizin. Mir geht es schon viel besser.«

Sah Sitor Tapanuli in diesem Augenblick nicht ein kleines bisschen unglücklich aus?

Wir sind Freunde, keine Konkurrenten, sagte er sich erneut.

»Wie wäre es?«, fragte Tapanuli plötzlich. »Habt ihr Lust auf eine kleine Bootsfahrt auf dem Mare Galbraith?«

Topper Chimes hatte zwar keine, da sich Myala aber begeistert dafür aussprach, stimmte er ebenfalls zu.

Bevor sie am Ufer in eines der Ruderboote kletterten, die rund um den See befestigt waren, ließen sie sich von einem Serviceroboter eine Süßspeise bringen. Chimes genoss den schweren Geschmack nach Nugat und Früchten.

Er gab sich dem Augenblick hin, erfreute sich an den großartigen Kleinigkeiten, die das Leben für einen bereithielt, und fragte sich zugleich, warum er sein ungutes Gefühl nicht loswurde. Wirklich nur die Nachwirkungen der Schlacht oder der zerstörten Ordischen Stele? Oder brütete er eine Krankheit aus?

Erst inmitten der Lotosblüten auf dem See mit dem scherzhaften Beinamen »Mare Galbraith« gelang es Topper Chimes einigermaßen, das Unwohlsein abzuschütteln. Während er und Sitor Tapanuli gemütlich ruderten, lag Myala Làs-Therin auf dem Rücken und schaute nach oben, wo traditionsgemäß ein Schwarm aus exakt tausend holografischen Kranichen über den künstlichen Himmel zog.

»Was hat es eigentlich mit diesen Kranichen auf sich?«, fragte die Halbakonin.

»Keine Ahnung«, gab Sitor Tapanuli zu. »Sieht eben einfach gut aus.«

»Man nennt sie das Sembazuru«, sagte Topper Chimes. Er bemühte sich um einen ruhigen Tonfall, genoss es aber, dass er bei Myala mit einem Wissensvorsprung gegenüber Sitor punktete. »Nach einer uralten japanischen Legende erfüllen die Götter demjenigen einen Wunsch, der tausend Origami-Kraniche faltet.«

»Wirklich?« Myala klang aufrichtig interessiert. »Und was hat das mit einem Raumschiff zu tun? Vertrauen wir so wenig in die eigenen Fähigkeiten, dass wir auf den Beistand der Götter angewiesen sind?«

Topper Chimes lachte und tauchte das Ruder prompt nicht tief genug in den See. Wasser spritzte Sitor ins Gesicht, der gelassen darüber hinwegsah.

»Das Sembazuru«, erklärte Chimes, »steht als Symbol für den Frieden. Das geht auf die frühe terranische Geschichte zurück. Im Jahr 1945 alter Zeitrechnung endete auf Terra ein schrecklicher Krieg, bei dem zwei Atombomben auf bewohnte japanische Städte abgeworfen wurden. Zu den Strahlenopfern gehörte ein zwei- oder dreijähriges Mädchen namens Sadako Sasaki. Ein paar Jahre später bekam es Leukämie. Die Medizin steckte damals noch in den Kinderschuhen, und die Ärzte konnten nicht helfen. Da erfuhr die Kleine von der Legende der tausend Kraniche, faltete das Sembazuru und hoffte, die Götter würden sie von ihrer Krankheit befreien.«

»Und? Hat sie überlebt?«

»Leider nicht. Aber ihre Geschichte erregte so große Aufmerksamkeit, dass die Legende auch im Rest der Welt bekannt wurde. Danach benutzten Friedensbewegungen und Atomkriegsgegner die tausend Kraniche als Symbol.«

»Bedauerlich, dass die Tiuphoren nie davon gehört haben«, sagte Sitor Tapanuli mit spöttischem Unterton. »Ein bisschen Friedensbewegung könnte ihnen nicht schaden.«

»Woher weißt du solche Dinge?«, fragte Myala. »Das liegt Tausende von Jahren zurück.«

»Mein Großvater hat es mir erzählt.« Topper Chimes lächelte. »Neben Psychologie interessierte er sich auch für altterranische Geschichte.«

Er schaute ebenfalls in den Himmel. Das Biotop lag in den Ebenen unterhalb der Wohnbereiche und Vergnügungsanlagen, die die Zentralkugel der GALBRAITH DEIGHTON V wie eine weitläufige Hülle umspannten. Faktisch war der Himmel deshalb halbkugelförmig nach unten gewölbt. Die Holoprojektoren kaschierten das jedoch und erweckten bei den Besuchern den Eindruck, sich in freier Natur aufzuhalten.

Oder?

Für einen Augenblick überkam Chimes das Gefühl, der Himmel hinge durch und könnte jeden Moment auf sie herabstürzen. Die Kraniche flirrten, so wie vorhin die Insekten über der Lotosblüte. Er schloss die Lider, öffnete sie wieder – und alles war normal.

»Hast ... du das auch gesehen?«, fragte er Myala.

»Was denn?«

Er schilderte seinen Eindruck.

»Ist mir nicht aufgefallen«, sagte die Halbakonin. »Ich hatte aber die Augen geschlossen.«

Nun blickte auch Sitor Tapanuli nach oben. »Du spinnst. Da ist nichts.«

Nein, da war tatsächlich nichts.

»Im Ernst, Topper, du solltest dich einmal gründlich durchchecken lassen. Du scheinst den psychischen Schock nicht verkraftet zu haben oder leidest an Übermüdung.«

Chimes atmete tief durch. Er hatte seinen Freunden vorhin nur die halbe Wahrheit gesagt. Großvater Lucius war tatsächlich Koch gewesen, aber erst, nachdem er die Laufbahn in der Flotte aufgegeben hatte – weil er nach einem Kampfeinsatz mental zusammengebrochen war. Lag das womöglich in der Familie?

»Du hast recht«, sagte Topper Chimes. »Etwas stimmt nicht mit mir. Wenn es bis morgen früh nicht besser wird, bleibt mir ein Besuch auf der Krankenstation wohl nicht erspart.«

 

*

 

Bumerangförmige Beiboote lösten sich aus dem Bugkranz des Walzenraumers und schlossen sich zu einer Angriffsformation zusammen. Die Schüsse der GALBRAITH DEIGHTON V durchdrangen die dimensional entrückte Walze, ohne ihr Schaden zuzufügen.

Bis das Schiff der Tiuphorenwacht die Strategie änderte und auf verstärkten Punktbeschuss setzte.

Die Bumerangschiffe reagierten sofort. Sie gaben den Schutz der großen Walze auf und warfen sich den Gegnern entgegen, feuerten ununterbrochen, lösten die Formation auf und fanden sich zu einer neuen zusammen, als folgten sie einer Choreografie. Den Stellungswechseln und Angriffsflügen wohnte eine schreckliche Ästhetik inne. Die Anmut der Zerstörung.

Mehrere Beiboote der DEIGHTON vergingen in den Energiekaskaden des Feindes.

Zwölf EPPRIK-Raumer griffen die Bumerangschiffe über die Flanken an, und sofort konzentrierten sich diese auf die neuen Angreifer.

Ein Bumerang explodierte – und die Szenerie gefror.

Heydaran Albragin trat einen Schritt von der Medienwand ihrer Kabine zurück und betrachtete das Holo sekundenlang.

Mit einer wischenden Handbewegung beschleunigte sie die Aufzeichnung der Schlacht gegen die Tiuphoren und ließ sie kurz vor der vermutlichen Selbstzerstörung eines Walzenraumers in normaler Geschwindigkeit weiterlaufen.

Zum etwa zwanzigsten Mal an diesem Abend beobachtete sie, wie das Walzenschiff einen ersten Wirkungstreffer hinnahm und – statt zu fliehen – Kurs auf die GALBRAITH DEIGHTON V nahm. Eine zweite Walze deckte das Kommandoschiff der Tiuphorenwacht ebenfalls mit seinem Feuer ein. Dann schloss sich eine dritte Walze an, gab einen einzigen Schuss ab und zog sich plötzlich zurück.

Kurz darauf vollführte der getroffene Angreifer unverständliche Manöver, stellte die Angriffe ein, nahm einige schwere Treffer hin – und verging in einer gewaltigen Explosion.

Erneut gefror das Bild.

Albragin blendete taktische Daten ein. Zeitangaben, Entfernungen, Winkelbezüge, Größenverhältnisse, Bewegungsbahnen.

Sie drehte das Holo, betrachtete das Bild von allen Seiten. Seit Stunden analysierte sie die Taktik der Tiuphoren, studierte ihre Bewegungsabläufe, die Verschiebungen der Schiffe untereinander, die Prioritätensetzung beim Angriff auf mehrere Gegner. Und vor allem versuchte sie darauf zu kommen, was sie am Verlauf der Schlacht störte, aber es gelang ihr nicht.

Ein leises Summen hallte durch ihre Kabine und riss sie aus den Gedanken. Ein unangemeldeter Gast?

Die Arkonidin desaktivierte die Medienwand, durchquerte den Raum und öffnete das Schott.

»Du?«, fragte sie überrascht.

»Ich«, bestätigte Pino Gunnyveda. Er lehnte in der Tür, ein breites Grinsen auf dem Gesicht und eine Flasche Champagner samt Gläsern in den Händen. »Darf ich reinkommen? – Natürlich darf ich.«

Ohne ihre Zustimmung abzuwarten, schob er sich an ihr vorbei und trat ein.

Heydaran Albragin schaute ihm nach, beobachtete, wie er dem KATSUGO Dirikdak einen interessierten Blick zuwarf und Flasche und Gläser auf dem niedrigen Tisch vor dem Sofa abstellte.

Sie schloss die Kabinentür und strich sich mit der Hand durch das Haar, um es in Ordnung zu bringen. Etwas, das bei ihrer Kurzhaarfrisur erfreulich gut funktionierte.

Selbstverständlich entsprang die Geste einer alten Gewohnheit und gewiss nicht dem Wunsch, für den Besucher gut auszusehen. Ganz gewiss nicht.

Sie kam mit Pino Gunnyvedas großspuriger Art nicht zurecht, mochte es nicht, wenn er zu laut und an den unpassendsten Stellen lachte. Sie liebte eher die leisen Töne, die Zurückhaltung, das Dezente – samt und sonders Begriffe, von denen der USO-Spezialist nie gehört zu haben schien.

Bisher hatte sie geglaubt, die Vorbehalte beruhten auf Gegenseitigkeit. Und nun tauchte er plötzlich auf, bewaffnet mit Champagner und etwas, das er für ein gewinnendes Lächeln halten mochte. Zu allem Überfluss stolzierte er mit einer Selbstverständlichkeit in ihre Kabine, die zu einem aufgeblasenen arkonidischen Adligen passte, aber nicht zu dem untersetzten Ideenkaufmann mit dem gelichteten Haar und dem spärlichen Bart. Was hatte das zu bedeuten?

»Was willst du?«, fragte sie. Sie bemühte sich nicht, die Kühle in der Stimme zu verbergen.

»Auf die erfolgreiche Schlacht mit dir anstoßen.« Er entkorkte die Flasche und schenkte beide Gläser voll. »Die Robotregentin in einem anderen Umfeld als dem beruflichen kennenlernen.« Er hielt ihr ein Glas entgegen. »Herausfinden, ob wir nicht doch ein paar Gemeinsamkeiten besitzen.«

Dann solltest du mich vielleicht nicht Robotregentin nennen, dachte sie. Natürlich kannte sie den Spitznamen, bei dem man sie wegen ihrer angeblichen Unterkühltheit und ihrer Beziehung zu Robotschiffen gelegentlich nannte. Die Zeiten, da der leicht spöttische Name sie verletzt hatte, waren längst vorüber. Trotzdem legte sie keinen Wert darauf, dass jemand sie direkt so ansprach. Und schon gar nicht Pino Gunnyveda.

Sie zögerte, griff schließlich aber doch nach dem Glas. Plötzlich erfasste sie der Ehrgeiz herauszufinden, was der unwillkommene Besucher tatsächlich von ihr wollte. Seine aufgezählten Gründe nahm sie ihm nämlich keine Sekunde lang ab.

»Worauf trinken wir?«, fragte sie.

»Auf den Sieg gegen die Tiuphoren. Darauf, wie die EPPRIK-Raumer unter deiner geschickten Führung diesen Mistkerlen die Hölle heiß gemacht und wie wir sie in die Flucht geschlagen haben.«

Geschickte Führung? Flirtete er etwa doch mit ihr? Nein, der Gedanke erschien ihr absurd. Erstens war sie mit ihren siebzig Jahren gute zwanzig Jahre älter als er – ein geringer Unterschied, gewiss, aber jemand wie Gunnyveda gab sich bestimmt nur mit jungen Dingern ab. Und zweitens ... nun ja, und zweitens konnten sie einander nicht leiden.

»Das haben wir nicht«, sagte sie. »Die Tiuphoren in die Flucht geschlagen, meine ich. Sie haben sich zurückgezogen, weil eines ihrer Sterngewerke explodiert ist, womit wir nach allen Analysen nicht das Geringste zu tun haben.«

»Mir ist durchaus klar, Mylady, dass wahrscheinlich der Kontakt mit der Ordischen Stele für die Zerstörung des Schiffs verantwortlich war. Trotzdem waren wir gut. Allein die Idee, nach verspäteten Schiffen Ausschau zu halten, um den Tiuphoren auf die Spur zu kommen. Ich muss schon sagen, wirklich superb.« Er schnalzte genießerisch mit der Zunge.

Wenn Gunnyveda glaubte, sie würde in die Jubelgesänge einstimmen, weil die Idee von ihm stammte, täuschte er sich. »Ein unterentwickeltes Selbstbewusstsein gehört offensichtlich nicht zu deinen Schwächen.«

Er lachte laut auf, als habe sie einen brillanten Spaß gemacht. »Wie auch? Schließlich habe ich kaum Schwächen, wie mir so manche hochgestellte Persönlichkeit häufig bestätigt hat.«

»Großmaul.«

»Oh, danke. Zu viel der Ehre.« Nach einem Schluck aus dem Champagnerglas wandte er sich ab, spazierte durch ihre Kabine, betrachtete die Hologemälde an den Wänden, roch an einem Strauß Glockenblumen, den sie sich aus dem Biotop hatte bringen lassen, umrundete den KATSUGO, betrachtete ihn eingehend von oben bis unten, benutzte dabei wahrscheinlich die Spezialfunktionen seiner Datenbrille wie Zoom oder Infrarotsicht, setzte sich schließlich aufs Sofa und schlug die Beine übereinander.