Vorwort: Auf Shakespeares Spuren

»Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind,

und unser kleines Leben ist von einem Schlaf umringt.«

aus: The Tempest (Der Sturm), Prospero, 4. Akt, 1. Szene

 

Shakespeares Tagebücher – sie sind soetwas wie das »Unobtainium«[1] der Literaturgeschichte. Der Stoff, hinter dem alle her sind, der Stoff der alles verändert, der Stoff, der ein ganz neues Zeitalter der (Literatur-) Wissenschaft begründen würde. Leider gibt es sie nicht. Beinahe eine Million Wörter umfassen seine Stücke und Dramen, aber nur 14 handschriftliche Wörter hat uns William Shakespeare hinterlassen. Damit beginnt das ganze Dilemma rund um diesen Autor. Er spricht zu uns durch seine Stücke, doch privat wissen wir so gut wie nichts über ihn.

William Shakespeare (1564–1616) ist das vielleicht größte Mysterium der gesamten Literatur. Gab es ihn überhaupt? Oder ist der Name womöglich nur das Pseudonym eines Unbekannten, der seine Identität verschleiern wollte? Jedoch, falls es ihn gab, falls er authentisch war: Wie kam er, der kleine Schauspieler und Stückeschreiber, zu dem umfassenden Wissen, zu der Sprachgewalt und Sprachvielfalt, die nötig war, um seine Dramen und Lustspiele zu schreiben? 29.066 verschiedene Wörter zählten unermüdliche Shakespeare-Forscher in seinen Werken, rund 2000 Wörter schuf er neu, verwendete sie zum ersten Mal. Allein im ›Hamlet‹ flogen dem staunenden Publikum an die 600 neue Wortschöpfungen um die Ohren. Und der Großteil davon war so elegant, sprachverkürzend und praktisch, dass sie in die englische Umgangssprache einflossen. Noch deutlicher bei den Phrasen und Sprichwörtern: Rund 10 Prozent der heute im Englischen meist-gebrauchten Wendungen sind Shakespeare-Erfindungen. Verblüffend auch die stilistische Vielfalt und der enorme Metaphernreichtum dieses Autors.

Über Shakespeares Wirkung weiß man also allerhand. Jedoch die Fakten, die man über das Leben dieses Mann kennt, sind spärlich, sie lassen sich auf ein paar Papierblättern zusammenfassen. Die Sekundärliteratur über Shakespeare umfasst hingegen einige zehntausend Bände in allen möglichen Sprachen. Angesichts kümmerlicher harter Fakten bleibt Shakespeare-Biographen neben dem verzweifelten und fast aussichtslosen Quellenstudium in alten Gerichtsakten [auf der Suche nach dem Namen Shakespeare], nur »draufloszuspekulieren oder sich einzureden, dass sie mehr wissen, als sie wissen.«[2]

Was man an Fakten kennt, lässt sich etwa so zusammenfassen:

Als William Shakespeares Geburtsdatum wird oft der 23. April 1564 genannt, doch dieses Datum ist nicht gesichert; bekannt ist laut Kirchenregister der Holy Trinity Church in Stratford-upon-Avon nur der Tag seiner Taufe, der 26. April. Shakespeares Vater war der Weißgerber und Handschuhmacher John Shakespeare, der ein zielstrebiger und karrierebewusster Mann gewesen sein muss, denn er brachte es schließlich bis zum Amt des High Bailiff, was dem Bürgermeister entspricht. Parallel taucht Johns Name aber auch immer wieder in Gerichtsakten in Zusammenhang mit Zinswucher und Schulden auf. Shakespeares Mutter Mary Arden entstammte der Nebenlinie einer bekannten und wohlhabenden Familie. William hatte sieben Geschwister, drei Jungen und vier Mädchen, von denen die meisten früh starben, und nur seine fünf Jahre jüngere Schwester Joan ihn um 30 Jahre überlebte.

Vermutlich besuchte der junge William die Lateinschule [›Grammar School‹] in Stratford-upon-Avon, die damals ein verglichen mit anderen Städten hohes Niveau hatte. Die Kinder erhielten dort bis zum 15. Lebensjahr Unterricht in Latein, Griechisch, Geschichte, Morallehre und Dichtkunst. Auch Grundkenntnisse der Rhetorik und Poetik wurden vermutlich gelehrt – und das alles in einer Intensität und Stringenz, die mit heutigen Schulen kaum vergleichbar ist. Eine Universität hat Shakespeare, nach dem was man weiß, jedoch nicht besucht.

Bereits im Alter von 18 Jahren heiratet William Shakespeare die acht Jahre ältere Bauerntochter Anne Hathaway, die zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger war. Das Aufgebot wurde am 27. November 1582 bestellt, das Datum der Hochzeit ist nicht bekannt. Etwa sechs Monate nach der Trauung wird Tochter Susanna geboren. Knapp zwei Jahre später kommen dann die Zwillinge, der Sohn Hamnet und die Tochter Judith, zur Welt. Hamnet starb noch im Kindesalter, im Alter von elf Jahren. Über das Verhältnis von Shakespeare zu seiner Frau Anne weiß man absolut nichts – bis auf die Tatsache, dass er ihr in seinem Testament das »zweitbeste Bett« vermachte.

Über die Jahre zwischen seinem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr, in denen sich Shakespeare vermutlich vorwiegend in Stratford-upon-Avon aufhielt, ist ebenfalls so gut wie nichts bekannt. Das erste schriftliche Dokument, das belegt, dass er in London aufgetaucht war, stammt vom Dichter Robert Greene, der ihn 1592 in einem Pamphlet als Emporkömmling diffamiert. Greene lästert, Shakespeare maße sich an zu dichten, obwohl er nicht wie die angesehenen Dichter seiner Zeit an einer Universität studiert habe: »Es gibt eine emporgekommene Krähe, die [...] in einem Schauspielergewand versteckt, meint, Blankverse ausschütten zu können wie die Besten von euch; und als ein absoluter Hans-Dampf-in-allen-Gassen kommt er sich als der einzige Theater-Erschütterer[3] im Lande vor.«

Shakespeare schreibt in London Schauspiele für seine Theatertruppe, an der er finanziell beteiligt ist, und spielt als Schauspieler in wechselnden Rollen mit. Welche Rollen er sich dabei aussucht, wissen wir nicht. Wie die Tagebuchaufzeichnungen des Theaterunternehmers Philip Henslowe belegen, waren die Stücke sehr erfolgreich. Neben seinen dramatischen Arbeiten verfasst Shakespeare (vermutlich als die Theater Londons wegen der Pest-Epidemien zeitweise schließen mussten) auch lyrische und epische Werke. Wohl im Jahr 1593 schreibt er die Verserzählung Venus und Adonis, 1609 erschien ein Band mit 154 Shakespeare-Sonetten [beides in diesem eBook enthalten, red.].

Ab 1599 ist Shakespeare Mitbesitzer des Londoner Globe Theatre. Als Teilhaber des Globe erwirbt er sich Vermögen und Einfluss. Seinem Vater John wird um diese Zeit ein Familienwappen gewährt, das dieser schon zwanzig Jahre zuvor erfolglos beantragt hatte. 1597 kauft Shakespeare das zweitgrößte Haus in seiner Geburtsstadt Stratford und beteiligt sich an einem weiteren Londoner Theater, dem Blackfriars Theatre.

Mit 46 Jahren kehrt Shakespeare als reicher Mann nach Stratford zurück und verbringt dort seine letzten Lebensjahre. Doch beteiligt er sich weiterhin an einigen Londoner Theaterproduktionen als Mitautor. Im Alter von nur 52 Jahren, am 23. April 1616, stirbt er in Stratford und wird in der Holy Trinity Church beigesetzt. Die Todesursache ist nicht bekannt. Etwa 50 Jahre nach seinem Tod notiert jedoch John Ward, Vikar der Holy Trinity Church in Stratford, in sein Tagebuch: »Shakespeare, Drayton und Ben Jonson hatten ein fröhliches Zusammentreffen und tranken dabei anscheinend zu viel; denn Shakespeare starb an einem Fieber, das er sich dabei zugezogen hatte.« Diese Aussage wird heute als anekdotenhaft eingestuft – aber es ist alles, was man hat.

Handschriftliches von William Shakespeare ist so gut wie nichts hinterlassen, bis auf einige Unterschriften, die auch noch alle recht unterschiedlich ausfallen. Auch mit den bildlichen Shakespeare-Darstellungen ist es so eine Sache: Das eine, das allgemein als Shakespeare identifiziert wird, könnte ihn darstellen: Die Zeit stimmt, die Kleidung stimmt – gesichert ist es aber nicht, dass dieses Porträt[4] Shakespeare zeigt. Zwei weitere, die enger mit dem Künstler verknüpft sind – der Stich auf der Erstausgabe, und die Büste an seinem Grab, sind von minderer Qualität, schlecht proportioniert und dergestalt, dass man sich eigentlich wünscht, Shakespeare hätte so nicht ausgesehen. Das einzige halbwegs zeitgenössische ›Porträt in Worten‹ stammt aus dem Jahre 1680, verfasst von John Aubrey, der zehn Jahre nach Shakespeares Tod geboren wurde: »Er war ein gutaussehender, wohlgebildeter Mann, immer guter Dinge und von sehr raschem angenehm feinem Witz«[5].

Was Shakespeare privat bewegte, ob er jemals England verlassen hat, wer seine engsten Freunde waren, wie er es mit der Sexualität und Religion hielt; – wie er selbst politisch dachte (nicht seine Protagonisten), was er mit Vorliebe aß und trank, wie er sich die Zeit vertrieb – wir wissen es nicht. Und es gibt gerade eine Handvoll Tage, von denen man mit Sicherheit sagen kann, wo er sich aufhielt.

Indes, dass die Faktenlage so kümmerlich ist, ist gar nicht ungewöhnlich. Es entspricht eher dem, was man an dokumentierter Biographie eines Theater-Schriftstellers dieser Zeit erwarten kann.[6] Durch die intensive Forschung weiß man über Shakespeare inzwischen sogar verhältnismäßig viel, verglichen mit anderen Theaterleuten dieser Zeit. Thomas Dekker etwa war damals einer der führenden Stückeschreiber, und doch wissen wir wenig mehr über ihn, »als dass er in London geboren wurde, sehr produktiv war und gelegentlich Schulden hatte. Ben Jonson war noch berühmter, doch die meisten und wichtigsten Lebensdaten, Jahr und Ort seiner Geburt, wer seine Eltern waren, wie viele Kinder er hatte – sind unbekannt oder nicht verbürgt.«[7]

Diese nüchterne Einordnung der Faktenlage entzieht Verschwörungstheorien schnell den Boden. Was uns an Shakespeare so irritiert, ist, dass wir seine Stücke wohl fast vollständig überliefert bekamen, aber über ihn als Mensch so gut wie nichts wissen. Das macht unzufrieden, das lässt Grübeln und Graben. Aber – außer ein sensationeller Tagebuch-Fund taucht auf – werden wir dem Menschen Shakespeare nach Jahrhunderten nicht mehr auf die Schliche kommen. Er spricht zu uns durch seine Werke. Und dass wir diese haben, ist auch nicht selbstverständlich. Unglaublich viel aus dieser Zeit ist unwiederbringlich verloren gegangen. Die Werksammlung ist einigen von Shakespeares Schriftsteller-Kollegen zu verdanken, die schon zu Lebzeiten seine Genialität erkannten und kurz nach seinem Tode einen mehr oder weniger vollständigen Band der Werke zusammenstellten, die berühmte erste Folioausgabe.[8]

Doch nichts, was wir über Shakespeare wissen, gewährt uns auch nur den geringsten Einblick in seine Überzeugungen und sein Gefühlsleben. Alles bleibt der Interpretation überlassen. »Wir können zur Kenntnis nehmen, was aus seinem Werk spricht. Was hineingeflossen ist, können wir nur vermuten.«[9] So bleibt Shakespeare allgegenwärtig, all-deutbar und letztlich überlebensgroß, weil als Mensch nicht greifbar, und also auch nicht angreifbar.

© A. Fischer, Redaktion eClassica, März 2014

 

Über dieses eBook

Ende April 2014 jährt sich William Shakespeares Geburtstag zum 450. Mal. Für viele ein Anlass, sich wieder mit dem vielleicht berühmtesten Sohn Englands auseinanderzusetzen. Die Zahl der Shakespeare-Stücke ist zwar nicht unüberschaubar, aber für Laien doch schwer taxierbar. Was ist bedeutend, was muss man gelesen (gesehen) haben? Was ist unverzichtbar, wenn man über Shakespeare spricht?

Das vorliegende eBook trifft eine, wie wir meinen, sehr gute Auswahl, unterstützt von Shakespeare-Kennern und den Websites shakespeare-online.com und listverse.com, die eigene Shakespeare-›Ranglisten‹ führen. Ausgewählt wurden letztlich zwölf Stücke, darunter Komödien, Tragödien und Historiendramen, und in der Reihenfolge ihrer Bedeutsamkeit angeordnet – wobei man darüber natürlich trefflich streiten kann. Ganz am Ende dann noch das unverzichtbare Versepos »Venus und Adonis« sowie die Sonette. Jede Auswahl kann natürlich nur ein subjektiver Versuch sein, und manche Stücke werden sicher vermisst – bitte liebe Shakespeare-Freunde, sehen Sie uns das nach.

Shakespeare schuf sein Hauptwerk zwischen den Jahren 1589 and 1613. Eine genaue Datierung ist trotz akribischer Forscherarbeit für die meisten Stücke nicht gelungen. (Spekulative) Jahresangaben zur Erstaufführung gibt es darum in diesem eBook nicht. Viele erhellende Anmerkungen der Übersetzer wurden beibehalten, ebenso wie (im Wesentlichen) die ursprüngliche, für unseren heutigen Geschmack gewöhnungsbedürftige Orthographie.

 

________

Anmerkungen:

[1] Sagenhafte, nicht beschaffbare Substanz (aus dem englischen Wort unobtainable – ›nicht beschaffbar‹). Besonders in (Hollywood-) Science-Fiction-Filmen ist so eine Substanz essentieller Bestandteil des Plots. Der Begriff fand dadurch Verbreitung in der Umgangssprache Hollywoods. In Filmen hat die magische Substanz meist einen anderen Namen, Ausnahme z.B. »Avatar«, wo das Unobtainium tatsächlich so genannt wird.

[2] So Bill Bryson in seinem amüsanten Buch ›Shakespeare – wie ich ihn sehe‹; siehe Quellen.

[3] Im Originaltext: ›Shake-scene‹ (also etwa: Szenen-Schüttler, Theater-Erschütterer) als Anspielung auf Shakespeare.

[4] Das sogenannte Chandos-Porträt wurde wahrscheinlich zwischen 1600 und 1610 nach dem Leben gemalt und ist nach dem ehemaligen Eigentümer des Bildes James Brydges, 3rd Duke of Chandos benannt. Das Porträt wurde 1856 der Stiftung der National Portrait Gallery übergeben und ist als der erste Erwerb dieser Sammlung gelistet. Bisher konnte weder mit Gewissheit festgestellt werden, wer das Bild gemalt hat, noch ob es tatsächlich Shakespeare abbildet. Jedoch glaubt die National Portrait Gallery, dass es wahrscheinlich den Dichter zeigt. (nach Wikipedia)

[5] zitiert nach Bill Bryson in: ›Shakespeare – wie ich ihn sehe

[6] gemäß David Thomas, Chefarchivar des Englischen Nationalarchivs, zitiert nach Bill Bryson

[7] Bill Bryson in: ›Shakespeare – wie ich ihn sehe‹

[8] Shakespeares ehemalige Theaterkollegen John Heminges und Henry Condell veröffentlichten sieben Jahre nach seinem Tod seine Werke unter dem Titel Mr William Shakespeare’s Comedies, Histories and Tragedies in einem großformatigen Buch, ›First Folio‹ genannt. Dem Band ist eine Würdigung durch Ben Jonson vorangestellt, in der es heißt:

»Triumph my Britain, thou hast one to show
To whom all scenes of Europe homage owe.
He was not of an age, but for all time! ...«

[9] Bill Bryson in: ›Shakespeare – wie ich ihn sehe‹

 

Verwendete Quellen:

• Alan Posener: William Shakespeare, Rowohlt, Hamburg 1995

• Der große Brockhaus Literatur, Wiesbaden 2002

Bill Bryson: Shakespeare, The World as a Stage, Harper Press, London 2007

deutsche Ausgabe: Bill Bryson: Shakespeare – wie ich ihn sehe, Goldmann, München 2008

Websites: shakespeare-online.com, listverse.com, plays.about.com, william-shakespeare.info, Wikipedia

 


Was ihr wollt

Ein Lustspiel

Titel der englischen Original-Ausgabe: Twelfth Night, or What you will

Übersetzt von Christoph Martin Wieland

 

Personen:

Orsino, Herzog von Illyrien.
Sebastiano
, ein junger Edelmann, Bruder der Viola.
Antonio, ein Schiff-Capitain.
Valentin,
Curio, Hofleute des Orsino.
Sir Tobias Rülps, Olivia’s Oheim.
Sir Andreas Fieberwange, sein Zechbruder.
Ein Schiffhauptmann, Viola’s Freund.
Fabian, Diener der Olivia.
Malvolio, ihr Hausmeister.
Hans Wurst.
Olivia, eine Dame von grosser Schönheit, Stand und Reichthum, in
die Orsino verliebt ist.
Viola, in den Herzog verliebt.
Maria, Olivia’s Kammer-Jungfer.
Ein Priester, Matrosen, Officianten und andre stumme Personen.

Die Scene, eine Stadt an der Küste von Illyrien.

 

Erster Aufzug.

Erste Scene.

(Der Pallast.)

Der Herzog, Curio, und etliche Herren vom Hofe treten auf.


Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist, so spielt fort; stopft mich voll damit, ob vielleicht meine Liebe von Ueberfüllung krank werden, und so sterben mag - - Dieses Passage noch einmal; - - es hat einen so sterbenden Fall: O, es schlüpfte über mein Ohr hin, wie ein sanfter Südwind, der Gerüche gebend und stehlend über ein Violen-Bette hinsäuselt. - - Genug! nichts mehr! Es ist nicht mehr so anmuthig, als es vorhin war. O Geist der Liebe, wie sprudelnd und launisch bist du! weit und unersättlich wie die See, aber auch darinn ihr ähnlich, daß nichts da hineinkömmt, von so hohem Werth es auch immer sey, das nicht in einer Minute von seinem Werth herab und zu Boden sinke - -

Curio.
Wollt ihr jagen gehen, Gnädigster Herr?

Herzog.
Was?

Curio.
Den Hirsch.

Herzog.
- - Wie? das wäre das edelste was ich habe: O, wie ich Olivia zum erstenmal sah, däuchte mich, sie reinigte die Luft von einem giftigen Nebel; von diesem Augenblik an ward’ ich in einen Hirsch verwandelt, und meine Begierden, gleich wilden, hungrigen Hunden, verfolgen mich seither - -

 

Valentin tritt auf.

Nun, was für eine Zeitung bringt ihr mir von ihr?

Valentin.
Gnädigster Herr, ich wurde nicht vorgelassen; alles was ich statt einer Antwort erhalten konnte, war, daß ihr Kammer-Mädchen mir sagte, die Luft selbst sollte in den nächsten sieben Jahren ihr Gesicht nicht bloß zu sehen kriegen; sondern gleich einer Kloster-Frau will sie in einem Schleyer herum gehen, und alle Tage ein mal ihr Zimmer rund herum mit Thränen begiessen: Alles diß aus Liebe zu einem verstorbenen Bruder, dessen Andenken sie immer frisch und lebendig in ihrem Herzen erhalten will.

Herzog.
O, Sie, die ein so fühlendes Herz hat, daß sie einen Bruder so sehr zu lieben fähig ist; wie wird sie lieben, wenn Amors goldner Pfeil die ganze Heerde aller andern Zuneigungen, ausser einer einzigen, in ihrer Brust getödtet hat? Wenn Leber, Gehirn und Herz, drey unumschränkte Thronen, alle von Einem (o entzükende Vorstellung) von Einem und demselben König besezt und ausgefüllt sind! Folget mir in den Garten - - Verliebte Gedanken ligen nirgends schöner, als unter einem grünen Thron-Himmel, auf Polstern von Blumen.

(Sie gehen ab.)

 

Zweite Scene.

(Die Strasse.)

Viola, ein Schiffs-Capitain, und etliche Matrosen.


Viola.
In was für einem Lande sind wir, meine Freunde?

Capitain.
In Illyrien, Gnädiges Fräulein.

Viola.
Und was soll ich in Illyrien machen, da mein Bruder im Elysium ist? - - Doch vielleicht ist er nicht umgekommen; was meynt ihr, meine Freunde?

Capitain.
Es ist ein blosses Glük, daß ihr selbst gerettet worden seyd.

Viola.
O mein armer Bruder! - - aber, hatt’ er dieses Glük nicht auch haben können?

Capitain.
Es ist wahr; und wenn die Hoffnung eines glüklichen Vielleicht Eu. Gnaden beruhigen kan, so versichre ich euch, wie unser Schiff strandete, und ihr und diese wenigen, die mit euch gerettet wurden, an unserm Boot hiengen, da sah ich euern Bruder, selbst in dieser äussersten Gefahr, Muth und Vorsicht nicht verliehrend, sich selbst an einen starken Mast binden, der auf der See umhertrieb; und auf diese Art schwamm er, wie Arion auf dem Rüken des Delphins, durch die Wellen fort, bis ich ihn endlich aus den Augen verlohr.

Viola.
Hier ist Gold für diese gute Nachricht. Meine eigne Rettung läßt mich auch die seinige hoffen, und dein Bericht bestärkt mich hierinn. Bist du in dieser Gegend bekannt?

Capitain.
Ja, Madam, sehr wohl; der Ort wo ich gebohren und erzogen wurde, ist nicht drey Stunden Wegs von hier entfernt.

Viola.
Wer regiert hier?

Capitain.
Ein edler Herzog, den Eigenschaften und dem Namen nach.

Viola.
Wie nennt er sich?

Capitain.
Orsino.

Viola.
Orsino? Ich erinnre mich, daß ich von meinem Vater ihn nennen hörte; er war damals noch unvermählt.

Capitain.
Er ist’s auch noch, oder war’s doch vor kurzem; denn es ist nicht über einen Monat, daß ich von her abreisete, und damals murmelte man nur einander in die Ohren, (ihr wißt, wie gerne die Kleinern von dem, was die Grossen thun, schwazen,) daß er sich um die Liebe der schönen Olivia bewerbe.

Viola.
Wer ist diese Olivia?

Capitain.
Eine junge Dame von grossen Eigenschaften, die Tochter eines Grafen, der vor ungefehr einem Jahr starb, und sie unter dem Schuz seines Sohns, ihres Bruders, hinterließ; aber auch diesen hat sie erst kürzlich durch den Tod verlohren; und man sagt, sie sey so betrübt darüber, daß sie die Gesellschaft, ja so gar den blossen Anblik der Menschen verschworen habe.

Viola.
Wenn ich nur ein Mittel wißte, in die Dienste dieser Dame zu kommen, ohne eher in der Welt für das was ich bin bekannt zu werden, als ich es selbst meinen Absichten vorträglich finden werde.

Capitain.
Das wird schwer halten; denn sie läßt schlechterdings niemand vor sich, sogar den Herzog nicht.

Viola.
Du hast das Ansehen eines rechtschaffnen Manns, Capitain; und obgleich die Natur manchmal den häßlichsten Unrath mit einer schönen Mauer einfaßt, so will ich doch von dir glauben, daß dein Gemüth mit diesem feinen äusserlichen Schein übereinstimme: Ich bitte dich also, (und ich will deine Mühe reichlich belohnen,) verheele was ich bin, und verhilf mir zu einer Verkleidung, die meinen Absichten beförderlich seyn mag. Ich will mich in die Dienste dieses Herzogs begeben; stelle mich ihm als einen Castraten vor; es kan deiner Mühe werth seyn; ich kan singen, ich spiele verschiedene Instrumente, und bin also nicht ungeschikt ihm die Zeit zu verkürzen; was weiter begegnen kan, will ich der Zeit überlassen; nur beobachte du auf deiner Seite ein gänzliches Stillschweigen über mein Geheimniß.

Capitain.
Seyd ihr sein Castrat, ich will euer Stummer seyn. Verlaßt euch auf meine Redlichkeit.

Viola.
Ich danke dir; führe mich weiter.

(Sie gehen ab.)

 

Dritte Scene.

(Verwandelt sich in ein Zimmer in Olivia’s Hause.)

Sir Tobias und Maria treten auf.

 

Vierte Scene.

Sir Andreas zu den Vorigen.

(Der Character des Sir Tobias und seines Freundes gehört in die unterste Tiefe des Niedrigen Comischen; ein paar müßige, lüderliche, rauschichte Schlingels, deren platte Scherze, Wortspiele und tolle Einfälle nirgends als auf einem Engländischen Theater, und auch da nur die Freunde des Ostadischen Geschmaks und den Pöbel belustigen können. Wir lassen also diese Zwischen-Scenen um so mehr weg, als wir der häuffigen Wortspiele wegen, öfters Lüken machen müßten. Alles was in diesen beyden Scenen einigen Zusammenhang mit unserm Stücke hat, ist dieses, daß Sir Tobias seinen Zechbruder, Sir Andreas, als einen Liebhaber der schönen Olivia ins Haus einführt und ganz ernsthaft der Meynung ist, daß sie ein recht artiges wohlzusammengegattetes Paar ausmachen würden; und daß Jungfer Maria den würdigen Oheim ihrer Dame höflich ersucht, um seiner Gesundheit willen sich weniger zu besauffen; und um der Ehre des Hauses willen, seine Bacchanalien nicht so tief in die Nacht hinein zu verlängern.

 

Fünfte Scene.

(Verwandelt sich in den Pallast.)

Valentin, und Viola in Mannskleidern, treten auf.


Valentin.
Wenn der Herzog fortfährt euch so zu begegnen wie bisher, Cäsario, so werdet ihr in kurzem einen grossen Weg machen; er kennt euch kaum drey Tage, und er begegnet euch schon, als ob es so viele Jahre wären.

Viola.
Ihr müßt entweder seiner Laune oder meiner Aufführung nicht viel gutes zutrauen, wenn ihr die Fortsezung seiner Gunst in Zweifel ziehet. Ist er denn so unbeständig in seinen Zuneigungen, mein Herr?

Valentin.
Nein, das ist er nicht.

Der Herzog, Curio und Gefolge treten auf.

Viola.
Ich danke euch; hier kommt der Herzog.

Herzog.
Sah keiner von euch den Cäsario, he?

Viola.
Hier ist er, Gnädigster Herr, zu Befehl.

Herzog (zu den andern.)
Geht ihr ein wenig auf die Seite – – Cäsario, du weist bereits nicht weniger als alles; ich habe dir das Innerste meines Herzens entfaltet. Geh also zu ihr, mein guter Junge; laß dich nicht abweisen, postiere dich vor ihrer Thüre, und sag ihr, du werdest da wie eingewurzelt stehen bleiben, bis sie dir Gehör gebe.

Viola.
Gnädigster Herr, wenn sie sich ihrer Betrübniß so sehr überläßt, wie man sagt, so ist nichts gewissers, als daß sie mich nimmermehr vorlassen wird.

Herzog.
Du must ungestüm seyn, schreyen, und eher über alle Höflichkeit und Anständigkeit hinüberspringen, als unverrichteter Sachen zurük kommen.

Viola.
Und gesezt, ich werde vorgelassen, Gnädigster Herr, was soll ich sagen?

Herzog.
O dann entfalte ihr die ganze Heftigkeit meiner Liebe; preise ihr meine ungemeine Treue an; es wird dir wol anstehen, ihr mein Leiden vorzumahlen; sie wird es von einem jungen Menschen, wie du, besser aufnehmen, und mehr darauf Acht geben, als wenn ich einen Unterhändler von ernsthafterm Ansehen gebrauchte.

Viola.
Ich denke ganz anders, Gnädigster Herr.

Herzog.
Glaube mir’s, mein lieber Junge; deine Jugend wäre schon genug, diejenigen lügen zu heissen, die dich einen Mann nennten. Dianens Lippen sind nicht sanfter und rubinfarbiger als die deinigen; deine Stimme ist wie eines Mädchens, zart und hell, und dein ganzes Wesen hat etwas weibliches an sich. Ich bin gewiß, du bist unter einer Constellation gebohren, die dich in solchen Unterhandlungen glüklich macht; du wirst meine Sache besser führen, als ich selbst thun könnte. Geh also, sey glüklich in deiner Verrichtung, und du sollst alles was mein ist, dein nennen können.

Viola.
Ich will mein Bestes thun, Gnädigster Herr – – (vor sich.) Eine beschwerliche Commission! Ich soll ihm eine andre kuppeln, und wäre lieber selbst sein Weib.

(Sie gehen ab.)

 

Sechste Scene.

(Olivia’s Haus.)

Maria und der Narr vom Hause treten auf.

(Maria schilt den Narren aus, daß er so lange ausgeblieben, und sagt ihm, die Gnädige Frau werde ihn davor hängen lassen. Der Narr erwiedert dieses Compliment mit Einfällen, an denen der Leser nichts verliehrt; man weiß daß auch der allersinnreichste und unerschöpflichste Hans Wurst doch endlich genöthiget ist, sich selbst zu wiederholen, so gut als ein andrer wiziger Kopf; und so geht es Shakespears Clowns oder Narren von Profeßion auch; sie haben ihre locos communes, auf denen sie wie auf Steken-Pferden herumreiten, wenn ihnen nichts bessers einfallen will; und dieser wird endlich der Zuhörer und der Leser satt.

 

Siebende Scene.

Olivia und Malvolio zu den Vorigen.

Narr.
O Verstand, sey so gut und hilf mir den Narren machen - - Diese gescheidten Leute, welche sich einbilden sie haben dich, beweisen sehr oft daß sie Narren sind; und ich, bey dem es ausgemacht ist, daß ich dich nicht habe, mag für einen weisen Mann gelten. Denn was sagt Quinapalus? Besser ein wiziger Narr, als ein närrischer Wizling! Guten Tag, Frau!

Olivia.
Schaft mir den Narren weg.

Narr.
Hört ihr’s nicht, Kerls? Schaft mir die Frau weg.

Olivia.
O, geh; du bist ein trokner Narr; ich habe deiner genug; zu allem Ueberfluß wirst du zu deiner Albernheit noch ungesittet.

Narr.
Das sind zween Fehler, die sich durch guten Rath und einen Krug Halb-Bier verbessern lassen. Denn, gebt dem troknen Narren zu trinken, so ist der Narr nicht mehr troken: Sagt dem ungesitteten Menschen, wie er sich verbessern soll, so wird er nicht länger ungesittet seyn. Alle Dinge in der Welt, die man ausbessert, werden geflikt; Tugend, die sich vergeht, ist nur mit Sünde geflikt; und Sünde, die sich bessert, ist nur mit Tugend geflikt. Wenn dieser einfältige Syllogismus die Sache ausmacht, wol gut; wo nicht, was ist zu thun? Gleichwie kein andrer wahrer Hahnrey ist als Elend; so ist Schönheit eine vergängliche Blume: Die Gnädige Frau sagte, man solle den Narren wegschaffen, also sag ich noch einmal, schafft sie weg.

Olivia.
Sir, ich befahl daß man euch wegschaffen sollte.

Narr.
Mißverstand im höchsten Grade - - Gnädiges Fräulein, cucullus non facit monachum; das ist auf Deutsch: Mein Hirn sieht nicht so buntschekicht aus als mein Rok: Liebe Madonna, wollt ihr mir erlauben, euch zu beweisen, daß ihr eine Närrin seyd?

Olivia.
Wie willt du das machen?

Narr.
Gar geschikt, gute Madonna.

Olivia.
Nun, so beweise dann.

Narr.
Ich muß euch vorher catechisieren, Madonna, wenn ihr mir antworten wollt.

Olivia.
Gut, Sir, so schlecht der Zeitvertrieb ist, so wollen wir doch euern Beweis hören.

Narr.
Gute Madonna, warum traurest du?

Olivia.
Um meinen Bruder, guter Narr.

Narr.
Ich denke seine Seele ist also in der Hölle, Madonna?

Olivia.
Ich weiß, seine Seele ist im Himmel, Narr.

Narr.
Eine desto grössere Närrin seyd ihr, Madonna, dafür zu trauern, daß euer Bruder im Himmel ist; schaft mir die Närrin weg, meine Herren.

Olivia.
Was denkt ihr von diesem Narren, Malvolio? Verbessert er sich nicht?

Malvolio.
Ja, und wird sich verbessern bis ihm die Seele ausgehen wird. Zunehmende Jahre machen den vernünftigen Mann abnehmen, und verbessern hingegen den Narren, weil er je älter je närrischer wird.

Narr.
Gott send’ euch ein frühzeitiges Alter, Herr, um eure Narrheit desto bälder zu ihrer Vollkommenheit zu bringen! Sir Tobias würde schwören wenn man’s verlangte, daß ich kein Fuchs sey; aber er würde sich nicht für zwey Pfenninge verbürgen, daß ihr kein Narr seyd.

Olivia.
Was sagt ihr hiezu, Malvolio?

Malvolio.
Mich wundert, wie Eu. Gnaden an einem so abgeschmakten Schurken ein Belieben finden kan; ich sah ihn erst gestern von einem alltäglichen Narren, der nicht mehr Hirn hatte als ein Stein, zu Boden gelegt. Seht nur, er weiß sich schon nicht mehr zu helfen; wenn ihr nicht vorher schon lacht, und ihm die Einfälle die er haben soll auf die Zunge legt, so steht er da, als ob er geknebelt wäre. Ich versichre, diese gescheidte Leute, die über die albernen Frazen dieser Art von gedungenen Narren so krähen können, sind in meinen Augen die Narren der Narren.

Olivia.
O, ihr seyd am Eigendünkel krank, Malvolio, und habt einen ungesunden Geschmak. Edelmüthige, schuldlose und aufgeräumte Leute sehen diese Dinge für Vögel-Schrot an, die euch Canon-Kugeln scheinen; ein Narr von Profeßion kan niemand beschimpfen, wenn er gleich nichts anders thut als spotten; so wie ein Mann von bekannter Klugheit niemals spottet, wenn er gleich nichts anders thäte als tadeln.

Maria zu den Vorigen.

Maria.
Gnädige Frau, es ist ein junger Herr vor der Thüre, der ein grosses Verlangen trägt, mit Euer Gnaden zu sprechen.

Olivia.
Von dem Grafen Orsino, nicht wahr?

Maria.
Ich weiß es nicht, Gnädige Frau, er ist ein hübscher junger Mann, und er macht Figur.

Olivia.
Wer von meinen Leuten unterhält ihn?

Maria.
Sir Tobias, Gnädige Frau, euer Oehm.

Olivia.
Macht daß ihr ihn auf die Seite bringt, ich bitte euch; er spricht nichts als tolles Zeug; der garstige Mann! Geht ihr, Malvolio; wenn es eine Gesandschaft vom Grafen ist, so bin ich krank oder nicht bey Hause: Sagt was ihr wollt, um seiner los zu werden.

(Malvolio geht ab.)

Ihr seht also, Sir, eure Narrheit wird alt und gefällt den Leuten nicht mehr.

Narr.
Du hast unsre Parthey genommen, Madonna, als ob dein ältester Sohn zu einem Narren bestimmt wäre; Jupiter füll’ ihm seinen Schedel mit Hirn aus! Hier kommt einer von deiner Familie, der eine sehr schwache pia mater hat - -

 

Achte Scene.

Sir Tobias zu den Vorigen.


Olivia.
Auf meine Ehre, halb betrunken. Wer ist vor der Thür, Onkel?

Sir Tobias.
Ein Edelmann.

Olivia.
Ein Edelmann? Was für ein Edelmann?

Sir Tobias.
Ein Mutter-Söhnchen, dem Ansehen nach - - der Henker hole diese Pikelhäringe! Was machst du hier, Dumkopf?

Narr.
Guter Sir Toby – –

Olivia.
Onkel, Onkel, wie kommt ihr schon so früh zu dieser Lethargie?

Sir Tobias.
Es ist einer vor der Pforte, sag ich.

Olivia.
Nun, wer ist er denn?

Sir Tobias.
Er kan meinethalb der Teufel selber seyn, wenn er will, was bekümmert mich’s; glaubt mir was ich sage. Gut, es ist all eins.

(Er geht ab.)

Olivia.
Wem ist ein berauschter Mann gleich, Narr?

Narr.
Einem Narren, einem Ertrunknen und einem Rasenden. Das erste Glas über das was genug ist macht ihn närrisch; das zweyte macht ihn rasend; und das dritte ertränkt ihn gar.

Olivia.
So kanst du nur gehen und ein visum repertum über meinen Oehm machen lassen; er ist würklich im dritten Grade der Trunkenheit; er ist ertrunken; geh, sieh zu ihm.

Narr.
Er ist dermalen erst toll, Madonna, und der Narr wird gehn und zu dem Tollhäusler sehen.

(Er geht ab.)

 

Malvolio zu den Vorigen.

Malvolio.
Gnädige Frau, der junge Bursche schwört, daß er mit euch reden wolle. Ich sagte ihm, ihr befändet euch nicht wohl; er antwortet, so komme er eben recht, denn er habe ein vortrefliches Arcanum gegen dergleichen Unpäßlichkeiten. Ich sagte ihm, ihr schliefet, aber es scheint er habe das auch vorher gewußt, und will deßwegen mit euch sprechen. Was soll man ihm sagen, Gnädige Frau? Er will sich schlechterdings nicht abweisen lassen.

Olivia.
Sagt ihm, er solle mich nicht zu sprechen kriegen.

Malvolio.
Das hat man ihm gesagt; und seine Antwort ist, er wolle vor eurer Pforte stehen bleiben wie eine Säule, er wolle das Fußgestell zu einer Bank abgeben; aber er wolle mit euch sprechen.

Olivia.
Von was für einer Gattung Menschen-Kindern ist er?

Malvolio.
Wie, von der männlichen.

Olivia.
Aber was für eine Art von einem Mann?

Malvolio.
Von einer sehr unartigen; er will mit euch reden, ihr mögt wollen oder nicht.

Olivia.
Wie sieht er aus, und wie alt mag er seyn?

Malvolio.
Nicht alt genug, einen Mann und nicht jung genug, einen Knaben vorzustellen; mit einem Wort, ein Mittelding zwischen beyden, ein hübsches, wohlgemachtes Bürschgen, und er spricht ziemlich nasenweise; man dächte, er habe noch was von seiner Mutter Milch im Leibe.

Olivia.
Laßt ihn kommen; ruft mir mein Mädchen.

Malvolio.
Jungfer, die Gnädige Frau ruft.

(Er geht ab.)

 

Neunte Scene.

Maria tritt auf.


Olivia.
Gieb mir meinen Schleyer: Komm, zieh ihn über mein Gesicht: Wir wollen doch noch einmal hören, was Orsino’s Gesandtschaft anzubringen haben wird.

 

Viola zu den Vorigen.

Viola.
Wo ist die Gnädige Frau von diesem Hause?

Olivia.
Redet mit mir, ich will für sie antworten; was wollt ihr?

Viola.
Allerglänzendste, auserlesenste und unvergleichlichste Schönheit - - ich bitte euch, sagt mir, ob das die Frau vom Hause ist, denn ich sah sie noch niemals. Es wäre mir leid, wenn ich meine Rede umsonst gehalten hätte; denn ausserdem daß sie über die maassen wol gesezt ist, so hab ich mir grosse Mühe gegeben, sie auswendig zu lernen. Meine Schönen, eine deutliche Antwort; ich bin sehr kurz angebunden, wenn mir nur im geringsten mißbeliebig begegnet wird.

Olivia.
Woher kommt ihr, mein Herr?

Viola.
Ich kan nicht viel mehr sagen als ich studiert habe, und diese Frage ist nicht in meiner Rolle. Mein gutes junges Frauenzimmer, gebt mir hinlängliche Versicherung daß ihr die Frau von diesem Hause seyd, damit ich in meiner Rede fortfahren kan.

Olivia.
Seyd ihr ein Comödiant?

Viola.
Nein, vom innersten meines Herzens wegzureden; und doch schwör’ ich bey den Klauen der Bosheit, ich bin nicht was ich vorstelle. Seyd ihr die Frau vom Hause?

Olivia.
Wenn ich mich selbst nicht usurpiere, so bin ich’s.

Viola.
Unfehlbar, wenn ihr sie seyd, usurpiert ihr euch selbst; denn was euer ist um es wegzugeben, das kömmt euch nicht zu, für euch selbst zurük zu behalten; doch das ist aus meiner Commißion. Ich will den Eingang meiner Rede mit euerm Lobe machen, und euch dann das Herz meines Auftrags entdeken.

Olivia.
Kommt nur gleich zur Hauptsache; ich schenke euch das Lob.

Viola.
Desto schlimmer für mich; ich gab mir so viele Müh es zu studieren, und es ist so poetisch!

Olivia.
Desto mehr ist zu vermuthen, daß es übertrieben und voller Dichtung ist. Ich bitte euch, behaltet es zurük. Ich hörte, ihr machtet euch sehr unnüze vor meiner Thüre, und ich erlaubte euch den Zutritt mehr aus Fürwiz euch zu sehen, als euch anzuhören. Wenn ihr nicht toll seyd, so geht; wenn ihr Verstand habt, so macht’s kurz; es ist gerade nicht die Monds-Zeit bey mir, da ich Lust habe in einem so hüpfenden Dialog’ eine Person zu machen.

Maria.
Wollt ihr eure Segel aufziehen, junger Herr, hier ligt euer Weg.

Viola.
Nein, ehrlicher Schiffs-Junge, ich werde hier noch ein wenig Flott machen.

Olivia.
Was habt ihr dann anzubringen?

Viola.
Ich bin ein Deputierter.

Olivia.
Wahrhaftig, ihr müßt etwas sehr gräßliches zu sagen haben, da eure Vorrede so fürchterlich ist. Redet was ihr zu reden habt.

Viola.
Es bezieht sich allein auf euer eignes Ohr. Ich bringe keine Kriegs-Erklärung; ich trage den Oelzweig in meiner Hand, und meine Worte sind eben so friedsam als gewichtig.

Olivia.
Und doch fienget ihr unfreundlich genug an. Wer seyd ihr? Was wollt ihr?

Viola.
Wenn ich unfreundlich geschienen habe, so ist es der Art wie ich empfangen wurde, zuzuschreiben. Was ich bin und was ich will, das sind Dinge, die so geheim sind wie eine Jungferschaft; für euer Ohr, Theologie; für jedes andre, Profanationen.

Olivia.
Laßt uns allein. (Maria geht ab.) Wir wollen diese Theologie hören. Nun, mein Herr, was ist euer Text?

Viola.
Allerliebstes Fräulein – –

Olivia.
Eine trostreiche Materie, und worüber sich viel sagen läßt. Wo steht euer Text?

Viola.
In Orsino’s Busen.

Olivia.
In seinem Busen? In was für einem Capitel seines Busens?

Viola.
Um in der nemlichen Methode zu antworten, im ersten Capitel seines Herzens.

Olivia.
O, das hab’ ich gelesen; es ist Kezerey. Ist das alles was ihr zu sagen habt?

Viola.
Liebe Madam, laßt mich euer Gesicht sehen.

Olivia.
Habt ihr Commission von euerm Herrn, mit meinem Gesicht Unterhandlungen zu pflegen? Ihr geht izt zwar über euern Text hinaus; aber wir wollen doch den Vorhang wegziehen, und euch das Gemählde zeigen. Seht ihr, mein Herr; so eines trag’ ich dermahlen; ist’s nicht wohl gemacht?

(Sie enthüllt ihr Gesicht.)

Viola.
Vortrefflich, wenn Gott alles gemacht hat.

Olivia.
Davor steh ich euch; es ist von der guten Farbe; es hält Wind und Wetter aus.

Viola.
O, gewiß kan nur die schlaue und anmuthreiche Hand der Natur weiß und roth auf eine so reizende Art auftragen, und in einander mischen - - Gnädiges Fräulein, ihr seyd die grausamste Sie in der ganzen Welt, wenn ihr solche Reizungen ins Grab tragen wollt, ohne der Welt eine Copey davon zu lassen.

Olivia.
O, mein Herr, so hartherzig will ich nicht seyn; ich will verschiedene Vermächtnisse von meiner Schönheit machen. Es soll ein genaues Inventarium davon gezogen, und jedes besondre Stück meinem Testament angehängt werden. Als, item, zwo erträglich rothe Lippen. Item, zwey blaue Augen, mit Augliedern dazu. Item, ein Hals, ein Kinn, und so weiter. Seyd ihr hieher geschikt worden, mir eine Lobrede zu halten?

Viola.
Ich sehe nun, was ihr seyd; ihr seyd zu spröde; aber wenn ihr der Teufel selbst wäret, so muß ich gestehen, daß ihr schön seyd. Mein Gebieter und Herr liebt euch: O! eine Liebe, wie die seinige, könnte mit der eurigen, mehr nicht als nur belohnt werden, und wenn ihr zur Schönsten unter allen Schönen des Erdbodens gekrönt worden wäret.

Olivia.
Wie liebt er mich dann?

Viola.
Mit einer Liebe, die bis zur Abgötterey geht, mit immer fliessenden Thränen, mit liebe-donnerndem Aechzen und Seufzern von Feuer.

Olivia.
Euer Herr weiß meine Gesinnung schon, er weiß daß ich ihn nicht lieben kan. Ich zweifle nicht daß er tugendhaft, und ich weiß daß er edel, von grossem Vermögen, von frischer und unverderbter Jugend ist; er hat den allgemeinen Beyfall vor sich, und ist reizend von Gestalt; aber ich kan ihn nicht lieben; ich hab es ihm schon gesagt, und er hätte sich meine Antwort auf diesen neuen Antrag selbst geben können.

Viola.
Wenn ich euch liebte wie mein Herr, mit einer so quälenden, so verzehrenden Liebe, so würd’ ich mich durch eine solche Antwort nicht abweisen lassen; ich würde gar keinen Sinn in ihr finden.

Olivia.
Wie, was thätet ihr denn?

Viola.
Ich würde Tag und Nacht vor eurer Thüre ligen, und so lange hinein ruffen bis mir der Athem ausgienge: ich würde klägliche Elegien über meine unglükliche Liebe machen, und sie selbst in der Todesstille der Nacht laut vor euerm Fenster singen; euern Namen den zurükschlagenden Hügeln entgegen ruffen, und die schwazhafte Gevatterin der Luft (die Echo) an Olivia sich heiser schreyen machen! O ich wolte euch nirgends Ruhe lassen, bis ihr Mitleiden mit mir hättet.

Olivia.
Ihr könntet es vielleicht weit genug bringen. Was ist euer Stand?

Viola.
Ueber meine Glüks-Umstände, doch bin ich zufrieden; ich bin ein Edelmann.

Olivia.
Kehrt zu euerm Herrn zurük; ich kan ihn nicht lieben; er soll mich mit seinen Gesandtschaften verschonen; ausser ihr wolltet noch einmal zu mir kommen, um mir zu sagen, wie er meine Erklärung aufgenommen hat; lebt wohl; ich dank’ euch für eure Mühe: nemmt diß zu meinem Andenken. - -

Viola.
Ich bin kein Bote der sich bezahlen läßt; Gnädiges Fräulein, behaltet euern Beutel: Mein Herr, nicht ich, bedarf eurer Gütigkeit. Möchte sein Herz von Kieselstein seyn, und ihr so heftig in ihn verliebt werden, als er’s ist, damit ihr die ganze Qual einer verschmähten Liebe fühltet! Lebt wohl, schöne Unbarmherzige!

(Sie geht ab.)

Olivia (allein.)
Was ist euer Stand? Ueber meine Glüks-Umstände, doch bin ich zufrieden; ich bin ein Edelmann - - Ich wollte schwören daß du es bist! Deine Sprache, dein Gesicht, deine Gestalt, deine Gebehrden und dein Geist machen eine fünffache Ahnen-Probe für dich - - nicht zu hastig - - sachte! Sachte! - - Es müßte dann bestimmt seyn - - wie, was für Gedanken sind das? Kan man so plözlich angestekt werden? Es ist mir nicht anders, als fühlt’ ich die Annehmlichkeiten dieses jungen Menschen, mit unsichtbarem leisem Tritt zu meinen Augen hineinkriechen. Gut, laßt es gehn - - He, Malvolio! - -

 

Malvolio tritt auf.

Malvolio.
Hier, Gnädige Frau, zu euerm Befehl.

Olivia.
Lauffe diesem nemlichen wunderlichen Abgesandten, des Herzogs seinem Diener, nach; er ließ diesen Ring zurük, ich wollte oder wollte nicht; sag ihm, ich woll’ ihn schlechterdings nicht. Ersuch ihn, seinem Herrn nicht zu schmeicheln, und ihn nicht mit falschen Hoffnungen aufzuziehen; ich sey nicht für ihn: wenn der junge Mensch morgen dieser Wege kommt, will ich ihm Ursachen dafür geben. Eile, Malvolio.

Malvolio.

(Geht ab.)

Olivia.
Ich thue etwas, und weiß selbst nicht was; ich besorge, ich besorge, meine Augen haben mein Herz überrascht! Schiksal, zeige deine Macht: Wir sind nicht Herren über uns selbst; was beschlossen ist, muß seyn, und so sey es dann!

(Sie geht ab.)

 

Zweiter Aufzug.

Erste Scene.

(Die Strasse.)

Antonio und Sebastiano treten auf.


Antonio.
Ihr wollt also nicht länger bleiben? Und ihr wollt auch nicht erlauben, daß ich mit euch gehe?

Sebastiano.
Nein, verzeiht mir’s; meine Sterne scheinen dunkel über mir; der mißgünstige Einfluß meines Schiksals möchte auch das eurige ansteken; erlaubt mir also, daß ich mich von euch beurlaube, um mein Unglük allein zu tragen. Es würde eine schlechte Belohnung für eure Freundschaft seyn, wenn ich euch auch nur den kleinsten Theil davon auflegen wollte.

Antonio.
Laßt mich wenigstens nur wissen, wohin ihr gehen wollt.

Sebastiano.
Meine Reise ist in der That nichts anders, mein Herr, als ein wunderlicher Einfall, ohne besondere Absicht - - Doch diese edle Bescheidenheit, womit ihr euch zurükhaltet, mir abzunöthigen, was ich, wie ihr merket, gerne bey mir behalten wollte, verbindet mich, von selbst näher gegen euch heraus zu gehen. Wisset also, Antonio, daß mein Name Sebastiano und nicht Rodrigo ist, wie ich vorgab; mein Vater war dieser Sebastiano von Messaline, von dem ihr ohne Zweifel gehört haben müßt. Er hat mich mit einer Schwester hinterlassen, die in der nemlichen Stunde mit mir gebohren worden; möcht’ es dem Himmel gefallen haben, daß wir auch ein solches Ende genommen hätten. Aber ihr, mein Herr, verhindertet das; denn ungefehr eine Stunde, eh ihr mich aus dem Schiffbruch aufnahmet, war meine Schwester ertrunken.

Antonio.
Ich bedaur’ euch von Herzen.

Sebastiano.
Eine junge Dame, mein Herr, welche, ob man gleich eine sonderbare Aehnlichkeit zwischen ihr und mir finden wollte, doch von vielen für schön gehalten wurde; und wenn ich gleich über diesen Punkt nicht zu leichtgläubig seyn möchte, so darf ich hingegen kühnlich von ihr behaupten, daß sie ein Gemüthe hatte, das der Neid selbst nicht anders als schön nennen könnte: Nun ist sie ertrunken, mein Herr, und ihr Andenken preßt mir Thränen aus, die ich nicht zurükhalten kan.

Antonio.
Vergebet mir, mein Herr, daß ihr nicht besser bedient worden seyd.

Sebastiano.
O mein allzugütiger Antonio, vergebet mir die Unruhe die ich euch gemacht habe.

Antonio.
Wenn ihr mich für meinen guten Willen nicht ermorden wollt, so laßt mich euer Diener seyn.

Sebastiano.
Wenn ihr eure Wohlthat nicht wieder vernichten, und ein Leben wieder nehmen wollt, das ihr erhalten habt, so muthet mir das nicht zu. Lebt wohl auf immer; mein Herz ist zu sehr gerührt, als daß ich mehr sagen könnte; meine Augen reden für mich - - Ich muß an des Herzogs Orsino Hof; Lebet wohl.

(Er geht ab.)

Antonio.
Die Huld aller Götter begleite dich! Ich habe mir Feinde an Orsino’s Hofe gemacht, sonst solltest du mich dort bald in deinem Wege finden: Und doch, es entstehe daraus was immer will, ich liebe dich so sehr daß mich keine Gefahr abschreken kan; ich will gehen.

(Geht ab.)

 

Zweite Scene.

(Malvolio trift Viola, in ihrer Verkleidung als Cäsario an, und richtet den Auftrag bey ihr aus, den ihm Olivia vorhin gegeben, und da Viola den Ring nicht annehmen will, wirft er ihn endlich vor ihre Füsse und geht ab.)


Viola (allein.)
Ich ließ keinen Ring bey ihr ligen; was meynt diese Dame damit? Das Unglük wird doch nicht wollen, daß ihr meine Gestalt in dieser Verkleidung gefährlich gewesen! Sie schien mich mit günstigen Augen anzusehen, in der That, so sehr, daß ihre Augen ihre Zunge verhext und gelähmt zu haben schienen; denn sie sprach sehr zerstreut und ohne Zusammenhang - - Sie liebt mich, so ist es; und der Auftrag den sie diesem plumpen Abgesandten gemacht, ist ein Kunstgriff, mir ihre Liebe auf eine feine Art zu erkennen zu geben - - Sie will keinen Ring von meinem Herrn; wie? er schikte ihr ja keinen; ich bin der Mann - - Wenn es so ist, (und es ist so) das arme Fräulein! so wär es noch besser für sie, in ein blosses Phantom verliebt zu seyn. Verkleidungen sind, wie ich sehe, eine Gelegenheit, deren Satan sich wol zu bedienen weiß. Wie wenig es braucht, um in ein wächsernes Weiber-Herz Eindruk zu machen! Himmel! daran hat unsre Gebrechlichkeit Schuld, nicht wir; wenn wir so gemacht sind, was können wir dafür, daß wir so sind? - - Aber wie wird sich das zusammen schiken? Mein Herr liebt sie aufs äusserste; ich, arme Mißgestalt, bin eben so stark von ihm bethört; und sie, durch den Schein betrogen, seufzt um mich. Was wird aus diesem allem werden? In so fern ich ein Mann bin, könnte meine Liebe zu Orsino in keinem verzweifeltern Zustand seyn; in so fern ich ein Mädchen bin, wie viele vergebliche Seufzer wird die arme Olivia aushauchen! Hier ist lauter Hoffnung-lose Liebe, auf allen Seiten. O Zeit, du must diß entwikeln, nicht ich; es ist ein Knoten, der zu hart verschlungen ist, als daß ich ihn auflösen könnte.

(Sie geht ab.)

 

Dritte Scene.

(Verwandelt sich in Olivia’s Haus.)

Sir Tobias und Sir Andreas, nebst dem Narren.

 

Vierte Scene.

Maria, und endlich auch Malvolio zu den Vorigen.

(Diese beyden Zwischen-Scenen sind der Uebersezung unwürdig, und eines Aufzugs unfähig.)