Cover_Austen_Bronte_Lesebuch6.png

Innentitel_Sampler.png

Vorwort des Herausgebers

Jane Austen starb im Jahre 1817, ein Jahr nach der Geburt von Charlotte Brontë (*1816), und ein Jahr vor der Geburt von Emily Brontë (*1818). So unterschiedlich die Werke dieser Frauen auch scheinen, so verwoben sind doch die literarischen Schicksale. Sowohl Austen als auch die Brontë-Schwestern entstammten protestantischen Pfarrersfamilien im ländlichen England. Jane Austen wuchs in Steventon, im Süden des Landes, etwa 100 Kilometer südöstlich von London auf, die Brontës lebten im Norden, etwa 100 Kilometer nordwestlich von Liverpool. Als die Brontë-Schwestern (als dritte im Bunde Anne) heranwuchsen, galt Jane Austen bereits als literarischer Superstar. Sie war für die Brontë-Schwestern nicht unbedingt ein Vorbild – aber eine Schriftstellerin, an der man sich abarbeiten konnte; eine, die Maßstäbe setzte. Aber auch eine, die man mit dem eigenen geschliffenen Verstand, der den Brontë-Schwestern zu eigen war, übertreffen wollte.

Das Rennen geht aus heutiger Sicht knapp zu Gunsten von Jane Austen aus, obwohl ihr Emily Brontë mit ›Wuthering Heights‹ (›Sturmhöhe‹) knapp auf den Fersen ist. In einer denkwürdigen Live-Debatte (Jane Austen vs. Emily Brontë: Who's the Queen of English Literature?)[1] konnte am 26. Februar 2014 das englische Publikum darüber entscheiden, wer die ›Königin‹ der englischen Literatur sei. Vertreten von ›Anwälten‹ – einem Literaturprofessor und einer Schriftstellerin – die die Vorzüge der jeweiligen Autorin priesen, und mit Schauspielern, die markante Textstellen vorlasen, ergab sich am Ende ein knappes Publikums-Voting von 51 zu 47 Prozent zu Gunsten von Jane Austen. Erstaunlich aber: Die Probeabstimmung vor der Debatte hatte ergeben: Austen 55 Prozent, Brontë 24 Prozent, Unentschieden 21 Prozent. Die gesamte Wechselwählerschaft war also zu Gunsten Emily Brontës ausgefallen.

Brillant sind sie beide. Austen ist die unbestrittene Königin der charmanten, süffisanten und ironischen Dialoge, Emily Brontë aber die Meisterin des inneren Monologs und der düsteren Beschreibungen. Sonne und Schatten, Spielerei und Todesahnung – Gründe für die jeweils unterschiedlichen Wege, die das Talent sich suchte, sind nicht schwer zu finden. Jane Austen wuchs viel behüteter auf, sie war der Augapfel im Auge ihres Vaters, der sie förderte und sie nach Lust und Laune in seiner umfangreichen Bibliothek stöbern ließ – während die Brontë-Schwestern eine Kindheit ohne jeden Zuckerguss durchlebten. Sie galten als Mädchen nicht viel, wurden kujoniert und schikaniert, und was für ihren Vater zählte, war alleine die »Schicklichkeit«. Kleinliche bigotte Pedanterie beherrschte das Leben, befreites Spielen »verderbe den Charakter«, das Leben hatte ernst zu sein. Zwei der fünf Schwestern starben im Kindesalter, auch die Mutter starb früh, und die Tante konnte kein echter Mutterersatz sein. Die literarische Phantasiewelt wurde für die Brontë-Schwestern zum Überlebensraum, während sich Jane Austen – literarisch nicht weniger gekonnt, aber existentiell auf ganz anderem Niveau – am Luxusproblem der Partnerfindung abarbeitete.

Sowohl die Bücher Jane Austens, als auch jene der Brontë-Schwestern sind über die Jahre zu phänomenalen Longsellern geworden, die ihresgleichen suchen. Und zu Recht, denn sie sind heute genauso lesenswert, wie vor zweihundert Jahren. Das ist umso bemerkenswerter, als den dreien in diesem eBook versammelten Schriftstellerinnen nur eine recht kurze Schaffensperiode beschieden war. Jane Austen starb im Alter von 41 Jahren, Emily Brontë sogar schon mit 30, und Charlotte Brontë wurde 39 Jahre alt.[2]

© 2014, Redaktion eClassica

 

Die Autorinnen

Jane Austen

Jane Austen (1775–1817) – man könnte sie einen literarischen Kinderstar nennen – begann schon ab dem Alter von zwölf Jahren romanhafte Geschichten und Erzählungen zu schreiben. Zu Gute kam ihr dabei das überdurchschnittliche Bildungsniveau in ihrem Elternhaus und eine reich bestückte Bibliothek, in der ihr Vater William George Austen, ein Landpfarrer in der englischen Grafschaft Hampshire, sie nach Lust und Laune stöbern ließ.

Anders als Heranwachsende das normalerweise tun, schrieb sie in den folgenden Jahren nicht für sich, heimlich in ein Tagebuch, sondern fasste die Zweifel, Fragen, Unsicherheiten und das Verwirrspiel der Liebe – all die chaotischen Geisteszustände der Pubertät – in ihre Bücher.

Jane Austen war ein schreiberisches Naturtalent – und sie lieferte nicht nur oberflächliche Liebesgeschichten. Ihre Stories haben so etwas wie einen zweiten Boden, eine zweite Ebene. Unterhalb der Handlung, unterhalb der Liebesgeschichte, schwingen die kritischen Fragen einer jungen emanzipierten Frau an die Gesellschaft mit: Ist das alles richtig so? Muss mein Leben so eingerichtet sein? Leben wir nicht in furchtbaren Zwängen?

Jane Austen blieb unverheiratet und starb 1817 an einer Nebenniereninsuffizienz, viel zu früh. Doch in ihrem letzten Lebensjahrzehnt hatte sie ihren großen Erfolg als Schriftstellerin noch genießen können.

 

Emily Brontë

Emily Brontë (1818–1848), die heute bekannteste der drei Brontë-Schwestern, wird von Zeitzeugen als reservierte, ja gelegentlich starrköpfige Persönlichkeit beschrieben, die jedoch mit einem außerordentlich scharfem Verstand gesegnet war. Sie pflegte kaum Freundschaften, verließ die Wohnung ungern, außer um mit ihren Tieren ins Moor zu gehen. Ihre Intelligenz half ihr aber auch, gelegentlich charmant zu sein, wenn sie es denn wollte.

Zusammen mit ihrer Schwester Charlotte besuchte sie zwei Internatsschulen und arbeitete ab 1838 als Lehrerin am Internat Law Hill. 1842 ging sie zusammen mit Charlotte nach Brüssel, um dort in der Schule der Madame Heger zu studieren. Zurück in Haworth, kümmerte sie sich fortan um den Familienhaushalt und die Finanzen der Familie. Seit der Brüsseler Zeit sprach Emily fließend Französisch, außerdem beherrschte sie Latein und Altgriechisch.

1847 veröffentlichte Emily Brontë ihren einzigen Roman ›Wuthering Heights‹, der heute als Klassiker der englischen Literatur gilt. Der Roman erschien unter dem Pseudonym ›Ellis Bell‹ und wurde in einem Band mit dem Roman ›Agnes Grey‹ ihrer Schwester Anne veröffentlicht. Emily beharrte zeitlebens auf Diskretion über ihre Identität und legte das Pseudonym nie ab.

Emily starb 1848 vermutlich an einer Lungenentzündung. Legendär geworden ist ihre beharrliche Weigerung, ärztliche Hilfe anzunehmen, und ihr Wunsch, »der Natur ihren Lauf zu lassen«. So weigerte sie sich bis zum Tag ihres Todes, im Bett zu ruhen und versuchte, ihren Alltag wie gewohnt weiter zu gestalten. Charlotte beschreibt Emilys Sterben in Briefen als ein »schreckliches Spektakel«.

 

Charlotte Brontë

Charlotte Brontë (1816–1855) war wohl die beherrschteste und rationalste der drei hochbegabten Brontë-Schwestern, die sich, abgeschieden aufwachsend in der Ortschaft Haworth in West Yorkshire, so sehr vorgenommen hatten, Schriftstellerinnen zu werden. Nach einem gemeinsamen Lyrikband unter Pseudonym, der unterging, wie ein Buch nur untergehen kann (nur zwei von Tausend Exemplaren wurden verkauft) brachten sie fast zeitgleich, im Jahr 1847, jede einen bedeutenden Roman heraus – zwei davon, ›Sturmhöhe‹ von Emily und ›Jane Eyre‹ von Charlotte Brontë, zählen heute zur Weltliteratur.

Zu Lebzeiten – und jeder der drei Schwestern war nur ein kurzes Leben beschieden – war Charlotte mit ›Jane Eyre‹ die literarisch erfolgreichste der drei Schwestern. Sie wurde in die Londoner literarischen Kreise eingeführt und genoss eine Weile den Ruhm. Als einzige der Brontë-Schwestern kam sie zu anderen Schriftstellern in persönlichen Kontakt, z.B. zu Elizabeth Gaskell (ihre spätere Biographin) und William Makepeace Thackerey.

Heute gilt Emily Brontës ›Sturmhöhe‹ wegen der für die damalige Zeit avantgardistischen Erzähltechnik und der reich angelegten Charaktere und fast epischen Familiensaga im Erzählhintergrund als literarisch noch bedeutsamer.

1854 – Charlotte war jetzt 38, und ihre Schwestern waren bereits gestorben – heiratete sie Arthur Bell Nicholls, den Hilfspfarrer ihres Vaters. Schon ein knappes Jahr später, im März 1855, starb sie, vermutlich wegen einer schwangerschaftsbedingten Stoffwechselstörung.

 

Inhalts-Übersicht

[Titel jeweils verlinkt mit Buchanfang]

Stolz & Vorurteil

Die Zukunft Elizabeth Bennets hängt, so zumindest sind die gesellschaftlichen Spielregeln der Zeit, davon ab, eine ›gute Partie‹ zu machen. Denn das Erbe der Familie wird damals nur in männlicher Linie weitergegeben und fällt mangels eines direkten Nachfahren der Bennets einem entfernten Cousin zu.

Elizabeths Selbstvertrauen bleibt davon unberührt: Einen gönnerhaft gestellten Heiratsantrag ihres Cousins weist sie salopp ab. Aber gleichzeitig verstellt ihr ihr Stolz auch den Blick auf den wahren Charakter ihrer Mitmenschen. Als drei Junggesellen das Nachbaranwesen der Bennets, Netherfield, beziehen, fällt ihre Wahl zunächst auf den prahlerischen Offizier Mr. Wickham.

Die zurückhaltende Art des vermögenden Mr. Darcy dagegen deutet sie als kühle Arroganz. Als Darcy auf dem Ball in Netherfield dann auch noch einen Tanz mit ihr ausschlägt, kennt Elizabeths Wut keine Grenzen. Allzu gern glaubt sie Wickhams Lüge, dass Darcy ihn um sein rechtmäßiges Erbe geprellt habe. Von Vorurteilen und verletztem Stolz geleitet, beginnt Elizabeth Darcy mit bitterböser Ironie bis an die Grenzen des für eine junge Dame Schicklichen zu attackieren. Was die beiden aber keinesfalls endgültig voneinander trennt, sondern im Gegenteil immer näher zueinander bringt ...

 

Emma

Emma Woodhouse, eine schöne, intelligente und etwas arrogante junge Frau von 21 Jahren, lebt mit ihrem Vater in Highbury, einem Dorf in der Nähe von London. Die Woodhouses gehören zu den ersten Familien im Ort. Emma hat sich geschworen, niemals zu heiraten, aber sie findet höchsten Gefallen daran, die Liebesdinge der Menschen in ihrer Umgebung zu manipulieren und in Bahnen zu lenken. So beginnt das Buch auch unmittelbar nach der von ihr arrangierten Verheiratung ihrer Erzieherin, Miss Taylor, die damit zu Mrs. Weston wird und einen gesellschaftlichen Aufstieg macht.

Dabei erkennt Emma wohl die Liebe als mächtiges Bindungsmittel zwischen den Menschen an, betrachtet sie aber, je nachdem, als Mittel zum Zweck, um bestimmte Ziele zu erreichen – oder gar als störendes, albernes Beiwerk. Wir lernen sie sozusagen als höchst unromantische ›Edelkupplerin‹ kennen, die bei jeder Beziehung nur die sozialen und finanziellen Vor- und Nachteile abwägt. Als ein Mr. Elton ihr seine Liebe gesteht, fühlt sie sich regelrecht angewidert. Und dass sie sich von Frank Churchill angezogen fühlt, hat weniger mit Liebe, als mit der Sehnsucht nach Abenteuer zu tun.

Wir ahnen, dass der jungen Emma erst im Laufe der Romans, nach vielen Wendungen und Wirrungen, klar wird, dass sie sich auf einem unerquicklichen Irrweg befindet. Wen sie wirklich liebt, erkennt sie erst am Ende, nämlich dann, als eine andere ihr Interesse für den Kandidaten bekundet ...

 

Sturmhöhe

›Sturmhöhe‹ gehört zu den großen epischen Familienerzählungen, und ist in eine Reihe mit ›Vom Winde verweht‹ oder ›Doktor Schiwago‹ zu stellen. Die Geschichte ist so bewegend, weil sie – wie jeder dieser großen Romane – archaische menschliche Gefühle zur Triebfeder macht: Liebe, Hass, Schmerz, Sehnsucht, Ehrgeiz, Stolz.

In ›Doktor Schiwago‹ ist es die Liebe, in ›Vom Winde verweht‹, sind es Sehnsucht und Stolz, doch in ›Sturmhöhe‹ ist es das zerstörerischste aller Gefühle, der Hass.

Heathcliff heisst der (Anti-) Held, in dem sich dies kristallisiert, und der miterleben lässt, wie der Hass wächst. Als Kind zunächst adoptiert und freundlich aufgenommen, später gedemütigt, geschlagen, entehrt und verstoßen, entwickelt er einen unbändigen Hass gegen »seine« Familie, die Earnshaws. Die einzige, zu der er eine Herzensbindung hat, ist seine Stiefschwester Catherine. Doch am Ende wird auch sie durch seinen Hass zerstört. Heathcliff bleibt alleine zurück, manipuliert und quält die Nachkommen seiner Peiniger – alles, was ihm bis zum Lebensende bleibt, ist sein Traum von Catherine.

 

Jane Eyre

›Jane Eyre‹ ist eine moderne Aschenputtelgeschichte. Das Ringen zwischen Fremdbestimmung und Autonomie ist das Spannungsfeld, in dem sich Jane Eyre von der ersten Seite des Buches an bewegt. Zunächst als Waisenkind fast völlig entrechtet, im Lauf der Entwicklung immer mehr Möglichkeiten gewinnend, und am Ende frei und unabhängig.

Der Roman ist keine Autobiographie, wie der Untertitel suggeriert, aber er trägt durchaus autobiographische Züge der Autorin Charlotte Brontë. An der Schule, die sie als Kind zeitweise besuchen musste, der Clergy Daughters School in Cowan Bridge (Lancashire), einem Internat für Pfarrerstöchter, herrschten katastrophale Zustände. Dass zwei ihrer Schwestern – Maria und Elizabeth – bereits im Kindesalter starben, kann man damit in Verbindung bringen.

Die Protagonistin Jane Eyre wird als »einfaches, ruhiges und intelligentes Mädchen mit einer leidenschaftlichen Seele und einer Neigung zu unangebrachter Direktheit und Ausbrüchen« beschrieben, und dürfte damit auch charakterlich ihrer Schöpferin wesensverwandt sein.

Die Erzählstimme des Romans ist stark, leidenschaftlich und überzeugend. Jane ist in ihrem Denken, Auftreten und Handeln eine für die damalige Zeit sehr unkonventionelle Frau, für die man im Laufe der Lektüre immer mehr Sympathien entwickelt.

© 2014, Redaktion eClassica

 

________

Anmerkungen:

[1] Podiumsdiskussion mit Abstimmung, live im Internet übertragen, ausgerichtet von ›intelligence2 The world of Debate‹

›Jane Austen vs Emily Brontë – The Queens of English Literature‹

Debatte, mit den ›Anwälten‹ John Mullan (Prof. für Englische Literatur) und Kate Mosse (Autorin) und als Vorleser/Sprecher die Schauspieler Dominic West, Sam West, Mariah Gale und Eleanor Tomlinson

Quellen: • http://www.intelligencesquared.com/events/jane-austen-vs-emily-bronte/

• http://www.theguardian.com/books/2014/feb/28/jane-austen-v-emily-bronte-queen-english-literature

[2] Die dritte der literarisch produktiven Brontë-Schwestern, Anne, wurde sogar nur 29 Jahre alt. Ihr bekanntestes Werk ist ›Agnes Grey‹

 


STOLZ UND VORURTEIL

Erstes Kapitel

In der ganzen Welt gilt es als ausgemachte Wahrheit, dass ein begüterter Junggeselle unbedingt nach einer Frau Ausschau halten muss …

Welcher Art die Gefühle und Wünsche eines solchen Mannes im übrigen auch immer sein mögen, diese Wahrheit hat eine so unumstößliche Geltung, dass er schon bei seinem ersten Auftauchen von sämtlichen umwohnenden Familien als rechtmäßiger Besitz der einen oder anderen ihrer Töchter angesehen wird.

»Mein lieber Bennet«, sprach eines Tages Mrs. Bennet zu ihm, »hast du schon gehört, dass Netherfield Park endlich einen Mieter gefunden hat?«

Mr. Bennet erwiderte, er habe es noch nicht gehört.

»Trotzdem ist es so, wie ich sage«, beharrte Mrs. Bennet. »Mrs. Long war gerade hier und hat es mir erzählt – Willst du denn nicht wissen, wer der neue Mieter ist?« fuhr sie mit ungeduldiger Stimme fort.

»Du willst es mir doch gerade erzählen, und ich habe nichts dagegen.«

Einer deutlicheren Aufforderung bedurfte es nicht.

»Also, Mrs. Long erzählte, dass Netherfield von einem sehr wohlhabenden jungen Mann aus Nordengland gepachtet wurde. Er kam letzten Montag im Vierspänner an, um das Haus zu besichtigen, und er war so entzückt davon, dass er sogleich mit Mr. Morris abschloss. Noch vor Michaelis will er einziehen, und seine Dienerschaft soll zum Teil schon Ende dieser Woche herkommen.«

»Wie heisst er denn?«

»Bingley.«

»Verheiratet?«

»Aber nein! Unverheiratet! Natürlich unverheiratet! Ein steinreicher Junggeselle, mit vier- oder fünftausend Pfund im Jahr! Welch ein Glück für unsere Kinder!«

»Wieso? Wieso für unsere Kinder?«

»Du bist aber auch zu langweilig, mein Lieber. Verstehst du denn nicht, dass er vielleicht eine unserer Töchter heiraten wird?«

»Kommt er deshalb hierher?«

»Deshalb? Was redest du da? Unsinn! Aber es ist doch sehr gut möglich, dass er sich in eine von ihnen verliebt; und daher musst du ihm einen Besuch machen, sobald er eingezogen ist.«

»Weshalb denn? Du kannst ja mit den Mädchen hinübergehen. Oder besser noch, du schickst sie allein; denn da du noch ebenso gut aussiehst wie jede von deinen Töchtern, würde sich Mr. Bingley vielleicht gar dich aus dem Schwarm aussuchen.«

»Ach, du Schmeichler. Gewiss, ich bin einmal recht schön gewesen, aber jetzt bilde ich mir nicht mehr ein, irgend etwas Besonderes vorzustellen. Wenn eine Frau fünf erwachsene Töchter hat, tut sie gut daran, alle Gedanken an ihre eigene Schönheit fallen zu lassen. Du musst aber unbedingt Mr. Bingley aufsuchen, sobald er unser Nachbar ist.«

»Ich gebe dir heute nur die Versicherung, dass ich es dir nicht versprechen kann.«

»Aber denk doch an deine Töchter! Denk doch an die gesellschaftliche Stellung, die es für eine von ihnen bedeuten mag! Sogar Sir William und Lady Lucas sind fest entschlossen, ihm nur deshalb einen Besuch zu machen; du weisst, wie wenig sie sich sonst um Neuankömmlinge kümmern. Du musst unter allen Umständen hingehen; denn wie sollen wir ihn besuchen können, wenn du es nicht zuerst tust?«

»Du bist viel zu korrekt; ich bin überzeugt, Mr. Bingley wird sich sehr freuen, euch bei sich begrüßen zu dürfen. Ich kann dir ja ein paar Zeilen mitgeben und ihm aufs herzlichste meine Einwilligung zusichern für den Fall, dass er sich eine von meinen Töchtern aussuchen und sie heiraten will. Für meine kleine Lizzy will ich dabei ein besonders gutes Wort einlegen.«

»Ich will sehr hoffen, dass du nichts dergleichen tust. Lizzy ist nicht einen Deut besser als die anderen. Im Gegenteil, ich finde sie nicht halb so hübsch wie Jane und nicht halb so reizend wie Lydia. Aber du musst sie ja immer vorziehen.«

»Du hast recht. Wirklich empfehlen könnte ich keine von ihnen«, erwiderte Mr. Bennet. »Sie sind albern und unwissend wie alle jungen Mädchen; nur Lizzy ist wenigstens etwas lebhafter als ihre Schwestern.«

»Aber hör mal, wie kannst du deine eigenen Kinder so herabsetzen! Es macht dir offenbar Spass, mich zu ärgern. Du hast eben gar kein Mitgefühl mit meinen armen Nerven!«

»Da verkennst du mich ganz und gar, meine Liebe. Ich hege die größte Achtung vor deinen Nerven. Seit zwanzig Jahren höre ich mir nun schon das mit deinen Nerven an; sie sind mir nun gute alte Bekannte geworden.«

»Ach, du ahnst nicht, wie sehr ich unter ihnen leiden muss!«

»Aber ich hoffe, du überstehst es auch dieses Mal und erlebst, dass noch viele andere junge Männer mit viertausend Pfund im Jahr sich in unserer Nachbarschaft niederlassen.«

»Und wenn zwanzig kämen, was nützt es uns, wenn du sie doch nicht besuchen willst?«

»Verlass dich auf mich, meine Liebe: wenn es erst zwanzig sind, werde ich sie nacheinander aufsuchen.«

Mr. Bennet stellte eine so eigenartige Mischung von klugem Verstand und Ironie, von Zurückhaltung und Schalkhaftigkeit dar, dass eine dreiundzwanzigjährige Erfahrung nicht genügt hatte, um seine Frau diesen Charakter verstehen zu lassen. Ihre Gedankengänge zu ergründen war einfacher: sie war eine unbedeutende Frau mit geringem Wissen und unberechenbarer Laune. War sie mit etwas unzufrieden, liebte sie es, die Nervöse zu spielen. Ihre Lebensaufgabe bestand darin, ihre Töchter zu verheiraten. Besuche machen und Neuigkeiten austauschen war ihre Erholung.

EMMA

Cover_Emma.png

Erstes Kapitel

Emma Woodhouse, hübsch, klug und reich, im Besitz eines gemütlichen Heims sowie einer glücklichen Veranlagung, vereinigte sichtlich einige der besten Gaben des Lebens auf sich. Sie war schon fast einundzwanzig Jahre auf der Welt, ohne je wirklich Schweres oder Beunruhigendes erlebt zu haben.

Sie war die jüngere der beiden Töchter eines sehr liebevollen und äußerst nachsichtigen Vaters. Schon lange, seit der Verheiratung ihrer Schwester, war sie die Frau des Hauses. Ihre Mutter war schon zu lange tot, als dass sie sich ihrer Zärtlichkeiten noch hätte erinnern können. An deren Stelle war eine vortreffliche Frau als Erzieherin getreten, die eine beinah mütterliche Zuneigung für sie empfand.

Miss Taylor gehörte nun schon seit sechzehn Jahren zu Mr. Woodhouses Familie, sie war weniger Erzieherin als Freundin, hing sehr an beiden Töchtern, besonders aber an Emma. Zwischen ihnen bestand eine eher schwesterliche Vertrautheit. Schon als Miss Taylor noch als Erzieherin wirkte, hatte sie es mit ihrem sanften Temperament selten gewagt, Verbote auszusprechen, aus der Respektsperson war längst eine Freundin geworden. Trotz der großen gegenseitigen Zuneigung tat Emma stets, was sie gerade wollte. Sie schätzte Miss Taylors Meinung zwar sehr, setzte aber meistens doch ihre eigene durch. Es war für Emma keineswegs von Vorteil, dass man ihr zuviel Handlungsfreiheit ließ. Außerdem neigte sie dazu, sich selbst zu überschätzen; negative Eigenschaften, die die Gefahr in sich bargen, sich ungünstig für sie auszuwirken. Gegenwärtig war diese Gefahr indessen noch so gering, dass man ihrer kaum gewahr wurde.

Eines bereitete ihr jetzt Kummer – wenn auch sozusagen positiver Natur – Miss Taylor heiratete. Dieser Verlust verursachte ihr die erste Betrübnis ihres Lebens. Am Hochzeitstag der geliebten Freundin saß Emma in traurige Gedanken versunken da und dachte darüber nach, wie es nun weitergehen solle. Nachdem die Hochzeit vorbei war und das Brautpaar sie verlassen hatte, waren Emma und ihr Vater allein zurückgeblieben, um gemeinsam zu speisen, ohne einen Dritten zu erwarten, der den Abend etwas unterhaltsamer gestaltet hätte. Ihr Vater zog sich wie üblich zu seinem Verdauungsschläfchen zurück, und sie konnte nichts weiter tun, als dasitzen und über ihren Verlust nachdenken.

Die Heirat bot ihrer Freundin die denkbar besten Möglichkeiten, denn Mr. Weston war nicht nur ein Mann von vortrefflichem Charakter, der außerdem das passende Alter und angenehme Manieren hatte und es war für sie eine innere Befriedigung, diese Verbindung in selbstloser und großzügiger Freundschaft herbeigewünscht und gefördert zu haben, aber es hatte sie viel Mühe gekostet. Sie würde Miss Taylors Abwesenheit jederzeit schmerzlich empfinden. Sie erinnerte sich ihrer Güte in früheren Tagen, der Liebe und Zuneigung von sechzehn Jahren, wie sie sie seit ihrem fünften Lebensjahr unterrichtet und mit ihr gespielt hatte, wie sie stets all ihre Kraft eingesetzt, um sie in gesunden Tagen für sich zu gewinnen und sie zu unterhalten und wie sie sie während ihrer verschiedenen Kinderkrankheiten gepflegt hatte. Sie war ihr dafür zu großem Dank verpflichtet, aber die Vertraulichkeit der letzten sieben Jahre, die Gleichstellung und völlige Offenheit, die sich nach Isabellas Heirat einstellte, nachdem sie sich selbst überlassen waren, enthielt für sie angenehme Erinnerungen, die ihr noch teurer waren. Sie war eine Freundin und Kameradin gewesen, wie es wenige gab, intelligent, gebildet, nützlich und sanft, sie kannte alle Gewohnheiten der Familie, nahm an all ihren Sorgen Anteil, besonders an den ihren, ebenso an ihren Vergnügungen, ihren Plänen, sie war ein Mensch, mit dem man immer offen sprechen konnte, wenn einen etwas bedrückte, und ihre Zuneigung war so blind, dass sie nie etwas zu tadeln fand.

Wie sollte sie diesen Wechsel ertragen? Sicherlich, ihre Freundin zog nur eine halbe Meile von ihnen weg, aber es war Emma klar, dass zwischen einer Mrs. Weston, die eine halbe Meile entfernt wohnte, und einer Miss Taylor im Hause ein großer Unterschied bestand; und Emma war trotz ihrer natürlichen und häuslichen Tugenden jetzt in großer Gefahr, geistig zu vereinsamen. Sie liebte ihren Vater zwar sehr, aber er war kein guter Kamerad. Er war ihr weder in ernster noch in leichter Unterhaltung gewachsen.

Der Nachteil des großen Altersunterschieds (Mr. Woodhouse hatte sehr spät geheiratet) wurde durch seine Konstitution und seine Gewohnheiten noch vergrößert; da er zeit seines Lebens ein Hypochonder ohne jede körperliche und geistige Aktivität gewesen war, wirkte er dadurch viel älter, als er eigentlich war. Obwohl er allgemein wegen seiner Herzensfreundlichkeit und seines liebenswürdigen Naturells beliebt war, hätten diese Eigenschaften doch nicht ausgereicht, um die Menschen für ihn einzunehmen.

Obwohl ihre Schwester nach ihrer Verheiratung sich relativ nah in London, in einer Entfernung von sechzehn Meilen, niedergelassen hatte, war sie doch nicht täglich erreichbar; und man musste auf Hartfield manch langweiligen Oktober‐ und Novembertag totschlagen, ehe Isabella an Weihnachten mit Mann und Kindern zu Besuch kam, die das Haus mit Leben erfüllten und Emma eine angenehme Gesellschaft waren.

Highbury, der große und belebte Ort, war schon beinah eine Stadt, trotz eigenem Namen, eigener Rasenflächen und Sträucher gehörte Hartfield eigentlich dazu, aber es bot ihr niemand Gleichgesinnten. Gesellschaftlich stand Familie Woodhouse dort an erster Stelle. Alle schauten zu ihr auf. Sie hatten im Ort zwar viele Bekannte, da ihr Vater zu allen höflich war, aber sie hätte nicht eine davon auch nur für einen Tag an Miss Taylors Stelle sehen mögen. Es war ein betrüblicher Wandel, und Emma blieb nichts weiter übrig, als zu seufzen und in müssigen Träumen zu schwelgen, bis ihr Vater wieder aufwachte, sie würde sich dann Mühe geben müssen, heiter und gelöst zu erscheinen.

Sie musste versuchen, seine Stimmung zu heben. Er war ein nervöser und häufig deprimierter Mensch, der alle mochte, an die er gewöhnt war, und von denen er sich ungern trennte, da er jede Art von Veränderung ablehnte. Er empfand es stets als lästig, wenn eine Eheschließung eine solche Veränderung nach sich zog und hatte sich noch keineswegs mit der Heirat seiner eigenen Tochter abgefunden, konnte von ihr nicht ohne Mitgefühl sprechen, obwohl es eine ausgesprochene Liebesheirat gewesen war; nun wollte man ihn auch noch zwingen, sich von Miss Taylor und seinen sanft egoistischen Gewohnheiten zu trennen. Da er nie imstande gewesen war, sich in die Denkweise und Gefühle anderer Menschen hineinzuversetzen, neigte er sehr zu der Ansicht, Miss Taylor habe sich selbst und ihnen etwas Unverzeihliches angetan, und dass sie viel glücklicher geworden wäre, hätte sie den Rest ihres Lebens auf Hartfield verbracht. Um ihn von solch trübsinnigen Gedanken abzulenken, plauderte und lächelte Emma so unbefangen wie möglich, aber als der Tee serviert wurde, konnte er es nicht lassen, genau dasselbe wie während des Dinners zu sagen.

»Arme Miss Taylor – ich wünschte, sie wäre wieder hier. Schade, dass Mr. Weston je auf sie verfallen ist!«

»Sie wissen, Papa, dass ich Ihnen nicht zustimmen kann. Mr. Weston ist solch ein gutgelaunter, angenehmer und vortrefflicher Mann, der eine gute Frau durchaus verdient. Sie hätten Miss Taylor doch nicht ewig hier festhalten können und meinen exzentrischen Launen aussetzen, wenn sie ein eigenes Haus haben kann?«

»Ein eigenes Haus! – Worin besteht denn der Vorteil eines eigenen Hauses? Unseres ist dreimal so groß; – außerdem hast du niemals exzentrische Launen, meine Liebe.«

»Wie oft werden wir sie besuchen und sie werden zu uns kommen! – Wir werden uns immer wieder treffen! Wir müssen damit den Anfang machen, indem wir bald hingehen und ihnen einen Hochzeitsbesuch abstatten.«

»Meine Liebe, wie soll ich denn dorthin gelangen? Randalls ist so weit entfernt. Ich könnte nicht halb so weit gehen.«

»Wer redet denn davon, dass Sie zu Fuß gehen sollen, Papa. Wir werden natürlich den Wagen nehmen.«

»Den Wagen! Aber James wird den Wagen nicht gern für solch eine kurze Fahrt einspannen wollen; – und wo sollen die armen Pferde bleiben, während wir unseren Besuch machen?«

»Natürlich in Mr. Westons Stall, Papa. Sie wissen doch, dass wir das alles schon arrangiert haben. Wir haben es gestern abend mit ihm besprochen. Was James betrifft, geht er bestimmt immer gern nach Randalls, seit seine Tochter dort Hausmädchen ist. Ich bezweifle nur, dass er uns gern irgendwo anders hinfahren würde. Daran sind Sie schuld, Papa. Sie haben Hannah die gute Stellung verschafft. Niemand wäre auf sie gekommen, wenn Sie nicht ihren Namen genannt hätten. – James ist Ihnen sehr zu Dank verpflichtet!«

»Ich bin froh, dass ich an sie dachte. Es war ein Glück, denn es wäre mir unangenehm gewesen, wenn James sich von mir übergangen gefühlt hätte; und ich bin sicher, sie gibt eine gute Dienerin ab, sie ist ein höfliches Mädchen und weiß sich gut auszudrücken, ich halte viel von ihr. Wann immer ich sie sehe, macht sie stets einen anmutigen Knicks und erkundigt sich nach meinem Befinden, und wenn du sie zu Näharbeiten hier hast, stelle ich fest, dass sie die Tür vorsichtig schließt und nie zuknallt. Sie wird sicher eine ausgezeichnete Dienerin und die arme Miss Taylor wird froh sein, jemand um sich zu haben, an den sie gewöhnt ist. Weisst du, wann immer James hinübergeht, um seine Tochter zu besuchen, wird sie Neues über uns erfahren. Er wird ihr erzählen, wie es uns allen geht.«

Emma gab sich alle Mühe, ihn in dieser erfreulichen Stimmung zu halten und hoffte dabei, dass das Puffspiel ihren Vater leidlich über den Abend hinwegbringen und er sie nicht mehr mit seinen Kümmernissen behelligen werde. Der Tisch für das Puffspiel wurde zwar aufgestellt, aber da kurz darauf Besuch kam, wurde er nicht gebraucht.

Mr. Knightley, ein verständiger Mann von sieben‐ oder achtunddreißig Jahren, war nicht nur ein alter und vertrauter Freund der Familie, als älterer Bruder von Isabellas Mann fühlte er sich mit ihnen besonders verbunden. Er wohnte ungefähr eine Meile von Highbury entfernt und war ein häufiger, stets willkommener Besucher. Diesmal war er ihnen noch willkommener, da er direkt von ihren gemeinsamen Verwandten aus London kam. Er war nach einer Abwesenheit von einigen Tagen zu einem späten Dinner zurückgekehrt und anschließend nach Hartfield herübergekommen, um zu berichten, dass in Brunswick Square alles wohlauf sei. Es waren erfreuliche Nachrichten, die Mr. Woodhouse zunächst sehr anregten. Mr. Knightley hatte ein heiteres Wesen, das wohltuend auf ihn wirkte, und die Antworten auf seine Fragen nach der »armen Isabella« stellten ihn außerordentlich zufrieden. Mr. Woodhouse bemerkte darauf dankbar

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. Knightley, uns noch zu solch später Stunde aufzusuchen. Ich befürchte, Sie hatten nicht gerade einen angenehmen Spaziergang.«

»Nichts weniger als das, Sir, es ist eine wundervolle Mondnacht und so mild, dass ich von Ihrem starken Feuer wegrücken muss.«

»Aber ist es nicht draußen sehr feucht und schmutzig? Hoffentlich erkälten Sie sich nicht.«

»Schmutzig, Sir! Schauen Sie sich meine Schuhe an, sie sind ganz sauber und trocken.«

»Nun, das wundert mich, denn wir hatten hier einen starken Regen, der eine halbe Stunde lang mit großer Heftigkeit niederging, während wir beim Frühstück saßen. Ich wollte schon vorschlagen, die Hochzeit zu verschieben.«

»Übrigens, ich habe Ihnen ja noch gar nicht gratuliert. Mir war nämlich klar, dass Sie es für sich durchaus nicht nur als Glück empfinden, weswegen ich mich mit meinen Glückwünschen nicht allzusehr beeilt habe. Hoffentlich ist alles soweit zufriedenstellend abgelaufen. Wie habt ihr euch alle benommen? Wer hat denn am meisten geweint?«

»Ach, natürlich die arme Miss Taylor! Sʹist eine traurige Angelegenheit.«

»Armer Mr. und arme Miss Woodhouse, bitte sehr, aber ich kann unmöglich ›arme Miss Taylor‹ sagen. Ich habe zwar vor Ihnen und Emma große Achtung, aber hier geht es um die Alternative: Abhängigkeit oder Unabhängigkeit. Es ist auf alle Fälle viel leichter, nur einen Menschen anstatt deren zwei zufriedenstellen zu müssen.«

»Besonders, wenn einer dieser beiden ein derart launisches und unerträgliches Geschöpf ist!« warf Emma fröhlich ein. »Ich weiß, dass es das ist, woran Sie denken und auch unverblümt aussprechen würden, wäre mein Vater nicht anwesend.«

»Meine Liebe, ich glaube, das trifft tatsächlich zu«, sagte Mr. Woodhouse seufzend. »Ich fürchte, ich bin manchmal wirklich sehr launenhaft und unerträglich.«

»Mein liebster Papa, Sie nehmen doch nicht etwa an, dass ich Sie damit gemeint habe, oder Mr. Knightley dies glauben machen wollte. Was für ein schrecklicher Gedanke! Oh nein, ich dachte dabei ausschließlich an mich selbst. Mr. Knightley hat, wie Sie wissen, an mir oft etwas auszusetzen, wenn auch nur im Scherz. Wir sagen einander immer, was uns gerade so einfällt.«

Mr. Knightley war tatsächlich einer der wenigen Menschen, die an Emma Woodhouse Fehler entdeckten, und auch der einzige, der mit ihr darüber sprach, und obwohl es für Emma selbst nicht gerade angenehm war, wusste sie genau, dass es ihren Vater noch härter treffen würde, hätte er eine Ahnung davon, dass sie durchaus nicht von allen für vollkommen gehalten wurde.

»Emma weiß, dass ich ihr nie schmeichle«, sagte Mr. Knightley, »aber ich wollte niemand Unrecht tun. Miss Taylor war daran gewöhnt, zwei Menschen zufriedenstellen zu müssen, während es jetzt nur noch einer ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie schon dadurch besser dran ist.«

»Nun«, sagte Emma, gewillt, es durchgehen zu lassen, »Sie möchten doch sicher etwas über die Hochzeit erfahren und ich werde Ihnen gern darüber berichten. Wir haben uns alle charmant benommen. Alle waren pünktlich zur Stelle, alle sahen vorteilhaft aus, es gab keine Tränen und keine langen Gesichter. Oh nein, wir wussten ja, dass wir nur eine halbe Meile voneinander entfernt leben würden und uns jeden Tag sehen könnten.«

»Meine gute Emma erträgt alles mit Fassung«, sagte ihr Vater.

»Aber, Mr. Knightley, es ist ihr doch sehr schmerzlich, die arme Miss Taylor zu verlieren, und sie wird sie in Zukunft sicherlich noch mehr vermissen, als ihr jetzt klar ist.«

Emma wandte das Gesicht ab und schwankte zwischen Lachen und Weinen.

»Es wäre undenkbar, dass Emma solch eine Gefährtin nicht missen sollte«, sagte Mr. Knightley. »Wir hätten sie nicht so gern, Sir, wenn wir dies annehmen müssten, aber sie versteht auch, wie willkommen ein eigenes Heim für Miss Taylor in ihrem Alter sein muss und wie wichtig eine ausreichende Versorgung für sie ist, Miss Taylor kann es sich infolgedessen nicht leisten, mehr Kummer als Freude zu empfinden. Alle ihre Freunde müssen sich darüber freuen, sie so glücklich verheiratet zu sehen.«

»Sie haben noch etwas vergessen, was für mich ein Grund zur Freude ist«, sagte Emma, »noch dazu ein sehr wichtiger – nämlich der, dass ich die Verbindung zustande gebracht habe. Sie müssen wissen, ich habe diese schon vor vier Jahren angebahnt und ihr Zustandekommen beweist, wie recht ich hatte, während noch viele Leute sagten, Mr. Weston würde nie wieder heiraten, das tröstet mich über alle Unannehmlichkeiten hinweg.«

Mr. Knightley konnte nur den Kopf schütteln. Ihr Vater erwiderte zärtlich: »Ach, meine Liebe, ich würde es vorziehen, du würdest keine Ehen stiften und Ereignisse vorhersagen, denn leider trifft das, was du sagst, immer zu. Bitte stifte keine weiteren Ehen.«

»Ich verspreche Ihnen, Papa, keine für mich selbst zu stiften, werde es aber stets gern für andere tun. Es bereitet so viel Vergnügen. Und dann noch nach diesem Erfolg, wissen Sie! Wo alle behaupteten, Mr. Weston würde nie wieder heiraten. Du liebe Zeit, nein! Mr. Weston, der schon so lange Witwer war und sich unbeweibt völlig wohl zu fühlen schien, der sich dauernd um seine Geschäfte in der Stadt oder seine Freunde kümmerte, der überall, wo er auch hinkam, gern gesehen und stets guter Laune war – Mr. Weston hätte es nicht nötig gehabt, auch nur einen einzigen Abend allein zu verbringen, wenn er es nicht gewollt hätte. Oh nein, Mr. Weston würde bestimmt nicht wieder heiraten. Einzelne erwähnten sogar ein Versprechen, das er seiner Frau am Sterbebett gegeben habe, und andere sprachen davon, sein Sohn und der Onkel würden es nicht zulassen. Manch höherer Unsinn wurde in der Sache geäußert, aber ich hielt nichts davon. Ich hatte an jenem Tag (vor etwa vier Jahren), als Miss Taylor und ich ihn in Broadway Lane trafen, und als er, da es zu nieseln angefangen hatte, so galant davonstürzte und sich von Farmer Mitchell für uns zwei Schirme auslieh, bereits meinen Entschluss gefasst. Von da an plante ich die Verbindung, und da ich in diesem Fall so erfolgreich war, können Sie, lieber Papa, nicht von mir erwarten, dass ich das Ehestiften aufgebe.«

»Ich begreife nicht recht, was Sie unter ›Erfolg‹ verstehen«, sagte Mr. Knightley. »Erfolg setzt Anstrengung voraus. Sie haben Ihre Zeit zweckmäßig und taktvoll angewendet, wenn Sie sich in den vergangenen vier Jahren um diese Eheschließung bemüht haben. Durchaus eine Beschäftigung, die dem Geist einer jungen Dame angemessen ist. Wenn aber, wie ich es sehe, ihre sogenannte Ehestiftung darin besteht, dass Sie dieselbe lediglich planten, indem Sie sich eines müssigen Tages einredeten, ›ich glaube, es wäre für Miss Taylor vorteilhaft, wenn Mr. Weston sie heiraten würde‹, und Sie es sich immer wieder suggerierten – wieso sprechen Sie da von Erfolg? Worin besteht Ihr Verdienst? Was bilden Sie sich eigentlich ein? Sie hatten eine glückliche Vorahnung, das ist alles.«

»Und haben Sie nie erlebt, wieviel Freude und Genugtuung einem eine glückliche Vorahnung bereiten kann? Dann kann ich Sie nur bedauern. Ich hätte Sie für intelligenter gehalten. Sie können mir glauben, eine glückliche Vorahnung beruht nicht nur auf Glück. Es kommt immer auch etwas Begabung hinzu.

Was mein unangebrachtes Wort ›Erfolg‹ betrifft, an dem Sie Anstoß zu nehmen scheinen, wüsste ich nicht, warum ich es für mich nicht beanspruchen sollte. Sie haben zwei nette Deutungen gegeben, aber ich glaube, da ist noch eine dritte – ein Zwischending von Alles‐Tun und Garnichts‐Tun. Hätte ich Mr. Westons Besuche hier im Hause nicht begünstigt, ihn ermutigt und kleine Schwierigkeiten ausgebügelt, dann wäre vielleicht trotzdem nichts dabei herausgekommen. Ich nehme an, Sie kennen Hartfield gut genug, um zu verstehen, was ich meine.«

»Man hätte es einem freimütigen, offenherzigen Mann wie Mr. Weston, und einer vernünftigen, natürlichen Frau wie Miss Taylor durchaus überlassen können, mit ihren eigenen Angelegenheiten fertig zu werden. Sie haben sich durch Ihre Einmischung möglicherweise mehr geschadet als ihnen genützt.«

»Emma denkt nie an sich selbst, wenn sie anderen nützlich sein kann«, erwiderte Mr. Woodhouse, der alles nur halb mitbekommen hatte. »Aber stifte bitte keine weiteren Ehen, meine Liebe, es sind überflüssige Dinge, die nur das Familienleben beeinträchtigen.«

»Nur noch eine, Papa; die von Mr. Elton. Du hast ihn doch gern; ich muss unbedingt eine Frau für ihn finden. Ich wüsste hier in Highbury keine, die zu ihm passen würde – er ist schon ein ganzes Jahr hier und hat sein Haus behaglich eingerichtet, es wäre doch schade, wenn er noch länger ledig bliebe, und als er heute ihre Hände ineinander legte, kam es mir so vor, als hätte er mit Blicken sagen wollen, er wäre gern an ihrer Stelle! Ich halte viel von Mr. Elton, und dies wäre die einzige Möglichkeit, ihm zu helfen.«

»Mr. Elton ist bestimmt ein sehr hübscher und anständiger junger Mann, und ich habe große Achtung vor ihm. Aber wenn du ihm eine Aufmerksamkeit erweisen willst, meine Liebe, dann lade ihn doch einmal ein, mit uns zu speisen. Das wäre das richtige. Ich nehme an, Mr. Knightley wird so freundlich sein, ihn abzuholen.«

»Jederzeit, Sir, mit dem größten Vergnügen«, sagte Mr. Knightley lachend. »Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass dies der bessere Weg wäre. Laden Sie ihn zum Dinner ein, Emma, und setzen Sie ihm vom Fisch und Fleisch die besten Stücke vor, aber überlassen Sie es ihn, sich die passende Frau zu suchen. Verlassen Sie sich drauf, ein Mann von sechs‐ oder siebenundzwanzig Jahren kommt auch allein zurecht.«