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Vorwort des Herausgebers

Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799–1837) ist der Dichter der russischen Seele. Obwohl er nicht einmal 38 Jahre alt wurde, prägte er die russische Literatur wie kein anderer und steht in seinem Heimatland weit über allen anderen, auch weit über den im Westen populäreren Tolstoi und Dostojewski.

Doch: Wie konnte er dieses geradezu goethesche Format erreichen?

Zum einen war es der Zeit geschuldet: Bis zum Einmarsch Napoleons in Moskau 1812 sprach die russische Oberschicht Französisch. Nach dem verheerenden Brand der Stadt und den Verwüstungen, die die Franzosen hinterlassen hatten, begann sich auch die Elite des Landes zu fragen, warum man eigentlich willfährig die Sprache des Feindes spreche. Das Russische erlebte einen Aufschwung, Französisch verwand als Amtssprache.

Puschkin war der Schriftsteller, der diese Veränderungen am hautnahsten erlebte. Bereits als Schüler, im Alter von 15 Jahren, hatte er, gleichsam literarisches Wunderkind, sein patriotisches Gedicht »Erinnerungen an Zarskoje Selo« geschrieben, (Воспоминание о Царском Селе), das in der Zeitschrift Russisches Museum (Русский Музей) abgedruckt wurde. Es erregte solches Aufsehen und Bewunderung, dass der junge Mann noch während seiner Schulzeit in die Petersburger literarische Gesellschaft ›Arsamas‹ aufgenommen wurde. Dieser Zusammenschluss von Kreativen wandte sich gegen die tradierten, verkrusteten Sprachvorstellungen der etablierten Literatur und setzte sich für eine Weiterentwicklung der russischen Hoch- und Schriftsprache ein.

In seinen folgenden Werken bahnt Puschkin der Verwendung der Umgangssprache den Weg. Als Universalist der Stilformen prägt er einen ganz neuen erzählerischen Sprachstil. Das Spiel mit den literarischen Elementen, das leichtfüßige Überspringen von Genregrenzen, das virtuose Sich-Bedienen aus dem Setzkasten der reichen russischen Sprache, der eloquente und sanft dahinfließende Duktus – das war Puschkin, und alle, die ihm nachfolgten, lernten und profitierten von ihm. Er wurde zum russischen Dichter schlechthin und beeinflusste alle nach ihm Kommenden.

Zum anderen dürften auch die Grundzüge seines Charakters für seinen großen Erfolg verantwortlich sein; im Rückblick betrachtet ist Puschkin, wie auch Goethe, nicht einer, der polarisiert, sondern integrativ wirkt: Ein junger Mann aus bestem Hause, ein Adliger, ein Intellektueller, spöttisch und kritisch seiner eigenen Gesellschaftsschicht gegenüber, jedoch kein Revoluzzer, sondern ein Gratwanderer. Vom Regime immer misstrauisch beäugt und beobachtet, aber gerade noch geduldet. Die zaristische Autokratie sieht er als überlebtes und ungerechtes Modell. Als Patriot blickt er nach vorne, ein neues, freiheitsliebendes und weltoffenes Russland vor Augen. Einen literarischen Visionär könnte man ihn nennen, der der russischen Seele die Nahrung gab, nach der sie schon so lange dürstete.

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Ein Biograph berichtet: »Kriegerische Taten, Beweise von Helden- und Opfermut erregten stets sein höchstes Interesse, er selbst, leidenschaftlich wie er war, blieb kalt wie Eis, wenn er der Pistolenmündung eines Gegners im Duell gegenüber stand. In den sogenannten ritterlichen Übungen war er gewandt und übte sie gern, wie Reiten und Fechten.«

Man schreibt das Jahr 1837, Puschkin ist im 38. Lebensjahr, er ist nun seit sechs Jahren verheiratet, und das Leben scheint in ruhigeren Bahnen zu fließen. Es ist keine Revolution, kein Aufruhr oder politische Verfolgung, die ihn das Leben kostet. Nein, eine ganz private Fehde um Liebe und Eifersucht (obwohl die Gerüchte, dahinter steckte ein Komplott, das seinen Tod zum Ziele hatte, nicht lange auf sich warten ließen.)

Der französische Adelige Georges-Charles de Heeckeren d’Anthès hatte die Schwester von Puschkins Frau geheiratet – machte aber dennoch über Gebühr, vor und nach der Hochzeit, Natalja Puschkina, Puschkins Ehefrau, den Hof. Und zwar in so auffallender und provozierender Weise, dass es der Umgebung nicht verborgen bleiben konnte. Gerüchte, die beiden hätten eine heimliche Affäre, ließen nicht lange auf sich warten.

Puschkin konnte das nicht auf sich sitzen lassen und schrieb einen beleidigenden Brief an Heeckerens Adoptivvater. Heeckeren d’Anthès forderte daraufhin Puschkin zum Duell heraus, das so geschildert wird:

»Die Duellbedingungen wurden von den Sekundanten ausgehandelt und schriftlich festgelegt. Am 8. Februar 1837 (27. Januar julianischer Kalender) wurde der Zweikampf in der Nähe von Sankt Petersburg am sogenannten Schwarzen Fluss ausgetragen. Die Kontrahenten nahmen in der vereinbarten Distanz voneinander Aufstellung und rückten auf ein Startzeichen vor. D’Anthès schoss als erster und traf Puschkin in den Leib. Am Boden liegend – die Waffe war ihm aus der Hand gefallen und man musste ihm eine andere reichen – gab auch der schwer verwundete Puschkin einen Schuss ab, verletzte seinen Gegner jedoch nur leicht. Er selbst erlag zwei Tage später im Alter von siebenunddreißig Jahren seiner Verletzung.«

Der plötzliche und gewaltsame Tod des russischen Nationaldichters – noch dazu verursacht durch einen Ausländer – löste in Russland Trauer und Wut aus. »Ein unermesslicher Schmerz durchzuckte ganz Russland bei der Nachricht von Puschkins Ende«, schreibt ein Zeitgenosse. Obwohl noch keine 38 Jahre alt, hatte Puschkin sein Russland im Herzen berührt, wie kein anderer Dichter und Schriftsteller vor ihm. Er fand seine letzte Ruhestätte, wie von ihm gewünscht, auf dem Friedhof des Swjatogorski-Klosters in der Nähe der Stadt Pskow (deutsch: Pleskau), etwa 290 Kilometer südwestlich von Sankt Petersburg.

Redaktion eClassica