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RAINER MARIA
RILKE

DIE GEDICHTE

INSEL VERLAG

Die Wiedergabe der Gedichte folgt den grundlegenden, auf den Handschriften bzw. auf den maßgeblichen Drucken beruhenden Ausgaben der Werke Rilkes: Werke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden. Herausgegeben von Manfred Engel, Ulrich Fülleborn, Horst Nalewski und August Stahl, Frankfurt am Main und Leipzig: Insel Verlag 1996.

Sämtliche Werke, herausgegeben vom Rilke-Archiv in Verbindung mit Ruth Sieber-Rilke, besorgt von Ernst Zinn, Insel Verlag: Wiesbaden 1955 ff. Vgl. auch die editorische Notiz am Schluß des Bandes.

ebook Insel Verlag Berlin 2010

© Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2006

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.



www.suhrkamp.de

eISBN 978-3-458-73960-9

INHALT

Erste Gedichte (1884-1894)

Larenopfer (1895)

Traumgekrönt (1896)

Advent (1897)

Christus-Visionen (1896/1898)

Dir zur Feier (1897/98)

Mir zur Feier (1897/98; 1909)

Das Stunden-Buch

Erstes Buch: Das Buch vom mönchischen Leben (1899)

Zweites Buch: Das Buch von der Pilgerschaft (1901)

Drittes Buch: Das Buch von der Armut und vom Tode (1903)

Das Buch der Bilder (1902/1906)

Des ersten Buches erster Teil

Des ersten Buches zweiter Teil

Des zweiten Buches erster Teil

Des zweiten Buches zweiter Teil

Die Gedichte 1906 bis 1910

Neue Gedichte (1907)

Der Neuen Gedichte anderer Teil (1908)

Die Gedichte 1910 bis 1922

Duineser Elegien (1912/1922)

Die Sonette an Orpheus (1922)

Die Gedichte 1922 bis 1926



Zeittafel

Alphabetisches Verzeichnis der Gedichtanfänge und -überschriften

Editorische Notiz

ERSTE GEDICHTE

(1884-1894)

FÜR EUEREN TRAUUNGS-TAG
〈An die Eltern, zum 24. Mai 1884〉



Ein hoher Festtag ist gekommen,
ein klein’ Papier hab ich genommen.
Drauf schreib ich all die Wünsche Dir
in Dichter-Form, erlaub’ es mir.
Fortuna soll dich stets begleiten
von nahe oder auch von weiten.
Das Glück geleit Euch überall
dies ruft Euch zu der Hannibal.*
Nun lebe wohl mit Gottes Segen,
er schütze Euch auf allen Wegen.
Euer Leben sei nur Glück
auf Unglück denket nie zurück
nie! nie! nie!
Nun lebet wohl ich sag Ade
und hoffe Euch tut nichts mehr weh
Ade Ade
Euer Euch innig liebender Sohn
René



〈AN DIE MUTTER〉
〈Zu ihrem Geburtstage am 4. Mai 1889〉



Liebste Mama!

Es naht ein Tag durch goldne Tore,
ein Tag der Freude und des Glücks.
Zur Feder greif ich rasch,
begeistert von Genien des Augenblicks. –
Und golden prangt in reichen Blüten
die schöne, große, weite Welt
zur hohen Ehr dem schönen Feste,
das lächelnd seinen Einzug hält!
Zu Deinem Wiegenfest das heut erschienen
das Beste, was ein Mensch im Busen trägt,
und alles Hohe, alles edle Schöne,
wofür ein freies Menschenherze schlägt.
Vom reichsten Wunsche ganz durchdrungen
fleh ich zum höchsten Vater hin
und hoffe, daß aus meinen Bitten
der höchste Segen mög erblühn!
Herr! schick von deinem höchsten Throne,
der stolz sich in die Wolken baut,
Zufriedenheit dem Erdensohne
der tränenvoll zum Himmel schaut!
Ich fleh: »Oh Herr! laß lang noch glücklich sein
und schenke Glück und Frieden
dem vielgeliebten, teuren Mütterlein. «
Der Himmel wird den Wunsch erhören,
den fromm ein kleines Herze spricht,
des Kindes Wünsche streng verwehren
kann der barmherz’ge Vater nicht!
So sprech ich hoffend voll Vertrauen,
kann fest auf Gottes Hilfe bauen,
denn wer, so sagt ein hohes Wort,
in Freud und Leid auf Gott vertraut,
hat wahrlich nicht auf Sand gebaut!



Mag Dich auch jetzt noch mancher Kummer drücken,
ich sag es Dir mit freudigem Entzücken:
Ich seh nicht fern ein tröstend Bild,
hoch fliegen seh ich Deines Schicksals Sterne,
und meine schönsten Träume sind erfüllt!
Und nun dem hohen Wiegenfeste
ein Wort zu sagen hab ich noch:
Hoch möge der Geburtstag leben,
hoch, immer höher, ewig hoch!
Hoch! Hoch! Hoch!



〈AN DIE MUTTER〉
〈Zu ihrem Geburtstage am 4. Mai 1890〉



Hoch!

dem Geburtsfeste.

Wünsche, die im Herzensgrunde
längst getagt im Sonnenschein,
tönen nun aus meinem Munde,
teures Herz, Dich zu erfreun.
Des Vertumnus reiche Gaben
aus Fortunas goldnem Horn
sollen Dich in Segen laben
als ein unerschöpflich Born.
Freude winke Dir entgegen,
Freude kehr Dir stets zurück,
wo Du gehst auf allen Wegen
blühe Dir das reinste Glück.
Lange noch in Glück und Frieden
fliehe Dir die schnelle Zeit,
sei das Höchste Dir beschieden:
»Himmlische Zufriedenheit«.
Freude mög Dich stets begleiten,
Liebe soll dein Führer sein,
Treue Dir den Weg bereiten,
überall Dich zu erfreun! –
Höre meiner Wünsche Worte,
höre sie geduldig an;
denn sie haben Dir die Pforte
Deines Glückes aufgetan.
Einfach zwar die Worte klingen,
schmucklos ohne Zier und Glanz,
doch weil sie dem Herz entspringen,
ist gar blumenreich ihr Kranz.
Nun will ich nicht weiter keuchen,
sonst hörst Du mich gar nicht an:
»’s ist ein Lied, das Stein’ erweichen,
Menschen rasend machen kann«.
Doch ich wünsch Dir ja das Beste,
höre nur mein Flehen an;
zu dem hohen Wiegenfeste
was nur geht hab ich getan!
Nun, ein Leben solls heut werden
wie in des Olympos Höhn,
wie bisher auf unsrer Erden
noch kein Sterblicher gesehn.
Doch etwas muß ich Dir noch sagen,
eh ich die Zeilen Dir übergieb,
Du brauchst nicht weiter zu erfragen:
Kannst’s glauben, hab Dich riesig lieb.

Hoch! Hoch! Hoch!



〈AN DEN VATER〉
〈Zu seinem Geburtstage, dem 25. September 1891〉



Teuerster Papa!

Zu diesem Feste sieh mich vor Dich treten,
der Du von meiner ersten Stunde an
für mich gesorgt, in Freude und in Nöten,
laß mich recht herzens-innig für Dich beten
zu dem, der alles Gute senden kann!




Ein Lenz des Schaffens sei Dein ganzes Leben
allüberall der strengen Pflicht geweiht –
in stetem Fleiße unermüdlich weben,
das läßt den Geist zu goldnen Höhen schweben,

macht ihn erhaben über Raum und Zeit.



Und dennoch siehst du klar in all die Tänze
des leichten Lebens offnen Blicks hinein:
Die Menschheit freuet sich der muntern Lenze,
da forsche wohl, wie sehr ein Ding oft glänze,

ob etwas berget dieser äußre Schein?



Du ließest mir so manches Edle lehren,
führst mich den Weg zur Wissenschaft hinan;
wie könnt ich also Dich nicht liebend ehren,
laß mich zur Fahne reiner Wahrheit schwören:

Ich wills vergelten Dir – als Mann.



Ich will bei meiner Arbeit emsig walten
auf daß es wahr, bis ich Dich wiederseh:
Durch Fleiß und Mühe kann sich viel entfalten;
was er versprach, das wird Dir ewig halten –

in treuer Lieb Dein dankbarer René.



Das scheucht den Kummer, dann wird bange
mir nimmermehr vor einer Klag;
Gott geb, daß bei demselben Klange
ich noch viel Jahre folg dem Drange

zu grüßen diesen schönen Tag! –



GLAUBENSBEKENNTNIS
2. April 1893



Ihr lippenfrommen Christen
nennt mich den Atheisten
und flieht aus meiner Näh’,
weil ich nicht wie ihr alle
betöret in der Falle
des Christentumes geh.



Ich weiß es, eure Lehren,
die wissen zu bekehren,
die machen fromm und – dumm.
Denn nur damit ihr sündigt,
hat man euch einst verkündigt
das Evangelium.



Und eure Priester sorgen,
daß heute oder morgen
euch nicht mehr Klarheit wird.
Wacht mit Gesetz und Strafe
doch über seine Schafe
der ›unfehlbare‹ Hirt.



O! heil’ger weiser Vater,
der du des Herrn Berater

auf dieser Erde bist,

Du bist der erste Sünder –
verzeih, ich sags gelinder:
du bist der erste Christ.



Und deine Lämmer lehren:
Die Dreiheit sollt ihr ehren
jetzt und in Ewigkeit.
(Füllt nur den Opferkasten, –
dann seid ihr von den Lasten
der Schulden bald befreit.)



Die Schafe folgen alle,
sobald mit lautem Schalle
die Kirchenglocke hallt; –
sie fühlen sich entschädigt,
wenn nur der Pfaff die Predigt
verschlafen niederlallt.



Der spricht von Tod und Ende, . . .
sie falten ihre Hände
und weinen sich halb blind.
Dann murmeln sie ein: Amen,
und gehn … in Gottes Namen, –
wie glücklich sie doch sind! –



Sie sind ja doch gereinigt
und werden nie gepeinigt
von Fegefeuerglut.
Christ ist für sie gestorben,
hat ihnen Heil erworben
durch sein geheiligt Blut.



Er lehrte sie dies Leben
und alles – hinzugeben
wie er, – der Menschensohn.
Einst würd’ in andern Welten
Gott Vater es vergelten
mit seinem höchstem Lohn! …



»Du wirst dann untergehen«,
ruft ihr, »nicht auferstehen,
wenn die Posaune gellt!«
» »Habt Dank, – ich bleibe liegen,
ich lasse mir’s genügen
an dieser einen Welt. –



Ich glaub an eine Lehre,
von der man sagt, sie wäre
auf Erden selbst sich Lohn.
Die Lehre, die ich übe,
die Lehre heißt die Liebe,
sie ist mir Religion. « «



〈CHRISTUS AM KREUZ〉
〈Ende 1893〉



Noch hatten kaum die Fernen sich gelichtet,
so war ich schon der Stadt entflohn und ging
durch frische Aun. – Dort stand ein Kreuz errichtet,
ein schlichtes Holzkreuz. An dem Kreuze hing
ein Christus dort. Nur schlecht und schlicht bemalet
mit greller Farbe – nicht von Künstlerhand.
Er sah vom Licht des jungen Tags bestrahlet
erbärmlich aus. Doch unweit von mir stand
ein armes Weib. Zwei Kinder ihr zur Seite –
gebetvertieft. Die kannten wohl die Not.
Noch hörte ich die Worte: »Gieb uns heute« –
– die Kleinen sprachens mit – »das täglich Brot. « –
Wer könnte denen diese Hoffnung rauben,
die durch das karge Leben knospend bricht!
Es lag in ihren Blicken so viel Glauben,
in ihren Worten so viel Zuversicht.
Dort eilten sie nun wohl zum Tageswerke
in schnellem Schritte. Das Gebet verlieh
den arbeitsmüden Gliedern neue Stärke . . . . .
Da schien es mir – als müßt ich neiden sie.
Still stand ich da, das Auge voll von Tränen,
das arme Herz zwiespältiger Zweifel voll.
Und da vor meinen Augen sah ich jenen,
zu dem sie flehten, daß er helfen soll. –
Was konnte ich nicht beten? warum schaute
ich immer nur das bunte Blech – nicht mehr? . . . .
Er war ein Mensch, wie ich, – doch er vertraute
auf seine eigne Stärke allzusehr. –
Er war ja groß – er hatte edle Ziele
sich vorgesteckt. Doch eines macht ihn klein:
daß er im Übermaße der Gefühle
verleugnete ein schlichter Mensch zu sein …
Gerade damals, als auf tausend Wegen
sich in der Welt verbreitet seine Macht,
da hätt er wohl mit Stolze sagen mögen:
Ich bin ein Mensch, ein Mensch, der dies vollbracht.
Doch da erwachte in ihm das Begehren,
geehrt zu sein, das Vieler Größe beugt, –
er wollte, daß von goldenen Altären
für ihn der Rauch einst in die Lüfte steigt.
Er wollte nicht als Mensch verehret werden, –
nein, lieber trug er Schande, Schmach und Spott, –
nein, lieber wollte leiden er und sterben,
am Kreuze sterben, – aber doch – als Gott.
Nun ist mirs klar, warum ich ihn nicht lieben
noch achten kann, und kein Gebet ihm weihn:
Er wär als Mensch so göttlich groß geblieben,
und nun als Gott erscheint er menschlich klein! –
Ich sah empor, wo mit verdrehten Blicken
das bunte Bild am schlichten Kreuze hing.
Längst war es Tag – ich drehte ihm den Rücken
und trocknete die Tränen mir – – – und ging . . . . .



〈AN VALERIE VON DAVID-RHONFELD〉
〈5. August 1894〉



Du warst nie so, wie jene andern waren –
erwäge, ob es Lob – ob’s Tadel sei.
Von Vorurteil und niederm Denken frei,
war niemals noch dein Weg der Weg der Scharen.



Du bist so stark. Du scheutest nicht Gefahren
und konntest stolz auch in des Lebens Strom
das heilge weiheduftige Arom
des edlen reinen Herzens dir bewahren.



Dein süßer Kuß, der Duft, der deinen Haaren
entströmt, betäubt mich und berauscht mich schier;
doch erst dein dunkles Auge konnte mir
das Rätsel deines Wesens offenbaren.



In schweren Stunden hab ich es erfahren
und unauslöschlich hab ichs eingeprägt
in dieses Herz – das dir für ewig schlägt:
Du warst nie so wie jene andern waren.



* (René ist Hannibal, Feldherr der Karthager)

LARENOPFER

(1895)

IM ALTEN HAUSE



Im alten Hause; vor mir frei
seh ich ganz Prag in weiter Runde;
tief unten geht die Dämmerstunde
mit lautlos leisem Schritt vorbei.



Die Stadt verschwimmt wie hinter Glas.
Nur hoch, wie ein behelmter Hüne,
ragt klar vor mir die grünspangrüne
Turmkuppel von Sankt Nikolas.



Schon blinzelt da und dort ein Licht
fern auf im schwülen Stadtgebrause. –
Mir ist, daß in dem alten Hause
jetzt eine Stimme ›Amen‹ spricht.



AUF DER KLEINSEITE



Alte Häuser, steilgegiebelt,
hohe Türme voll Gebimmel, –
in die engen Höfe liebelt
nur ein winzig Stückchen Himmel.



Und auf jedem Treppenpflocke
müde lächelnd – Amoretten;
hoch am Dache um barocke
Vasen rieseln Rosenketten.



Spinnverwoben ist die Pforte
dort. Verstohlen liest die Sonne
die geheimnisvollen Worte
unter einer Steinmadonne.



EIN ADELSHAUS



Das Adelshaus mit seiner breiten Rampe:
wie schön will mir sein grauer Glast erscheinen.
Der Gangsteig mit den schlechten Pflastersteinen
und dort, am Eck, die trübe, fette Lampe.



Auf einer Fensterbrüstung nickt ein Tauber,
als wollt er durch den Stoff des Vorhangs gucken;
und Schwalben wohnen in des Torgangs Lucken:
das nenn ich Stimmung, ja, das nenn ich – Zauber.



DER HRADSCHIN



Schau so gerne die verwetterte
Stirn der alten Hofburg an;
schon der Blick des Kindes kletterte
dort hinan.



Und es grüßen selbst die eiligen
Moldauwellen den Hradschin,
von der Brücke sehn die Heiligen
ernst auf ihn.



Und die Türme schaun, die neueren,
alle zu des Veitsturms Knauf
wie die Kinderschar zum teueren
Vater auf.



BEI ST. VEIT



Gern steh ich vor dem alten Dom;
wie Moder weht es dort, wie Fäule,
und jedes Fenster, jede Säule
spricht noch ihr eignes Idiom.



Da hockt ein reichgeschnörkelt Haus
und lächelt Rokoko-Erotik,
und hart daneben streckt die Gotik
die dürren Hände betend aus.



Jetzt wird mir klar der casus rei;
ein Gleichnis ists aus alten Zeiten:
der Herr Abbé hier – ihm zuseiten
die Dame des roi soleil.



IM DOME



Wie von Steinen rings, von Erzen
weit der Wände Wölbung funkelt,
eine Heilge, braungedunkelt,
dämmert hinter trüben Kerzen.



Von der Decke, rundgemauert,
schwebt ob eines Engels Kopfe
hell ein weißer Silbertropfe,
drin ein ewig Lichtlein kauert.



Und im Eck, wo Goldgeglaste
niederhangt in staubgen Klumpen,
steht in Schmutz gehüllt und Lumpen
still ein Kind der Bettlerkaste.



Von dem ganzen Glanze floß ihm
in die Brust kein Fünkchen Segen …
Zitternd, matt, streckts mir entgegen
seine Hand mit leisem: »Prosim!«



IN DER KAPELLE ST. WENZELS



Alle Wände in der Halle
voll des Prachtgesteins; wer wüßte
sie zu nennen: Bergkristalle,
Rauchtopase, Amethyste.



Zauberhell wie ein Mirakel
glänzt der Raum im Lichtgetänzel,
unterm goldnen Tabernakel
ruht der Staub des heilgen Wenzel.



Ganz von Leuchten bis zum Scheitel
ist die Kuppel voll, die hohle;
und der Goldglast sieht sich eitel
in die gelben Karneole.



VOM LUGAUS



Dort seh ich Türme, kuppig bald wie Eicheln
und jene wieder spitz wie schlanke Birnen;
dort liegt die Stadt; an ihre tausend Stirnen
schmiegt sich der Abend schon mit leisem Schmeicheln.



Weit streckt sie ihren schwarzen Leib. Ganz hinten,
sieh, St. Mariens Doppeltürme blitzen.
Ists nicht: sie saugte durch zwei Fühlerspitzen
in sich des Himmels violette Tinten?



DER BAU
(1)



Die moderne Bauschablone
will mir wahrlich gar nicht passen.
Hier, dies alte Haus darf fassen
reiche, weite Steinterrassen,

kleine, heimliche Balkone.



Und die weitgewölbten Decken,
die so günstig sind den Lauten,
Nischen rings, die eingebauten,
draus die Arme sich der trauten

Dämmrung dir entgegenstrecken.



Alle Mauern breiter, stärker
und aus echten Quaderkernen; –
traun, das Gruseln könnt ich lernen,
seh ich auf die Zinskasernen

aus dem kleinen, stillen Erker.



IM STÜBCHEN
(2)



Traut ists, wenn verstohlen heulen
im Kamine wilde Winde,
in der Stube; ganz gelinde
tickt auf dem barocken Spinde

fort die Stockuhr mit den Säulen.



Dort, die kleine Silhouette
zeigt die alte Tracht der Locken,
tief im Fenster steht ein Rocken,
und vergeßne Töne stocken

im verlassenen Spinette.



Immer noch liegt die Postille,
daß an ihrem Geist erfrische
jung und alt sich, auf dem Tische,
und der Spruch ob jener Nische

lautet: ›Es gescheh Dein Wille … ‹



ZAUBER
(3)



Oft seh ich die heimliche Stube belebt,
so lebhaft erzählen die Wände;
ein liebliches Mädchen, halb Kind noch, hebt
dort zu der Madonna die Hände.



Ein tüchtiger Junge beim Vater steht,
der viel zu des Hauses Gewinn tat.
An huben sie flüsternd das Abendgebet,
und Mutter läßt ruhen das Spinnrad.



Da deucht mich, es wird wohl das Auge naß
sogar der Madonne im Rahmen.
Ich lausche: – Laut von des Vaters Baß
ertönt das versöhnende: »Amen«.



EIN ANDERES
(4)



Naht der Sohn mit schwerem Schritt
seinem Vater. Schwer die Zunge …
»Wirklich, was, ein Bräutchen, Junge?!
Vorwärts, nur herein damit!«



Und da steht zum ersten Mal
jetzt das Mädchen rot und stille;
und der Vater putzt die Brille:
»Teufel! Gut war deine Wahl!«



Und er streckt die Arme aus,
und das Bräutchen nimmt verlegen
seinen Kuß und seinen Segen …
Davon weiß das alte Haus.



NOCH EINES
(5)



Auch dem blonden Kinde kam es
in sein Herz, sein waldseereines,
wie das dunkle Ahnen eines
großen Glückes oder Grames.



Und die Mutter ließ das Rädchen
stocken. – »Kind, was macht dich leiden?«
Stürmisch schluchzend schwieg das Mädchen:
doch verstanden sich die beiden.



Kurz darauf: Am Pförtchen pochte
junger Herr. – »Wollt ihr euch?« – Pause. –
Ob! – Wer da noch fragen mochte!? –
So geschahs im alten Hause.



UND DAS LETZTE
(6)



Still heut die Stube. – Weiß wie Kalk
ist Frauchens Antlitz. Müd und lustlos
ihr feuchtes Auge; halb bewußtlos
lehnt sie bei Vaters Katafalk.



Zuseiten ihr der Gatte kann
sie trösten mehr in keiner Weise;
nun faßt er ihre Hände leise
und sieht sie ernst und bittend an.



»Mein Mütterchen, nimm diesen Strauß!«
tönt türher hell das Wort des Kleinen;
da glimmt ein Lächeln durch ihr Weinen,
und Trost geht durch das alte Haus.



IM ERKERSTÜBCHEN
(7)



Nicht zu sehn das Alltagstreiben,
flieh ich – wie wenn ich ein Strauß wär –
in das alte, alte Haus her;
lang dann seh ich nicht hinaus mehr

durch die breit verbleiten Scheiben.



Schlichtheit war der Väter Aussaat,
Glück die Frucht, die sie gefunden;
sitz so träumend manche Stunden
dort im Polsterstuhl, im runden,

mitten in Urväterhausrat.



DER NOVEMBER TAG



Kalter Herbst vermag den Tag zu knebeln,
seine tausend Jubelstimmen schweigen;
hoch vom Domturm wimmern gar so eigen
Sterbeglocken in Novembernebeln.



Auf den nassen Dächern liegt verschlafen
weißes Dunstlicht; und mit kalten Händen
greift der Sturm in des Kamines Wänden
eines Totenkarmens Schlußoktaven.



IM STRASSENKAPELLCHEN



Bei St. Loretto da brennt ein Licht
vorm Bilde im Straßenkapellchen;
und um das Wandbild schmiegen sich dicht
Blechblumen mit farbigen Kelchen.



Die Heiligen machen ein übel Gesicht;
denn der Sturmwind, der hastige Knab, hat
nicht Achtung für sie; bei Loretto das Licht
schaut fromm in den dämmernden Sabbat.



DAS KLOSTER



Im Dämmerdustgeschwel
ist schon die Stadt zerronnen,
hoch steht das Haus der Nonnen
des Ordens vom Karmel.



Der Abend hüpft hangab
vorbei mit Feuergarben
und windet tausend Farben
um jeden Fensterstab.



Er schmückt das düstre Haus
umsonst mit Lichtgeglänze:
so sehen frische Kränze
auf Leichensteinen aus.



BEI DEN KAPUZINERN



Es hat der Pater Guardian
vom Klosterschnaps mir angeboten;
ich kenn ihn schon, den dunkelroten,
der alle Toten wecken kann.



Der Pater sucht den Schlüssel, klein,
dort, wo des Sacktuchs Zipfe blauten,
und holt den Schatz, den selbstgebrauten,
hervor aus dem Reliquienschrein.



Und wie er einschenkt, lacht er feist
und spricht: »Zu Staub sind die Gebeine,
die einstens ruhten in dem Schreine,
doch uns erhalten blieb – – – der Geist!«



ABEND



Einsam hinterm letzten Haus
geht die rote Sonne schlafen,
und in ernste Schlußoktaven
klingt des Tages Jubel aus.



Lose Lichter haschen spät
noch sich auf den Dächerkanten,
wenn die Nacht schon Diamanten
in die blauen Fernen sät.



JAR. VRCHLICKÝ



Ich lehn im Armstuhl, im bequemen,
wo oft ich Ungemach vergaß,
müd nicken krause Chrysanthemen
im hohen Venezianerglas.



Ich las in einem Band Gedichte
gar lange; wie die Zeit entschwand!
Jetzt erst im Abenddämmerlichte
leg ich sie selig aus der Hand.



Mir ist, von göttlichen Problemen
hätt ich die Lösung jetzt erlauscht, –
hat mich der Hauch der Chrysanthemen,
hat mich Vrchlickýs Buch berauscht?



IM KREUZGANG VON LORETTO



Still ist es in dem Kreuzgang, in dem alten,
wo über krausen Säulenarabesken
herniederschaun aus halbverwischten Fresken
geheimnisvolle Heiligengestalten.



Wo eine Wachsmadonna, die man zeiht
so manchen gnadenvollen Heilmirakels,
prangt hinterm grauen Glas des Tabernakels
im silberübersäten Seidenkleid.



Spannt über Blättergold Spätsommerhaar
sich draußen auch im Klosterhof Lorettos, –
vor einem Bild im Stile Tintorettos
steht selig still ein junges Liebespaar.



DER JUNGE BILDNER



Ich muß nach Rom; in unser Städtchen
kehr ich aufs Jahr mit Ruhm zurück;
nicht weinen; sieh, geliebtes Mädchen,
ich mach in Rom mein Meisterstück.



Er sprachs; dann zog er fort im Rausche
durch jene Welt, die er erhofft;
doch war ihm, seine Seele lausche
auf einen innern Vorwurf oft.



Die Unrast trieb ihn heim, die arge:
Er bildete mit nassem Blick
sein armes, fahles Lieb im Sarge,
und das – das war sein Meisterstück.



FRÜHLING



Die Vögel jubeln – lichtgeweckt –,
die blauen Weiten füllt der Schall aus;
im Kaiserpark das alte Ballhaus
ist ganz mit Blüten überdeckt.



Die Sonne schreibt sich hoffnungsvoll
ins junge Gras mit großen Lettern.
Nur dorten unter welken Blättern
seufzt traurig noch ein Steinapoll.



Da naht ein Lüftchen, fegt im Tanz
hinweg das gelbe Blattgeranke
und legt um seine Stirn, die blanke,
den blauenden Syringenkranz.



LAND UND VOLK



… Gott war guter Laune. Geizen
ist doch wohl nicht seine Art;
und er lächelte: da ward
Böhmen, reich an tausend Reizen.



Wie erstarrtes Licht liegt Weizen
zwischen Bergen, waldbehaart,
und der Baum, den dichtgeschart
Früchte drücken, fordert Spreizen.



Gott gab Hütten; voll von Schafen
Ställe; und der Dirne klafft

vor Gesundheit fast das Mieder.




Gab den Burschen all, den braven,
in die rauhe Faust die Kraft,

in das Herz – die Heimatlieder.



DER ENGEL



Hin geh ich durch die Malvasinka
die Kinderreih, wo sanft und gut
die kleine Anka oder Ninka
in ihrem letzten Bettchen ruht.



Auf einem schmalen Schollenhügel
kniet, ganz versteckt in hohem Mohn,
mit staubigem, gebrochnem Flügel
ein Engelchen aus rohem Ton.



Das flügellahme Kindchen flößte
mir Mitleid ein, – das arme Ding …
Da, sieh! Von seinen Lippen löste
sich leicht ein kleiner Schmetterling. –



ALLERSEELEN



I

Rings liegt der Tag von Allerseelen
voll Wehmut und voll Blütenduft,
und hundert bunte Lichter schwelen
vom Feld des Friedens in die Luft.



Sie senden Palmen heut und Rosen;
der Gärtner ordnet sie mit Sinn –
und kehrt zum Eck der Glaubenslosen
die alten, welken Blumen hin.



II

»Jetzt beten, Willy, – und nicht reden!«
Mit großem Aug gehorcht der Knab.
Der Vater legt den Kranz Reseden
auf seines armen Weibes Grab.



»Die Mutter schläft hier! Mach ein Kreuz nun!«
Klein-Willy sieht empor und macht
wie ihm befohlen. Ach, ihn reuts nun,
daß er am Weg heraus gelacht!



Es sticht im Auge ihn – wie Weinen …
Dann gehn sie heimwärts durch die Nacht;
ganz ernst und stumm. Da lockt den Kleinen
beim Ausgang jäh der Buden Pracht.



Es blinkt durch den Novembernebel
herüber lichtbeglänzter Tand;
er sieht dort Pferdchen, Helme, Säbel
und küßt dem Vater leis die Hand.



Und der versteht. Dann gehn sie weiter …
Der Vater sieht so traurig aus. –
Doch einen Pfefferkuchenreiter
schleppt Willy selig sich nach Haus.



BEI NACHT



Weit über Prag ist riesengroß
der Kelch der Nacht schon aufgegangen;
der Sonnenfalter barg sein Prangen
in ihrem kühlen Blütenschoß.



Hoch grinst der Mond, der schlaue Gnom,
und neckend streut er das Gesträhne
der weißen Silberhobelspäne
hernieder in den Moldaustrom.



Da plötzlich, wie beleidigt, hat
zurückgerufen er die Strahlen,
weil er gewahr ward des Rivalen:
der Turmuhr helles Stundenblatt.



ABEND



Der Abend naht. – Die klare Zone
der Stirne schmückt ein goldner Reifen,
und tausend Schattenhände greifen
verstohlen nach der roten Krone.



Die ersten, blassen Sterne liebeln
ihm zu; er steht hoch am Hradschine
und schaut mit ernster Träumermiene
die Türme und die grauen Giebeln.



AUF DEM WOLSCHAN

Am Abend des Tages von Allerseelen



I

Die dürren Äste übergittern
des Himmels abendblasse Scheiben;
und über Grüfte, reich mit Flittern
geschmückt, geht Wehmut, und es zittern

die Lichter durch das Blättertreiben.



Im müden Blau, im regungslosen,
schwimmt fern der Mond. Die Lebensbäume,
die seine blanke Stirne kosen,
sind schwarz. Der Duft von welken Rosen

schleicht her wie Geister toter Träume.



II

Ferner Lärm vom Wagendamm. –
Hier keimt Friede und Vergessen,
zwischen zweien Grabzypressen
hangt der Mond wie ein Tam-Tam.



Schlägt die Ewigkeit nicht sacht
jetzt daran mit schwarzem Schwengel?
Bange schaut ein Marmorengel
in das Aug der Spätherbstnacht.



WINTER MORGEN



Der Wasserfall ist eingefroren,
die Dohlen hocken hart am Teich.
Mein schönes Lieb hat rote Ohren
und sinnt auf einen Schelmenstreich.



Die Sonne küßt uns. Traumverloren
schwimmt im Geäst ein Klang in Moll;
und wir gehn fürder, alle Poren
vom Kraftarom des Morgens voll.



BRUNNEN



Ganz verschollen ist die alte,
holde Brunnenpoesie,
da aus Tritons Muschelspalte
eine klare Quelle lallte,

die den Gassen Sprache lieh.



Abends bei dem Röhrenkasten
sammelte sich Paar um Paar,
weil der Quelle lieblich Glasten
und ihr Laut der tiefgefaßten

Neigung süßes Omen war.



Aber als durch Menschenmühn dann
Wasser treppenaufwärts stieg
und kein Paar kam: Misogyn dann
ward der Gott; es schlich sich Grünspan

in die Muschel, – und er schwieg.



SPHINX



Sie fanden sie, den Schädel halb zerschlagen,
in starrer Hand das heiße Rohr von Stahl.
Die Menge gaffte. – Bis der Rettungswagen
sie brachte in das gelbe Stadtspital.



Nur einmal hat das Aug sie aufgeschlagen …
Kein Brief, kein Name, nur ein Kleid, ein Schal;
dann kam der Arzt mit seinem leisen Fragen
und dann der Priester. – Sie blieb stumm und fahl.



Doch spät bei Nacht, da wollt sie etwas sagen,
gestehn … Doch niemand hörte sie im Saal.
Ein Röcheln. – Dann ward sie herausgetragen,
sie und ihr Schmerz. –

Und draußen steht kein Mal.



TRÄUME



Es kommt die Nacht, reich mit Geschmeiden
geschmückt des blauen Kleides Saum; –
sie reicht mir mild mit ihren beiden
Madonnenhänden einen Traum.



Dann geht sie, ihre Pflicht zu üben,
hinfort die Stadt mit leisem Schritt
und nimmt, als Sold des Traumes, drüben
des kranken Kindes Seele mit.



MAITAG



Still! – Ich hör, wie an Geländen
leicht der Wind vorüberhüpft,
wie die Sonne Strahlenenden
an Syringendolden knüpft.



Stille rings. Nur ein geblähter
Frosch hält eine Mückenjagd,
und ein Käfer schwimmt im Äther,
ein lebendiger Smaragd.



Im Geäst spinnt Silberrhomben
Mutter Spinne Zoll um Zoll,
und von Blütenhekatomben
hat die Welt die Hände voll.



KÖNIG ABEND



Wie König Balthasar einst nahte,
die Stirn vom Kronenreif erhellt,
so tritt im purpurnen Ornate
der König Abend in die Welt.



Der erste Stern führt ihn wie jenen
bis an den fernsten Hügelsaum;
dort findet Mutter Nacht er lehnen
mit ihrem Kind im Arm, dem Traum.



Dem bringt er just wie jener Weise
des Orients das Gold, gehäuft, –
das Gold, das uns der Knabe leise
erlösend in den Schlummer träuft.



AN DER ECKE



Der Winter kommt und mit ihm meine Alte,
die an der Ecke stets Kastanien briet.
Ihr Antlitz schaut aus einer Tücherspalte
froh und gesund, ob Falte auch bei Falte

seit vielen Jahren es durchzieht.



Und tüchtig ist sie, ja, das will ich meinen;
die Tüten müssen rein sein, und das Licht
an ihrem Stand muß immer helle scheinen,
und von dem Ofen mit den krummen Beinen

verlangt sie streng die heiße Pflicht.



So trefflich schmort auch keine die Maroni.
Dabei bemerkt sie, wer des Weges zieht,
und alle kennt sie – bis zum Tramwaypony;
sie treibts ja Jahre schon, die alte Toni …

Und leise summt ihr Herd sein Lied.



HEILIGE



Große Heilige und kleine
feiert jegliche Gemeine;
hölzern und von Steine feine,
große Heilige und kleine.



Heilge Annen und Kathrinen,
die im Traum erschienen ihnen,
baun sie sich und dienen ihnen,
heilgen Annen und Kathrinen.



Wenzel laß ich auch noch gelten,
weil sie selten ihn bestellten;
denn zu viele gelten selten –
nun, Sankt Wenzel laß ich gelten.



Aber diese Nepomucken!
Von des Torgangs Lucken gucken
und auf allen Brucken spucken
lauter, lauter Nepomucken!



DAS ARME KIND



Ich weiß ein Mädchen, eingefallen
die Wangen. – War ein leichtes Tuch
die Mutter; und des Vaters Fluch
fiel in ihr erstes Lallen.



Die Armut blieb ihr treu die Jahre,
und Hunger war ihr Angebind;
so ward sie ernst. – Das Lenzgold rinnt
umsonst in ihre Haare.



Sie schaut die lächelnden Gesichter
der Blumen traurig an im Hag
und denkt: der Allerseelentag
hat Blüten auch und Lichter.



WENNS FRÜHLING WIRD



Die ersten5 Keime sind, die zarten,
im goldnen Schimmer aufgesprossen;

schon sind die ersten der Karossen

im Baumgarten.



Die Wandervögel wieder scharten
zusamm sich an der alten Stelle,

und bald stimmt ein auch die Kapelle

im Baumgarten.



Der Lenzwind plauscht in neuen Arten
die alten, wundersamen Märchen,

und draußen träumt das erste Pärchen

im Baumgarten.



ALS ICH DIE UNIVERSITÄT BEZOG



Ich seh zurück, wie Jahr um Jahr
so müheschwer vorüberrollte;
nun endlich bin ich, was ich wollte
und was ich strebte: ein Skolar.



Erst ›Recht‹ studieren war mein Plan;
doch meine leichte Laune schreckten
die strengen, staubigen Pandekten,
und also ward der Plan zum Wahn.



Theologie verbot mein Lieb,
konnt mich auf Medizin nicht werfen,
so daß für meine schwachen Nerven
nichts als – Philosophieren blieb.



Die Alma mater reicht mir dar
der freien Künste Prachtregister, –
und bring ichs nie auch zum Magister,
bin was ich strebte: ein Skolar.



SUPERAVIT



Nie kann ganz die Spur verlaufen
einer starken Tat; dies lehrt
zu Konstanz der Scheiterhaufen;
denn aus tausend Feuertaufen

steigt der Hochgeist unversehrt.



Bis zu uns her ungeheuer
ragt der Reformator Hus,
fürchten wir der Lehre Feuer,
neigen wir uns doch in scheuer

Ehrfurcht vor dem Genius.



Der, den das Gericht verdammte,
war im Herzen, tief und rein,
überzeugt von seinem Amte, –
und der hohe Holzstoß flammte

seines Ruhmes Strahlenschein.



TROTZDEM



Manchmal vom Regal der Wand
hol ich meinen Schopenhauer,
einen ›Kerker voller Trauer‹
hat er dieses Sein genannt.



So er recht hat, ich verlor
nichts: in Kerkereinsamkeiten
weck ich meiner Seele Saiten
glücklich wie einst Dalibor.



HERBSTSTIMMUNG



Die Luft ist lau, wie in dem Sterbezimmer,
an dessen Türe schon der Tod steht still;
auf nassen Dächern liegt ein blasser Schimmer,
wie der der Kerze, die verlöschen will.



Das Regenwasser röchelt in den Rinnen,
der matte Wind hält Blätterleichenschau; –
und wie ein Schwarm gescheuchter Bekassinen
ziehn bang die kleinen Wolken durch das Grau.



AN JULIUS ZEYER



Du bist ein Meister; – früher oder später
spannt sich dein Volk in deinen Siegeswagen;
du preisest seine Art und seine Sagen, –
aus deinen Liedern weht der Heimat Äther.



Dein Volk tut recht, – nicht, voll von wahngeblähter
Vergangenheit, die Hand im Schoß zu tragen,
es kämpft noch heut und muß sich tüchtig schlagen,
stolz auf sich selbst und stolz auf seine Väter.



Es hat dein Volk sich seine Ideale
noch nicht versetzen lassen zu den Sternen,

die unerreichbar sind und Sehnsucht glasten;



du aber mahnst, ein echter Orientale,
es möge in dem Ringen nicht verlernen

auch im Alhambrahof die Kunst zu rasten.



DER TRÄUMER



I

Es war ein Traum in meiner Seele tief.
Ich horchte auf den holden Traum:
ich schlief.
Just ging ein Glück vorüber, als ich schlief,
und wie ich träumte, hört ich nicht:
es rief.



II

Träume scheinen mir wie Orchideen. –
So wie jene sind sie bunt und reich.
Aus dem Riesenstamm der Lebenssäfte
ziehn sie just wie jene ihre Kräfte,
brüsten sich mit dem ersaugten Blute,
freuen in der flüchtigen Minute,
in der nächsten sind sie tot und bleich. –
Und wenn Welten oben leise gehen,
fühlst du’s dann nicht wie von Düften wehen?
Träume scheinen mir wie Orchideen. –



DIE MUTTER



Aufwärts die Theaterrampe
rollen dröhnend die Karossen,
abseits unter trüber Lampe
steht ein altes Weib verdrossen.



Nur wenn jäh ein Hengst mal scheute,
wars, daß sie zusammenschrecke;
niemand aus dem Strom der Leute
sieht die Alte in der Ecke.



An die neue ›Größe‹ dachte,
von ihr sprach man nur. – Die Güte
eines Grafen, hieß es, brachte
herrlich ihr Talent zur Blüte.



Später. Jubelstürme hallten
in den Schlußklang der Trompeten …
Aber draußen kams der Alten,
heimlich für ihr Kind zu beten.



UNSER ABENDGANG



Gedenkst du noch, wie guter Dinge
wir wallten durch das Nusler Tal;
zwei kleine, blaue Schmetterlinge
verflatterten im Abendstrahl.



Am Häuschen lehnte die Melone
dort – wie auf einem Bilde Dows,
und herrlich mit der Kuppelkrone
hob sich das Haupt des Karlshofs.



Im West war noch der Weizen golden,
blaugrün verdämmerte der Kohl;
die ersten weißen Sternendolden
umzitterten den Himmelspol.



KAJETAN TÝL
Bei Betrachtung seines Zimmerchens, das auf der böhmischen ethnographischen Ausstellung zusammengestellt war



Da also hat der arme Týl
sein Lied »Kde domov muj« geschrieben.
In Wahrheit: Wen die Musen lieben,
dem gibt das Leben nicht zuviel.



Ein Stübchen – nicht zu klein dem Flug
des Geistes; nicht zu groß zur Ruhe. –
Ein Stuhl, als Schreibtisch eine Truhe,
ein Bett, ein Holzkreuz und ein Krug.



Doch wär er nicht für tausend Louis
von Böhmen fort. Mit jeder Fiber
hing er daran. – »Ich bleibe lieber«,
hätt er gesagt, »kde domov muj. «



VOLKSWEISE



Mich rührt so sehr
böhmischen Volkes Weise,
schleicht sie ins Herz sich leise,
macht sie es schwer.



Wenn ein Kind sacht
singt beim Kartoffeljäten,
klingt dir sein Lied im späten
Traum noch der Nacht.



Magst du auch sein
weit über Land gefahren,
fällt es dir doch nach Jahren
stets wieder ein.



DAS VOLKSLIED

Nach einer Kartonskizze des Herrn Liebscher



Es legt dem Burschen auf die Stirne
die Hand der Genius so lind,
daß mit des Liedes Silberzwirne
er seiner Liebsten Herz umspinnt.



Da mag der Bursch sich süß erinnern,
was aus der Mutter Mund ihm scholl,
und mit dem Klang aus seinem Innern
füllt er sich seine Fiedel voll.



Die Liebe und der Heimat Schöne
drückt ihm den Bogen in die Hand,
und leise rieseln seine Töne
wie Blütenregen in das Land.



Und große Dichter, ruhmberauschte,
dem schlichten Liede lauschen sie,
so gläubig wie das Volk einst lauschte
dem Gotteswort des Sinai.



DORFSONNTAG



Im Wirtshaus auf den blanken Dielen
schwingt sich die Jugend frisch und laut,
des Burschen Hand, so hart von Schwielen,
drückt die des blonden Mädchens traut;
bierfrohe Musikanten spielen
ein Lied aus der ›Verkauften Braut‹.



»Trinkt zu! Ich will euch heut besolden. «
Der Pfarrherr. Der liebt muntern Geist.
Und wie er nach dem Tanz die Holden
zu seinem Tische kommen heißt,
da geht der Abend draußen, golden,
und lacht durch alle Fenster dreist.



MEIN GEBURTSHAUS



Der Erinnrung ist das traute
Heim der Kindheit nicht entflohn,
wo ich Bilderbogen schaute
im blauseidenen Salon.



Wo ein Puppenkleid, mit Strähnen
dicken Silbers reich betreßt,
Glück mir war; wo heiße Tränen
mir das ›Rechnen‹ ausgepreßt.



Wo ich, einem dunklen Rufe
folgend, nach Gedichten griff,
und auf einer Fensterstufe
Tramway spielte oder Schiff.



Wo ein Mädchen stets mir winkte
drüben in dem Grafenhaus …
Der Palast, der damals blinkte,
sieht heut so verschlafen aus.



Und das blonde Kind, das lachte,
wenn der Knab ihm Küsse warf,
ist nun fort; fern ruht es sachte,
wo es nie mehr lächeln darf.



IN DUBIIS



I

Es dringt kein Laut bis her zu mir
von der Nationen wildem Streite,
ich stehe ja auf keiner Seite;
denn Recht ist weder dort noch hier.



Und weil ich nie Horaz vergaß,
bleib gut ich aller Welt und halte
mich unverbrüchlich an die alte
aurea mediocritas.



II

Der erscheint mir als der Größte,
der zu keiner Fahne schwört,
und, weil er vom Teil sich löste,
nun der ganzen Welt gehört.



Ist sein Heim die Welt; es mißt ihm
doch nicht klein der Heimat Hort;
denn das Vaterland, es ist ihm
dann sein Haus im Heimatsort.



BARBAREN



Ich weiß von einem Riesenparke
dort, wo die Stadt sich schon verliert;
jetzt nagt die Axt an seinem Marke,
sie sagen: Er wird parzelliert.



Das ist der Fürstenpark Clam-Gallas,
der Mietskasernen weichen soll,
der war doch wie ein Hain der Pallas
der raunenden Orakel voll.



Jetzt stürmen sie, die Ungeweihten,
den Ort, den kein Profaner sah:
Es übertönt der Lärm der Zeiten
das Götterwort der Pythia.



SOMMERABEND



Die große Sonne ist versprüht,
der Sommerabend liegt im Fieber,
und seine heiße Wange glüht.
Jach seufzt er auf: »Ich möchte lieber … «

Und wieder dann: »Ich bin so müd … «



Die Büsche beten Litanein,
Glühwürmchen hangt, das regungslose,
dort wie ein ewiges Licht hinein;
und eine kleine weiße Rose

trägt einen roten Heiligenschein.



GERICHTET



Am ›Ring‹ stand einst ein Blutgerüst,
lang ist es her; doch wenn der Schein
des runden Monds das Rathaus küßt,
dann wallen aus dem heilgen Teyn
Gerichtete in Geisterreihn …
Weh wer sie sah!



Viel Herren fielen auf dem Ring;
die Herren finden Ruhe nicht; –
sie zogen eines Nachts: Es ging
voran Herr Christus, groß und licht,
mit ernstem, traurigem Gesicht …
Und einer sahs!



Der war ein Maler. Und im Flug
malt er, wie er geschaut, den Ring.
Er malt den ganzen Geisterzug,
dem ernst voran Herr Christus ging.
Er malt … bis ihn ein Fieber fing …
Jetzt ist er tot. –



DAS MÄRCHEN VON DER WOLKE



Der Tag ging aus mit mildem Tone,
so wie ein Hammerschlag verklang.
Wie eine gelbe Goldmelone
lag groß der Mond im Kraut am Hang.



Ein Wölkchen wollte davon naschen,
und es gelang ihm, ein paar Zoll
des hellen Rundes zu erhaschen,
rasch kaut es sich die Bäckchen voll.



Es hielt sich lange auf der Flucht auf
und sog sich ganz mit Lichte an; –
da hob die Nacht die goldne Frucht auf:
Schwarz ward die Wolke und zerrann.



FREIHEITSKLÄNGE



Böhmens Volk! In deinen Kreisen
weckt ein neuer Genius
alte, heiße Freiheitsweisen,
und die mahnen nicht mit leisen
Worten, daß dein Fesseleisen
ganz zerschmettert werden muß.



Diese Streitpoeten blasen
lockend; und in Stücke haun
kannst du, Volk, in deinem Rasen
des Gesetzes Marmorvasen,
doch du kannst aus ihren Phrasen
keine Zukunft dir erbaun.



Tief in Herz und Sinn in treuer
Hoffnung senk die Liedersaat,
sind dir deine Dichter teuer,
daß daraus ein Lenz, ein neuer,
keime. – Was dann blieb vom Feuer,
das entflamme dich zur Tat.



NACHTBILD



Auch auf der Theaterrampe
wird es stille nach und nach. –
Eine eitle Bogenlampe
schaut sich in ein Droschkendach.



Auf dem leeren Gangsteig zucken
Lichter. – Sehn nicht dort am Haus
helle Dachmansardenlucken
wie verweinte Augen aus?



HINTER SMICHOV



Hin gehn durch heißes Abendrot
aus den Fabriken Männer, Dirnen, –
auf ihre niedern, dumpfen Stirnen
schrieb sich mit Schweiß und Ruß die Not.



Die Mienen sind verstumpft; es brach
das Auge. Schwer durchschlürft die Sohle
den Weg, und Staub zieht und Gejohle
wie das Verhängnis ihnen nach.



IM SOMMER



Im Sommer trägt ein kleiner Dampfer
auf Moldauwogen uns nach Zlichov
zu jenem Kirchlein, hoch und frei.
Im blauen Nebel schwindet Smichov; –
zur Rechten Flächen braun von Ampfer,
zur Linken stolz die ›Loreley‹.



Wir legen an; und sieh, ein Alter
begrüßt uns leiernd: »Hej, Slované!«
Am Friedhofsrand dann lehnen wir.
Hoch blaut des Himmels Prachtzyane,
und unser Träumen hebt, ein Falter,
auf Sonnenflügeln sich zu ihr.



AM KIRCHHOF ZU KÖNIGSAAL
(Aula regis)



Auf schloß das Erztor der Kustode.
Du sahst vor Blüten keine Gruft.
Der Lenz verschleierte dem Tode
das Angesicht mit Blust und Duft;
da stieg wie eine Todesode
ein Trauermantel in die Luft.



Wir sahn ihn beide und wir schwiegen …
Rings feierte Mittsommerlicht,
in den Syringen summten Fliegen. –
Da lag ein Schädel vor uns dicht;
aus seinen leeren Augen stiegen
verkümmerte Vergißmeinnicht.



VIGILIEN



I

Die falben Felder schlafen schon,
mein Herz nur wacht allein;
der Abend refft im Hafen schon
sein rotes Segel ein.



Traumselige Vigilie!
Jetzt wallt die Nacht durchs Land;
der Mond, die weiße Lilie,
blüht auf in ihrer Hand.



II

Am offnen Stubenfenster lehn ich
und träume in die Nacht hinauf;
das Mondlicht windet silbersträhnig
sich um den schwarzen Kirchturmknauf.



Sehn wenig Welten aus den Fernen
auch durch den engen Hof ins Haus, –
es füllte Licht von zehen Sternen
ein ganzes, dunkles Leben aus.



III

Horch, der Schritt der Nacht erstirbt
in der weiten Stille;
meine Schreibtischlampe zirpt
leis wie eine Grille.



Goldig auf dem Bücherstand
glühn der Bände Rücken:
zu der Fahrt ins Feenland
Pfeiler für die Brücken.



IV

Sie hat, halb Kind, einst eine Nacht
beim toten Mütterlein verbracht
und hat geweint und hat gewacht; –
dann gingen Jahre, Jahre sacht:

nie hat sie jener Nacht gedacht.



Und dann kam eine andre Nacht.
Da hat von Glut und Sünd entfacht
die rote Lippe Lust gelacht,
doch plötzlich – wie durch höhre Macht

dacht sie der Nacht der Leichenwacht.



DER LETZTE SONNENGRUSS