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Band 106

 

Der Zorn der Bestie

 

von Kai Hirdt

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet. Nach einer Zeit des Friedens tauchen im Jahr 2049 beim Jupiter Kampfraumer der sogenannten Methans auf und eröffnen das Feuer. Rhodan setzt sich auf die Spur der Angreifer.

Im fernen Taktissystem gewinnt er wertvolle Erkenntnisse über den ersten Methankrieg vor 10.000 Jahren. Bei einem Einsatz gehen jedoch der Mausbiber Gucky und der Haluter Teik in einem Riesentransmitter verloren. Rhodan folgt ihnen mit dem Geheimschiff MAYA.

Im Refeksystem entdeckt er die gewaltige Kriegsflotte der Maahks, die sich zum Sturm auf Arkon bereit macht. Bei einer Spionagemission gerät Perry Rhodan in Gefangenschaft. Plötzlich taucht Hilfe von unerwarteter Seite auf ...

Prolog

Bestien verneigen sich nicht

Masmer Tronkh

 

Du bist ein Fehler.

Du bist allein geboren. Der Grund, warum die Festung dich geschaffen hat: der Irrtum eines Technikers, eine falsche Schaltung.

Du bist nicht geworden, was du sein solltest. Du bist kein Werkzeug. Kein Diener. Kein Sklave.

Als du deine drei Augen zum ersten Mal geöffnet hast, wollten sie dich töten.

Stattdessen hast du sie getötet.

Du bist als Waffe gezüchtet. Du lebst für die Zerstörung. Doch was du zerstörst, entscheidest du selbst.

Außer wenn die Wut dich überkommt. Dann zerstörst du alles.

Sie nennen dich eine Bestie.

Doch du bist Masmer Tronkh. Der Einsame der Festung.

 

Das Schiff, mit dem du der Festung TASCHVAAHL entkommen bist, ist durch den Bündler gegangen. Viele Tausend Lichtjahre entfernt bist du wieder erschienen, im Refeksystem – dort, wo die Maahks ihre Kräfte sammeln.

Ihre Kräfte. Lächerlich. Wie viele ihrer Schiffe mögen bei Refek stehen? Fünfzigtausend? Hunderttausend?

102.594 – dein Planhirn weiß die Antwort. Es weiß immer die Antwort, oder es errechnet sie, schneller und verlässlicher als eine Positronik. Dein Ordinärhirn kann darauf verzichten. Es sind viele Raumer, und darauf kommt es an.

Sie halten sich von dir fern. 102.594 Schiffe der Maahks fürchten ein einziges Bestienschiff.

Zu Recht.

Vielleicht kannst du sie nicht alle vernichten. Die ersten zehn, hundert oder tausend aber auf jeden Fall.

Doch du hast keine Händel mit den Maahks. Refek interessiert dich nicht. Dort liegt nur der Bündler, der deinem eigentlichen Ziel am nächsten steht.

Du lässt deine vier Hände über die Steuersäule gleiten, den Harkh. Er fühlt sich an wie für dich gemacht. Er ist für dich gemacht, oder für deinesgleichen. Siebenundachtzig Lichtjahre ist dein Ziel entfernt, zeigt der Harkh an.

Siebenundachtzig Lichtjahre zur Zuchtstation KELFHUUR.

Ein winziger Schritt.

Du gibst den Sprungbefehl.

 

Das Zielsystem hat keinen Namen. Es hat nie einen benötigt. KELFHUUR und zwei namenlose Planeten kreisen um Sonne XLR-85930.

Du liebkost den Harkh. Die Säule versteht deine Gedanken. Dein Schiff nähert sich KELFHUUR, doch die holografische Kuppel zeigt nicht das All. Sie zeigt die Heimstatt des Unfertigen; den Tank, in dem dein Bruder heranwächst. Ballad Tronkh, der Zweite der Festung. Auf der Zuchtstation wird er seinen Tank verlassen. Die Wissenschaftler dort werden dir helfen. Werden ihm helfen. Und du wirst nicht mehr allein sein.

Du streichst über den Harkh, und KELFHUUR erscheint. Die Station gleicht TASCHVAAHL, der Festung, in der du geschaffen wurdest: ein gewaltiges Rad aus Stahl. Zu beiden Seiten wächst aus seiner Mitte ein Dorn ins All, höher als ein Gebirge; so breit an seiner Basis, dass dein Schiff zehnmal hineinpassen würde.

Im oberen Dorn liegt das Zuchtlabor. Dort ist dein Ziel.

Ein Funksignal geht ein. Der Harkh zeigt es dir im Hologramm. Laut der Funkkennung heißt der Absender Iroget Legrome. Er ist der Atolk von KELFHUUR. Du bist gespannt, wie der Chefwissenschaftler der Station aussieht.

Iroget Legrome ist ein kleines Wesen. Wie du hat es sechs Gliedmaßen, doch sie gleichen sich – keine klar erkennbaren Arme oder Beine wie bei dir. Sechs dünne Beinchen, zerbrechlich. Sein Körper ist fahlweiß, flach und rund. Ein Zirkel aus gelb schimmernden Augen umringt die Sprechöffnung.

»Wer bist du?«, herrscht er dich an. »Wir erwarten kein neues Material.«

Welches Material? Dein Schiff? Oder meint er dich? Du spürst die Wut anschwellen, doch du kämpfst sie nieder. Du brauchst dieses Wesen – oder zutreffender: Ballad braucht es.

»Mein Name ist Masmer Tronkh. Ich komme von ...«

»Masmer Tronkh? Der Einsame der Festung? Lächerlich. Wer hat dir diesen Namen gegeben? Wer schickt dich?«

Schleier tanzen vor deinen Augen. Das Blut in deinen Adern scheint zu kochen. Deine Herzen schlagen wild. Du weißt, was bald passieren wird. Du kämpfst dagegen an.

»Ich selbst. Es war niemand auf TASCHVAAHL, der mir einen Namen ...«

»Die zerstörte Festung?« Der Atolk reißt alle acht Augen auf. »Atolk an Abwehrstaffel ...« Er dreht sich weg, spricht weiter, jedoch nicht zu dir. Jemand unterbricht die Verbindung. Du hörst nicht mehr, was der Atolk seinen Leuten befiehlt.

Doch du siehst es.

Von KELFHUUR starten Raumjäger, neun, achtzehn, siebenundzwanzig Stück. Sie halten auf dich zu, kreisen dein Schiff ein. Ohne ein weiteres Wort eröffnen sie das Feuer.

Du hältst die Wut nicht länger im Zaum.

 

Die Jäger wissen um die Kampfkraft eines Bestienschiffs. Dennoch werfen sie sich der todbringenden, schimmernden Kugel entgegen. Deine Hände tanzen über den Harkh, als bewegten sie sich von allein. Du selbst kannst es nicht sein, der sie steuert, denn die Wut und der Hass lähmen deine Gedanken. Ist es dein Planhirn, das deinen Zorn in Bewegung und Handlung verwandelt?

Auf der Oberfläche deines Schiffs bilden sich Abstrahlöffnungen, genau dort, wo sie benötigt werden – wo sie ihr Vernichtungswerk am effizientesten verrichten. Sie jagen den Feinden ein Gewitter von Thermo-, Desintegrator- und Impulsstrahlen entgegen.

Kein Treffer. Nicht ein einziger.

Du brüllst auf. Niemand außer dem Harkh kann dich hören. Wie ist ihnen das gelungen? Wie konnten sie deinen Strahlen entgehen?

Dein Planhirn kennt die Antwort. Das können sie nur, wenn sie vorher wissen, wohin du schießt. Dein Planhirn versteht auch, woher sie das wissen: Die Schiffe der Bestien sind ein Schwarm. Sie stehen miteinander in Verbindung, zumindest auf kurze Distanz. Auf KELFHUUR muss es Bestienraumer geben, die Kontakt zu deinem Schiff haben. Und der Atolk manipuliert sie. Du verlockst den Harkh, dir die Trägerwelle der Schwarmverbindung anzuzeigen. Du entdeckst ein verstecktes Signal – einen Befehl, der dein Schiff zwingt, alle deine Kommandos bei Eingabe weiterzumelden.

Du entdeckst noch etwas. Dieses Signal wird deinen Schutzschirm ausschalten, wenn die Feindschiffe auf Torpedodistanz heran sind.

Der Atolk ist klug. Du empfindest Respekt vor dieser Kriegslist. Der Schleier, den die Wut auf dein Denken gelegt hat, lichtet sich. Ruhig und besonnen vollziehst du das Kriegshandwerk, folgst der Intuition deines Ordinärhirns, während dein Planhirn ein Programm ersinnt. Einige wenige Kommandos. Sie unterbinden nicht nur die verräterische Übermittlung deiner Steuerbefehle – nein, sie täuschen falsche Befehle vor.

Du spielst den Kode ein.

Einige Momente gibst du dich der Vorfreude hin. Dann greifst du in den Harkh.

Siebenundzwanzig Raumjäger verwandeln sich in kleine Sonnen.

Der Weg nach KELFHUUR ist frei.

 

Als du dich näherst, geht die Station in Verschlusszustand. Es wäre möglich, einen Landehangar trotz Verschlussbefehl zu öffnen. Es würde jedoch einige Minuten dauern, das Programm hierfür zu ersinnen.

Diese Geduld hast du nicht.

Du überlegst kurz, dir den Weg mit der Intervallkanone freizuschießen. Doch das könnte ganz KELFHUUR zerstören. Also desintegrierst du die Stationswand, nicht weit von der Zentrale, und schaffst dir deinen Hangar selbst.

Du steigst aus und beginnst deine Suche nach dem Atolk. Er wird dir helfen, ob er will oder nicht.

Er will nicht. Er sendet Raumsoldaten, die deinen Vormarsch aufhalten sollen. Soldaten gegen eine Bestie. Lächerlich.

Es sind Hunderte, die sich dir entgegenwerfen. Sie feuern mit allem, was sie haben, und tatsächlich musst du die Struktur deines Körpers verhärten, um dem Beschuss standzuhalten. Ausharren bis zur Feuerpause. Die Verzögerung ärgert dich. Der Zorn kehrt zurück; der nächste Furorschub.

Du tötest die ersten drei Reihen der Angreifer mit bloßen Händen. Der Rest der Gruppe teilt sich, die Soldaten ergreifen die Flucht. Eine Hälfte jagst du die Korridore entlang. Sie verschanzen sich in einem gesicherten Hangar. Du nimmst Anlauf, rennst so schnell du kannst, verhärtest deinen Körper und durchbrichst die Außenwand der Station. Den Weg zum Hangar legst du im All zurück, dann zerschlägst du erneut die Wand. Was eben ein Schutz war, ist nun eine Falle. Kein einziger der Soldaten überlebt.

Der Furor ebbt nicht ab. Du verfolgst die zweite Gruppe, über Korridore und durch Wände. Immer wieder holst du Fliehende ein. Ihre Körper haben deinen Kräften nichts entgegenzusetzen.

Du rennst einen weiten Korridor entlang, hinein in eine große Halle. Deine Feinde müssten hier sein, doch niemand ist zu sehen. Du verharrst, lauschst auf deinen Instinkt. Etwas stimmt hier nicht.

Am entfernten Ende der Halle fahren Bodenplatten beiseite. Eine große Öffnung bildet sich. Ein Konverterschacht. Auf TASCHVAAHL hatte der Avatar der Station vorgeschlagen, du solltest in den Konverter gehen. Dich auflösen lassen. Zu Energie werden.

Die Feinde strömen aus Verstecken hinter dir. Sie schleppen mobile Prallfeldgeneratoren, schaffen eine Barriere. Du rennst dagegen an, kannst sie aber nicht durchbrechen. Kannst den Feinden nicht geben, was sie verdienen.

Nicht sofort.

Sie erhöhen die Intensität. Das Feld schiebt dich nach hinten, auf die Konverteröffnung zu. Sie haben dich hierhin gelockt, um dich aufzulösen. Erneut verspürst du Respekt vor dem Atolk, der diesen Plan ersonnen hat. Er mag zwar aussehen wie ein schwaches Wesen, doch er denkt wie eine Bestie. All die Toten auf dem Weg – ihr einziger Zweck war, dich in diesen Raum zu locken.

Sosehr du gegen den Schub ankämpfst: Die Felder sind zu mächtig. Der Atolk kennt die Kräfte einer Bestie. Seine Falle ist stärker als du. Dir bleibt nur eine Richtung: zum Konverterschacht.

Und zu dem Energiespeicher dahinter. Der Akkumulator, der die gewaltigen Ströme aus dem Konverter aufnimmt und bereithält, bis jemand sie braucht.

So wie du nun.

Du wirfst dich nicht mehr gegen die Prallfelder, sondern rennst auf den Konverter zu. So schnell du kannst. Der Schwung trägt deine gewaltige Masse über die Öffnung hinweg. Du machst deinen Körper hart wie Kristall. Wie ein Geschoss aus Fels schlägst du in die Wand ein. In den Energiespeicher.

Die Explosion vernichtet deine Feinde vollständig. Nur Rauch und Asche verbleiben, keine Körper, die von deiner Kriegstat zeugen. Bedauerlich. Doch die Feuerlohe muss bis ins All gereicht haben; ein Fanal deiner Macht. Der Gedanke versöhnt dich.

Es wird Zeit, den Atolk zu suchen.

 

KELFHUUR ist stärker besetzt als TASCHVAAHL. Die Station ist in Betrieb. Die Besatzungszahl muss in die Tausende gehen, vielleicht Zehntausende. Du verlierst keine Zeit damit, sie alle zu töten. Der Atolk hat dich zuvor aus der Zentrale angefunkt. Dorthin führt dich dein Weg.

Das Schott widersteht dreien deiner Faustschläge, danach reißt der Stahl. Zwei weitere Hiebe, und der Weg ist frei. Der Atolk und seine untergebenen Wissenschaftler haben sich nicht versteckt. Sie wissen, dass man sich vor einer Bestie nicht verstecken kann. Sie haben dich erwartet. Einundzwanzig Wesen aus unterschiedlichen Völkern.

Auf seinen sechs dünnen, zerbrechlichen Beinen trippelt Iroget Legrome dir entgegen. »Willkommen, Masmer Tronkh. Du hast deine Macht und deinen Einfallsreichtum bewiesen. Respekt vor dem großen Krieger.«

Er schmeichelt dir, um zu überleben. Durchschaubar. Und unnötig – denn im Augenblick benötigst du seine Hilfe ohnehin.

Oder die eines seiner Wissenschaftler, wenn Legrome nicht helfen will. Und das ist wahrscheinlich.

Wird sich einer der Wissenschaftler gegen seinen Atolk stellen? Aus Angst: vielleicht. Aus Hass: sicher. Dein Plan steht damit fest.

»Respekt vor dem Atolk von KELFHUUR«, antwortest du laut. Ein dürres Geschöpf am Ende des Raums presst sechs Hände auf die vielen Ohren, die seine Stirn in einem Kranz umringen. »Du bist Wissenschaftler, doch du befiehlst wie ein Krieger. Wie viele hast du heute geopfert?«

Eines von Legromes Beinen zuckt nach außen, sein Mund wird schmal. »Das waren nur Soldaten«, sagt er.

Du musst lachen, laut, aus der Tiefe deines Körpers heraus. Das dürre Wesen hinten bricht zusammen.

»Soldaten sind entbehrlich«, bestätigst du. »Ihr Wissenschaftler seid es nicht. Ich habe Ballad Tronkh dabei.«

»Den Zweiten der Festung ...«, murmelt Legrome. »Noch eine Bestie?«

»Ballad schläft noch im Zuchttank. Ihr werdet ihn erwecken.«

Es ist still im Raum. Sehr still. Es will wohl niemand der Erste sein, der darauf etwas sagt.

Du greifst unter den flachen, runden Körper des Atolk, hebst ihn empor auf deine Augenhöhe. »Ihr werdet ihn erwecken.«

»Wenn der Tank vor der Erweckung bewegt wurde ...«, beginnt der Atolk. Er klingt unsicher, zum ersten Mal. »Er wurde von der Energie getrennt ... Ich weiß nicht, ob ...«

»Für diesen Satz wirst du sterben, Atolk«, informierst du ihn.

»Nein, warte!«, ruft das bleiche Wesen. »Du kannst nicht ...«

»Ich spüre den Furor«, sagst du. »Du wirst sterben. Du oder jemand anders. Und zwar schnell. Wenn die Wut übermächtig wird, sterbt ihr alle.«

»Nimm sie!«, ruft der Atolk und deutet mit vieren seiner Beine auf ein anderes Wesen.

Es hat einen glatten, grünen Körper. Oben sitzen runde Augen unter langen Haarfäden, die auch Tastfühler sein könnten. Lange Arme, tentakelhaft. Vier Beine mit jeweils zwei Gelenken. Du kennst diese Spezies. Schon auf TASCHVAAHL hast du einen der ihren getötet.

Du lässt den Atolk fallen und nimmst das grüne Ding in eine deiner Hände. Es windet sich.

»Willst du leben?«, fragst du.

»Ja!«

Du kannst die Antwort kaum hören.

»Du bist die Expertin für Bestienzucht hier?«

Wieder haucht das Wesen: »Ja.«

»Deshalb wollte der Atolk dich töten lassen«, erkläre ich ihr. »Damit du mir nicht helfen kannst. Doch du wirst mir helfen, oder?«

Eine Pause.

Dann zum dritten Mal: »Ja.«

»Nein!«, ruft der Atolk. Du zertrittst ihn. Seine Beinchen splittern knackend.

Ihr macht euch auf den Weg zum Zuchtlabor. Die anderen Wissenschaftler bleiben zurück. Wer die Zentrale verlässt, stirbt. Das hast du ihnen versprochen.

 

Durch die Tür zum Labor hörst du einen Schrei. Es ist die Stimme einer Bestie.

Du lässt das grüne Wesen auf den Boden. »Warte hier«, sagst du.

»Du musst verstehen«, sagt es. »Die Bestien da drin sind fehlerhaft. Wir haben ...«

»Warte hier.« Du wirst es wahrscheinlich noch brauchen. Und wenn hinter dieser Tür geschieht, was du vermutest, wird dort niemand überleben.

Das Schott fährt beiseite.

Es ist schlimmer, als du vermutet hast.

Vier Bestien – vier! Sie sind angekettet. Angeschmiedet. Fixiert mit einem Metall, das ihren Kräften widersteht.

Wissenschaftler stehen an Pulten und nehmen Messungen vor. Jeder gehört einer anderen Spezies an. Du siehst Wesen mit zwei Köpfen, ohne Kopf, von unerklärlichem Nebel umhüllte Riesen, Zwerge aus Gallert.

Von ihren Arbeitsstationen laufen Kabeltrossen zu den Bestien. Die Kabel sind an der Haut der Gefangenen festgebrannt – im Nacken, zwischen den oberen und unteren Armen, am unteren Rücken und auf der Innenseite ihrer Oberschenkel. Funken schlagen, als Strom durch die Kabel fließt. Eine Bestie brüllt auf.

Die Bestien sind fehlerhaft, hat das grüne Ding gesagt. Deshalb sind sie Material für Experimente. Hier wird erforscht, wie man Bestien bekämpft. Wie man ihnen Schmerzen zufügt.

Du spürst den Furor, stärker als je zuvor.

 

Als sich dein Blick wieder klärt, ist das Labor zerstört. Die meisten Wissenschaftler sind tot. Die Bestien sind frei. Die Starkstromkabel tanzen über den Boden. Blaue Funken schlagen aus ihren Enden.

Drei der Bestien haben die verbleibenden acht Wissenschaftler in eine Ecke getrieben. Die vierte tritt dir gegenüber. Sucht sie den Kampf?

Nein.

Sie beugt ihr Haupt. »Danke, Bruder«, sagt sie mit grollender Stimme.

»Sieh mich an, Bruder«, antwortest du. »Bestien verneigen sich nicht.«

Die Bestie blickt auf.

»Ich bin Masmer Tronkh«, sagst du. »Wie ist dein Name?«

»Wir haben keine Namen«, lautet die Antwort. »Der Avatar hat gesagt, dass wir Abfall sind. Dass wir nicht lange genug leben werden, um Namen zu brauchen.«

Ein Avatar. Hier also auch, wie auf TASCHVAAHL.

Und auch hier irrt sich die Projektion.

»Ihr werdet Namen erhalten. Ihr werdet Namen verdienen«, sagst du. »Wir sind schon fünf. Bald sind wir sechs, wenn Ballad Tronkh erwacht. Wir müssen ihn holen. Kommt mit mir, wenn ihr hier fertig seid.«

Der Namenlose nimmt eines der Stromkabel auf.

 

Du lässt das Experimentallabor hinter dir. Das grüne Wesen sitzt fest in deiner Faust. »Wir werden neue Wissenschaftler brauchen«, sagst du ihm.

Eine Weile noch hörst du die Stimmen derjenigen, die du deinen vier Brüdern überlassen hast. Sie schreien höher und schriller als zuvor die Bestien. Ein Chor der Angst.

Das Konzert dauert nicht lange. Eine Stimme nach der anderen verstummt. Bald ist der letzte Ton verhallt.

Ein Schott fährt auf, du hörst Schritte. Schwere Schritte. Deine Brüder haben ihre Aufgabe erfüllt. Sie folgen dir zu deinem Schiff. Zusammen hebt ihr den Tank mit dem Unfertigen aus seiner Halterung. Auf TASCHVAAHL hast du ihn allein in dein Schiff gebracht. Nun, mit Hilfe, geht es schneller und einfacher. Gemeinsam könnt ihr Unglaubliches erreichen, das spürst du.

Der Harkh schickt dir ein Signal, als du das Schiff verlassen willst. Er hat etwas wahrgenommen.

Die Schwarmverbindung regt sich. Ein weiteres Bestienschiff ist in der Nähe, ein aktives Schiff. Der nächste Bruder, der zu euch stößt? Sieben Bestien ... Ein guter Anfang.

Du schickst den Anführer der Namenlosen zu einem der Schiffe, die auf KELFHUUR warten. Er soll euren Bruder begrüßen.

Du selbst folgst Ballad Tronkh. Das grüne Wesen in deiner Hand wird ihn zum Leben erwecken.

Oder es stirbt.

Vielleicht auch beides.

1.

Heureka!

Perry Rhodan

 

Perry Rhodan lag auf seiner Pritsche in der Zelle. Das Atmen fiel ihm schwer. Die Maahks hatten ihn und seine drei Gefährten zwar in einen Zellentrakt mit Sauerstoffatmosphäre gebracht. Doch es war kalt, weiter unter null. Die Luft schmerzte in den Lungen.

Schlimmer war jedoch, dass die Schwerkraft wie auf vielen Maahkwelten bei drei Gravos lag. Ihre MAKOTOS, die Tarnanzüge in Maahkgestalt, hatte man ihnen abgenommen. Damit hatten sie zugleich ihre Kraftverstärker und die Schwerkraftregulierung verloren. Rhodan wog nun das Dreifache seines Normalgewichts. Jeder Muskel musste die dreifache Arbeit leisten. Nach zwölf Stunden unter diesen Bedingungen wurde bereits das Atmen anstrengend.

Er drehte mühsam den Kopf Richtung Zellentür. Das fahlgelbe Licht ließ Tuire Sitareh und Tim Schablonski krank aussehen. Den beiden zuzusehen, lenkte ihn immerhin von der THORAGESH ab.

Die Tür und die Wand, an der sie arbeiteten, bestanden aus den maahktypischen anthrazitfarbenen Keramikkacheln. Tuire und Schablonski war es gelungen, eine davon aus der Wand zu lösen. Dahinter verliefen in Keramik eingefasste Leitungen, von denen die vier Gefangenen annahmen, dass sie das Türschloss steuerten.

Zunächst hatten sie mit bloßen Händen versucht, die Isolation zu zerstören. Cel Rainbow war es gewesen, der stattdessen die abgelöste Deckkachel zerschlagen hatte. Mit den größten Splittern hatten sie mehrere Stunden auf die Leitungen eingeschlagen. Insbesondere Schablonski hatte sich durch verbissene Arbeit hervorgetan. Er ertrug es nicht, eingesperrt zu sein. Außerdem hielt die Anstrengung warm.

Am Ende waren ihre Hände blutig, doch die Metallkabel lagen frei. Nun galt es, daraus etwas zu machen.

Das war allerdings nicht so einfach. »Verdammter Dreck!«, fluchte Schablonski. Irgendetwas, das er ausprobiert hatte, war schiefgegangen. Seine Nerven lagen offensichtlich ebenso blank wie die Drähte.

Dennoch vertraute Rhodan den beiden Technikgenies im Team. Tim Schablonski war ein begnadeter Bastler. Der kleine, blonde Sergeant hatte behauptet, er könne aus Bindfaden, Pflaster und Alufolie einen Überlichtantrieb bauen, und mittlerweile war Rhodan geneigt, ihm zu glauben.

»Darf ich mein Glück versuchen?«, fragte Tuire.

Schablonski trat zur Seite, zog die Knie an und umschlang sie mit den Armen. In dieser gehockten Haltung kühlte er nicht so schnell wieder aus.

Tuire Sitareh trat an seine Stelle. Konnte der geheimnisvolle Mann helfen? Sein intuitives Verständnis für fremde Technik und Denkweisen war geradezu unheimlich. Als sie ihn beim Jupiter aus dem Wrack eines Maahkschiffs geborgen hatten, hatte er sein Gedächtnis verloren gehabt. Dennoch hatte er sich binnen Minuten auf Englisch verständigen können. Ebenso schnell hatte er begriffen, wie die Konsolen in der Maahkzentrale funktionierten. Wenn er nun noch irgendwann seine Erinnerung wiederfände, wäre er ein unglaublich wertvoller Verbündeter. Bislang wusste Tuire jedoch nur, dass er ein Aulore war – aber nicht, was das bedeutete. Und dass er auf einer Mission war. Leider hatte er keine Ahnung, auf welcher.

Ein Rätsel in einem Geheimnis, gehüllt in ein Mysterium. Wer hatte das einmal gesagt? Winston Churchill? Hatte der alte Brite einen Auloren gekannt?

Gerade ließ sich auch das Mysterium zu einem Fluch hinreißen. Tuire hatte mit bloßen Fingern eine Strom führende Leitung berührt.

»Nur die Ruhe«, sagte Schablonski. »Nicht nervös werden. Wir schaffen es.«

Rhodan blickte hinüber zu Rainbow. Der Oberleutnant saß im Schneidersitz auf seiner Pritsche. Beide Hände lagen in seinem Schoß, die offenen Handflächen nach oben. Die Schnitte von den Kachelsplittern waren gut zu sehen. Er hielt die Augen geschlossen und atmete ruhig. In dieser Pose verharrte er, seit seine und Rhodans Schicht zu Ende gegangen war. Irgendeine seltsame indianische Meditationstechnik? Sie schien ihren Zweck zu erfüllen. Der Lakota steckte die Hochschwerkraft besser weg als Rhodan selbst.

Das Hämmern begann erneut. Schablonski schlug mit einem Keramikrest auf eine fünf Millimeter starke Leitung ein. Zu Beginn hatte Rhodan befürchtet, damit ihre Wächter auf den Plan zu rufen. Andererseits: Wenn Maahks die Tür öffneten, hätte sich ihre Situation erst einmal ein wenig verbessert. Zumindest gab es dann einen Weg nach draußen. Alles Weitere würde man sehen. Doch bislang hatte keiner der Wasserstoffatmer einen Raumanzug übergeworfen und sich in den sauerstoffgefüllten Zellentrakt begeben.

»Wo stehen wir?«, fragte Rhodan über die Schläge hinweg. Normalerweise hätte er die Arbeit selbst in Augenschein genommen, doch er wollte mit seinen Kräften haushalten. Solange sich nichts Wesentliches tat und er sich nicht aufwärmen musste, würde er liegen bleiben.

»Das Türschloss ist Lowtech. Ein Elektromotor bewegt die Riegel«, antwortete Tuire. »Sie öffnen sich, wenn er einen Steuerimpuls erhält. Dafür muss man eigentlich draußen einen Kode eingeben.« Er stand auf und lockerte die Schultern. »Wir haben jetzt eine Stelle entdeckt, an der man zwischen Eingabefeld und Schloss eine Überbrückung legen kann. Glauben wir zumindest. Den Strom können wir von den Leitungen holen, die zu den Lampen führen.«

»Sie wollen die Tür kurzschließen?« Die Vorstellung amüsierte Rhodan. »Wie einen alten Pick-up-Truck?«

»Was ist ein Pick-up-Truck?«, fragte der Aulore zurück. Seine rote Mähne hing tief in Stirn und Wangen. Er hatte bei der Arbeit geschwitzt. Nun glänzten Eiskristalle in seinem Haar.

»Vergessen Sie es«, sagte Rhodan. »Jugendsünden. Etwas anderes: Ich kann mir nur schlecht vorstellen, dass es überhaupt keine Sicherheitsvorkehrungen gibt.«

»Wir haben nichts in der Art entdeckt«, antwortete Schablonski erschöpft. Er lehnte sich gegen die Zellentür und ließ sich daran hinab in die Hocke sinken. »Draußen kann es natürlich eine Computer- oder Videoüberwachung geben. Das kriegt man hier drinnen nicht mit. Aber wenn dieses Risiko uns stört, können wir sowieso in der Zelle versauern.«

Anfangs hatte Rhodan durchaus überlegt, einfach zu bleiben, bis etwas geschah. Was sollte es schon bringen, die Zellentür zu öffnen? Sie stünden auf dem Flur, ohne Raumanzüge, und hinter jeder Tür Richtung Freiheit wogte das für Menschen nicht atembare Wasserstoff-Ammoniak-Gemisch des Maahkplaneten. Und sie hätten ihre Kerkermeister verärgert. Kein kluger Zug, wenn diese sie danach wieder in die Finger bekamen.

Aber sein Team brauchte Beschäftigung, und ihn trieb der Gedanke an die THORAGESH in den Wahnsinn. Also suchten sie nach einem Fluchtweg. Außerdem hatte sich nach Stunden weiterhin nichts getan. Weder die Maahks noch der geheimnisvolle Unbekannte, der ihnen Befehle gab, ließen sich sehen. Dieser sogenannte Maghan'athor, mutmaßlich ein Arkonide, hatte anscheinend Wichtigeres zu tun, als Spionen auf den Zahn zu fühlen.

Seit Rhodans Einsatzgruppe bei ihrer Mission aufgeflogen war, waren sie von allen Informationen abgeschnitten. Dabei hatte Rhodan höchstes Interesse an dem, was gerade um sie herum im Refeksystem geschah. Allerhöchstes Interesse sogar, seit sie von dem Schiff des Maghan'athor erfahren hatten, der THORAGESH. Thoras Hinrichtung. Oder: Rache an Thora, je nach Lesart. Dort draußen flog ein arkonidischer Kugelraumer herum, dessen Name eine Morddrohung an Rhodans Frau war.

Den Teufel würde er tun und hier geduldig in der Zelle warten.

Er bemerkte, dass Rainbow die Augen geöffnet hatte. Der Oberleutnant sah ihn direkt an. »Sie denken an das Schiff, nicht wahr?«

Rhodan nickte. Der Mann kannte ihn noch nicht lange, und der Anfang ihres gemeinsamen Weges war eher holprig gewesen: Rainbow hatte mit eigenmächtigen Handlungen eine Mission gefährdet, Rhodan hatte ihn degradiert. Doch seitdem hatten sie einiges zusammen erlebt. Immer häufiger hatte Rhodan das Gefühl, dass dieser Mann ihn besser verstand als viele andere Weggefährten.

Konnte er mit ihm über seine Sorgen sprechen?

»Heureka!«, rief Tuire.

Rhodan fragte sich, wo der Aulore wohl diese Vokabel aufgeschnappt hatte. Aber das war egal. Wichtig war, dass er nun ein Strom führendes Kabel in der Hand hielt.

Cel Rainbow stand auf, Rhodan tat es ihm gleich. Sie gingen zur Tür. Der Indianer bewegte sich eleganter. Er kam wirklich besser mit der hohen Schwerkraft und der Kälte zurecht.

»Was passiert jetzt?«, erkundigte sich Rhodan.

»Wenn wir keinen Mist gebaut haben, öffnet sich das Schott und wir können rausspazieren«, antwortete Schablonski. Vor seinem Mund bildeten sich kleine, weiße Wölkchen.

»Und wenn doch?«, fragte Rainbow.

Der Mann war sich für kein Risiko zu schade, hatte Rhodan festgestellt, doch er wollte immer gerne vorab wissen, woran er war. Eine vernünftige Einstellung, wenn man regelmäßig in lebensgefährliche Einsätze ging.

»Alles Mögliche«, erwiderte Tuire Sitareh. »Kurzschluss, Stromausfall, Alarm, Explosionen, kampfbereite Maahks. Wir wissen zu wenig über die Technik und die Besatzung dieses Komplexes.« Er schenkte Rainbow ein strahlendes Lächeln. »Und um mehr zu erfahren, müssen wir auf die andere Seite dieser Zellentür.«

Rhodan lachte leise. Tuire hatte es geschafft, die Gefahren realistisch darzustellen und dennoch die Spannung aus der Situation zu nehmen. Das kannte er eigentlich nur von erfahrenen Raumschiffskommandanten. Ob der Aulore früher ein eigenes Schiff geführt hatte?

»Möchten Sie, Sir?« Schablonski hatte Tuire das Kabel abgenommen und bot es Rhodan an.

»Danke, Mister Schablonski«, antwortete er, »aber Sie haben die Ehre. Sie haben am härtesten dafür gearbeitet.«

Schablonski fasste das Kabelende kurz hinter der Spitze und führte es vorsichtig zwischen drei anderen Leitungen hindurch. Entschlossen drückte er das blanke Ende gegen einen freigelegten Draht.

Funken sprühten und blendeten Rhodan. Es stank nach Ozon. Die gelben Lichtquellen über ihnen erloschen mit einem Knall.

Das Schott fuhr auf.

»Gute Arbeit, Schablonski!«, rief Rhodan. Er wartete kurz, dann warf er einen großen Kachelrest nach draußen. Nichts geschah. Offenbar gab es weder Maahkwärter noch Selbstschussanlagen oder Kampfroboter, die bei jeder Bewegung feuerten.

Er trat vorsichtig hinaus. Die Lampen über ihm flackerten. Offensichtlich hatten sie einen größeren Stromkreis destabilisiert.