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Andreas Brämer

Die 101 wichtigsten Fragen

Judentum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Dieses Buch vermittelt grundlegende Einblicke in den jüdischen Glauben. Im Mittelpunkt stehen die religiösen Ideen, die Glaubenspraxis und die Frage nach jüdischer Identität. Dabei kommen unterschiedliche Auslegungen und Strömungen zur Sprache, die die große Vielfalt der jüdischen Religion bis heute ausmachen. Zur Sprache kommen aber auch säkulare Formen jüdischen Lebens. Insgesamt bieten die Fragen und Antworten, die nach Themen wie «Gesetz und Ethik», «Symbole und Zeichen», «Gebet und Gottesdienst» oder «Israel und Diaspora» angeordnet sind, eine umfassende und kurzweilige Einführung in die jüdische Religion.

Über den Autor

Andreas Brämer, geb. 1964, ist stellvertretender Direktor des Hamburger Instituts für die Geschichte der deutschen Juden.

 

 

 

 

Meiner Frau Elisabeth gewidmet in Liebe.
Danke für Frederic Mauritz und Florian Micha David!

Inhalt

Zur Einleitung

    1. Was ist das Judentum?

    2. Wer ist Jüdin oder Jude?

    3. Kann man Jude werden?

    4. Gibt es Konfessionen im Judentum?

Bibel und jüdische Literatur

    5. Welche Texte enthält die jüdische Bibel?

    6. Darf die Hebräische Bibel übersetzt werden?

    7. Wer erklärt den Juden die Bibel?

    8. Was steht in der Mischna?

    9. Warum gibt es den Talmud gleich zweimal?

  10. Welche Kost bietet der «Gedeckte Tisch»?

  11. Welche Rolle spielt die Kabbala im jüdischen Denken?

  12. Was ist jüdische Philosophie?

Glaube und Gott

  13. Woran glauben Juden?

  14. Sind die Juden das auserwählte Volk?

  15. Welches Bild machen sich Juden von Gott?

  16. Hat Gott einen Namen?

  17. Wann wird der Messias kommen?

  18. Ist die menschliche Seele unsterblich?

  19. Ist der Himmel bevölkert?

  20. Israel, ein Volk von Heiligen?

  21. Glauben Juden an Jesus?

Gesetz und Ethik

  22. An welchen Leitlinien orientiert sich jüdische Ethik?

  23. Wie viele Ge- und Verbote kennt das Judentum und muss man sie alle einhalten?

  24. Welche Bedeutung hat das Studium der Tora?

  25. Warum essen die meisten Juden kein Schweinefleisch?

  26. Ist das Schächten Tierquälerei?

  27. Warum sind Cheeseburger nicht koscher?

  28. Hat der Arme ein Recht auf Unterstützung?

  29. Was ist koscherer Sex?

  30. Wann beginnt menschliches Leben, und wann hört es auf?

  31. Wie wichtig sind Tier- und Umweltschutz?

  32. Gibt es ein Bilderverbot?

Symbole und Zeichen

  33. Ist die Sieben eine besondere Zahl?

  34. Hat König David den Davidstern erfunden?

  35. Wie viele Arme hat der jüdische Leuchter?

  36. Warum hängen kleine Behälter in den Türrahmen jüdischer Haushalte?

  37. Was bedeuten die Lederriemen beim Morgengebet?

  38. Sind Bart und Schläfenlocken Ausdruck besonderer Frömmigkeit?

  39. Müssen Juden ihren Kopf bedecken?

  40. Warum tragen Orthodoxe keine Mischgewebe?

  41. Was bedeuten die rituellen Fransen an der Kleidung?

  42. Gibt es spezifisch jüdische Kleidung?

Gebet und Gottesdienst

  43. Wie häufig kommen Juden zum Gebet zusammen?

  44. Wann wird in der Synagoge aus der Bibel gelesen?

  45. Zu welchen Gelegenheiten werden Segenssprüche gesprochen?

  46. Welches sind die wichtigsten Gebete?

  47. Ist das Kaddisch ein Totengebet?

  48. Sehen alle jüdischen Gebetbücher gleich aus?

  49. Priester oder Kantor – wer leitet den Gottesdienst?

  50. Ist der Rabbiner ein Geistlicher?

  51. Wie sieht eine Synagoge aus?

  52. Warum werden auf den Friedhöfen Torarollen begraben?

Schabbat und Festkultur

  53. Was unterscheidet den Schabbat von den übrigen Tagen der Woche?

  54. Wieso dürfen Juden am Schabbat nicht mit dem Auto fahren?

  55. Wann beginnt das jüdische Jahr?

  56. Weshalb gibt es an Jom Kippur nichts zu essen?

  57. Wieso bauen Juden zu Sukkot Laubhütten?

  58. Welches Wunder geschah an Chanukka?

  59. Warum berauschen sich Juden zu Purim?

  60. Warum sollen vor dem Pessachfest keine Getreideprodukte im Haus sein?

  61. Wie lange dauert das Wochenfest?

  62. Was geschah einst am Neunten des Monats Av?

  63. Wann feiert Israel seine Unabhängigkeit?

  64. In welchem Jahr der jüdischen Zeitrechnung befinden wir uns?

Lebenszyklus und Geschlecht

  65. Ist die Beschneidung eine gesundheitliche Maßnahme?

  66. Wie wird die Geburt einer Tochter gefeiert?

  67. Warum lösen Eltern ihren erstgeborenen Sohn aus?

  68. Werden Bar-Mizwa-Feiern auch für Mädchen veranstaltet?

  69. Haben Frauen und Männer gleiche Rechte?

  70. Kann eine Frau Rabbinerin werden?

  71. Welche religiösen Satzungen gelten (nur) für Frauen?

  72. Ist die Mikwe eine Frauenbadeanstalt?

  73. Ist die Ehe eine Pflicht?

  74. Warum händigt der Mann seiner Braut einen Ehevertrag aus?

  75. Werden bei der Trauung Ringe ausgetauscht?

  76. Können Juden sich scheiden lassen?

  77. Sind konfessionell gemischten Ehen erlaubt?

  78. Darf ein jüdischer Mann mehrere Frauen heiraten?

  79. Was ist ein Mamser?

  80. Warum bekommen Kranke zuweilen einen neuen Namen?

  81. Nach welchen Regeln werden die Toten beigesetzt?

  82. Darf man Gräber irgendwann auflösen?

  83. Warum sind Trauernde häufig unrasiert?

  84. Wann zieht eine Witwe dem Bruder ihres verstorbenen Mannes den Schuh aus?

Einheit und Vielfalt

  85. Gelten die Samaritaner als Juden?

  86. Wer waren die Pharisäer?

  87. Wann entstand die Gemeinschaft der Karäer?

  88. Wo liegt Aschkenas, wo liegt Sefarad?

  89. Wie progressiv ist der Chassidismus?

Israel und Diaspora

  90. Was ist Antisemitismus?

  91. Sprechen alle Juden Hebräisch?

  92. Sehnen sich alle Juden nach Jerusalem?

  93. Wie deuten Juden das Leben in der Diaspora?

  94. Ist der Zionismus eine religiöse Bewegung?

  95. Ist Israel ein jüdischer Staat?

  96. Wie viele Juden leben in Israel und der Diaspora?

  97. Leben Juden in Deutschland auf gepackten Koffern?

  98. Ist Klesmer die traditionelle Volksmusik der deutschen Juden?

  99. Welche Organisationen vertreten die Interessen der Juden in Deutschland?

Zum Schluss

100. Kann man an deutschen Universitäten jüdische Religion und Geschichte studieren?

101. Und wenn ich mehr über Juden und Judentum erfahren will?

Glossar

Zu den Abbildungen

Zur Einleitung

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1. Was ist das Judentum?    An einer Definition des Begriffs «Judentum» haben sich bereits zahlreiche Autoren der philosophischen, theologischen, religionswissenschaftlichen und historischen Zunft versucht. Das simple Kriterium, dass es sich bei Jüdinnen und Juden um Bekenner und Praktizierende einer Religion handele, die man Judentum nennt, ist in mehrfacher Hinsicht ungenau: Vor allem in der Neuzeit kehren viele jüdische Menschen dem jüdischen Glauben den Rücken, ohne deshalb jedoch ihre jüdische Identität zu verleugnen. Und jene, die an einem religiösen Bekenntnis zum Judentum festhalten, werden in der Regel ihr Judesein nicht von ihrer Frömmigkeit abhängig machen wollen, sondern sie eher als dessen Ausdruck begreifen. Im Übrigen präsentiert sich selbst das religiöse Judentum höchst uneinheitlich. Schließlich bleibt bei einer Zuordnung aufgrund von Glaubenskriterien unklar, ob etwa Gruppierungen, die der Häresie bezichtigt werden, oder messianische Juden (s. Frage 21) noch innerhalb des Judentums stehen.

Das alternative Selbstverständnis vieler Juden als Angehörige einer Abstammungsgemeinschaft wirft zugleich zahlreiche neue Fragen auf. Aus der Vorstellung der Kontinuität von unzähligen Generationen, der Zugehörigkeit zu einem «Stamm», wurden und werden Verpflichtungen gegenseitiger Solidarität abgeleitet. Allerdings sind Außenheiraten und Glaubensübertritte zum Judentum eine Wirklichkeit, die bereits in der Hebräischen Bibel zur Sprache kommt und sich in der gesamten jüdischen Geschichte bis heute fortsetzt. Die These von der vermeintlichen gemeinsamen Herkunft der Juden hat zudem in den letzten 150 Jahren allzu häufig dazu gedient, hierarchisierende Rassediskurse zu begründen und Juden als «die Anderen» auszugrenzen. – Auf der Suche nach einer weltlichen Definition jüdischer Identität hat sich auch der Begriff der «Nation» als geschichtsmächtig erwiesen. Vor allem im Zionismus hat die Vorstellung von der realen Einheit aller Juden großen Zuspruch gefunden. Doch «Nation» ist eben keine überzeitliche, ontologische Kategorie, sondern konstituiert im Grunde eine vorgestellte Gemeinschaft. Selbst ein Ethnizitätskonzept, das den sozialen Konstruktionscharakter von Ethnien als Wir-Gruppen bestätigt, vermittelt den Eindruck einer Geschlossenheit aufgrund von bestimmbaren Kriterien, die aber weder der kulturellen und geographischen Vielfalt jüdischer Lebenswelten gerecht wird noch die Heterogenität jüdischer Selbstzuschreibungen berücksichtigt.

Dass das Judentum in unzähligen Variationen existiert und eine widerspruchsfreie Klassifizierung nach konventionellen Kategorien scheitert, darf uns allerdings nicht dazu verleiten, ganz auf den Versuch einer Definition zu verzichten, weil andernfalls auch «die Juden» als kollektives Subjekt abhanden kommen. Es mag helfen, Judentum als Konstellation von Elementen aus Glaube, Ritual, Tradition, Kultur, Abstammung, Geschichte und kollektivem Zusammenhalt zu verstehen – eine variable Zusammensetzung von möglichen Attributen, die sich in unterschiedlichen Ausprägungen auf einen als jüdisch verstandenen Sinnzusammenhang beziehen, sich aber niemals alle gleichzeitig in ihrer vollen Bandbreite manifestieren. Solche definitorischen Unschärfen ermöglichen es sehr wohl, die Juden als eine fassbare Einheit in den Blick zu nehmen.

2. Wer ist Jüdin oder Jude?    Die Bezeichnungen «Judäer» und «Jude» gehen beide auf das hebräische Wort Jehudi zurück. Bei den Judäern handelte es sich ursprünglich um Angehörige des Stammes Juda bzw. um die Bewohner des Königreichs Judäa im Süden von Palästina. Erst nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil wurde «Jehudi» zur Bezeichnung eines Angehörigen des jüdischen Volkes benutzt. Seit dem Mittelalter findet der Begriff «Jude» vor allem Verwendung, um die Bekenner der jüdischen Religion zu bezeichnen. Vermied man im 19. und frühen 20. Jahrhundert diesen Ausdruck als herabsetzend, hat er mittlerweile seinen negativen Klang verloren und sich allgemein durchgesetzt. Traditionell verwenden Juden selbst häufig den ursprünglichen Volksnamen «Israel», um die eigene religiöse Gemeinschaft zu benennen.

Abhängig vom Standpunkt des Betrachters lassen sich die religiösen Zugehörigkeitskriterien unterschiedlich auslegen. Das rabbinische Religionsgesetz definiert das Judesein zunächst nach dem objektiven Gesichtspunkt der Abstammung. Jude ist demnach, wer eine jüdische Mutter hat (Mischna Kidduschin 3,12). Nicht zuletzt unter dem Eindruck der steigenden Zahl gemischtkonfessioneller Ehen haben die progressiven Strömungen des amerikanischen Judentums diese traditionelle Position inzwischen hinter sich gelassen, indem sie auch die Herkunft des Vaters als ausreichende Bedingung der Zugehörigkeit zum Judentum anerkennen, vorausgesetzt, dass das Kind eine jüdische Erziehung erhält. Sowohl das konservative als auch das gesetzestreue Judentum (s. Frage 4) betrachten aber weiterhin die matrilineare Herkunft als entscheidenden Gesichtspunkt jüdischer Identität. Eine Einigung in dieser Auseinandersetzung ist nicht in Sicht.

Bleibt die Frage, ob eine Person, die als Jude geboren wurde, jedoch einen anderen Glauben angenommen hat, weiterhin Mitglied der Erwählungsgemeinschaft bleibt. Das jüdische Recht enthält Hinweise, denen zufolge auch «Abtrünnige» nicht aus der kollektiven Verpflichtung zur Bundesgefolgschaft entlassen sind; sie gelten demnach weiterhin als Juden und können jederzeit den Weg der Umkehr und Buße beschreiten.

3. Kann man Jude werden?    Nicht durch Geburt allein heißt ein Buch, das sich mit dem Thema Konversion zum jüdischen Glauben befasst. Übertritte zum Judentum sind prinzipiell möglich und in der Tat hat die jüdische Religion immer wieder eine Faszination auf Angehörige anderer Bekenntnisse ausgeübt. Sowohl die geglaubte als auch die erlebte jüdische Geschichte kennt zahlreiche Beispiele für die Konversion von einzelnen Personen oder ganzen Gruppen. Eine besondere Stellung im kulturellen Gedächtnis der Juden nehmen die Chasaren ein, ein Turkvolk, dessen Oberschicht vermutlich im 8. Jahrhundert nahezu geschlossen die jüdische Religion annahm. Dennoch kennt das Judentum, anders als das Christentum und der Islam, keine systematische Mission, da sich die Gültigkeit und Verpflichtung des sinaitischen Bundes auf die Nachkommen der Israeliten beschränkt. Auch die Jahrhunderte währende Diasporasituation der Juden als diskriminierte und sozial ausgegrenzte Minderheit erklärt deren Zurückhaltung, offensiv für den jüdischen Glauben zu werben. Erst das Reformjudentum hat wieder zu einer offeneren Haltung gefunden, indem es grundsätzlich positiv auf den Konversionswunsch von Nichtjüdinnen und Nichtjuden reagiert.

In keinem Fall genügt jedoch die bloße Absichtserklärung einer Person, dass sie den Glaubenswechsel vollziehen möchte. Die jüdische Tradition knüpft den Übertritt (Gijur) an zahlreiche Bedingungen und regelt das Verfahren tendenziell restriktiv: Ein Kandidat ist zunächst auf die Unterstützung eines autorisierten Rabbiners angewiesen, der sich von der Lauterkeit seiner Motive überzeugt und ihm beim vorbereitenden religiösen Studium zur Seite steht. Der eigentliche Übertritt erfolgt vor einem aus drei Personen bestehenden Religionsgericht (Bet Din). Ein Besuch des rituellen Tauchbads, der Mikwe (s. Frage 72), geht der Aufnahmezeremonie voraus. Männer müssen sich außerdem einer Beschneidung der Vorhaut (s. Frage 65) unterzogen haben. Ein Proselyt verpflichtet sich nicht nur zur Erfüllung der religiösen Ge- und Verbote, sondern er erwirbt bis auf wenige Ausnahmen auch alle Rechte geborener Juden. Allerdings ist die jüdische Gemeinschaft von einem Konsens in der Konversionsfrage weit entfernt, da das orthodoxe Judentum Konvertiten, die bei einem konservativen oder progressiven Rabbiner übergetreten sind, die Anerkennung verweigert.

4. Gibt es Konfessionen im Judentum?    Bereits die traditionelle jüdische Gesellschaft vor der Aufklärung hat sich entgegen landläufigen Vorstellungen in Fragen der religiösen Weltdeutung nie völlig einheitlich präsentiert. Unterschiedliche Auslegungen des jüdischen Rechts bei sefardischen und aschkenasischen Gelehrten (s. Frage 88), Auseinandersetzungen über den Stellenwert kabbalistischer und philosophischer Reflexionen, der Streit über den Pseudomessias Sabbatai Zwi (gest. 1676) oder die Konflikte zwischen den Chassidim und ihren intellektualistischen Gegnern, den Mitnagdim (s. Frage 89), bezeichnen wichtige Episoden der jüdischen Religionsgeschichte.

Die unterschiedlichen Strömungen des modernen Judentums entfalteten sich jedoch erst seit dem 19. Jahrhundert, als sich die Juden Mitteleuropas auf ihrem Weg aus dem Ghetto in die bürgerliche Gesellschaft mit den Herausforderungen der Moderne konfrontiert sahen. Bereits um 1850 setzte sich das religiöse Spektrum aus den verschiedensten orthodoxen und reformerischen Orientierungen zusammen: Einerseits formierte sich neben einer emanzipations- und assimilationsfeindlichen «Alt-Orthodoxie», die allmählich zu einer Quantité négligeable schrumpfte, die «Neo-Orthodoxie», die ihre Treue zum Religionsgesetz und ihren Glauben an die göttliche Inspiration sowohl der Bibel als auch des Talmud mit einer zustimmenden Haltung zur europäischen Kultur und Bildung verband. Andererseits existierten mehr oder weniger radikale Spielarten des Reformjudentums, das die Offenbarung nicht als einmaliges Ereignis, sondern als kontinuierlichen Prozess betrachtete und dessen ethischer Monotheismus sich eher auf die Propheten als auf die Halacha (s. Frage 23) berief. Die Reformer verschafften der deutschen Predigt, Chorgesang und Orgelspiel Einzug in die Synagoge, deren Liturgie sie zugleich veränderten, um ihrem Wunsch nach Integration in die nichtjüdische Gesellschaft Ausdruck zu verleihen. Die Orthodoxie hingegen erteilte theologisch motivierten Eingriffen in den Kultus eine strikte Absage. Zwischen Reform und Orthodoxie positionierte sich zudem eine gemäßigt konservative Strömung, bei der sich der Glaube an einen Offenbarungskern des Judentums mit einem Bekenntnis zur historischen Entwicklung der Tradition verband.

Im deutschen Kaiserreich erlangte die Reform als «Liberales Judentum» in den meisten Synagogengemeinden die Vorherrschaft. Die Orthodoxie, die sich selbst auch mit den Begriffen «gesetzestreues» oder «toratreues» Judentum beschrieb, wusste sich zugleich als selbstbewusste Minderheit zu behaupten – entweder unter einem gemeinsamen organisatorischen Dach mit den religiös Liberalen oder in streng frommen Trennungsgemeinden. Die Nationalsozialisten zerstörten diese religiös-kulturelle Vielfalt, als sie die jüdischen Deutschen vertrieben oder ermordeten. Erst in der jüngeren Vergangenheit der Bundesrepublik, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Zuwanderung aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, weicht das Prinzip der lokalen Einheitsgemeinde, das jahrzehntelang auf eine orthodoxe Gestaltung des Gottesdienstes und der religiösen Institutionen hinauslief, allmählich wieder einer pluralistischen Anschauung von gelebter Frömmigkeit. Die Gründung von liberalen Gemeinden und konservativen Einrichtungen zeugt von dem Wunsch, religiöse Positionen auch jenseits der Orthodoxie wieder dauerhaft in Deutschland zu etablieren.

Kontinuierliche Entfaltungsmöglichkeiten boten sich den religiösen Strömungen in den USA, wo gesetzestreue, konservative (Conservative Judaism) und fortschrittliche Gruppierungen (Reform Judaism) zwar anfänglich die gedanklichen Impulse aus Deutschland aufnahmen, sich aber im Verlauf des 19. Jahrhunderts von ihren Vorbildern emanzipierten. Im 20. Jahrhundert entstanden dann weitere Gruppierungen. Eine Abspaltung vom rechten Flügel des Konservativen Judentums ist die Union for Traditional Judaism. Ebenfalls aus dem Konservativen Judentum hervorgegangen ist der progressiv orientierte Rekonstruktionismus (Reconstructionism), der das Judentum als umfassende religiöse Zivilisation beschreibt. Dabei verzichtet er auf den Glauben an einen außerweltlichen persönlichen Gott, erklärt Gott vielmehr als eine natürliche und in der Geschichte wirkende Macht. Ganz ohne Gott kommt das Humanistische Judentum (Humanistic Judaism) aus, das aber bislang nur wenig Zuspruch findet.

Insgesamt sind die nichtorthodoxen Strömungen ein Phänomen des aschkenasischen Judentums in Europa und Amerika, in der sefardischen Welt sowie in der übrigen Diaspora haben sie kaum eine Rolle gespielt. Auch in Israel sind konservative und progressive Gruppierungen zwar präsent, angesichts eines orthodoxen Oberrabbinats, das mit staatlichen Privilegien ausgestattet ist, bleibt ihr Einfluss auf das religiöse Leben jedoch begrenzt. Im jüdischen Staat verlaufen die Fronten in erster Linie zwischen säkularen und gläubigen Jüdinnen und Juden. Aber auch die israelische Orthodoxie weist unterschiedliche Schattierungen auf: Einander gegenüber stehen nationalreligiöse Juden und militante Antizionisten (Neture Karta), Lubawitscher und andere Chassidim (s. Frage 89) sowie aschkenasische und orientalische Charedim (Ultraorthodoxe), die ihre zum Teil unterschiedlichen Interessen auch mithilfe eigener politischer Parteien durchzusetzen versuchen.

Bibel und jüdische Literatur

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5. Welche Texte enthält die jüdische Bibel?    Die Juden gelten als das Volk des Buches, das die Hebräische Bibel als «portables Vaterland» (Heinrich Heine) mit sich führt. Zwar hat das traditionelle Judentum den Heiligen Schriften (Kitve Hakodesch) zugunsten einer intensiven Beschäftigung mit der sakralrechtlichen Überlieferung häufig nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt, doch als Referenzpunkt nahezu der gesamten religiösen Literatur bleibt die Bibel Grundtext des jüdischen Glaubens. Ihre Kenntnis ist deshalb für all jene unerlässlich, die sich einen Zugang zur Geistes- und Kulturgeschichte des Judentums verschaffen möchten.

In der Regel vermeiden jüdische Gläubige, wenn sie sich auf die Hebräische Bibel beziehen, die Verwendung des Begriffs «Altes Testament», zumal sich darin eine christologische Auslegung andeutet, dass der Bund zwischen Gott und Israel durch Person und Wirken Jesu aufgehoben sei. Geläufige hebräische Bezeichnungen für die Bibel sind «Mikra» (abgeleitet von dem hebräischen Wort kara – lesen) sowie das Akronym «Tanach», das auf die drei Textgruppen der Bibel, d.h. Tora (Pentateuch, fünf Bücher Mose), Neviim (Propheten) und Ketuvim (Schriften, Hagiographen), Bezug nimmt. Heutige Hebräische Bibeln liegen in einer hinsichtlich Verseinteilung, Konsonantenbestand, Vokalisierung und Akzentsetzung einheitlichen Fassung vor. Wir verdanken sie den Masoreten, d.h. Gelehrten in Palästina und Babylonien, die sich während des 7. bis 10. Jahrhunderts um eine Konsolidierung des Textbestands bemühten. Der sog. masoretische Text des Tanach umfasst 24 (nach moderner Zählung 39) fast ausschließlich in hebräischer Sprache verfasste Bücher, die von verschiedenen Autoren stammen bzw. verschiedenen Urhebern zugeschrieben werden:

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Nach normativer Vorstellung gelten alle biblischen Schriften als göttlich inspiriert. Ihre Anordnung weist sowohl auf die Bedeutung der drei Textgruppen in der Liturgie der Synagoge hin als auch auf deren abnehmende Offenbarungsqualität. Im Zentrum des Gottesdienstes steht die wöchentliche Lesung aus der Tora, an deren Autorität kein anderer Teil der Bibel heranreicht. Als Autor des gesamten Pentateuch gilt Moses, dem Gott als einzigen Propheten von «Angesicht zu Angesicht» gegenübertrat (Deuteronomium 34,10). Als heilige Schrift des Judentums war das Fünfbuch etwa seit dem 4. Jahrhundert v. d. Z. weithin anerkannt. Die Kanonisierung der Propheten und Hagiographen hingegen erfolgte erst im Verlauf eines langwierigen Prozesses der Sammlung und Auswahl, die sich bis in die hellenistische Periode bzw. bis in die rabbinische Zeit hinzog. Zu den außerkanonischen Schriften gehören unter anderem Tobith, Judith, Ben Sira sowie die Bücher der Makkabäer, die aber über die antike griechisch-jüdische Bibelübersetzung Septuaginta ihren Weg in die katholische und die orthodoxe christliche Bibel fanden.

6. Darf die Hebräische Bibel übersetzt werden?    Die Bibel ist das mit Abstand am häufigsten übersetzte Buch. Neben zahlreichen christlichen Versionen in nahezu allen Sprachen und Dialekten existiert auch eine Reihe von jüdischen Übertragungen einzelner Bücher, ganzer Textgruppen oder des gesamten Tanach aus dem Urtext. Seit dem Altertum und bis in die Gegenwart kamen solche Übersetzungen den praktischen Bedürfnissen der jüdischen Gläubigen entgegen, wenn diese nicht über ausreichende Kenntnisse des Hebräischen verfügten.

Älteste überlieferte Bibelübersetzung ist die griechischsprachige Septuaginta, die der Legende nach aus der Feder von 72 jüdischen Männern stammt. Sie entstand etwa im 3. Jahrhundert v. d. Z. in Alexandrien (Ägypten), wo sich eine größere Gemeinde hellenisierter Juden niedergelassen hatte. – «Targumim» (Sing.: Targum) heißen die für den liturgischen Gebrauch bestimmten jüdisch-aramäischen Übersetzungen, die in rabbinischer Zeit im westlichen Perserreich angefertigt wurden, wo das Aramäische das Hebräische als Alltags- und Schriftsprache mehr und mehr verdrängte. Verbindliche Geltung erlangte vor allem der «Targum Onkelos» zur Tora, der im 2. Jahrhundert n. d. Z. schriftlich redigiert wurde. Traditionelle, kommentierte Pentateuchausgaben drucken ihn bis heute nach, können aber auch weitere Targumim wiedergeben.

In den jüdischen Diasporagemeinden des Mittelalters wurde in die jeweilige Umgangssprache übersetzt. Im mitteleuropäischen Raum kursierten vor allem jiddische Übertragungen einzelner Bücher der Bibel, später aber auch Gesamtbibeln in jüdisch-deutscher Sprache. Außerordentlicher Beliebtheit erfreuten sich prosaische Nacherzählungen von Tanachtexten. Meistgelesene jiddische Paraphrase der Tora ist das Buch Zenne Renne (nach Hohelied 3,11: «Kommt und schaut»), das Jakob ben Isaak Aschkenasi aus Janowa gegen Ende des 16. Jahrhunderts verfasste. Das Erbauungsbuch mit einer Fülle erzählender Ausschmückungen galt bis ins 19. Jahrhundert als beliebte Schabbatlektüre insbesondere für Frauen und Kinder. – Die erste jüdische Übertragung der Heiligen Schrift (Pentateuch und Psalmen) in die deutsche Hochsprache (in hebräischen Lettern!) war ein Projekt der jüdischen Aufklärung und entstand 1780 bis 1783 unter der Ägide des Philosophen Moses Mendelssohn (1729–1786), versehen mit einem hebräischen Kommentar. Weitere Verdeutschungen, an denen vor allem jüdische Reformtheologen, später aber auch orthodoxe Gelehrte beteiligt waren, bereicherten im 19. Jahrhundert den Buchmarkt, so die 1837/38 erschienenen «Vierundzwanzig Bücher der Heiligen Schrift», redaktionell betreut von Leopold Zunz (1794–1886). – In der zweiten Jahrhunderthälfte folgten auch deutsche Pentateuchausgaben aus der Feder orthodoxer jüdischer Gelehrter, die ebenso wie die Zunzbibel bis heute nachgedruckt werden. Um ein vor allem in sprachlicher Hinsicht faszinierendes Projekt handelt es sich bei der 1925 begonnenen und 1961 abgeschlossenen «Verdeutschung der Schrift» durch Martin Buber (1878–1965) und (anfangs) Franz Rosenzweig (1886–1929). Über sie schrieb der israelische Gelehrte deutscher Herkunft Gershom Scholem (1897–1982), sie sei «nicht mehr ein Gastgeschenk der Juden an die Deutschen, sondern […] das Grabmahl einer in unsagbarem Grauen erloschenen Beziehung» (Judaica 1, S. 215) Leichter verständlich ist die von Naftali Herz Tur Sinai (Harry Torczyner; 1886–1973) redigierte Bibelübersetzung, die 1935 bis 1937 von einer Gruppe jüdischer Bibelwissenschaftler liberaler und konservativer Prägung angefertigt wurde; die jüngste Neuauflage liegt seit 2015 vor.

7. Wer erklärt den Juden die Bibel?    In der Zeit des Zweiten Tempels entstand eine philosophische und religiöse Literatur, die sich kommentierend mit der Tora und anderen Büchern der Heiligen Schrift auseinandersetzte und sie für die jeweilige Gegenwart erklärte. Dazu gehören etwa die Apokryphen, viele der in Qumran am Toten Meer entdeckten Schriftrollen, die Pentateuchauslegung des griechisch-jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien (ca. 20 v. d. Z.–50 n. d. Z.) oder die Nacherzählungen des Bibeltextes bei dem Geschichtsschreiber Flavius Josephus (37– ca. 105). Eine systematischere Auslegungstradition entwickelte sich in der Zeit nach 70 n. d. Z. Der endgültige Verlust staatlicher Eigenständigkeit sowie die Zerstörung des Jerusalemer Zentralheiligtums als Machtbasis der Priesterschaft bildeten wichtige Voraussetzungen für den Aufstieg der Rabbinen, die im Verlauf der folgenden Jahrhunderte ihre Deutungen als «normatives» Judentum durchsetzten. Dabei brachten sie eine umfangreiche, ausschließlich religiöse Literatur hervor, die vielfältig auf die Bibel Bezug nahm.

Die rabbinische Hermeneutik betrachtete den Tanach als ewig gültige Offenbarung Gottes an Israel. Sie ging deshalb von der Voraussetzung aus, dass Sprache, Wortlaut und Orthographie der Bibel vollkommen sind, weshalb jegliche Details, also etwa scheinbare Wiederholungen, grammatikalische Auffälligkeiten oder von der Regel abweichende Schreibweisen, nicht Ergebnis von Zufällen sein können, sondern einer konkreten Erklärung bedürfen. Zugleich birgt jeder Vers eine Fülle von unterschiedlichen, gleichzeitig gültigen Bedeutungen, die die Exegese freilegen kann (vgl. z.B. bSchabbat 88b). Um aber einer willkürlichen Behandlung der Hebräischen Bibel vorzubeugen und einen methodisch korrekten Umgang mit dem Text zu gewährleisten, haben die Rabbinen verschiedene Kataloge mit Auslegungsregeln (Middot) zusammengefasst: die sieben Regeln Hillels, die dreizehn Regeln Jischmaels sowie die 32 Regeln des Rabbi Elieser.

Unter dem Begriff «Midrasch» (Forschung, Auslegung) wird die Literatur subsumiert, die sich inhaltlich ausschließlich auf den Pentateuch oder andere biblische Bücher (in deren Ordnung) bezieht. Fast alle Midraschim (Pl.) stammen aus Palästina. Inhaltlich unterscheiden sich die «halachischen» Midraschim mit vorwiegend religionsrechtlichen Auslegungen (zu den Büchern des Pentateuch mit Ausnahme der Genesis) von den erbaulichen «aggadischen» Midraschim, die meist später entstanden sind und nichtgesetzliche Schrifterklärungen etwa zur Genesis oder den sog. fünf Schriftrollen (Klagelieder, Hoheslied, Ruth, Esther und Prediger) enthalten. Formelle Unterschiede gibt es zwischen den exegetischen Midraschim, die den Text Vers für Vers erklären, und den homiletischen Midraschim, die sich eher an einzelnen Versen orientieren und diese predigtartig kommentieren. Weitere Midraschtexte enthalten Nacherzählungen von Bibeltexten («rewritten bible») oder anthologieartige Sammelwerke.

Die jüdische Auslegungstradition setzte sich während des Mittelalters vor allem in Europa fort, sowohl im sefardischen als auch im aschkenasischen Kulturkreis. Genuine Klassiker der (hebräischsprachigen) Schrifterklärung (Parschanut) wie Salomo ben Isaak aus Troyes/Nordostfrankreich (Akronym: Raschi; 1040–1105), der im maurischen Spanien gebürtige Abraham ibn Esra (1089–ca. 1164), David Kimchi (Akronym: Radak; 1160–1235) aus der Provence/Südfrankreich oder der aus Katalonien/Spanien vertriebene Moses ben Nachman (Nachmanides; Akronym: Ramban; 1194–1270) haben bis heute ihre geistige Strahlkraft bewahrt. Ihre Auslegungen finden noch immer Platz in den großformatigen Rabbinerbibeln (Mikraot Gedolot).

Während des 19. und 20. Jahrhunderts bewegte sich die jüdische Bibelauslegung vielfach unter dem Einfluss oder in Auseinandersetzung mit der protestantischen Universitätstheologie, deren historischkritischer Zugang zum Alten Testament vor allem den traditionellen Offenbarungsglauben radikal infrage stellte. Jüdische Theologen waren namentlich gezwungen, sich mit der Urkundenhypothese auseinanderzusetzen, die sich in der Bibelwissenschaft Geltung verschaffte. Sie geht davon aus, dass der Pentateuch nicht Moses zum Verfasser hat, sondern aus mehreren, ursprünglich selbstständigen Quellen besteht, die im Verlaufe eines längeren Redaktionsprozesses verbunden worden sind. Herausragendes Beispiel moderner jüdischer Bibelauslegung ist der monumentale Genesiskommentar, den 1934 der langjährige Dortmunder Rabbiner Benno Jacob (1862–1945) publizierte und der ebenso wissenschaftlichen Ansprüchen genügt als auch die Quellenscheidung zu widerlegen sucht. Jacobs ebenso beeindruckender Kommentar zum Buch Exodus erschien erst 1997, mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod.

8. Was steht in der Mischna?    Nach der politischen und religiösen Katastrophe des Jahres 70 n. d. Z. ließen sich Angehörige der pharisäischen Religionspartei in der Küstenstadt Javne nieder, die sie zum neuen Zentrum des Torastudiums erkoren, bis der Schulbetrieb nach Galiläa verlagert wurde. Die Gelehrten dieser Periode (bis etwa 200 n. d. Z.), die das rabbinische Judentum begründeten, werden Tannaiten (aram.: wiederholen, lernen, lehren) genannt. Ihr wesentliches Anliegen war es, die überlieferte religiöse Praxis zusammenzutragen bzw. das Religionsgesetz in exegetischer Anlehnung an die in der Tora niedergelegte göttliche Offenbarung festzuhalten. Ihre Bemühungen, die Halacha als ebenfalls am Sinai verkündete und seither kontinuierlich weitergegebene «Mündliche Lehre» (Tora Schebealpe) schriftlich zu erfassen, mündeten unter anderem in die halachischen Midraschim (s. Frage 7) zu den Büchern Exodus, Leviticus, Numeri und Deuteronomium. Hauptwerk der tannaitischen Periode ist jedoch die «Mischna» (Studium, Lehre), eine hebräische Textsammlung, die eine gesichtete und geordnete Zusammenfassung aller Diskussionen und Entscheidungen der Rabbinen zum jüdischen Sakralrecht enthält. Ihre Endredaktion erfolgte um das Jahr 200 n. d. Z. und wird dem religiösen Oberhaupt der Juden in Palästina, dem Patriarchen Jehuda Hanassi, zugeschrieben. Schon bald danach fand die in der Mischna kodifzierte Halacha normative Anerkennung, so dass sich das religiöse Judentum fortan weitgehend geschlossen präsentierte. Auch in Babylonien, neben Eretz Israel das zweite antike Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit, übernahmen die Rabbinen das Regelsystem der mündlichen Tora, das sie fortan zur Grundlage ihres Studiums machten.

Die Mischna bemüht sich, religiöse und profane Lebensbereiche gleichermaßen zu regulieren. Ihre Einteilung folgt einer groben sachlichen Gliederung. Insgesamt 63 Traktate (Massechtot, Sing. Massechet), eingeteilt in Kapitel (Prakim, Sing. Perek), sind auf die folgenden sechs Sedarim («Ordnungen», Sing. Seder) verteilt:

1. «Sraim» (Samen): v.a. Vorschriften zur Landwirtschaft; außerdem das Traktat «Brachot» (Lobsprüche), das die Ordnung des Gottesdienstes regelt,

2. «Moed» (Festzeiten): Schabbat und Festkalender,

3. «Naschim» (Frauen): Ehe- und Scheidungsrecht sowie weitere Familienangelegenheiten,

4. «Nesikin» (Schäden): Privat- und Strafrecht; außerdem das Traktat «Pirke Avot» (Sprüche der Väter), eine Sammlung ethisch-moralischer Aussprüche namhafter rabbinischer Gelehrter,

5. «Kodaschim» (Heiliges): Bestimmungen zum Tempel und Opferritus sowie Speisevorschriften,