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Band 104

 

Im Reich des Wasserstoffs

 

von Rainer Schorm

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet.

2049 tauchen beim Jupiter mehrere Walzenraumer auf und eröffnen ohne Vorwarnung das Feuer. Mit der CREST, dem mächtigsten Raumschiff der Menschheit, setzt sich Perry Rhodan auf die Spur der Angreifer.

Rhodans Begegnung mit den Maahks im Taktissystem hat neue Erkenntnisse über den Methankrieg vor 10.000 Jahren erbracht. Bei einem Geheimeinsatz stoßen der Mausbiber Gucky und der Haluter Teik auf eine »Bestie«. Sie setzen dem Unheimlichen nach und stürzen sich in einen Transmitterschlund.

Während sie von einer übermächtigen Flotte bedroht wird, versucht die CREST, Gucky und Teik ins Unbekannte zu folgen ...

 

Vorspiel

Ins Nichts ...

 

Rötliches Licht sickerte durch die Wände. Gucky glaubte, es körperlich zu fühlen. Es war ein Zerren, so existenziell, dass es den Organismus in Panik versetzte. Jede Nerven-, jede Muskelfaser transportierte nur eine Botschaft: Flucht.

Diese Irritation, die er spürte, unterschied sich drastisch von den Transmittertransporten, die er bisher erlebt hatte. Sie war sehr viel beunruhigender. Es war kein bloßer Schmerz, der da in ihm emporwuchs und sich verästelte; es war eine Empfindung, die sogar das kleinste Neuron erreichte. Etwas unglaublich Beängstigendes: das Gefühl, sich aufzulösen. Als wollten sämtliche Atome seines Körpers ihren Platz verlassen.

Zerfetzt vom Licht. Auf einer Ebene, die so tief liegt, dass nichts, aber auch gar nichts, von mir übrig bleiben wird!

Sein Pelz sträubte sich, eine Berührung verwandelte jedes einzelne Haar in puren Schmerz. Dabei stand der eigentliche Transport erst bevor. Der Bündler, der riesige Transmitter, hatte bislang lediglich das Abtastfeld aufgebaut. Die Zeit dehnte sich auf eine Weise, die Gucky nie zuvor erlebt hatte.

Mühsam drehte der Ilt den Kopf, bis er Fancan Teik sehen konnte. Der Haluter bewegte sich nicht, ragte wie ein Fels vor den Kontrollen auf. Riesengroß, schwarz und massiv, war er der Inbegriff der Unverwundbarkeit. Mit gerade einmal einem Meter Größe war Gucky im Vergleich zu Teiks dreieinhalb Metern ein Zwerg, und genau so fühlte er sich in diesem Moment: klein und hilflos.

Die projizierten Datenmengen, Grafiken, Bildübertragungen und Eingabefelder waren absurd farblos. Gleiches galt für die gesamte Kommandokuppel und die Steuersäule. Als habe jemand die Realität in ein starkes Bleichmittel getaucht, das alle Farbtöne in ödes Grau verwandelte.

Beinahe... Bis auf das Rot. Überall dieses vermaledeite Rot. Das macht mich wahnsinnig!

»Fancan!«, krächzte Gucky. Der schwarzhäutige Riese reagierte nicht.

Er hat seine Struktur verändert, schoss es dem Mausbiber durch den Kopf. Entweder er weiß, was auf uns zukommt, oder er ahnt es zumindest. Er geht auf Nummer sicher ... schöne Aussichten.

Der Bündler hatte ihr 110 Meter durchmessendes Schiff durch das Abtastfeld geschleust und beschleunigt. Nun katapultierte er es wie ein Geschoss in das Transportfeld. Die Energie eines Sterns wurde genutzt, um aus einem materiellen Gegenstand mit all seiner Komplexität ein nichtmaterielles Gebilde zu formen und es über eine gewaltige Entfernung abzustrahlen.

Das Rot wurde leuchtender, giftiger, bis es das Letzte war, was Guckys Wahrnehmung erreichte. Pein verzerrte sein Gesicht. Die Panik nahm überhand. Er kannte den üblichen Transitionsschmerz. Man lernte, ihn zu ertragen. Was jedoch hier auf ihn wartete, würde von anderer Dimension sein. Dafür sprach das widerwärtige Gefühl, das ihn nun vollständig im Griff hatte.

Ausgerechnet ein Ilt mit multiplen Paragaben ist an Bord. Ein Fünf-D-Sensibelchen. Sieht nach einem Problem aus ...

Es war Guckys letzter Gedanke. Dann war da nichts mehr.

Gar nichts.

1.

Bremsweg

 

Die CREST raste auf den Bündler zu.

Ein Schauer rötlichen Lichts färbte die Umgebung der monströsen Maschine. Der Weltraum war nicht leer, ganz besonders nicht in der Nähe des Weißen Zwergs. Sonnenwinde, aus der Korona geschleudertes Plasma und Teilchen aller Art boten genügend Reflexionsfläche.

Perry Rhodan kniff die Augen zusammen, während er das rote Flackern beobachtete. Dass rotes Licht für einen Menschen Gefahr signalisierte, empfand er als stimmigen Zufall. Die unerklärlichen Licht- und Strahlungseffekte, die sich lange nach dem Transport der beiden kleinen Schiffe unvermindert zeigten, beunruhigten ihn.

Rhodan stand reglos vor der holografischen Wiedergabe des gewaltigen Transmitters. Die Leuchterscheinungen umspielten Perry, dessen weinrote Bordkombination wie in frisches Blut getaucht wirkte. Dasselbe galt für sein dunkelblondes Haar, wie er in einer Monitorspiegelung sah. Es war ein unheimliches Bild, dessen war er sich bewusst.

Diese Expedition nahm einen ganz und gar unerwünschten Verlauf. Er hatte das Gefühl, sich auf extrem dünnem Eis zu bewegen. Die Abstrahlung der beiden kleinen Kugelraumschiffe, eines davon geflogen von Fancan Teik, dem Haluter, und Gucky, dem Ilt, hatte niemand verhindern können. Dieses Außenteam, dessen ursprüngliche Aufgabe die Erforschung der Festung TASCHVAAHL gewesen war, hatte ein flüchtendes Schiff verfolgt. TASCHVAAHL war kurze Zeit darauf explodiert.

Rhodan kniff die Augen zusammen und versuchte, sich die Größe des Riesentransmitters bewusst zu machen, dem sie sich näherten. Die Dimensionen des Bündlers reduzierten sogar die beeindruckende CREST mit ihrem Poldurchmesser von 1000 Metern zu einem Spielzeug.

Das Ultraschlachtschiff befand sich im Alarmzustand. Rhodan fühlte die Anspannung der Zentralebesatzung ringsum. Der gewaltige Trichter vor ihnen war bereits in seiner bloßen Massigkeit eine Drohung. Rotes, fleckiges Leuchten waberte und reckte sich aus dem Schlund tief in den freien Raum.

Rhodan durchmaß das weite Rund der Zentrale mit schnellen Schritten; im Falle der CREST stattliche 48 Meter. Bei seinem Sessel angelangt, blickte er zu Kommandant Conrad Deringhouse hinüber, der sich angeregt mit dem Zweiten Offizier Gabrielle Montoya unterhielt. Die schlanke, muskulöse Frau mit den weißblonden Stoppelhaaren zeigte eine leichte Unruhe. Der hagere Admiralleutnant wandte sich um und hob den rechten Arm. Rhodan nickte dem alten Weggefährten zu.

Deringhouse hatte die letzte Übertragung von Teiks und Guckys Schiff durch die Hauptpositronik überprüfen lassen. Offenbar war der in der Botschaft enthaltene Kode, der einen Transport durch den Riesentransmitter überhaupt erst möglich machte, komplett und unbeschädigt. Die CREST besaß damit einen gültigen Ausweis.

Der ansonsten nur teilweise verständliche Funkspruch hatte einige weitere Fakten übermittelt, wenn auch größtenteils ohne den zum Verständnis nötigen Kontext. Von einer »Bestie« war die Rede gewesen, und TASCHVAAHL war als »Zuchtstation« bezeichnet worden. Die energetischen Ausbrüche des Transmittersprungs hatten den Rest der Information zu sehr beschädigt. Der Begriff Bestie bezog sich auf den Piloten des fliehenden Schiffs, und dieser war wohl für die Beschädigung und letztlich für die Zerstörung der Station verantwortlich.

Weit hinter der CREST stand der Maahkplanet Scortoohk und wurde immer kleiner. Die verbliebenen Einheiten der einheimischen Flotte formten einen ungeordneten Haufen; Sinnbild für das dort herrschende Chaos. Nach der Vernichtung so vieler ihrer Schiffe waren die Wasserstoffatmer wie gelähmt. Die Verluste durch die Gegenwehr der CREST und den Beschuss durch den Bündler hatten die Scortoohks überrascht. Ein Xenopsychologe hatte die Vermutung geäußert, der Schock könne sogar den Permazorn überlagert haben.

Rhodan hob den Kopf. Er hatte sich entschieden. Die CREST würde den beiden Kugelschiffen folgen. Die Lösung der Probleme lag nicht im System der Sonne Taktis.

»Ein bemerkenswertes Phänomen!«

Perry Rhodan drehte sich um und sah sich mit Professor Ephraim Oxley konfrontiert. Der korpulente Physiker hatte es in der wissenschaftlichen Abteilung wohl nicht mehr ausgehalten. Kurzatmig und aufgeregt verfolgte er den Anflug der CREST wie alle anderen. Nachdenklich stopfte er ein Croissant in den Mund und begann, intensiv zu kauen. Dabei nahm er die Augen keine Sekunde lang vom Panoramaholo der Zentrale, wo der Bündler im Orbit des Weißen Zwergsterns seine Bahn zog. Oxleys imposanter Schnurrbart zuckte.

»Wofür halten Sie das, Mister Rhodan?« Oxley hob den Arm und deutete auf die schwach leuchtenden Bahnen roten Lichts, in denen es in einem verstörenden Rhythmus blitzartig aufgleißte.

Perry Rhodan lächelte verhalten. Oxleys Frage war rein rhetorisch – die Antwort würde der 5-D-Spezialist selbst liefern ... wenn man ihn nicht unterbrach. Also schwieg Rhodan. Er bemerkte, dass sich Tuire Sitareh näherte. Auch der Aulore starrte auf das Bild des Riesentransmitters. Er runzelte die Stirn, und es hatte den Anschein, der dort eintätowierte Rabe schlage mit den Flügeln.

Rhodan beobachtete den hochgewachsenen Mann mit den langen Haaren, die wie dunkles Kupfer glänzten. Er versucht, sich an irgendetwas zu erinnern. Und er schafft es wieder einmal nicht. Er ist in vielerlei Hinsicht ein Rätsel.

Der Professor schluckte währenddessen die letzten Reste des Croissants und schickte seine rechte Hand auf Entdeckungsreise in eine altmodische Umhängetasche. Als er dort nichts Essbares mehr fand, machte sich Enttäuschung in seinem Gesicht breit. Gleich darauf zog das Panoramabild wieder seine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Oxley schmatzte begeistert. »Das sind Restfelder des Transportvorgangs.« Er tippte einige Zahlen in sein Pad ein. »Das fünfdimensionale Feld löst sich nicht spontan auf, sondern zerfällt in Kaskaden. Die Grundstruktur bleibt jedoch erhalten: eine stabile Matrix. Was wir hier sehen, ist eine Art Nachbild.«

»Sind Sie sicher, Professor?«, erkundigte sich Rhodan und musterte das rötliche Flackern, das jene Stelle markierte, an der das kleine Kugelraumschiff mit Gucky und Fancan Teik an Bord entmaterialisiert war. Dort war es intensiver.

Der Professor warf Rhodan einen entgeisterten Blick zu. »Selbstverständlich bin ich sicher. Sehen Sie denn nicht die Kongruenz im Bereich der Schwingungsebenen? Das ist keine willkürliche Korrelation. Wieso glaubt mir eigentlich keiner, wenn ich auf solche Offensichtlichkeiten hinweise?«

Rhodan lachte leise. »Ich vermute, das liegt daran, dass Ihnen die meisten nicht folgen können, Professor. Seien Sie nachsichtig mit uns Minderbemittelten. Keiner von uns hat Ihre Fähigkeiten.«

Tuire Sitareh senkte nachdenklich den Kopf. Die Tatsache, dass er Oxley nicht widersprach, machte dessen Aussage wahrscheinlicher. Der Aulore besaß eine unglaubliche technische Intuition; das hatte er bereits mehrfach bewiesen.

»Blödsinn«, brummte Professor Oxley. Seine Linke öffnete einen Knopf der altmodischen Strickjacke, die er über die sandfarbene Bordkombination der wissenschaftlichen Abteilung gestreift hatte. »Dazu braucht man keine großartigen Fähigkeiten; nur ein bisschen mathematische Begabung, physikalisches Grundwissen und gesunde Beobachtungsgabe. Sie erinnern sich an das, was ich über den Halbraum sagte? Die Schwundmenge ist wahrscheinlich unbegrenzt – es geht lediglich um die Abflussgeschwindigkeit. Die Energien, die dort drüben zum Einsatz kamen, waren so gewaltig, dass der Halbraum sie in Etappen verdaut. Deshalb sehen wir diese Matrix.«

Rhodan hatte nicht vor, mit dem eigenwilligen 5-D-Spezialisten die Kompetenz seiner Mitmenschen zu diskutieren. »Sie glauben also, der Bündler ist nach wie vor aktiv. Habe ich das richtig verstanden?«

»Aber sicher ist er das.« Oxley studierte die Anzeigen, er wischte sich einige Schweißtropfen von der beeindruckenden Glatze. »Die Restfelder bestätigen meine Vermutung. Sie bilden eine Art Abdruck des fünfdimensionalen Erfassungsgitters im Eintrittsbereich des Transportkanals. Eine Art Ruhemodus oder Stand-by, wenn Sie so wollen. Damit spart man sich die aufwendige Neuetablierung, wenn ein weiterer Transport ansteht. Ich glaube nicht, dass wir auf irgendetwas warten müssen. Die Abstrahlung des Kodes wird ausreichen, und der Durchgang erfolgt ohne weitere Zwischenschritte. Ich nehme an, diese Maschine hat eine beeindruckende Transportfrequenz. Sollte mich wundern, wenn das nicht so wäre.«

»Ja, mich ebenfalls.« Captain Schimon Eschkol, der leitende Ortungsoffizier, schob einige Bildelemente zur Seite. Er ignorierte das unwillige Knurren des Professors und deutete auf eine sich aufbauende Grafik. Rote Linien bildeten ein eng strukturiertes Netz, das den gesamten Bündler umfasste. »Energie wird in beeindruckendem Maße bereitgestellt, aber nicht vor Ort erzeugt.«

Das riesige, 18 Kilometer lange und im Bereich der Trichteröffnung 23 Kilometer durchmessende Gebilde machte einen düsteren Eindruck. Seine schwarzblaue Färbung bekam durch die rötlichen Emanationen der fünfdimensionalen Strukturfelder etwas unangenehm Morbides. Die Vorstellung, in dieses gähnende Maul hineinzufliegen, gefiel Rhodan immer weniger. Einzig die Tatsache, dass der Haluter und Gucky dem Flüchtenden gefolgt waren, war Grund genug, es dennoch zu versuchen. Ohne die Notwendigkeit, den beiden Freunden zu helfen, wäre Perry kaum bereit gewesen, dieses Risiko einzugehen.

Im Hintergrund der Zentrale öffnete sich ein Expresslift. Fünf Personen betraten das halbkugelförmige Nervenzentrum der CREST: Wuriu Sengu, Josue Moncadas, John Marshall und eine zierliche, asiatisch aussehende Frau, die enorm schüchtern wirkte. Rhodan hatte beinahe den Eindruck, dass sie sich hinter Marshall versteckte. Josue Moncadas, der Interruptor, der Energieflüsse manipulieren konnte, trug eine weite, weiße Hose und ein stark tailliertes, ebenfalls weißes Jackett. Er bewegte sich gemächlich. Wuriu Sengus kompakte Gestalt war dazu das perfekte Kontrastprogramm. John Marshall, der Parallelwanderer, blickte herüber und gab Rhodan ein aufmunterndes Zeichen. Was immer auf die CREST und ihre Besatzung zukam, die Mutanten waren bereit.

Die fünfte Person war Dr. Volker Manz, der Chefarzt des Schiffs. Der drahtige Mediziner mit den auffälligen O-Beinen zog sich mit seinen Schützlingen in einen ruhigeren Bereich der Zentrale zurück. Eine u-förmige, gepolsterte Bank bildete dort eine merkwürdige Insel im ansonsten emsigen Betrieb. »Mutantenlounge« nannte man die kleine Enklave. Dr. Manz würde die Parabegabten beobachten und sofort einschreiten, wenn die Notwendigkeit dazu bestand.

Die Positronik signalisierte die kritische Annäherung durch einen sich wiederholenden Pfeifton, eine Sekunde später kam die Durchsage: »Verschlusszustand. Einsatzpositionen einnehmen. Verschlusszustand. In wenigen Minuten erfolgt Anflug auf die Zielkoordinaten.«

Die CREST erreichte den Perimeterbereich, in dem das flüchtende Schiff und sein Verfolger mit der Übermittlung des Kennkodes begonnen hatten. Ohne ein Wort zu sagen, gesellte sich Tuire Sitareh zu den Mutanten, obwohl man ihm eine Sitzgelegenheit neben Rhodans Platz zur Verfügung gestellt hatte. Der Aulore machte einen unruhigen Eindruck. Mehrmals schien er mit sich selbst zu reden.

Rhodan zog mit einer Handgeste ein mobiles Akustikfeld zu sich heran. »Countdown. Klarmeldung von allen Stationen. Alle nicht benötigten Reaktoren auf Notbereitschaft. Egal was passiert; egal was diese monströse Maschine tut: Ich will genug Energie für jede notwendige Reaktion haben. Ausführung!« Er winkte Deringhouse zu sich.

Der hochgewachsene, schlaksige Mann war energiegeladen wie früher, wenngleich längst nicht mehr jugendlich. In das zurückweichende, braune Haar hatten sich erste graue Strähnen eingeschlichen. Der kurz gehaltene Bart war scheckig. Obwohl Admiralleutnant Deringhouse der offizielle Kommandant der CREST war, akzeptierte er, dass Rhodan die Leitung übernahm. Kompetenzgerangel gab es nicht; das lag unter anderem daran, dass Rhodan sich selten direkt in die Schiffsführung einmischte. In dieser Phase hielt der Protektor es jedoch für wichtig, Stärke und Präsenz zu zeigen.

Tief im stählernen Leib der CREST entstand ein dumpfes Rumoren. Alle vorhandenen Fusionsreaktoren fuhren hoch. Sie speisten die Energiespeicher, füllten diese bis an die Grenze ihrer Kapazität. Danach ging etwa die Hälfte der 90 dezentral im Schiff verteilten Meiler in den Bereitschaftsmodus. Ein kurzes Signal würde ihre Leistung erneut auf Maximum bringen. Die CREST vibrierte; eine gewaltige Ballung aus Stahl und Energie, die sich etwas näherte, das sehr viel größer und mächtiger war als sie selbst.

»Glaubst du, dass die Mutanten Schwierigkeiten haben werden, Perry?«, erkundigte sich Deringhouse leise. Er kratzte sich an der alten Narbe, die sich an seinem Hals nach oben zog.

»Wir wissen nichts über diese Technik«, sagte Rhodan nachdenklich. »Wenn alles reibungslos abläuft, werden sie uns eine große Hilfe sein. Falls nicht ... Ich möchte keinesfalls, dass die Mutanten nach dem Sprung hilflos in ihren Quartieren liegen. Hier vor Ort kann Dr. Manz ihnen schnell helfen ... und zwar allen. Wir haben, was die Beseitigung von Sprungschäden bei Parabegabten angeht, einiges gelernt. Die Injektion, die er ihnen prophylaktisch verabreicht, wird das Nervensystem so weit stabilisieren, wie uns das möglich ist. Und für den Fall, dass wir ihre Fähigkeiten benötigen, will ich sie gleich hier haben und nicht weit weg in der Krankenstation.«

»Du denkst, dass der Durchgang einer Transition ähnelt?«, fragte Deringhouse.

»Woher soll ich das wissen, Conrad?«, erwiderte Rhodan amüsiert. »Ich habe, was das angeht, genauso wenig Ahnung wie du. Das macht es ja so spannend.«

»Du bist in deinem Herzen noch immer Testpilot«, stellte Deringhouse fest. »In solchen Situationen beneide ich dich um dein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Perry.«

Die CREST startete die letzte Phase des Anflugs. Schlagartig legte sich die bis dahin spürbare, unterschwellige Unruhe. Die Abläufe und Routinen waren vielfach geprobt. Trotzdem starrte jeder, der nicht zu sehr in seine Funktion eingebunden war, auf die bildliche Darstellung, die den Bündler zeigte. Der mächtige, schwarzblaue Trichter schien zu wachsen. Nach wie vor flackerte der Weltraum in den bizarren, rötlichen Kaskaden, die Professor Oxley mit dem Ruhemodus des Riesentransmitters in Verbindung brachte.

»Kodesequenz läuft«, gab die Hauptpositronik bekannt.

»Weitermachen. Direkter Anflug!«, befahl Rhodan.

Er registrierte, wie das Räderwerk des Zentralebetriebs für ein Gefühl der Sicherheit sorgte. Die Menschen vertrauten darauf, dass dieses gewaltige Schiff sie schützen würde. Ein Gefühl, das Rhodan trotz Deringhouse' Einschätzung nicht teilte. Das leise Brummen der Maschinerie verstärkte sich, und ein sanftes Vibrieren gesellte sich dazu.

»Waffen nicht aktivieren!«, ordnete Deringhouse an. »Wir wollen niemandem in diesem Riesenkasten provozieren.«

»Fünf-D-Aktivität angemessen. Exponentiell ansteigend.« Die Positronik klang so unbeteiligt wie immer.

Die CREST schoss nun direkt auf die Einflugmündung des Bündlers zu. Rhodan fühlte sich an den Schlund eines ungeheuren Raubtiers erinnert. »Wann erreichen wir das Abtastfeld, Captain Eschkol?«, fragte er.

Der Israeli mit den pechschwarzen Haaren zögerte.

»Was ist?«, erkundigte sich Deringhouse alarmiert.

Eschkol war sichtlich irritiert. »Ich messe kein Abtastfeld an. Im Transferbereich des Bündlers ist keine energetische Aktivität nachweisbar. Nur der Gesamtenergieverbrauch geht durch die Decke.«

»Läuft die Kodesequenz?«

»Ununterbrochen!«, kam die Antwort des Funkleitoffiziers.

»Und?«, hakte Deringhouse nach.

»Keine Reaktion bisher.« Eschkols Stimme klang heiser. »Wenn der Bündler irgendwelche Vorbereitungen für einen Transport trifft, bekommen wir davon nichts mit.«

Die Entfernung zwischen dem voranrasenden Ultraschlachtschiff und dem Riesentransmitter schmolz. In ein paar Sekunden würde die CREST die Abtastzone erreicht haben. Eine Abtastzone, die nach wie vor keinerlei Zeichen von Aktivität zeigte.

Rhodan sprang auf. »Abbruch. Sofort!« Seine Stimme war hart. »Ausweichmanöver einleiten!«

Ein lauter Warnruf war zu hören. Tuire Sitareh war von der Bank der Mutantenlounge emporgeschnellt und deutete aufgeregt auf den Bündler. Die Hauptpositronik der CREST reagierte sofort und schneller als jeder Mensch. Die Triebwerke brüllten auf und rissen das Schiff aus seiner bisherigen Bahn. Der plötzliche Kurswechsel belastete die Andruckabsorber bis an ihre Grenzen. Ein leises, metallisches Knirschen verriet die Kräfte, die der Rumpf des Schiffs trotz der Kompensation auszuhalten hatte. Alarmsirenen heulten. Warnlichter blinkten auf beinahe jeder Konsole und in jeder holografischen Darstellung. Ein halbes Gravo brach durch und brachte einige Offiziere ins Wanken. Sicherheits- und Fesselfelder verhinderten Schlimmeres.

»Was ist ...?« Gabrielle Montoyas Stimme war schrill und durch das Heulen der überlasteten Reaktorperipherien nur schwer zu verstehen.

Gerade als die CREST einen Kursvektor erreichte, der sie aus der Nähe des Bündlers katapultierte, flammte der Weltraum rings um die gewaltige Konstruktion auf. Bläulichweißes Licht bildete ein Netz aus sich verbreiternden Fäden, formte eine Blase, auf deren Oberfläche es wetterleuchtete. Nicht weit hinter dem Schiff zuckten mörderische Energien durch den Weltraum und isolierten den Riesentransmitter.

Perry Rhodan holte tief Luft. Er wurde als »Sofortumschalter« bezeichnet. Dies hier war ein weiterer Beweis dafür, dass er diesen Ruf zu Recht trug.

Deringhouse starrte Rhodan an wie eine Erscheinung. »Was ... Wieso?«, ächzte er ungläubig. Rhodans Befehl war vor der Reaktion der Positronik erfolgt. Die dreidimensionale Übersicht zeigte, dass die CREST das Gebiet, in dem der Schutzschirm flammte, gerade rechtzeitig verlassen hatte. Das Schiff war außer Gefahr.

»Der Kode war vollständig und korrekt«, konstatierte Deringhouse. »Aber das verdammte Ding hat trotzdem einen Schutzschirm aufgebaut. Woher hast du das gewusst?«

»Ich wusste es nicht«, sagte Rhodan mit schmalem Lächeln. Er setzte sich wieder. »Das war einfach nur Glück.«

2.

Die THEERIOS-Protokolle: Wohin des Wegs?

 

»Abstrahlsequenz eingeleitet. THEERIOS: Nehmen Sie Fahrt auf, und beziehen Sie Position im Bereitstellungssektor.« Die mechanische Stimme der Leitstelle verstummte.

Okraar bestätigte. Die Korrekturtriebwerke des Schiffs zündeten und schoben es an den vorgesehenen Platz in der Formation der fünf Walzen.

Agcer näherte sich ihm. Der Grek-2 war recht klein, aber ein Energiebündel. An einer ovalen Stelle am Kopfansatz des Maahks schimmerte bläuliches Fleisch unter einem kläglichen Rest aufgerauter Schuppen. »Der Marschbefehl ist bestätigt. Der Abstrahlkode ebenfalls.«

Okraar, der große, etwas stämmige Grek-1 zog bejahend die Schultern nach vorn. »Wir folgen der SCOTHAM im Verbund. Die Positionsdaten und die Flugvektorfolge sind abrufbereit. Wir starten.«

Es war kein Befehl. Der Pilot flog Flug- und Anpassungsmanöver dieser Art selbstständig. Die THEERIOS bewegte sich. Kleine Triebwerksstöße schoben die 200-Meter-Walze hinter das doppelt so große Leitschiff. Weit vor der Raumergruppe wechselte der Bündler in den Aktivbetrieb. Der gewaltige, blauschwarze Trichter erzeugte das gut sichtbare Abtastfeld, das den Transport einleiten würde.

Okraar fühlte ein feines Jucken am rechten Handrücken und kratzte sich. Er beobachtete die Vorgänge im Bereich der riesigen Transmitteröffnung interessiert, aber nicht nervös. Dazu hatte er zu viele Reisen auf diese Weise begonnen. Sorgen bereitete ihm etwas anderes.

Das Kontrollkommando, das die Festung TASCHVAAHL hatte überprüfen sollen, meldete sich nicht: ein extrem ungewöhnliches Verhalten. Irgendetwas war im System der Sonne Taktis nicht, wie es sein sollte. Okraar wusste nichts Näheres, und er bezweifelte, dass ihn die Leitstelle vom Vorhandensein solcher Informationen überhaupt unterrichtet hätte. Zumindest eins war ihm daher klar: Sie flogen einer Überraschung entgegen.

Er war der Grek-1 an Bord. Einer der Vorteile dieser Position war, dass er gelegentlich die Zeit hatte, sich zurückzuziehen und nachzudenken. Während seine Besatzung die THEERIOS einsatzfähig hielt, nutzte er Phasen der Ruhe gerne zur Reflexion. Die Vorbereitungen auf die Abstrahlung liefen automatisch ab, und der Pilot war erfahren.

Okraar rieb sich am harten Teil der segmentierten Keramikoberfläche. Es war ein gutes Gefühl. Die kleinen, grauen Schuppen erzeugten ein feines Knistern. Die Reizungen waren unangenehm.

Wasserstoffwelten waren sturmumtost. Dort sorgte die Natur für genügend Abrieb, und die Erneuerung der Oberhaut geschah von selbst. Sogar in den Siedlungen hatten die Maahks stets genügend Kontakt zur freien Natur.

Die Atmosphäre in einem Raumschiff hingegen stand nahezu still, es gab keine Zyklone, keinen harten Ammoniakschnee, der die Abschilferung unterstützte. Für die technischen Abläufe an Bord war eine gleichmäßige Klimatisierung sinnvoll – das galt sogar für die reinen Habitate. Zwar gehörten Druck- und Temperaturwechsel mit zum Atmosphärenprofil, sie blieben aber im Vergleich zur natürlichen Umwelt harmlos. Die Bordhäute, wie alle Kleidungsstücke der maahkschen Kultur, wiesen zwar an den Innenseiten Reibflächen auf, die den Abrieb durch die Atmosphäre ersetzen. Frei liegende Körperpartien blieben an Bord aber ein Problem.

Er schrubbte erneut. Die Unsitte des Körperkratzens war den Ingenieuren bekannt, und sie hatten Abhilfe geschaffen. Abgeplatzte Schuppenpartikel wurden sofort über Unterdrucksysteme beseitigt, die alle Oberflächen von dieser Art der Verschmutzung befreiten. Der Aufwand war sehr viel geringer, als eine bewegte Atmosphäre mit all ihren problematischen Nebenwirkungen aufzubauen. Man hatte sich für das kleinere Übel entschieden. Ein sehr logischer und sehr pragmatischer Weg: typisch für die Einstellung der Maahks. Zumal das Kratzen und die daraus entstehende Schuppenräude, die man bei vielen Raumfahrern besonders am Kopfansatz und an den frei liegenden Stellen der Extremitäten fand, zwar lästig, aber nicht gefährlich war.

Okraar fiepte erleichtert. Der Juckreiz verschwand. Beinahe zärtlich strich er mit der Greifhand über die kachelartig strukturierte, grauschwarze Keramikverkleidung, die alle technischen Einrichtungen der THEERIOS überzog. Die Isolierung verhinderte das Eindiffundieren von Wasserstoff, schützte die vielfach redundanten Module der Schiffstechnik vor Temperaturschwankungen und den anderen Auswirkungen der aggressiven Atmosphäre. Denn auf Oberflächen kondensierten immer wieder kleine Methantropfen.

Die farbliche Ähnlichkeit mit Maahkhaut war kein Zufall. Die Konstruktionspsychologen unterstützten mit solchen Details die Ausgeglichenheit der Besatzungen. Das angenehme, heimelige Grau der Keramik war eine Wohltat für die Augen.

... und da war es wieder!

Okraar zischte unwirsch. Früher oder später liefen seine Gedanken stets auf dasselbe hinaus. Sein Handicap blieb ihm erhalten, egal wie sehr er sich um eine effektive Verdrängung bemühte. Zu offenkundig war das Defizit.

Seine Augen ...

Die vordere Blickhemisphäre wies eine deutliche Unschärfe auf. Das lag an der Schwäche der beiden linksseitigen Augen im frontalen Fokus. Nur das dritte Auge arbeitete korrekt. Das Auge am rechten Rand seiner Augenleiste zeigte sogar einen abweichenden Blickvektor. Deshalb stellte sich ihm die Welt anders dar als seinen Artgenossen: Vor ihm blieb stets ein großer Bereich des Blickfelds diffus, hinter sich nahm er alles scharf und gut erkennbar wahr. Das war insofern ungewöhnlich, als die rückwärtige Blickfokussierung der Maahks normalerweise schwächer ausgeprägt war als die frontale.

In der alten Zeit wäre Okraar ein sofortiges Opfer der natürlichen Selektion geworden. Ein Leckerbissen für eine hungrige Silikromm oder ein ähnlich unangenehmes Geschöpf. Etwas später, während die Maahks den langen Aufstieg zur Zivilisation antraten, hätte ihn stattdessen die willentliche Selektion aussortiert. Individuen, die dem Standard nicht entsprachen, hatte man damals gezielt aus dem Genpool entfernt.

In der toleranteren Gegenwart indes galt sein Handicap allenfalls als lästig. Denn Okraar war ein fähiger Offizier mit allen nötigen Qualifikationen und großer Erfahrung, trotz seiner genetisch bedingten Behinderung. Sie war leider inoperabel: Die Gefahr, die anderen Frontallinsen in Mitleidenschaft zu ziehen, war zu groß.

Der Grek-1 ging offensiv mit seinem Makel um: Okraar ließ sämtliche Daten und Bilder von der Bordpositronik in seinen Rücken projizieren. Unter der Besatzung war diese Eigenheit zwar Anlass für die eine oder andere Bemerkung. Ein weiterer Vorteil seiner Position war jedoch, dass ihn das nicht zu kümmern brauchte.

Vor ihnen erreichte die riesige Walze des Kommandoraumers das Abtastfeld des Bündlers.

»Folgen Sie der SCOTHAM!«, befahl Okraar und hob den Arm. Hinter ihm entstand das Bild der Direktübertragung. Das Leitschiff beschleunigte. Der Grek-1 fuhr sein Sitzgestell aus und ließ sich darin nieder. »Verschlusszustand!«

Die Schotten an Bord der THEERIOS wurden arretiert, verwandelten die Walze in ein tausendfach untergliedertes Wabengebilde größter Stabilität. Die Zentralebesatzung nahm ihre Sprungpositionen ein. In diesem Augenblick schrillten die Warnpfeifen.

Okraar zuckte zusammen. In der Panoramadarstellung erlosch das Abtastfeld des Bündlers. Die SCOTHAM schwebte mit einem Mal in völliger Schwärze. Ihre Bremstriebwerke arbeiteten mit Volllast, um die Restfahrt der Riesenwalze aufzuheben.

Die Hauptpositronik der THEERIOS aktivierte selbsttätig die frontalen Prallfelder, sobald das Schiff den Mindestabstand unterschritt. Grellblaue Warnlichter flammten auf.

»Annäherungsalarm. Kollisionswarnung. Leitschiff unterbricht Anflug.« Die akustische Warnung wiederholte sich, bis Okraar sie stumm schaltete.