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Lektorat: Susanne Schmitz

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Wir sind nicht alle gleich, und wir wollen es auch gar nicht sein.

Vorwort / Πρóλογος

Nein, nicht die griechische, die türkische möchte ich haben, die TÜRKISCHE, Alter, die türkische, die neben der griechischen steht, arggghhhh! Das denke ich, während ich hier stehe und die Namensschildchen der beiden Damen lese – ich favorisiere diejenige von beiden, die türkischer Herkunft ist.

Diese Frau, die neben mir steht, trägt eine randlose Brille, ist stark geschminkt, etwas zu bunt vielleicht, beim Lächeln hat sie Grübchen, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass sie die Falsche ist, die, die mich nicht bedienen sollte. Ich kann ihr Namensschild sehen, sie weiß meinen Namen noch nicht. Sie kann es mir nicht ansehen, sie spürt nichts. Doch ich weiß Bescheid und ich beginne zu schwitzen. Heiß und kalt ist mir. Denn ich weiß, was nun kommt, im Gegensatz zu ihr. »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragt sie, noch unschuldig und dienstbeflissen.

»Wie wohl?«, denke ich mir. »Du dunkelhaarige griechische Schönheit, du sollst mir eine Brille verkaufen!«

»Ach ja, und Sie haben sich schon eine ausgesucht?«

»Ja, zum Glück!«, denke ich, sonst wäre das alles noch sehr viel schlimmer. Ich fühle mich so schon sehr unwohl. Sie weiß nicht, was passieren wird, denn wenn sie es wüsste, wäre sie bereits besser gelaunt, etwas angestrengter, nicht so gleichgültig, wie sie gerade noch tut. Ich halte es kaum noch aus. Sie fragt mich etwas, ich gebe ihr keine Antwort, bin in Gedanken. So schaut sie mich irritiert an. »Ja, entspiegelt und so, wie die Brille zuvor, die gleiche Marke bei den Gläsern ist recht.« Wieso ich so gleichgültig bin, fragt sie sich sicherlich. Doch ich bin nur aufgeregt, weiß ja bereits, was passieren wird.

Sie schaut mich an, ich war wieder weggetreten, hatte keine Antwort gegeben. Sie mustert mich, fragt sich, was los ist. Es ist nun wie ein Spiel zwischen uns beiden. Herausfinden, was in dem anderen vorgeht, versuchen, die Blicke zu deuten, etwas darin zu lesen. Doch ich bin ein Po-po-po-kerface. Und ich weiß mehr als sie. Sie wiederholt die Frage. Wie ich heiße. Ich nenne meinen Namen.

Ja, und jetzt, jetzt, genau jetzt passiert das Unvermeidliche, das, worum es sich die letzten Minuten drehte, was sie nicht wusste, ich allerdings schon lange erahnte, und was ich verhindern wollte. Ich hatte es doch gesagt: Sie ist die Falsche, ich wollte die türkische! Nun redet sie Griechisch mit mir, fließend, erbarmungslos möchte ich es nennen, ich komme nicht mehr mit, denn diese Optiker-Begriffe kenne ich nicht.

Die Wörter »Auge« und »Brille« verstehe ich ja noch, aber die Fachbegriffe, nein, da muss ich passen. So sage ich ihr nach ihren ersten drei Sätzen, von denen ich nur die Hälfte verstanden habe, dass sie doch bitte ins Deutsche switchen möge, was sie auch tut, allerdings eher unzufrieden. Als sie meinen genervten Blick auffängt, entspinnt sich nun genau das, was ich bereits vorhergesehen hatte, als ich sie da neben der türkischen Optik-Tussi stehen sah: Sie wirft mir vor, nicht gescheit Griechisch zu sprechen, mich zu sehr integriert, ja, angepasst, assimiliert zu haben. Und so weiter.

Ich frage mich, wieso ich nur ausgerechnet heute zum Brillekaufen hergekommen bin und möchte nur noch fortfortfort. Doch zu spät, zu spät, verdammt. Und jetzt sitze ich da, mit der beleidigten Frau, die weiterhin darüber Monologe hält, wieso sie es für wichtig hält, unsere gemeinsame Sprache (wie bitte?!) zu hegen und zu pflegen, wie schön es sei, Gleichgesinnte kennenzulernen, sprich: andere Menschen griechischer Herkunft, und dass das doch nicht das Gleiche sei wie mit den Deutschen, das könne ich ja schließlich nicht im Ernst denken. Und ich schwitze umso mehr, fühle mich ganz unangenehm schlecht und frage mich, wie lange dieses Gespräch noch dauern kann, wie ich sie zur Ruhe bringen könnte, und überlege mir, dass ich gleich diese teure Brille gar nicht kaufe, nur um dieser vollbusigen Frau zu entkommen.

Ja, und langsam, langsam beginne ich mich zu schämen und denke: »Ja, könnte ich nur perfekt Griechisch, dann hätte ich gescheit antworten, immer schön ›jaja‹ nicken, auf schüchtern machen, ein bisschen mit den Augen zwinkern können und dann hätte es eine nicht ganz so lange ›Standpauke‹ gegeben. Ich wusste das gleich und deswegen wollte ich die türkische haben. Ich gehe nie wieder in diesen Apollon …«

DAS war eine persönliche Anekdote, die tatsächlich dem Autor, also mir, geschehen ist. Sie zeigt, dass meine »Herkunft« immer eine Rolle spielen wird, egal, ob freiwillig oder unfreiwillig, diese Herkunft, der andere »Hintergrund« wird zwangsläufig auf die eine oder andere Weise thematisiert werden. Von anderen oder von mir selbst. Und wenn es nur darum geht, dass jemand, weil er sich mit mir anfreunden oder verbinden möchte, als Erstes von seinen Griechenland-Urlauben erzählt (und damit häufig von Orten, die ich gar nicht kenne).

In den Geschichten dieses Erzählbandes gibt es sehr selten biografische Bezüge, vielleicht mal eine Person, einen Namen, eine Begebenheit, aber meist etwas verfremdet, sodass ich niemandem zu nahe trete. Vieles ist auch einfach meiner Fantasie entsprungen, und doch: Es hat mit Dingen zu tun, die mich beschäftigen: »Integration«, »Heimat«, »Wurzeln«, »Fremde«, »Sehnsucht«, »Fernweh«, »Mentalität«, »Sprache« – Begriffe, die mich zum Nachdenken anregen, über die ich mit anderen rede. Es sind keine biografischen Geschichten und doch sind es »wahre« Geschichten. Der Erzähler wechselt in jeder dieser Storys, jedoch ist immer ein Stück der Persönlichkeit des Autors mit dabei.

Was ebenso wenig fehlt, ist immer das Augenzwinkern, mit dem vieles hier geschrieben ist, dem nicht-immer-ernst-Meinen, den Klischees, mit denen gespielt werden soll, die oft nicht als bare Münze genommen werden dürfen. Es gibt weder »die Deutschen« noch »die Griechen«, wir werden alle von so vielen Menschen und Dingen geprägt, aber auch von unserem eigenen Charakter, von unseren Erfahrungen, von unseren Stärken und Schwächen – wir sind alle so verschieden vom anderen, dass wir uns teilweise so fremd vorkommen …

Vorwort / Πρóλογος

Mäuschen und Kätzchen / Το ποντικáκι και το γατáκι

Danke / Ευχαριστω

Wahn / Μανíα

1. Μακρινή Αγάπη – Ferne Liebe

2. Haltet die Welt an

3. Μακριά – Ferne

4. Too Fake

5. Kara Yazı – Schwarzer Text

Jesus ist vom Kreuz gefallen / Ο Γησοúς Χριστóς κáτω απó το σταυρó

Der Klarinettist Charalambos / Ο κλαρινíστας Χαρáλαμπος

Der kranke Esel / Ο áρρωστος γáιδαρος

Drei Stühle / Τρεις καρéκλες

Déspina oder Despína / Δéσποινα