Über Ellen Berg

Ellen Berg, geboren 1969, studierte Germanistik und arbeitete als Reiseleiterin und in der Gastronomie. Heute schreibt und lebt sie mit ihrer Tochter auf einem kleinen Bauernhof im Allgäu.

Ihre bisherigen Romane »Du mich auch. Ein Rache-Roman«, »Das bisschen Kuchen. (K)ein Diät-Roman«, »Den lass ich gleich an. (K)ein Single-Roman« und »Ich koch dich tot. (K)ein Liebesroman« waren große Erfolge.

Informationen zum Buch

Sex oder nie

Was tun, wenn Flaute im Bett herrscht? Ganz klar: her mit heißer Wäsche, Handschellen und allem, was den antriebsarmen Mann wieder munter macht! Anne und Tess scheuen weder Mühe noch gewagte Experimente, um ihre Kerle auf Touren zu bringen – mit ungeahnten Folgen.

Anne und Tess teilen ein Problem: lendenlahme Männer. Anne wünscht sich ein zweites Kind, aber leider läuft nichts im Bett – Weihnachten ist öfter. Auch in Tess‘ Beziehung heißt es: alles außer Sex. Damit wollen sich die beiden Freundinnen aber nicht abfinden. Und sind deshalb wild entschlossen, neue Kicks auszuprobieren. Warum nicht mal den Mann mit Fesselspielen überraschen? Sie unternehmen einen Ausflug in einen Sexshop – mit hohem Kicherfaktor! – und wagen sich immer weiter auf die dunkle Seite der Lust. Die Reaktion der Männer: amüsiert bis verstört. Als Tess dann auch noch einem gestrengen Herrn und Meister verfällt, brennt die Hütte …

ABONNIEREN SIE DEN
NEWSLETTER
DER AUFBAU VERLAGE

Einmal im Monat informieren wir Sie über

Folgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:

https://www.facebook.com/aufbau.verlag

Registrieren Sie sich jetzt unter:

http://www.aufbau-verlag.de/newsletter

Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir

jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!

Ellen Berg

Gib’s mir, Schatz!

(K)ein Fessel-Roman

Inhaltsübersicht

Über Ellen Berg

Informationen zum Buch

Newsletter

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Epilog – vier Monate später

Leseprobe

Impressum

Kapitel eins

»Schatz, hast du meine Anti-Cellulite-Creme gesehen?«

Anne hatte die Frage kaum gestellt, als sie auch schon wusste: Das war ein Fehler gewesen. Ein schwerer Fehler.

Gerade noch hatte Joachim ihren Arm gestreichelt, jetzt ließ er ruckartig von ihr ab. Sein Blick wanderte zu Annes Schenkeln, die nur notdürftig von einem verwaschenen, ausgeleierten XXL-T-Shirt verdeckt wurden.

»Äh, wie wär’s mal mit ein bisschen Sport?« Er zog eine Grimasse. »Wäre jedenfalls besser, als dieses sauteure Zeugs zu kaufen. Oder glaubst du im Ernst, dass ein bisschen Creme irgendwelche Dellen ausbügelt?«

Anne war am Boden zerstört. Das hatte sie nun davon. Seufzend sah sie in den Badezimmerspiegel.

Eigentlich hatte sie sich den Auftakt zu dieser Nacht etwas anders vorgestellt. Nach langer, viel zu langer Zeit hatte sie auf ehelichen Sex gehofft. Die Ausgangsbedingungen waren nämlich gar nicht so übel gewesen. Gemessen an den üblichen Komplikationen sogar genial. Joachim hatte nicht vor, die halbe Nacht am Laptop zu verbringen. Im Fernsehen liefen weder Sport noch eine von seinen Lieblingskrimiserien. Lars, ihr fünfjähriger Sohn, schlief längst, und es sah nicht danach aus, dass er Annes geheime Sexpläne durch Brechdurchfall, Keuchhusten oder andere nächtliche Einlagen stören würde. Außerdem war ihr Mann heute auffallend entspannt gewesen.

Doch nun hatte sie selbst die zärtliche Stimmung abgefackelt, die in der Luft gelegen hatte.

»Also, ich hau mich dann schon mal hin«, gähnte Joachim.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachte Anne. Heute ist die Nacht der Nächte, Cellulite hin oder her.

»Nicht einschlafen, komme gleich nach!«, flötete sie.

Joachim kratzte sich ausgiebig am Rücken, eine Angewohnheit, die Anne ausgesprochen abtörnend fand.

»Das sagst du immer, und dann dauert es Stunden«, beschwerte er sich. »Was treibst du bloß vor dem Schlafengehen? Deine Dellen zuspachteln?«

»Vielen Dank für die nochmalige Erinnerung, dass ich nicht mehr taufrisch bin«, fauchte Anne.

Joachim grinste schief. »Immer wieder gern.«

Er gab Anne einen Klaps auf den Po. Einen dieser kumpelhaften Klapse, die sie hasste, weil sie in etwa so erotisch waren wie die unförmigen Boxershorts mit Bart Simpson-Aufdruck, die Joachim neuerdings trug.

»Hey, ich bin eine Frau, schon vergessen? Und eine Frau hat …«, sie räusperte sich, um dann todesmutig hervorzustoßen: »Gewisse Bedürfnisse!«

»Ach ja?« Joachim ordnete gedankenverloren sein Gemächt in den unendlichen Weiten der Boxershorts. Auch so ein Abtörner. »Ich würde sagen, du hast ein Problem mit den zwei Chinesen.«

»Wie jetzt?«

Selbstverliebt betrachtete Annes Mann seinen Oberkörper im Spiegel, bevor er antwortete: »Stei-Ling und Tei-Ming.«

Vollkommen verdattert stand Anne da. »Soll ich im Lexikon nachschlagen, oder kannst du etwas deutlicher werden?«

»Na, dein Sty-ling ist grenzwertig – oder findest du dieses T-Shirt etwa sexy? Und dein Ti-ming, na ja. Wenn du mit deinem Beautyprogramm fertig bist, befinde ich mich regelmäßig im Tiefschlaf. Was auch immer du heute noch mit mir vorhast – weck mich bitte nicht dabei auf.«

Damit trollte er sich.

Auf der Frustskala von eins bis zehn war Anne kurz vor hundert. Wütend musterte sie ihr Spiegelbild. Okay, das T-Shirt war nicht gerade ein Knaller, und mit ihren achtunddreißig war sie auch nicht mehr so knackig wie diese jungen Dinger, die hüftwackelnd durch die Gegend rannten und ihre straffe Haut vorführten. Aber sie war immer noch ziemlich ansehnlich. Langes, blondes Haar floss in sanften Wellen über ihre Schultern. Ihre rehbraunen Augen waren auch nach dem Abschminken ausdrucksvoll, ganz ohne Wimperntusche und Kajal. Und abgesehen von dem bisschen Cellulite hatte sie wirklich noch eine einigermaßen gute Figur.

Nur das strahlende Lächeln, in das sich Joachim einst verliebt hatte, war verschwunden.

Anne sah in das blasse, erschöpfte Gesicht einer Frau, die sich zwischen Job und Muttersein aufrieb, täglich ein vollwertiges Abendessen auf den Tisch des Hauses zauberte, die Wohnung in Schuss hielt, den gemeinsamen Sohn zum Kindergarten, zum Malkurs, zum Fußballtraining fuhr. Und wieder abholte, versteht sich.

Zwischen diesen ganzen Aktivitäten war noch mehr verschwunden als nur ihr strahlendes Lächeln – das erregende Prickeln zwischen ihr und ihrem Mann. Wann hatten sie eigentlich das letzte Mal miteinander geschlafen? Anne erinnerte sich dunkel an ein flüchtiges Geplänkel im letzten Sommerurlaub. Jetzt war Mai. Sollte das etwa normal sein? Tote Hose nach sechs Jahren Ehe?

Gedankenverloren kämmte sie sich die Haare. Sie sehnte sich ja nicht nur nach Lust und Leidenschaft. Anne wollte ein zweites Kind. Lars war fünf. Höchste Zeit für ein Geschwisterchen. Aber wie sollte das wohl entstehen ohne den üblichen Austausch von Körperflüssigkeiten? Also war jetzt Eile geboten.

Die Suche nach der Cellulite-Creme gab sie auf. Das blöde Zeug hatte ihr schon genug Scherereien eingebracht. Sie warf den Kamm auf die Ablage über dem Waschbecken, knipste das Licht im Badezimmer aus und schlich auf Zehenspitzen in den Flur. Mit angehaltenem Atem horchte sie, ob Lars wach geworden war. Alles ruhig, stellte sie erleichtert fest. Also los.

Als sie das Schlafzimmer betrat, war es darin stockdunkel. Man hörte nur die tiefen, regelmäßigen Atemzüge eines schlafenden Mannes, der offenbar jeden Gedanken an Sex aufgegeben hatte. Jedenfalls mit ihr.

***

»Hey, Schnecke, was ist los?«

Anne fuhr herum. Es war Samstagmittag. Ihr heiliger Samstagmittag. Wie immer war sie mit ihrer besten Freundin Teresa verabredet, von allen Tess genannt. Atemlos stand sie vor Anne und strich sich die Fransen ihres rotbraunen Kurzhaarschnitts aus der Stirn.

Sie kannten sich schon seit über zehn Jahren. Damals waren sie im selben Yoga-Kurs gewesen und hatten sich beide in den überirdisch schönen Yoga-Lehrer verknallt. Es war bei bloßer Schwärmerei geblieben, weil der gute Mann enthaltsam lebte. Aber sie hatten auf diese Weise eine Freundin fürs Leben gefunden.

Die siebenunddreißigjährige Tess war ein echter Hingucker: sinnlich, kurvenreich, aufreizend selbstbewusst. Jetzt hefteten sich ihre vergissmeinnichtblauen Augen auf Annes missmutiges Gesicht.

»Du siehst fertig aus«, befand sie und setzte sich.

Anne zuckte mit den Schultern. Eigentlich hatte sie sich auf Tess gefreut. Die samstäglichen Treffen mit ihrer Freundin waren immer ein kleines Highlight. Doch heute dümpelte ihre Laune auf einem historischen Tiefstand. Was konnte niederschmetternder sein, als vom eigenen Mann verschmäht zu werden?

Deprimiert ließ sie den Blick durch ihre Lieblingsbar »Lorettas Loft« schweifen: ein hellgrün gestrichener Raum mit unverputzten Eisenträgern, einem langen Tresen aus gewischtem Edelstahl und bequemen Korbstühlen. Zwei künstliche Palmen und eine zentimeterdicke Schicht weißen Sands beschworen ein gewisses Südseeflair. Die bodentiefen Fenster waren weit geöffnet und ließen die ersten Strahlen der Frühlingssonne herein.

Samstags tranken die beiden Freundinnen hier immer ihren Caffè Latte und lästerten ein bisschen über die aufgerüschten jungen Mädchen ab, die auf der Suche nach ihrem Prinzen waren. Was sich im Falle von Anne und Tess erledigt hatte. Anne war schließlich verheiratet, und Tess lebte mit Bernd zusammen, einem gutmütigen Mittdreißiger, der sich als Hausmann betätigte. Tess hatte einen rasend lukrativen Job als Investmentbankerin. Ihr Gehalt reichte locker für zwei.

»Sag schon, was ist los mit dir?«, wiederholte Tess ihre Frage.

Wie Anne trug sie Jeans und T-Shirt. Da sie beide nicht auf Männerjagd waren, bevorzugten sie bei ihren Treffen unkomplizierte Klamotten.

»Nix ist los«, murrte Anne. »Das ist ja das Problem.«

Tess rollte mit den Augen. »Wie soll ich das denn jetzt verstehen?«

Einen Moment lang zögerte Anne. Klar, mit Tess konnte man über alles reden. Doch was Anne bedrückte, war eine, nun ja, sehr intime Angelegenheit. Die intimste überhaupt: Sex. Und so vertrauensvoll ihr Verhältnis zu Tess auch war, spürte Anne dennoch eine gewisse Scheu bei dem Thema.

»Najaaaa«, antwortete sie gedehnt. »Es geht um Joachim. Und mich.«

»Du musst schon ein bisschen konkreter werden«, sagte Tess. »Habt ihr euch gestritten? Bringt er den Müll nicht runter? Lässt er die Tür offen, wenn er aufs Klo geht? Kümmert er sich zu wenig um Lars? Ist er …«

»Nein«, unterbrach Anne ihre Freundin, »soweit ist alles in Ordnung, aber …« Sie schluckte. »Darf ich dich mal was fragen?«

»Alles, was du willst«, versicherte Tess, während sie in ihrer riesigen Umhängetasche aus rotem Leder kramte.

Anne nahm all ihren Mut zusammen. »Wie läuft es bei euch denn so – im Bett?«

»Oh«, sagte Tess. Dann sagte sie eine Weile gar nichts.

Wortlos wühlte sie weiter in ihrer Tasche. Erst als der Kellner zwei Caffè Latte auf den Tisch gestellt hatte, erwiderte sie: »Ist das jetzt der Moment, wo du mir was verkaufen willst? Viagra zum Beispiel?«

Anne arbeitete als Empfangsdame bei einem Urologen, der sich auf Herren mit Potenzproblemen spezialisiert hatte. Entsprechend gehörte die Verschreibung von Viagra und anderen stärkenden Medikamenten zu seinem täglichen Programm, wie Anne ihrer Freundin einmal kichernd erzählt hatte. Die Nachfrage war überraschend groß.

»Quatsch«, zischte Anne. »Ich meine nur – ist es bei euch noch so wie am Anfang?«

Nachdenklich nippte Tess an ihrem Caffè Latte. »Ziemlich indiskrete Frage.«

»Tut mir leid«, entschuldigte sich Anne. »Es ist nur so …«

» … dass die Luft raus ist?«

Anne nickte betreten. Plötzlich überrollte sie eine Welle aus Selbstverachtung und Verzweiflung.

»Ich bin trutschig geworden, stimmt’s?«, brach es aus ihr heraus. »Eine spießige Ehefrau. Eine Langweilernummer. Eine, der keiner mehr hinterherpfeift. Ist es das?«

»Spinnst du?«, protestierte Tess. »Du bist hübsch, sehr hübsch sogar.«

»Danke. Du polierst immer mein Ego, dass ich mich drin spiegeln kann. Trotzdem.«

Tess deutete auf die Speckröllchen, die sich über dem Bund ihrer Jeans wölbten. »Was soll ich denn sagen? Wenn andere in den Spiegel schauen, dann aus Eitelkeit. Wenn ich es tue, ist es Tapferkeit. Mein Job frisst mich auf. Im Gegenzug futtere ich alles in mich rein, was nicht bei drei im Kühlschrank ist. Das einzig Gute ist, dass Bernd auch ein bisschen moppelig geworden ist. Ihn scheint es jedenfalls nicht zu stören, dass ich zugelegt habe. Bei uns ist alles supi soweit.«

Ach nee. Anne beschloss, aufs Ganze zu gehen. Klirrend setzte sie ihre Tasse ab. »Wie oft?«

Nun war Tess völlig entgeistert. »Hallo? Wie – oft? Du willst im Ernst wissen, mit welcher statistischen Häufigkeit es bei Bernd und mir zur Sache geht?«

Der Kellner kam mit der Speisekarte. Tess verscheuchte ihn mit einer wedelnden Handbewegung. Anschließend kramte sie wieder in den Tiefen ihrer Tasche herum, bis sie eine Tube rosa Lipgloss zu Tage gefördert hatte. Wortlos trug sie das Gloss auf. Und ließ sich auffallend viel Zeit damit.

»Du musst nicht antworten«, sagte Anne kleinlaut. »Aber wenn ich ehrlich bin, komme ich nur auf ein, zweimal – im Jahr.«

Tess blieb der Mund offen stehen. Nach der ersten Schrecksekunde warf sie die Tube zurück in die Tasche und begann stumm, etwas an den Fingern abzuzählen. Das Ergebnis schien ihr nicht zu gefallen.

»Was soll’s«, seufzte sie. »Warum soll ich dir was vormachen? Bei uns war es auch nicht viel mehr. Eher weniger. Weihnachten ist öfter.«

Eine Sekunde lang starrten die beiden Freundinnen einander an, dann brachen sie in Gelächter aus. Sie konnten gar nicht wieder aufhören. Die anderen Gäste beäugten sie neugierig.

Anne wischte sich eine Lachträne von der Wange. »Oh Mann, ist das krass!«

Ihre trübe Stimmung war verflogen. Das Lachen hatte sie befreit. Noch vor einer Minute hatte sie das Gefühl gehabt, eine absolute Versagerin zu sein. Doch das Geständnis von Tess ließ ihre Sexflaute in neuem Licht erscheinen. Sie war nicht allein mit ihrem Frust.

»Ja, total krass«, bestätigte Tess und unterdrückte einen neuerlichen Kicheranfall. »Sex ist bei uns so selten geworden wie eine bedrohte Tierart. Mit anderen Worten: kurz vorm Aussterben!«

Wieder prustete Anne los. Ihr Handy klingelte, doch sie ignorierte es. Diese Unterhaltung nahm eine Wendung, mit der sie nicht im Traum gerechnet hätte.

»Wenn man bedenkt«, warf Tess ein, »dass ich deinen Mann mal nackt in der Sauna gesehen habe, kann man’s kaum glauben. Der ist doch so gut bestückt, dass er locker ganze Nächte durchhalten könnte.«

»Tut er aber nicht. Was nützt eine Stradivari, wenn sie nicht gespielt wird? Wir leben wie Brüderchen und Schwesterchen.«

Allmählich wurde Tess wieder ernst. Aufmerksam begutachtete sie zwei junge Mädchen, die gerade die Bar betraten. In hautengen Leggins und bauchfreien Tops. Alles, was männlich war, sah zu ihnen hin.

Anne folgte dem Blick ihrer Freundin. »Die haben das Ganze noch vor sich«, raunte sie Tess zu. »Liebe, Lust und Leidenschaft. Und bei uns soll’s schon wieder vorbei sein?«

Gebannt beobachteten die beiden Freundinnen, wie sich die Mädchen an den Nebentisch setzten und miteinander tuschelten. Offenbar erzählten sie einander von irgendwelchen nächtlichen Abenteuern, wie man aus ein paar Satzfetzen schließen konnte. Als das Wort »Handschellen« fiel, spitzten Anne und Tess die Ohren.

»Hast du das gehört?«, flüsterte Tess.

»Wow, Handschellen«, wisperte Anne andächtig. Sie starrte in ihre fast leere Tasse. »Ich habe neulich einen Artikel über Sexspielzeug gelesen. Soll jetzt total angesagt sein. Fesseln, heißes Kerzenwachs, Handschellen, Flogger …«

»Flogger? Was ist das denn?«, gluckste Tess. »Klingt verdächtig nach Wischmop.«

»Nee, das ist irgend so ein Teil, mit dem man sich gepflegt den Po versohlt«, gab Anne ihr frisch angelesenes Wissen zum Besten.

»Nichts für mich«, wiegelte Tess ab. »Wär’ ja wohl noch schöner. Wenn Bernd mit so einem Ding um die Ecke käme, würde ich ihn jedenfalls im hohen Bogen rausschmeißen.«

»Vielleicht liegt genau da das Problem«, orakelte Anne.

Tess tippte sich an die Stirn. »Tickst du jetzt komplett aus? Du willst doch wohl nicht dein Schlafzimmer in ein SM-Studio nach Hausfrauenart verwandeln! Joachim würde sich totlachen, wie ich ihn kenne.«

Aber Anne ließ sich nicht beirren. »Wer weiß. Jeder hat doch irgendwelche Phantasien. Nur, dass man sie eben für sich behält. Wenn man sich gerade erst kennenlernt, ist man noch experimentierfreudiger.« Ihre Gesichtszüge nahmen einen träumerischen Ausdruck an. »Joachim und ich haben auch ein paar ausgefallene Dinge angestellt, damals, als wir uns erst ganz kurz kannten. Irgendwann kam die laue Routine. Und seit Lars auf der Welt ist, sind unsere Aktivitäten im Bett faktisch mausetot. Wenn ich noch mal schwanger werde, dann wohl nur durch künstliche Befruchtung.«

»Auf den Schreck brauche ich einen Schnaps«, bekannte Tess.

»Vorsicht«, warnte Anne. »Bestimmt hast du noch nicht gefrühstückt. Alkohol auf nüchternen Magen …«

Tess winkte ungerührt den Kellner heran. »Ich betrinke mich nicht, ich desinfiziere innere Wunden. Und zwar genau die Wunden, die du gerade aufgerissen hast.«

Anne presste die Lippen aufeinander. Tess hatte gut witzeln. Sie war zwar in einer festen Beziehung, doch die konnte sie jederzeit lösen, wenn sie wollte. Bisher hatte es Tess sowieso mit keinem Mann länger als zwei Jahre ausgehalten. Anne dagegen liebte Joachim, immer noch. Außerdem hatten sie ein Kind. Da spazierte man nicht einfach so aus der gemeinsamen Wohnung und sah sich nach neuen Kicks um, wenn der Mann als Liebhaber ausgedient hatte.

Gerade hatte Tess ihren Schnaps bestellt, als Annes Handy erneut klingelte. Diesmal ging sie ran. Es war Joachim.

»Wie bitte?« Anne wurde blass. »Lars ist hingefallen? O Gott. Blutet er? Hast du ihm ein Pflaster aufgeklebt?« Es entstand eine kurze Pause. »Gut, ich komme.« Mit bebenden Fingern packte sie das Handy in ihre Handtasche und trank ihren Kaffee aus.

»Mami ist mal wieder unentbehrlich, was?«, fragte Tess bissig. Da sie selber kinderlos war, hatte sie nie verstanden, warum Anne so ein Bohei um ihren Sohn machte.

»Lars hat sich beim Fußballspielen verletzt. Platzwunde an der Stirn. Ich muss los.«

»Jetzt mal ganz langsam und von vorn«, widersprach Tess. »Wir führen gerade ein lebenswichtiges Gespräch, und du willst gehen?«

»Okay, noch eine Minute«, lenkte Anne ein, obwohl sie wie auf heißen Kohlen saß. Joachim war ein guter Vater. Die Lizenz zum Trösten hatte er allerdings nicht gerade. Nervös zog sie eine Tüte Gummibärchen aus ihrer Tasche und genehmigte sich eine Handvoll davon.

»Klaust du deinem Sohn neuerdings die Gummibärchen?«, feixte Tess.

»Ist nur gerecht. Schließlich hat er mir mein Sexleben geklaut«, erwiderte Anne und erschrak im selben Moment über ihre Äußerung.

»Nur keine voreiligen Schlüsse«, sagte Tess spitz. »Bei uns ist schließlich auch die Erotik auf null, ganz ohne Kinder.«

»Und was machen wir jetzt?«, fragte Anne kauend.

»Ich habe nicht die blasseste Ahnung«, gab Tess zu. »Aber eins kann ich dir schriftlich geben: Ich springe nicht in Lack und Leder ins Bett. Und so einen dämlichen Flutscher brauche ich auch nicht. Wir probieren es zunächst mal naturbelassen, abgemacht? Wer von uns beiden als Erste zum Zuge kommt, hat gewonnen.«

»Wie bitte?« Jetzt war es Anne, der der Mund offen stehen blieb.

»Nichts weiter als ein edler Wettstreit in Sachen Beziehungspflege«, grinste Tess. »Wir versuchen einfach, unsere Kerle rumzukriegen.«

»Bei aller Freundschaft – so einen hirnlosen Unsinn mache ich nicht mit!« Anne stand auf. »Sind wir hier bei den Olympischen Sexspielen, oder was? Und übrigens heißt es Flogger, nicht Flutscher.«

»Nenn es, wie du willst.« Tess lehnte sich in ihrem Korbsessel zurück und verschränkte siegesgewiss die Arme. »Ich gewinne sowieso. Sobald es passiert ist, schicke ich dir eine SMS.«

»Freu dich nicht zu früh!« Anne drohte Tess scherzhaft mit dem Finger. »Heute Nacht schläft Lars bei Joachims Eltern, da habe ich freie Bahn!«

»Na, dann frohe Verrichtung«, lachte Tess. »Aber wetten, dass ich schneller bin?«

***

»Sie sehen bezaubernd aus«, säuselte Dr. Hermann Huber und deutete einen Handkuss an. Geziert zupfte er die silbergraue Seidenkrawatte zurecht, die er zu seinem eleganten schwarzen Anzug trug. »Bezaubernd und schön wie immer.«

Anne lächelte gezwungen. Die Einladungen bei Joachims Chef waren für sie reine Pflichttermine. Meist erwarteten sie langatmige Abendessen an einer festlich gedeckten Tafel, mit Leuten, deren feines Getue ihr ziemlich auf die Nerven ging. Sie trug ein schwarzes Etuikleid, eine Perlenkette und hochhackige schwarze Pumps, so wie es der ungeschriebene Dresscode verlangte. Ihr blondes Haar hatte sie hochgesteckt, um damenhafter zu wirken.

Seit sie die Villa der Hubers betreten hatte, sehnte sie das Ende des Abends herbei. Nicht nur, weil sie dauernd an die schräge Wette mit Tess denken musste. Sondern auch, weil der Tag ziemlich turbulent gewesen war.

Nach ihrem hektischen Aufbruch in »Lorettas Loft« war es Schlag auf Schlag gegangen. Zu Hause angekommen, hatte sie ein weinendes Kind und einen völlig überforderten Vater vorgefunden, dem nichts Besseres eingefallen war, als Lars mit Schokolade vollzustopfen. Den gesamten Nachmittag hatte Anne im Krankenhaus zugebracht, wo die Platzwunde genäht werden musste. Anschließend hatte sie Lars zu ihren Schwiegereltern gefahren, geduscht, sich zurechtgemacht und war mit hängender Zunge gerade noch pünktlich für die Einladung fertig geworden. Jetzt fielen ihr fast die Augen zu.

Joachim dagegen schien sich pudelwohl zu fühlen. Auch er hatte einige Handküsse verteilt und der Dame des Hauses einen übertrieben großen Blumenstrauß überreicht. So ein Prachtbouquet bekam Anne nicht mal zum Hochzeitstag. Wenn Joachim überhaupt daran dachte.

Gerade unterhielt er die Frauen von zwei Kollegen mit Anekdoten, die Anne in- und auswendig kannte. Die Frauen lachten. Ihnen gefiel dieser gutaussehende Mann mit der kunstvoll verstrubbelten Frisur und dem jungenhaften Charme. Joachim sah unverschämt gut aus in seinem dunkelblauen Anzug. Fast wie ein männliches Model. Und nicht wie ein Anwalt für Unternehmensrecht, der die Vierzig längst hinter sich hatte.

Manchmal konnte Anne es selbst kaum glauben, dass sie mit einem so attraktiven Mann verheiratet war. Allerdings ahnte niemand, dass dieser tolle Unterhalter regelmäßig vor dem Fernseher einschlief. Und seine Nächte lieber vor dem Laptop oder mit knatternden Schnarchkonzerten verbrachte, statt seine Frau nach allen Regeln der Kunst zu beglücken.

Das Stimmengewirr rund um Anne schwoll an. Unsicher stand sie inmitten der Gäste in dem weitläufigen Wohnzimmer. Die Absätze ihrer Pumps versanken fast in dem hochflorigen Teppich, dessen unauffälliges Beige perfekt mit der Polstergruppe und den Goldleisten der gläsernen Couchtische harmonierte. Abstrakte Bilder in gedeckten Tönen und edle Wurzelholzregale voller Bücher mit goldgeprägten Lederrücken rundeten das stilvolle Ambiente ab.

Die Gäste hatten Gläser mit Champagner in der Hand und tauschten die üblichen Belanglosigkeiten aus. Ihre Unterhaltungen drehten sich um das angenehm milde Frühlingswetter, den letzten Skiurlaub, die neuesten Restaurants. Keine Gespräche über Politik, Krankheiten oder Religion, hatte Joachim Anne auf dem Hinweg mal wieder eingeschärft. So lautete das Gesetz der Konversation. Den Ball flach halten, nett plaudern und immer schön tiefstapeln. Offene Worte waren nicht vorgesehen. Nur gepflegte Oberflächlichkeiten. Und schon gar keine Gespräche über Sex.

Neben Anne schwärmte gerade eine frisch blondierte Dame im grauen Designerkostüm von einem neu eröffneten Restaurant. Detailliert zählte sie sämtliche Speisen des Zehn-Gänge-Menüs auf, das man ihr serviert hatte. Anne hatte Mühe, sich auf die endlose Abfolge kulinarischer Spitzenleistungen zu konzentrieren. Nachdenklich musterte sie das tiefgebräunte Dekolleté der Dame, die perfekt manikürten und üppig beringten Finger, ihre grellrot geschminkten Lippen.

Wann waren diese Lippen wohl das letzte Mal geküsst worden? Wann hatte sich diese Frau zuletzt den Wonnen einer seligen Liebesnacht hingegeben? Vermutlich im letzten Jahrtausend.

Es gab ja auch genügend Ersatzdrogen. Kampfshoppen und Essengehen zum Beispiel. Für komplett Ausgehungerte kamen Massagen in Betracht. Anne kannte das alles. Frustkäufe und Frustfuttern. Willkommen im Club der Sexlosen, dachte sie erbittert.

»Bevorzugen Sie auch die asiatische Küche?«

Anne fühlte sich ertappt. Unwillkürlich wurde sie rot. Himmel, hoffentlich sah man ihr nicht an, was für lästerliche Gedanken sie hatte! »Also, ja, schon, irgendwie«, stammelte sie verlegen.

Es war die Gastgeberin, die die Frage an Anne gerichtet hatte. Friederike Huber war berühmt für die erlesenen Gerichte, die sie bei ihren Abendessen auftischte. Wie ihr Mann war sie Mitte sechzig, besaß jedoch dank der kosmetischen Chirurgie ein beängstigend straffes Gesicht. Nur ihre welken Hände und ihr Schildkrötenhals verrieten, dass der Kampf gegen das Alter leider nicht zu gewinnen war.

»Ich habe eigens einen Sushi-Meister engagiert«, verkündete sie. »Sein Wasabi ist unerreicht. Und die Algenblätter lässt er extra aus Japan einfliegen!«

Anne war mit ihren Gedanken schon wieder woanders. Eins stand für sie fest: Keine der Frauen hier hatte ein Liebesleben, das diesen Namen verdiente. Oder täuschte sie sich? Am liebsten hätte sie eine kleine Umfrage gestartet: Und, meine Damen? Wie steht es mit dem Sex? Wie oft passiert es, um genau zu sein? Aber das war natürlich völlig unmöglich.

Ein bisschen schämte sie sich dafür, dass sie derart auf ihr neues Thema fixiert war. Unauffällig spähte sie zum Display ihres Handys. Es lag neben Lippenstift und Handspiegel in ihrer kleinen schwarzen Clutch. Keine Nachricht von Tess. Scheint doch nicht so einfach zu sein, Bernd auf Touren zu bringen, dachte Anne ein ganz klein wenig schadenfroh.

Wieder sah sie zu Joachim rüber. Er sprach jetzt mit seiner neuen Kollegin, Frau Dr. Stark. Sie war beunruhigend hübsch. Eine ehrgeizige junge Anwältin, die erst seit kurzem in der Kanzlei arbeitete. Der Typ Frau, den Männer einst »rassig« genannt hatten: dunkle Lockenmähne, feuriger Blick, aufreizend gewölbte Lippen. Ihr hautenges Kleid aus heller Seide umspannte einen makellosen Körper mit auffallend großen Brüsten. Das Klischee eines Männertraums. Auch für Joachim?

Mit dem Instinkt einer wachsamen Ehefrau beobachtete Anne ihren Mann. Er ging ganz schön ran. Stand etwas zu dicht neben seiner Kollegin, lachte etwas zu laut. Ihr wurde mulmig. Lief da was? Andere Gäste schoben sich vor die beiden, und Anne verlor sie aus den Augen. Aber ein Stich im Herzen blieb zurück. War ihre Ehe etwa in Gefahr?

Auf einmal spürte sie eine Hand am Rücken. Joachims Hand. Ein Schauer überlief ihre Haut. Sie drehte sich um und suchte seinen Blick. Ja, sie liebte ihn immer noch. Und sie begehrte ihn, mit der ganzen Sehnsucht ihres Herzens, mit der ganzen Verzweiflung ihres vernachlässigten Körpers.

»Na, amüsierst du dich?«, raunte Joachim ihr zu. »Natürlich«, schwindelte sie. »Ein wunderbarer Abend.«

So viel Teamgeist musste sein. Leider ging ihr nicht aus dem Kopf, wie vertraut Joachim mit diesem verdammten Playmate von Anwältin gesprochen hatte.

»Du bist wunderbar«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr. »Der Huber ist ganz vernarrt in dich. Du siehst aber auch allerliebst aus.« Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Meine süße, wunderbare Frau.«

Wie gern hätte Anne ihn jetzt an der Hand genommen und wäre mit ihm nach Hause gefahren. Einfach so. Hätte ihn wild geküsst und sich ganz langsam von ihm ausziehen lassen, um dann in einen Taumel entfesselter Raserei zu verfallen. So wie früher.

»An was denkst du gerade?«, riss Joachim sie aus ihren Phantasien. Sie wollte ihm schon ihre geheimen Wünsche offenbaren, als Hermann Huber mit einem Teelöffel an sein Glas klopfte.

»Werte Gäste, darf ich zu Tisch bitten? Im Namen meiner Frau wünsche ich uns allen einen schönen Abend.«

Das war’s dann mit den Offenbarungen.

Der Hausherr trat auf Anne zu. »Es ist mir eine Ehre, dass Sie meine Tischdame sind.« Galant legte er eine Hand unter Annes Arm und geleitete sie zu ihrem Platz. Joachim war von der Tischordnung ans andere Ende der Tafel verbannt worden. Nun saß Anne eingeklemmt zwischen dem staubtrockenen Kanzleichef Huber und einem betagten Herrn im dunkelgrauen Anzug. Auf seiner hohen Stirn sprossen ein paar fusselige Strähnen. Als hätte er sich die Haare vom Rücken auf die Glatze transplantieren lassen. Anne fühlte sich wie in eine Gruft gesperrt.

Ein kleines Teufelchen wurde in ihr wach. Frag die Herren doch mal, ob sie noch sexuell aktiv sind, wisperte das Teufelchen. Dank Viagra war ja alles möglich, das wusste Anne aus ihrem Job. Die Kerle standen in der Praxis nur so Schlange, um ihrer schwächelnden Männlichkeit einen kräftigen Schub zu verpassen.

Unruhig spielte sie mit dem Silberbesteck, während sie das festliche Arrangement musterte. Der Tisch bog sich unter feinstem Porzellan, geschliffenen Kristallgläsern und Gestecken aus weißen Lilien. Beerdigungsblumen, dachte Anne, wie passend. Wenn heute Nacht nichts passiert, habe ich’s nämlich amtlich: lebendig begraben in einer sexfreien Ehe.

Ihr Tischnachbar mit der Notfrisur beugte sich zu ihr herüber. »Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Klaus von Bernstorff. Ich bin der Seniorpartner der Kanzlei.«

Etwas klingelte bei Anne. Gesichter konnte sie sich nicht gut merken, aber Namen frästen sich tief in ihr Gedächtnis. Woher kannte sie Klaus von Bernstorff?

»Angenehm«, murmelte sie und reichte ihm die Hand. »Ich bin Anne Westheimer. Mein Mann arbeitet in der Kanzlei von Herrn Huber. Als Spezialist für Unternehmensrecht.«

»Sieh an, da hat Ihr Herr Gemahl aber eine gute Wahl getroffen.« Unverhohlen ließ Bernstorff seine Augen über Annes Kleid wandern, dann senkte er verschwörerisch die Stimme. »Wissen Sie eigentlich, dass Sie die Königin des Abends sind? Die schönste und – wenn ich so sagen darf – erotischste Frau an diesem Tisch?«

»Ich?« Anne hatte sich nie für etwas Besonderes gehalten. Diese Charlotte Stark, Joachims Kollegin – ja, die war ein echter Schuss, der den Puls der Männer beschleunigte. Verglichen mit der Anwältin war sie selbst absoluter Durchschnitt, fand Anne. Und überhaupt, wie kam dieser wildfremde Mann darauf, ihr solch ein freches Kompliment zu machen? Die erotischste Frau am Tisch, na, guten Morgen. Was sollte das denn werden?

Er zwinkerte ihr vertraulich zu. »Wenn Sie nicht verheiratet wären, könnte ich leicht auf dumme Gedanken kommen.«

Anne starrte in seine lüstern funkelnden Augen. Wieder klingelte etwas. Und plötzlich fiel ihr ein, woher sie seinen Namen kannte: aus der Patientendatei. Klaus von Bernstorff war einer der Männer, die sich ganze Familienpackungen Viagra verschreiben ließen. Offenbar hatte er Anne nicht erkannt. Im weißen Kittel und ohne elegante Aufmachung war sie natürlich auch wesentlich unauffälliger.

Erwartungsvoll sah er sie an. Zum Glück wurde gerade der erste Gang serviert, ein winziges Stück Fischfilet in einer bräunlichen Tunke.

»Das ist Zander in einem zehn Jahre gereiften Sake«, erklärte die Gastgeberin mit lauter Stimme. »Eine exquisite Köstlichkeit aus dem Land der aufgehenden Sonne. Guten Appetit!«

Hermann Huber erhob sein Glas. »Auf meine Frau Gemahlin!«

Während alle den Weißwein kosteten, rückte Klaus von Bernstorff etwas näher. Zu nah für Annes Geschmack. Sie konnte schon sein aufdringliches Aftershave riechen.

»Sagen Sie, Frau Westheimer, kennen wir uns irgendwoher? Vielleicht aus dem Golfclub? Oder vom Skifahren? Waren Sie im Winter in St. Moritz?«

Ich bin doch keine dieser Glamourfrauen, dachte sie. Ich bin nur die Empfangsdame aus der Arztpraxis, die ihren Mann begleitet. Und die kurz davor ist, mit dem Thema Sex abzuschließen. Von wegen Königin des Abends. Sie fühlte sich wie Aschenputtel, die eine Mogelpackung von Prinz erwischt hatte. Außen knackig, innen na ja.

Dabei hatte Joachim sie anfangs um den Verstand gebracht mit seinen enthemmten Zärtlichkeiten, seinen ausgefallenen Ideen. Einmal hatten sie sogar Sex im Kino gehabt. In der hintersten Reihe. Anne spürte auf einmal wieder das Verlangen jener verrückten Tage.

Sie schaute kurz zu Joachim ans andere Ende des Tisches. Er wurde von Frau Huber und dieser elend attraktiven Anwältin belagert, die er lässig bespielte. Er hatte es drauf, keine Frage. Die beiden Frauen hingen an seinen Lippen. Anne dagegen war zur Seniorenbespaßung verdammt. Aber jetzt würde auch sie mal ein bisschen Spaß haben. Mit ihrem liebenswürdigsten Gesichtsausdruck wandte sie sich an Klaus von Bernstorff.

»Wenn mich nicht alles täuscht, kennen wir uns aus der Praxis von Doktor Arenson«, sagte sie. »Ich arbeite am Empfang.«

Jeder in der Stadt wusste, was der Name Arenson bedeutete: die Rettungsstation für Männer, die von mangelnder Standfestigkeit geplagt wurden.

Bernstorff erstarrte. »Doktor Arenson«, wiederholte er lahm.

»Der Arzt Ihres Vertrauens.« Das kleine Teufelchen in Anne tanzte Tango. »Der Medizinmann für lendenlahme Herren. Ein wahrer Magier, wenn es um Störungen der penilen Erektion geht.«

Die rechte Augenbraue von Klaus von Bernstorff schnellte in die Höhe. Sein Lächeln erstarb. War Anne zu weit gegangen? Aber sicher war sie das. Nix mit nett plaudern und den Ball flach halten. Sie hatte ein fettes Eigentor geschossen.

»Ach so«, sagte ihr Tischnachbar mit versteinertem Gesicht.

Verflixt. Schon tat er Anne wieder leid.

»Ist doch keine Schande, ich meine, wenn die medizinische Forschung solche Zauberpillen erfindet, sollte man sie auch nutzen, schließlich hat jeder, gleich welchen Alters, ein Recht auf, äh, sinnliche Freuden …«, sprudelte sie drauflos.

Und merkte im selben Augenblick, dass sie alles nur noch schlimmer machte.

Bernstorffs linke Augenbraue schoss ebenfalls in die Höhe. Er war durchschaut. Ein Dolchstoß in seine Männlichkeit.

»Darf man erfahren, worüber Sie sich unterhalten?«, mischte sich nun auch noch Hermann Huber ein.

Anne verstummte betreten. Was für eine Sternstunde der Peinlichkeit.

»Sehr gern«, antwortete Klaus von Bernstorff. »Wir sprechen gerade über Potenzprobleme.«

Nie hatte sich Anne inniger gewünscht, der Boden würde sich auftun, und sie könnte spurlos in einem tiefen, tiefen Abgrund verschwinden.

Der Gastgeber kniff die Augen zusammen. »Wie bitte? Die Vorspeise ist gerade erst serviert, und Sie reden schon über …«

»… erektile Dysfunktion«, unterbrach Anne ihn hastig. Die medizinischen Fachbegriffe klangen immer so schön sachlich.

»Leider bin ich furchtbar vergesslich«, grinste Klaus von Bernstorff. »Ich muss immer erst mal meine Ginkgopillen wiederfinden, bevor mir einfällt, wo ich mein Viagra gelassen habe.«

Hermann Huber lachte los. Sein Gesicht war gerötet, seine Augen tränten. Er hatte reichlich Champagner geladen und auch sein Weinglas schon geleert.

»Viagra?«, sagte er. »Für mich wäre das nichts. Wozu die Manneskraft aufmuntern, wenn die Damen sich verweigern? Migräne, Müdigkeit, Stress, die haben doch immer eine Ausrede.«

Der Satz detonierte in Anne wie eine Sprengladung. Da dachte sie fieberhaft über ihr nicht existentes Liebesleben nach und hatte doch das Wichtigste übersehen: Sie selbst hatte die Sache mindestens so verbockt wie Joachim. Schuldbewusst fiel ihr ein, wie oft sie seine Annäherungsversuche abgeschmettert hatte. Mit genau diesen Argumenten: Migräne, Müdigkeit, Stress.

Ein unbehagliches Schweigen entstand. Innerlich ergänzte Anne die verbotenen Gesprächsstoffe um das Thema Sex. Hätte sie sich ja gleich denken können.

»Haben Sie schon die Neuinszenierung von Mozarts ›Zauberflöte‹ gesehen?«, wechselte Klaus von Bernstorff das Thema. »Sehr begabt, dieser französische Regisseur.«

»Ein fantastisches Bühnenbild, aber stimmlich eine Katastrophe«, fachsimpelte Hermann Huber. »Die Sänger sind hoffnungslos provinziell.«

Anne ging nie in die Oper. Sie ging sowieso nicht viel aus. Lars lehnte die garantiert kinderlieben Babysitter, die Anne ihm vorschlug, allesamt ab. Zu Joachims Eltern ging er nur unter Protest, und ihre Mutter war nicht unbegrenzt verfügbar. Die Abende verbrachte sie daher in der Regel daheim. Allein. Denn Joachim arbeitete meist bis spät in die Nacht oder besuchte Kongresse und Fortbildungen. Wegen der Karriere.

»Mozart brauchte kein Viagra«, kicherte Klaus von Bernstorff. »Der hat keine Sauerei ausgelassen. Kennen Sie die Briefe, die er an seine Cousine geschrieben hat? Die Bäsle-Briefe? Einmal unterzeichnete er sie mit ›der alte, junge Sauschwanz, Wolfgang Amadé Rosenkranz‹.«

Sieh an, die honorigen Herren, dachte Anne. Haben nur das Eine im Kopf. Vermutlich unterschätzte man die sexuellen Aktivitäten des Alters. Als Anne sechzehn gewesen war, hatte sie Menschen über Dreißig für tot gehalten. Nun war sie sogar achtunddreißig, lebte immer noch, hatte noch Lust auf die Lust und wunderte sich, dass Männer über sechzig ihren Penis nicht nur zum Pinkeln benutzten.

Ob Huber und von Bernstorff sich wohl für Lack und Leder interessierten? Träumten sie heimlich von Fesselspielen, von Handschellen und Peitschen? Anne lachte leise in sich hinein. Das war ausgeschlossen. Völlig unmöglich. Die bevorzugten sicherlich den guten, alten Blümchensex. Sie musste wirklich aufpassen, dass ihr neues Thema nicht zur Obsession wurde.

In ihrer Clutch ertönte eine Fanfare. Die SMS war von Tess.

Haben gerade eine scharfe Nummer hingeballert. Und ihr?

***

Auf der Fahrt nach Hause war Anne ungewöhnlich schweigsam. Geistesabwesend lehnte sie sich im Beifahrersitz zurück und sah auf die dunkle Straße vor sich. Charlotte Stark. Das Vollweib, das Tür an Tür mit Joachim arbeitete. Die Versuchung auf zwei Beinen. Sollte sie Joachim darauf ansprechen? Nein, das brachte ihn erst recht auf dumme Gedanken. Aber da war noch etwas. Die explosive Bemerkung von Hermann Huber ging ihr nicht mehr aus dem Kopf: dass Frauen dazu neigten, ihre Männer abzuwimmeln, wenn die Lust auf eheliche Freuden hatten.

Das stimmte leider. Nach der Geburt von Lars war Anne immer fix und fertig gewesen. Doch auch in den Jahren danach war es nicht wesentlich besser geworden. Obwohl Lars mittlerweile schon fünf war, schlief er nur selten durch. Schlechte Träume, Kinderkrankheiten, hartnäckiger Husten, irgendwas war immer. Dazu kam der Job, das ewige Einkaufen, Kochen und Aufräumen. War doch kein Wunder, dass sie abends erledigt war. Und keine entspannte Geliebte, die in neckischer Wäsche herumsprang.

Auch jetzt war sie todmüde. Aber noch wollte sie nicht aufgeben, schon wegen Tess. Haben gerade eine scharfe Nummer hingeballert, das war mal wieder typisch für ihre Freundin. Immer die Nase vorn.

»Interessanter Abend«, brach Joachim das Schweigen. »Die Schulzendorfs haben gerade ein Haus gekauft, in bester Lage am Waldrand. Hightech-Küche, Fitnessraum, Whirlpool. Und ein riesiger Garten. Noch ein, zwei Jahre und wir sind auch so weit. Demnächst ist eine Beförderung samt Gehaltserhöhung fällig, dann können wir durchstarten.«

Ein Haus? Gütiger Himmel! Es war offensichtlich, dass Joachim etwas plante, was sie sich nicht leisten konnten, um Leute zu beeindrucken, die Anne nicht mochte. Ihr waren diese Hubers und Schulzendorfs, und wie sie sonst noch hießen, völlig fremd. Nicht ihre Welt. Anne gefiel die gemütliche Dachgeschosswohnung, in der sie lebten. Auch einen Garten brauchte sie nicht. Die Dachterrasse, die zu der Wohnung gehörte, hatte sie gerade mit großen Terrakottatöpfen bestückt, in denen Oleanderbäume und Hortensien auf die Blüte warteten. Das reichte ihr vollkommen.

Außerdem: Wenn sie das mit dem Haus schaffen wollten, wurde es finanziell so eng, dass Anne weiter arbeiten musste. Was war dann mit einem zweiten Kind?

»Worüber hast du eigentlich mit Huber und von Bernstorff gesprochen?«, erkundigte sich Joachim.

Wenn du wüsstest …!

»Über dieses und jenes«, wich Anne aus. »Über Mozarts ›Zauberflöte‹ zum Beispiel.«

Sie widerstand der Versuchung, ein anzügliches Wortspiel anzufügen.

Joachim verstand absolut nichts von klassischer Musik. Deshalb fuhr er fort, von seinen Gesprächen zu berichten. Für ihn war das Essen ein voller Erfolg gewesen. Er hatte wichtige Informationen gesammelt, einen hervorragenden Eindruck bei den Gattinnen einflussreicher Männer hinterlassen und wirkte hochzufrieden. Charlotte Stark, das Vollweib? Kam in seinem Bericht nicht vor. Und dass Anne eher einsilbig war, schien ihm auch nicht aufzufallen.

Je näher sie ihrer Wohnung kamen, desto kribbeliger wurde Anne. Nicht, dass sie den albernen Wettstreit mit Tess wirklich ernst nahm. Okay, ein bisschen ärgerte es sie schon, dass ihre Freundin als Erste über die Ziellinie gegangen war. Wie hatte sie das bloß angestellt? Schlagsahne? Massagen? Oralsex?

Ha, dir werde ich es zeigen, dachte sie, obwohl sie wusste, dass sie gerade eine sehr, sehr unreife Einstellung zum Thema Sexualität entwickelte. Doch eine kinderlose Nacht war eine echte Gelegenheit. Würde sie es heute schaffen, ihren Mann aus dem erotischen Koma aufzuwecken?

Als Joachim vor dem Haus parkte, in dem sie das Dachgeschoss bewohnten, gab er einen herzhaften Rülpser von sich. Anne zuckte zusammen. Wie konnte er sich nur so gehenlassen! Da verging einem ja alles.

»Also wirklich!« Sie stupste ihn an. »Muss das sein?«

»Was denn?«

»Ich finde, du solltest deine Verdauungsgeräusche für dich behalten.«

»Verzeihung, Prinzessin«, blaffte er unwirsch. »Sonst noch was? Soll ich vielleicht heute Nacht auf der Couch schlafen, für den Fall, dass mir noch ganz andere Geräusche entweichen?«

Na toll. Voller emotionaler Kälteeinbruch. So wurde das nie was mit dem zweiten Kind. »Schon gut«, beschwichtigte sie ihn. »Lass uns hochgehen. War ein langer Tag.«

Ohne ein Wort betraten sie das Haus, ohne ein Wort fuhren sie mit dem Lift ins oberste Geschoss, und genauso stumm betraten sie die Wohnung.

Unwillkürlich lauschte Anne in Richtung Kinderzimmer, bis ihr einfiel, dass Lars ja bei ihren Schwiegereltern schlief. Das war die Chance, und sie würde sie nutzen. Was denn sonst? Heute würde sie sich nur eine Katzenwäsche genehmigen. Und dann – ja, was dann?

Joachim schleuderte seine Schuhe von den Füßen und marschierte auf Socken ins Wohnzimmer. Ächzend sank er auf die Couch und stellte den Fernseher an. Anne schaute auf die Uhr. Viertel vor eins.

»Du willst noch fernsehen?«, fragte sie enttäuscht. »Jetzt läuft doch nur noch sinnfreies Zeugs.«

»Das tue ich, damit mein Gehirn nicht die Energie verbraucht, die mein Körper für die Verdauung des Abendessens benötigt«, erläuterte Joachim. »Sechs Gänge, das hat mich gekillt. Die olle Huber hat wie ein Polizist aufgepasst, ob alle ihren Teller leer essen.«

Er lockerte seinen Schlips und öffnete den Gürtel. Breitbeinig saß er da, ein Bild träger Zufriedenheit. Von dem eleganten Charmeur war nichts mehr übrig geblieben. Anne zerbröselte innerlich. Wie sollte sie dieses antriebsschwache Exemplar Mann bloß auf Touren bringen?

»Setz dich doch zu mir«, sagte er und klopfte auf den freien Platz neben sich.

Anne hatte mittlerweile andere Pläne. »Sekunde, bin gleich wieder da!«

In Windeseile lief sie ins Schlafzimmer und kramte in ihrer Wäscheschublade. Es musste doch irgendwas darin geben, das einen Mann antörnte. Nach einigem Suchen fand sie einen durchsichtigen schwarzen Spitzenbody. Jemand hatte ihr das Teil zur Hochzeit geschenkt. Gut möglich, dass Tess es gewesen war. Der Body war noch ungetragen. Anne bevorzugte kochfeste Baumwollschlüpfer und praktische Sport-BHs. Sie konnte nur beten, dass dieses hocherotische Wäschestück nach der Schwangerschaft und ein paar Kilo Stressspeck überhaupt noch passte.

Eine Minute später stand sie vor dem Badezimmerspiegel. Skeptisch begutachtete sie sich. Wenn sie ehrlich war, sah sie aus wie eine Weißwurst in einer Spitzen-Pelle. Aber es war den Versuch wert. Eilig warf sie ihren Bademantel über und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

Mit schweren Lidern sah Joachim sie an. »Du bist schon bettfertig?«

Anne hätte es anders genannt. »Hmja.«

Wie verführe ich meinen Mann?, schoss es ihr durch den Kopf. Sie war aufgeregt wie ein Teenager vor dem ersten Mal. Wie hatte es nur soweit kommen können? Dass sie Lampenfieber hatte? Bei ihrem eigenen Mann?

Mit schnellen Schritten ging sie zur Couch und schmiegte sich an Joachim. Er roch gut. Vertraut. Ein undefinierbares Gemisch aus Rasierwasser, Mann und eben Joachim. Von Anfang an hatte sein Duft sie fasziniert. Wie absichtslos legte sie einen Arm um ihn und presste sich etwas enger an seinen Körper.

Gib Gas!, sprach sie sich Mut zu. Worauf wartest du noch? Auf den magischen Funken, der Joachim in einen feurigen Lover verwandelt? Da kannst du lange warten.

Nein, sie musste die Initiative ergreifen. Mit den Fingerspitzen ihrer rechten Hand glitt sie in Joachims Hemdkragen und kraulte zart seinen Nacken. Keine Reaktion. Sie holte die Hand wieder heraus und streichelte seinen Rücken.

»Guck doch, wieder ein Flugzeugabsturz«, sagte er und deutete auf den Fernseher. »Fünfzehn Tote. Was für ein Drama.«

Auch Anne erlebte gerade ein Drama. Alles in ihr sehnte sich nach einer leidenschaftlichen Umarmung. Und was machte ihr Kerl? Fläzte satt wie eine Made auf der Couch, fand Flugzeugabstürze spannender als seine Frau und bemerkte nicht, wie viel Mühe sie sich gab. Dieser sexy Schnepfe Charlotte Stark wäre das bestimmt nicht passiert.

Nur nicht aufgeben, befahl ihr innerer Coach. Er ist ein Mann. Männer stehen auf simple Reize. Was sagte Tess noch immer? Wenn du eine Frau antörnen willst, sitzt du in einem Flugzeugcockpit mit tausend Hebeln und Schaltern. Beim Mann musst du nur genau eine Taste drücken. Ist so einfach wie Licht anknipsen.

Unauffällig zog sie ihren Bademantel etwas auseinander, sodass ein paar Zentimeter schwarzer Spitze zum Vorschein kamen. Doch Joachim hatte nur Augen und Ohren für den Fernseher. »Hast du das gehört? Der Pilot war betrunken! Herrschaftszeiten, wenn ich so was sehe, steige ich in keinen Flieger mehr!«

Anne ignorierte die zaghafte kleine Stimme in ihrem Kopf, die zur Aufgabe mahnte. Falscher Zeitpunkt, falsche Stimmung, Aktion abblasen! Ihr fielen die beiden Chinesen ein, von denen Joachim gesprochen hatte – Timing und Styling. Wenigstens das Styling stimmte, auch wenn es Joachim noch nicht aufgefallen war. Aber das ließ sich ändern.

Entschlossen nahm sie seine rechte Hand und legte sie auf die Stelle ihres Dekolletés, wo sich der Spitzenbody teilte. Jetzt endlich merkte er, dass etwas anders war. Zerstreut betrachtete er erst Annes Gesicht, dann seine Hand und schließlich den Spitzenbody.

»Oh. Ist das Dingsda neu?«

Dingsda. Der überschlug sich ja nicht gerade vor Begeisterung. Anne verschwieg lieber, dass dieses hübsche Dessous seit sechs Jahren nutzlos im Wäscheschrank vor sich hin gammelte. Weil sie nie einen Gedanken an das erotische Darunter verschwendet hatte. Was zweifellos ein Fehler gewesen war.

»Funkelnagelneu«, strahlte sie.