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Über dieses Buch:

Südwestdeutschland im 18. Jahrhundert: Seit fast tausend Jahren wächst im Kaiserstuhl eine gigantische Eiche, ein Baum, um den sich Mythen über Flüche und Zaubersprüche ranken. Eine junge Winzerin scheint zur Marionette dieser unheimlichen Macht zu werden – mit tödlichen Folgen …


Wer das bravouröse Spiel mit detaillierter Recherche und bildreicher Phantasie zu schätzen weiß, wird diesen Roman lieben.

Über den Autor:

Andreas Liebert, von Kindheit an von Dresden fasziniert und geprägt, ist Kulturwissenschaftler mit dem Schwerpunkt 18. und 19. Jahrhundert. Seit Jahren arbeitet er als Schreibcoach für eine bundesweite Romanwerkstatt, gleichzeitig engagiert er sich als Lehrkraft im zweiten Bildungsweg.

Bei dotbooks erschienen bereits Andreas Lieberts Krimi »Das letzte Viertele« sowie die historischen Romane
»Der Hypnotiseur«
»Die Handheilerin«
»Die Töchter aus dem Elbflorenz«
»Corellis Geige«
»Das Gesicht des Teufels«
»Die Tochter des Hexenmeisters«

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eBook-Neuausgabe Juni 2013

Copyright © der Originalausgabe 1994 Weitbrecht Verlag, Stuttgart

Copyright © der Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von Christoffer Wilhelm Eckersberg/Portrait of Louise Christiane Fugl

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95520-297-2

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Andreas Liebert

Das Blutholz

Historischer Roman

dotbooks.

Die Eiche starret mächtig

Und eigensinnig zackt sich Ast an Ast.

Goethe

PROLOG

1

Das Zeichen des Gottes! Deutlicher konnte Donar nicht sprechen, der Wind bewies es. Der Donnerer holte seinen Helden Theutbald heim, also war er ihnen allen wieder gut. Godwan, der greise Seher, fiel auf die Knie, ein heiliger Schauer überkam ihn und seine Alamannen.

Mit einem Mal hatte sich der Wind gedreht, im selben Augenblick, als die Flammen des Scheiterhaufens über ihrem größten Kämpfer zusammengeschlagen waren. Einen herrlicheren Beweis konnte es nicht geben, weder für Godwan noch für das Häuflein Alamannen, das am Fuß des Eichbergs die heilige Zeremonie vollzog. Unter demütigen Anrufungen Donars hatte Godwan mit ein paar Getreuen den Scheiterhaufen geschichtet, geheiligtes Holz zu einer großen Pyramide gestaltet. Symbol für die drei Dimensionen des Raumes und der Elemente Wasser, Erde, Luft, das flüchtige Grab für Theutbalds Kopf, ihres in Cannstatt gemordeten Fürsten. Empört hatte dieser sich gegen den Frankenherzog, den Christen Karlmann, weil der es nicht dulden wollte, dass neben ihm ein den alten Göttern ergebener Alamanne die Geschicke des Reiches mitbestimmte.

Theutbalds Kampf war auch ein trotziges Aufbegehren gegen diesen neuen eifersüchtigen Gott gewesen, dem immer mehr von den Mächtigen huldigten und der ihnen befohlen hatte, alle anderen Götter und Kultstätten neben ihm zu vernichten. Noch immer gellten Godwan nachts die Angstschreie seiner Sippe in den Ohren, als Bonifanz, einer der schrecklichsten Eiferer, in Geismar die uralte Donarseiche hatte umhauen lassen.

Dreiundzwanzig Sommer war diese Freveltat jetzt alt, die Godwan in der Mitte seines Lebens seiner Heimat beraubt und zur Wanderschaft gezwungen hatte. Jetzt würde er bald sterben. Aber als im Glauben ungebrochener Alamann, der Donar nicht verraten hatte. Und dafür wurde er heute mit dem deutlichsten Zeichen belohnt.

Ein leiser Regen hatte eingesetzt, doch den verzehrenden Lohen des Scheiterhaufens konnte er nichts anhaben. Godwan sah mit seinen Getreuen zu, wie sich der Rauch oberhalb der Pyramide zu einer Wolke bauschte. Gedanken und Seele Theutbalts waren jetzt aus ihrem Gefäß befreit. Donar hatte es nicht zugelassen, dass in Cannstatt der Kopf seines Helden ans Stadttor gespießt verweste. Und damit war alles Bangen zu Ende, denn wer durch das Feuer gegangen kam, war bei Ihm, der mit seinen Blitzen die Herrschaft über die Welt und ihre Elemente inne hatte. 

Godwan erschauerte vor Glück, denn die Rauchwolke wallte weiter und zerstob erst dort, wo der Frankenvogt der nahen Feste Burkheim Holz geschlagen hatte. Gleich nach der Siegesnachricht Karlmanns war dies geschehen und eitel wie ein Hahn hatte der Vogt geprahlt, ein zweiter Bonifaz zu sein, der ihnen, den Alamannen, schon noch den rechten Glauben einprügeln würde. Doch nun geschah das Wunderbare: Dort, wo die Stümpfe der prächtigsten Eichen nach Rache schrien und nur wenige Jungbäume überlebt hatten, setzte Donar das Zeichen eines neuen Anfangs. Zum Heiligen Hain erhob er dieses Blutfeld und machte es zum Mittelpunkt der Welt. Tausend Sommer waren damit der Zukunft geschenkt, tausend Sonnenläufe Zeit, von der diese heute geweihten Eichen einst künden würden. Dies war der Sinn von Theutbalts Tod, dies war das Opfer, das die Alamannen bringen sollten. Donar hatte es gewollt und also war alles gut.

Godwan blickte lächelnd auf seine Getreuen, die in gebührendem Abstand hinter ihm auf den Knien kauerten, die Arme vor der Brust verschränkt. Er bedeutete ihnen, sich zu entfernen, denn allein wollte er jetzt sein, ungestört von der Aura der anderen. Absoluter Frieden war nötig, um die Geräusche des Feuers zu Gestalten ordnen zu können, in denen sich die Geschehnisse der Zukunft zu erkennen gaben. Und Godwan wusste, dass er sich beeilen musste. Denn in der Feuersbrunst verglühte mit jedem Augenblick die Zukunft eines Sonnenlaufs.

Ganz nah trat er vor den Scheiterhaufen, schloss die Augen und lieferte sich der verzehrenden Hitze aus. Bald begann er zu schwanken, dann sackte er zusammen. Das Gesicht auf die Erde gepresst, vermeinte er, selbst zu brennen. Vor seinen Augen tanzten die Lohen wie Blitze, und immer dröhnender fauchte das Feuer in seinen Ohren. Aber Godwan hielt stand, bis ihn kühler Waldduft erlöste und das Gurren einer weißen Taube wieder zur Besinnung brachte.

2

Weiß wie Schnee schimmerte das Federkleid in der Abendstimmung. Gerade war ein frischer Mairegen niedergegangen und wie goldene Perlen glänzten jetzt die Wassertropfen auf Moos und Gras im Gegenlicht. Ein geheimnisvolles Knistern lag über dem sonnengefleckten Boden und passte auf zauberische Art zu dem Nebel, der zwischen den Blättern hing und dem Wald eine mystische Aura verlieh.  

Eppe von Hadstatt, seit dem Jahr 1366 neuer Pfandherr des Burkheimer Schlosses, merkte nichts von diesem Waldweben. Gebannt suchte er nach der prächtigsten weißen Taube, die er je gesehen hatte und brannte vor Ehrgeiz, mit ihr seine heutige Pirsch zu krönen. Das Jagdglück hatte ihm einen Zwölfender, einen Hasen und sogar einen Luchs vor den Bogen getrieben. Doch wie verblendet irrte er dieser Taube nach, die ihn schon mehr Pfeile gekostet hatte als alles Fellwild zusammen. Nur einen einzigen Pfeil hatte er noch und unmutig war er fast versucht, den Teufel um einen Freischuss anzurufen. Sein Nacken glühte vor Anspannung und die Augen schmerzten, wenn sie von einem der schräg einfallenden Sonnenstrahlen getroffen wurden. Längst hatten die Regengüsse des Tages seinen lederbewehrten Jagdrock in eine klamme, scheuernde Zwangsjacke verwandelt, ja selbst seine neuen, mit Talgnähten geschützten Stiefel zogen schon Wasser.

Ein paar Mal hatte es so ausgesehen, als habe er getroffen, denn wie ein Stein war die Taube dann in die Tiefe gestürzt – aber außer einer zarten weißen Feder war an der vermeintlichen Stelle nichts weiter zu finden gewesen.

Eppe von Hadstatt fluchte. Seit Stunden wollte sich ausgerechnet für diesen letzten Schuss keine Gelegenheit einstellen, die Taube war verschwunden. Sollte er also aufgeben? Nein, um keinen Preis! Eppe von Hadstatt hatte sich in den Gedanken verbohrt, auch seinen letzten Pfeil auf dieses Tier abzuschießen.

Voller Wut trat er nach einer dicken Spinne, die eine in ihr Netz verfangene Fliege umspann. Unter dem heftigen Tritt zerbarst der verwitterte Baumstumpf in brackigem Moder –  in der gleichen Sekunde, in der ihm wieder eine weiße Feder vor die Füße schwebte. Und einen Atemzug später vernahm Eppe von Handstatt auch wieder das Gurren. Ganz nah war es. Aus der Krone der alten Eiche kam es, die wenige Schritte entfernt stand und sein geübtes Ohr hörte sofort, dass die Taube nicht sehr hoch sitzen konnte. Hastig stolperte er vorwärts und noch bevor er die Taube entdeckt hatte, riss er seinen letzten Pfeil aus dem Köcher.

Doch in der ebenmäßigen Krone dieses schon Jahrhunderte zählenden Baumes verirrten sich seine vom Suchen erschöpften Augen. Ein Schwindelanfall bestrafte seine wahnsinnige Hast. Vom Gegenlicht gereizt musste Eppe von Hadstatt die Augen schließen. Halbblind tappte er umher und als er endlich aufsehen konnte, glaubte er, ihn narre ein Trugbild. Denn in lächerlich geringer Entfernung saß die Taube ruhig auf einem der mächtigen unteren Hauptarme der Eiche und blickte ihn an. Sie schien keine Angst zu haben – als könne sie sich mit ihrem wunderbaren, vom Licht umflossenen Gefieder gegen ihren Verfolger wappnen.

Eppe von Hadstatt griff nach dem Bogen. Diesmal würde er triumphieren, dessen war er sich sicher. Ohne Hast spannte er die Sehne, ungerührt von der prächtigen Erscheinung. Rettungslos war ihm auf diese Distanz die Taube ausgeliefert, selbst wenn sie plötzlich auffliegen sollte. Eppe von Hadstatt  hob den Bogen. Er fühlte sich im Recht, denn hier am Eichberg lagen seine Pfründe, ihm vom Kaiser mit Siegel verbrieft. Selbstgerecht achtete er nicht mehr auf das überirdische Leuchten. Eins waren jetzt Bogen und Wunsch – doch in ein tausendfach überstrahlendes Weiß schnellte sein Pfeil, ein Weiß, das alles um sich herum verschlang und den Schützen zu Boden schmetterte.

Der Geschmack von Laub und Erde verscheuchte schnell den Gedanken, einem Traum ausgeliefert zu sein. Das Damaskuserlebnis des Saulus kam dem Pfandherrn in den Sinn und voller Angst wagte er nicht mehr die Augen zu öffnen. Maßlos erschien ihm jetzt seine Eitelkeit und statt des Jagdfiebers breitete sich eine schale Leere in seiner Seele aus. Starr blieb er am Boden liegen. Doch nach einiger Zeit wuchs seine Gewissheit, dass er nirgends versehrt war. Schließlich siegte die Neugier und Eppe von Hadstatt wagte es, aufzusehen – nichts hatte sich verändert. Zögernd streiften seine Blicke zur Eiche und in der Hoffnung, wenigstens noch eine Feder zu finden, rappelte er sich auf. Mit klopfendem Herzen ging er um den Stamm, aber mit jedem Schritt wuchs seine Enttäuschung. Plötzlich knackte es unter seinem Stiefel. Eine gute Handbreit sackte er in die Erde und für den Bruchteil eines Augenblicks wähnte er sich wieder  von einem gleißenden Lichtstrahl getroffen, der das Bild einer weißen Taube vor seine brennenden Augen zauberte.

Aus der mit Laub gefüllten Vertiefung am Fuße des Stammes wühlte er seinen zerbrochenen Pfeil heraus. Und kaum dass er über dieses Mirakel nachzudenken begann, hielt er eine Madonna in den Händen. Eine Madonna aus schneeweißem Wachs, kaum größer als eine Taubenfeder. Angetan mit einem weiten Mantel und geschmückt mit einem geflochtenen Kranz aus Eichenblättern, von vollkommener Gestalt. Beschämt blickte er auf die Figur, die in seinen erdverschmierten Händen in doppelter Reinheit strahlte und immer mehr von seinen tränennassen Augen verschwamm.

Eppe von Hadstatt hatte verstanden: Ehrfürchtig grüßte er die Eiche der Heiligen Jungfrau.

***

Ein dumpfes Poltern riss Godwan aus seinen Gesichten. Aus dem zusammenbrechenden Scheiterhaufen regnete eine Funkenflut auf ihn nieder, doch sein über den Kopf gezogener wollener Umhang schützte ihn. Der Regen war weniger geworden und Godwan sah beruhigt, dass er dem Feuer nur wenig von seinem Leben genommen hatte. Doch so trunken er noch von Donars Nähe war: Godwan spürte, dass die Hitze schwächer geworden war. So kroch er näher an die Glut heran – auf dass die Sprache des Feuers ihn ein zweites Mal überwältigte.

3

Selbst die nächtliche Dunkelheit gab noch etwas von der Farbenpracht der bunt zusammengewürfelten Landsknechtsmannschaften frei, die sich hier im Jahr 1638 um eine große Feuerstelle gelagert hatte. Festlich funkelten im Widerschein die silbernen Beschläge der zusammengestellten Musketen, an denen mehrere breitkrempige Filzhüte hingen. Spielten die einen auf einer Feldtrommel Würfel, brieten andere auf einem Rost Fleisch. Wieder andere flickten an ihren Pumphosen oder nähten Knöpfe an ihre schmutzigen Waffenröcke. Aber fast alle waren sie betrunken, und immer wieder erscholl das wütende Gefluche derjenigen, die über unachtsam ins Gras geschleuderte Blechgeschirre stolperten. Es kam einem Wunder gleich, dass sich noch niemand einen der allgegenwärtigen Säbel in den Leib gerammt hatte.

All dieser Kriegspomp wurde von den Ästen eines eichenen Baumriesen überschattet, die in der Helle der aufflackernden Scheite drohend nach den Söldnern zu greifen schienen. Unbeachtet lagen die sich schemenhaft gegen den blauschwarzen Nachthimmel abzeichnenden

Zelte, zwischen denen Hühner scharrten und mehrere Ferkel nach Eicheln wühlten. Wüstes Lachen aus thüringischen, schwedischen und französischen Kehlen erfüllte die kühle Luft, so gespenstisch das abgestorbene Laub des Baumes auch zuweilen rascheln mochte.

Ein Teil der Lachsalven galt dem nackten, am Nachmittag von seinem Altar weggeraubten Oberrotweiler Priester. Mit einem Seil waren seine gefesselten Hände an den untersten Ast der Rieseneiche gebunden. Gierig versuchte er, von den ihm zugeworfenen Fleischstückchen den einen oder anderen Bissen zu erschnappen. Die entsetzlichste Hungersnot seit Menschengedenken zwang ihn zu diesem schmählichen Tanz, trotzdem hätte ihn das überlebende Viertel seiner Gemeinde darum beneidet.  Denn das Fleisch, das sie aßen, war nicht vom Schwein, sondern von ihresgleichen.

Ohne die geringste Spur von Mitleid weideten sich die Söldner an den Qualen ihres Opfers, das immer wieder versuchte, sich auf die Knie herabzulassen, um wie ein Tier die danebengefallenen Brocken abzuweiden. Doch das Seil war zu kurz und die Gelenke des Priesters obendrein längst blutig gescheuert. Nach Stunden endlich erbarmte sich einer der Thüringer und begann den halbtot Dahängenden mit ein paar fetten Stücken zu füttern. Sein Beispiel regte einen Franzosen zur Nachahmung an, aber betrunken wie er war, stopfte er dem Priester ein solch großes Stück in den Mund, dass der zu husten anfing und den Kopf wegdrehte.

»Dein Almosen mag er nicht, Kamerad«, grölte eine Stimme. »Ist der Pfaff satt, so wünscht er gleich Pasteten.«

Der Franzose stierte auf sein Opfer, fasste dessen Kopf an den Ohren und schrie: »Ist er satt, ist er endlich satt, der Pfaff, was? Oder schmeckt's ihm nicht mehr, was?«

Das lallende Brüllen war selbst für einen Franzosen schwer zu verstehen und doch ahnte der Priester, was sein Peiniger sagen wollte. Er schüttelte den Kopf und stammelte mehrmals ein verzweifeltes non, in das er ebenso oft ein pitié mischte, das Betteln um Gnade.

Aber selbst wenn er in Sprache und Ton des Franzosen zurückgeschrien hätte, es wäre nutzlos gewesen. Dem Betrunkenen kam es gar nicht auf eine Antwort an. Er wandte sich ab und wankte zum Feuer zurück, wo er eine halbvolle Flasche Wein entdeckt hatte. Doch den anderen genügte dies nicht, sie wollten ein neues Schauspiel.

»Kamerad«, hetzte einer, »dein'm Pfaff steht's auch nach Wein. Bringst ihm nichts?«

Wie eine Marionette machte der Söldner kehrt. So gut er es vermochte, baute er sich vor dem Priester auf. Dann hielt er ihm die Flasche direkt vors Gesicht. Im selben Augenblick ertönte aus der Runde am Feuer eine andere Stimme: »Den Becher, du Ochse, du hast den Becher vergessen. Glaubst du, ein Pfaff trinkt aus der Flasche?«

Wütend fuhr der so Verhöhnte herum – zu heftig, als dass ihn seine Beine noch hätten halten können. Unter dem Gelächter der anderen stürzte er mit reflexartig hochgehaltener Flasche so auf die Erde, dass nichts vom Wein verschüttet wurde. Mühsam richtete er sich wieder auf. »Ich zeig's euch, wie ein Pfaff aus der Flasche trinkt!« brüllte er mit sich überschlagender Stimme. »Dass er's nicht vergisst, zeig' ich's ihm. Dass der Pfaff es auf ewig lernt, was?« Unbarmherzig zog er den Kopf seines Opfers an den Haaren nach hinten und schrie in dessen angstgeweitete Augen: »Dass du's lernst, Pfaff, jetzt. Wie man richtig trinkt. Ohne Becher trinkt, was?«

Dann schüttete er dem um Gnade winselnden Priester die Hälfte des Weins über den Kopf, bis er es angebracht fand, ihm den Flaschenhals in den Mund zu rammen. Die erstickten Schreie und gurgelnden Laute schienen die Söldner am Feuer zu amüsieren. Einige klatschten Beifall, der im Gegröle aber rasch unterging. Nur der Betrunkenheit des Franzosen verdankte es der Priester indes, dass er nicht erstickte, obwohl er entsetzliche Qualen litt, weil die grobe Hand seinen Kopf wie in einem Schraubstock festhielt.

Doch es war immer noch nicht genug. Ein anderer Einfall machte plötzlich die Runde. Einer der Thüringer krächzte auf Französisch: »Er braucht den Schwedentrunk!«, was einen hysterischen Jubel auslöste. Von allen Seiten riefen es sich die Betrunkenen zu, bis ein vielstimmiges Chorgeschrei über das Feldlager brandete.

»Hör zu, du Pfaff«, lallte sein Peiniger, »du darfst noch Fein`res kosten, was?« Demonstrativ trat er zur Seite, verbeugte sich eckig und schrie: »Verehrte Wohlgeborene, ich biete ihm den Schwedentrunk, was?«

Ein Begeisterungsausbruch war die Folge, dann wurde es schlagartig still. Die Köpfe reckten sich,  niemand wollte verpassen, wie ihr Kumpan sein Theaterstückchen zelebrierte.

Scheinbar gequält, unter heulenden Lauten krümmte sich der Franzose mehrfach nach vorne, wiegte vor und zurück, um endlich mit verräterisch zusammengekniffenen Knien von einem Bein aufs andere zu springen. Dann drehte er sich mit dem Rücken zu seinem Publikum und erging sich in grotesken Verrenkungen, wobei er sich immer wieder in den Schritt fasste.

»Er findet nichts!« platzte eine Stimme hervor, der sogleich prustend entgegen geschrien wurde: »Weil er ihn im Gefecht versteckt hat!«

»Hol ihn raus, den Fisch«, kreischte einer heiser. »Oder ist er dir entwischt, he?«

»Ich werd' euch zeugen, wie munter mein Fisch ist!« rief der Söldner heiser und trat seitlich vor den Priester. »Vielleicht tut er's ja in Wein verwandeln, was?«

Brutal zerrte er dessen Kopf in den Nacken, doch dann entblödete er sich nicht, den Kopf noch einmal loszulassen, um  theatralisch anzukündigen: »Wohlgeborene, ich spende ihm jetzt den köstlichsten Trunk der Welt, was?!« Und auf das heisere Geschrei derjenigen, die »Er bittet darum!« riefen, urinierte er dem Priester ins Gesicht.

Hass und Verzweiflung brachen sich bei dem Priester Bahn. Furchtlos schleuderte er der Meute alle Schimpfworte und Flüche entgegen, die er wusste. Aber niemand bekümmerte sich darum. Man hatte seinen Spaß gehabt und wartete auf neue Spiele, für die man sich mit immer mehr Wein in Stimmung brachte. Fast verloren stand ihr Akteur vor seinem Opfer, als ihn dessen Geifer traf, todesmutig gespuckter Rotz und Blut.

»Hängen sollst du dafür, Pfaff!«, brüllte der Franzose außer sich und schlug dem Priester die Faust ins Gesicht. Und damit war das Wort gefallen, das neuen Kitzel verhieß.

»Wir hängen ihn auf, den Pfaffenkopf!« war die Losung und schon erhoben sich die ersten mit brennenden Scheiten, um einen bequem zu erkletternden Ast zu suchen. Schon am frühen Abend hatten sie die Votivtafeln vom Stamm der Eiche gerissen und die weiße Wachsmadonna verfeuert, die in einem kleinen gemauerten Andachtsschrein jahrhundertelang Trost gespendet hatte. Jetzt konnte man ganz nebenbei dieses urwüchsige Heiligtum schänden, ein Einfall, der vor allem den Schweden gefiel.

Zwei grobschlächtige Hünen packten den in wahnsinniger Panik um sich Schlagenden und schleiften ihn um den Stamm. Nur mühsam schaffte es der vorhin umjubelte Söldner, mit ihnen Schritt zu halten. Immer wieder setzte er, neben seinem Opfer torkelnd, die Weinflasche an, die er schließlich halbvoll auf den Priester schleuderte. Doch statt am Kopf des Priesters barst das Glas am Stamm der Eiche.

Über den Andachtsschrein, der auf einen beinhohen Steinsockel gestellt war, konnte man leicht auf einen der mächtigen unteren Hauptarme der Eiche klettern, aber für die betrunkene Meute türmten sich diese geweihten Steine zu einem schier unüberwindlichen Hindernis. Gegenseitig behinderten sie sich in ihrem Eifer, der erste zu sein. Diejenigen, die es ein Stück weit geschafft hatten, wurden wieder heruntergezerrt und es dauerte lange, bis sich der Nüchternste durchgesetzt hatte und auf dem Ast hockte. Umso schneller war dieser Ast aber zum Galgen hergerichtet. Nur ein Ende des Strangs musste sicher geknotet werden, denn die schiefe Schlinge am anderen Ende starrte längst vom Todesschweiß Dutzender Gedrosselter.

Inzwischen hatte das Gelärme Ausmaße angenommen, als wäre eine Massenschlägerei im Gange. Der Priester allein tobte für drei, mit der Kraft eines Wahnsinnigen. Zwei Mann hatten Mühe, den Nackten zu bändigen und prügelten schließlich derart auf ihn ein, dass andere ihnen in den Arm fielen. Denn was nützte ein Toter in der Schlinge. Weiden wollten sie sich ja am Gezappel des Priesters, an seinen grässlichen Zuckungen.

Da plötzlich krachte ein Schuss. Kaum bemerkt waren zwei mit goldglänzendem Rock und Hose gekleidete Offiziere aus dem Dunkel getreten. Ein zweiter Schuss verscheuchte alle Zweifel und scharf schnitt die Stimme des schwedischen Kommandanten in den verebbenden Lärm. Seinem Adjutanten, einem jungen Franzosen, überließ er die Übersetzung.  »Wer dem Subjekt da beim Hängen Gesellschaft leisten will, soll's sagen. Der Ast ist stark genug für zwei.«

In die plötzliche Stille drang das Stöhnen des Priesters, der zusammengekrümmt im Gras lag und unverständliche Worte von sich gab. Der Kommandant ging zu ihm hin, drückte mit seiner Stiefelspitze den Kopf etwas ins Licht und blickte kurz auf den Andachtsschrein. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, begann er darauf in gefälligerem Ton weiterzureden. Worte, die an den Betrunkenen vorbeirauschten, obwohl sie ihnen sofort übersetzt wurden. Sie begriffen nur, dass sie den da am Boden laufen lassen sollten.  Und so war es ihnen vollkommen gleichgültig, dass ein Protestant befahl, diese tausendjährige Eiche nicht mit einem Mord zu schänden.

***

Verstört von seinen Gesichten fuhr Godwan auf. Der Regen war wieder kräftiger geworden und von der kunstvoll geschichteten Pyramide nur noch eine gewöhnliche Feuerstelle übrig, mit glimmender Kohle, stiebender Asche und bläulich aufflackernden Scheiten.

Die Grausamkeit der Bilder brachte Godwan erneut zum Beten, aber die Gedanken wollten sich nicht ordnen lassen, seine Lippen blieben stumm. Zu unverständlich waren die Eindrücke und Laute. Da war die frühlingshafte Naturentrücktheit mit der fremden Göttin in der ersten Vision, dann aber schon die grelle Verachtung ihrer Heiligkeit und ihres Priesters in der zweiten. Godwan konnte diesen Widerspruch nicht auflösen. Vielleicht aber gab es ja auch keinen, vielleicht stand alles für die immerwährende Grausamkeit und Willkür im Wandel der Zeiten. Tief bewegt wünschte er sich, das Feuer möge ihn ein weiteres Mal entführen – zu Bildern, die ihm Klarheit verschafften.

Kaum noch spürte er die glühende Hitze des Feuers. Und so kroch er über den Rand der Asche und beugte sein Haupt zu den blauzüngelnden Flammen herab.

4

Es lag an der Luft. In ihrer Schwüle verschlang sie die kleinste Anstrengung und saugte einem das Mark aus. Atmen bedeutete an diesem 8. September 1744, dem Fest Mariä Geburt, mit Nase und Mund gegen eine unsichtbare Wand anzugehen. Sergent Jobst Brüssler hätte am liebsten den Säbel gezogen und um sich gehauen. Obwohl er genau wusste, dass dies sinnlos gewesen wäre und kindisch obendrein. Aber gerade hatte er sich ausgemalt, wie dies vielleicht irgendwelche Luftgeister erschrecken und reizen könnte. Rachelüstern würden sie dann vor ihm durcheinander toben und einen Schneesturm herbeizaubern, so wild, dass  ihm die Flocken in den Mund flögen. Denn anders glaubte Jobst Brüssler, könnte seine Sehnsucht nach einer Erfrischung nicht befriedigt werden.

Dabei hatte er es gut – im Sattel war diese Fronstrecke nach Breisach allemal leichter zu ertragen als zu Fuß. Bewundernswert war, dass seine Mannschaften nicht zusammenbrachen. Trotz schwerer Ausrüstung schleppten sie sich vorwärts. Doch Jobst Brüssler wusste seine Hochachtung gut zu verbergen, schließlich war er Sergent und sie nur einfache Grenadiere. Allerdings, wenn einer von ihnen zusammengebrochen wäre, er hätte dessen Gepäck ohne zu zögern auf sein Pferd gepackt. So etwas festigt den Zusammenhalt. Stolz auf sich konnte er allemal sein, denn von der tausend Mann starken Freiwilligen Sächsischen Dragoner- und Ulanenformation, die seit letztem Jahr auf französischer Seite gegen Österreich kämpfte, war er im Moment mit Sicherheit der einzige, der Soldaten der Hauptmacht befehligen durfte. Zwei Dutzend französische Grenadiere hatten ihm zu gehorchen, ihm, einem Sachsen!

Schnell wie kein anderer hatte er sich mit dem Französischen vertraut gemacht, weshalb er schon von Beginn des Feldzuges an dem Straßburger Vorauskommando angehörte. Vor zwei Tagen hatte man ihn dem Sergent-Major Ludwig Heiteren, einem anständigen Elsässer, zugeteilt, zur Unterstützung, wie es schlicht hieß. Und der war von Limburg aus schon in der Frühe mit wichtiger Feldpost nach Breisach vorausgeritten und hatte ihm das Kommando übergeben.

An und für sich eine nicht ganz ungefährliche Sache, so allein im fremden Land! Doch hier war kaum zu befürchten, dass etwas passierte. Schon gestern hatte ein 300 Mann starker Erkundungszug ohne eine einzige Kugel verschwenden zu müssen, vom linksrheinischen Neuf-Brisach nach Breisach übersetzen können: kein Österreicher war zu sehen gewesen. Sie hatten sich tatsächlich sämtlich in Freiburg verschanzt, Sergent-Major Heiteren hatte es richtig vorausgesehen.

Trotzdem, warum um alles in der Welt musste es heute so schwül sein? Schließlich waren diese grobschlächtigen Grenadiere hier anstrengend genug. Wenn einer sich von ihnen unter den nächstbesten Baum hauen würde und Rast verlangte, war es vorbei mit Disziplin und Gehorsam. Die anderen würden sofort nachziehen und keine Drohung der Welt könnte sie dann bewegen, vor einer Stunde wieder aufzustehen. Dickschädelige Gewaltmenschen waren sie, die mit dem Bajonett so geschickt umzugehen verstanden wie der Priester mit dem Gebetbuch.

Als verarmte Bauernburschen, verschlagene Findelkinder oder entlassene Landstreicher hatten sie sich unter dem Reglement der Königlichen Armee zusammengerauft und hingen wie Kletten aneinander. Mit dem Tod pflegten sie, wie sie in einem Lied sangen, um die Wette zu mähen, und außer Sold und Weibern interessierte sie nichts.

Gelegentlich schlugen ihre Scherze über die Stränge, aber jeder Unteroffizier wusste, dass er sie da gewähren lassen musste. Vorhin zum Beispiel hatten sie an einem Dorfbrunnen mit ein paar lausigen Mägden poussiert, dann war ihnen plötzlich eingefallen, dass sie ja eigentlich auf feindlichem Boden waren. Also hatten sie den Mägden kurzerhand die Kleider runtergerissen und sich die Mädchen wie die Hühner zugetrieben. Dabei durfte jeder ein paar Mal ordentlich hinlangen. Ihre Röcke hatten sie dann in den Zieheimer gestopft und diesen heruntergelassen – zum richtig Nasswerden, wie sie spöttisch erklärten. Zum Glück waren sie anschließend wieder friedlich und hatten träge zugeguckt, wie die nackten Mädchen mit glutrotem Kopf ihre tropfnassen Röcke anzogen. Alles in allem eine glimpfliche Geschichte, da hatte es schon ganz andere Vorfälle gegeben.

»Sergent!«, hörte Jobst Brüssler plötzlich in seinem Rücken. »Ich sag' es ihm, die Richtung ist falsch! Er reitet Ost. Der Bursche vorhin hat gelogen!«

»Und wie!«, rief ein anderer. »Drei Stunden sind es jetzt ohne Rast. Keinen Schritt mehr zuviel! Er braucht's nicht krumm nehmen, Sergent Jobst. Sachsen ist weiter weg als Frankreich. Rast jetzt!«

In den verschwitzten Gesichtern begann die Wut aufzusteigen.  Jobst Brüssler wusste, dass er jetzt nichts falsch machen durfte. Auch ihn hatte allmählich das Gefühl beschlichen, dass mit der Richtung etwas nicht stimmte. Fürs erste war es ratsam, dies Missgeschick einzugestehen. Aber dies musste so teuer wie möglich verkauft werden. Ein Stück weit den Überlegenen markieren, nur ein bisschen – dann war seine Autorität zwar immer noch ramponiert, aber nicht zerbrochen.

Ihm blieben nur wenige Sekunden.  »Durchzählen!«, rief er so forsch wie möglich. Geräuschvolles Ausspucken und Flüche waren die Antwort, trotzdem fing der erste an, dem Zählappell Folge zu leisten. Aber so sehr Jobst Brüssler auch nachdachte, ihm fiel nichts ein. Die kleine Kapelle, die er in ziemlicher Entfernung vor sich sah, war das einzige, das sich seinem leeren Kopf entgegenstellte.

»Vierundzwanzig durch! Rast jetzt, Sergent!«, drang es mürrisch zu ihm. »Wenn sein Hengst pisst, dürfen wir's erst recht!«

»Teufel!«, schrie es in Jobst Brüssler auf und mit dem Mut der Verzweiflung blaffte er den Haufen an: »Wer schwitzt, pisst nicht! Vorwärts verdammt! Schlagt's an der Kapelle ab!« Dann setzte er alles auf eine Karte, weil ihn urplötzlich eine Hoffnung beschlich: »Kapelle bedeutet hier immer Wegkreuz. Also nur halbe Scheiße mein Umweg! Eine Stunde Rast dort. Los, Bewegung!«

Seine Rede zeigte Wirkung. Der Trupp marschierte weiter. Und offensichtlich hatten die Worte derart eingeschlagen, dass einer der Grenadiere wieder zu singen begann. Das uralte Landsknechtslied von den fünf Freuden:  »Was macht das Leben schön, Kamerad?«, sang heiser der Vorsänger. »Nur das Fressen, ja! Nur das Saufen, ja! Nur die Weiber pudern, ja! Nur das Baden, ja!«, grölte der Rest und wartete, bis der Vorsänger mit dem Refrain begann, in den dann alle einfielen. »Aber schlafen, ja schlafen ist das Schönste auf der Welt! Nur schlafen, nur schlafen ist das Schönste auf der Welt!«

Und Jobst Brüssler  hatte Glück – bei der Kapelle zweigte ein Weg ab. Tatsächlich hatte er also etwas Vernünftiges zusammengedacht. Etwas, das für diesen Landstrich passte. Jobst Brüssler spuckte aus. Egal, was zählte, war allein der Weg und der führte nach Süden.

 »Sergent Jobst, er hat Sachsenglück!«, tönte wieder die gleiche Stimme wie vorhin. Und ein anderer rief: »Oder ist er Sergent geworden, weil er so gescheit ist, wie?«

»Los, ihr stinkenden Koben!«, brüllte er zurück. »Ein Letztes jetzt! Unter dem Bäumchen da oben ist's kühler. Rast dort!«

5

Es war nur ein kleiner Hain, der sich ein Stück weit oberhalb der ausgefahrenen Straße zwischen dem Rhein-Städtchen Burkheim und dem Dorf Oberrotweil dem Blick darbot. Ein lichter Eichenhain, wie er oft in der Landschaft anzutreffen war, ohne Unterholz oder anderes Gesträuch. Seit Generationen diente er als Hütewald und die Schweine, die in den Zeiten des Eckerich, im Herbst, nach Eicheln wühlten, ließen im Frühjahr bloß die derbsten Gräser und Unkräuter wieder auswachsen. Einst war er Teil eines stattlichen Eichenwaldes, da aber dieser nach Süden lag, hatte man schon vor Jahrzehnten viele Bäume gerodet und jetzt beherrschten Rebkulturen den sanft ansteigenden Hang.

Selbst das flüchtige Auge bemerkte, dass rechts und links des Hains nicht der gleiche Rebbauer wirtschaften konnte. Standen nach Oberrotweil zu die Rebstecken ausgerichtet wie Grenadiere auf dem Exerzierplatz, staken sie auf dem Rebstück in Richtung Burkheim wie krumme Stifte eines zerschlagenen Rechens. Stritten hier schiefgeheftete Zuchtrute, nutzlose Gerten und wilde Schosse um den Weinstock, zeigte er sich dort ordentlich geschnitten, und das traubenbringende Holz war sorgfältig in die Höhe gezogen und an die kerzengeraden Rebstecken geheftet. Verwahrlost grenzte das eine, gepflegt das andere Rebstück an den Hain.

Die Rebstücke »Am Eichberg« waren jedem Dörfler und Städter der näheren Umgebung bekannt. Aber nicht wegen ihres unterschiedlichen Zustands, sondern wegen des Eichenhains. Denn in ihm prangte mit der ganzen Würde ihres Alters die wohl mächtigste Eiche der Region, ein kolossaler Baumriese, der wie kein anderes Lebewesen den Dorfbewohnern Achtung abrang.

Doch so alt die Eiche auch sein mochte, so zornig manche knochigen, ehemals vom Blitzschlag zerschmetterten Äste vom Tod kündeten – sie galt allen als schön. Nicht düster erhaben drohte sie mit ihrer Wucht, sondern heiter breitete sie ihre teils ebenmäßigen, teils verrenkten Haupt- und Seitenarme aus. In ruhigem Frieden stützte sich der Dom ihrer Krone auf den urmassigen Stamm, der an keiner Stelle versehrt, mit handtief  zerschrundeter Rinde allen Angriffen der irdischen Natur gelassen standhielt. Vier Männer hätte es gebraucht, diesen Stamm zu umarmen. Ihre Blicke in die Krone aber wären zerrieben worden, denn kein Auge hätte es vermocht, sich im Gespinst von Zweigen und Blättern zurechtzufinden. Bei Sonnenschein wirkte die Aura dieses Baums wie ein Balsam für das Gemüt und selbst der abergläubische Frömmler hätte es als Humbug verworfen, dass die Eichenblätter deshalb eingebuchtet seien, weil der Teufel aus Wut über eine ihm vorenthaltene Seele mit seinen Krallen einst durch alle Eichen der Welt gerast sei. 

Wenige Uralte in den Dörfern meinten noch davon gehört zu haben, dass diese Eiche einmal als Pilgerstätte der Heiligen Jungfrau verehrt worden war. Schon in ihren Kindertagen aber hätte kein Gnadenbild mehr am Stamm gestanden und an Votivtäfelchen wollten sie sich auf Treu und Glauben auch nicht mehr recht erinnern. Denn wie auch! Waren es doch achtzig Jahre her! Sollten sie jetzt mehr wissen als ihre Eltern, die aus ganz fremdem Gebiet gekommen waren? Damals, als der Dreißigjährige Krieg hier fast alle Dörfer des Kaiserstuhls entvölkert hatte? Nein, das konnten sie nicht, denn so weit zurück reicht die Erinnerungskraft des Menschen nicht. So stand der Baum da als Wunder Gottes, allen zur Besinnung und stillen Einkehr gepflanzt. Ein Zeichen der Verbundenheit und eins der Mahnung. Das genügte, und so dachten sie, die Uralten, die niemand mehr fragte.

6

Der Tag hatte schlecht angefangen und ging schlecht weiter. Alles hatte sich heute gegen ihn verschworen – selbst dieser Baum. Das erste Mal in seinem Leben verwünschte der frisch verheiratete Winzer Valentin Schnitzer den Oberrotweiler Baumriesen, denn er saß in seiner Krone jetzt genauso in der Falle wie der sprichwörtliche Hase in der Grube. Ihm blieb nur übrig, erst einmal abzuwarten. Wie ein geschossenes Stück Flugwild vom Ast zu fallen und vor diesem Grenadiertrupp davonzurennen, sähe nämlich nicht nur feige aus, sondern gäbe mit Sicherheit den besten Grund ab, ihn festzuhalten. Also besser ausharren und auf Gott vertrauen. Alles sah so aus, als wäre dies die Strafe dafür, dass er sich gegen seinen Willen zu diesem Unfug hatte breitreden lassen. Misteln zu schneiden! Ein Einfall von Jacob, Maria in den Kopf gesetzt, der lieben Zwietracht wegen. Misteln zu einem Kranz geflochten brächten Glück, hatte der Maria eingeredet – natürlich  nur die seltenen Eichenmisteln. Und er, Valentin, könne ja als frischgebackener Ehemann und Hausherr, dem das Glück eine Erbin beschert hätte, gleich welche für seine Tochter suchen. Einen billigeren und fürs Leben wertvolleren Taufschmuck gäbe es doch gar nicht. Noch vor dem Aufstehen hatte Maria ihm damit solange in den Ohren gelegen, bis er nachgegeben hatte – schon deshalb, um beim Frühstück nicht noch einmal Jacobs verlogene Anbiederung bei Maria ertragen zu müssen. Bruder und Weib waren also schuld, dass er während dieses kindischen Gekletters jetzt von den Franzosen überrascht worden war – für nichts und wieder nichts, denn wie zu erwarten gewesen war, hatte er bis jetzt nicht den kleinsten Mistelzweig abschneiden können.

Angespannt und mit wachsender Angst verfolgte Valentin den stetig hangaufwärtsrückenden Trupp. Vielleicht hätte er nach dem ersten Schreck kurz entschlossen die Deckung des mächtigen Stammes ausnützen sollen! Und wahrscheinlich wäre er auch entkommen, aber bei dieser Luft stand zu befürchten, dass einige von den Kerlen sich mit ein paar Schüssen abreagieren würden. Immerhin war Krieg und die Franzosen hatten den Österreichern für letztes Jahr noch einiges zu vergelten.

Auf Hörweite waren sie jetzt. Böse klang das Keuchen, gereizt und verärgert. Im Rhythmus der erschöpften Schritte klirrte das ans Tragegeschirr geschnallte Marschgepäck. Die meisten Feldflaschen mussten bereits leer sein, so heftig schlenkerte sie den Soldaten an den Hüften.

Sofort nachdem die ersten unter das Dach der Krone gelangt waren, schmissen sie sich mit vollem Gepäck ins Gras. Als wären sie bei einem Gefecht zusammengeschossen worden, lagen zwei Dutzend Grenadierleiber für kurze Zeit in unterschiedlichsten Gebilden auf der Erde. Doch ihr Sergent scheuchte sie mitleidlos wieder auf.

»Bei der Armee hält man auf Ordnung, ihr Faulärsche!« blaffte Jobst Brüssler. »Hoch, verdammt! Marschgepäck in Sechserreihe, Patronentasche davor, Gewehre sauber ausrichten!«

Niemand rührte sich. Der Sergent stieg von seinem Pferd und schritt grinsend über einige seiner am Boden liegenden Männer. Er wusste, wann er nachgeben musste. Nach einer Weile, währenddessen in der Ferne die Glocke schlug, sagte er ruhig: »Wir gönnen uns eine halbe Stunde. Wer kein Wasser mehr hat, kann von mir kriegen.«

»Sergent Jobst«, machte sich einer bemerkbar, »ihr Sachsen habt's mit der Ordnung wie der Jud mit dem Zins: nämlich zuviel!«

»Das meint nur der, der die Preußen nicht kennt«, bekam er zur Antwort.  »Ich sag' euch was: Den Preußen ist Unordnung so fremd wie Juden und Muselmännern das Schweinefleisch. Sachsen sind Menschenfreunde. Ein Preuße ließ jeden von euch einmal Spießrutenlaufen!«

Die einen lachten, andere fluchten. Doch tatsächlich kam langsam Ordnung in die Ausrüstung, und bis auf drei Grenadiere folgten alle dem Befehl.

Valentin wagte kaum zu atmen. Hinter einen der vier mächtigen Hauptarme geduckt, in die der Stamm sich teilte, versuchte er sich so klein wie möglich zu machen. Aber immer schmerzhafter spannten die Gelenke in der verrenkten Hockhaltung. Es war kaum mehr auszuhalten, er musste eine andere Position wählen. So geräuschlos wie möglich stemmte Valentin sich auf dem Arm nach oben, in der Hoffnung, sich anschließend langsam wieder etwas tiefer schieben zu können. In der dunklen Gabelung wäre er besser geschützt. Nur ausrutschen durfte er nicht, denn an einer Stelle der Gabelung kam es ihm vor, als deckte eine dicke vermoderte Altlaubschicht eine Kuhle zu. Vorhin war er dort etwas eingesackt und hatte sich dabei leicht den Fuß verstaucht.

Doch das Schicksal hatte anderes mit ihm vor. Gerade als Valentin sich in die volle Länge gestreckt hatte, entdeckte ihn einer von den am Boden Liegenden – der einzige, der sich trotz Gepäcks auf den Rücken gerollt hatte, die Beine angewinkelt, das Gesicht zur Krone. Valentin erstarrte, als er hörte, wie der Grenadier mit einem heiseren Schrei zum Gewehr griff und auf ihn anlegte.

»Sergent! Ich will zur Jungfrau werden. Seht Euch das an!«

Jobst Brüssler schnellte von seinem Baumtrümmer und stierte angestrengt in die angezeigte Richtung. In der Hast hatte er Mühe, sich in dem Ast- und Blättergewirr zurechtzufinden und erst auf den zweiten Blick verstand er die Aufregung.

Für Valentin indes türmten sich diese wenigen Sekunden zur größten Tortur seines Lebens. Niemals hatte er solche Angst ausstehen müssen. Jeden Augenblick glaubte er, würde das Mündungsfeuer aufblitzen und seine Brust zerfetzen. Als ihn die belustigte Stimme Jobst Brüsslers endlich aus seiner Ohnmacht befreite, war seine Kopfhaut wie mit Eis überzogen.

 »Zum Henker, ich hab' euch Weinpanschern ja allerhand zugetraut!«, rief der Sergent. »Dass ihr den Most aber mit Eicheln würzen wollt, ist arg. Wieviel Brummschädel macht so ein Fass, he?«

Valentin wurde zunächst kaum bewusst, dass er diesen grün-rot Uniformierten mit seinen kniehohen Schaftstiefeln verstehen konnte. Richtig zu sich kam er erst, als er sah, wie der Grenadier, der auf ihn angelegt hatte, sein Gewehr absetzte. Trotzdem wusste er nichts Rechtes zu sagen, schon weil er in der Aufregung die Sätze des Sergenten vergessen hatte. Und Jobst Brüssler schien fürs erste auch ohne Antwort zufrieden. Spöttisch rief er seinen Grenadieren zu:

»Ihr könntet ihn auf seinem Aussichtsast mit ein paar gut plazierten Schüssen zum Akrobaten befördern, aber das wär' womöglich Pulververschwendung. Vielleicht schafft ihr´s aber, ihn vom Baum zu schütteln, wie?«

 »Sergent, was will der Kerl?«, rief ein Grenadier. »Wohnt er da? Oder sucht er sich einen Ast zum Hängen aus?«

»Das wird´s sein, wenn er nicht endlich das Maul aufmacht!«, drohte ein anderer. »Ich häng' ihn mit Vergnügen an seinen Gürtel auf und schwör´s euch, dem wird eine Eichel wachsen, so groß und saftig, wie sie selbst dieser Baum noch nicht ausgetrieben hat!«

»Pass auf Kerl!«, rief Jobst Brüssler, und diesmal klang seine Stimme nicht mehr so harmlos. »Entweder du lässt dir jetzt etwas einfallen, oder ich kann für nichts mehr garantieren. Hier brennt nämlich mindestens einer darauf, dich aufzuknüpfen.«

»Nein, Herr Offizier!« schrie Valentin in der Hoffnung, dem Sergenten zu schmeicheln. Denn dass die einfache rote Schulterkordel nicht für einen hohen Rang stehen konnte, darauf wäre auch ein Dümmerer als er gekommen. »Es ist nichts Verbotenes, was ich tue. Misteln schneiden tut man doch überall.«

»Ich sag' es ihm, Sergent: Der Bursche lügt. Man sollte ihm sein Maul zertreten«, polterte ein Grenadier.

Doch Jobst Brüssler ließ sich nicht beirren. Ohne den Ausbruch zu beachten, ging er gemächlich auf den Baum zu, klopfte zweimal mit der flachen Hand an den Stamm und musterte Valentin so eindringlich wie möglich.

»Du kennst dich mit Komplimenten aus«, sagte er ruhig, »aber die können auch danebengehen. Das beweist fürs erste, dass du nicht auf den Kopf gefallen bist, Bursche, doch zum zweiten spricht es gegen dich. Also ...«

»Nein, ich schwör's euch, Herr Kommandant«, platzte Valentin dazwischen. »Es ist wegen der Misteln. Ich suche sie für ein Amulett und ...«

Zu mehr langte es nicht. Eine Stimme brüllte: »Zum Teufel Sergent! Ihr Sachsen mögt Menschenfreunde sein, aber ein echter Kriegsmann hat Spione und Meldeläufer in die Hölle zu schicken. Basta!«

Das war zuviel. Wütend fuhr Jobst Brüssler herum und schrie den Grenadier so heftig an, dass ihm der Speichel aus dem Mund spritzte: »Du verdammter Hurensohn! Ich hetz dich gleich mit doppelter Ausrüstung um den Baum! Und zwar so oft, bis du alles Laub gefressen hast!«

Dröhnendes Gelächter brandete zu Valentin hinauf. Wenn einer derart angepfiffen wurde, sorgte dies immer für Heiterkeit. Ernst nahm es niemand, denn so etwas gehörte nun mal zu den Privilegien der Vorgesetzten, seit Jahrtausenden. Jobst Brüssler aber gestand sich ein, dass er zu behutsam mit dem Burschen umging. Aber den Kerl einfach aufhängen? Dann hätten sich einfache Grenadiere gegen einen Sergenten durchgesetzt – und das ging natürlich nicht an.

Valentin wiegte sich in Sicherheit. Den Wutausbruch Jobst Brüsslers legte er zu seinen Gunsten aus. Der »Sergent«, wie sie ihn nannten, würde schon dafür sorgen, dass ihm nichts passierte.

 »Herr Sergent«, sagte er zögernd, »es ist wirklich wahr. Bei allen Heiligen. Meinem Weib soll ich Misteln schneiden, zur Taufe für die Tochter. Ich weiß, es klingt dumm, aber auch mein ...«

Mehr ließ Jobst Brüssler nicht zu. Giftig schrie er den Stamm hoch: »C'est fini, Bursche! Deine Beichte fängt nicht. Ein falsches Wort noch und du siehst den Totenvogel. On ne va pas tarder! Wir kennen da keine Hemmungen!«

Valentin schoss der Schreck so eisig durchs Herz, dass ihm schwindelig wurde. In wenigen Sekunden hatte ihn der Angstschweiß in eine zitternde Kreatur verwandelt, die verzweifelt um ihr Leben bettelte: Sie mögen ihm doch glauben, er sei ein ehrlicher Rebbauer, kein Spion. Und alles wolle er ihnen sagen und schenken, aber er sei kein Lügner.

»Ich kann nichts dafür«, flehte er, »mein Bruder ist schuld. Es ist Aberglaube, Aberglaube, weiß ich, aber kein Spion ...«  Rasend vor Angst verwirrten sich ihm Worte und Sätze, seine Stimme überschlug sich. Sein Schreien gipfelte in einem verzerrten, wahnsinnigen Nein, das in einem heiseren Geröchel erstarb, nachdem ein scharfer Knall den Hain durchschnitten hatte. Valentin spürte noch einen harten Stoß am Rücken, dann stolperte sein Herz und stieß ihn in ein aufstäubendes Licht.

Verblüfft schaute Jobst Brüssler in das betont unschuldige Gesicht eines seiner Grenadiere, der langsam hinter dem Stamm hervortrat, mit wieder harmlos geschultertem Gewehr.

»Sergent, er darf nicht böse sein«, sagte der Grenadier ziemlich gekünstelt. »Diese Kugel war ein feines Geschenk! So sauber geht's in der Schlacht selten«.

»Er hat recht, Sergent«, stimmte ein anderer zu, der gerade seinen Kautabak ausspuckte. »Im Krieg stören lange Sätze. War's also nicht korrekt? Letztes Jahr da haben die Trenckschen Panduren unsre Posten in eine Mühle gesteckt und diese angezündet. 's hat länger gedauert für die armen Teufel. War das korrekt?«

Jobst Brüssler hatte sich schnell wieder in der Gewalt. Derartige Possenspiele, wusste er,  begannen sie, wenn sie ihn beeindrucken wollten. Ob dabei einer umkam, war Nebensache. Trotzdem galt es für ihn jetzt, eins draufzusetzen, obwohl das in diesem Fall eigentlich unmöglich war. Aber irgendein theatralischer Abgang musste sein, ein Abgang, den er, Sergent Jobst Brüssler,  in Szene setzen musste.

»Eure Posten hatten in ihrem Pech wenigstens das Glück der Feuerbestattung«, schnauzte er. »Anders gefragt: Wollt ihr den Krähen jetzt einen Dessertgang bescheren, oder was? Damit Ameisen und Würmer nicht als erste übers Filet herfallen?«

»Sergent«, jubelte einer, »ihr Sachsen seid Kavaliere! Wir hängen den Kerl wie einen Schinken, verlasst Euch drauf!«

Auf Pfiff und Handzeichen kamen ein paar Grenadiere zum Fuß der Eiche. Zwei von ihnen hielten bereitwillig ihr Kreuz hin und es dauerte nicht lange, bis einer die Gabelung erklettert hatte. Valentin lag mit aufgeschlagenem Gesicht eingekeilt zwischen den Hauptarmen – quer über einer tiefen Höhlung, deren modriges Laubdach von der Wucht seines stürzenden Körpers an einer Stelle eingebrochen war. Den Rest trat der Grenadier ein und entzückt über diese Entdeckung schrie er auf: »Sergent, ein Loch! Breit wie ein Fass und tief wie in einem Alptraum!«

»Na und?« rief Jobst Brüssler. »Mir war´s, als wolltet ihr den Kerl den Krähen überlassen!«

»Sergent, in diesem Fall ist das Einfachste das Beste. Der Kerl kriegt so Sarg und Gruft in einem. Ihr könnt ihm ja die Messe lesen!«

»Zum Teufel mit euch! Macht was ihr wollt.«

Verärgert ging Jobst Brüssler zu seinem Pferd. Das Geschehnis war für ihn abgeschlossen. Was ging in dies alles noch an. Er hatte Wichtigeres in den Kopf zu nehmen! Außerdem drängte die Zeit, die halbe Stunde Rast war längst vorüber.

»Also!« rief der Grenadier auf dem Baum. »Für die Würfelkasse, hier!« Damit warf er Stück für Stück Valentins Kleidungsstücke herunter, die er vorsichtig dem Toten auszog. »Sind in Breisach gute Münzen wert.« Dann, nach einer Weile, rief er noch einmal: »He, Sergent! Hier hab' ich was, das wir ehrlich zurückgeben wollen. Niemand soll uns nachsagen, wir wären Grabräuber.«