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Nanni Balestrini

SANDOKAN

Eine

Camorra–Geschichte

Mit einem Vorwort von
Roberto Saviano

Aus dem Italienischen
von Max Henninger

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Titel der italienischen Originalausgabe:

© der deutschsprachigen Ausgabe

Assoziation A

Gestaltung: Andreas Homann

ISBN 978-3-86241-462-8

Inhalt

Roberto Saviano:
Literatur als Zivilcourage

1Die Verhaftung

2Willkommen in

3Der Zenit

4Die Anfänge

5Der Tod

6Die Wette

7Der große Sprung

8Die Politik

9Die Deponie

10Die Expansion

11Albanova

12Die Afrikaner

13Der Kauz

14Der Krieg

15Sandokans Sieg

16Das Leichenschauhaus

Für Tonino

Roberto Saviano

Literatur als Zivilcourage

Als dieses Buch von Nanni Balestrini erschien, hatten viele von uns, die wir eine in Schatten getauchte Gegend bewohnen, das Gefühl: Jetzt geschieht endlich etwas. Und dieses Etwas war die Literatur, die imstande war, die Gitterstäbe, mit denen die Geschichte dieser Gegend verrammelt war, wie mit einem Brecheisen aufzustemmen. Endlich war es möglich, zu erzählen. Und dies war vor allem nötig, um auf welche Weise auch immer Widerstand zu leisten.

»Da ist eine kleine Brücke die zum nächsten Ort führt und auf der Mitte der Brücke steht ein Schild mit der Aufschrift Willkommen in aber der Ortsname ist wegen der vielen Einschusslöcher nicht zu lesen.« Dieses Ortsschild heißt Reisende in Casal di Principe willkommen, einem besetzten Gebiet, in dem Unbefugten nichts erlaubt ist, mit Einschusslöchern als Warnung. Und unter der Brücke, die in den Ort hineinführt, fließt der Redestrom Nanni Balestrinis – ein Strom aus ineinander verschachtelten Wörtern, die sich überlagern und überholen, ohne einen Haltepunkt, der dem Leser Gelegenheit bieten würde, zur Ruhe zu kommen und Luft zu holen.

Sandokan ist kein Roman über die Camorra, keine Reportage, kein Recherchebericht. Es ist ein Strom aus Erfahrungen und Reflexionen, eine in der Zeit sich ausdehnende Spur, eine Phänomenologie des Lebens zu Zeiten der Camorra. Eine Erzählung ohne Punkt und Komma, wie der ununterbrochene Redefluss einer Diskussion, die an einem trostlosen Nachmittag in einer Kleinstadtbar geführt wird. Und es ist tatsächlich ein Tresengespräch. Der Erzähler ist ein junger Mann, der in den Jahren heranreift, in denen der Casalesi-Clan unter Antonio Bardellino seine wirtschaftliche Tätigkeit globalisiert und den Höhepunkt seiner politischen und militärischen Macht erreicht. Fehden, Betrügereien, Finanzgeschäfte, unschuldige Tote, manipulierte Wahlen – der junge Mann zeichnet das Bild einer italienischen Provinz, in der aus dem Martyrium des Territoriums astronomische Kapitalsummen hervorgehen, die dann in aller Welt investiert werden. Eine gewaltsame »ursprüngliche Akkumulation«, die sich anschließend in legale Wirtschaftstätigkeit verwandelt, in bürgerlichen Wohlstand. Die Dialektik von legaler und illegaler Ökonomie verläuft rasant, und oft ist nicht zu erkennen, wo die Grenze zwischen dem einen und dem anderen Bereich verläuft. Balestrini zeigt das Zusammenspiel von bewaffneter Barbarei, die auf die »Aneignung« von Kapital abzielt, und unternehmerischen Kalkül, das sich mit Investitionen und der Konkurrenz auf den nationalen und internationalen Märkten auskennt.

Der Titel des Buches, Sandokan, nimmt auf den damaligen Anführer des Casalesi-Clans Bezug. Ihm wurde dieser episch klingende Namen verliehen, weil er eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Kabir Bedi aufweist, der den legendären Piraten Sandokan in der gleichnamigen Fernsehserie spielt. Balestrinis Erzählung beginnt mit der Verhaftung des illegitimen Thronfolgers von Antonio Bardellino, mit dem Abgang des Bosses aller Bosse. Die wahre Hauptfigur ist jedoch, trotz des Titels, eine andere: Bardellino mit seiner exponentiell wachsenden Macht, seiner Fähigkeit, einen mit der Cosa Nostra gleichziehenden Clan zu organisieren, der die Hegemonie über die Nuova Famiglia (Neue Familie) erlangte, jenen Zusammenhang aus Camorra, Unternehmertum und Politik, der sich der NCO (Nuova Camorra Organizzata, Neue Organisierte Camorra) von Cutolo entgegenstellte und dem es gelang, die wichtigsten christdemokratischen und sozialistischen Politiker der 1980er- und 1990er-Jahre in seine Vorhaben zu verstricken.

Beispielhaft am Phänomen Bardellino sind dessen fulminante und zerstörerische Entwicklung, seine Auswirkungen auf das Geflecht der gesellschaftlichen Beziehungen und wie er sich darauf verstanden hat, von den modernsten Techniken der globalen Finanzwirtschaft und des internationalen Handels Gebrauch zu machen, sie wirksam in den Dienst der Verbrechensindustrie zu stellen. Am erstaunlichsten ist, dass nur wenige – ich denke vor allem an Intellektuelle und Künstler – bemerkt haben, was in den 1980er-Jahren in der Provinz von Caserta vor sich gegangen ist; noch geringer ist die Zahl derer, die zu dem Schluss gelangt sind, dass diese Geschichten auch erzählt werden sollten. Über das amerikanische Gangsterwesen, dessen Macht nicht an die der Camorra heranreicht, sind zahlreiche Romane und Aufsätze geschrieben worden; Meisterwerke des Kinos haben zu seiner Bekämpfung beigetragen. Etwas Vergleichbares hat es in Italien nur in den 1960er-Jahren gegeben: die Filme Francesco Rosis. Danach kam nichts mehr.

Es ist viel Zeit vergangen, bevor man sich bewusst geworden ist, dass die Camorra einen internationalen Ernstfall darstellt, eine Organisation mit äußerst weitreichenden Verbindungen und Komplizen auf allen Ebenen. Noch mehr Zeit musste vergehen, bevor die Unsichtbarkeit, in deren Schutz diese Organisation agiert, aufgehoben werden konnte. Zur Entlastung derer, die nichts gesehen und nichts verstanden haben, ist allerdings anzumerken: Das Schweigen, in das die »Errungenschaften« des Casalesi-Clans fast zwanzig Jahre lang gehüllt geblieben sind, war ein wahrer Geniestreich, für den man diesem Clan Anerkennung zollen muss. Im Unterschied zu anderen kriminellen Gruppen hat die Camorra stets im Verborgenen agiert. In den von ihr kontrollierten Gegenden hat sie eine Ordnung durchgesetzt, durch die gewährleistet war, dass die Gesetzeshüter ihre Suchscheinwerfer woandershin richteten. Dabei machte sich der Clan zunutze, dass alle Blicke auf die Cosa Nostra konzentriert waren, die hemmungslos Richter und Journalisten ermordete und damit sowohl in Italien wie international alle Aufmerksamkeit auf sich zog.

Sandokan erschien zuerst im April 2004 im Einaudi-Verlag. Noch vor der Veröffentlichung gab es einen Antrag auf Beschlagnahme des Buches seitens der Anwälte des Bosses, die gleichzeitig, unter Verweis auf einen »begründeten Verdacht«, die Verlegung des Prozesses gegen den Casalesi-Clan verlangten. Balestrini hatte das Thema des Romans in einem Interview umrissen. Sandokans Anwälte beeilten sich, die Veröffentlichung zu unterbinden, da sich diese auf den Prozess auswirken könne. Der Antrag wurde abgelehnt, doch die Angriffe auf den Roman waren damit nicht vorbei. Nach Erscheinen des Buches gab es sogleich einen zweiten Rechtsstreit, der erst 2008 beigelegt wurde. Die Ehefrau und die Töchter Sandokans fühlten sich durch das erste Kapitel des Buches, in dem die Verhaftung des Bosses erzählt wird, verunglimpft, da Francesco Schiavone dort, wie die Anwälte ausführten, als Krimineller dargestellt werde. Paradoxerweise hatte Balestrini aber nichts anderes getan, als verschiedene Sätze, die zur Zeit der Verhaftung in der Lokalpresse erschienen waren, zu einer Montage zusammenzufügen. Er hatte keinerlei Änderungen vorgenommen. Der Verleger sah dennoch vorsichtshalber von einer Neuauflage des inzwischen vergriffenen Buches ab, bis Schiavone verurteilt war. Nach Abschluss des Prozesses war Sandokan wieder im Buchhandel erhältlich.

Balestrini hat eine kollektive Geschichte erzählt, in der sich wesentliche Momente unserer Gegenwart verdichten. Sprachlich hat er sich einer Art Chorgesangs bedient, um exemplarische Situationen darzustellen. Auf der literarischen Ebene könnte der Roman zu einer modernen Epik beitragen, die in der Lage ist, die Verurteilung moralischer und gesellschaftlicher Missstände voranzutreiben. Dies umzusetzen, bleibt jedoch dem Leser überlassen.

Was nach der Lektüre in den Ohren nachhallt, ist der unerträgliche Lärm der gekreuzigten Käuze. Es ist tatsächlich ein alter Brauch, diese Vögel an die Tore der Landhäuser zu schlagen, wo sie dann bis zu ihrem Ableben vor Schmerz schreien. Jene unerträglichen Schreie sollten die bösen Geister erschrecken, die sich der Gegend näherten. Genau so gingen viele Bauern nach dem Mord an Antonio Bardellino vor, ahnten sie doch, dass dessen Tod Blutvergießen in allen Familien nach sich ziehen würde. Solche Schreie vergisst man nie, doch dienen sie heute nicht mehr dazu, böse Geister zu vertreiben. Vielmehr lassen sie uns die Abgründe verspüren, die ein jeder von uns in sich trägt.

Erstes Kapitel

Die Verhaftung

Der Pate sitzt in der Falle hofft aber er könnte es trotzdem noch schaffen er ist nassgeschwitzt hustet und flucht während er seinen zwei Kindern seiner Frau und seinem Schwager ein Zeichen gibt sie sollen nicht sprechen sollen durchhalten denn die Bullen sind da kriegen aber nicht raus wo zum Teufel der Boss und seine Familie sich versteckt haben sie wissen dass sie in diesem Haus sind irgendwo in einem geheimen Raum seit dreizehn Stunden schlagen sie Türen ein reißen Wände nieder feuern Tränengasgeschosse in die Lüftungsrohre ohne Ergebnis gleich kommt er raus das hoffen sie jedenfalls Sandokan verteidigt sich so gut er kann mit Kleidern und Bettlaken stopft er jede Öffnung zu das Tränengas breitet sich dennoch aus im Versteck kann man kaum noch atmen aber die Lüftung anzumachen würde bedeuten das Tränengas zu verbreiten für die Kinder ist es die Hölle Chiara und Angela weinen Sandokan tröstet sie ist nicht so schlimm gleich ist es vorbei bleibt ruhig gegen Mittag hört jemand eine Frauenstimme einen Satz wenn Sie sich nicht rühren haben wir keine andere Wahl dann wieder Stille der Presslufthammer reißt eine Mauer ein dort wo die Stimme herkam

eine andere Stimme ruft Nicht schießen hier sind Kinder ich ergebe mich ich ergebe mich es ist die Stimme Sandokans seine Flucht vor der Justiz endet hier ich bitte euch hört auf hier sind kleine Mädchen ich ergebe mich aber tut den Mädchen und meiner Frau nichts so Sandokan bürgerlicher Name Francesco Schiavone vierundvierzig Jahre alt die Schlüsselfigur der Camorra von Kampanien das unbestrittene Oberhaupt des grausamsten Clans in Süditalien des Casalesi-Clans er hat die Beamten der Antimafia-Einheit DIA mit seinen beiden Mädchen auf dem Arm empfangen er hat auf sie gewartet als ihm klar wurde dass es für ihn keinen Ausweg mehr gab hat er sich dem DIA-Chef von Neapel gestellt dem vierundvierzigjährigen Guido Longo aus Catania der ihn seit etwa sechs Monaten wie ein Jäger den Hasen verfolgt hat Sandokan gab auf als er hörte wie die Wand die sein Versteck schützte zu bröckeln begann er ist herausgekommen mit Chiara und Angelica auf den Armen um den Polizisten zu zeigen dass er die Mädchen dabei hatte und sich nicht wehren würde

die Männer von der DIA waren wie versteinert etwa eine Woche hatten sie ihn überwacht das Telefon und die Umgebung abgehört um schließlich das acht Meter hohe Tor vor dem Wohnhaus niederzureißen und dahinter alles verlassen vorzufinden dann kommt ein Auto das Automatiktor öffnet sich es ist der Fahrer der Ehefrau des Bosses die Razzia geht los zu vierzig stürzen sie sich auf das Auto im Hof des Hauses im Schlupfwinkel des Bosses alles durchsuchen sie Überraschung keine Spur von Sandokan der Chef der DIA lässt nicht locker Guido Longo nimmt die Herausforderung an Jungs sagt er zu seinen Leuten ohne Sandokan gehen wir hier nicht weg es ist elf Uhr abends und die Menschenjagd beginnt sie dauert die ganze Nacht es wird gegraben Wände werden abgeklopft überall wird gesucht es wird Tränengas in die Lüftungsrohre geleitet dreizehn Stunden Fahndung gestern früh um 12 Uhr 15 stöbern sie ihn auf den Oberganoven den neuen Diabolik die Beamten müssen eine Wandattrappe niederreißen eine Granitplatte auf einer Schiebetür hinter der Tür steht Sandokan auf der Flucht seit November 1993 bei ihm sind die beiden Mädchen von denen eines vor ein paar Tagen ein Jahr alt geworden ist und seine Ehefrau Giuseppina Natta

die beiden Mädchen weinen wegen des Tränengases aber auch wegen dieser dreizehn Stunden voller Angst und angehaltenen Atems der Feind nur einen Schritt weit entfernt und Papa nervöser als sie ihn je gesehen haben aus dem Bunker kommt eine kräftige Frau Giuseppina Natta die Ehefrau sie ist grimmig sie erkennt einen der Ermittler und schimpft du schon wieder du solltest dich schämen selbst Mario dem Schwager des Bosses legen sie Handschellen an dann geht’s zum Sitz der DIA mit dem Paten der im Auto kaum etwas sagt ihr habt gewonnen aber von mir erfahrt ihr nichts ich habe nichts zu gestehen ein Opfer der Ungerechtigkeit bin ich ihr habt gewonnen ich hatte gehofft es auch diesmal zu schaffen immer wieder bin ich euch entkommen ihr habt gewonnen aber kein Wort werdet ihr aus mir herausholen tatsächlich hatte er zuvor versucht aus dem Bunker zu entkommen mit einer Spitzhacke hatte er versucht eine Tuffsteinwand einzuschlagen anstatt den Tunnel zu benutzen in dem später Waffen Munition und zwei Campingzelte gefunden wurden eine Falltür direkt im Bunker führte zu ihm vielleicht hatte er befürchtet der Tunnel sei schon entdeckt worden

sein Versteck war ein Privathaus wie viele andere hohe Mauern unbezwingbare Tore ein schlecht gebauter Schuppen und hinten rechts auf dem Boden ein Steinblock der den Eingang verbirgt und sich wie durch Zauberhand auf einer Metallschiene zur Seite schieben lässt du musst in die Hocke gehen um reinzukommen monatelange Arbeit war nötig gewesen um das so perfekt hinzubekommen Hunderte von Helfern und das Ergebnis war eine Festung und zugleich ein Haus voller Komfort weder Türen noch Fenster dafür eine Belüftungsanlage Wohnzimmer Schlafzimmer Kinderzimmer Küche Bad zwei Kühlschränke mit allem was man so braucht an der Wand der Zettel mit der letzten Einkaufsliste und Unmengen Kleider die besten Parfüms zwei Stereoanlagen drei Fernseher von der Sorte für die man sich dumm und dämlich zahlt ein Filmprojektor eine Kinoleinwand Hunderte von Filmen von medizinischen bis zu pornografischen Geschichtsbücher aber nur über die Bourbonen und ein Computer die Aufträge die Politiker die Milliarden die Buchhaltung der Hölle und Waffen zwei N70-Maschinengewehre bulgarischer Herstellung eine 181er Pumpgun Schrotkugeln ein Schnappmesser

die Verhaftung Sandokans ist das Ergebnis einer Fahndung die modernste Technik mit alten und ein wenig vernachlässigten Methoden verbindet Beschattung und Überwachung auf Schritt und Tritt ganze Schuhsohlen sind dabei abgelaufen worden sieben Monate ging das insgesamt wobei sich in der letzten Woche alles überstürzte das Geheimnis des schnellen Zugriffs bestand aus einem Satelliten und dem Geschick desjenigen der es verstanden hatte einen winzigen Sender neusten Typs ein unsichtbares Gerät mit enormer Reichweite unter Giuseppina Nattas Range Rover anzubringen vor nicht mehr als einer Woche war das geschehen von dem Moment an schaltete sich der Sender in gewissen Abständen ein signalisierte jede Bewegung der Frau und des Paten eine Woche ist es her dass sich fünf Beamte der DIA als Arbeiter verkleidet in Casal di Principe aufhalten die Via Salerno und das Haus im Auge behalten Freitagabend laufen alle Fäden zusammen der Satellit die Beschattung die Überwachung alles weist darauf hin dass der Boss sich dort aufhält zurückgekehrt ist aus Val di Fassa in Trentino zwei dunkle Kleinlaster fahren vor drinnen vierzig eng aneinander gezwängte Agenten der DIA einige tragen Maschinengewehre andere Pistolen der Marke Beretta sie warten auf ein Signal unter ihnen befinden sich Fahnder einer Spezialeinheit der DIA die Ghostbusters die Geisterjäger die flüchtigen Verbrechern hinterher sind

der Mann der den Staat herausgefordert hat der zweimal Vater geworden ist in den fünf Jahren in denen er auf der Flucht war der Mann der mit Politikern und Unternehmern per du war der die Regeln bestimmt hat der Schmiergelder gezahlt hat für den Zuschlag beim Bau von Autobahnen Brücken staatlich finanzierten Projekten gigantischen Ausmaßes der Mann der ohne zu zögern seinen alten Paten umgebracht hat der Mann der sich Sandokan nennen ließ wegen seiner Grausamkeit die auch dem Tiger von Mompracem zu eigen war der wie dieser lange Haare und einen Bart trug beide tiefschwarz dieser Mann wenn auch dreißig Kilo schwerer und ohne den Bart aus Salgaris Romanen hatte Angst verspürt als sie ihn nach einer dreizehnstündigen Suche in seinem goldenen mit Büchern und Gemälden geschmückten Käfig entdeckten die Bilder hat er selbst gemalt wobei er am liebsten Mussolini und Napoleon malte und natürlich sich selbst manchmal ist die Zeit gnadenlos nichts mehr am Gefangenen außer vielleicht seinem massigen Körperbau erinnert an die einstige Ähnlichkeit mit Kabir Bedi die ihm den Beinamen Sandokan eingebracht hatte um die Grundlage für eine Legende zu legen nichts bleibt was an das Oberhaupt eines Imperiums von fünftausend Milliarden Lire erinnerte worauf sich das Familienvermögen belaufen haben soll

Zweites Kapitel

Willkommen in

Da ist eine kleine Brücke die zum nächsten Ort führt und auf der Mitte der Brücke steht ein Schild mit der Aufschrift Willkommen in aber der Ortsname ist wegen der vielen Einschusslöcher nicht zu lesen und am Ende der Brücke weiter geradeaus ist der Ort im Grunde kannst du ihn gleich überblicken da sind Straßen und Sträßchen und überall Häuser über Häuser aber der ganze Ort wird von dieser großen Straße durchquert die zu dieser Hauptstraße dem Corso Umberto wird am Ende des Corso gibt es einen kleinen Hang dort verlässt die Straße den Ort eine Tafel kennzeichnet die Ortsgrenze und die Straße verläuft so und so und dann so und führt dann auf die Landstraße Richtung Casale hier ist Casale dann geht die Straße weiter das ist die Landstraße die von Villa Literno bis Averso führt und am Rande der folgenden Ortschaften verläuft ohne ins Zentrum hineinzuführen sie berührt nur die Ortsränder und einmal gab es auf dieser Landstraße sogar eine Straßenbahn die die ganze Strecke abfuhr

mein Vater erzählte mir dass sein Onkel Nicola einmal mit seinem Pferd und seiner Kutsche unterwegs war sie fuhren hinter der Trambahn her und folgten der Straße die in den nächsten Ort führte die Landstraße die vom Corso Umberto abging denn auf dieser Straße fuhr die Trambahn mein Onkel fuhr mit seiner Kutsche und neben ihm saß ein Freund und dieser Freund sieht plötzlich zwischen den Leuten die mit der Trambahn fahren einen Mann aus einer verfeindeten Familie eine Person die seiner Familie übel mitgespielt hat dieser Freund fragt also meinen Onkel ob er ihm seine Pistole leihen könne seine eigene hatte er zu Hause vergessen mein Onkel ging immer wie alle mit der Pistole aus dem Haus er stellt ihm nicht einmal die Frage warum der seine Pistole haben will er gibt sie ihm einfach und der andere wartet bis die Trambahn an der nächsten Haltestelle anhält steigt dann ganz ruhig aus der Kutsche betritt die Trambahn und schießt mitten unter den schreienden Leuten auf diesen Mann bringt ihn um weil er ihn umbringen musste dann steigt er aus der Trambahn wieder aus gibt Onkel Nicola der noch in der Kutsche sitzt die Pistole zurück und entfernt sich über die Felder geht einfach so weg

kleine Einschusslöcher gibt es jede Menge auf sämtlichen Ortstafeln hier entlang der Landstraße als ob man darauf hinweisen wollte dass man in dieser Gegend auf der Hut sein muss weil es sich um ein Gebiet handelt das kontrolliert wird wo alles was du tust kontrolliert wird sodass du besser aufpasst was du tust während in Orten die sagen wir ein wenig normaler sind auf den Ortseingangstafeln Gott existiert geschrieben steht was einer Großstadtlegende zufolge bedeutet dass du dort Stoff bekommst oder jedenfalls eine Lokalität findest wo du dich versorgen kannst normalerweise geht es um Haschisch aber manchmal auch um andere Drogen aber in Orten wie meinem ist die übliche Tafel mit der Aufschrift Willkommen in von Pistolen- und Gewehrkugeln durchlöchert was bedeutet dass es sich um ein kontrolliertes Gebiet handelt wer sich hier reinbegibt muss wissen welchen Risiken er sich aussetzt sodass es immer ein wenig gefährlich ist sich in unseren Ort zu wagen das ist schon lange so jetzt kann man sagen dass sich das ein wenig ändert aber viel hat sich nicht geändert

hier spielt sich das gesamte Leben des Ortes ab auf diesem Corso Umberto er wird einen Kilometer lang sein vielleicht ein wenig mehr zu Fuß kannst du den auf jeden Fall bequem ablaufen und rundherum sind Häuser über Häuser über Häuser über Häuser über Häuser hier auf halber Strecke ist das Rathaus und die Bar Centrale einen richtigen Platz gibt es nicht genau neben dem Rathaus gibt es nur dieses winzige Plätzchen einen kleinen Platz neben der Straße der nichts anderes ist als der Hof der Hauptkirche einmal hat die Gemeinde uns eine Art Kriegerdenkmal bauen lassen das war eine Art hoher Obelisk obendrauf ein Adler der die Flügel spreizt aber der überlebte nicht einmal einen Tag lang denn schon am Abend nach der Einweihung fingen alle an auf den Vogel zu zielen ihn mit allem Möglichen zu beschießen Pistolen Flinten Schrotgewehren egal was der ganze Ort schoss die ganze Nacht auf ihn und am nächsten Morgen waren nur noch die Klauen des Adlers übrig den Obelisken haben sie dann schließlich abgerissen denn im Grunde war er wirklich hässlich dieser Obelisk

das soll jetzt auch einen Eindruck vermitteln von der Rückständigkeit dieses Ortes wie zum Beispiel damals als das Fernsehfieber ausbrach im September gibt es einen kirchlichen Feiertag einen Heiligentag du weißt schon mit einer Prozession bei der die Madonna durch den Ort zieht und zu diesem Zeitpunkt gibt es eine Fernsehserie die läuft auf dem Hauptsender und heißt Auch die Reichen weinen oder so was in der Art jedenfalls verfolgen alle im Ort diese Fernsehserie Männer Frauen Kinder der Pfarrer auch und in den zwei Stunden in denen die Serie ausgestrahlt wird geht keiner aus dem Haus die Straßen sind völlig leer und an diesem Tag im September dem Heiligentag sollte die Madonna wie jedes Jahr um sieben Uhr abends aus der Kirche kommen um durch den Ort zu ziehen mit den singenden Gläubigen dahinter aber genau zu dieser Zeit läuft auch die Fernsehserie und so beschließt der Pfarrer die Prozession zu verschieben denn die Madonna kann warten und vielleicht zum ersten Mal seit Jahrhunderten kommt die Madonna um zehn aus der Kirche statt um sieben

auf diesem kleinen Platz vor der Kirche wo sich die Männer treffen um zu schwatzen kommt es vor dass Leute miteinander scherzen vielleicht macht einer an einem bestimmten Punkt eine falsche Bemerkung sagt irgendwas was dem anderen nicht gefällt der haut ihm eine runter aber das nächste Mal wenn sich die zwei treffen schießen sie sofort aufeinander ohne zu zögern hier ist es ganz normal mit der Pistole aus dem Haus zu gehen es gibt auch Leute die Fahrrad fahren und das Gewehr über der Schulter tragen oder vielleicht ihr Rasiermesser in der Tasche haben ein Waffenproblem gibt es hier nicht bei Bedarf findet sich immer eine Pistole ein Gewehr auch eine normale Familie wie meine besaß bis vor einigen Jahren zwei oder drei Gewehre dann kam dieses Gesetz dass jeder der auch nur ein Jagdgewehr besitzt das melden muss bis dahin gab es in jedem Haus Gewehre Pistolen und andere Waffen