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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2562

 

Die Tryonische Allianz

 

Auf der Suche nach dem uralten Erbe – Rekruten für die Vatrox

 

Susan Schwartz

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das entspricht dem Jahr 5050 christlicher Zeitrechnung. Seit über hundert Jahren herrscht Frieden: Die Sternenreiche arbeiten daran, eine gemeinsame Zukunft zu schaffen.

Als aber die Terraner auf die sogenannten Polyport-Höfe stoßen, Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit, tritt die Frequenz-Monarchie auf den Plan: Ihre Herren, die Vatrox, beanspruchen die Macht über jeden Polyport-Hof.

Mit Raumschiffen aus Formenergie oder über die Transportkamine der Polyport-Höfe rücken die Vatrox vor, und anfangs scheinen sie kaum aufzuhalten zu sein. Dann aber entdeckt man ihre Achillesferse in ihrer stärksten Waffe: Die Vatrox verfügen mittels ihrer Hibernationswelten über die Möglichkeit der »Wiedergeburt«. Als die Terraner ihnen diese Welten nehmen und die freien Bewusstseine dieses Volkes einfangen, beenden sie die Herrschaft der Frequenz-Monarchie.

Allerdings sind damit nicht alle Gefahren beseitigt: Noch immer gibt es Vatrox, darunter den gefährlichen Frequenzfolger Sinnafoch, und mindestens zwei rivalisierende Geisteswesen, die mit dieser fremden Zivilisation zusammenhängen. Diese sammeln ihre Kräfte gegen den Feind – und eine davon ist DIE TRYONISCHE ALLIANZ …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Sichu Dorksteiger – Eine Ator wächst mit den Zielen der Frequenz-Monarchie auf.

Fyrt Byrask – Ein begabter Knabe kommt in die Obhut der besten Lehrer.

Hochalon – Ein Vatrox fordert die Kinder der Tryonischen Allianz.

Der Himmel ist weit.

Sein Schatten ist lang.

(Spruch der Hennuni)

 

 

1.

Unter Thaggs gütigem Schein

 

Das Kind rannte, als wären ihm alle Dämonen des Öligen Todes auf den Fersen. Und so ähnlich war es ja auch. Das Kind hatte den Tod zwar noch nicht unmittelbar gesehen, aber es hörte ihn: das Krachen und Bersten von starken Zweigen und Ästen, wie ein Sturm, der durch das Gebüsch rast. Einmal wagte das Kind, einen kurzen Blick über die Schulter zu werfen, und es sah die Wipfel schlanker Maidenlorbeeren schwanken, immer näher auf sich zukommen.

Das Kind schrie und weinte und rannte weiter um sein Leben. Noch nie hatte es so viel Angst gehabt. Die Eltern hatten es gewarnt, ihm verboten, zu nah in die Sümpfe zu gehen. Aber welche Wahl hatte es gehabt? Die anderen hätten es ausgelacht und noch mehr verhöhnt als ohnehin.

Obwohl der Boden weich und nachgiebig war, schmatzend und schleimig an den Sandalen des Kindes saugte und versuchte, sie ihm von den Füßen zu reißen, spürte es ein leichtes Zittern und Beben. Der Tod musste schon sehr nahe sein. In unmittelbarer Nähe zersplitterte ein Ast mit hellem Knall, und dann erklang ein tiefes Grollen, Schnauben und Grunzen.

Das Kind stolperte atemlos und erschöpft dahin, suchte sich seinen Weg durch den Sumpf, wusste nicht, wohin. Tief drin sollte tückischer Morast lauern, der einen unnachgiebig einsaugte und verschlang, am liebsten kleine Kinder.

Während der Verfolger lauter hinter ihm herlärmte, wurde das Kind stiller. Es hatte keine Kraft mehr, um Hilfe zu rufen, die Tränen rannen lautlos über die flaumigen Wangen. Vater hätte jetzt zu einem Gebet geraten, aber es hatte keine Kraft mehr dazu. Nicht mehr lange, dann würde der Dämon nach ihm greifen, es packen und zerreißen, sein Herz herauszerren und verschlingen, mitsamt der Seele.

Warum hatte sich das Kind dazu überreden lassen? Sonst war es doch nie so dumm gewesen, solche Herausforderungen anzunehmen! Wie oft passierte dabei etwas, es kam zu Unfällen, ja, manchmal kam sogar jemand zu Tode. Die Erwachsenen hatten die Mutproben deshalb streng verboten, aber so gut wie kein Kind hielt sich daran. Jeder musste daran teilnehmen, um dazuzugehören.

Aber wollte das Kind das wirklich? Bisher war es gut ohne die anderen zurechtgekommen, sie schätzten seinen Rat und seine Besonnenheit, nie war es körperlich herausgefordert worden. Und das war gut bei seiner schwächlichen Statur.

Es lag am Sumpf. Das Kind hatte nie an die Flüsterlegenden geglaubt, die selbst die Erwachsenen dazu brachten, Schutzzeichen gegen den Öligen Tod zu schnalzen.

Ein Ungeheuer im Sumpf? Ein Dämon, der zur Zwielichtstunde jeden Unvorsichtigen holte, der ihm zu nahe kam? Lächerlich! Das hatte das Kind beweisen wollen: Aberglaube war dumm.

Also hatte es sich bereit erklärt – was für sich betrachtet schon bodenlose Dummheit war –, den Goldwabenhonig genau zu dieser Stunde zu holen, wenn die gefährlichen Ginsterbienen gerade schlafen gegangen waren. Nur dann war es möglich, ihren Honig zu stehlen und lebend davonzukommen.

Nachts wäre es natürlich weitaus besser gewesen, wenn es dunkel und kalt war im Sumpf, aber dann durfte das Kind nicht aus dem Haus. Und nachts ging der Dämon angeblich auch nicht mehr um, sondern ganz andere, höchst reale Wesen lauerten: blutsaugende Schwirrer, deren Stiche gefährliches Fieber auslösen konnten. Vor denen fürchtete das Kind sich, seit seine Schwester an den Folgen eines solchen Stiches gestorben war. Vor dem Dämon hatte es – bisher! – keine Angst gehabt.

Die Zwielichtstunde war fast um, der rötliche Schein am Horizont, gerade so durch das Blätterwerk sichtbar, schlug allmählich um in Grau, und bald würde schwarze Nacht herrschen.

Endlich entdeckte das Kind einen vertrauten Pfad. In seiner Panik war es im Kreis gelaufen und kam nun genau auf demselben Weg zurück, auf dem es in den Sumpf hineingegangen war. Die Honigwabe hatte es auf seiner Flucht längst verloren, und nun lockte er auch noch den Dämon auf die Spur seiner Freunde!

Das Kind nahm seine letzten Kräfte zusammen und stürmte mit heftig rudernden Armen aus dem Gebüsch ins Freiland, schrie: »Flieht, schnell! Er ist mir auf den Fersen!«, übersah dabei eine Bodenunebenheit, stolperte, stürzte und überschlug sich.

Ein gewaltiges Krachen und Bersten, begleitet von donnerndem Gebrüll, übertönte die keuchenden Atemzüge des Kindes.

Die anderen Kinder, die in sicherer Entfernung gewartet hatten, schrien nun ebenfalls, wichen zurück, rannten durcheinander, bis eine helle Stimme sie zur Ordnung rief.

Das Kind blieb kraftlos auf dem Rücken liegen, es konnte nicht mehr, es war vorbei. Tapfer wollte es dem Tod ins Angesicht blicken – und da brach er auch schon aus dem Gebüsch hervor.

Eine riesige, langhaarige Kreatur mit einem Widerrist, der eine Mannslänge übertraf, und steil abfallendem Rücken, mit mächtigen, muskelbepackten, haarlosen Beinen, die in vier kräftigen, krallenbewehrten Zehen endeten, und einem peitschenden, stachligen Schwanz. Aus der stumpfnasigen, weit geöffneten Schnauze des Wesens ragten insgesamt sechs gewaltige Hauer, ein Paar aus dem Oberkiefer, zwei Paar aus dem mit spitzen Zähnen besetzten, vorgeschobenen Unterkiefer. Die merkwürdig kleinen Augen in dem überproportional großen, klobigen Schädel funkelten boshaft, und riesige, fast dreieckige Ohren schlugen heftig, um lästige Schmarotzer zu vertreiben, die ihn ununterbrochen umschwirrten.

Das Ungeheuer baute sich über dem zitternden Kind auf, sträubte die langen, stachligen Haare und brüllte es an.

Das Kind stieß einen letzten wimmernden Laut aus und fiel in Ohnmacht. So bekam es gnädigerweise nicht mehr mit, wie sich der riesige Schädel auf es herabsenkte.

 

*

 

Die Kinder schrien auf.

Eine breite, lange, violette Zunge entrollte sich aus dem Maul und schlabberte speichelnd über das Gesicht des Kindes. Seltsam keckernde, hohe Laute klimperten aus dem Inneren des Tieres hervor.

»Wuäh!«, gab ein Kind entsetzt von sich.

»Urdu! Platz!«, erklang erneut die helle Stimme.

Der Kopf des Tieres ruckte hoch. Aus der Gruppe der Kinder löste sich ein schlankes Mädchen und kam auf das Ungeheuer zu. Energisch deutete es zu Boden.

»Na los! Geh Platz!«

»Mpf«, brummte das riesige Wesen und gehorchte, ließ das breite Hinterteil zu Boden plumpsen, die Ohren sanken nach unten.

Drei Jungen rannten an dem Mädchen vorbei. Einer rief: »Allethaggra, hoffentlich hat er ihn nicht zu Tode geschleckt!«

Sie beugten sich über den Bewusstlosen und wischten mit angeekelten Mienen den klebrigen Speichel ab, setzten den Jungen auf und schüttelten ihn leicht.

»He, Uffir, komm zu dir! Ist ja alles in Ordnung, es war nur ein Spaß!«

Der Junge kam zu sich und blickte seine Kameraden ungläubig an.

»N… nur ein Spaß?«, stammelte er. Dann fiel sein Blick auf Urdu, der ganz brav und friedlich dasaß, leise hechelnd und grunzend, und seine Herrin, die neben ihm stand und ihn lachend streichelte.

»Das war doch wirklich lustig, Uffir!«, rief sie. »Du bist gerannt wie ein Sumpfransi, und dabei war es nur ein Dork!«

Uffir stieß die stützenden Hände der anderen Jungen beiseite und rappelte sich hoch. Er war immer noch außer Atem, aber sein Gesicht glühte – vor Zorn.

»Du … du hast das nur gemacht, um mich zu erschrecken?«, rief er. »Ich hätte dabei umkommen können!«

»Ach was, Urdu ist der sanftmütigste Dork, den es gibt«, erwiderte das Mädchen lässig.

»Außer, wenn er in Brunfthitze ist!« Uffir versuchte ein paar Schritte, taumelte leicht, aber bald ging es besser.

»Ist er aber nicht. Komm her und streichle ihn, er hat es wirklich nicht böse gemeint.« Das Mädchen klopfte auffordernd an die Schulter des Dork.

»Er vielleicht nicht – aber du!« Uffir blieb stehen und zeigte anklagend auf das Mädchen. »Diesmal bist du zu weit gegangen, Sichu Dorksteiger! Das lasse ich mir nicht gefallen, das war … das war …«

Er fand keine Worte für das, was er empfand. Stattdessen brach Uffir in Tränen aus und rannte laut heulend davon.

 

*

 

Die anderen Kinder sahen dem Jungen nach.

»Weißt du«, sagte eines, »vielleicht sind wir tatsächlich ein bisschen zu weit gegangen, Sichu.«

»Unsinn«, wiegelte sie mit einer lässigen Handbewegung ab. »Er ist ein Hennuni, die halten eben nichts aus.« Sie gab Urdu ein Zeichen, der daraufhin aufstand. »Uffir ist ein Spielverderber. Achten wir nicht mehr auf ihn.«

Mit dem riesigen Dork an der Seite ging sie los. »Es wird bald dunkel, ich muss nach Hause. Bis morgen!«

Ohne auf die anderen zu achten, schlug sie den Weg zu dem großen herrschaftlichen Haus ein, das weithin sichtbar auf der Anhöhe stand, umgeben von eingezäunten Weiden und Feldern, Stallungen und Scheunen.

 

*

 

Das Abendessen verlief in gewohnten Bahnen. Die Eltern nahmen zufrieden zur Kenntnis, dass Sichu pünktlich nach Hause gekommen war, und gingen dann während des Essens ihren jeweiligen Beschäftigungen nach.

Der Stallmeister würde nicht verraten, dass Urdu ziemlich schweißnass und außer Atem in seine Box gestapft war; keiner wagte das jemals. Sichu war das einzige Kind ihrer Eltern und daher ihr ganz besonderer Augenstern, kostbarer als der ganze Hof. Das verschaffte ihr Privilegien und eine Sonderstellung.

Entsprechend entspannt lag sie im Schwebestuhl am Tisch und holte sich von den immer wieder vorbeigleitenden Platten eine Pastete, ein Röllchen oder diverse andere Leckereien. Auswahl gab es genug. Der Getränkereicher neben ihrem Kopf fuhr sofort einen blauen, grünen oder gelben Mundschlauch aus, sobald sie eine Farbe intensiv ansah.

Auf dem Tisch waren mehrere Holografien aufgebaut, die durch direkte Berührung gewechselt, vergrößert oder umgeblättert werden konnten. Sichus Vater Aranmu Dorksteiger, dessen Haar bereits seinen silbernen Glanz verlor, war wie immer mit Politik und den Handelskursen beschäftigt. Die Mitarbeiter seines Stadtbüros mussten ihn laufend mit allen Neuigkeiten versorgen, und der Ertrag des Hofes musste unter Beobachtung gehalten werden, damit sein Kurs nicht etwa sank.

Sichus Mutter Lebanna Dorksteiger war mit den Märkten beschäftigt, um zu entscheiden, wohin Fleisch, Vieh und der Ernteertrag verkauft werden sollten und wo am günstigsten neues Saatgut und Nachwuchszuchten erstanden werden konnten. Außerdem stand sie in regem Kontakt mit Auktionatoren und anderen Großgrundbesitzern.

Sichu hatte ihre Hausaufgaben vor sich, aber sie interessierte sich nicht weiter dafür. Sie waren ihr schlicht zu langweilig. Sie konnte das Ergebnis der Wurzel aus der vorgegebenen Bruchzahl, die mit einem weiteren Bruch multipliziert und dann durch 3468,9721 dividiert werden sollte, im Kopf ausrechnen, dafür brauchte sie nicht mehr als zwei Zontas – gerade so lange wie ein Herzschlag. Mit den anderen Aufgaben verhielt es sich ähnlich. Zahlen waren für Sichu Bilder und Klänge, und sie vermischte und komponierte sie so lange, bis sie ein harmonisches Kunstwerk ergaben.

Interessanter wurde es, wenn die Spielereien in Verbindung mit Gleichungen mit mehreren Unbekannten gesetzt wurden. Am meisten liebte sie die Berechnung und den Aufbau hypothetischer mehrdimensionaler Fraktale. Da hatte sie endlich etwas zu knacken, wenngleich die Aufgaben so gestellt waren, dass Sichu sie lösen konnte – also nicht für Erwachsene. Für die schwierigste hatte sie einen Tag benötigt.

Ach, weg damit! Sollte sie morgen aufgerufen werden, konnte sie es leicht nachrechnen. Nächste Aufgabe: Sie sollte die Gewinnsituation eines Ertraghofs feststellen, der unter drei unterschiedlich berücksichtigten Erben aufgeteilt werden sollte, und berechnen, wann jeder Erbe den anteilig höchsten Betrag nach Abzug der Steuern erhielt. Noch langweiliger. Vielleicht sollte sie ihre Mutter um Hilfe bitten? Lebanna liebte solche Berechnungen.

Dritte Aufgabe: ein Aufsatz über ihren künftigen Berufswunsch.

Sichu verdrehte die Augen. Schon wieder! Wie oft denn noch? Sie war zehn Jahre alt und bekam die Frage schon zum vierten oder fünften Mal vorgesetzt. Sie wusste es bereits, so wie die meisten Schulkameraden, der Wunsch war somit Gewissheit und nicht hypothetisch. Also schrieb sie: Ich erbe den Hof meiner Eltern und bewirtschafte ihn weiter. Das politische Amt meines Vaters werde ich zumindest für eine Legislaturperiode übernehmen, bis Neuwahlen stattfinden. Bis dahin werde ich schon lange eigene Kinder haben und …

Augenblick, halt!

Sie löschte energisch den letzten Satz. Eigene Kinder? Dummes Zeug! Sichu wollte sich auf keinen Mann einlassen und erst recht keine Partnerschaft eingehen. Das erforderte viel zu viele Einschränkungen.

Die ersten beiden Sätze blieben stehen, denn das war erwünscht. Die Kinder sollten von Anfang an wissen, wo ihr Platz war. Das hielt die Ordnung aufrecht.

Sichu war damit voll und ganz einverstanden, es ging ja auch kaum an, dass etwa ein Hennuni den Hof übernehmen würde! Ausgeschlossen!

Auf das leise Stimmchen ganz weit hinten im Kopf hörte Sichu nicht. Sie wusste gar nicht mehr, wann es zum ersten Mal erklungen war, doch einmal hatte ein ganz anderer Satz hinter der Frage gestanden. Er lautete: Ich will Wissenschaftlerin werden und den Weltraum bereisen.

Beinahe hätte Sichu ihre Aufgabe so abgegeben, aber sie hatte im letzten Moment erschrocken bemerkt, was ihr da herausgerutscht war. Beim besten Willen konnte sie sich nicht daran erinnern, ihn geschrieben zu haben! Sie verdächtigte sogar ihre Kameraden, ihre Aufgabe gefälscht zu haben, weil sie sich nicht vorstellen konnte, wie sie auf diesen grotesken Einfall hätte kommen sollen.

Selbstverständlich hatte sie den Satz sofort gelöscht, doch irgendwie ließ er sich nicht aus ihrem Gedächtnis vertreiben. Sichu vergaß kaum je etwas – und leider auch nicht diese Merkwürdigkeit. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Weg mit dem Gedanken – es blieb bei der gewohnten Antwort. Und sie wusste schon, was sie als Antwort auf ihren »Aufsatz« erhalten würde: »Sichu Dorksteiger, das ist kein Aufsatz. Nächstes Mal erwarte ich mindestens vierzig Sätze, oder es gibt einen Eintrag.«

Sichu grinste und griff nach einem süßen Lakurtzwaffeli, das sie mit scharf gebratenen Speckstreifen kombinierte. Sie würde es nächstes Mal wieder genauso machen!

Wer würde es schon wagen, der Tochter des Obersten Vorsitzenden des Stadtgremiums einen Verweis zu erteilen? Noch dazu, wenn er gleichzeitig der größte Großgrundbesitzer des Bezirks war und den Namen des Stadtgründers trug!

Und was gab es mehr dazu zu sagen? Ihre Worte waren exakt gewählt wie die Lösung einer Gleichung, ohne Umschweife und Umwege.

 

*

 

Das Abendessen war fast beendet und Sichu mit ihren Aufgaben durch. Auch die Eltern lösten sich von ihren Holos und ließen sich in Kristalltassen heißes Schwarzwasser reichen, dessen süßlich-starker Duft Sichu verlockend in die Nase wehte.

Sie bekam eine Schale Beerenauslese gereicht, die angenehm auf der Zunge bitzelte.

»Hast du heute alles erledigt, Sichu?«, erkundigte sich der Vater nach dem ersten Schluck.

»Ja, Vater. Ich wollte dich fragen …«

»Nur zu.«

Wenn er Schwarzwasser trank, war die Gelegenheit ideal. Dann war er bei der Sache, hörte zu und dachte über das nach, was Sichu sagte.

»Also, ich hätte gern, dass Larf bei der Leistungsschau vorgeführt wird!«, platzte Sichu heraus. »Ich glaube, er kann eine gute Bewertung erreichen!«

Ihre Mutter beugte sich leicht vor. Lennaba war eine Ator in den besten Jahren, mit hüftlangem, glänzend silberfarbenem Haar und tiefgoldenen Mustern auf der seidigen grünen Haut. Die grünen Punkte in ihren gelben Augen bildeten die Form eines Halbmonds, ein Hinweis auf ihre besondere Abstammung, die noch auf die ersten Siedler Ganrojs und natürlich den Stadtgründer zurückgehen sollte.

Sichu hatte diese Form leider nicht geerbt, aber ihre Goldmuster waren ähnlich, worüber sie froh war. Die Goldlinien auf der Haut ihres Vaters waren wenig inspirierend, sie verbanden sich nüchtern zu belanglosen geometrischen Formen, wogegen die Muster auf Sichus Haut fast Fraktalen ähnelten.

»Was veranlasst dich zu der Annahme, Larf wäre zu einer Leistungsprüfung geeignet?«, fragte die Mutter.