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Vorwort des Herausgebers

Der ›Simplicissimus‹ ist eines der bedeutendsten Werke der deutschen Literatur. Was als vermeintlicher ›Schelmenroman‹ daherkommt, ist viel mehr: Eine brutal-bittere Schilderung des Dreißigjährigen Krieges in heiterem Gewande, ein historisches Lehrstück – ja sogar eine psychologische Sezierung der deutschen Seele.

Nach Meinung von Günter Kunert[1] hat der Dreißigjährige Krieg, dieses endlos währende Gemetzel, aber auch diese nicht enden wollende Schacherei um Land und Einfluss, die Deutschen bis in die heutige Zeit geprägt, als eine Art psychologischer Stempel. Nur so sei die Jahrhunderte alte Fixierung dieses Volkes aufs Militär, seine Obrigkeitshörigkeit und gleichzeitig Kriegslust, erklärbar. Kunert geht soweit, dass er das Nazi-Regime und den Zweiten Weltkrieg als konsequente End-Ausformungen dieser psychologischen Deformierung sieht.

Und tatsächlich: Wer weiß, vielleicht waren die Deutschen zur Nazizeit mehr ›sie selbst‹ als sie es heute sind. Vielleicht war es ein letzter Urschrei, ein letztes Aufbegehren der bösen Geister. Ein hoffentlich letztes.

Der Krieg – Grimmelshausen wusste, wovon er schrieb: Als halbes Kind war er bereits in die Truppe geraten. »Wie von Selbstverständlichkeiten spricht er von Folter und Notzucht, Brandstiftung, Mord und Totschlag«[2] und nicht zuletzt immer wieder vom Geld, dem Brandbeschleuniger des dreißigjährigen Gemetzels. Erst als den Fürsten das Geld ausging und das einfache Volk so darbte, dass es nicht weiter ausgepresst werden konnte, verebbte der Krieg.

Nach ereignisreichen Szenen pendelt der Autor immer wieder zurück ins Reflektierende und gibt dabei in jedem Kapitel Zeugnis von seiner enormen Belesenheit und Bildung. Das Buch ist mit Zitaten, Anspielungen und Querverweisen auf antike aber auch zeitgenössische Werke gespickt, die sich heute dem normalen Leser unmöglich erschließen können. Auch aus diesem Grunde – neben der heute schwer verständlichen Sprache – bedarf der ›Simplicissimus‹ einer ausführlichen Kommentierung.

Aus den benannten Elementen, aus brutal-brachialer Schilderung, aus ziselierter und feingeistiger Reflexion plus »aggressiver Zeit- und Gesellschaftskritik«[3] erwächst die unvergleichliche Kraft dieses Buches.

© Redaktion eClassica

 

Über den Autor

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (* um 1622 in Gelnhausen; † 17. August 1676 in Renchen) gilt heute als wichtigster deutscher Schriftsteller des 17. Jahrhunderts. Viele seiner Werke verfasste er unter Pseudonym, sie konnten ihm erst 1837, gut 150 Jahre nach seinem Tod, zugeordnet werden.

Nach dem Tod des Vaters, Christoffel war vier oder fünf Jahre alt, wuchs er in Gelnhausen bei seinem Großvater auf, wo er die Lateinschule besuchte. Im September 1634 erreichte der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) die Stadt, und sie wurde von den kaiserlichen Truppen der römisch-katholischen Partei eingenommen und verwüstet. Ein Großteil der Einwohner, darunter sehr wahrscheinlich auch Grimmelshausen, floh in die nahe gelegene Festung Hanau.

Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass er seit 1636 – noch ein Kind – in die Kriegswirren verwickelt war, zunächst bei der Belagerung Magdeburgs, ab 1637 dann in Westfalen in einem kaiserlichen Dragonerregiment. Später stieg er zum Schreiber in der Regimentskanzlei auf – seit 1644 gibt es Schriftstücke von seiner Hand. In späteren Jahren war er für verschiedene Adelsherren Burgvogt und Gutsverwalter, zwischendurch auch Gastwirt.

Vor seiner Heirat am 30. August 1649 in Offenburg mit Catharina Henninger trat er vermutlich zum katholischen Glauben über; seine schriftstellerische Karriere begann er um das Jahr 1658.

© Redaktion eClassica, 2015

 

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Anmerkungen:

[1] Günter Kunert in: ZEIT-Bibliothek der 100 Bücher, siehe unten

[2] zitiert nach G. Kunert, s.u.

[3] zitiert nach G. Kunert, s.u.

 

Verwendete Quellen:

• Günter Kunert: Der Abenteuerliche Simplicissimus, in: Zeit-Bibliothek der 100 Bücher, Suhrkamp, Frankfurt 1980

• Der große Brockhaus Literatur, Wiesbaden 2002

 


Wohlgemeinte Vorerinnerung an die großgünstigen Leser

Hochgeehrte, geneigte und sehr werte liebe Landsleute!

Hiermit erscheint meine neue, ganz umgeschriebene, mit schönen von mir, meinem Knan [Vater], Meuder [Mutter], Ursele [Name der Schwester] und Sohn Simplicio inventierten Kupferstücken ausgezierte, Lust erweckende und sehr nachdenkliche Lebensbeschreibung. Hierzu veranlasste mich ein kühner und recht verwegener Nachdrucker, indem er meinem Herrn Verleger seine höchstruhmwürdige Mühe und Unkosten, Fleiß und Arbeit, die er in erster Einrichtung und annehmlicher Vorstellung dieses meines ihm allein mitgeteilten kleinen Werkes und den daraus erhobenen geringfügigen Gewinn, weiß nicht, ob aus selbsteignem neidischen Herzen oder, wie ich eher dafürhalte, aus tollkühner Anreizung etlicher Mißgönner verwegenerweise sich unterstanden hat, aus den Händen zu reißen und ganz unrechtmäßig ihm selbst zuzueignen. Welch ein frevelhaftes Beginnen, das mir, als ich´s vernommen, so sehr zu Herzen ging, daß ich darüber in eine höchst gefährliche Krankheit geriet, von welcher ich bis auf diese Stunde noch nicht genesen kann. Nichtsdestoweniger habe ich meinem geliebten Sohn Simplicio anbefohlen, anstatt meiner ein Traktätchen anzufertigen und solches euch, hochwerten Landsleuten, mit Eile zuzuschicken, auch euer Urteil darüber zu vernehmen, dessen Titel also lautet:

 

Derer in fremde Ämter greifenden Frevler rechtmäßige Nägelbeschneidung.

 

Ich hoffe, solch ein Werk werde ihnen nicht unangenehm sein, weil darinnen solche arcana [Geheimnisse] enthalten sind, welche vortreffliche Mittel an die Hand geben, das Seinige in höchster Zufriedenheit und angenehmster Sicherheit zu besitzen. Indessen lasset euch diese Edition meiner Lebensbeschreibung, darin meines Verlegers Name sich befindet, vor andern lieb sein; dann die anderen Exemplare, darin sich das Widerspiel befindet, werde ich, so wahr ich Simplicissimus heiße, nicht vor meine Geburt erkennen, sondern, weil ich Atem hole, anzufeinden, und wo ichs sehe, aus selben Scharmützel zu machen, und nicht zu unterlassen, auch dem Nachdrucker eine Kopie davon zu übersenden. Im übrigen kann ich auch nicht unangedeutet lassen, daß mein Verleger meinen Ewigwährenden Kalender vor kurz verwichner Zeit mit großer Mühe und Unkosten auch zu Ende brachte, in gleichem noch viele annehmliche Traktätchen, als das Schwarz und Weiß oder Satirische Pilgram, die Landstörzerin Courage, den Abenteuerlichen Springinsfeld, den Keuschen Joseph samt seinem getreuen Diener Musai, und die anmutige Liebs- und Leidsbeschreibung Dietwalds und Amelinden samt den zweiköpfigen Ratio Status ans Tageslicht gebracht, dabei auch künftig in einem kleinen Jahrbuch oder Kalender in Quart die Continuatio [Fortsetzung] meiner wunderlichen Begebnisse, so ich und mein junger Simplicio leben werden, folgen soll, nun euch, geliebten Landsleuten, dadurch einigen Gefallen zu bezeigen. Sollte sich ein zu täppischer und fremdes Gut begehrender Langfinger gleichfalls finden, selbigen nachzumachen und nachzuformen, soll ihm gewiß ein solches Bad oder Vergeltung zugerichtet werden, daß er sein Lebtag an Simplicissimum gedenken soll. Dies bitte ich, ihr Herren Landsleut, wollet, wo ihr euch befindet, nicht ungeachtet lassen. Diene euch hinwiederum, wo ich kann und weiß, und verbleibe

Euer

 

Stets beharrlich dienender

Simplicius Simplicissimus