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Vorwort des Herausgebers

»Die erste Hitzewelle lag auf New York wie ein aufgehender Hefeteig. Die Luft war heiß und schwül, aber nicht so erstickend wie in der Nacht. ET war unruhig. Er ging im Zimmer auf und ab. Dann telefonierte er. Jetzt saß er am Schreibtisch und wühlte in Papieren herum. Schon stand er wieder auf. Ich war im nächsten Zimmer und lag bereits im Bett. Die Tür zwischen den beiden Zimmern stand offen. Noch eine halbe Stunde vorher hatten wir uns unterhalten, ich weiß nicht mehr, worüber. Und jetzt sagte er: ›Ich muss, ich muss, ich muss hin!‹« [Christiane Grautoff (1917-1974), die Lebensgefährtin Ernst Tollers][1]

Wo es ihn, Ernst Toller, im Jahre 1937 hin zog, das war Spanien. Das Land wehrte sich gegen die aufkommende Franco-Diktatur, der Bürgerkrieg war in seiner heißesten Phase. Toller wollte hin, wollte dabei sein, um die demokratischen und freiheitlichen Kräfte zu unterstützen.

So war es immer: Toller kämpfe für die Demokratie, für Freiheit und Selbstbestimmung gegen Unterdrückung, Faschismus und Entrechtung. So wurde er, der Sanfte und Nachdenkliche, im Jahr 1918 in München zu einem Anführer der Räterepublik. Das basis-sozialistische Experiment scheiterte nach wenigen Wochen, von reaktionären und präfaschistischen Freikorpstruppen und aus Berlin gerufenen Reichswehrverbänden niedergeschossen und niedergeknüppelt. Toller danach zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt – literarisch war es die produktivste Zeit seines Lebens. Es entstanden Bühnenstücke, die in Berlin bald zu den meistgespielten der Weimarer Zeit werden sollten.

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Ernst Toller wird am 1. Dezember 1893 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Samotschin in der damaligen preußischen Provinz Posen, heutiges Polen, geboren. Das Realgymnasium besucht er in Bromberg, heute Bydgoszcz. Später schreibt er darüber, dass die erzkonservativen Lehrer den Schülern zuallererst nationalistische und antidemokratische Wertvorstellungen einzutrichtern versuchten. Hauptanliegen der Schule sei es gewesen, die Schüler zum Militarismus zu erziehen. Tollers Widerstand regt sich, und er spielt schon jetzt mit dem Gedanken, ins Ausland zu gehen.

Bei Anbruch des Ersten Weltkrieges, Toller ist 20 Jahre alt, lässt er sich dennoch, wie viele Intellektuelle vom typischen ›Hurra-Patriotismus‹ anstecken und zieht als braver Soldat in die Schlacht. Er meldet sich freiwillig zum Fronteinsatz, kämpft bei Verdun, wird für seine Tapferkeit ausgezeichnet und bis zum Unteroffizier befördert. Gegen Kriegsende kollabiert er, psychisch und physisch. 1917 schreibt man ihn kampfunfähig, und er erhält die Erlaubnis, in München das Studium aufzunehmen. In blindem Patriotismus in den Ersten Weltkrieg gezogen, kommt er so als Pazifist aus den Schützengräben zurück.

Toller beginnt Jura und Philosophie zu studieren, wird aber schon bald in das intellektuelle Netzwerk des Literaturwissenschaftlers Artur Kutscher hineingesogen, zu dem etwa auch Thomas Mann und Rainer Maria Rilke gehören. Regelmäßig beteiligt sich Toller an wöchentlichen Diskussionsrunden einer Gruppe linksorientierter Kriegsgegner im Gasthaus »Zum goldenen Anker« in München, zu denen sich Ende 1917 meist mehr als 100 Personen einfinden. Unter ihnen Kurt Eisner, der die Diskussionsleitung innehat, Felix Fechenbach, Oskar Maria Graf und Erich Mühsam. Im Kreis dieser Freidenker, Revolutionäre, Sozialisten und Demokraten entwickelt sich Toller zu einer der treibenden Kräfte und zum Anführer der Münchner Räterepublik, der im Frühjahr 1919 nur eine kurze Existenz beschieden ist, bis sie von Freikorps- und Reichstruppen blutig niedergeschlagen wird. Die anschließende Festungshaft, zu der ihn das reaktionäre Regime verurteilt, verbringt Toller von 1919 bis 1924 in den bayerischen Gefängnissen Stadelheim, Eichstätt, Neuburg an der Donau, und die meiste Zeit in Niederschönenfeld in der Nähe von Donauwörth.

Das Regime kann ihn einsperren, aber seinen Geist nicht knechten. In der Haft entstehen Tollers bedeutendste Werke, die in Berlin, und bald auf den wichtigsten Bühnen der Welt, aufgeführt werden. In nicht weniger als 27 Sprachen werden in den Zwanziger Jahren Ernst Tollers Texte übertragen, und er wird bis Ende der Dekade der bekannteste lebende deutsche Dramatiker – bekannter als Carl Sternheim, Georg Kaiser oder Brecht.

Hitlers Plan der totalen Kontrolle und Machtübernahme durchschaut Toller früh, und verlässt das Land rechtzeitig. Die 15jährige Schauspielerin Christiane Grautoff[2], in die er sich verliebt hatte, folgt ihm 1932 in die Schweiz, später nach Paris, London und Kalifornien. 1935, als Grautoff 18 Jahre alt ist, heiraten die beiden. In den USA wird Toller zum meistgehörten und gefeierten Repräsentanten eines anderen, eines humanen Deutschland. Immer wieder warnt und mahnt er vor der Appeasement-Politik der freien Nationen gegenüber Deutschland, erhebt seine Stimme in den Medien, und trifft sogar Präsident Roosevelt im Weißen Haus. Letztlich vergebens: Die westlichen Demokratien lassen sich von Hitler täuschen, vorführen und immer wieder vertrösten – nicht zuletzt weil riesige finanzielle Interessen der Amerikaner in Europa auf dem Spiel stehen. Tollers Appelle an die westlichen Demokratien, die Nichteinmischungspolitik aufzugeben, verhallen – bis es fast zu spät ist.

Auch in Spanien lassen die Demokratien einen Faschisten gewähren und das Volk niedermetzeln. Auch hier warnt Toller, auch hier vergeblich. Als am 19. Mai 1939 der Diktator Franco in Madrid mit einer Parade seinen Sieg feiert, fühlt sich Ernst Toller machtlos wie selten. Seine schon lange schwelenden Depressionen brechen aufs Neue aus. Drei Tage später nimmt er sich in einem Zimmer des Mayflower Hotels am Central Park in New York das Leben.

Ernst Toller gehört zu den großen deutschen Denkern und Freiheitskämpfern, die nicht vergessen werden sollen. Jeder Platz, jede Straße, jede Schule, die in diesem Land nach ihm benannt wird, symbolisiert ein Stück Freiheit, und den Kampf gegen Intoleranz, Demokratiefeindlichkeit und Engstirnigkeit. Am 1. Dezember 2013 jährt sich Ernst Tollers Geburtstag zum 120. Mal.

Redaktion eClassica

 

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Anmerkungen:

[1] aus: Die Göttin und ihr Sozialist. Christiane Grautoff – ihr Leben mit Ernst Toller. Biographie von Christiane Grautoff. Herausgegeben von Werner Fuld und Albert Ostermaier, Weidle-Verlag, 1996.

[2] Christiane Grautoff (1917-1974) lernte den fast vierzigjährigen Ernst Toller im Jahr 1932 kennen. Sie war damals vierzehn Jahre alt und ein Kinderstar auf Berliner Bühnen und beim Film. Bei Max Reinhardt hatte sie an dessen legendärer Sommernachtstraum-Inszenierung mitgewirkt, mit Henry Porten einen Film gedreht und mit Fritz Kortner Theater gespielt. Die blutjunge Grautoff, der vermutlich in Deutschland eine Bilderbuchkarriere offengestanden hätte, verliebt sich in den 24 Jahre älteren Schriftsteller, reist ihm 1932 ins Schweizer Exil hinterer, heiratet ihn 1935 in London und geht dann mit ihm nach Kalifornien. Dort und in New York verbringen sie gemeinsam die letzten drei Jahre bis zu Tollers Selbstmord. Christiane Grautoff wanderte später nach Mexiko aus, gründete eine neue Familie und ist die Großmutter von Christianne Gout, die in der Hauptrolle des Films »Amor & Salsa« (1999) von Joyce Bunuel brillierte.

 


Vorwort

Biographien erreichen selten die Kompliziertheit individuellen Daseins, viele Konturen des »vollständigen Menschen« bleiben unbelichtet, alle Momente müssen, nach einem Wort Karoline von Günderodes, immer den einen bestimmen und begreiflich machen, insbesondere in einem Buch, das wie dieses den öffentlich wirkenden Menschen zeichnet.

Nicht nur meine Jugend ist hier aufgezeichnet, sondern die Jugend einer Generation und ein Stück Zeitgeschichte dazu. Viele Wege ging diese Jugend, falschen Göttern folgte sie und falschen Führern, aber stets bemühte sie sich um Klärung und um die Gebote des Geistes.

Nicht Fehler und Schuld, nicht Versagen und Unzulänglichkeit sollten in diesem Buch beschönigt werden, eigene sowenig wie fremde. Um ehrlich zu sein, muss man wissen. Um tapfer zu sein, muss man verstehen. Um gerecht zu sein, darf man nicht vergessen. Wenn das Joch der Barbarei drückt, muss man kämpfen und darf nicht schweigen. Wer in solcher Zeit schweigt, verrät seine menschliche Sendung.

Ernst Toller

Am Tag der Verbrennung meiner Bücher in Deutschland [1933, red.]