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Carola Clasen
Schwarze Schafe

Carola Clasen wurde 1950 in Köln geboren. Nach einem Sprachenstudium arbeitete sie bis zu ihrer Heirat in Belgien. Später veröffentlichte sie zahlreiche Kurzgeschichten im Rundfunk. 1998 erschien ihr erster Eifel-Kriminalroman »Atemnot«.

»Schwarze Schafe« ist nach »Novembernebel« (2001), »Das Fenster zum Zoo« (2002), »Tot und begraben« (2003) und »Auszeit« (2004) ihr fünfter Titel im Programm des KBV.

Carola Clasen

Schwarze Schafe

20 Mörderische Geschichten

Images

Inhalt

MS Stella Maris

Wohnst du noch oder lebst du schon?

Unser Dorf soll schöner werden

Siegrid Kempowski

Das Fest des Friedens

Survival-Training

In Ketten

Am Ende des Weges

Der freie Tag

Bitte ein Bit

Waterzooi

Nikolaus, komm in unser Haus

Der Bestseller

Ein starker Partner

Letzter Wille

Elvis

Er und sie oder ich

Mutters Zimmer

Rockerbraut

Das Schweigen der Schafe

MS Stella Maris

Ein Presslufthammer wütet und rotiert ohne Unterlass in meinem Schädel, sobald ich meinem Bewusstsein gestatte sich zu sammeln und an die Oberfläche zu gelangen.

Das erste Geräusch, das ich bei so einer Gelegenheit von außen zusätzlich wahrnehme, ist ein eindringliches Piepsen. Ein Vogel? Es wird lauter und ich versuche die Augen zu öffnen. Aber meine Lider sind schwer und scheinen verklebt, nur ein kleiner Spalt tut sich auf.

Ich blicke durch einen Schleier über eine große, undeutliche, grüne Fläche hinab auf ein weißes Gestänge, auf dem kein Vogel sitzt. Es könnte das Fußende eines Bettes sein. Ein Bett, in dem ich liege. Unter einer grünen Decke. Dahinter wieder grün. Ein anderes Grün. Dunkler. In Vierecke eingeteilt. Kacheln, schätze ich.

Mein Kopf lässt sich dank des Presslufthammers nicht bewegen. Er lässt keine Ecke, keine Windung aus, und scheint wie ein Krake zu sein, saugt sich an der Schädeldecke in jedem Winkel fest. Nur meine Augen können wandern. Sie sind jetzt ganz offen und mäandern, zuerst nach links.

Wieder grün. Grüne Falten. Vorhänge. Dahinter scheint das Grün manchmal heller. Neben mir liegt ein Arm, ich sehe ihn, aber ich spüre ihn nicht. Es ist möglicherweise trotzdem meiner. Er ist mit einer Kanüle an eine durchsichtige Schnur gekoppelt, die zu einer Flasche an einer Stange führt. Klare Flüssigkeit scheint zu fließen, nein, zu tropfen.

Kein Vogel weit und breit. Aber es piepst.

Rechts von mir will ich ihn suchen, mich orientieren, stoße im Hintergrund auf den Umriss einer Tür, wieder grün, dann endlich sehe ich aus den Augenwinkeln einen großen dunklen Schatten direkt an meinem Kopfende. Viel zu groß für einen Vogel. Von dort kommt das Piepsen auch nicht.

Schultern erkenne ich, einen Kopf. Mehr nicht. Ich fühle mich schwach und viel zu müde. Die Augen fallen mir wieder zu, aber riechen kann ich noch. Muss ich, kann es nicht abstellen. Und ich rieche SIE.

Jetzt übertönt der Presslufthammer das Piepsen nur noch knapp.

Weiß war die Gischt gewesen, die über mir zusammenschlug. Schwarz wie der Tod das Wasser, in das ich hinabsank. Ich strampelte, kämpfte, schlug um mich. Sank und kam wieder hoch und schrie, aber niemand kann den Motor eines Schiffes übertönen. Niemand, der kaum noch Luft zum Atmen hat, dem das Wasser in die Kehle läuft.

Eisige Kälte zog mich hinab, wie durch ein Wunder zunächst weg von der todbringenden Schraube, dann saugte sie mich wieder an, ein scharfes Messer traf mich am Rücken, der Länge nach, und überließ mich gleich darauf bewegungslos der Tiefe. Bei jedem Öffnen meines Mundes floss Wasser in mich hinein, obwohl ich schon übervoll davon war. Wie eine Qualle.

Dabei war es so ein schöner Tag gewesen. Hitze, Sonnenbrand. Und der See. Ich und Marie waren allein an Deck gewesen. Am Heck. Die anderen hatten sich ins Restaurant verzogen, in den Schatten, die Sonne knallte an diesem Tag unerträglich, die Hitze staute sich zwischen den umliegenden Hügeln, auch der flache, heiße Fahrtwind brachte keine Erleichterung.

Durch die Fenster hatten wir sie an den Tischen sitzen sehen, ihre Hüte und Kappen vor sich. Sie ließen sich Getränke servieren und sahen hinaus in die flirrende Hitze. Zu Marie und mir. Die Gesichter gerötet, Schweißflecken unter den Armen. Japsend der eine oder andere Ältere.

Die Schiffstour war Maries Idee gewesen. Ich hatte nichts dagegen. Wir wollten einen letzten schönen Tag verbringen. Zum Abschied. Obwohl ich kein guter Schwimmer bin, habe ich mich immer zum Wasser hingezogen und auf Schiffen immer sicher gefühlt. Zu sicher, wie es sich nun zeigte. Man sollte nie zu sicher sein.

Ich war auch ihrer immer sicher gewesen. Ihrer Loyalität, ihrer Toleranz, ihres Verständnisses, was sollte da schon geschehen? Sie würde mir verzeihen.

Das hat nichts mit uns zu tun!, wollte ich ihr versichern. Gar nichts.

Sie trug ein ärmelloses, dünnes Kleid an diesem Tag. Hellblau war es. Ihre Haare hatte sie nicht zusammengebunden wie sonst, nein, sie ließ sie im Wind flattern und in der Sonne glänzen. Und all ihre Sommersprossen! Ich registrierte es, aber es berührte mich nicht. Nicht mehr. Es war zu spät. Ein anderes Gesicht hatte mein Herz erobert.

Der See war nicht irgendein See, es war der Rursee. Wir hatten das letzte Schiff von Schwammenauel nach Rurberg und zurück genommen. 17 Uhr bis 18.45 Uhr, ich weiß es genau, es war ein Samstag. Wir würden fast zwei Stunden an Bord sein, Zeit genug um uns auszusprechen. Niemand konnte weglaufen. Wir mussten uns der Situation stellen. Ich musste ihr endlich reinen Wein einschenken. Auf diesem Schiff, auf der Stella Maris.

Marie hatte zuerst den »Rursee in Flammen« vorgeschlagen, eine Nachtfahrt mit Feuerwerk, die meist um diese Jahreszeit stattfindet, aber das war mir zu emotional. Was ich ihr zu sagen hatte, vertrug keine Romantik.

Dennoch: Die Aussicht war atemberaubend. Kleine Gruppen in Canadiern zogen am Ufer vorbei, Angler saßen in verträumten Buchten. In Eschauel, am Kermeterufer und in Woffelsbach nahmen wir in kurzen Abständen neue Gäste auf. Sie verteilten sich.

Und ich wusste nicht, wie ich beginnen sollte.

Ich hob es mir für die Rückfahrt auf, wollte uns den Tag nicht ganz verderben. Als hätte sie es geahnt, war sie zurückhaltend und wortkarg. Es wollte keine rechte Stimmung aufkommen. Zäh verstrich die Zeit. Die Viertelstunde Wartezeit in Schwammenauel vor der Rückfahrt standen wir stumm, wie verfeindet an Deck.

Wir hatten bereits die Hälfte des Rückweges zurückgelegt. Uns blieb nicht mehr viel Zeit, als ich es endlich aussprach: »Ich muss dir etwas sagen. Ich habe mich neu verliebt.«

»Ich weiß.«

Hatte sie mich mit Anna gesehen? Hatte jemand getratscht?

Sie wechselte das Thema. »Wie heißt dieses Schiff?«

Wild entschlossen fuhr ich fort, als hätte ich ihre Frage nicht gehört: »Ich kann nicht mehr mit dir leben.«

»Es ist die MS Aachen, oder?«

»Nein, die Stella Maris, hast du mir nicht zugehört, ich werde ausziehen. Es tut mir so Leid. Es hat nichts mit uns zu tun. Das musst du mir glauben. Aber wir müssen uns trennen.«

Marie flüsterte etwas in den Fahrtwind.

»Was hast du gesagt?«

»Nein.«

»Wie nein? Was meinst du damit?«

»Niemals die Stella Maris.«

»Doch. Es steht unten am Heck. Was spielt das jetzt für eine Rolle?«

»Nein. Es ist die Aachen.«

»Nein. Die Stella Maris. Wirklich.«

»Warum siehst du nicht nach?«

Geplänkel, Zänkerei. Nur nicht auf den Punkt kommen. Es waren immer diese Kleinigkeiten gewesen, weswegen wir uns gestritten hatten. Ich hatte sie geliebt, wenn mir Anna nicht über den Weg gelaufen wäre, würde ich es immer noch tun.

Marie war so ganz anders als andere Frauen gewesen. Nüchtern, spröde, hat nicht viel getan, um mir zu gefallen. Das hat mich damals angezogen. Jetzt war es einfach vorbei. Wie eine Jahreszeit. Das musste sie doch verstehen, so spielte das Leben nun einmal.

Aus der Tiefe des Sees kehre ich zurück zu meinem Presslufthammer und dem Piepsen in meinem grünen Zimmer. Ich höre leise, schnelle Schritte, die sich nähern, eine Stimme, die flüstert. Bruchstücke dringen zu mir vor, wie in Watte verpackt.

»Er ist aufgewacht.«

Eine Hand tätschelt mir die Wange.

»Können Sie mich hören?«

Die leisen Schritte gehen um mich herum, Hände kontrollieren den Arm an der Flasche, den Sitz der Decke, streichen über meine Stirn. Meine Augenlider flattern nervös, meine Lippen zittern und beben.

»Das ist ein gutes Zeichen … gehen Sie nach Hause … ruhen Sie sich ein wenig aus … wir rufen Sie, sobald …«

Aber der große, dunkle Schatten, Marie, bleibt an meinem Kopfende, rückt sogar näher. Drohend und stumm.

Lasst mich nicht mir ihr allein!, will ich schreien, aber kein Ton will herauskommen. Ich habe noch nie Angst vor ihr gehabt. Sie ist meine Frau.

Woher diese Angst? Ich zermartere mir das Hirn. Und plötzlich weiß ich es wieder. Sehe es vor mir und fühle es.

Ich hatte nicht den Halt verloren, als ich mich weit vornüber beugte, um den Namen des Schiffes am Heck für meine Marie zu kontrollieren.

Ich war nicht abgerutscht. Nein, so war es nicht gewesen.

Mein Schwerpunkt befand sich bereits außerhalb des Schiffes, als mir die Füße weggezogen wurden, und mein Unterkörper in die unglückliche Schieflage einer Schubkarre gehievt wurde. Mit dem Kinn schlug ich gegen den Schiffsrumpf, kopfüber hing ich noch Sekunden an meinen feuchten, verschwitzten Händen. Da musste nur noch jemand sie mit eisernem Griff vom Geländer lösen. Finger um Finger spreizen … Marie! Wer sonst? Niemand sonst war an Deck gewesen!

Ich musste um mein Leben geschrien haben. Natürlich, jeder würde in so einer Situation schreien. Aber die Akustik ließ in dieser Stellung arg zu wünschen übrig.

Es gehe mir jeden Tag besser, mein Zustand sei jetzt stabil, habe ich gehört. Ich weiß nicht, wie sie das meinen.

Einen Presslufthammer im Kopf zu haben, ist das neuerdings normal? Hat man das jetzt?

Und bewegen kann mich auch immer noch nicht. Ich lebe, ja, im Inneren, gefangen in meinem Körper. Er gehorcht mir nicht, als läge ein Felsbrocken auf mir. Der Gedanke gefällt mir. Eines Tages wird jemand kommen, der ihn wegräumt. Eines Tages.

Ich kann auch schon wieder schlucken, vielleicht meinen sie das, muss nicht mehr über einen Schlauch mit klebriger Flüssigkeit ernährt werden, die in mich hineinläuft, ob ich es will oder nicht.

An meinen Pupillen haben sie endlich erkannt, dass ich Schmerzen habe. Bravo! Schmerzen im Kopf, schließen sie messerscharf. Wo auch sonst? Der Rest meines Körpers ist frei von Gefühlen aller Art.

Aber Kopfschmerzen, das ist gar kein Ausdruck für das, was sich in meinem Schädel abspielt. Früher hatte ich schon mal unter Migräne gelitten. Ich kannte diese Anfälle, bei denen man glauben konnte zu sterben. Aber, ehrlich, sie waren ein Kinderspiel gegen das, was ich jetzt erlebe. Das hier ist das Inferno.

»Dagegen werden wir natürlich etwas tun.«

Wie schön! Sie machen mir Hoffnung.

Man verabreicht mir endlich Medikamente dafür, vielmehr dagegen. Ich soll mit den Augenlidern klimpern, wenn die Dosis nicht reicht. Ich klimpere um mein Leben. Irgendwann bekomme ich dann so viel, dass der Presslufthammer so nett ist, ein wenig kürzer zu treten. Für eine Zeit lang wird er fast erträglich. Aber er verlässt mich nicht. Mal arbeitet er hart, mal weniger. Pausen macht er nie.

Aber mehr kann ich angeblich nicht vertragen. Wegen der Nebenwirkungen. Ha! Dass ich nicht lache. Was gibt es denn noch für Nebenwirkungen neben den Wirkungen, die ich bereits habe?

Eines Tages kommt ein Arzt, schickt Marie hinaus und erklärt mir die Lage. Er hat die Abbildung eines menschlichen Rückgrates dabei und zeigt mir die Stelle, wo die Schiffsschraube die entscheidenden Nerven durchtrennt hat.

»Querschnittlähmung bedeutet das. Es tut mir Leid. Da sind mir die Hände gebunden.«

Nur Ihre Hände, denke ich, Sie Glücklicher.

»Am besten, Sie hadern nicht, sondern nehmen Ihr Schicksal an«, rät er mir und legt seine Hand auf meine. Sie ist von vielen Adern durchzogen und braun gebrannt. Eine Tennisoder Golfhand. Er streichelt mich. Hat er vergessen, dass ich an dieser Stelle nichts spüre?

»Sehen Sie es als Zeichen.«

Als Zeichen wofür, würde ich ihn gern fragen. Für totale Abhängigkeit? Für das Ende der Welt?

»Gott will Sie prüfen.«

Gott? Seit wann ist Marie Gott?

Nein!, will ich schreien, sie hat mich gestoßen.

Aber nur ein Stöhnen und Lallen dringt über mein Lippen. Auch leise sprechen ist nicht drin, flüstern oder murmeln, nicht einmal hauchen. Stattdessen laufen mir die Tränen über die Wangen kalt in die Ohren.

Finger um Finger …

Einen Tag später werde ich aus dem grünen Zimmer über einen dunklen Flur und mit einem Aufzug in ein weißes Zimmer gefahren. Ich habe jetzt einen Zimmergenossen. Einen alten Mann, der mit offenem Mund auf dem Rücken liegt und schnarcht. Sonst ist alles gleich.

Ich piepse immer noch, weiß aber natürlich längst, was es ist. Mein Herz und mein Puls. Solange ich piepse, lebe ich. Ich hänge immer noch an der Flasche und werde gewickelt wie ein Baby. Ich fühle es nicht. Ich sehe es nur. Es ist mir peinlich und zuwider, wenn sie mich waschen, wenden und drehen und dabei über mich sprechen, als wäre ich blind und taub.

Ein Gegenstand.

Es braucht vier Hände dazu. Der alte Mann ist nicht von dieser Welt, er bekommt nichts mit, er darf bleiben, aber Marie wird hinausgeschickt, und jedes Mal hoffe ich, sie kommt nicht wieder.

Aber wenn ich wieder unter der Decke liege, wie ein frisch gebackenes Brot, ist Marie zurück. Setzt sich an mein Kopfende mit ihrem Duft. Ihr Parfüm habe ich einmal geliebt. Nicht genug konnte ich davon bekommen. Vorbei. Heute kommt es mir ätzend vor.

Anna! Die Frau, wegen der sich mein Leben so einschneidend verändert hat, war noch kein einziges Mal hier. Hat sie mich schon vergessen? Will sie mit einem gelähmten Mann nichts zu tun haben? Viel kann ich ihr nicht mehr bieten, das ist wahr. Aber wir könnten etwas versuchen.

Krampfhaft versuche ich mich an ihr Gesicht zu erinnern. Ihre Haare, ihren Duft, es will mir nicht recht gelingen.

Tage und Nächte ziehen an meinem Fenster vorbei. Es spielt keine Rolle, ich kann mich nicht rühren. Nie mehr. Der Kopf gehorcht mir nur, was das Sehen und Riechen angeht, Sprechen nicht, aber wiederum Hören, das was der Presslufthammer durchgehen lässt. Mein Piepsen und das Schnarchen des alten Mannes, manchmal das Getuschel der Ärzte, der Schwestern und das von Marie. Über mich. Ich bin ein Sonderfall. Sie beraten sich. Was sollen wir bloß mit ihm machen? Er ist doch noch so jung.

Und denken kann ich. Und dieser Beschäftigung gebe ich mich ausgiebig hin: Marie hat mich also erst ins Wasser geworfen wie einen stinkenden Fisch und dann gerettet oder viel mehr retten lassen. Aber warum? Warum hat sie mich nicht den Wellen überlassen? Wollte sie als Heldin dastehen? Habe ich ihr am Ende Leid getan? Hat sie es in letzter Sekunde bereut? Muss ich ihr etwa dankbar sein?

Immerhin, ich bin hier in diesem Krankenbett und nicht auf dem Grund des Sees. Und in guten Händen, scheint es, man will nur das Beste für mich, wenn nur nicht Marie die ganze Zeit neben mir säße. Es fällt mir nicht schwer mich schlafend zu stellen, wenn wir allein sind. Sie hat noch kein Wort zu mir gesagt.

Was hat sie vor?

Leise, schnelle Schritte nähern sich. Wortfetzen: »… können nichts mehr für ihn tun … Pflegeheim … Überlegen Sie es sich … Sie können ihn doch nicht ganz allein jahrelang …«

»Nein«, bestimmt der große dunkle Schatten mit Maries Stimme an meinem Kopfende. »Ich nehme ihn mit nach Hause.«

Das Piepsen verselbstständigt sich, es rast unregelmäßig davon. Alles in mir verkrampft, schmerzt, bäumt sich auf, der Presslufthammer schlägt zu. Mein Körper liegt dabei wie ein Stein.

Es hilft nichts. Ich werde abtransportiert. Der Tag ist da, an dem man mich in ihr Haus trägt. Aber noch gebe ich nicht auf, ich wehre mich so gut ich kann.

Ich lasse meine schreckgeweiteten Augen hin und her rollen, ich klimpere mit den Augenlidern um mein Leben. Meinen Mund verzerre ich zu einem stummen Schrei. Schaumigen Speichel lasse ich aus meinen Mundwinkeln laufen.

Aber die Schwester versteht es verkehrt.

»Keine Sorge. Es wird alles gut«, tröstet sie mich. »Ihre Frau kümmert sich um Sie. Sie müssen nicht ins Pflegeheim. Keine Angst. Sie haben Glück, so eine Frau zu haben. Sie ruft uns an, wenn irgendetwas ist und wir kommen sofort. Sie kann Ihnen ebenso die Medikamente geben, die Sie für Ihre Kopfschmerzen brauchen, wie wir. Mehr können auch wir nicht für Sie tun. Sie werden sehen, es wird alles gut.«

Sie hat mich gestoßen!, will ich schreien, aber ich kann es immer noch nicht. Nicht leise sagen, flüstern oder murmeln, nicht einmal hauchen. Oder den Satz mit den Augenlidern klimpern.

Draußen vor dem Eingang des Krankenhauses steht Anna. Endlich! Ich erkenne sie sofort. Gott sei Dank! Sie wird alles in Ordnung bringen. Sie wird Marie klar machen, wer von nun an in meinem Leben eine Rolle spielt. Sie ist also doch noch gekommen, um mich aus Maries Klauen zu befreien. Warum erst jetzt?

Es hat einen einfachen Grund, man hat sie nicht zu mir gelassen. Ja, so muss es gewesen sein. Sie ist keine Angehörige. Die Arme! Was muss sie durchgemacht haben.

Ich springe auf, laufe auf sie zu, nehme sie an der Hand und laufe mit ihr davon, nur weg aus diesem Albtraum hier, von mir aus bis ans Ende der Welt. Aber was rede ich da, alles was ich kann, ist sie anklimpern und anlächeln. Und ich lächle, was das Zeugs hält. Vollgepumpt mit Chemie fällt mir das nicht schwer.

Und sie? Kommt wenigstens sie auf mich zu, beugt sich über mich und umarmt mich? Nein. Sie schenkt mir nicht einen einzigen Blick, sieht über mich hinweg, geht an mir vorbei, umarmt stattdessen Marie ganz ungeniert.

Was ist denn hier los? Meine Augen wandern von einer Frau zur anderen.

Dann hilft Anna Marie tragen, all das medizinische Zeugs, ohne das ich in Zukunft nicht mehr werde leben können, Infusionsflaschen, Katheter, Windeln, Cremes gegen das Wundliegen. Nicht zu vergessen, das Wichtigste: drei Klinikpackungen dieses Teufelzeugs gegen meinen Presslufthammer. Und sie quatschen und lachen miteinander wie Teenager, als sei heute ein Tag zum Feiern.

Ein Komplott! Gegen einen hilflosen Menschen, gibt es etwas Menschenunwürdigeres?

Die Sanitäter sind meine letzte Rettung. Aufgelöst klimpere ich ihnen zu, als sie mich in den Krankenwagen schieben. Mit einer Schlaggeschwindigkeit, an der sich jeder Kolibri ein Beispiel nehmen könnte. Aber sie haben damit zu tun, mich festzuschnallen und wieder auszusteigen.

Nun klettert Marie in den Krankenwagen, setzt sich neben mich, Anna stellt die Tüten und Taschen zu ihr, tritt ein paar Schritte zurück und winkt von draußen und ruft. »Bis morgen, ja, Marie? In unserem Café!«

»Ja, bis morgen.«

Kurz bevor die Türen zuschlagen, wirft Marie Anna die drei Klinikpackungen zu und richtet zum ersten Mal das Wort an mich.

»Nicht wahr«, sagt sie und tätschelt mir dabei die Wange, »mein Lieber, die brauchen wir doch jetzt nicht mehr.«

Da vergeht mir das Klimpern ein für alle Mal.

Wohnst du noch oder lebst du schon?

Als Gerlinde die Frage zum ersten Mal hörte und ein paar Tage darauf rein aus Neugier das entsprechende Möbelhaus zum ersten Mal betrat, wusste sie sofort: Sie war eine Betroffene.

Sie wohnte noch.

In Eiche, altdeutsch, rustikal.

Dabei verraten Möbel so viel über einen Menschen.

Gregor zum Beispiel, ihr Mann, dachte nicht im Traum an eine Veränderung. Er fühlte sich in den Möbeln seiner verstorbenen Mutter angeblich wohl. Angeblich. Vermutlich hatte er sich aber immer noch nicht von ihr abgenabelt oder es mangelte ihm schlichtweg an Kreativität.

Gerlinde war damit gesegnet. Sie ging gern mit der Mode. Stil bedeutete ihr viel. Nicht allein durch Kleidung, sondern auch durch Möbel konnte man seine Persönlichkeit nach außen darstellen.

Und außerdem: Das Auge wohnt doch mit.

Gregor hatte zu allem Überfluss zwei linke Hände, die Handhabung eines Imbus-Schlüssels würde ihm also immer ein Rätsel bleiben. Obwohl der Aufbau garantiert kinderleicht sein sollte. Aber Kinder hatten sie ja auch keine.

Mit ihm war das jedenfalls nicht zu machen. Stur konnte er sein, wie ein Betonklotz. Nur über meine Leiche, pflegte er zu sagen. Soweit wollte Gerlinde nicht gehen. Es musste einen anderen Weg geben.

Zum Beispiel ihn zu verlassen und auszuziehen?

Gerlinde hatte erst in ihren Träumen und dann auf dem Papier längst die ganze Wohnung vermessen, jeden Winkel, jeden Türausschnitt, die Deckenhöhe, die Fensterbank. Sie hatte sie im Geiste eingerichtet, sie hatte die passenden Möbel im Katalog ausgesucht, was nicht einfach gewesen war. Die neue Kücheneinrichtung, die reine Doktorarbeit. Sie hatte nicht die Absicht, anderswo noch einmal von vorne anzufangen.

Gregor mitsamt seiner altdeutschen Eiche auf die Straße setzen?

Das sagte sich so leicht. Die neuen Möbel waren nur auf den ersten Blick in den Katalog billig. Wenn man jedoch alle Schräubchen, Häkchen, Seitenbretter und Scharniere und Griffe zusammenzählte, waren sie allerhöchstens noch preiswert. Da war ein zweites Leben für Gregor nicht drin! Leider.

Die dritte Möglichkeit bestand darin, ihn für die Zeit, die der Wechsel der Möbel in Anspruch nehmen würde, auf irgendeine Weise auszublenden, aus dem Verkehr zu ziehen oder außer Gefecht zu setzen. Danach würde sie ihn dann vor vollendete Tatsachen stellen. Und alles wäre wie immer. Bis auf die Möbel. Und das war es, was sie wollte.

Eines Tages brach es also aus ihr heraus: »Oh Gregor! Ich kann nicht mehr.«

Verwundert zog er eine Augenbraue in die Höhe.

»Hast du es nicht gemerkt? Ich weiß nicht, was mit mir los ist, ich glaube, ich muss mal eine Zeit lang ganz allein leben, um wieder zu mir selbst zu finden.«

Nach einer Bedenkzeit fragte er: »Wohin willst du denn gehen?«

Er hatte da etwas falsch verstanden.

»Nein, nein. Ich würde dafür schon gern in meinem gewohnten Umfeld bleiben. Sonst zerreißt es mich ganz und ich falle in ein abgrundtiefes Loch. Ich dachte, du würdest mir insofern entgegenkommen, als du für eine gute Weile, eh …«

Bedenkzeit.

»Was ist eine gute Weile?«

Gerlinde rechnete kurz durch. Zwei Wochen müssten reichen. »Ich dachte an vierzehn Tage?«

Bedenkzeit.

Dann: »Gut.«

»Das würdest du wirklich für mich tun?« Es lief glatter als sie erhofft hatte.

»Wenn es dir hilft.«

»Oh Gregor! Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.«

»Ist schon in Ordnung«, wiegelte er ab. »Wenn danach nur alles wie immer ist.«

»Das wird es sein, das verspreche ich dir.«

Alles, bis auf die Möbel.

Schon am nächsten Tag bat er seinen Chef um Sonderurlaub, informierte seine Schwiegereltern, seinen Bruder, die gemeinsamen Freunde, und verkündete all überall: »Ich fahr allein in Urlaub!«

»Wohin willst du denn?«

Er zuckte mit den Schultern.

»Für wie lange?«

»Vierzehn Tage!«

»Was sagt denn Gerlinde dazu?«

»Da muss sie durch.«

Der guten Ordnung halber verabschiedete er sich auch von der Nachbarin, Frau Katharina Sieger, ein Haus weiter, damit kein Gerede aufkam.

»Warum das denn?«, wollte diese wissen, »es ist doch schön hier bei uns in der Eifel. Da braucht man doch gar keinen Urlaub!«

Gregors Koffer standen gepackt im Flur. Gerlinde hatte ein letztes Abendbrot zum Abschied vorbereitet. Er war noch nie in Urlaub gewesen, weder allein noch mit ihr, seiner Frau. Immer war etwas dazwischengekommen.

Und auch dieses Mal hatte er keine Chance. Leider. Denn Gerlinde hatte nachgedacht. Es gab Probleme. Wenn er nach vierzehn Tagen zurückkäme, würde ihn der Schlag treffen. So eine zugleich abrupte wie dauerhafte Veränderung in seinem geliebten Zuhause würde er nicht verkraften, sie kannte ihren Gregor. Es würde zu einer Katastrophe kommen. Sie musste ihn behutsam und in kleinen Schritten in sein neues, schönes, helles Leben führen.

»Ich bin ganz aufgeregt«, sagte Gregor und trommelte nervös mit den Fingern auf den alten Küchentisch. Er hatte keinen Appetit.

»Warte. Ich gebe dir eine von meinen Schlafpillen.«

»Lieber nur ’ne halbe, ich muss morgen früh ja fit sein für die Reise.«

Das musste er nicht. Aber das konnte er nicht wissen.

Nachdem sich mehrere der kleinen Pillen in einem Glas Wasser aufgelöst hatten, das er mit angewidertem Gesicht herunterstürzte, spülte er mit dem ersten Glas Rotwein nach. Dann tranken sie die ganze Flasche leer und auch noch eine zweite, redeten über alte Zeiten, so lange bis er begann zu nuscheln und sein Kopf anfing zu wackeln und schließlich stirnseits auf den Tisch fiel, knapp neben seinen unberührten Teller.

Als er auf Ansprache nicht mehr reagierte, verlor Gerlinde keine Zeit und beauftragte telefonisch den Eildienst einer Entrümplungs-Firma, die bereit war, eine komplette Wohnungsauflösung innerhalb der nächsten sechs Stunden in einer Nacht- und Nebelaktion möglichst lautlos zu vollziehen. Es war eine Frage des Preises.

Anschließend schleppte sie Gregor vom Küchenstuhl auf den kleinen, schmalen Balkon und deckte ihn sorgfältig mit einer Wolldecke zu.

Wie oft hatten sie hier zusammen auf ihren Eiche-Stühlen gesessen, hinaus auf die sanften Hügel gesehen und über Sinn und Unsinn einer neuen Wohnungseinrichtung diskutiert, hart diskutiert. Einmal hatte sie sich sogar aufgrund seiner Unbeugsamkeit genötigt gesehen ihn auszusperren. Natürlich hatte sie nachgegeben, als er drohte vor ihren Augen in den Tod zu springen, wenn sie ihn nicht auf der Stelle wieder hineinließe. Der richtige Moment, um Bedingungen zu stellen. Er war auf alles eingegangen. Aber natürlich waren seine Versprechen hinfällig und er sprach sogar von Erpressung, sobald er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Jetzt lag er da wie ein zusammengeklappter Sonnenschirm. Manche Menschen machten sich selbst und anderen das Leben wirklich unnötig schwer.

Die drei Herren, die kurz darauf auf der Bildfläche erschienen, waren groß und stark und Profis. Nach und nach und Stück für Stück verschwand das gesamte verhasste Meublement in einem Lieferwagen ohne Aufschrift und dieser in der Dunkelheit.

Gregor tat auf dem Balkon derweil keinen Mucks.

Wieder allein, holte sie ihn zurück in die leere Wohnung. Sie verbrachten den Rest der Nacht auf dem nackten Fußboden. Gerlinde schlief unruhig, Gregor dagegen hatte den Schlaf des Gerechten oder wie man das nennt, wenn das Schicksal in den Händen einer nicht unerheblichen Dosis Valium liegt. Erst gegen Morgen machte er sich wieder bemerkbar.

»Wo bin ich?«, stammelte er.

»Zu Hause«, bestätigte Gerlinde wahrheitsgemäß.

Als sein Bewusstsein langsam zurückzukehren drohte, reichte sie ihm ein neues Glas Wasser. Er bemerkte nicht, wie trüb es war und wie bitter sein Inhalt schmeckte.

»Ich bin so müde«, klagte er noch, ehe seine Augen wieder zufielen.

»Schlaf doch einfach noch ein wenig.«

Er tat es bereits.

Danach raffte sie den mit detaillierten Zeichnungen bestückten Möbelkatalog an sich, mietete einen Transporter und machte sich auf den Weg.

Am Ziel ihrer Wünsche angekommen, war es zum Überquellen voll und alle Informationsstände belagert. Sie war offensichtlich nicht die Einzige, die Schönheit und Qualität zu schätzen wusste. Womit sie jedoch nicht gerechnet hatte, war die Tatsache, dass der größte Teil der Möbel nicht in den Mitnahmebereich fiel, sondern frühestens in drei Wochen lieferbar sein sollte. Enttäuscht kehrte sie dem Möbelhaus den Rücken.

Aber es gab kein Zurück.

Die Wartezeit war eine Art Zwischenebene, in der Gerlinde sich ein neues Rezept ausstellen ließ und voller Anspannung und Unruhe in ihrer völlig leeren Wohnung verharrte. Medizinisch gesehen war es eine Katastrophe. Bei Langzeiteinnahme hat Valium verheerende Nebenwirkungen. Gregor ging es nicht gut. Sein Puls war flach, seine Atmung unregelmäßig. An anderen Tagen war es umgekehrt. Erste Zweifel kamen auf.

Doch als die Anlieferung schließlich per Postkarte für den übernächsten Tag angekündigt wurde, waren alle Bedenken vergessen und wichen glühendem Eifer.

Zwischen Bergen aufgerissener Kartons stapfte und kletterte sie hin und her und rauf und runter, schraubte, schraubte und schraubte … in einsamer Besessenheit, ertrug klaglos Schwielen und Blasen an den Händen. Sie räumte und stapelte.

Ein Wettlauf gegen die Zeit.

Schnell löste sie sich von der unübersichtlichen Aufbauanleitung und ließ ihren reinen gesunden Menschenverstand walten. Trotzdem passte nicht alles auf Anhieb, manches Mal musste sie geradezu Gewalt anwenden, auch die eine oder andere Schraube weglassen, weil sie ihr überflüssig vorkam.

Nach drei mühsamen Tagen war das Werk vollbracht.

Gerlinde setzte das Valium ab, und allmählich wurde Gregor munterer, litt jedoch weiter unter Bewusstseinsschwankungen. Das war nicht weiter schlimm. So hatte er die Möglichkeit, sich in der nächsten Zeit schrittweise einzugewöhnen, jeden Tag ein Möbelstück mehr bewusst wahrzunehmen und so hineinzuwachsen in sein neues schönes Leben. An ihrem Arm schlurfte und balancierte er mit halb geschlossenen Augen durch die Wohnung und meinte, alles sehe so fremdartig aus.

»Wo bin ich?«, fragte er immer wieder.

»Zu Hause«, versicherte Gerlinde jedes Mal.

Stolz führte sie ihn von der FAKTUM Einbauküche ins Esszimmer, präsentierte ihm die Anrichte LEKSVIK, die Vitrine MARKÖR, die etwas schief in den Angeln hing, und die kleine KURS Kommode, an der die zweite Schublade von oben klemmte.

Wenn er ihr zwischendurch wegsackte, schlug sie ihm auf beide Wangen, dass er auch alles richtig erlebe. Aber seine Begeisterung hielt sich in Grenzen, was sie ein wenig verärgerte. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben.

Als sie ihn auf das Eisenbett NORESUND niederdrückte, das frisch mit KILAN MÖRK bezogen war, und er nach hinten umkippte, tat er ihr Leid. Sie legte sich für einen Moment neben ihn und nahm seinen Kopf mit den geröteten Wangen in beide Hände.

»Nicht wahr, Gregor, wenn du das geahnt hättest … ich hab dir ja immer gesagt: Diese Möbel sind ein Traum. Du wirst dich schon an sie gewöhnen und wirst sie lieben lernen. Sie sind so praktisch und solide. Warte bis du das siehst. Komm!« Ungeduldig zog sie ihn wieder hoch.

Der Anblick des Endlos-Schlafzimmerschrankes PAX zauberte trotz seines leichten Linksdralls fast ein Lächeln auf seine geschwollenen Lippen. Als sie die erste Spiegel-Türe öffnete, hatte Gerlinde für einen Moment das Gefühl, der Boden unter ihren Füßen bebe ein wenig und zittere. Sie dachte sich nichts weiter dabei, außer dass es eben ein besonderer Moment sei und in der Eifel kleinere Beben keine Seltenheit sind. Vorsichtig drehte sie Gregor ein wenig zur Seite, damit er einen besseren Blick in die raffinierte Innenausstattung STOLMEN werfen konnte.

»Sieh dir das an!«

Und was tat er? Stützte sich so auf ihr ab, dass sie stolperte und kopfüber in den schönen Schrank hineinfiel. Ohrenbetäubender Lärm setzte ein. Es knallte, schepperte und donnerte. Alles brach über ihr zusammen. Zuerst versuchte Gerlinde noch ihren Kopf zu schützen, dann wurde sie zu Boden gerissen. Etwas Spitzes rammte sich in ihren Kehlkopf, sie schmeckte Blut, und dann wurde ihr schwarz vor Augen.

Als sich das Beben gelegt hatte, Ruhe eingekehrt war und Gerlinde nicht wieder aus den Trümmern des Schrankes herauskam, durchmaß Gregor mit langsamem Schritt und verwundertem Blick diese offensichtlich fremde Wohnung, in der ihm jedoch die Reihenfolge der Zimmer und der Ausblick aus den Fenstern irgendwie bekannt vorkam. Gedankenverloren strich er über die seltsam aussehenden Möbel und wollte sich gerade vorsichtig auf einen der Stühle setzen, als es wild gegen die Wohnungstüre hämmerte. Er fuhr zusammen.

»Was ist denn bei Ihnen los!«

Gregor schwankte durch den Flur, stieß gegen eine Kommode und öffnete die Türe. Katharina Sieger, die Nachbarin, stand vor ihm. Der Lärm musste sie auf den Plan gerufen haben. Er freute sich, ein bekanntes Gesicht zu sehen.

»Ich denke, Sie sind im Urlaub!«, begrüßte sie ihn. Ehe er sie hereinbitten konnte, rauschte sie an ihm vorbei, blieb entsetzt im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen und schlug die Hände vor den Mund. »Wie sieht das denn hier aus?«

»Oh«, begann Gregor, versuchte sich zu sammeln und Worte zu finden.

»Wo sind denn all die wunderbaren, antiken Möbel hin?«

Er zuckte mit den Schultern.

»Sie haben doch vorher hier so schön gewohnt!«

»Na ja«, begann Gregor, »mit dem Einrichtungsgeschmack ist es so eine Sache.« Er seufzte und rieb sich die müden Augen. »Aber diese Möbel sind sicher praktischer.«

Und auf Frau Siegers entsetzten Blick hin fügte er hinzu: »Könnte ich mir vorstellen.«

Unser Dorf soll schöner werden

Jo Breuer war Bäcker in Niederbuschheim. Als der Anruf kam, war es fast drei Uhr am Nachmittag. Er hatte seine Backstube gerade abgeschlossen und wollte unter die Dusche. Sein Arbeitstag war zu Ende.

»Jo?«

Das war Manni. Mit dem hatte er schon gar keine Lust zu reden.

»Jo? Nun sag doch was! Ich bin noch in München. Du musst für Lise wieder deine Erdbeertorte machen, sie hat doch in drei Tagen Geburtstag. Ich werde sie überraschen. Sieh zu, dass die Torte zum Kaffee da ist. Okay?«

»Ja. Ja. Wie immer.«

Manni war Vertreter für Hundefutter, Reisender in Sachen »Alles für unsere kleinen Lieblinge« und viel unterwegs.