Cover_Proust_Zeit.png

Innentitel_Verlorene_Zeit.png

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (Teilausgabe)

Vorwort des Herausgebers

Lange Zeit deutete nichts darauf hin, dass Marcel Proust einmal einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts werden sollte. Wie auf einem schmalen Grat war er in seinem Leben dahin gewandert: Auf der einen Seite ein bequemes Luxusleben, Urlaub in mondänen Badeorten, Frauen-(und Männer-)geschichten – auf der anderen Seite die Aussicht auf Ruhm und Ehre, auf den einen großen Roman, der alles erzählt. Mit heutigen Worten würde man es wohl eine Midlife-Crisis nennen, die ihn dazu brachte, sich für eine Seite zu entscheiden.

Er war nun fast 40 Jahre alt, er war am Leben vorbeigezogen, und das Leben an ihm. Seine ständige Krankheit, das Asthma, plagte ihn immer mehr. Er dachte an das Danach, und es schien nichts zu bleiben. Würde er ausgelöscht werden, wie alle anderen? Oder konnte er etwas Bleibendes, etwas Großes, etwas Ewiges schaffen? Endlich entschied er sich für eine Seite, setzte sich in einen verdunkelten, schallisolierten Raum und machte sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit. Die Zeit, an der er achtlos ›vorbeigelebt‹ hatte. Nun versuchte er, sie wieder einzufangen. Ende des Jahres 1909 schrieb er an eine Bekannte, die Comtesse de Noailles: »Ich habe zu arbeiten begonnen.«

Stark autobiographisch geprägt, erzählt das Werk seine eigene Entstehungsgeschichte nach. Geht zurück zur Kindheit und Jugend des Protagonisten, zeichnet wie ein überdimensionales Wandgemälde die Nuancen, Schattierungen und Veränderungen der Epoche, des ›Fin de siècle‹. Und spürt mittels allgegenwärtiger Assoziationen längst vergessenen, verborgenen Erinnerungen hinterher. Der Ich-Erzähler macht sich, stellvertretend für den Autor, auf die Suche nach der verlorenen Zeit, erlebt vergangene Krisen, Liebschaften und Wirrungen wieder, wandert mit ihm auf dem Pfad der Unentschlossenheit – bis er sich endlich zum Schreiben entschließt. Dort endet das Werk. Welch genialer literarischer Kunstkniff. »Prousts ›Recherche‹ markiert den Beginn des modernen Romans im 20. Jahrhundert ... Die Bedeutung des Werkes erschöpft sich (...) nicht in der Psychologie des Sich-Erinnerns; die ›Suche nach der verlorenen Zeit‹ ist zugleich eine Theorie des Kunstwerks ...« [1]

© A. Fischer, Redaktion eClassica, 2014

 

Über den Autor

Valentin Louis Georges Eugène Marcel Proust, (* 10. Juli 1871 in Paris; † 18. November 1922 ebenda) kam im noblen Pariser Stadtviertel Auteuil in der Nähe des Bois de Boulogne zur Welt. Der Vater Adrien war Chef einer Klinik, die Mutter Jeanne entstammte einer reichen jüdischen Börsenmaklerfamilie – und ihr würde er, wie der spätere Briefwechsel ausweist, bis zu ihrem Lebensende aufs allerengste verbunden bleiben.

Nach einem Studium der Rechts- und Literaturwissenschaften und einer kurzen Beschäftigung in der Bibliothek Mazarine in Paris, führte er – durch die Erbschaft der Mutter wohlhabend geworden – zunächst ein Salonleben, das nur von gelegentlichen Reisen unterbrochen wurde. Zwar hatte er bereits zu Schulzeiten literarische Versuche gewagt, und es gibt auch ein Frühwerk (›Tage der Freuden‹, 1896), doch kaum etwas deutete auf ein Werk von Umfang und Gewicht der ›Recherche‹ hin. Erst die Entdeckung des Romanfragments ›Jean Santeuil‹, (1896–1905) weist Prousts Leben als kontinuierliche literarische Anstrengung aus.[2]

Im Jahr 1907 stellte Proust Alfred Agostinelli als Chauffeur an; 1912 wurde Agostinelli sein Sekretär und ihre Beziehung wurde vertrauter. Proust verliebte sich unglücklich in ihn – den bereits Gebundenen. Ab 1909 hatte sich Proust ausschließlich der ›Suche nach der verlorenen Zeit‹ (Originaltitel: ›À la recherche du temps perdu‹) gewidmet. Er zog sich – immer wieder von Asthmaanfällen geplagt – aus dem sozialen Leben fast zurück, verschloss sich häufig in einem schallisolierten Zimmer, und schrieb und schrieb. Am 13. November 1913 erschien ›Du côté de chez Swann‹ als erster Band des mehrbändigen Werkes auf seine eigene Kosten, nachdem der Roman von Verlagen, u.a. von André Gide als Lektor bei Gallimard, abgelehnt worden war.

Im Dezember 1919 erhielt Marcel Proust für den zweiten Band seiner ›Recherche‹: ›À l’ombre des jeunes filles en fleurs‹ (dt.: ›Im Schatten junger Mädchenblüte‹) den Prix Goncourt, den wichtigsten französischen Literaturpreis. »Der Moribunde (lebte) für kurze Zeit noch einmal auf. Er ging wieder aus, meistens nachts, und dinierte im Hotel Ritz, wo er totenbleich, mit fiebrigen Augen erschien, in einem hocheleganten, aber derangierten Abendanzug, aus dessen Jackett wärmende Wattebäusche hervorsahen – ein charmantes Gespenst, ein ›Jüngling von fünfzig Jahren‹ (so die Schriftstellerin Colette). [3]

Ein Jahr später ernannte man ihn zum Ritter der Ehrenlegion. Als er im März 1922 sein Werk vollendet hatte, betrachtete er dies als Erfüllung seines Lebens. Nur ein halbes Jahr danach, am 18. November 1922 starb Marcel Proust und wurde mit militärischen Ehren auf dem Friedhof Père-Lachaise neben seinen Eltern beigesetzt. Postum erschienen die letzten drei Bände des Großromans: ›La Prisonnière‹, ›La Fugitive‹ und ›Le temps retrouvé‹.

 

Über Buch und eBook

Marcel Proust schrieb den Roman ›Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‹ (frz. Originaltitel: ›À la recherche du temps perdu‹) zwischen 1908 und 1922. Veröffentlicht wurde er zwischen 1913 und 1927.

Das Werk besteht aus sieben Bänden (in Klammern das Jahr der Publikation):

Du côté de chez Swann – In Swanns Welt (1913)

À l’ombre des jeunes filles en fleurs – Im Schatten junger Mädchenblüte (1919)

Le Côté de Guermantes – Die Welt der Guermantes I&II (1920/21)

Sodome et Gomorrhe – Sodom und Gomorra I&II (1921/22)

La Prisonnière – Die Gefangene (postum, 1923)

La Fugitive – Die Entflohene (postum, 1925)

Le Temps retrouvé – Die wiedergefundene Zeit (postum, 1927)

Für den zweiten Band, ›À l’ombre des jeunes filles en fleurs‹ (dt.: ›Im Schatten junger Mädchenblüte‹) erhielt Marcel Proust den Prix Goncourt, den wichtigsten französischen Literaturpreis. Diesen, ebenso wie die beiden Teile des dritten Bandes, ›Die Welt der Guermantes‹, enthält unser eBook.

© Redaktion eClassica, 2014

 

________

Anmerkungen:

[1] & [2] zitiert nach: Der große Brockhaus Literatur, Wiesbaden 2002.

[3] zitiert nach: Proust-Briefe: ›Sehr geliebte Mama ...‹. Der Spiegel 47/1964

 

Verwendete Quellen:

Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Walter Mehring in: Zeit-Bibliothek der 100 Bücher, Suhrkamp, Frankfurt 1978

• Proust-Briefe: ›Sehr geliebte Mama‹. Der Spiegel 47/1964

• Der große Brockhaus Literatur, Mannheim, Leipzig 2007