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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Teil 1
Der Berater heute – Leiharbeiter im Anzug
Der Reiz der Macht
Berater und ihre Rollen – die kritische Perspektive
Der Stand beim Mittelstand
Image: Die Fassade der Unnahbarkeit
Das Selbstbild des Beraters
Das Werteverständnis des klassischen Beraters
Unsicherheit: Es bewegt sich was
Der Experte frisch von der Uni
Wachsende Ansprüche der Kunden
Das Konzept, das nur entwickelt wird
Fusionen der Großen
Verschlankte Projekte
Disruption – die ständige Bedrohung
Was will der Kunde?
Chance: Identität und Werteverständnis
Werte in Unternehmen
Werte in der Beratung
Teil 2
Der Berater von übermorgen – der Mensch
Flexibler Begleiter mit Allroundblick
Nahbarkeit und Emotionalität
Die Kunst des Zuhörens
Die Wertebrille
Werte: Was sich verändern wird
Innovationen und Wertewandel
Werteveränderung durch Generationswechsel
Vom rationalen Problemlöser zum weisen Gandalf
Fenster auf: Das sagt die Zukunft
Megatrends und ihr Einfluss auf den Berater der nächsten Generation
Chancen für kleinere Unternehmensdienstleister
Neuer Typus Kunde
Vorstoß: Gründerzeit für Berater
Auf der Welle des Megatrends Konnektivität
Mit Einzigartigkeit Geschäft generieren
Pure Future
Ein typischer Berater-Tag im Jahr 2025
Anhang
Literaturverzeichnis
Anmerkungen
Die Autoren
Edgar K. Geffroy
Benjamin Schulz
Impressum

Teil 1

Der Berater heute – Leiharbeiter im Anzug

Berater sind aus unserer heutigen Wirtschaftswelt nicht mehr wegzudenken – sie werden immer gerne dann geholt, wenn eine Situation externe Unterstützung und den Blick von außen erfordert. Über viele Jahrzehnte hinweg galten Berater als »Ärzte eines Wirtschaftssystems«3, die Antworten auf Fragen versprachen, die sich auf Top-Führungsebene Tag für Tag in den Unternehmen stellten. Dort rückte dann eine Liga von Strategen an, die sich zum Teil über Wochen und Monate in bereitgestellten Räumlichkeiten einschlossen und höchstens dann mal gesehen wurden, wenn ein Toilettengang nötig oder der Kaffee ausgegangen war. Was genau hinter diesen Türen stattfand, bekam niemand so recht mit. Die Mitarbeiter eines Unternehmens verfolgten die Anwesenheit der Berater immer mit großer Skepsis bis hin zu Ablehnung, denn wenn sie wieder gingen, war meist nichts mehr wie vorher. In den Köpfen der Mitarbeiter kreisten Fragen wie: Wie schlecht steht es tatsächlich um unseren Arbeitgeber? Wird jetzt alles umstrukturiert? Werden wir jetzt alle entlassen?

Im Management dagegen empfand man die Anwesenheit der Berater als eine Art Sicherheit, denn schließlich hatte man nun jemanden im Haus, der sich mit dem Markt auskannte, der wusste, was in Zukunft passieren würde, welche Technologien eventuell von Bedeutung sein würden und was getan werden musste, um die Konkurrenz abzuhängen. Dass man unternehmerischen Erfolg nun kalkulieren und planen konnte, statt nach seinem Instinkt handeln zu müssen, schuf eine durchaus zufriedenstellende Ausgangslage. Und tatsächlich wurden Firmendaten in ihre Einzelteile zerlegt, analysiert und neu zusammengefügt, um daraus zukunftsträchtige Vertriebsstrategien, Produktionsabläufe oder ganze Geschäftsprozesse zu entwickeln.

Gerade die Undurchsichtigkeit der Vorgehensweise war lange Zeit das Erfolgsgeheimnis der Beraterbranche. Sobald der Tag der Präsentation der Ergebnisse gekommen war, bekam die Unternehmensführung eine bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Analyse der Ist-Situation und eine Darstellung der Soll-Situation. Nun wurden die Ergebnisse an die Verantwortlichen weitergereicht – zur eigenen Umsetzung. Gerade wenn es sich um komplexere Projekte handelte, die sich noch über viele Monate oder Jahre erstrecken konnten, war ein Monitoring des Strategieerfolgs so gut wie unmöglich. Klappte alles wie ausgearbeitet, war das dem Können der externen Spezialisten zuzuschreiben. Verlief ein Projekt aber wenig erfolgreich oder wurde es gar zum Desaster, hatte die Unternehmensführung das Ganze einfach nicht richtig verstanden oder falsch umgesetzt – oder der Markt hatte sich inzwischen wieder so weit verändert, dass die Umsetzung gar nicht funktionieren konnte. Wie man es auch drehte und wendete, die Berater waren immer fein raus.

Aus heutiger Sicht unverständlich ist auch die Art und Weise, wie in den Zeiten des Beraterbooms generell Geschäfte abgeschlossen wurden. Da kamen die Chefs der Beratungsunternehmen in die Firmen, verkauften ihr Konzept für Millionen und schickten tags darauf eine Crew von meist absoluten Frischlingen an den Start. Der Kunde hatte also selbst nicht den geringsten Einfluss darauf, wer letztendlich Einblick in sein Allerheiligstes bekommen würde.

Auf der anderen Seite boten die Unternehmensberatungen ihren Mitarbeitern das Beste, was man sich für seinen beruflichen Werdegang nur erträumen kann: Praxistraining am lebendigen Objekt. Und das zu Experten-Tagessätzen. Also sehr lukrativ obendrein, und zwar nicht nur für die Chefs der Beratungsunternehmen, sondern auch für alle Neuankömmlinge in der Branche. Sie hatten von Beginn an ein stattliches Einkommen, das zudem schnell anwachsen konnte, wenn man sich nur genügend ins Zeug legte. Dass das auch funktionierte, erfuhren die Youngster am eigenen Leib und kamen schnell auf 15-Stunden-Tage. Ein aufreibender Job, der wenig Zeit für Privates, geschweige denn für Familiengründung ließ.

So schreibt Ex-Berater Ewald Weiden mit ein paar zynischen Zwischentönen, die er sich nach vielen Jahren im Beraterzirkus nicht verkneifen kann: »Anfangs fühlt sich die Verbindung von Reise- und Privatleben zwar auch nicht anders an als eine Fernbeziehung – und ist damit für Absolventen heutzutage oftmals nichts Ungewöhnliches. Doch spätestens nachdem der unbefristete Vertrag unterzeichnet ist, und damit die Karrierepfade für die Zukunft gelegt werden, stellt sich die Frage, wie die privaten Ziele auf Dauer damit vereint werden können. Männliche Berater können das Thema meistens noch etwas hinauszögern, da weiterhin das Gefühl des Fliegens von Blüte zu Blüte überwiegt. Als Unternehmensberaterin wird der Wunsch nach eigenem Nest und Nachwuchs allerdings schneller dringlich, tickt doch eine biologische Uhr. Wo sich die Herren der Schöpfung Zeit lassen können, stehen die Karrierefrauen unter dem Druck, nicht nur die einsamen Nächte in Hotels auszufüllen, sondern auch langfristig eine Beziehung aufzubauen.« 4

Ein ganz anderes Thema ist die Leistung, die ein Berater unterm Strich erbringt. Die Spannbreite des tatsächlichen Könnens ist für potenzielle Kunden so unübersichtlich wie der Beratermarkt selbst. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Bereits kleinste Empfehlungen können als Beratertätigkeit deklariert werden, sofern sie zur Lösung eines Problems beitragen. Darin liegt die große Schwierigkeit. Es gibt kein Berufsbild, keinen vorgeschriebenen Bildungsweg und keine offizielle Zulassung für Berater. Auch die Berufsbezeichnung Unternehmensberater ist nicht geschützt. Um ein wenig Struktur in die Branche zu bringen, hat man im Jahr 2011 die Europäische Beraternorm mit festen Standards eingeführt. Unternehmensberatungen sind aufgefordert, sich dieser Norm freiwillig unterzuordnen – damit ist jedoch noch lange keine gute Beraterleistung garantiert.

Das Ergebnis: Viele springen auch nebenberuflich auf diesen Erfolgszug auf und suchen das schnelle Geld, ohne die eigentlich notwendige Kompetenz an Bord zu haben. Diesen kleinen Beratungsfirmen stehen die Giganten unter den Unternehmensberatungen mit über 600 Millionen Euro Umsatz pro Jahr gegenüber. Dazwischen liegen mehr als 95.000 Berater5, deren Diversität keine Grenzen kennt.

Für die Führung eines Unternehmens bedeutet das Hinzuziehen eines Beraters oft die letzte Chance, eine eingefahrene Situation wieder auf Kurs zu bringen, wenn eigenes Know-how und Inhouse-Ressourcen fehlen. Ein Berater kommt also meist dann in ein Unternehmen, wenn es dort bereits brennt, und führt dann viele Gespräche und wälzt dicke Ordner, um sich ein Bild vom Unternehmen, der Branche und der aktuellen Situation zu machen. Mitarbeiter verfolgen die Arbeit eines Beraters meist mit Argwohn, denn die Gespräche mit den Verantwortlichen finden hinter verschlossener Tür statt. Gerüchte schüren häufig zusätzlich das Feuer. Aus Sicht der Mitarbeiter signalisiert der »Einzug« eines Beraters häufig den Beginn einer Entlassungswelle. Was sonst soll einer bewirken, der jeden Morgen im Maßanzug und in auf Hochglanz polierten Schuhen aus seinem Porsche steigt? Der saugt doch sowieso nur das letzte Geld aus dem ohnehin maroden Firmentopf, und der kleine Mann muss darunter leiden.

Machen wir uns doch nichts vor: Ein Berater ist heute nichts anderes als ein Leiharbeiter im Anzug. Konkret bedeutet das: Ein Berater wird für einen noch nicht festgelegten Zeitraum in ein Unternehmen geholt, weil seine Leistung gebraucht wird – wie die eines Leiharbeiters.

Jedoch gibt es drei ganz entscheidende Unterschiede zu einem Leiharbeiter:

1. Der Einsatz des Beraters entscheidet über Erfolg oder Misserfolg eines Projekts / einer Situation.

2. Der Berater hat die Fäden in der Hand.

3. Der Berater bekommt nicht gesagt, was er tun soll, sondern tut, was er für richtig hält.

Letztendlich liefert ein Berater »nur« eine Strategie. In die Praxis umsetzen muss sie der Kunde selbst. Doch damit nicht genug: Vergleicht man die Dienstleitung eines Beraters mit der Herstellung eines Produkts in einem Unternehmen, fehlt bei einer Beraterleistung in den meisten Fällen vollkommen die Transparenz. Während man bei der Herstellung eines Produkts die einzelnen Schritte durch den Produktionszyklus sehr gut mitverfolgen kann, gewähren Berater keinen Einblick in ihren »Produktionszyklus«. Sie verbarrikadieren sich über Tage, Wochen oder Monate hinweg in Besprechungszimmern, in die ohne Aufforderung niemand Zutritt erhält, und liefern irgendwann ihren Lösungsvorschlag. Und diesen lassen sie sich gut bezahlen. Für die Auftraggeber ist es dadurch fast unmöglich, die Arbeitszeit und damit den Gesamtaufwand im Vorfeld überhaupt einzuschätzen. Das schürt Unbehagen, Missgunst und Angst – besonders bei den Mitarbeitern. Verständlicherweise.

Dennoch stürmen jedes Jahr zehntausende Studienabgänger vakante Praktikum-, Junior-Consultant- oder Associate-Stellen in Unternehmensberatungen. Der Reiz dieses Berufs scheint demnach größer zu sein als das überwiegend negative Image. Wie aber kam es zu diesem Hype, der die Profession des Beraters so hoch in die Lüfte hob, dass nach wie vor so viele bereit sind, den schnellen Erfolgszug zu besteigen?

Um das zu ergründen, muss man auf die Geschichte der Beraterzunft zurückblicken. Ob der im folgenden Beispiel vorgestellte Gründer einer der ersten Unternehmensberatungen als der Richtungsgeber schlechthin zu verstehen ist, darüber mag man geteilter Meinung sein. Mit Sicherheit lässt sich aber behaupten, dass der Gründer des für seine strategischen Beratungen berühmten und berüchtigten Beratungsunternehmens McKinsey, Marvin Bower, bedeutenden Einfluss auf den Stil aller Consultants hatte sowie auf die Erwartungen, mit denen man ihnen in den Managementetagen begegnet.

Der 1903 in Ohio, USA, geborene Bower kam als junger Jurist mit zusätzlichem Wirtschaftsstudium zum ersten Mal im Jahr 1933 mit James O. McKinsey in Kontakt. Dieser wiederum hatte zu diesem Zeitpunkt seit sieben Jahren eine Firma, die sogenanntes »Management Engineering« betrieb und sich darum kümmerte, Arbeitsabläufe in lauten, dreckigen Fabrikhallen zu optimieren. Noch war Bower in einer renommierten Sozietät angestellt und genoss großes Ansehen unter seinen Freunden und Bekannten. Doch merkte er schnell, dass er sich weniger für juristische Themen interessierte, sondern mehr für die Frage, mit welchen Problemen Unternehmen zu kämpfen hatten, die während der Weltwirtschaftskrise untergegangen waren. Bower hatte die Idee, Topmanager in großen Konzernen hinsichtlich strategischer Unternehmensführung zu beraten – und erzählte McKinsey davon, der damals noch ein unbeschriebenes Blatt war. Der war sichtlich begeistert und wollte solch einen Kopf gerne in seinem Unternehmen sehen. Eine Anstellung in der New Yorker Filiale der James O. McKinsey folgte, und Bower bekam dort freie Hand, seine Idee zu entwickeln, mit McKinsey als Mentor.

Das Ganze fand durch McKinseys Tod vier Jahre später ein jähes Ende. Ohne dessen Rückhalt für sein Projekt und durch zusätzliche, andauernde Streitigkeiten mit dem McKinsey-Nachfolger Andrew Thomas Kearney wurde das Unternehmen schließlich aufgelöst. A. T. Kearney ist auch heute noch ein Begriff in der Beratungswelt. Bower tat sich 1939 mit ein paar Kollegen aus New York zusammen und gründete McKinsey & Company. Mit der Übernahme des Namens seines Mentors wollte Bower diesem nicht etwa ein Denkmal setzen, sondern vielmehr vermeiden, dass Klienten darauf bestanden, vom Firmenchef persönlich beraten zu werden. Ein alltägliches Phänomen, das er in den Jahren unter McKinsey erlebte und als extrem störend empfunden hatte. Mit seinem neu gegründeten Beratungsunternehmen hatte er sich vorgenommen, die Kultur seines Mentors fortzuführen und das Unternehmen mit »spartanischen Tugenden«6 zu leiten.

Der Ordnung, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit liebende Marvin Bower legte zum Beispiel großen Wert auf sein Äußeres und das seiner Angestellten. Ein vorzugsweise maßgeschneiderter dunkler Anzug mit weißem Hemd, Krawatte und Hut waren genauso Pflicht wie dunkle Socken, die auf jeden Fall die Waden komplett abzudecken hatten. In der Businesswelt der Sechzigerjahre in Amerika war das zwar absolut gang und gäbe, doch ging es bei dieser Vorgabe darum, die Seriosität sicherzustellen. Bower wollte dadurch verhindern, dass einer seiner Berater in den obersten Chefetagen aufgrund unangemessener Kleidung negativ auffiel und deswegen vielleicht sogar als ungeeignet wahrgenommen wurde.

Auch sorgte Bower schon früh dafür, dass genügend Nachwuchs von den Hochschulen in sein Beratungsunternehmen kam. Nach eigener Aussage suchte er bewusst nicht nach erfahrenen Beratern, sondern nach frischer Intelligenz, »weil sich Consulting immer mehr zu einem denkintensiven Prozess entwickelt« – so soll er in der britischen Zeitung The Times gesagt haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird allerdings auch die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass sich Youngster eher ohne Murren auf seine strikte Firmenphilosophie einließen.

Für seine Angestellten formulierte Marvin Bower weiterhin feste Regeln – ja, man kann fast sagen Gebote. Dabei stand der Kunde bzw. Klient mit seinen Wünschen immer an erster Stelle, was bedeutete, dass jeder Mitarbeiter alles daran setzen musste, den Klienten zufriedenzustellen – auch wenn das beispielsweise bedeutete, die eigene Familie hintanzustellen, sollte ein Projekt das notwendig machen. Gleich an zweiter Stelle folgte das Gebot der höchsten Anforderung, was darin zum Ausdruck kam, dass nur die anspruchsvollsten Herausforderungen von McKinsey & Company angenommen wurden. Von den Mitarbeitern forderte diese Vorgabe immerfort allerhöchste Anstrengung, zugleich schürte sie den internen Konkurrenzkampf. Nur wer durch besonders hervorragende Arbeit auffiel, hatte die Möglichkeit, einen höheren und damit nicht nur finanziell attraktiveren, sondern auch angeseheneren Posten anzusteuern. Tingelte man als Berater dagegen zu lange unauffällig nebenher, wurde man gefeuert. Dieses »Up or out«-Prinzip führte zu einer natürlichen Selektion, die gleichzeitig der Beratungsführung die Sicherheit gab, dass nur die besten, talentiertesten und zu totaler Aufopferung bereiten Mitarbeiter für eine gleichbleibend hohe Qualität sorgten. McKinsey & Company war von Beginn an für diese Leistung berüchtigt.

Stellt sich die Frage, was einen jungen Menschen dazu bewegt, sich freiwillig solchen Bedingungen zu unterwerfen. Schließlich sind die Ansprüche der Unternehmensberatungen bis heute sogar eher noch größer geworden. Was also versprechen sich Youngster von diesem Beruf?

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Vorwort

Wir leben gerade in einer Zeit sehr starker Veränderungen. Auch wenn viele das nicht mehr hören können, es ist dennoch Fakt. Selbstverständlich haben uns Veränderungen schon immer begleitet, doch die Geschwindigkeit, in der maßgebliche Veränderungen stattfinden, ist rasant angestiegen, und das nicht nur im technologischen Bereich. Für Unternehmen bedeutet das, sich immer wieder neuen Rahmenbedingungen anpassen zu müssen. Für Berater und Beratungsunternehmen bedeutet das, mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert zu werden, die schon heute mehr erfordern als reine Beratertätigkeit, also mehr als Expertenwissen, Datenanalysen und Big Data – und die am Ende mehr zustande bringen, als den Kunden zufriedenzustellen.

Die aktuelle Megatrend-Dokumentation des Zukunftsinstituts veranschaulicht durch einen Rückblick auf die Entwicklungsgeschichte des Menschen die Geschwindigkeit des Wandels: »Menschen lebten zehntausende von Jahren in Jäger- und Sammlergemeinschaften, bevor dann die ersten sesshaften Bauernkulturen entstanden. Vor 200 Jahren begann die industrielle Revolution, die heute die Schwellenländer umkrempelt. […] Rund alle 50 Jahre (plus/minus 15 Jahre) bildet sich seit Beginn der industriellen Revolution eine neue Basistechnologie aus, die bestimmte, neu bestehende Knappheiten adressiert und die Produktivität ›boostet‹. Straßennetz, Automobil und Petrochemie schufen den Nachkriegsboom. Ein Jahrhundert zuvor schuf die Eisenbahn eine Wohlstandswelle. Die letzte große Welle lösten Informationstechnologie und Computer aus.«1

Doch wohin führt dieser immer schneller stattfindende Wandel Berater und Beratungsunternehmen?

Besonders die Informationstechnologie ist dafür verantwortlich, dass sich die Kunden von Beratungsunternehmen weiterentwickelt haben – sie haben nun mehr Wissen und somit mehr Macht: »Sie buchen Beratungsdienste einzeln und verlassen sich weniger auf Anbieter von Gesamtlösungen. Sie werden geschickter darin, abzuschätzen, welche Aufträge sie an Externe vergeben müssen und welcher Dienstleister jeweils am besten geeignet ist.«2 Es werden demnach nicht mehr Anbieter von Komplettlösungen gesucht, sondern Beratungsleistungen werden als einzelne Module so zusammengesetzt, dass sie in Summe zum gewünschten Ergebnis führen. Für große Beratungsunternehmen bedeutet das, dass ihre mangelnde Fähigkeit, ihren jeweiligen Kunden als Ganzes zu sehen, bald zum Problem werden könnte. Denn genau das ist unumgänglich, wenn man als Berater seinem Kunden Lösungen liefern möchte, die auch übermorgen noch greifen.

Auch andere Veränderungen der jüngsten Zeit wirken sich auf die Beratungstätigkeit aus: Wir leben im Moment in einer Welt, die sehr stark durch Werte geprägt ist. Werte fallen heute deutlich schwerer ins Gewicht als noch vor zehn Jahren. Sie sind elementar wichtig für unser Denken, Fühlen und Handeln. Sie steuern uns, treiben uns an oder bremsen uns. Meist geschieht das vollkommen unbewusst. In Unternehmen wird der Begriff Wertebewusstsein heute stärker denn je mit Erfolg und Misserfolg in Verbindung gebracht. Ist ein Unternehmen in einer Phase des Umbruchs – wie beispielsweise bei einer bevorstehenden Fusion, einer Übernahme oder einem Generationswechsel –, erleben die Menschen in den unterschiedlichen Positionen eine Werteveränderung, die auf beratende Tätigkeiten dramatische Auswirkungen hat. Vom Berater ist dann der neutrale Blick von außen auf das gesamte Business des Kunden gefragt. Es ist sein Job, in solchen Situationen ein Begleiter zu sein.

Für Berater wird es demnach immer schwieriger, ihre Kunden optimal zu betreuen und neues Business zu generieren, weil sich der Fokus der Kunden bereits verändert hat. Nicht mehr der Allrounder ist gefragt, sondern ein Mensch mit Expertise, Fokussierung, Unverwechselbarkeit und Nahbarkeit. Diese essenziellen Anforderungen haben viele noch nicht verstanden. Die meisten Berater entwickeln ein Konzept für ihren Kunden, liefern es ab und sagen ihm: »Jetzt ist es an dir, das umzusetzen!« Doch der Kunde ist gar nicht in der Lage, dieses Konzept zu realisieren, weil er nicht weiß, wie er es in die Praxis überführen soll. Glücklicherweise gibt es aber auch Berater – wenn auch nur eine Minderheit –, die dem Kunden beim Prozess der Umsetzung begleitend zur Seite stehen und auch Verantwortung für die Umsetzung übernehmen.

Gute Praxishandbücher für Berater gibt es jede Menge. Doch keines dieser Werke vermag es, einen Ausblick zu geben, mit welchen Anforderungen an seine Person der Berater der nächsten Generation konfrontiert sein wird. Hinweise darauf sucht man auch im World Wide Web vergebens. Hier setzen wir mit unserem Buch an und wollen diese Lücke füllen.

Dieses Buch ist kein Praxisbuch. Es betrachtet Praxisbücher von der Metaebene aus – und liefert den Blick von außen, die ganzheitliche Betrachtungsweise. Wir möchten damit bei Menschen in ganz unterschiedlichen Beratungsfeldern ein Verständnis dafür wecken, wie sich ihre Branche in den nächsten fünf, zehn oder gar zwanzig Jahren weiterentwickeln wird.

Edgar K. Geffroy, Benjamin Schulz

Der Reiz der Macht

Das typische Bild, das heute jeder beim Wort »Berater« vor Augen hat, ist ein Mann im maßgeschneiderten (und somit teuren) Anzug und Designerschuhen, mit gegelten Haaren, Notebook unterm Arm und Aktentasche in der Hand. Dieses Erscheinungsbild spiegelt die Arbeitsweise des Beraters wider, nämlich analytisch, strukturiert und straight. Denn für einen Berater ist es extrem wichtig, mit seinem Äußeren einen Vorgeschmack auf sein Können zu suggerieren. Schließlich ist es seine Expertise, die Unternehmen suchen – und auch erwarten.

Doch darüber hinaus verbindet man mit dem typischen Erscheinungsbild eines Beraters vor allem eins: Macht. Diese Ausstrahlung von Macht ist für viele ein Anreiz, diesen Beruf zu ergreifen. Ebenfalls nicht zu verachten ist der Reiz des Geldes. Auf Festgehälter und Jahresboni wollen wir an dieser Stelle gar nicht genauer eingehen, erwähnenswert ist jedoch, dass bereits Studenten, die schon während ihrer Studienzeit beratend in Unternehmen tätig sind, ein attraktives Tagesgeld erhalten und diesen Beruf als entsprechend lukrativ erleben. Unterm Strich gesehen ist die Bezahlung zu Beginn einer Beraterkarriere allerdings alles andere als gut. Das ist ganz einfach zu erklären: Vergleicht man die Anfangsvergütung eines Junior-Consultants – also eines frisch gebackenen Beraters – mit der einer Sekretärin oder eines Bürokaufmanns, ist der Junior-Consultant relativ günstig. Denn ein durchschnittlicher Angestellter leistet erheblich weniger Stunden, während ein Consultant keinen Feierabend kennt, auch beim Essen mit Kollegen über das Projekt spricht und sich abends weiter in Analysen vergräbt. Während der Bürokaufmann längst seinem Hobby nachgeht oder seine Füße vor dem Fernseher hochlegt, scannt ein Berater das World Wide Web nach aktuellen Zahlen, die er auf jeden Fall noch vor Morgengrauen gefunden haben muss, damit er sein Pensum am nächsten Tag schafft. Überstunden, wie sie gemeinhin verstanden werden, existieren in dieser Branche also nicht. Es ist sogar vertraglich festgehalten, dass ein Mehr an Arbeitseinsatz erwartet wird und bereits durch das Entgelt abgedeckt ist. Bekämen Consultants ihre Überstunden bezahlt, wäre das für deren Brötchengeber viel zu teuer. Außerdem würde das die Stunden- bzw. Tageshonorare von Beratungsleistungen weiter in die Höhe treiben, weshalb die Unternehmen als Kunden wiederum noch engere Zeitlimits vorgeben würden, nach denen sie Ergebnisse sehen wollen. Doch Anwärter, die in die Beraterbranche einsteigen wollen, übersehen oft das Thema Überstunden, denn das Gehalt pro Monat ist, absolut gesehen, extrem hoch. Die bekannten Häuser, deren Namen auch einen gewissen Stellenwert unter den Anwärtern haben, wissen genau, mit welchen Mitteln sie ihren Nachwuchs an die Leine bekommen.

Weil es besonders bei großen Beratungsunternehmen einen hohen Bedarf an »Frischfleisch« gibt, der jedes Jahr von Neuem gedeckt werden muss, werden Studienabgänger mit Top-Noten vor allem mit zunächst überwältigend anmutenden Summen und späteren Aufstiegsmöglichkeiten gelockt. Fragt man Berater, die schon länger aktiv im Markt tätig sind, raten diese jedoch jedem Neueinsteiger davon ab, sich ausschließlich aufgrund der Entlohnung für diesen Beruf zu entscheiden. Harte Arbeitswochen mit 70 Stunden oder mehr gehören für einen Berater zum Standard. Vor allem als Mitarbeiter von großen Beratungsunternehmen ist man von Montag bis Donnerstag praktisch mit dem Projekt verheiratet: vor Ort beim Kunden, mit Übernachtungen im Hotel – und auch nach Feierabend werden bei einem Bier oder Wein noch Strategien besprochen, um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Das ist nicht jedermanns Sache, was sich darin zeigt, dass erfahrungsgemäß nach etwa fünf Jahren der Arbeitgeber gewechselt wird. Einem Beratungsunternehmen als Arbeitgeber macht das wenig aus, denn auf durchschnittlich 40 Abwanderungen pro Jahr kommen 100 neue Leute,7 die diesen Job als großes Sprungbrett für ihre Karriere sehen. Diese Fluktuation ist in der Branche üblich. Offenbar scheinen mit der Zeit andere Dinge interessanter zu werden als Geld und Ansehen. Irgendwann erkennt auch der engagierteste Berater, dass das Leben aus dem Koffer nicht alles sein kann.

Auf Dauer so flexibel zu sein, wie es erwartet wird, fällt besonders dann schwer, wenn die Familie involviert ist. Insbesondere für Beraterinnen ist es oft ein steiniger Weg, sich in der Branche zu etablieren, während dies einigen männlichen Kollegen scheinbar mühelos gelingt. Aus diesem Grund sind vorwiegend junge Frauen, die sich primär ihrer Karriere widmen, als Beraterinnen anzutreffen. Sobald ein Kind ins Leben tritt, fällt es vielen Beraterinnen schwer, die Wünsche der Kunden und die Ansprüche der Familie weiterhin unter einen Hut zu bekommen.

Doch zurück zum Reiz der Macht, der viele zunächst über die Schattenseiten dieses Berufs hinwegsehen lässt. Die Macht des Beraters äußerst sich auch in der Tätigkeit selbst: Der Berater kann Schicksal spielen, denn er arbeitet immer am »offenen Herzen« – dem Problem des Unternehmens. Es liegt in seiner Hand, Ursachen zu ergründen, einen Lösungsweg zu erarbeiten und dabei Neues zu entwickeln.

Schon Praktikanten erkennen nach kürzester Zeit: Der Einfluss auf das zu beratende Unternehmen ist enorm hoch. Der Auftraggeber legt nicht nur seine Karten offen auf den Tisch, sondern gewährt den hinzugezogenen Experten meist auch absolute Freiheit in der Vorgehensweise. Für viele Junior-Consultants ist es äußerst reizvoll, hinter den Kulissen die Fäden ziehen zu können, ohne dabei die direkte Verantwortung zu haben. Die Bedeutung der (fehlenden) Verantwortung darf in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden: Führt die Strategie das Unternehmen aus der Misere, fällt das auf den Berater zurück, der dann offensichtlich gute Arbeit geleistet hat. Funktioniert dagegen etwas nicht nach Wunsch, ist das zwar ärgerlich (»Shit happens!«), aber der Berater ist aus dem Schneider, denn die Verantwortung für die richtige Umsetzung seines »Werkes« liegt voll und ganz auf Seiten des Auftraggebers. Doch dieser hat zwar die Theorie schwarz auf weiß vor sich, aber niemand hat ihm gesagt bzw. gezeigt, wie er sie in die Praxis überführen kann. Zum Zeitpunkt der Umsetzung sind die meisten Berater längst wieder verschwunden – unverständlich für die Auftraggeber, gang und gäbe bei den Unternehmensberatern.

Dass Unternehmen im Ernstfall viel Geld für nichts investieren, illustriert der Fall der Baumarktkette Praktiker aus dem Jahr 2013. Insgesamt 300 Filialen mit über 15.000 Angestellten wurden damals dem Untergang geweiht. Darunter fielen auch 132 Filialen der Marke Max Bahr, die im Jahr 2007 als Tochtergesellschaft übernommen worden war, um damit einen Grundstein für einen Neuanfang zu legen. Doch nachdem Rechnungen nicht mehr bezahlt werden konnten, musste im Juli 2013 schließlich Insolvenz angemeldet werden. Gläubiger sagten aus, dass sich der Vorstand der Baumarktkette bis zum Schluss darum bemüht habe, etwa 35 Millionen Euro aufzutreiben, um den Konzern retten zu können. Doch es fand sich kein Investor. Demgegenüber standen jedoch über 80 Millionen Euro, die seit 2011 in die Kassen von Unternehmensberatern, Finanzdienstleistern und Rechtsanwälten geflossen waren.8 Interne Dokumente belegten, dass allein vier große, bekannte Beratungsunternehmen damit beauftragt worden waren, die Baumarktkette wieder auf Kurs zu bringen (die Namen, die immer wieder durch die Medien gingen, wollen wir hier nicht erneut aufgreifen). So entstand u. a. die Idee, die praktizierte Billigstrategie »einzustampfen«. Als die Umsätze deswegen jedoch weiter zurückgingen, sah sich das Management gezwungen, wieder zu den »20 Prozent auf alles« zurückzukehren. Doch das nutzte nichts. Während der Schuldenberg in den zwei Jahren bis zur Insolvenz ständig anwuchs, wurden wichtige Personen in Führungspositionen ersetzt, Strategien radikal geändert und falsche Konzepte erstellt. Besonders einige Großaktionäre von Praktiker machten öffentlich ihrem immensen Ärger Luft und beschuldigten die ehemaligen Vorstände und Aufsichtsräte des Konzerns, zwei Jahre lang nur »den eigenen Arsch gerettet« zu haben. Daraufhin entbrannte ein erbitterter Streit zwischen Managern und Investoren darüber, wer den Untergang von Praktiker zu verantworten hatte. Die Unternehmensberater vielleicht? Fehlanzeige.

Ein weiteres Beispiel: Gleich zwei große Beratungsunternehmen waren und sind auch beim Untergang des Medienriesen Bertelsmann involviert. Mit dem einen hat Bertelsmann schon Mitte der 1980er-Jahre den ersten geschäftlichen Kontakt geknüpft, das andere ist im Jahr 2006 dazugestoßen, um alle Unternehmensbereiche auf ihre Zukunftsfähigkeit hin zu untersuchen. Mit ersterem wurden seit Langem schon Strategien entwickelt, der Erfolg des Unternehmens wuchs damals rasant und weitere Aufträge folgten. Das ging so weit, dass sich die Berater an vielen Stellen regelrecht »festsaugten«. Ehemalige Berater nahmen entscheidende Positionen im Konzern ein. Sogar die Kinder der Bertelsmann-Gründer Liz und Reinhard Mohn erlernten das Berater-Handwerk in eben dieser Unternehmensberatung. Den Höhepunkt des Erfolgs erlebte Bertelsmann Anfang der 1990er-Jahre mit sieben Millionen Mitgliedern, 320 Filialen und einem Umsatz von 700 Millionen Euro. Doch das Buchgeschäft ging mit Aufkommen der digitalen Medien immer weiter zurück. Man denke nur an den großen Brockhaus, der nun kaum noch Kunden fand, da niemand mehr fast 3000 Euro (Stand 2006) für 24.500 Stichwörter ausgeben wollte, während fast 1,6 Millionen deutsche Begriffe kostenlos auf Wikipedia nachzulesen waren (Stand 2001). Auch der Kaufzwang für Clubmitglieder innerhalb eines ziemlich eingeschränkten Angebotssortiments – das jedoch anfänglich noch 10 bis 20 Prozent günstiger war als im Laden – stieß mehr und mehr auf Ablehnung. Wer will schon von einem Anbieter abhängig sein? Die Mitglieder kündigten. Besonders schwer betroffen waren die Länder Deutschland, Österreich und die Schweiz. Nach Angaben der Bertelsmann-Tochter DirectGroup gingen die Mitgliederzahlen auf eine Million im Jahr 2014 zurück, mit einem Umsatz von nur noch 100 Millionen Euro und nur noch 52 Filialen. Die Haus-und-Hof-Unternehmensberatung von Bertelsmann wurde beauftragt, ein Kosteneinsparungsprogramm von mehreren hundert Millionen Euro auszuarbeiten.9 Ende 2009 waren dort konzernweit noch 106.000 Menschen beschäftigt, deren Arbeitsplätze letztlich verloren gingen.

Das sind nur zwei Beispiele, die das allgemeine Bild eines Beraters heute sehr gut veranschaulichen: Er ist nichts anderes als ein Leiharbeiter im Anzug oder Teil einer Berater-Feuerwehr, die von den Bossen meist erst dann geholt wird, wenn das halbe Stockwerk bereits in Flammen steht. Betroffene, aber auch Außenstehende, sehen die Schuld für Niederlagen überwiegend auf Seiten der Geschäftsführung, die wiederum gerne ihre Fehler auf fremden Schultern ablädt, um später sagen zu können: »Wir haben alles Mögliche getan!« Von Mitarbeitern argwöhnisch beobachtet, erarbeitet die »Berater-Feuerwehr« dann fieberhaft Strategien, die den Brand löschen und idealerweise die bereits vernichteten Stockwerke Stück für Stück wiederaufbauen sollen. Die Geschäftsführung versucht, diese Vorschläge mit ihren Mitteln und ihrem Können umzusetzen. Ist aber die Grundsubstanz bereits zerstört oder hat sich der Markt maßgeblich verändert, nützt die beste Strategie nichts.

In Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt hat man das am eigenen Leib erfahren. Dort machte die billige Konkurrenz aus Asien dem Solarunternehmen Q-Cells immer mehr zu schaffen, sodass es 2012 schließlich Insolvenz anmelden musste. Dabei liest sich die Erfolgsgeschichte von Q-Cells-Boss Anton Milner zunächst wie ein American Dream: Im Jahr 2000 errichtete er mit drei Mitgründern eine Fabrik für die Produktion von Solarzellen. Das war eine Zeit, in der die deutsche Ökostromförderung noch in Kinderschuhen steckte, aber auch genauso schnell laufen lernte. 2008 war Q-Cells der weltweit größte Hersteller von Solarzellen, bot zu Peak-Zeiten 2200 Arbeitsplätze und hatte einen Börsenwert von drei Milliarden Dollar bei rund 80 Euro pro Aktie. Doch dann kamen die Asiaten, und der Kampf ums Überleben begann. 2011 schrieb der Konzern schon einen Verlust von 846 Millionen Euro bei einem Umsatz von einer Milliarde Euro. Zwischen September 2011 und April 2012 bemühte sich neben zwei großen, bekannten Unternehmensberatungen auch ein kleines Restrukturierungsteam einer deutschen Wirtschaftskanzlei um das stark angeschlagene Unternehmen. Nachdem die Aktie auf 14 Cent gefallen war und der Insolvenzantrag unweigerlich folgte, schürte die Durchsicht der Bücher die Kritik an den Honoraren, die an diese kleine Kanzlei geflossen waren. Insolvenzverwalter Henning Schorisch warf den Beratern vor, auch dann noch an einer Sanierung gearbeitet und dafür kräftig Honorare einkassiert zu haben, als schon längst feststand, dass Q-Cells nicht mehr zu retten war. Eine Klage folgte.10

Wem muss man hier die Schuld geben? Natürlich ist ein Vorstand dafür verantwortlich, dass sein Unternehmen den bestmöglichen Weg geht. Doch tragen nicht auch die Berater Verantwortung? Sollte ihnen nicht das Wohl des Auftraggebers am Herzen liegen?

Q-Cells konnte noch gerettet werden – dafür sorgte der Insolvenzverwalter. Im Oktober 2012 wurde die Firma von dem südkoreanischen Konzern Hanwha übernommen. Zwar gingen dabei rund ein Drittel der Jobs in Deutschland verloren, aber der Standort Bitterfeld-Wolfen blieb erhalten.

Was sagen diese Beispiele darüber aus, wie die Berater ihre Macht nutzen? Das verdeutlicht wohl am besten die Sicht der Betroffenen: Für sie ist die Aktivität der Berater nichts anderes als eine große, leere Blase. Von der Geschäftsführung unterstützt, treiben die Berater das Unternehmen nur noch weiter in die Abwärtsspirale. Man hört wenig schmeichelhafte Bezeichnungen wie »hoch bezahlte Besserwisser«, »erbarmungslose Killer«, »Blender«, »Bluffer«, »Hilfstruppe des Managements«, »Clowns im schwarzen Anzug« oder »Nieten in Nadelstreifen«. Harte Worte – und doch verständlich. Der Berater geht, das Gebäude wird unbewohnbar. Dann war es einfach zu spät.

Aber der nächste Kunde scharrt bereits mit den Hufen. Denn – machen wir uns da nichts vor – das Outsourcen von Problemen ist bequem. Und warum auch nicht? Warum sollte das Management nicht eine Hilfe auf Zeit in Anspruch nehmen? Schließlich geht es ja nicht immer gleich um den drohenden Untergang. Was aber passiert hier auf oberster Ebene? Sind die Manager heutzutage nicht in der Lage, selbst auf neue Ideen zu kommen, Strategien für neue Produkte oder Märkte zu entwickeln und Wege aus festgefahrenen Situationen zu finden? Haben sie sich vielleicht selbst in die Misere geritten, indem sie zuvor zu umfassend und zu lange auf Lean Management gesetzt haben, bis auch die letzte Abteilung ihre Leistungsgrenze überschritten hat? Wir wissen es nicht. Was Berater bieten, scheint jedenfalls praktisch zu sein: Qualität auf Abruf.

Berater und ihre Rollen – die kritische Perspektive

Völlig paradox erscheint die völlig konträre Wahrnehmung der Berater in der Öffentlichkeit: Auf der einen Seite wird das, was die Berater erreichen, in den höchsten Tönen gelobt – auf der anderen Seite werden sie in der Luft zerrissen. Die folgende Aussage beschreibt diese Ambivalenz sehr treffend: »Kaum ein anderer Berufsstand wird gleichzeitig so glorifiziert und an den Pranger gestellt, bis zum Misstrauen beneidet und dennoch ins Vertrauen gezogen.«11

Nach dem Boom in den 1970er-Jahren, der auf wachsende internationale Geschäfte zurückzuführen war, wird die Beraterbranche seit den 1990er-Jahren zunehmend kritisch beäugt. Bis in die 1990er-Jahre erbrachten Berater offensichtlich nicht nur gute Leistungen, sondern erlangten auch eine entsprechend gute Stellung in der Öffentlichkeit. Zu dieser Zeit waren sie mehr als nur anerkannt – sie wurden bewundert. In den 1970er-Jahren war es zum Beispiel für Unternehmen selbstverständlich, Beraterleistungen in Anspruch zu nehmen. Betrachtet man den wissenschaftlichen Bereich, galten Berater bis in die 1990er-Jahre als diejenigen, die zwischen Theorie und Praxis vermittelten. Dieses Image wurde weiter ausgebaut und Berater standen sogar in dem Ruf, unmittelbar an der Theorieentwicklung beteiligt zu sein.12 Daraus entwickelte sich die strategische Unternehmensführung, die zum Vorzeigeprojekt der großen Beratungshäuser wurde.

Diese Reputation drang sogar bis in die Politik vor. Das äußerte sich etwa darin, dass vor allem zwei Größen der Beraterbranche, Roland Berger und Jürgen Kluge, in regelmäßigen Abständen zu politischen Expertenkommissionen oder auch Strukturkommissionen der Bundeswehr geladen wurden.

Doch wie ein Sprichwort so schön sagt: Wer hoch fliegt, kann tief fallen. So kam es dann auch hierzulande. Die früher von der Politik so hoch gepriesenen Berater wurden plötzlich in aller Öffentlichkeit förmlich in der Luft zerrissen. Eine Aussage von Christian Wulff, damals Ministerpräsident von Niedersachsen, der Anfang 2004 in Sabine Chistiansens Talkrunde das Beratungsunternehmen Roland Berger heftig attackierte, wurde später in der FAZ folgendermaßen aufgegriffen: »Es geht um mehr als den üblichen Zweifel an der Relation von Leistung und Löhnung. Es geht um die Legitimation einer ganzen Branche, an der Kritik bisher abperlte wie Feuchtigkeit von der Teflonpfanne.«13

Plötzlich kam es nach vielen Jahren des Jubels zu einem Umschwung. Die Lösungsstrategen sahen sich nun mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht das Optimum für ihre Kunden herauszuholen, sondern sich vielmehr selbst die Nächsten zu sein. Die Ergebnisse ihrer Beratungsarbeit wurden hinterfragt, ihre Preise galten plötzlich als überhöht, gar als dreist. Sicher ist eine solche Kritik ein Risiko, mit dem die Branche rechnen musste: Je höher man pokert, desto mehr steht man in der Öffentlichkeit und macht sich dadurch angreifbar. Das ist bei Politikern, Topmanagern und Stars und Sternchen auch nicht anders und gehört einfach dazu – und sicher spielt dabei auch der Neid eine Rolle.

Neben der öffentlichen Meinung und der Sicht der Medien gibt es auch die Perspektive der Forschung, die die Beraterbranche wie jeden anderen Markt unter die Lupe nimmt. Die Faktensammlung gestaltet sich jedoch insgesamt schwierig: Weil Berater in der Regel großen Wert auf Diskretion legen und Kundenprojekte im Verborgenen abwickeln, tauchen nicht viele Fakten in der Öffentlichkeit auf.

In ihrem Werk Critical Consulting14 haben Timothy Clark und Robin Fincham eine erste kritische Analyse der Beraterbranche veröffentlicht und darin die verschiedenen Akteure und ihre Aktivitäten in der Managementberatung bewertet. Mit diesem Buch leiteten die Autoren eine Wende innerhalb der Beraterbranche sowie in deren Beobachtung und der zugehörigen Forschung ein: Der Fokus, der zuvor auf der Frage lag, wie man in der Praxis seine Kunden besser betreuen kann, liegt nun auf folgenden Thesen, die in die Beobachtung und Bewertung von Beratungsleistungen eingehen: