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Henning Venske

Lallbacken

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen

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ISBN 978-3-938060-83-4

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2011

Satz: Publikations Atelier, Dreieich

Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

Inhalt

1

Kanzleramt: Nichts zu tun ist besser, als mit großer Mühe nichts zu schaffen

2

Außenministerium: Man muss nichts können, man muss nur wollen

3

Innenministerium: Auf niedrigstem Niveau den höchsten Konsens herbeiführen

4

Justizministerium: Hühner, die vorm Fressen Knoten in die Würmer drehen

5

Finanzministerium: Eines Tages wird Geld nichts mehr kosten

6

Wirtschaftsministerium: Doch Sorge folgt und nimmersatte Gier dem wachsenden Gewinn (Horaz)

7

Arbeitsministerium: Das Recht auf Arbeit brauchen wir nicht, aber das Recht auf Wohlstand

8

Verbraucherschutzministerium: Analogkäse erlaubt, Sterbehilfe verboten

9

Verteidigungsministerium: Gewalt darf niemals ein Mittel der Politik des Gegners sein

10

Familienministerium: Eine wirklich gute Mutter hat doch keine Kinder

11

Gesundheitsministerium: Künstliche Hüftgelenke kauft man am besten an der Haustür

12

Verkehrsministerium: Es wird Zeit, dass die Elektroautos Gas geben

13

Umweltministerium: Das Einzige, wovor man sich wirklich fürchten muss, ist die Angst

14

Bildungsministerium: Leben ist ein postnatales Problem

15

Entwicklungshilfeministerium: Die Würde des Menschen gibt es nicht umsonst – man muss sie kaufen

16

Bundespräsidialamt: Das Maximum faseln über ein Minimum

17

Die vierte Gewalt

18

Und jetzt das Wetter

Grammatische Deutschheit

Friedrich Rückert (1788 – 1866)

Neulich deutschten auf deutsch vier deutsche Deutschlinge deutschend,

Sich überdeutschend am Deutsch, welcher der deutscheste sey.

Vier deutschnamig benannt: Deutsch, Deutscherig, Deutscherling, Deutschdich;

Selbst so hatten zu deutsch sie sich die Namen gedeutscht.

Jetzt wettdeutschten sie, deutschend in grammatikalischer Deutschheit,

Deutscheren Comparativ, deutschesten Superlativ.

»Ich bin deutscher als deutsch.« »Ich deutscherer.« »Deutschester bin ich.«

»Ich bin der Deutschereste, oder der Deutschestere.«

Drauf durch Comparativ und Superlativ fortdeutschend,

Deutschten sie auf bis zum Deutschesteresteresten;

Bis sie vor comparativisch- und superlativischer Deutschung

Den Positiv von Deutsch hatten vergessen zuletzt.

1

Kanzleramt: Nichts zu tun ist besser, als mit großer Mühe nichts zu schaffen

In Berlin im Reichstag wuseln der deutsche Volksvertreter und die deutsche Volksvertreterin. Sie bestimmen, wer regiert. Die Regierungsgewalt wird letztlich denen verliehen, die eine gewisse Gewähr dafür bieten, dass sie nicht allzu viel damit anfangen können. Den Reichstag ziert eine Inschrift: »Dem deutschen Volke« – was wenig Sinn ergibt. Das einzige Wort, das dort wirklich einleuchten könnte, lautet: »Warum?« Man könnte diesen Reichstag auch als Bahnhof nutzen und unter die Erde verlegen.

Nicht weit davon steht das Kanzleramt. Darin enthalten ist eine Dienstwohnung mit zwei Zimmern, Küche, Bad plus kleiner Terrasse, nachempfunden dem Berliner Kleinbürgermilieu. Das Kanzleramt soll achtmal so groß sein wie das Weiße Haus in Washington D. C. In seinen kilometerlangen Gängen lauert die Richtlinienkompetenz, und in diesem Prestigeobjekt wollte Helmut Kohl als Einheitskanzler staatsmännisch Hof halten. Dazu kam es aber nicht, weil Bundespräsident Roman Herzog ihn beizeiten aus dem Amt entließ.

So feierte Kohl im Jahre 2005 seinen 75. Geburtstag im Deutschen Historischen Museum. Wie eine Buddhastatue thronte er auf dem Podium, mild lächelnd, als hätte er einen respektablen Joint, einen Château Rothschild oder beides intus, und würdigte sich selbst, was live im Fernsehen übertragen wurde. Beifall brandete auf, als der Altkanzler den originellen Satz absonderte: »Das Hier ist heute!«

Das Hier ist heute? Heißt das, dass das Morgen dort sein wird und das Gestern ganz woanders war? Oder meinte er vielleicht, das Heute ist hier? Oder ist das Dort gestern und das Woauchimmer erst morgen? Übermorgen ist kein Thema, aber vorgestern war doch auch in dieser Gegend, oder?

Also, Helmut, alter Spendenbetrüger, Glückwunsch – du bist immer noch der Meister aller Lallbacken. Und Meisterliches lieferte Lallbacke Kohl auch im zweiten Teil seiner dreibändigen Memoiren: Erinnerungen 1982–1990. Auf einer der 1 152 Seiten steht der Satz: »Wer die Zukunft gestalten will, muss Perspektiven vermitteln, die über das Bestehende hinausweisen.«

Saustark – der alte Quatschkopf bringt die Dinge immer wieder auf den Punkt. Denn wer das Bestehende gestalten will, muss ja auch Zukunft vermitteln, die über die Perspektiven hinausweist. Es sei denn, er will Perspektiven gestalten, die das Bestehende vermitteln und über die Zukunft hinausweisen. Da wäre dann die Frage zu klären: Was kommt eigentlich nach der Zukunft?

Im Falle Kohl ein Schröder. Aber neben Kohl verblassen alle anderen Lallbacken. Auch sein Mädel, Angela Merkel. Immerhin – ihr Output an Lippenmüll ist beachtlich: »Wir vertrauen den Bauern. Einer Familie, die eine Eiche besitzt, der braucht man über generationenübergreifendes Denken nichts zu erzählen.«

Das ist bodenständig formuliert. Offen bleibt die Frage, was diejenigen machen, die keine eigene Eiche besitzen, sondern nur einen Kohlkopf.

Lallbacke Angela Merkel hat mal einen Geburtstagsbrief an Lallbacke Helmut Kohl geschrieben, der verdeutlichte, dass im Deutschunterricht in der DDR mit Vorliebe Metaphernsalat angerichtet wurde, was Frau Merkel heute befähigt, weltweit als führende Lallbacke in Erscheinung zu treten. Im Dickicht von Frau Merkels sprachlichem Gestrüpp findet sich ein Satz von geradezu hölzerner Transparenz: »Lieber Herr Kohl, Sie haben an verschiedenen Punkten Pflöcke der Geschichte eingeschlagen.«

Was ist das, ein Pflock der Geschichte? Ist das ein Geschichtspflock? Und dieser Geschichtspflock wird eingeschlagen? Mit der blanken Faust? Oder mit einem Hammer? Ist er dann kaputt? Und was sind denn verschiedene Punkte? Sind die tot? Oder meinte sie unterschiedliche? Könnte es sein, sie meinte, Kohl habe die Geschichte mit eingeschlagenen Pflöcken punktiert, bis sie verschieden? Oder meinte sie, er habe die eingeschlagene Geschichte an unterschiedlichen Punkten mit einem Vorschlaghammer eingepflockt?

Frau Merkel – Sie sollten diesen Satz dementieren, egal wie Sie ihn gemeint haben.

Aber vor Merkel, nach Kohl, kam Schröder. Schröder fühlte sich so eingepflockt zwischen Kohl und Merkel durchaus wohl. Und er legte das Bekenntnis ab: »Auf nichts beziehungsweise auf weniges bin ich mehr stolz als darauf, Vorsitzender dieser großen Partei zu sein.«

Was war das Wenige, auf das er noch stolzer war als darauf, SPD-Vorsitzender zu sein? War es VW? Deutschland? Oder war das Wenige nur Doris?

Er sagte es nicht, aber das Volk ahnte: Das Wenige, auf das er am stolzesten war, war Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Als Kanzler Schröder im Bundestag eine Rede zu dem Attentat in New York am 11. September 2001 hielt, sprach er von einer »Kriegserklärung an die gesamte zivilisierte Welt«. Es muss demnach, soll der Satz nicht unsinnig sein, neben dem zivilisierten Teil der Welt auch einen unzivilisierten Teil geben.

Was verstand der Mann unter Zivilisation? Schlecker, Scorpions, VW, KöPi? Oder findet sich Zivilisation nicht doch eher in Bagdad, wo man schon auf seidenen Kissen ruhte, als Schröders Ahnen noch den Bärenkot nach Essbarem durchstöberten?

Und wenn der Kanzler von einem »Anschlag auf das, was unsere Welt im Innersten zusammenhält«, spricht, kommt man ja ins Grübeln, sein Wertesystem betreffend: Pentagon und World Trade Center, die Symbole für Militär und Kapitalismus, als höchste innere Werte – das ist sogar für einen sozialdemokratischen Bundeskanzler kümmerlich.

Am 4. August 1914 haben alle SPD-Abgeordneten – mit Ausnahme von Karl Liebknecht – für die Kriegskredite gestimmt. Zum 75. Jahrestag dieses Ereignisses, 1989, sagte der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel: »Das war ein historischer Fehler unserer Partei, und der darf sich niemals wiederholen.« Am 16. November 2001 stimmten die SPD-Abgeordneten – mit Ausnahme der Abgeordneten Christa Lörcher – einer deutschen Kriegsbeteiligung in Afghanistan zu. Dazu sagte der aktuelle SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder: »Unser Volk weiß, dass immer dann, wenn es schwierig wird, es sich auf die deutschen Sozialdemokraten verlassen kann.« Jawohl. Nachhaltig. Basta.

Es gibt Gesichter, in denen geraten Triumphgefühle zum physiognomischen Skandal. Als Kanzlerkandidat Edmund Stoiber am frühen Wahlabend als grinsende Weißwurst vor den Fernsehkameras seinen Sieg verkündete, da holte er eine seiner immer wieder verblüffenden Mitteilungen aus sich heraus: »Der Abend ist noch lang, und ich werde noch kein Glas Champagner öffnen, aber es wird bald sein.«

Er hatte also ernstlich vor, ein Glas Champagner zu öffnen. Er war überzeugt, das zu schaffen. Später am Abend erfuhr man dann, der Herr Stoiber habe ein Gläschen Sekt getrunken. Typisch Politiker: öffentlich Champagner predigen, aber heimlich Sekt trinken.

Als dann ein leicht desorientierter ZDF-Reporter, vor Demut zitternd, Stoiber fragte: »Steht neben mir der künftige Bundeskanzler?«, entgegnete Stoiber alkoholisiert und trotzdem verklemmt: »Bei Ihnen haben wir derzeit noch eine negative Mehrheit.« So vom Triumphator zum Loser runtergestuft, erweckte er Mitleid, denn ihm war übel mitgespielt worden: Kanzler Schröder hatte, seine Machtbefugnisse rücksichtslos überschreitend, für Hochwasser gesorgt, indem er im Osten die Flüsse über die Ufer treten ließ, denen er alsbald Einhalt gebot – und so den armen Stoiber zum Flutopfer herabwürdigte. Und Schröders Irak-Politik machte Stoiber zu allem Überfluss auch noch zum Kriegsopfer.

Flut- und Kriegsopfer in Personalunion, das konnte Stoiber nicht wuppen. Und da formulierte er insgeheim schon eine seiner schönsten verbalen Kreationen: »Der Vater des Wunsches ist der Gedankengang.«

So was hätt einmal fast das Land regiert!

Der Sieger Schröder aber dachte sich die Wahrheit – nicht lauthals in der Öffentlichkeit, versteht sich, aber am Abend auf dem Sofa vorm Kamin: »Der Eddy ist ein gebrochener und alkoholkranker Mann, der mit einer grauenvollen Frau verheiratet ist. Hoffentlich schmeißen sie ihn jetzt auch zu Hause raus. Ich bin keinesfalls Kanzler aller Deutschen, sondern nur derer, die mich auch angemessen bezahlen.«

Lallbacke Stoibers Urteil über Sozialdemokraten fiel später dementsprechend vernichtend aus: »Sie werden halt nicht als irgendwie kompetent oder relevant angesehen, also Kompetenzrelevanz, oder: Ihre Kompetenz wird nicht als genügend relevant angesehen.« Bei so viel kompetenter Relevanz stellte sich die Frage: Ist Stoiber selbst nun kompevant reletent, oder leidet er nur unter reletenter Kompevanz?

Deutschlands bedeutendster Kompetenzsimulator, Bundeskanzler Schröder, konnte jedenfalls lässig die Öffentlichkeit über sein Telefonat mit Präsident Bush informieren: »Wir waren miteinander der Auffassung, dass es jetzt darum geht, nach vorne zu schauen.«

Was gab es da zu sehen? Raketenangriffe.

Als Olaf Scholz 2003 bei seiner Wiederwahl zum SPD-Generalsekretär nur mickrige 52,5 Prozent erreichte, da nannte sein hochkompetenter Parteichef Schröder das Ergebnis »ein Stück kollektive Unvernunft« der Parteibasis. Vernunft ist die Fähigkeit, sich ein Urteil bilden zu können.

Unvernunft bedeutet also, keine Urteilsfähigkeit zu besitzen. Wenn nun 47,5 Prozent der SPD-Basis quasi doof sind, können einen die 80,8 Prozent für Lallbacke Schröder auch nicht verwundern.

Kanzler Schröder machte sich aber auch durchaus seine Gedanken über die von ihm Regierten. In weiten Teilen der Gesellschaft, sagte er, herrsche eine »Mitnahme-Mentalität«, und zwar »bis in die Mittelschicht«.

Wie meinte er das? Im Bekannten- und Freundeskreis des Kanzlers finden sich ausschließlich bescheidene Menschen, die prinzipiell jede Einladung zum Essen, zum Besäufnis, auf die Yacht oder in den Urlaub ablehnen. Die nehmen nichts an, die nehmen auch nichts mit. Also, was die Mitnahme-Mentalität angeht – da meint der Kanzler wohl schon die üblichen Verdächtigen: nörgelnde Arbeitslose, jammernde Sozialhilfeempfänger und verbiesterte Ostdeutsche. Die können einfach den Hals nicht voll kriegen.

Berlins Regierender Bürgermeister assistierte dem Kanzler – die Nachwuchslallbacke Wowereit hatte etwas erfunden, was die Menschheit dringend brauchte: den Mentalitätswechsel. Dialog in der Mentalitätswechselstelle:

»Mentalitätswechsel der Herr?«

»Ja bitte.«

»Einwegmentalität oder Akku?«

»Einweg bitte.«

»Wollen Sie auch eine Reservementalität mitnehmen?«

»Ja bitte.«

»Dann werde ich Ihre alte Mentalität entsorgen.«

Nur der Herr Wowereit braucht keine neue Mentalität, sondern erst mal ein Gehirn.

Silvester schaute ein ziemlich übernächtigter Regierungschef in die Wohnstuben. In seiner Silvesteransprache behauptete Kanzler Schröder, jede und jeder könne ein Konjunkturmotor sein. Offenbar war der SPD-Chef der Ansicht, die Bevölkerung sei nur zur Stützung der Wirtschaft auf der Welt. Aber es kam noch dicker: »Ihr Vertrauen in die Zukunft entscheidet mit über den Arbeitsplatz Ihres Nachbarn.« Auf das Gegenteil möchte man sich auch nicht unbedingt verlassen. Aber von seiner Warte aus betrachtet hatte der Kanzler wohl recht: Mangelndes Vertrauen in die Zukunft gefährdete vor allem seinen Arbeitsplatz.

Ja, der ehemalige niedersächsische Arbeiterführer Schröder lieferte auch als Medienkanzler einen vorzüglichen Job ab. Im Bundestag machte er sich Sorgen um Schichtarbeiter, Polizisten und Feuerwehrleute, denen die Nacht- und Sonntagszuschläge nicht gestrichen werden dürften. Und dann ließ er das Volk teilhaben an seinen geheimsten Sehnsüchten und fiel über sie her, »die Nachtschwester, die sich für uns alle krummlegt«. Entgegen allen anders lautenden Meldungen war Schröder nur ein durchschnittlicher Mann.

Beim Amoklauf von Erfurt erschoss ein Neunzehnjähriger siebzehn Menschen. Daraufhin verlangte Kanzler Schröder nicht etwa von Waffenherstellern und -exporteuren, die Produktion und den Handel mit Schusswaffen einzustellen, weil es nun mal schwieriger ist, in einer Viertelstunde siebzehn Menschen mit bloßen Händen umzubringen als mit Colt oder Gewehr – nein, Schröder verlangte eine »Verringerung der Gewaltdarstellung« in den Fernsehprogrammen, als ob es sinnvoll wäre, reale Gewalt mit dem Verbot dargestellter Gewalt zu bekämpfen. Genauso gut könnte er versuchen, die Pubertät zu verbieten. Immerhin wurde das Mindestalter für Amoklauf auf 21 hinaufgesetzt.

Abgegriffene Phrasen und sinnentleerte Schablonen waren stets Glanzlichter in Kanzler Schröders Programm – die verkaufte er als harte und entschiedene Worte. Nach einem Handgranatenanschlag an einer S-Bahnstation in Düsseldorf donnerte er: »Es reicht!« Daraus konnte man schließen, dass es vorher noch nicht gereicht hatte.

»Wegschauen ist nicht mehr erlaubt!«, bellte er weiter. Dann war es also gestern noch erlaubt? Und überhaupt: Wer schaute denn weg? Gab es nicht stets Gaffer zuhauf? Legte sich, wie bei den rassistischen Krawallen in Rostock-Lichtenhagen, der Beifall klatschende Pöbel nicht sogar Kissen auf die Fensterbank, damit es beim Glotzen auch schön gemütlich war?

Und schließlich rief Cheflallbacke Schröder aus: »Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen, und ich weiß, dass das die übergroße Mehrheit ist.«

Wer waren diese Anständigen? Waren es die, die immer nur ihre Pflicht taten und dabei doch anständig blieben, wie Heinrich Himmler es auch von seiner SS behauptete? Oder waren es jene rund dreißig Prozent der Bundesbürger, die zu rechtsextremen Auffassungen neigen und Sauberkeit, Reinheit und Anständigkeit für sich reklamieren? Oder waren die Anständigen etwa die, die bei Castortransporten mit Polizeischlagstöcken und Tränengas malträtiert und gelegentlich auch mal stundenlang eingekesselt wurden?

Nein, die konnte der Kanzler nicht gemeint haben – die waren ja eher unanständig. Tatsächlich meinte er niemanden, er redete einfach nur Blech.

Die Anständigen, die er eventuell gemeint haben könnte, die gibt es nicht, denn anständige Leute machen keinen Aufstand. Aufstandmachen ist nämlich in der deutschen Leitkultur nicht vorgesehen, also unanständig, ergo verboten. Wenn der Kanzler zum Aufstand rief, dann hatte er keinen Anstand. Da war Abstand geboten. Vor allem zum Kanzler.

Lallbacke Schröder war ein Kanzler, der es wie kein anderer verstand, blanken Unsinn zu reden und doch so zu wirken, als sei er ganz bei sich. The German Chancellor, der Weltstaatsmann, der seine niedersächsische Heimat über alles liebte, soll, so erzählte man sich, eines Tages den regierungsamtlichen Ghostwriter gerügt haben, weil der in einem Redeentwurf zum Welttourismusgipfel Rothenburg o. d. T. und Dinkelsbühl als lohnende Ausflugsziele in deutschen Landen anpries.

»Keines aus Niedersachsen?«, fragte der Kanzler, »wo bleibt das Hermannsdenkmal?«

Ja, wo bleibt es denn? Natürlich da, wo es steht: in Nordrhein-Westfalen.

Kanzler Schröder konnte, wie alle Fans der Hannoveraner Rockgruppe Scorpions, nicht unbedingt als Musikkenner gelten. Mit dem Enthusiasmus des Ahnungslosen schwadronierte er: »Das Album ›Westernhagen‹ mit dem programmatischen Titel ›Freiheit‹ sprengt alle Vergleiche.«

Hör mal, Schröder: Vergleiche werden eigentlich so gut wie nie gesprengt. Erst wenn der letzte Vergleich gesprengt ist, wird Schröder begreifen, dass er unter den Trümmern seiner Sprache begraben liegt.

Was wird über Gerhard Schröders siebenjährige Kanzlerschaft dereinst in den Geschichtsbüchern stehen? Dank Schröder hatte die SPD zu keinem Zeitpunkt ihren Verzicht auf das Wort »nachhaltig« erklärt, denn ohne Nachhaltigkeit wäre die gesamte sozialdemokratische Programmatik zusammengebrochen: In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung kam das Wort 77 Mal vor, weil die nachhaltige Wirkung des »Nachhaltigkeitsfaktors« immer auch nachhaltige Folgen hat. Und so gelang es, mit der souveränen rot-grünen Reformpolitik die Zahl der SPD-Mitglieder in einem faszinierenden Gesundschrumpfungsprozess um fünfzehn Prozent zu reduzieren. Kanzler Schröder ging es nicht darum, eine Idee, eine Richtung, die als richtig erkannt worden ist, durchzusetzen. Als richtig galt ihm, was sich durchsetzen ließ. Trotzdem blieb die SPD die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Nur versteht sie nach Schröder unter sozialer Gerechtigkeit etwas anderes als vor Schröder.

Bezeichnend war das Motto eines Parteitages: »Das Wichtige tun – Wege zu einem neuen Fortschritt!«

Das Richtige stand nicht zur Debatte, lieber nahm man sich wichtig.

Welche Ziele die »Wege zu neuem Fortschritt« anstrebten, blieb unklar – wahrscheinlich wollte man nur wieder Seit an Seit auf Umwegen die Abwegigkeiten des alten Fortschritts beschreiten.

Weil der Kanzler ganz genau wusste: »Ein Alphatier zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht mit dem Kopf durch die Wand will, denn dann gewinnt nur die Wand«, konzentrierte er sich darauf, mit dem Hintern durch die Wand zu kommen: Von Endorphinen und Testosteron übermannt, geriet er nach seiner verlorenen Bundestagswahl außer sich. »Ich bin der Wunschkandidat von Gerhard Schröder«, lallte Schröder, »ich habe mich immer für Gerhard Schröder eingesetzt, damit Gerhard Schröder Gerhard Schröder bleibt, ich bin Gerhard Schröder seit Jahren verbunden, und die einzige Koalition, die für Gerhard Schröder in Frage kommt, ist die zwischen Gerhard und Schröder.« Er fletschte die Zähne, erklärte, er habe die Wahl gewonnen, und entließ alle Fernsehredakteure. Dafür erhielt Gerhard Schröder den Sonderpreis in der Kategorie »Beste Comedy-Performance in einer Politiksendung 2005.«

Aber man musste sich um Lallbacke Schröder keine Sorgen machen. Er hatte ja seinen Freund Carsten Maschmeyer. Dieser Finanzunternehmer, langjähriger Co-Vorstandsvorsitzender der Finanzvertriebsgesellschaft AWD Holding AG, dessen mit Hilfe von Rentnerinnen und Rentnern angehäuftes Vermögen Ende 2010 auf 650 Millionen Euro geschätzt wurde, hat Schröders Memoiren gesponsert und so dafür gesorgt, dass zumindest bei Kanzler Schröder dank AWD die Altersversorgung zufriedenstellend klappt.

Lallbacke Schröder, ehemals ein eher unbedarfter Rechtsanwalt aus Hannover, schreibt in seinen Memoiren zum Thema Kosovo-Krieg: »Gerade wir Deutschen durften nicht zulassen, dass in Europa Menschenrechte aufs brutalste verletzt wurden – und zwar durch Miloševićs bestialische Greueltaten, wie zuvor schon von Tito, unter dessen Knute der serbokroatische Seilakt Jugoslawien entstanden war.«

Weiterlesen unnötig: Jugoslawien entstand nicht erst unter Titos Knute, sondern schon 1918 unter dem Zepter von König Peter I. als Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Aber damit muss sich ein deutscher Exkanzler nicht belasten, der muss den Kopf frei haben für seinen Job bei einem russischen Energieunternehmen.

Es gab nur einen Menschen, der Lallbacke Schröder intellektuell unterbieten konnte, und das war die einzigartige Lallbacke Merkel. Frau Merkel, die in jenen Jahren, da sich im Westen Kim Novak, Marina Vlady und Uschi Obermayer ereigneten, in der vorderasiatischen Steppe im Blauhemd in ihre Blockflöte pustete, spricht heute davon, dass die Bundesrepublik seit 1949 »demokratisch, liberal, tolerant und weltoffen« war. Haha.

In dieser toleranten und weltoffenen Bundesrepublik waren Frauen in einer Regierung gerade mal so als Einzelstück am Rande geduldet: Nie, niemals hätte Deutschland einer Frau die Richtlinienkompetenz zugebilligt. Homosexuell zu sein war verboten, Abtreibung war auch strafbar, ein Mensch mit Schlitzaugen als Minister war undenkbar, ein Rollstuhlfahrer war ebenfalls nicht ministrabel, auf Demonstranten wurde grundsätzlich eingeknüppelt, es wurden Wasserwerfer aufgefahren, und hin und wieder wurde damit auch mal jemand überfahren, und der Deutsche Fußballverband untersagte den Frauen einen regulären Fußballspielbetrieb. Also, alle Äußerungen von Angela Merkel sind immer auch zu werten als verspäteter Beitrag der CDU zu Fritz Teufels Spaßguerilla.

In einem Interview drohte Frau Merkel, als Bundeskanzlerin wolle sie »eine gewisse Fröhlichkeit« an den Tag legen. Das konnte ja heiter werden, vor allem wenn man daran dachte, wie schwierig es war, Gerhard Schröder die Fröhlichkeit einigermaßen abzugewöhnen. Oder dachte Frau Merkel nur an ein schlichtes Mundwinkellifting?

Frau Merkel sagte in dem Interview auch: »Der Weg, den Deutschland gehen muss, hat Eigenschaften einer Bergwanderung, es wird auch mal Muskelkater geben, aber er bringt Weitsicht, so viele schöne Eindrücke, auch gemeinschaftliche Erlebnisse, dass diese Wanderung keine Qual ist, sondern eine wunderbare Erfahrung.«

Da deuteten sich also erste Halluzinationen an, und man hätte die bergwandernde Angela schon damals darauf aufmerksam machen müssen, dass dünne Höhenluft irgendwann auch Wahrnehmungsstörungen auslöst. Oder sogar geopolitischen Irrsinn: »Dann müssen wir halt besser sein als Inder, Chinesen und andere Europäer!«

Als Oppositionschefin Merkel die Regierungserklärung von Kanzler Schröder zum Attentat vom 11. September 2001 beantwortete, gelang ihr eine Formulierung, wie man sie selbst im Bundestag selten hörte. Bei der Begründung dafür, dass man die Welt, wie sie sagte, »von den Wurzeln« des Terrors befreien müsse, wählte Merkel die Einleitung: »Wenn dieser schreckliche Tod von Tausenden und Abertausenden von Menschen einen Sinn haben soll …« Der Rest des Satzes ging im ratlosen Kopfschütteln unter, weil es völlig belanglos war, welchen Sinn die Dame da wohl noch entdecken wollte. Grundgütiger Himmel, dachte man, das wird ja lustig: diese peinlich provinzielle Schreckenstante als Bundeskanzlerin, und ihr Außenminister heißt womöglich Westerwelle – das deutsche Volk wird wohl aus Gründen der Selbstachtung geschlossen Hand in Hand ins nächste Klo springen müssen.

Aber tollkühn, wie ihre Analysen hin und wieder ausfielen, bemerkte Frau Merkel, Kanzler Schröder habe in Prag bei einem Empfang in Anwesenheit des amerikanischen Präsidenten Bush eine jämmerliche Figur abgegeben. Da wollte man nicht unbedingt widersprechen, aber konnte man sich andererseits diese Usedomer Elfenparodie auf einem Staatsbankett vorstellen? Die merkte doch vermutlich nicht mal, wenn der Wein korkt. Sie möpselte doch selbst.

Und wie konnte Frau Merkel es wagen, von Figur zu reden? Was ging da in ihrem Unterbewusstsein vor? Hatte sie sich selbst mal von hinten gesehen, wenn sie die Stufen zum Rednerpult erklomm? Man konnte Frau Merkel nur raten, ihren Wortschatz zu überprüfen.

Was im Irak zu geschehen habe, das erläuterte Oppositionsführerin Merkel so: »Am Anfang wird das ein schrittweiser Prozess sein, bei dem die, die im Land sind, das begleiten und dann in die UNO überführen können.«

Überführt werden zwar eigentlich nur Leichen, aber das nahm Frau Merkel nicht so genau. Dann plädierte sie dafür, »das Machtvakuum in dem Land sehr schnell in ein stabiles System zu führen«. Es war zwar unklar, wie man ein Vakuum führen konnte, aber klar war: Wegen der Stabilität musste Frau Merkel eigentlich selbst nach Bagdad! Sie musste dort in einem Präsidentenpalast eine intelligenzfreie Zone einrichten, sich mit »Eure Insuffizienz« anreden lassen oder auch mit »Mutter aller Joghurtpalmen«, sie musste den Ramadan streichen und durch die Brigitte-Diät ersetzen und so den Anschluss des Irak an Meck-Pomm vorbereiten. Denn eines hatte sie gewiss verinnerlicht: Krieg erzeugt Arbeitsplätze erzeugen Dividende.

So etwas Ähnliches musste auch USA-Oberlallbacke George W. Bush empfunden haben, der seiner Zuneigung zu Lallbacke Merkel mit den unsterblichen Worten Ausdruck verlieh: »Wenn ich mit Angela spreche, habe ich nicht das Gefühl, mit einer Frau zu sprechen.« Die Tage von Georgieboys Heterosexualität waren also auch gezählt.

Um das christdemokratische Wohlbefinden abzurunden, wurde Kardinal Ratzinger Papst und nahm den Künstlernamen Benedikt XVI. an. Daraufhin detonierte der letzte Krümel Hirn in Redaktionen, Ministerien und anderen wichtigen Denkwerkstätten.

Der Bundeskanzler ließ verlauten: »Ich gratuliere ihm im Namen der Bundesregierung und aller Bürger seines Heimatlandes« – als hätte Ratzinger sämtliche olympischen Medaillen im Dauersegnen, Extrempredigen und Scheinheiligsprechen abgeräumt.

Franz Müntefering erklärte: »Die SPD wünscht Benedikt XVI. ein gutes Pontifikat.«

Ob Ratzinger der SPD im Gegenzug ein erfolgreiches Überstehen der Legislaturperiode wünschte, ist nicht überliefert.

Angela Merkel, der es ungerechterweise verwehrt ist, Papst zu werden, formulierte auch etwas Originelles, wenn auch in minderwertigem Deutsch: »Dass ein Deutscher zum Papst gewählt wurde, ist ein Moment des Stolzes.«

Und Edmund Stoiber rief aus: »Wer als Arbeitsloser in Deutschland nicht bereit ist, zum katholischen Glauben überzutreten und missionarisch tätig zu werden, muss mit empfindlichen Einschnitten rechnen.« Der genaue Wortlaut seiner Erklärung liegt zur Zeit nicht vor, aber so etwas Ähnliches wird es schon gewesen sein.

126 katholische Korporationen, der Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen, der CV, grüßte den Bundesbruder Ratzinger per ganzseitiger Zeitungsanzeige und wünschte dem 256. Nachfolger Jesu Christi alles Gute sowie allzeit göttliche Eingebung.

Ratzinger – der Nachfolger von Jesus? Darauf war nicht mal die Bildzeitung gekommen. Halleluja! Wir sind Gott!

Eines Tages dann, im Jahre 2005, war Schröder nur noch pro forma im Amt und Angela Merkel noch nicht als Kanzlerin installiert. Im Interregnum vor den Wahlen wurde Deutschland monatelang überhaupt nicht regiert. In dieser Zeit wurde der Beweis angetreten: Es könnte auch auf Dauer ohne Regierung gehen, denn bei zunehmender Privatisierung – was sollte da noch groß regiert werden?

Die Aktienmärkte boomten, die Exporte wuchsen, das Ifo-Institut meldete das beste Geschäftsklima seit Jahren, Gesetze gab’s mehr als genug, die Verwaltung funktionierte tadellos, alles war geregelt, es sei denn, es sollte nicht geregelt sein. Ämter und die Ministerien existierten einfach ohne Minister weiter, Gebühren und Steuern wurden weiterhin erhoben, Arbeitslosengeldempfänger wurden wie gewohnt schikaniert, Gerichte urteilten weise, Polizei fahndete, blitzte und prügelte erfolgreich wie immer. Niemand hoffte auf die Verabschiedung neuer Gesetze. Also, eine Regierung konnte sich das Land wirklich sparen, eine Regierung war der überflüssigste Teil der Bevölkerung. Und wenn unbedingt doch eine Regierung, dann bitteschön eine schwache: Denn was eine starke Regierung anrichtet, womöglich noch mit einem starken Führer, das wusste man ja.

Dann wurde wider bessere Einsicht doch gewählt, das Wahlvolk wurde mit folgenden Aussagen konfrontiert: »Eine große Koalition in der jetzigen Lage wäre schlecht für das Land.«

Das sagte Lallbacke Stoiber.

»Deutschland braucht keine große Koalition.«

Das sagte Lallbacke Kauder.

»Das Schicksal kann man nicht aufhalten. Frau Merkel schon.«

Das sagte Lallbacke Müntefering.

»Sie ist offenkundig unsicher und fachlich nicht sattelfest.«

Das sagte Lallbacke Steinbrück.

»Mein gesamter Anspruch, es grundlegend anders zu machen, ließe sich mit einer großen Koalition nicht verwirklichen. Eine große Koalition wird es nicht geben.«

Das sagte Lallbacke Merkel.

An ihrer Glaubwürdigkeit gemessen, waren diese Leute schon zwei Tage nach der Wahl erledigt. Und der Grüne Ströbele war auch nicht ganz dicht: »Aus der jüngsten Bundestagswahl ergibt sich eine deutliche linke Wahlmehrheit in Deutschland wie lange nicht. Niemand scheint auch nur ernsthaft darüber reden zu wollen, wie aus der linken Wahlmehrheit eine linke Regierung werden kann, die Reformen sozial gerecht gestaltet und Bürgerrechte ausbaut.«

Seit wann sind Grüne und SPD linke Parteien? Nagt an dir ein Gedanke, Lallbacke Ströbele? Vergiss ihn.

Angela Merkel sagte zu Beginn der Koalitionsverhandlungen allen Ernstes, ihr beherrschendes Gefühl sei Demut. Orientierungshilfe inmitten dieses düsteren Satzes lieferte vor einigen Jahren der wandernde Dichter Johann Gottfried Seume: »Demut ist der erste Schritt zu Niederträchtigkeit.«

Gegen Ende der Koalitionsverhandlungen demonstrierte Angela Merkel dann das Gegenteil ihrer Demut, als sie von ihren parteiinternen Kritikern forderte, endlich aufzuhören, alles mieszureden: Diese Leute sollten auch ein »bisschen Ehrfurcht« vor denen zeigen, die sich viele Stunden lang Gedanken gemacht hätten, wie man Deutschland voranbringen könne.

Wenn Frau Merkel schon von ihren Parteifreunden Ehrfurcht verlangte – was würde sie eines Tages erst von den Bürgern verlangen? Einstweilen genoss Frau Merkel Hochachtung, Wertschätzung und Verehrung, nicht zuletzt deshalb, weil sie immer wieder durch ihre Drolligkeit überraschte. Niemand artikulierte so wolkige Nullsätze von stringenter Sinnlosigkeit wie Angela Merkel, und eigentlich war klar: So viel, wie sie redete, konnte sie gar nicht denken. Doch hin und wieder warf sie echte Perlen vor das Volk: »Damit es Deutschland besser geht, werden die Weichen aufwärts gestellt.« Merkels Wunsch war Bahnchef Mehdorn Befehl.

Eines Tages, mitten in den Koalitionsverhandlungen, hatte Franz Müntefering keine Zigarillos mehr. Das war aber keine Intrige von Frau Nahles, so was kommt vor. Müntefering schickte einen Knecht los, möglicherweise einen Herrn Wasserhövel, um bei Herrn Pofalla von der CDU anfragen zu lassen, ob der noch welche hätte. Müntefering und Herr Pofalla rauchen nämlich dieselbe Sorte Zigarillos.

Dieser Pofalla – ein gut dressierter Android mit bebenden Augen, appetitlich wie ein Putenschnitzel, mit schlotternden Zähnen und flatterndem Hirn: Niemand hält es für möglich, dass Pofalla irgendwas weiß, dass ihm irgendjemand zuhört, dass er ernsthaft gefragt wird oder ungefragt etwas sagen darf, dass er irgendwo dabei ist, wenn etwas entschieden wird – dieser Pofalla ließ doch tatsächlich dem Herrn Müntefering nicht bloß ein Zigarillo rüberbringen, sondern gleich eine ganze Schachtel.

Und wie das so geht: Später hatte dann der Pofalla selbst nichts mehr zu rauchen. Da gab ihm Müntefering die Schachtel wieder.

Als das Herr Schröder sah, runzelte er die Ohren: »Jetzt gibst du den Schwarzen schon Zigarren.«

Das fand Müntefering wahnsinnig lustig: »Hahaha, Gerd, Mensch, das sind doch seine.«

Diese Geschichte stand in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Und die Leser haben sich gefragt: Was sagt uns diese Geschichte? Sie sagte uns, dass die politische Berichterstattung in Deutschland nach der Krise der letzten Jahrzehnte wieder an Niveau gewonnen hatte. Auf jeden Fall – die Koalitionsverhandlungen sind so verlaufen, dass Müntefering und Pofalla sich »am Ende sogar duzten«, schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Den Rest ihrer Kommunikation kann man sich vorstellen.

Franz Josef Wagner, Deutschlands führender Gehirnsklerotiker, darf in seiner Bildzeitungs-Kolumne regelmäßig seine Befindlichkeit mitteilen: »Lieber Gerhard Schröder, ob ich Sie jetzt schon vermisse? Irgendwie schon. Ich mag Menschen, die nach Tabak riechen und grinsen wie Sie. Bald wird das Kanzleramt nach Frau duften, nach Tee und Keksen … Old Shatterhand hat gegen eine Frau verloren … Es ist ein großer Tag für Frauen, mit Hüttenkäse und Weißbrot werden sie ihn feiern. Keine Ahnung, was Frauen sonst noch essen, Männerfleisch?«

Der arme Wagner – vermutlich hat er nur eine Gehirnzelle, und die braucht er für seine Notdurft.

Von Franz Müntefering wusste man: Je größer das Durcheinander in seinem Kopf, desto akkurater frisiert er ihn. Nun hatte er gesagt, es sei unfair, die Politik der großen Koalition danach zu beurteilen, was die Parteien im Wahlkampf versprochen hätten. Denn, erklärte er weiter, nun sei da die große Koalition, und die müsse Kompromisse machen.

Da konnte man sich nur wundern, wie wenig die Parteien im Wahlkampf versprochen hatten: Gemessen an den Möglichkeiten, die ihnen die Müntefering-Klausel gab, hätten sie beispielsweise versprechen können, in den Sozialämtern Champagner auszuschenken, Lotto mit Einsatzzurück-Garantie und das ganze Jahr über mildes Frühlingsklima – hinterher macht dann der Koalitionspartner nicht mit, blöd gelaufen, war aber ein schönes Programm! Und dann arrangiert man sich wie bei der Mehrwertsteuer: Die CDU wollte um zwei Punkte erhöhen, die SPD hatte versprochen, gar nicht zu erhöhen, so raufte man sich bei drei Prozent zusammen. Das entsprach der Merkel’schen Überzeugung, sie werde einem Kompromiss nur dann zustimmen, »wenn die Vorteile die Nachteile überwiegen«.

Wer außer ihr hätte so etwas von sich geben mögen? Außer Lallbacke Angela wussten alle – die Zustimmung zu etwas, bei dem die Nachteile die Vorteile überwiegen, ist kein Kompromiss, sondern Blödheit.

Hubertus Heil, der SPD-Generalsekretär, verkörperte die hohe Münte-Schule, er war zum Hardcore-Metaphoriker herangereift: »Die Eckdaten stehen, wir lassen sie nicht verwässern«, sagte er. Gut, dass das mal klargestellt war. Das hieß nämlich: Das Ringen um die Eckdaten ist noch im Fluss. Also, die Eckdaten mussten umgesetzt werden. Möglichst in die Mitte. Damit sie weiterhin stehen und nicht absaufen.

Klärungsbedarf bestand anschließend nur noch in der Frage, was der Unterschied zwischen Eckpunkten und Kernpunkten ist: Die Regierungskoalition hatte sich auf Eckpunkte geeinigt, um dem Ärztemangel in ländlichen Gebieten entgegenzuwirken, zuvor allerdings hatte der Gesundheitsminister mit den Ländern Kernpunkte vereinbart. Unklar war auch, ob man Eck- und Kernpunkte zu einem Doppelpunkt verwässern konnte. Lallbacke Heil hatte mehr als Wörter: Der hatte Sprache.

Heinrich Heine hat festgestellt, Worte seien dazu da, Gedanken zu verbergen. Das bewies der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag gleich im ersten Satz: »Wir stellen den Mut zur Zukunft der Verzagtheit gegenüber.«

Lallbackenblabla: Die Zukunft kommt immer, egal ob man ihr mutig oder verzagt gegenübergestellt wird.

Dann stand da: »Freiheit zur Verantwortung ist der Kompass dieser Koalition der Mitte.«

Zeigt ein Kompass nicht immer in dieselbe Richtung? Offenbar sucht die Koalition Freiheit zur Verantwortung am Polarkreis.

Und so was formulieren die Herrschaften ganz bewusst, betonen sie immer wieder. Sie tun ihre Pflicht im vollen Bewusstsein ihrer Aufgaben oder so. Auch Kanzlerin Merkel hat zugegeben, sie habe am Anfang nicht gedacht, dass der Afghanistan-Einsatz so schwierig würde, aber heute stehe sie »sehr bewusst« hinter dem Einsatz. Ihre Fangemeinde hatte bis dahin bei Kanzlerin Merkels Taten und Worten vermutet, dass sie meistens einigermaßen bei sich ist. Nun war also herausgekommen: Die kommt gelegentlich sogar bewusstlos ins Büro.

Und dann gab es die zweite große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik. Mit Franz und Angela hatte sich ein Traumpaar gefunden: Eine nette, sozialdemokratische Mutti und ein konservativer, wilhelminischer Vati gemeinsam auf dem Sofa. Franz Müntefering war jetzt der Schröder der Herzen.

Münte sagte stets, was Sache ist – auf Sauerländisch: »Es darf sich keiner in die populistischen Büsche schlagen.« Oder: »Es gibt weder Geld im Keller noch auf dem Dachboden.«

Und Angie konterte ohne zu zögern mit Sätzen von eindringlicher Bildhaftigkeit: »Mir ist der Atem gestockt, und zwar in zwei Richtungen.«

Da blieb sogar Lallbacke Franz die Luft weg.

Dann erklärte Lallbacke Merkel, sie möchte Deutschland »durchregieren«.

Vermutlich meinte sie das »durch« in dem Sinn, wie es die Kellnerin im Steakhouse verwendet, und wahrscheinlich wollte sie sagen: nicht blutig, nicht medium, gut durch. Also Schuhsohle. Meck-Pomm-Cuisine. Schon bei der Soljanka hob sie mahnend den Zeigefinger: »2010 ist nicht mehr so weit weg, wie wir uns das vor zehn, fünfzehn Jahren vorgestellt haben.« Richtig. Und heute ist es noch nicht so lange her wie nächstes Jahr.

Angela Merkel, frühlingsfrisch, unverbraucht, spritzig-witzig, appetitlich und trotz ihrer Jugend schon erstaunlich altbacken, gewann auch die Herzen der von der Bildungspolitik beschädigten Jugend, wenn sie bekanntgab: »Patriotismus – das ist das Bekenntnis zur Geschichte der Nation mit seinen Höhen und Tiefen.«

Die jungen Leute ahnten ja noch nicht, dass Patriotismus nur die Religion der Zukurzgekommenen ist. Und die eigenwillige Grammatik der Kanzlerin kam echt cool und sympathisch rüber, vor allem als sie dann noch charmant lächelnd anmerkte: »Ich bedanke mich für das in mich gesetzte Vertrauen und werde mich bemühen, es in die Tat umzusetzen.«

Wie sie das Vertrauen in die Tat umsetzen wollte? Selbstverständlich mit einem Bekenntnis zur deutschen Sprache mit all seinen Regeln.

Kanzlerin Merkel verfügt über einen gediegenen Wortschatz: Konjunkturmotor, Jobmaschine, Wohlstandsfundament, so was geht ihr immer flott von der Zunge. Oder »Entkoppelung«. Die Entkoppelung, und zwar die konsequente Entkoppelung der Löhne von irgendwas und irgendwem – das ist ihr sozusagen ein Herzensbedürfnis. Sie spricht auch gern von »überwölben«. Das nämlich sollen ihre »großen politischen Ziele und Zusammenhänge« mit der Realität machen – überwölben. Sie will das Leben ihrer Untertanen mit dem »Nachhaltigkeitsfaktor« überwölben.

Für ein wenig Irritation, jedenfalls in ihrer eigenen Partei, sorgte allerdings Merkels Ausspruch: »Wir müssen ehrlich sein!« Ob sich Frau Merkel damit »ganz bewusst« in die Nähe von Marcel Proust begeben hat – »Proklamiert zu haben (als Führer einer politischen Partei oder was sonst immer), dass es abscheulich ist zu lügen, zwingt in der Mehrzahl der Fälle dazu, mehr als die anderen zu lügen, ohne dass man deswegen die feierliche Maske oder die erhabene Tiara der Gesinnungstreue ablegen darf« –, das ist zweifelhaft. Dieser französische Dichter gehört ja vermutlich nicht zur Pflichtlektüre in einer Partei.

Schon bald nach Antritt ihrer Kanzlerschaft begann Frau Merkel zu reifen. Sie reifte zusehends, sie reifte rasant, sie wurde einer reifen Williams Christbirne immer ähnlicher, kein Wunder, dass sie die Menschen draußen im Land manchmal an den späten Kohl erinnerte.

Aber auch ein Unterschied zwischen den beiden wurde deutlich: Kohl suchte sein Heil im Aussitzen. Merkel duckte sich unter den Problemen weg. Zwar schrieb Forbes, Kanzlerin Merkel sei die mächtigste Frau der Welt, aber die Frage, worin diese Macht bestand und wozu sie nützlich war, blieb unbeantwortet.

Und tatsächlich reichte ihre Macht nicht einmal aus, Münteferings Herz zu entflammen oder die Langeweile aus den Leitartikeln zu vertreiben. Kanzlerin Merkels Politik pflegte die Tugend der Bescheidenheit, und mit der bescheidenen Qualität ihrer Reden wollte sie demonstrieren, wie weit ihre Reformbemühungen um ein intellektuelles Abspecken bereits vorangekommen waren. Mit Frau Merkel legte sich der gleiche indolente, dumpfe, trübe Dunst über das Land wie zu Kohls Zeiten, der allen das Atmen erschwerte, die nach einem Ausweg aus der Oggersheimer Verelendung suchten.

Frau Merkels Erfolgsrezept bestand darin, zu keiner Frage eine Meinung zu vertreten. Worüber auch immer im Land gestritten wurde, die Kanzlerin hielt sich raus und wurde mit hohen Bekanntheitsgraden belohnt. Frau Merkel hätte auch den Vorsitz der SPD übernehmen können, die Genossen hätten das möglicherweise gar nicht gemerkt, geschweige denn eine feindliche Übernahme vermutet. Merkels Credo lautete: »Wer arbeitet, muss mehr in der Tasche haben als der, der nicht arbeitet und von staatlichen Transfers lebt.«

Außerdem, sagte sie weiter, müsse der Transferleistungsempfänger strikt dazu verpflichtet werden, sich nützlich zu machen, etwa durch Arbeit in öffentlichen Anlagen. Das machte Hoffnung, dass die staatlichen Transferleistungen an von ihr weggemobbte und ausgeschiedene Politiker und -innen eines Tages drastisch reduziert würden und dass die Herrschaften dann auf Bürgersteigen Hundescheiße und Plastiktüten aufpicken müssten.

Verbal steuerte die Kanzlerin im Rahmen ihrer Möglichkeiten immer einen schnurgeraden Kurs: »Wir lassen nicht zu, dass Deutschland an die Wand gefahren wird.« Wenn man mal davon absieht, dass man nicht genau weiß, wer fährt, fragt man sich: Wie fährt man eigentlich Deutschland? Deutschland ist doch ein Standort. Kann man einen Standort fahren? Und wenn ja – wieso »an« die Wand und nicht gegen? Und welche Wand wird angesteuert? Die Eigernordwand? Eine Schrankwand? Und wo befindet sich diese Wand? Etwa in China? Dann muss die Wand aber Mauer heißen. Oder etwa in den Köpfen? Dann muss die Wand aber »Schandmauer« heißen! Sollte der Satz nicht sicherheitshalber lauten: Wir lassen nicht zu, dass der Standort Deutschland gegen die chinesische Schandmauer gefahren wird?

Man darf vermuten, dass es diese Gesprächsthemen waren, wenn sich die Kanzlerin mit ihrer Freundin traf, Deutschlands zweitmächtigster Verlegerin, mit Friede, der Witwe von Axel Caesar Springer.

Angela Merkel wurde Deutschlands führende Floskelmaschine, und ihre Philosophie ließ sich in einem Wort zusammenfassen: Kohlroulade. Eines Tages wird die Kohlroulade Merkelroulade heißen. Ein Oldenburger Metzger widmete der Kanzlerin eine neue Wurstsorte und taufte sie mit falschem Apostroph »Angela’s Beste«. Es handelte sich um eine feinfleischige Aufschnittwurst mit ganzen Schinkenstücken. Trotzdem: Merkel hat irgendwann ein Ende, nur die Wurst hat zwei.

Getreuester Knappe der Jungfer Angela war und ist Pofalla, Chef des Bundeskanzleramtes und Minister für besondere Aufgaben. Wenn Pofalla im Fernsehen erscheint, entwickelt er eine Ausstrahlung wie ein benutzter Pfeifenreiniger. Auffällig wurde Pofalla mit der Einführung des Begriffes »Merkel-Faktor«, mit dem er leicht steigende Abschlüsse in der Wirtschaft interpretierte. Stets verklemmt und beflissen, quetschte CDU-Mann Pofalla seine Wünsche heraus, etwa den, dass Kanzlerin Merkel »ihre erfolgreiche Arbeit als Bundeskanzlerin unter Führung der FDP weitermachen kann«.

An anderer Stelle teilte er mit: »Kernkraft ist für die CDU Ökoenergie.« Wahrscheinlich glaubte er das wirklich. Für Pofalla ist ja auch jeder Türstopper eine Biodinkelfrikadelle.

Pofallas von derben Polypen dominierte Sätze klingen, als habe er einen Intelligenzquotienten wie ein Alpenveilchen. »Ein freies Leben in der Chancengesellschaft« zu ermöglichen, näselte er, als es darum ging, konkret etwas über die Ziele seiner Partei zu sagen. Viele Menschen empfinden es als beschämend, wenn die CDU diesen Plattitüdenpimpf vorschickt, um ihr Interesse zu wecken. Als Lallbacke Pofalla den Entwurf des neuen Grundsatzprogramms seiner Partei vorstellte, erreichte er mit dem Schlüsselsatz sein bislang höchstes Schwafelniveau: »Für uns ist Freiheit ohne Sicherheit nicht vorstellbar, aber auch Sicherheit ohne Freiheit nicht.« In der darauf folgenden atemlosen Stille hörte man die Asche von Adenauer leise kichern.

Noch unterhalb von Pofalla rangierte in der allgemeinen Sympathiewertung ein hessischer Lippenblütler namens Roland Koch, der in der Zeit, da der den einst angesehenen Beruf eines hessischen Ministerpräsidenten zugrunde richtete, alles unterließ, was ihn unter Demokratieverdacht hätte stellen können. Dieser Herr Koch legte das Bekenntnis ab: »Zwischen Angela Merkel und mich passt kein Löschblatt.« Kein Löschblatt zwischen ihm und Angela? Was war denn das für eine seltsame Perversion? Gab’s da denn was zu löschen? Die Glut der Verantwortung? Die Hitze der Macht? Das Feuer der Visionen? Oder ging es doch nur um die Schweißausbrüche bei der Triebabfuhr? Hören Sie mal, Lallbacke Koch: Wenn man so designt ist wie Sie, dann braucht man einfach mehr Substanz.

Woran lag es nur, dass Kanzlerin Merkel immer wieder die Kraft fand für ihre erstaunlich originellen Gedankengänge? Es lag an der Art, wie sie Urlaub machte. So antwortete sie auf die Frage, ob sie sich ein wenig erholt habe: »Bergsteigen tut Politikern gut … Ich glaube, dass – insbesondere wenn man sich körperlich betätigt, zum Beispiel auf Berge steigt – es eine interessante Durchlüftung auch der jeweiligen Gehirnformation ist und dass das insgesamt der politischen Arbeit guttut.«

Gehirnformation – ein exquisiter Begriff. Zumal es hier nicht um irgendeine beliebige Formation ging, sondern um die jeweilige. Ein wenig irritierend war nur, dass diese jeweilige Gehirnformation durchlüftet werden konnte, wie normale Leute es nur von Mund und Nase kennen. Offenbar hatte die Kanzlerin ein Extrabelüftungsloch im Kopf, eine offene Fontanelle, die sie in die Lage versetzte, jeden Konferenzraum mit klarer Bergluft und den Gummibaum mit frischem Grün zu versorgen, eine private Klimaanlage, die sie befähigte, ihrer Partei knallhart die Richtung zu weisen: »Wir werden Verschwendung und Undurchschaubarkeit im System durch eine Vielzahl von Strukturmaßnahmen verbessern.« Das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle tosenden Applaus. Verschwendung und Undurchschaubarkeit verbessern – kein Problem: Das war schon immer ihre Stärke.

Frau Merkel, Anführerin der deutschen Christdemokraten, ist ein zwar fernes, aber großartiges Echo auf den Urknall. Rhetorisch allerdings ist Merkel eher ein armes Mäuschen: »Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt« – sagte sie. Ist das wahr? Wissen das die Verkehrsplaner und die Radfahrer?

Merkel vertiefte ihren Gedanken so: »Man kann mit vielen kleinen Schritten zu einem Ziel kommen, und man kann vielleicht auch mit wenigen großen Schritten zu einem Ziel kommen.« Dieser Satz war so tiefgründig, den hätte auch Mao Tse-tung den mongolischen Bauern an der Grenze zu Tibet ins kleine rote Buch schreiben können. Und unerbittlich dachte Merkel immer präziser: »Bei den kleinen Schritten hat man mehr Trittsicherheit, bei den großen möglicherweise mehr Geschwindigkeit. Dafür läuft man Gefahr, eine ganz falsche Richtung einzuschlagen. Wichtig ist doch nicht die Schrittlänge, sondern dass das Ziel klar ist.« Das leuchtet ein. Und wer einfach liegenbleibt, muss nicht weit reisen.

Nach einer CDU-Klausurtagung sagte Merkel, es sei um »neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit« gegangen. Da musste es also eine alte Gerechtigkeit gegeben haben, die nichts mehr taugte, weil sie zu wenig Freiheit enthielt. Es wäre interessant gewesen zu erfahren: In welcher Tüte oder in welchem Messbecher wollte Frau Merkel Freiheit abfüllen, damit auch schlichtere Leute deren Vermehrung oder Reduzierung überprüfen konnten?

Dieselbe schlichte Herangehensweise fand sich in einem Spiegel