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Ralf-Peter Märtin

DRACULA

Das Leben des Fürsten

Vlad Ţepeş

Verlag Klaus Wagenbach  Berlin

Für Rosemarie

Wagenbachs E-Book-Ausgabe 2013

© 1980, 1996, 2001, 2004 Verlag Klaus Wagenbach, Emser Str. 40/41, 10719 Berlin. Alle Rechte vorbehalten.

Das Bildmaterial der Buchausgabe ist in der digitalen Ausgabe nicht vorhanden.

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ISBN 978 3 8031 4133 0

Auch in gedruckter Form erhältlich: ISBN 978 3 8031 2396 1

Inhalt

Vorwort

Ein Reichstag (1431)

Walachische Wirren (1431–1442)

Der Freund des Abendlandes (1442–1444)

Exkurs:

Militär und Gesellschaft im 15. Jahrhundert

Draculs letzte Tage (1444–1447)

Der Reisende in Sachen Macht (1448–1456)

Am Ziel – Vlad Ţepeş Woiwode der Walachei (1456–1462)

Der Frieden

Der Krieg

Exkurs:

Grausamkeit im Spätmittelalter

Fall und letzter Aufstieg (1462–1476/77)

Bram Stoker, Vlad Ţepeş und die Vampirlegende

Anhang

Anmerkungen

Bibliographie

Dramatis Personae

Aussprache der rumänischen Namen

Zeittafel

Vorwort

»Ein ziemlich abseitiges Thema«, meinte Tilius, »aber Sie werden sicherlich gewisse Parallelen zur heutigen Situation …«, er brach ab, weil er sah, wie Lothar durch ein majestätisches Kopfschütteln bereits seine Antwort gab.

»Im Gegenteil«, sagte Lothar, mit jener Ironie eines regierenden Fürsten, die ihm von seinen Kollegen stets so übelgenommen wurde, »mich reizt es gerade, Lagen zu zeigen, deren Bedingungen mit nichts anderem verglichen werden können. Überhaupt interessiert mich an einem Vorgang nur, zu untersuchen, inwiefern er einzigartig ist.«

Alfred Andersch / Ein Liebhaber des Halbschattens

Unstrittig war mein Mitbewohner eine merkwürdige Figur. Wenn er aus den Semesterferien zurückkehrte, brachte er Hunderte von Dias mit, die er auf norditalienischen Friedhöfen aufgenommen hatte. Es waren die siebziger Jahre, wir lebten in Berlin und gingen vorzugsweise ins Kino.

Meyer liebte Horrorfilme. Damit er nicht allein im Dunkeln schlotterte, kamen wir mit und sahen zusammen die diversen Carmillas, Wyjs und Frankensteins, die Wolfsmenschen, Vampire und als deren Krönung eben ihn: Graf Dracula.

Nach der Vorstellung sprach Meyer – er war Germanist – stundenlang über Lichtverhältnisse, Atmosphären, Halbschatten und die Spannung zwischen Idyll und Schrecken. Ich, der Historiker, schaute in mein Glas Charlottenburger Pilsner und versuchte, die spärlichen historischen Angaben der Filme zum Porträt einer geschichtlichen Person zu verdichten. War der Graf reine Erfindung oder verbarg sich eine wirkliche Geschichte dahinter? Die vermutete Geschichte begann mich mehr zu interessieren als der Vampir. Ich las den »Dracula«-Roman Bram Stokers und stieß auf folgenden Abschnitt: »Er muß tatsächlich jener Woiwode Dracula gewesen sein, der sich in den Türkenkriegen berühmt gemacht hat. Wenn sich das wirklich so verhält, dann war er kein gewöhnlicher Mann, denn damals und noch Jahrhunderte später wurde er als der klügste und geschickteste, aber auch als der tapferste der Söhne des ›Landes jenseits der Wälder‹ gerühmt.«

Danach ergab sich alles von selbst. Ich begann südosteuropäische Geschichte zu studieren, bereiste ausführlich Transsilvanien und Transalpinien, Ungarn, die Moldau, Serbien und Kroatien. Ich fand den Woiwoden, aber statt einer mußten viele Geschichten erzählt, viele Fragen gestellt und einige beantwortet werden.

Als Ergebnis zeige ich Ihnen den Fürsten Vlad III. Ţepeş, den »Pfahlwoiwoden« (1431–1476/77), der deswegen zum Vorbild des Vampirgrafen wurde, weil er gegen seine äußeren wie inneren Feinde mit ausgesuchter Grausamkeit vorging, als er sein Fürstentum »modernisierte«. Ich beschreibe die Welt des Balkans im 15. Jahrhundert und damit den Schauplatz der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam. Warum gelang es den abendländischen Ritterheeren nicht, die Türken in ihrem Siegeslauf aufzuhalten, und was bedeutete eigentlich Grausamkeit in dieser Zeit? Zwei Gesellschaftssysteme stießen zusammen, und die Walachei samt ihren Fürsten lag in der Bruchzone, was beiden nicht gut bekam.

Das Panorama, das ich vor Ihre Augen stelle, reicht von Nürnberg bis Konstantinopel, von Venedig bis Persien. Ausgebreitet ergibt sich ein bunter ethnischer und religiöser Flickenteppich, der sich heute genau in die Bestandteile auflöst, die schon im 15. Jahrhundert nicht zusammenpassen wollten.

Vlad Ţepeş/Dracula hat seine Bedeutung in der rumänischen Geschichtsschreibung als tapferer Türkenbekämpfer, der es wagte, selbst gegen den Eroberer Konstantinopels, Mehmed II., Krieg zu führen. Die Deutschen Siebenbürgens, die Vlad Ţepeş um ihre Handelsprivilegien in der Walachei brachte, haben ihn als lästigen Konkurrenten gesehen; die nicht gerade zimperlichen Türken als Wüterich, der es mit dem beständigen Pfählen seiner Gegner doch etwas übertrieb, und die Ungarn schließlich als Verräter, auf den man sich tunlichst nicht verließ.

Die Beurteilung und Einschätzung des Fürsten ist demnach Teil einer nationalen Interessenlage. Vlad Ţepeş dient als Be weis. Den Rumänen als Exempel für ihren Widerstand gegen die Türken – die rumänischen Fürstentümer als Bollwerke des Abendlands. Die Deutschen diskriminierten mit ihren Flugschriften über den »Thyranen Dracole Wyda« und seine scheußlichen Grausamkeiten dessen Handelspolitik gleich mit, die Türken waren sowieso gegen ihn, und die Ungarn brauchten offensichtlich einen wohlfeilen Grund für ihr eigenes Versagen im Kampf gegen die osmanische Bedrohung.

Demgegenüber will mein Buch gar nichts beweisen und stellt sich auf keine Seite. Es will auch niemanden »retten«, schon gar nicht die Hauptfigur, und verteilt keine Zensuren. Mein einziger Ehrgeiz war es, eine Bewegung und ihre Protagonisten zu beschreiben, die Hintergründe, die verbreiteten Denkweisen, die militärischen und politischen Mittel.

Für die nunmehr 7. Auflage, die diesem E-Book zugrunde liegt, wurde die Bibliographie im Anhang aktualisiert und erweitert.

Frankfurt, im Mai 2008/ Februar 2013              Ralf-Peter Märtin

Ein Reichstag (1431)

König Sigismund in Nürnberg. Die Hussiten. Vlad Dracul. Wo soll der herkommen? Aus der Walachei? Der Raum (geographische Beschreibung). Die Türken. Trübe Erfahrungen.

Um die Septembermitte 1430 zog Sigismund v. Luxemburg, deutscher, ungarischer und böhmischer König, in die Reichsstadt Nürnberg ein, um dort einen Reichstag abzuhalten. Bereits im März hätte der Reichstag eröffnet sein sollen, doch hatte ein Einfall der Hussiten nach Bayern, Franken und Sachsen die Wege unsicher gemacht und Sigismund selbst an der Möglichkeit zweifeln lassen, den Reichstag wie vorgesehen zu beginnen.

Es waren nicht viele Reichsstände1 erschienen, wie die königlichen Kommissare feststellen konnten, die im Juni anreisten, um Sigismund wegen seines Ausbleibens zu entschuldigen, und seine baldige Ankunft in Aussicht stellten. Als der König eintraf, hatte die Mehrzahl der Teilnehmer, des Wartens überdrüssig, Nürnberg den Rücken gekehrt. Sigismund setzte deshalb einen neuen Termin für Anfang Januar 1431 fest. Am 9. Februar konnte er den Reichstag endlich eröffnen.

Wie die vorigen stand auch dieser Reichstag im Zeichen der Hussitengefahr. Der böhmischen Krone, als deren rechtmäßiger Inhaber sich Sigismund seit 1419 verstand, war er nicht recht froh geworden. Mit der Verbrennung des Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil war die böhmische ›Ketzerei‹ keineswegs erloschen, vielmehr erst richtig in Gang gekommen. Die Forderungen der Böhmen, die sich in der Nachfolge des Hus Hussiten nannten, enthielten in ihren religiösen, kirchenkritischen Parolen auch eine Fülle sozialen Zündstoffs, wie von den Kirchenfürsten und weltlichen Herren instinktsicher erkannt wurde.

Seit 1420 hatte Sigismund in vier Kreuzzügen vergeblich versucht, die Hussiten zu unterwerfen. Ihr nationaler Zusammenhalt, ihre hohe Moral, die Entwicklung neuer Kampftechniken, nicht zuletzt die militärischen Fähigkeiten ihrer Anführer Zizka von Trocnov und Prokop hatten alle Angriffe scheitern lassen. Die letzte Niederlage datierte von 1427, wo das auf 100.000 Mann geschätzte Kreuzfahrerheer bei der Nachricht, daß die Hussiten kämen, kampflos auseinandergelaufen war. Das sollte sich nun ändern. Ein fünfter Kreuzzug war ins Auge gefaßt, der ein für allemal Schluß machen sollte mit den böhmischen Ketzern. Dazu war Geld nötig, und Sigismund hoffte, es von den versammelten Reichsständen zu erhalten.

Das Feilschen darüber, wer wieviel zu geben habe, zog sich hin. Sigismund, dem die Chronisten übereinstimmend eine ausgeprägte Begabung zur Repräsentation attestieren, demonstrierte derweil die Größe seines Einflusses in der Welt damit, daß er in feierlicher Handlung einen rumänischen Adligen namens Vlad zum neuen Woiwoden (Fürst) der Walachei erhob und ihn zum Ritter des von ihm 1418 zum Kampf gegen die Türken gegründeten Drachenordens schlug. Der Beiname, den Vlad fortan führte, lautete dementsprechend Dracul, was im Rumänischen allerdings Teufel bedeutet.

Vlad Dracul, ungefähr Mitte dreißig, war kein Unbekannter in Sigismunds Gefolge. Schon vor dem Jahr 1418 war er an den Hof des Königs gekommen: als Geisel eingefordert, um die Treue seines Vaters, des damaligen Woiwoden der Walachei, Mircea cel Batrin (der Alte), zu verbürgen. Wohl oder übel hatte er den König in den vergangenen Jahren begleitet, war auch nach dem Tode Mirceas (1418) bei Sigismund geblieben und hatte nur 1423 einen Versuch gemacht, die Gastfreundschaft des ungarischen Königs mit der des polnischen zu vertauschen, wahrscheinlich weil er von diesem die militärische Hilfe erhoffte, die jener ihm nicht geben wollte. Man hielt ihn aber an der Grenze auf und brachte ihn nach Buda2 zurück.

Jetzt, acht Jahre später, kniete Vlad Dracul vor Sigismund und schwor:

»Gnädigster König! Ich leiste den Eid der Treue und schwöre, und verspreche ohne Arglist und Betrug Eurer Majestät und Ihren Nachfolgern und der Krone Ungarn mit allen mir unterstehenden Ländern, Bojaren und Leuten Treue und Gehorsam. So helfe mir Gott, und das Kreuz Christi.«

Worauf der König antwortete:

»Wir nehmen Dich und Deine Länder unter Unsern Schutz, und belassen Dich bey dem Recht und Besitz derselben als Unsern Woiwoden.«

und ihm das Zeichen seiner Herrschaft, einen Streitkolben, überreichte.

Auf die Nürnberger Bürger wirkte das gebotene Schauspiel weit weniger exotisch, als man zunächst annehmen mag. Die Walachei lag im Bewußtsein der Zeitgenossen noch nicht in jener heutigen Grauzone »hinter den Bergen«, in der sich der Begriff höchstens noch als Synonym für Unordnung (›hier sieht’s ja aus wie in der Walachei‹) erhalten hat. Die Nürnberger Kaufleute handelten zwar nicht direkt mit Transalpinien, wie man die Walachei damals nannte, wenn man sich auf Latein verstand, aber ihre Kontakte mit den deutschen Städten Siebenbürgens (Transsilvanien) waren ausgezeichnet. Aus den Karpaten bezogen sie einen Teil der Erze, die sie für ihre florierende Rüstungsproduktion benötigten, und lieferten im Gegenzug Fertigwaren, Waffen vor allem und Tuche. Wer in der Walachei regierte, war ihnen nicht gleichgültig, so wenig ihnen der profitable Handel gleichgültig war, den sie mit Siebenbürgen und der Walachei trieben. Ihre Beteiligung am Türkenfeldzug von 1396 hatte es bewiesen.3

Ein Blick auf die Karte zeigt die strategische Bedeutung des Landes. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts standen die Türken an der Donau. Vom ungarischen Königreich, das damals neben dem Kernland, der ungarischen Tiefebene, Slawonien und Kroatien sowie Siebenbürgen umfaßte, trennte sie nur noch ein schmaler Gürtel von Kleinstaaten: Serbien, Bosnien, die Walachei. Ziel der Balkanpolitik Sigismunds war es, diese Staaten unter ungarische Oberherrschaft zu bringen, um so die ungarischen Südgrenzen zuverlässig vor den Türkeneinfällen zu schützen. Dabei kam der Walachei insofern erhöhte Bedeutung zu, als in ihrem Gebiet die Einfallstore nach Siebenbürgen lagen.

Die Hochebene von Siebenbürgen liegt im weiten Ring der Karpaten, die sie im Norden, Osten und Süden umschließen. Während die Pässe nach Osten, eng und gewunden in die Moldau führend, relativ leicht zu sperren sind, bieten sich im Süden zwei große Karpatendurchbrüche: der Rote-Turm-Paß, der Hermannstadt (Sibiu) mit der südlich gelegenen Kleinen Walachei (Oltenia) verbindet, und der Predeal-Paß, der die Verbindung Kronstadts (Braşov) zur Großen Walachei (Muntenia) darstellt. Der Rote-Turm-Paß bot sich für Einfälle nach Siebenbürgen besonders an. Die Bergzüge im Westen und Osten erreichen in ihren Gipfeln Höhen von über 2.500 Metern, der Paß selbst liegt nur 250 bis 380 Meter hoch, da er das Durchbruchstal eines Flusses, des Olt, bildet. Er ist zu breit, um mit Erfolg gesperrt werden zu können. Die Befestigungen des Passes an seinem nördlichen Ausgang hatten neben Kontroll- und Zollfunktionen nur die Aufgabe, den Feind möglichst so lange aufzuhalten, daß im kaum 40 Kilometer entfernten Hermannstadt Verteidigungsmaßnahmen getroffen werden konnten. Es war eine taktische, keine strategische Stellung. Eine effektive Verteidigung bedurfte des Vorfelds, der Walachei.

Das Fürstentum, in seiner Süd-Nord-Erstreckung von der Donau bis hinein nach Siebenbürgen reichend, im Osten durch den Milcov-Fluß vom Fürstentum Moldau getrennt, im Westen bis ans Eiserne Tor, den Donaudurchbruch, ausgreifend, hatte in seiner größten Ausdehnung ca. 125.000 qkm umfaßt. Das war um 1415 gewesen, unter der Herrschaft Mircea cel Batrins, Vlad Draculs Vater. Mircea hatte die nach der Schlacht von Ankara4 ausgebrochenen innertürkischen Machtkämpfe gut genutzt und sein Fürstentum um Gebiete südlich der Donau, vor allem um die Dobrudscha erweitert. Mit der Befestigung des Hafens und der Stadt Kilia, die die Donaumündung kontrollierte, und dem festungsmäßigen Ausbau der Donauübergänge Giurgiu, Silistria und Isacea suchte er die Donau als Grenze gegen die Türken zu sichern. Seine militärischen Erfolge fundierte er außenpolitisch durch eine ausgewogene Schaukelpolitik. Anerkannte er einmal die Oberherrschaft des Sultans, so unterwarf er sich ein anderes Mal dem ungarischen König, um schließlich dem Polenkönig Treue zu schwören. Es kam ihm auf den Schein nicht an, wichtig war ihm die erreichte De-facto-Unabhängigkeit.

Noch während Mirceas Regierung machte eine großangelegte türkische Offensive seine Erfolge teilweise zunichte. Nach seinem Tod beschleunigten der Streit um die Nachfolge und die Unmöglichkeit, ungarische Hilfe zu organisieren – Sigismund sah seine vordringliche Aufgabe in der Niederwerfung der Hussitenrebellion –, das türkische Vordringen. Um die Mitte der zwanziger Jahre des 15. Jahrhunderts waren die Landstriche südlich der Donau wieder verloren, über den von Mireea erbauten Festungen wehten türkische Banner, und die Einfälle nach Siebenbürgen häuften sich, mit ihnen die Klagen über Sigismunds Untätigkeit.

1427 ergriff der König endlich die Initiative. An der Spitze seines Heeres erschien er in der Walachei, unterstützte damit den ungarnfreundlichen Fürsten, Dan II., und befestigte erneut die Donauübergänge. Er schrieb auch an den Deutschen Ritterorden in Preußen, ob er sich nicht beteiligen wolle am Kampf gegen die Ungläubigen, doch die Ritter lehnten dankend ab.5 Nichtsdestoweniger setzte Sigismund im nächsten Jahr den Feldzug fort, erlitt aber vor der serbischen Festung Galambocz eine schwere Schlappe und zog sich nach Ungarn zurück. Seine Erwerbungen gingen gänzlich verloren. Die Türken besetzten wiederum die Donaufestungen. Dan II., der sich als ungarischer Vasall am Feldzug Sigismunds mit einem walachischen Kontingent beteiligt hatte, war gezwungen, dem türkischen Sultan Tribut zu zahlen, wollte er nicht riskieren, sich eine Strafexpedition auf den Hals zu laden.

Fortan galt er als unzuverlässig. Die Investitur Vlad Draculs war deshalb keine bloße Geste, sondern meinte die konsequente Wiederaufnahme der ungarischen Balkanpolitik: Nicht nur wurde Vlad Dracul der Titel eines »Protektors der transsilvanisch-walachischen Grenze« verliehen, Sigismund verpflichtete sich ferner zu Unterstützungszahlungen sowie zur Bereitstellung eines Truppenkontingents.

Nach dem Reichstag reiste Vlad Dracul nach Schäßburg (Sighisoara) ab, wo er ein Haus besaß; von da aus gedachte er die Vorbereitungen zu treffen, die nötig waren, um die Option auf die Woiwodschaft in eine wirkliche Machtergreifung zu verwandeln.

Zurück blieb ein rumänischer Kleinadliger. Dieser Mann, Johann Hunyady, seit 1430 im Dienste Sigismunds stehend und vornehmlich mit militärischen Aufgaben betraut, sollte im Leben Vlad Draculs und seiner Söhne eine Hauptrolle spielen.

Walachische Wirren (1431-1442)

Vlad Dracul in Siebenbürgen. Vlad Draculea geboren. Vlad Dracul Woiwode der Walachei. Der Bauernaufstand. Übergang zu den Türken. Scylla und Charybdis oder walachische Außenpolitik. Vlad Draculea als Geisel in der Türkei.

Siebenbürgen oder Transsilvanien (›hinter den Wäldern‹) ist einer der buntesten ethnischen Flickenteppiche auf der europäischen Landkarte. Im 15. Jahrhundert wie auch heute noch bestand die Bevölkerung aus den vier Hauptgruppen der Rumänen, Ungarn, Szekler und Sachsen.

Die Deutschen waren in mehreren Einwanderungsschüben im 12. und 13. Jahrhundert ins Land gekommen. Zum größten Teil stammten sie von Rhein und Mosel, wurden aber von den ungarischen Beamten als »Sachsen« bezeichnet, weil sie ihre Auswanderungsroute vom Rhein nach Mitteldeutschland geführt hatte und die Ungarn diese Zwischenstation ihres Weges fälschlich als ihre eigentliche Herkunftsregion ansahen. Ein ihnen 1224 vom ungarischen König verliehener Freibrief, das »Andreanum«, sicherte ihnen freies Grundeigentum auf den ihnen verliehenen Gebieten, eigenes deutsches Recht sowie volle Selbstverwaltung. Ihr Hauptsiedlungsbereich war der Süden und Norden Siebenbürgens, wo sie die Städte Hermannstadt und Kronstadt, Schäßburg und Bistritz als Mittelpunkte eines florierenden Handels gründeten. Die Siedlungen lagen zudem in den fruchtbarsten Regionen Siebenbürgens, was hohe landwirtschaftliche Erträge garantierte. Da die Sachsen auch im Bergbau – die siebenbürgischen Goldminen galten als unerschöpflich, ebenso gab es große Salzlagerstätten – wegen ihrer Kenntnisse gefragt waren, reichte ihre gesellschaftliche Machtposition über ihren bevölkerungsmäßigen Anteil weit hinaus. Im Handel und in vielen handwerklichen Bereichen besaßen sie fast eine Monopolstellung. Ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechend nahmen sie seit 1289 an den Landtagen des ungarisch-siebenbürgischen Adels als »natio recepta«6 teil.

Woher die Szekler, die zweite »natio recepta«, stammen, ist nicht genau zu ermitteln. Ob es sich wirklich um Nachfahren der Hunnen handelt, um Grenzwachen Attilas gegen Westen, wie die Sage geht7, kann bezweifelt werden. Doch nimmt man allgemein eine Herkunft aus Mittelasien an. Die Szekler siedelten im Südosten Siebenbürgens. Ihre Aufgabe war die Grenzwacht. Dafür hatte ihnen der ungarische König Privilegien gewährt. Sie waren dem Adel gleichgestellt, also auf den Landtagen mit Sitz und Stimme vertreten. Sie zahlten keine Steuern und unterlagen nicht dem königlichen Recht. Auf dem ihnen angewiesenen Boden hatten sie das alleinige Siedlungsrecht. Wie die Sachsen genossen sie vollständige Autonomie.

Den Löwenanteil Siebenbürgens besaß die dritte »natio«, der ungarische Adel. Er war in sieben Komitaten organisiert und intensiv damit beschäftigt, die letzten Reste des freien Bauerntums vergangener Zeiten in die Leibeigenschaft herabzudrücken und die Abgaben zu erhöhen. Der Adel war die politisch mächtigste Schicht. Aus seinen Reihen wurde der Woiwode Siebenbürgens gewählt, und ihm oblag, wenigstens in der Theorie, als Ausgleich für so mannigfaltige Vorteile die Verteidigung des Landes.

Die zahlenmäßig stärkste ethnische Gruppe, die Rumänen, war auf den Landtagen nicht präsent; sie war politisch rechtlos. Die Diskussion darüber, inwieweit sie die eigentliche autochthone Volksgruppe Siebenbürgens bildeten, die infolge der Ausbreitung des ungarischen Königreiches nach Süden und Osten abgedrängt bzw. unterworfen wurde, füllt Bände. Die ungarische Geschichtsschreibung hält daran fest, daß Siebenbürgen ein demographisches Vakuum darstellte, das Ungarn nicht zu erobern, sondern nur zu besiedeln und gegen Einfälle von Süden und Osten zu sichern brauchte. Die Rumänen wären dann erst später eingewandert. Andere Quellen berichten von einem sagenhaften rumänischen Woiwoden, der Siebenbürgen gegen die Ungarn verteidigt habe, jedoch geschlagen wurde. Wie auch immer, zunächst dürften die unterschiedlichen landwirtschaftlichen Produktionsweisen die Konflikte in Grenzen gehalten haben. Die Rumänen waren Wanderhirten, die Ungarn und Deutschen in der Hauptsache Ackerbauern. Siebenbürgen (62.000 qkm) hat etwa die Größe Bayerns. Seine Bevölkerung zählte noch gegen Ende des 15. Jahrhunderts erst eine knappe halbe Million, weite Landstriche waren menschenleer, ein Nebeneinander der landwirtschaftlichen Produktionsformen bereitete kaum Probleme. Der ungarische König hatte die Rumänen anfangs aus denselben Gründen privilegiert wie die deutschen Siedler. Sie sollten die Randgebiete besiedeln und so das Kerngebiet schützen. Sie wurden der königlichen Kammer (der Finanzverwaltung) direkt unterstellt. Die Abgaben, die sie zu leisten hatten, waren gering. Als der ungarische Adel daranging, Siebenbürgen zielstrebig zum Feudalstaat auszubauen, wurde sowohl die soziale als auch die nationale Position der Rumänen geschwächt. Kooperationswillige Bojaren und Kneze aus der rumänischen Führungsschicht wurden in die ungarische Oberschicht aufgenommen und assimiliert, der gesamte Rest aber zu Fronbauern und Leibeigenen gemacht.

Es scheint daher nicht abwegig, in der Gründung der rumänischen Fürstentümer Walachei und Moldau in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine Reaktion auf den anwachsenden ungarischen und deutschen Druck zu sehen.8

Die Situation der Rumänen war auch im religiösen Bereich prekär. Die drei anerkannten ›Nationen‹ bekannten sich zum Katholizismus, zur römischen Kirche, die Rumänen dagegen fühlten sich der griechisch-orthodoxen zugehörig, deren Haupt der Patriarch von Konstantinopel war. Den Alleinvertretungsanspruch des Bischofs von Rom, als Papst der gesamten Christenheit vorzustehen, war von der Ostkirche scharf zurückgewiesen worden. 1054 hatte man sich gegenseitig in den Bann getan9 und als Ketzer beschimpft. Die Gegensätze waren geblieben: Durch Siebenbürgen verlief die Grenze der konkurrierenden kirchlichen Einflußsphären.

Daß die Kirche der Deutschen und Ungarn die Kirche ihrer Oberherren war, machte sie bei den Rumänen nicht beliebter. Sowenig wie die drei Inquisitoren, die der Papst nach Siebenbürgen entsandt hatte, sie mit ihren Methoden überzeugen konnten: Das Repertoire der Unterdrückung reichte vom Verbot des Baus steinerner Kirchen10 über Zwangsübertritte orthodoxer Bischöfe zum katholischen Glauben bis zu einzelnen Hinrichtungen halsstarriger Rumänen mit Pfahl und Strick, so sie nicht übertraten; ein Verfahren, gegen das selbst der ungarische König in einem Brief an den Papst Protest einlegte. Man brauchte die Arbeitskraft der Rumänen, soviel stand fest, hätte aber zur politischen gern die geistliche Kontrolle hinzugefügt. So war kein rechter Verlaß, es gab zu viele Unsicherheitsfaktoren: Nicht nur, daß die rumänischen Woiwoden der Moldau und Walachei auf die Unabhängigkeit ihrer Kirchenorganisation größten Wert legten – im moldauischen Staat fanden sogar hussitische Flüchtlinge Zuflucht und Hilfe. Im Bewußtsein der katholischen Kirche bewegte sich solches Verhalten hart an der Grenze zur Häresie.

Mit all dem hatte sich Vlad Dracul auseinanderzusetzen. Der Protegé Sigismunds war, dies ist mit Sicherheit anzunehmen, längst zum katholischen Glauben konvertiert und repräsentierte in seiner Person unter anderem gewisse Hoffnungen des katholischen Klerus auf mehr Einfluß im Fürstentum der Walachei.

Die Hoffenden mußten sich gedulden. Im weiteren Verlauf des für ihn so verheißungsvoll begonnenen Jahres 1431 stellten sich herbe Enttäuschungen ein. Kaum in Schäßburg angekommen, gingen ihm Berichte zu, daß in der Walachei der Thronwechsel bereits stattgefunden habe. Nicht nur den Ungarn, auch den Türken war Dan II. anscheinend ein zu unsicherer Kantonist. Der Sultan hatte sich als schneller erwiesen. Sein Kandidat saß nun mit türkischer Hilfe bereits fest im Sattel. Alexander Aldea, so sein Name, war Vlad Dracul nicht unbekannt: Es war sein Halbbruder.

Alexander regierte nicht ungeschickt. Er signalisierte Verständigungsbereitschaft und ließ durchblicken, daß sich seine türkischen Neigungen in Grenzen hielten. Also wartete man ab. Vlad Draculs Position verschlechterte sich weiter, als im August Nachrichten über den unrühmlichen Ausgang des böhmischen Feldzugs eintrafen. Der fünfte Versuch Sigismunds, das Königreich endlich in Besitz zu nehmen, war noch kläglicher gescheitert als die vorangegangenen:

»Der Schauplatz war die gleiche Grenzgegend bei Tachau wie beim vorigen Mal, als ob der genius loci in Gestalt eines Gottes der Panik dort waltete. Er hob nur lässig seine Hand und winkte, und die Kreuzfahrerkolonnen setzten sich nach rückwärts in Bewegung. Sie warteten nicht einmal den Anblick der Hussiten ab. Es genügte das dumpfe Rollen der in ›Zeilen‹ nebeneinander anfahrenden Kampfwagen, der ferne Gesang des nun schon bekanntgewordenen Hussitenchorals ›Die wir Gottes Streiter sind‹; es genügte, daß der Oberfeldherr Friedrich von Hohenzollern als erster einen ›kleinen Stellungswechsel‹ vornahm, wie er sich später verteidigte. Das Abrücken wurde zur wilden Stampede, die Troßknechte warfen das Gepäck herunter, um rascher vorwärts zu kommen, die Geschütze blieben stehen, die Ritter preschten voran in den Wald. Nur die riesige Beute, die sich am Waldrand aufstaute, und die einfallende Dunkelheit hielten die Hussiten auf.«11

Von Sigismunds Seite war keine Hilfe mehr zu erwarten. Zudem unternahm der König wenige Wochen später einen Zug nach Italien, um seiner Königs- noch die Kaiserkrone beizufügen. Die Truppen dazu warb er in Ungarn. Vlad Dracul mußte sich auf bessere Zeiten vertrösten lassen.

Man nimmt an, daß in diesem Jahr, 1431, der ›Held‹ dieser Geschichte in Schäßburg geboren wurde. Er war Vlad Draculs zweiter Sohn, der erste, Mircea, war um 1428 geboren, und man nannte ihn nach seinem Vater: Vlad, Draculs Sohn, das ist Draculea.

Im darauffolgenden Jahr, 1432, brachen die Türken in Siebenbürgen ein und verwüsteten das Burzenland, das Gebiet um Kronstadt. In vier Schreiben hatte Alexander Aldea händeringend die Sachsen um Hilfe ersucht. Er erhielt keine, obwohl er die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens deutlich hervorhob:

»… somit, meine Brüder, mit euch zusammen vermag ich standzuhalten, ohne euch aber nicht… eilt so schnell wie möglich, Tag und Nacht, damit ihr mir Hilfe bringt; denn wenn es uns schlecht geht, wird es euch noch viel schlechter gehen.«12

So blieb Alexander keine Wahl. Um dem Sultan seine Treue zu demonstrieren, begleitete er das türkische Heer und plünderte selbst etwas mit. Fortan waren die Siebenbürger ihm Feind und er den Türken verpflichtet.

Diese Entwicklung kam Vlad Dracul nicht ungelegen. Mehr als zuvor empfahl er sich als proungarischer Gegenkandidat. Seine zweite Ehe, die er mit einer moldauischen Prinzessin, Eupraxia, einer Schwester der regierenden Fürsten Ilias und Stefan, einging, ließ ihn auf moldauische Hilfe hoffen.

Wir wissen nicht, aus welchen Hilfskontingenten sich das Aufgebot zusammensetzte, mit dessen Unterstützung sich Vlad Dracul schließlich zum Fürsten der Walachei erhob. Im Juli 1435 residierte er endlich in Tirgoviste, der Hauptstadt des Fürstentums. Alexander Aldea war kurz vorher gestorben.

Die Struktur des walachischen Fürstentums war von der Siebenbürgens durchaus verschieden. Seine 500.000 Einwohner stellten eine geschlossene ethnische Einheit dar. Nur in Cimpulung, einer Stadt, die der Deutsche Ritterorden im 13. Jahrhundert kurzfristig in Besitz genommen und befestigt hatte, gab es eine starke deutsche Minderheit. Die Masse der Bevölkerung lebte in den Randgebieten der Karpaten. Die Donauebene, damals mit dichten Wäldern bedekkt, war nur dünn besiedelt.

Zentren des Handels, der von den deutschen Städten Siebenbürgens fast vollständig kontrolliert wurde, waren Tirgoviste, Cimpulung, Curtea de Arges, Pitesti, Rimnicu und Tirgu-Jiu; Braila, an der Donau gelegen, bildete den Haupthandelshafen. Die Städtchen waren klein und nur schwach befestigt. Mauern waren die Ausnahme; eine türkische Chronik weiß zu berichten, daß selbst Tirgoviste nur von Palisaden geschützt gewesen sei. Es gab Festungen an der Donau, aber die waren in türkischer Hand. Seit 1410, als Mircea cel Batrin das Fürstentum auf den Höhepunkt seiner Macht geführt hatte, war das Land, das Vlad Dracul sich untertan nannte, um ein Viertel geschrumpft.

Die Gesellschaftsstruktur des Fürstentums läßt sich grob gliedern in den Fürsten (Woiwoden) und seine Familie, eine Oberschicht: die Bojaren, schließlich die Bauern. Anders als in Ungarn und Siebenbürgen hatte sich in der Walachei ein Feudalsystem westlicher Prägung erst ansatzweise ausgebildet. Der Anteil der freien Bauern, aus denen der Fürst im Kriegsfall sein Heer rekrutierte, war vergleichsweise hoch, die Grenze zwischen ihnen und der untersten Bojarenklasse, es gab deren drei, fließend. Der Bojar überließ jene Teile seines Grundbesitzes, die er nicht selbst bearbeitete, abhängigen Bauern zur Nutzung, die ihm dafür den Naturalzehnt zahlten und Hand- und Spanndienste verrichteten. Im Lauf der Entwicklung und durch fürstliche Privilegien begünstigt, baute die oberste Bojarenschicht zum Schaden der noch freien Bauern ihre Stellung immer weiter in Richtung unabhängiger Grundherrschaften mit Militär-, Gerichts- und Verwaltungsfunktionen aus. Diese Großbojaren und neben ihnen die höchsten kirchlichen Würdenträger bildeten eine Art Staatsrat, den der Fürst bei wichtigen innen- und außenpolitischen Entscheidungen hinzuziehen mußte. Die Bojaren waren auch vonnöten, wenn es um die Wahl eines neuen Fürsten ging. Da es in der Walachei keine Primogenitur gab, konnte sich jeder männliche Angehörige der Herrscherfamilie zur Wahl stellen. Sie wurde von einer großen Bojarenversammlung durchgeführt, in der ebenso wie im Staatsrat der hohe Klerus vertreten war. Der üblichen Taktik der Bojaren, die Kandidaten gegeneinander auszuspielen, um ihre eigenen Rechte und Privilegien zu vergrößern, bot dieses Verfahren mannigfaltige Möglichkeiten.

Zum Staatsrat und der großen Bojarenversammlung kamen noch andere Herrschafts- und Organisationsformen hinzu, die zum einen aus Serbien und Bulgarien, das heißt mittelbar aus Byzanz sich ableiteten, zum anderen aus Ungarn stammten, wie aus der geographischen Lage der Walachei leicht erklärlich. Wie in Ungarn gab es einen Marschall (comisul), Mundschenken (stolnic) und einen Schlüsselbewahrer (cluciare); aus der byzantinischen Kanzleisprache wiederum stammte die Bezeichnung für den Schatzmeister (vistierul-thesaurarius). Die Verwaltungsspitze bildete der vornicul, der oberste Richter. Die Beamten wurden unmittelbar vom Fürsten ernannt.

Die Stellung des Woiwoden war auch deshalb schwach, weil die Bojaren sich in der Regel auf einen Kandidaten mit geringem Landbesitz einigten. Er besaß keine ›Hausmacht‹ und war um so mehr auf die Zusammenarbeit mit den Bojaren angewiesen. Ebensowenig konnte er mißliebige Bojaren einfach absetzen. Wollte er das tun, so war er auf den gesetzmäßigen Weg beschränkt, mußte nachweisen, daß Verrat oder verweigerte Steuerzahlung vorlag. Die Prozesse hierüber zogen sich hin, und die wenigsten Fürsten konnten sich so lange an der Regierung halten.

Die rumänisch-orthodoxe Kirche war ein weiterer Machtfaktor, den Vlad Dracul zu berücksichtigen hatte. Sie war nicht so straff durchorganisiert wie die westliche, verfügte aber über bedeutende Klöster mit großem Landbesitz wie Tismana, Govora, Vodita, Cozia und Snagov. Wie überall in Europa waren die Ländereien der Kirche von Steuerzahlungen befreit. Im Kriegsfall allerdings wurde dieses Privileg suspendiert. Analog zur Pflicht der Bojaren, Bewaffnete für das Heer zu stellen, leisteten die Klöster Geldzahlungen oder lieferten Naturalien. Der Sitz des einzigen Bischofs war Curtea de Arges, der alte Sitz der Woiwoden vor 1400.

Die rumänisch-orthodoxe Kirche war weitgehend eigenständig. Nominell der griechisch-orthodoxen verbunden, konnte sie zu einer ›Landeskirche‹ werden, weil die Stellung des Patriarchen von Konstantinopel mit der des Papstes nicht zu vergleichen war. Die Ostkirche stellte einen lockeren Verbund von Nationalkirchen dar, denen der Patriarch von Konstantinopel als Oberhaupt nur ehrenhalber präsidierte. Sein Einfluß beruhte mehr auf der kulturellen Überlegenheit der byzantinisch-christlichen Kultur im allgemeinen denn auf direkter geistlicher Machtausübung.

Die Möglichkeiten dieser Konstruktion hatten die rumänischen Fürsten schon früh erkannt. Indem sie die Zentralisierung ihrer jeweiligen Landeskirchen forcierten und durch fürstunmittelbare Klöster ein Gegengewicht zum Landbesitz der Bojaren zu schaffen suchten, beabsichtigten sie, die Kirche zur Stärkung ihrer eigenen Macht zu benutzen.