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Marcel Weyers

Rabengift

Auf ewig verdammt





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Impressum

Rabengift – Auf ewig verdammt

von Marcel Weyers

 

Band 3 der Raben-Saga

 

E-Book, erschienen im Februar 2015

Copyright © Marcel Weyers, 2015

www.marcel-weyers.de

info@marcel-weyers.de

 

Lektorat:

Christina Schuster

 

Covergrafik:

Hofhauser/Shutterstock.com

 

Coverbearbeitung und -gestaltung:

BUCHGEWAND | www.buch-gewand.de

 

Marcel Weyers

Großenhainer Str. 135

01129 Dresden

 

Alle Rechte vorbehalten.

Sämtliche Personen und Geschehnisse in dieser Geschichte sind frei erfunden oder wurden fiktionalisiert. Jegliche Ähnlichkeiten sind rein zufällig.

 

Marcel Weyers ist ein Autor, Übersetzer, Lektor und Videospielentwickler. 2011 erschien mit „Schatten“ sein Debütroman, welcher Auftakt einer Trilogie war.

Für zahlreiche Videospielfirmen übersetzte er sowohl freie als auch kommerzielle Videospiele ins Deutsche, darunter insbesondere Visual Novels.

Seine Videospielserie „Sleepless Night“ wurde in über 10 Sprachen übersetzt. Für weitere Informationen besucht die Raben-Saga auf Facebook oder geht auf www.marcel-weyers.de.

 

Auch von Marcel Weyers:

Die Schatten-Trilogie

  1. Schatten

  2. Schattenjäger

  3. Schattenland

Depths of Forever

 

Prolog

Salem, Massachusetts

Was habe ich nur getan? Ich hätte sie nie aus den Augen lassen sollen! Wie konnte ich nur annehmen, dass Elizabeth aufgeben würde? Abigail windet sich unter Schmerzen auf meinem Küchenboden und ich kann nichts dagegen tun. Neben ihr liegt Jeremiah und rührt sich nicht; aus seinem Mund tropft Schaum.

Mit einem Ruck jedoch springt er auf, sein silberfarbenes Haar wird pechschwarz und aus seinem Rücken wachsen Flügel. Das ist kein normales Gift – es ist mein Fluch! Elizabeth hat es getan, sie hat tatsächlich Abigail denselben Fluch aufgehalst wie mir.

Jeremiah flieht mit einem Krächzen durch das geschlossene Fenster und zerbricht dabei das Glas. Neben mir höre ich nur die entsetzten Schreie von Abigails Freunden. Ich bin starr vor Angst. Was soll ich nur tun?

Jetzt ist auch Abigail wieder auf den Beinen. Ihre blutroten Augen sind ausdruckslos und es kommt mir fast vor, als fleht sie mich schweigend um Hilfe an. Doch die menschliche Sprache hat sie längst verlernt. Ihr Haar ist sowieso schon immer schwarz gewesen, aber ich meine, es ist noch dunkler geworden.

Zögernd gehe ich ein paar Schritte auf sie zu. Ich strecke meine Hand nach ihr aus und in meinen Augen bilden sich die ersten Tränen.

Abigail krächzt mich aggressiv an und ich weiche sofort zurück. Sie ist nicht mehr sie selbst. Ich habe sie verloren. Mit schlagenden Flügeln dreht sie mir den Rücken zu und folgt Jeremiah in die Dunkelheit.

Was habe ich getan? Das ist alles meine Schuld. Abigail … es tut mir so leid. Wenn es etwas gibt, was ich nie gewollt habe, dann dich zu verlieren. Aber genau das habe ich jetzt.

Vielleicht für immer.

Kapitel 1: Rabenhexe

Das Einzige, was ich sehe, sind die grauen Häuserdächer unter mir. Ich fliege. Ich fliege wirklich! Es kommt mir so natürlich vor, aber es ist alles andere als das. Wie kann das nur möglich sein?

Der Schmerz ist fast lähmend. Gott, ich hätte nie gedacht, dass Corvus solche Schmerzen ertragen kann. Corvus … Das ist es also, was du seit über dreihundert Jahren ertragen musst? Das ist schlimmer als die Hölle!

Plötzlich werden meine Flügelschläge langsamer und ich sinke. Nicht weit vom Friedhof entfernt (Ironie des Schicksals?) lande ich unsanft auf der menschenleeren Straße. Ich spucke Blut; um mich herum regnet es schwarze Federn. Zuckend vor Schmerz krümme ich mich zusammen auf dem Asphalt. Wann wird das endlich aufhören?

Sei stark, Abigail, sei stark! Du hast es dir und deinen Freunden versprochen, es zu versuchen. Bevor ich weiter daran denken kann, wird mir schwarz vor Augen und ich verliere das Bewusstsein.

 

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als ich wieder zu mir komme. Das Erste, was mir auffällt, ist der eiskalte Schnee unter mir. Ich bin nackt und liege mitten auf der Straße. Zum Glück ist es mitten in der Nacht und keiner ist in Sicht, der das mitangesehen haben könnte. Ich kann nur ein paar Stunden verwandelt gewesen sein.

Keuchend raffe ich mich auf. Meine Zähne klappern und es kommt mir vor, als wären einige meiner Körperteile abgestorben. Es ist so kalt, dass mir nicht mal das Fehlen meiner Kleidung Schamesröte ins Gesicht treiben kann.

Was bin ich jetzt? Rabenwesen? Hexe? Eine Rabenhexe? Vielleicht liege ich auch einfach nur auf der Geschlossenen und halluziniere vor mich hin. In Anbetracht der Dinge, die in den letzten Wochen passiert sind, wäre das gar nicht mal das Schlimmste.

An meinem Hals fühle ich die kalte Rhodonit-Kette. Sie ist noch da – Gott sei Dank! Zitternd greife ich nach ihr und versuche, mich zurück in Corvus‘ Villa zu bringen.

Armer Jeremiah. Ich hoffe, es geht ihm gut und er findet seinen Weg zurück. Er hat viel mehr von dem Gift getrunken und jetzt wo ich darüber nachdenke, ich weiß gar nicht, was mit ihm passiert ist.

Mit einem Knall verschwimmt die Umgebung vor meinen Augen und ich finde mich in einem Raum wieder. Habe ich es geschafft? Bin ich bei Corvus?

Meine Augen landen auf dem Bett und ehe ich es mir anders überlegen kann, lasse ich mich darauf fallen und schlafe ein.

 

»Abigail?« Eine weiche Stimme weckt mich aus meinem Schlaf. Es ist immer noch (oder schon wieder?) dunkel draußen, aber trotzdem kommt es mir so hell vor, dass meine Sicht getrübt wird. Über mich beugt sich eine dunkle Silhouette. Corvus!

»Sie wacht auf!« Er ruft das zu einer weiteren Person im Zimmer, aber ich bin zu schwach, um seinem Blick zu folgen. Ich will etwas sagen, aber selbst das Sprechen fällt mir schwer.

»Mach mal Platz, Cornelius!« Das ist Emilys Stimme. Emily. Mit einem Satz springe ich auf und sitze stocksteif im Bett.

»D-du …!« Mit zitterndem Finger zeige ich auf sie.

»Abi, es ist alles in Ordnung! Emily war nicht diejenige, die dich vergiftet hat.« Corvus versucht, mich zu beruhigen, aber meine Augen weichen nicht von Emilys sanftem Engelsgesicht. Aber dann wird mir klar, dass Elizabeth nicht zum ersten Mal einen Gestaltzauber angewendet hat. Wir müssen demnächst noch vorsichtiger sein, wer uns wirklich gegenübersteht. Elizabeth will doch nur, dass wir uns gegeneinander ausspielen.

»Was ist passiert? Wo ist Jeremiah?« Mein Schädel schmerzt höllisch und ich presse eine Hand gegen meine Stirn.

»Es geht ihm gut … Mehr oder weniger. Wir haben ihn gestern Nacht in der Nähe vom Salem Museum aufgegabelt, kurz nachdem du zurück warst«, erklärt Emily, aber als ich ihr Gesicht näher sehe, erkenne ich Sorgenfalten auf ihrer Stirn.

»Jacob kümmert sich um ihn«, versichert mir Corvus und ich seufze erleichtert. »Es tut mir so leid, Abi. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mir das leidtut.« Sein Kiefer bebt und in seinen Augen haben sich Tränen gebildet.

»Ich bin wie du«, sage ich nur und die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Ich bin jetzt wie Corvus. Ein Rabenmensch, verdammt bis in alle Ewigkeit. Nein. Nein! Das darf nicht wahr sein. Es muss ein Heilmittel geben. Jemand muss mir helfen. Ich brauche Hilfe! Sarah!

»Ich … kann nicht … Was soll ich denn jetzt … Aber warum …« Meine Stimme ist verzweifelt und ich breche in Tränen aus. »Warum?!«

»Abigail, beruhige dich.« Corvus legt einen Arm auf meine Schulter. Mich beruhigen? Mit einer flinken Bewegung greife ich nach seinem Arm und drehe ihn, bis es knackt und Corvus aufschreit.

»Beruhigen?!« Ich stehe jetzt mit beiden Beinen im Bett und verdrehe Corvus‘ Arm. Emily kommt schnell auf mich zu.

»Lass ihn los, Abigail! Das bist nicht du!« Aber ich höre nicht auf sie. Warum sollte ich? Die beiden sind schuld an dem ganzen Unglück, was mir widerfahren ist.

Emily schnippt mit dem Finger und plötzlich taucht vor meinem Gesicht ein kleiner Spiegel auf. Die stechend roten Augen, die scharfen Reißzähne und mein wutverzerrtes Gesicht … das alles – ja, ich selbst jage mir einen Schrecken ein. Sofort lasse ich Corvus los und starre auf meine Hände.

»Was …?« Ich kann nicht begreifen, nicht verstehen, was mit mir vorgeht. Warum verspüre ich diese Wut? Ich verhalte mich wie eine Verrückte.

»Corvus, es tut mir leid. Ich wollte nicht …« Doch er winkt ab und reibt sich den Arm. Ich sehe noch immer die roten Abdrücke von meiner Hand. Ein Monster, eine Bestie, das bin ich.

»Ich glaube, du brauchst etwas Zeit für dich allein, Abigail«, sagt Emily und sieht mich mit besorgten Augen an. Das Einzige, was ich tun kann, ist nicken.

»Ich will zu meiner Familie«, antworte ich und steige aus dem Bett. Mir fällt auf, dass mir wohl jemand gestern eine Art Krankenhausrobe angezogen hat. Mit schnellen Schritten gehe ich zur Tür. Ich werde den Weg zu meinem neuen Zimmer in der Villa schon finden. Etwas überziehen und dann meine Familie besuchen.

Als ich die Tür öffne, werfe ich noch mal einen Blick über meine Schultern. Mit großen Augen schauen mich Corvus und Emily besorgt an. Corvus …

 

Es ist noch dunkel, als ich auf dem Friedhof stehe und auf die Gräber meiner Familie schaue. Jetzt wo ich darüber nachdenke, werde ich noch ans Tageslicht können? Emily muss sich wohl etwas einfallen lassen, um meine Rhodonit-Kette mit dem Zauber zu belegen, der auch Corvus vor der Sonne schützt. Falls das überhaupt möglich ist. Vielleicht brauche ich bald auch einen Obsidian. Was bedeutet, dass ich meinen Rhodonit nicht mehr verwenden kann, denn es funktioniert immer nur ein Stein. Gott, wie konnte diese ganze Situation nur noch komplizierter werden, als sie sowieso schon war?

Mom, Dad … Sarah. Ich bin froh, dass ihr nicht sehen könnt, was aus mir geworden ist. Es tut mir leid, dass ich euch nicht vor Elizabeth schützen konnte. Es tut mir leid, dass ich so eine Enttäuschung für euch sein muss.

Wann bin ich so wehleidig geworden? Ob das auch eine Nebenwirkung von dem Fluch ist? Was hat Elizabeth davon, mir ebenfalls diesen Fluch aufzuhalsen? So viele Fragen … Ich hoffe, die Antworten lassen nicht mehr allzu lang auf sich warten. Wer weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt.

Ein kalter Windzug bläst etwas Schnee über mein Gesicht und ich schlinge instinktiv meine Arme um mich. Der Friedhof hat mir einst Trost gespendet, doch ich fühle mich hier nicht mehr so wohl wie früher. Seit der Tod mir auf Schritt und Tritt folgt, finde ich ihn nicht mehr so faszinierend. Niemand in meinem Alter sollte sich um den Tod so viele Sorgen machen müssen wie ich.

Meine Augen sind noch immer auf die Grabsteine gerichtet. Immer und immer wieder spreche ich ihren Namen vor mich hin. Mary Willows. Maria Winterberg.

Es gibt vielleicht eine Lösung, einen letzten Ausweg. Konsequenzen hin oder her, ich muss Emily überzeugen. Ich muss mit meiner Mutter sprechen.