Cover

Über dieses Buch:

Es kam aus dem Nichts wie eine Gewitterfront – doch dann zeigte sich die Macht des Dämonensturms mit grausamer Härte. Zehn Jahre sind seit »Tag X« vergangen. Die Stadt ist vom Rest der Welt abgeschnitten, und noch immer verschwinden jeden Tag Menschen spurlos. Lisa gehört zu einem Räumungsteam, das die Wohnungen der Opfer rituell reinigt und versiegelt … bis sie selbst entführt wird: Gerade noch steht die junge Frau in ihrer Küche, im nächsten Moment findet sie sich in einer albtraumhaften Welt voll dunkler Magie und brutaler Gewalt wieder. Der Tod scheint der einzige Ausweg. Aber Lisa ist nicht bereit, aufzugeben!

Über die Autorin:

Angelika Monkberg, geboren 1955, lebt in Franken. Sie arbeitet im öffentlichen Dienst. Daneben schreibt sie Kurzgeschichten und Romane – wenn sie nicht zeichnet oder malt. In beiden Bereichen gilt ihr Interesse vor allem dem Phantastischen.

Bei dotbooks erschien bereits Angelika Monkbergs Fantasy-Epos DRACHE UND PHÖNIX mit den Einzelbänden

Erster Roman: Goldene Federn

Zweiter Roman: Goldene Kuppeln

Dritter Roman: Goldene Spuren

Vierter Roman: Goldene Asche

Fünfter Roman: Goldene Jagd

Sechster Roman: Goldene Lichter

Siebter Roman: Goldene Ewigkeit

Mehr Informationen über Angelika Monkberg im Internet: www.facebook.com/1AngelikaMonkberg

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Originalausgabe Juni 2015

Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/Kiselev Andrey Valerevich

ISBN 978-3-95824-196-1

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Angelika Monkberg

Tornado

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Vertraulich / Information nur für Teamchefs: Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass stabile Paarbeziehungen, möglichst mit Begabten, den besten, wenn nicht sogar einzigen Schutz gegen Besessenheit darstellen.

Der Gestank war wie immer fast nicht auszuhalten. Lisa stand mit einem Meter Sicherheitsabstand hinter Mike und sah ihm zu, wie er das Schloss knackte, und hinter ihr wiederum, auf Tuchfühlung, wartete Kjell. Er hatte offensichtlich Vergnügen daran, ihr etwas zu nah zu kommen, vor allem in dieser Phase, und leider gaben ihm die Regeln für Räumungsteams auch noch quasi das Recht dazu. Sie wussten nie, was sie hinter der Tür einer Wohnung erwartete, und weil im schlimmsten Fall nur noch der Magier das Verhängnis aufhalten konnte, lautete Regel Nummer eins Manndeckung für den Chef. Darum atmete ihr Kjell Grettirsson direkt in den Nacken und zwang ihr seine Körperwärme auf. Darum betrat er jeden Tatort grundsätzlich zuletzt.

»Na? Kriegst du es bald auf, Mike?« Seine Lippen streiften fast ihr Ohr. Möglich, dass seine Stimme und die Macht, die er besaß, auf andere Frauen eine beinahe hypnotische Anziehungskraft ausübten, ihr jedoch stellten sich alle Haare auf, wenn er so an ihr klebte. Dabei konnte sie noch nicht einmal genau den Finger darauf legen, was sie eigentlich an ihm abstieß. Kjell war groß und breitschultrig. Er sah gut aus, ein bisschen wie ein Wikinger, blond, mit blauen Augen und einer sehr geraden Nase. Er war auch als Chef ziemlich okay, jedenfalls verglichen damit, wie sich seinesgleichen sonst aufführte. Seit die sechs Trichter des Dämonensturms unverrückbar über München hingen und immer wieder Menschen mit ihrem gierigen schwarzen Rüssel einsaugten, konnten sich die Meister der Gilde so ziemlich alles erlauben. Sie besetzten überall die besten Plätze, und ihre Partys waren legendär. Sex, Drogen und Alkohol. Selbst wenn Lisa die Hälfte von dem abzog, was in der Stadt an Gerüchten umging, hatten Magier hier wirklich eine gute Zeit.

Obwohl, das war ungerecht. Die Meister der Gilde mussten zwischen ihren Einsätzen gegen das Böse wahrscheinlich einfach genauso ihre Nerven beruhigen wie alle anderen. Lisa war zwar noch nicht lange Teil von Kjells Team, aber sie merkte das auch schon. Der Job war nicht lustig. Sie hatten in Wohnungen von Verschleppten schon alles vorgefunden: fast verdurstete, wimmernde Babys, Menschen, die sich im letzten Moment noch selbst das Hirn aus dem Schädel geblasen hatten, wild gewordene Haustiere. Erst neulich hatte Mike ein vor Angst halb wahnsinniger Dobermann angesprungen. Die Aufregung, bis sie das Vieh endlich zur Räson gebracht hatten, brauchte Lisa so schnell nicht wieder. Sie erschrak, als sich ihr plötzlich ein Arm um die Taille schlang.

»Ruhig!«, raunte Kjell. »Isst du heute Abend mit mir? Ich habe Steaks im Kühlschrank.«

»Nein, danke.« Sie befreite sich von ihm. »Die Teams sind während der Arbeit zu freundschaftlichen Beziehungen untereinander angehalten, sagt Regel acht. Von Freizeit steht dort nichts.«

Schön, das war unhöflich. Wenn sie klug gewesen wäre, hätte sie sich diese Erwiderung verbissen und seine Einladung angenommen. Kjell war Magier, und einen Meister der Gilde auch privat zu kennen, brachte unbestreitbar Vorteile. Wenn er wirklich nett gefragt hätte, wäre sie vielleicht sogar in Versuchung geraten, ernsthaft über seine Frage nachzudenken. Aber sie bekam in seiner Nähe jedes Mal Kopfschmerzen, außerdem stand er schon wieder so dicht hinter ihr, dass sie sogar durch das dicke Leder ihrer Hose spürte, wie gut ihm das gefiel. Überhaupt schien er sie schon halb als sein Eigentum zu betrachten, und das ging gar nicht. Das ging einfach zu weit.

Kjell grinste. »Dann darf ich dich vielleicht an Regel Nummer zwei erinnern: Den Anweisungen des Teamchefs ist Folge zu leisten.«

»Du hast mir keine Anweisung gegeben. Hoffe ich zumindest nicht.«

Etwas flammte in seinen Augen auf, aber im gleichen Augenblick gab endlich das Schloss nach, und Mike, der zweifellos alles mitgehört hatte, sagte ruhig: »Tür ist offen.«

Stille empfing sie. Lisa lauschte angestrengt, doch jenseits des Flurs lief kein einziges Gerät. Es brummte kein Kühlschrank, niemand spielte Musik, und es näherten sich auch keine Schritte oder tapsende Pfoten. Es prasselte erst recht kein Feuer. Sie entspannte sich etwas. Wohnungsbrände waren nicht schön, nicht nur, weil sie dann wieder ewig herumstanden, bis die Feuerwehr eintraf. Die Rettungsdienste verfügten natürlich über Treibstoff, aber sie kamen zwischen den vielen motorlosen und darum langsamen Fahrzeugen selten zügig durch. Wer in München nicht zu Fuß gehen oder Fahrrad fahren wollte, war seit dem Tag X auf Zugtiere angewiesen, und man bewege bitte mal ein störrisches Gespann dazu, schnell den Weg freizugeben. Mike konnte ein Lied davon singen, denn er führte die beiden Ochsen vor Kjells Wagen. Meistens machten Burschi und Murrli keine Schwierigkeiten, dennoch waren Tiere auf der Fahrbahn oder mangelnder Wasserdruck oft genug der Grund, dass ganze Häuserblocks ausbrannten, und offenbar konnte nicht einmal Magie etwas dagegen ausrichten. Zwischen Stachus und Münchner Freiheit standen heute überall Ruinen, trotzdem hätte Lisa im Augenblick ein Großfeuer der Zornesfalte zwischen Kjells Brauen fast vorgezogen.

Sie verstand nur nicht, welchen Fehler sie genau gemacht hatte. Gut, die Ablehnung kratzte zweifellos an seinem Selbstwertgefühl, aber sexueller Notstand konnte es ja wohl nicht sein. Lieber Gott, er brauchte nur eine Minute irgendwo zu stehen, um einen ganzen Schwarm Frauen und Männer anzulocken, die sich ihm in jeder denkbaren Weise anboten. Er wusste allerdings nicht, dass sie ihn dabei beobachtet hatte. Es war schon eine ganze Weile her, und sie hatte damals noch nicht für die Gilde gearbeitet und gar nicht gewusst, dass Kjell Magier war. Genau genommen hatte sie damals gedacht, er sei Drogendealer, und wenn sie sich richtig erinnerte, war auch wirklich etwas mit einem Händedruck zwischen ihm und einzelnen Auserwählten in der Gruppe seiner Bewunderer ausgetauscht worden. Sie hatte damals aus einem Instinkt heraus schleunigst umgedreht. Es überlief sie selbst heute noch kalt, wenn sie an diesen Nachmittag dachte.

Wie auch immer, an einen wirklich gut bezahlten Job kam man durch hemmungslose Bewunderung eines Magiers natürlich nicht. Lisa war nicht wenig stolz darauf, dass einer der Großmeister sie angesprochen hatte und nicht umgekehrt. Sie hatte damals in der Rathauskantine gearbeitet und sofort zugestimmt, in ein Räumungsteam überzuwechseln. Dass sich die Situation mit Kjell dermaßen ungut entwickeln würde, hatte sie ja schließlich nicht ahnen können. Sie rieb sich die Stirn, aber die Kopfschmerzen wollten nicht weichen. So ging es nicht weiter, sie musste sich bald einen triftigen Grund einfallen lassen, damit er sie in Ruhe ließ. Ein dicker Tropfen Schweiß rann ihr den Rücken herunter. »Mike, was schätzt du, wie lange ist der Überfall dieses Mal her?«

»So wie es riecht? Höchstens vierundzwanzig Stunden.« Er unterbrach seine Arbeit, um sich kurz die nasse Stirn zu trocknen. Auch Mike schwitzte, sein Schutzanzug war sogar noch dicker gepolstert als Lisas Kombination aus Latzhose und Motorradjacke. Dickes Leder und Gelenkschutz waren aber Vorschrift, und nicht nur wegen bissiger Haustiere. Sie mussten manchmal richtig schwere Lasten aus den Wohnungen schleppen, die sie besuchten, sperrige Kunstwerke, Monstergummibäume oder Aquarien. Regel Nummer zwölf verlangte, dass alles, das in die Kategorie Organisches fiel, sicher verwahrt und gepflegt werden musste, bis die Eigentümer zurückkehrten und darüber verfügten. Wobei Lisa ganz ehrlich nicht glaubte, dass dieses Ereignis je eintraf. Die Heimsuchung dauerte inzwischen gute zehn Jahre, und sie hatte in der ganzen Zeit niemals gehört, dass ein Verschleppter wieder aufgetaucht wäre. Es sei denn natürlich, dass die Gildenmeister solche Fälle aus irgendeinem Grund nicht publik machen wollten. Sie zog gedankenverloren Arbeitshandschuhe an.

»Worauf wartest du noch?« Kjell marschierte an ihr vorbei in den Flur. Sie zuckte zusammen. Dass sie die Wohnung erst nach ihm betrat, war eine klare Pflichtverletzung. Aber es bestand keine Gefahr, oder es hätte Mike noch vor Kjell erwischt. Ihr Kollege ging schon durch die Zimmer und riss überall die Fenster auf. Lisa bildete sich ein, dass es sich sofort etwas leichter atmete, doch bis der beißende Dämonengestank vollständig abgezogen war, würden noch Stunden vergehen. Sie hustete und räusperte sich, und sowohl Mike wie auch Kjell folgten ihrem Beispiel. Insgeheim dachte sie, dass er mit dieser Begleiterscheinung der Überfälle ebenfalls nicht so gut klarkam, denn er verwendete jedes Mal riesige Mengen Räucherwerk, wenn er eine Wohnung reinigte. Sie sah aber nirgends seinen Kessel. »He, das Weihrauchgefäß fehlt. Ich hole es aus dem Auto.«

»Nein, du bleibst hier! Kümmere dich um die Vorräte.« Kjell schubste sie grob in Richtung Küche, und einen Augenblick glaubte sie, er würde sie schlagen. Sie maßen sich mit Blicken, aber nach einer atemlosen halben Minute drehte er sich auf dem Absatz um und marschierte ins Wohnzimmer. Lisa blieb mit einem mulmigen Gefühl zurück. Kjells Status als Magier und ihr Boss gab ihm theoretisch das Recht, sie körperlich zu züchtigen, wenn sie sich ihm widersetzte. Darauf hatte sie der Großmeister, dem sie den Eid geleistet hatte, ausdrücklich hingewiesen. Dazu kam noch, dass ihr Chef, was immer sie sonst gegen ihn einzuwenden hatte, ziemlich fit war. Mike behauptete, Kjell ginge sogar regelmäßig zum Joggen in den Wald.

Obwohl sie sich fragte, wo. München war von einem Minengürtel umgeben. Er war angelegt worden, um eine Ausbreitung des Übels zu verhindern. Als ob ein Dämonenüberfall mit einer Seuche zu vergleichen gewesen wäre. Abgeschrieben und in einen Großversuch mit Menschen umgewandelt hatte man sie! Lisa erinnerte sich gut an das Chaos der ersten Wochen und Monate danach, an die Massenflucht und die Straßenschlachten, nachdem einige Großkonzerne ihre CEOs und deren Familien per Hubschrauber evakuiert hatten. Sie erinnerte sich auch an die regelrechte Hysterie an den internationalen Börsen, und wie die Stadt der Gilde praktisch in den Schoß gefallen war wie ein überständiger Artikel im Kühlregal, der schon etwas roch. München war von der Bayerischen Staatsregierung vom sicheren Exil in Würzburg aus zum Sperrgebiet erklärt worden, und UNO-Blauhelme – man musste sich das auf der Zunge zergehen lassen – hatten alle Verkehrsverbindungen nach draußen gekappt. Seitdem umgab München eine Sicherheitszone aus Stacheldrahtzäunen mit Minengürteln dazwischen.

Zurückgeblieben waren ungefähr zwanzigtausend. Alte, Arme und Kinder und die, die wie Lisas Mutter bis zuletzt auf ein Wunder gehofft hatten. Sie war fünfzehn gewesen, als das Verhängnis über ihre Heimatstadt hereingebrochen war, ein Zyklon, der halb Süddeutschland wochenlang mit schweren Gewitterstürmen überzogen hatte, um sich schließlich als Verhängnis aus einer anderen Welt über München häuslich einzurichten. Es ging das Gerücht, dass ein Magier den Tornado herbeigerufen hätte. Dem widersprach aber die ethische Charta der Gilde, und die Meister wiesen es natürlich entschieden von sich. Kjells Kollegen behaupteten, sie hätten im Gegenteil einen europaweiten Flächenbrand verhindert. Aber ob die Meister und Großmeister andere Großstädte wirklich davor bewahrt hatten, ebenfalls von Dämonen heimgesucht zu werden, das wusste sie nicht. Niemand in München wusste das. Lisa sah nur, dass sich die Tornadorüssel des Dämonensturms nicht vom Fleck bewegten und dass das Rote Kreuz die Stadt über eine Luftbrücke mit dem Notwendigsten versorgte, wie damals Berlin im Kalten Krieg. Für die Antonows und Transalls war sogar das Messegelände in Riem wieder platt gemacht worden, ihre Piloten flogen Grundnahrungsmittel, Medikamente und Treibstoff für die Rettungsfahrzeuge ein und die wenigen Güter, die noch in der Stadt produziert wurden, sowie Schwerstkranke aus. Lisa vermutete, dass sie für sehr viel Geld auch gesunde Passagiere beförderten, doch sie hielt es für ausgeschlossen, dass Kjell diesen Weg für ein bisschen Fitness im Umland benutzte. Und die Bodenschleusen im Sperrgürtel, durch die Gemüse und Obst mit Ochsenkarren in die heimgesuchte Stadt gebracht wurden, verboten sich erst recht. Erstens waren deren Tore schwerstbewacht; zweitens verkauften die Bauern in aller Regel selbst Wagenbretter, Achsen und Räder und manchmal sogar die Zugtiere. Frischfleisch und Holz gingen in München reißend weg. Auf oder versteckt in einem Karren konnte die Stadt also niemand verlassen, aber vielleicht musste Kjell gar keine großen Anstrengungen dafür unternehmen. Vielleicht konnte ein Kjell Grettirsson weit mehr durch Magie wirken, als er Mike und sie sehen ließ. Vielleicht konnte er sogar teleportieren?

Lisa stand in der Küche und kämpfte mit einem soliden Panikanfall. Doch nach einer Weile ließen das Herzklopfen und das Rauschen in ihren Ohren nach, und die ruhigen Stimmen im Wohnzimmer drangen wieder zu ihr durch. Sie verstand zwar nicht, worüber Kjell und Mike dort sprachen, aber es klang ganz normal. Sie bezwang sich und holte trotz des Dämonengestanks einmal tief Luft. Sauerstoffmangel trübte das Urteilsvermögen und führte zu Fehleinschätzungen, vielleicht sah sie einfach Gespenster. Sie machte sich an die Arbeit.

Es sah in dieser Küche nicht danach aus, als ob hier jemals gekocht worden war, Spüle und Herd glänzten wie neu. Die Hygiene interessierte dabei allerdings nicht. Der Kernauftrag aller Räumungsteams lautete: Alles Organische einsammeln, Lebensmittel, Haustiere, Pflanzen. (Regel Nummer drei.) Lisa riss den Kühlschrank auf. Die Fächer enthielten gerade mal eine Dose Gulaschsuppe, eine halbe Flasche Wodka, zweifellos schwarzgebrannten, einen Joghurt und eine angebissene Tafel Schokolade, vier gekochte Kartoffeln und ein kleines Stück geräucherten weißen Speck. Sie zog die Stecker aus allen Geräten, zur Sicherheit, obwohl die tropfende Stange Eis im Kühlschrank bewies, dass sich dieses Dämonenopfer Strom höchstens stundenweise hatte leisten können. Danach ging sie in die Hocke, um die Kabel ordentlich aufzurollen. Sie hörte, wie im Flur eine Tür zuklappte, spürte einen Luftzug und erschrak nun erst richtig heftig. Wenn Kjell Mike hinunter zum Wagen geschickt hatte, um den Räucherkessel zu holen, war sie mit ihrem Chef in der Wohnung allein. Aber die schweren Schritte, die das Treppenhaus hinunterpolterten, waren seine, denn Mike lief trotz seiner Größe leise wie eine Katze. Sie fuhr prompt zusammen, als er sich hinter ihr räusperte. »Hast du mich jetzt erschreckt!«

»’tschuldigung.« Er lehnte sich gegen den Küchenschrank. »Lisa, warum lässt du ihn nicht einfach? Du machst es dir nur unnötig schwer. Glaub mir, verglichen mit anderen Gildenmeistern ist Kjell noch Gold.«

Sie schüttelte den Kopf und blickte nervös an ihm vorbei Richtung Flur, aber so schnell schaffte es nicht einmal ein gut trainierter Magier zwei Stockwerke nach oben. Außerdem hätten sie Kjells Stampfen gehört. Mike rieb sich den Nacken. »Schau, du musst lernen, ihm zu vertrauen. Das ist Grundvoraussetzung für unsere Arbeit im Team. Und Kjell schützt seine Leute. Ich will damit sagen, bei ihm bleibt immer alles im Rahmen.«

»Sag mal, auf was willst du eigentlich hinaus?«

Er zuckte mit den Schultern. »Du weißt doch, dass jedes Räumungsteam aus einem Magier, einem Packer und einer Sucherin besteht.«

Sie nickte. Der Großmeister, der ihr den Posten angeboten hatte, hatte ihr erklärt, dass Frauen in Wohnungen gründlicher suchten und zudem Harmonie in die Teams brachten. In diesem Punkt erreichte sie allerdings höchstens fünfzig Punkte auf einer Hunderterskala. Sie verstand sich zwar gut mit Mike, aber Kjell ging ihr gegen den Strich. »Du meinst, ich sollte mich bemühen, freundlicher zu ihm zu sein.«

»Freundlich wird nicht reichen, Lisa. Dein Magier muss dich in- und auswendig kennen. Wie soll das Ritual funktionieren, wenn du dich mittendrin gegen ihn sträubst?«