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KinderStärken

Herausgegeben von Petra Büker

Band 6

Die Reihe im Überblick

Band 1:Petra Büker (Hrsg.): Kinderstärken – Kinder stärken. Erziehung und Bildung ressourcenorientiert gestalten

Band 2:Petra Völkel: Entwicklung, Lernen und Förderung der Jüngsten

Band 3:Renate Niesel & Wilfried Griebel: Übergänge ressourcenorientiert gestalten: Von der Familie in die KiTa

Band 4:Dagmar Kasüschke: Kinderstärkende Pädagogik und Didaktik in der KiTa

Band 5: Melanie Eckerth & Petra Hanke: Übergänge ressourcenorientiert gestalten: Von der KiTa in die Grundschule

Band 6: Susanne Miller & Katrin Velten: Kinderstärkende Pädagogik in der Grundschule

Band 7: Julia Höke & Petra Büker: Bildungsdokumentation stärkenorientiert gestalten

Band 8: Birgit Hüpping & Petra Büker: Kulturelle Vielfalt. Kinderstärkende Pädagogik

Band 9: Charlotte Röhner & Kathrin König: Kinder stärken in Sprache(n) und Kommunikation

Band 10: Katja Koch: Übergänge ressourcenorientiert gestalten: Von der Grundschule in die weiterführende Schule

Susanne Miller Katrin Velten

Kinderstärkende Pädagogik in der Grundschule

Verlag W. Kohlhammer

 

 

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

 

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

 

 

 

 

1. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-024333-0

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-024334-7

epub:    ISBN 978-3-17-024335-4

mobi:    ISBN 978-3-17-024336-1

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Vorwort der Herausgeberin

Das Kind als Gestalter und als kompetenter Akteur seiner Lebens- und Bildungsbiografie: Diese im Sozial-Konstruktivismus verankerte Sicht auf das Kind steht aktuell im Fokus pädagogischer, psychologischer und soziologischer Diskurse sowie in Bildungsplänen für Kinder im Elementar- und Grundschulbereich. Kinder verfügen für die Gestaltung ihrer pluralen, komplexen Lebenswelten über enorme Stärken, die es durch Familie, Peers sowie pädagogische Fach- und Lehrkräfte als kompetente Mit-Akteure zu erkennen und zu stärken gilt: Diese Grundidee wird in der neuen Fachbuch-Reihe KinderStärken aufgegriffen und entlang der Lebensspanne von der Geburt bis zum Übergang in die weiterführende Schule in zehn Bänden kritisch und differenziert beleuchtet. Ein interdisziplinäres Autorenteam, bestehend aus Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Früh-, Elementar- und Grundschulpädagogik sowie der Entwicklungspsychologie, widmet sich in jeweils einem Band ausführlich einer spezifischen Lebensspanne, wissenschaftlich fundiert und nah an der pädagogischen Praxis.

Der vorliegende sechste Band der Reihe stellt die Frage einer kinderstärkenden Grundschule in den Mittelpunkt. Bereits seit ihrem Bestehen versteht sich die Grundschule als Kinderschule, und eine an den Bedürfnissen, Interessen und spezifischen Entwicklungsaufgaben der 6-10-Jährigen orientierten Pädagogik und Didaktik gilt als zumeist unhinterfragte Normvorstellung. Susanne Miller und Katrin Velten arbeiten im vorliegenden Band heraus, wie es gelingen kann, grundlegende Bildung und die Stärkung der Persönlichkeit im Sinne von Chancengerechtigkeit für alle Kinder zu ermöglichen. Aktuellste Studien, interessante Theorieansätze und viele praktische Beispiele werden von den Autorinnen herangezogen, um differenziert aufzuzeigen, dass sich insbesondere für Kinder in prekären Lebenslagen die noch immer bestehenden systembedingten Spannungsfelder der Grundschularbeit teilhabemindernd auswirken. Sehr fachkundig und treffsicher bringen die Autorinnen hier die Problembereiche, die einer rein stärkenorientierten Handlungspraxis entgegenstehen, auf den Punkt. Zugleich zeigen Susanne Miller und Katrin Velten Wege auf, wie durch eine Professionalisierung der Lehrkräfte sowie durch eine individualisierte, gemeinschaftsfördernde und zugleich anerkennungsorientierte Unterrichts- und Schulentwicklung noch konsequenter als bisher eine kinderstärkende Grundschule gedacht und realisiert werden kann. Auf diese Weise besitzt der vorliegende Band einen hohen Anregungsgehalt zur kritisch-konstruktiven Diskussion um Kernthemen der Grundschularbeit, die für wissenschaftlich und an der Innovation der Schulpraxis interessierte Leserinnen und Leser äußerst gewinnbringend sein dürfte.

Petra Büker

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort der Herausgeberin
  2. 1 Kinderstärken im Grundschulalter
  3. 1.1 Selbstkonzept, Selbstwirksamkeit und Interessenentwicklung als individuelle Ressourcen im Grundschulalter
  4. 1.1.1 Selbstkonzept
  5. 1.1.2 Selbstwirksamkeit
  6. 1.1.3 Interessenentwicklung
  7. 1.2 Milieuspezifische Einflussfaktoren auf die Entwicklung der personalen Ressourcen
  8. 1.3 Familie und Freunde als soziale Ressourcen im Grundschulalter
  9. 1.3.1 Eltern und Familiensituationen
  10. 1.3.2 Gleichaltrige und Freunde
  11. 1.4 Resümee: Kinderstärken im Grundschulalter – Implikationen für die Grundschule
  12. 2 Kinder stärken in der Grundschule
  13. 2.1 Grundlegende Bildung als zentrales Prinzip der Grundschulpädagogik
  14. 2.2 Stärkenorientierte Unterrichtskonzeptionen
  15. 2.2.1 Unterrichtliche Zieldimensionen der Stärkenorientierung
  16. 2.2.2 Potenziale und Grenzen der Stärkenorientierung in der unterrichtlichen Umsetzung
  17. 2.2.3 Fazit
  18. 2.3 Möglichkeiten und Grenzen der Stärkung durch die Lehrkraft
  19. 2.3.1 Professionstheoretische Sicht auf die Stärkenorientierung
  20. 2.3.2 Einstellungen und Haltungen zu Heterogenität und zum inklusiven Unterricht
  21. 2.3.3 Beziehungsgestaltung
  22. 2.3.4 Diagnostische Kompetenz
  23. 2.4 Elemente starker Schulen: Schulentwicklung und Schulkonzepte
  24. 2.4.1 Theoretischer Bezugsrahmen und konkreter Handlungsspielraum
  25. 2.4.2 Bedingungen und Potenziale der Grundschulentwicklung
  26. 2.5 Resümee
  27. Literatur

Einleitung

Kinder kommen überwiegend als starke und eigenständige Persönlichkeiten in die Schule. In den Familien, aber auch in anderen sozialen Kontexten sowie in Beziehungen zu Gleichaltrigen haben sie wesentliche Erfahrungen gemacht, die zu ihrer Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung beitragen. Somit stellen die Aufwachsbedingungen in den Familien und die Eingebundenheit in Freundschaftsbeziehungen, aber auch die dort gegebenen entsprechenden Möglichkeitsspielräume eine soziale Ressource dar. Vor allem das Selbstkonzept, die Selbstwirksamkeit und die Selbstwahrnehmung als Kern der Identität (vgl. Haußer, 1995, S. 26f., S. 96) entwickeln sich im Vor- und Grundschulalter rasant weiter. Als selbstbezogene Wahrnehmungen, Einschätzungen und gefühlsbezogene Einstellungen beeinflussen sie besonders die weiteren Lern- und Entwicklungsprozesse und können als personale Ressource gelten.

Somit werden Kinder eingeschult, die in der Regel vielfältige personale und soziale Ressourcen mitbringen. Auch in der Grundschule entwickeln sie im veränderten sozialen Kontext der Schule ihre individuellen, sozialen und lernbereichsspezifischen Kompetenzen weiter. Die individuellen sozialen und personalen Ressourcen sind sowohl Voraussetzung als auch Motor dieser Entwicklungs- und Lernprozesse.

Mit ihren Zielen wie z. B. der gezielten Persönlichkeitsentwicklung unterstützen die Grundschule und die hier tätigen Akteure diese Prozesse. Wesentliches Motiv ist die Unterstützung und Begleitung der Kinder zu selbstständigen und sozial eingebundenen Menschen. Dabei sind aus unserer Perspektive besonders die o.g. Persönlichkeitsdimensionen wichtig, die eine zentrale Rolle für die Selbstbestimmung, die Mitbestimmung und die Solidaritätsfähigkeit spielen (vgl. Klafki 2011). Konkret beziehen wir uns durchgängig auf die personalen und sozialen Ressourcen Selbstkonzept, Selbstwirksamkeit und Interesse, deren Entwicklung und Unterstützung im gesamten Bildungsprozess einen Eigenwert darstellen. Entsprechend der Theorie der psychologischen Grundbedürfnisse (Deci & Ryan, 1985) werden die personalen Ressourcen dann besonders gut ausgebildet, wenn die Kinder Autonomie- und Kompetenzerfahrungen machen und das Gefühl der sozialen Eingebundenheit erleben.

Neben dem Eigenwert für die Persönlichkeitsentwicklung sind die personalen und sozialen Ressourcen aber auch maßgeblich verantwortlich für die kognitive Lernentwicklung der Kinder. Deshalb soll hier keineswegs eine unzutreffende Polarität von prioritär zu leistenden pädagogischen Aufgaben vorgenommen werden. Nach unserer Wahrnehmung wird jedoch die Bedeutung der Unterstützung der personalen und sozialen Ressourcen in bildungspolitischen und bildungswissenschaftlichen Diskussionen wie auch in den Einschätzungen der Akteure häufig als nachrangig betrachtet. Befragt nach dem, was in jedem Fall einen Schwerpunkt grundschulpädagogischer Arbeit bilde, antworten beispielsweise sowohl Eltern als auch Kinder in der Regel einhellig: Lesen, Schreiben und Rechnen. Mit der Einschulung in die Grundschule – meist auch schon weit früher – rücken das Erlernen dieser grundlegenden Kulturtechniken und die Entwicklung schulfachnaher Kompetenzen für Eltern und Kinder in den Fokus (vgl. Griebel & Niesel, 2002; Niesel & Griebel 2015, in dieser Buchreihe, Margrett, 2013). Dieser Fokus lässt aber außer Acht, dass die Kinder in der sog. »mittleren Kindheit« – also im Alter von 6 bis 11 Jahren – zentrale Entwicklungsaufgaben zu bewältigen haben, zu denen neben der intellektuellen Bildung auch die individuelle und soziale Kompetenzentwicklung gehört.

Wenn Lehrkräfte in diesen Bereichen unterstützen und stärken möchten, ist deshalb zu fragen:

•  Welche Funktionen haben die einzelnen personalen und sozialen Ressourcen?

 

•  Welches sind förderliche und was sind hemmende Bedingungen im Sozialisationsprozess?

 

•  Wie stellt sich der Entwicklungsstand bei Kindern im Allgemeinen dar, welche Differenzen sind nach sozio-ökonomischen Aufwachsbedingungen zu beobachten?

Für die Grundschule ist mittlerweile ein stärken- und ressourcenorientiertes Vorgehen schon fast zur Norm geworden und wird selten infrage gestellt (vgl. Büker, 2015, im Basisband dieser Buchreihe). Was heißt das aber konkret und welche Widersprüche und Hindernisse gibt es? Unseres Erachtens kann der Grundschule das Stärken der Kinder nur dann gelingen, wenn sie neben der intellektuellen Bildung gleichermaßen die individuelle und soziale Kompetenzentwicklung zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit erklärt. Diese Forderung wird begründet mit dem für die Grundschulpädagogik konstitutiven Konzept der grundlegenden Bildung, zu dem selbstverständlich auch die Persönlichkeits- und Lernentwicklung als eine Einheit gehören. Außerdem gehören die Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zum zentralen Merkmal der grundlegenden Bildung wie auch zur Gründungsidee der Grundschule überhaupt. Diese Dimensionen stellen deshalb auch für uns eine Querstruktur bei der Betrachtung dar. Die Chancengleichheit stellt in diesem Kontext ein zentrales Prinzip dar, weil Kinder in prekären Lebenslagen weniger Chancen haben, ihre individuellen und sozialen Kompetenzen und stabile Beziehungen aufzubauen. Für diese Kinder ist die Stärkung in diesen Bereichen in der Schule existenziell und häufig die entscheidende Möglichkeit, einen Teufelskreis zu durchbrechen. Hiermit ist deshalb dann auch die zentrale Frage der Bildungsgerechtigkeit angesprochen. Mit Bildungsgerechtigkeit, wie wir sie in Anlehnung an Bellenberg (2014, S. 47) verstehen, ist sowohl die sog. Verteilungsgerechtigkeit als auch die Teilhabegerechtigkeit und die Anerkennungsgerechtigkeit verbunden.

In den nachfolgenden Kapiteln werden alle drei Dimensionen unter der Perspektive der Stärkung angesprochen: Die Verteilungsgerechtigkeit bildet die Vergleichsfolie im ersten Kapitel, denn hier werden die familiären und sozialisationsbedingten Voraussetzungen für die Persönlichkeitsentwicklung beleuchtet. Im Sinne der Teilhabegerechtigkeit wird im zweiten Kapitel dann der Frage nachgegangen, was die Akteure in der Grundschule zur Schul- und Unterrichtsentwicklung beitragen können, damit möglichst alle Kinder die Grundschule erfolgreich durchlaufen und zumindest alle die Mindeststandards erreichen können. Dabei stehen durchgängig die personalen und sozialen Ressourcen sowie die Berücksichtigung der psychologischen Grundbedürfnisse im Vordergrund.

Mit der Anerkennungsgerechtigkeit ist das Ziel verbunden, sämtliche Diskriminierungen, Selektions- und Missachtungserlebnisse zu vermeiden. Durch die Ausrichtung am Kompetenzerleben der Kinder, durch die Würdigung der Individualität eines jeden Kindes in seiner Persönlichkeit und in seinen Lernvoraussetzungen im gesamten Handeln wird auch diese Dimension im vorliegenden Band angesprochen. Konkret geht es beispielsweise um die individuelle Förderung, die adaptive Unterrichtsgestaltung und nicht zuletzt um sämtliche Fragen der Beziehungsgestaltung sowie der Einstellungen und Haltungen von Lehrkräften. Insofern zieht sich als Querstruktur durch diesen Band einerseits die Frage nach den Voraussetzungen und Bedingungen für eine Stärkung der Identität des Kindes mit seinen individuellen und sozialen Ressourcen, andererseits die Frage nach der Bildungsgerechtigkeit, die verbunden ist mit der Perspektive insbesondere auf die Kinder, die aufgrund benachteiligender Lebensverhältnisse ganz besonders auf die Institution Grundschule angewiesen sind.

Konkret gliedert sich der vorliegende Band in die folgenden Inhaltsbereiche: Zunächst fokussieren wir die wesentlichen personalen Ressourcen eines positiven Selbstkonzepts (vgl. Kapitel 1.1.1), starker Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (vgl. Kapitel 1.1.2) sowie differenzierter Interessen (vgl. Kapitel 1.1.3). Sowohl das Selbstkonzept als auch eine bewusste Selbstwirksamkeit sind wesentliche Grundlagen der Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung, die sich insbesondere zu Beginn und im weiteren Verlauf der Grundschulzeit rasant entwickeln und ausdifferenzieren. Als selbstbezogene Kognitionen über die eigenen Kompetenzen und das individuelle Handlungsrepertoire haben sie ebenfalls einen großen Einfluss auf die positive Lernentwicklung. Gleichsam erweisen sich differenzierte Interessen und interessenbezogene Neugier wie auch Explorationsfreude als ausschlaggebend für intrinsische motivationale Prozesse. Je vielfältiger Kinder eigene Interessen ausbilden und je differenzierter sich dabei die Interessen entwickeln, desto besser können neue Inhalte, wie sie im schulischen Kontext auf die Kinder zukommen, mit bereits angelegten Strukturen verknüpft werden. Die Interessenentwicklung nimmt insbesondere im vorschulischen und schulischen Bereich einen rasanten Verlauf und ist daher im Sinn einer Stärkenorientierung ebenfalls eine personale Ressource. Besonders die Entwicklung dieser als wesentlich für die Persönlichkeits-, aber auch Lernentwicklung zu betrachtenden Ressourcen ist aber auch von milieuspezifischen Bedingungen abhängig. Daher werden sie danach analysiert, wie sie im Sinn einer Chancengerechtigkeit als Schutzfaktoren für Kinder aus Armutslagen oder mit anderen Benachteiligungen in der Grundschule gestärkt werden können (vgl. Kapitel 1.2). Da diese personalen Ressourcen nicht ohne die Eingebundenheit in soziale Beziehungen entwickelt werden können, werden ebenso die Beziehungen zu Eltern und anderen Mitgliedern der Familie (vgl. Kapitel 1.3.1) sowie die Beziehungen zu Gleichaltrigen (vgl. Kapitel 1.3.2) als soziale Ressourcen dargestellt. Aus diesen Darstellungen ergeben sich Implikationen für die Institution Grundschule und den Grundschulunterricht sowie die Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer (vgl. Kapitel 1.4).

In dem Hauptteil des Buches, im gesamten Kapitel 2, werden stets die Fragen der Ressourcenorientierung im Sinne einer Stärkung der kindlichen Selbstwirksamkeit, ihrer Interessen, ihrer Autonomie und ihrer sozialen Beziehungen zusammen gedacht mit den Ansprüchen der Grundschule, als Schule für alle Kinder für mehr Bildungsgerechtigkeit einzustehen und die Herausforderungen der heterogenen Schülerschaft möglichst gut zu bewältigen. Dabei sollen sowohl die Konzepte (vgl. Kapitel 2.1), Prinzipien (vgl. Kapitel 2.2) und Merkmale des Grundschulunterrichts (vgl. Kapitel 2.3), das professionelle Handeln der Lehrkräfte (vgl. Kapitel 2.4) als auch die Möglichkeiten der Schulentwicklung (vgl. Kapitel 2.5) vorgestellt und diskutiert werden. Mit dem Konzept der grundlegenden Bildung, das für die Grundschulpädagogik konstitutiv ist, wird in Kapitel 2.1 zunächst die Basis für die pädagogische Umsetzung der Stärkenorientierung auf den unterschiedlichen Ebenen gelegt. Für dieses Konzept ist der enge Zusammenhang von Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung bestimmend. Es beinhaltet auch die Zielformulierung nach einer gemeinsamen Bildung für alle Kinder und kommt damit der Forderung nach einer höheren Bildungsgerechtigkeit nach. Des Weiteren ist darin die Verständigung auf einen gemeinsamen Grundstock von Bildungsinhalten angelegt.

Hierauf aufbauend versucht Kapitel 2.2 zu analysieren, wie sich die Unterstützung der individuellen und sozialen Ressourcen in den verschiedenen Unterrichtskonzeptionen und -prinzipien wiederfindet. Da es insbesondere Kinder aus unterprivilegierten Familien mit Lernschwierigkeiten sind, die der besonderen Unterstützung bedürfen, wird ein besonderer Fokus auf die nachweislichen Effekte insbesondere auch für diese Kinder gelegt. In didaktischer Hinsicht geht es danach um die Unterrichtskonzeptionen und -prinzipien des offenen Unterrichts und um einen differenzierten, individuellen und adaptiven Unterricht, um eine kritische Auseinandersetzung mit deren Programmatiken und um den empirischen Nachweis, durch welche Unterrichtsmerkmale die individuellen und sozialen Ressourcen im Einzelnen zu fördern sind (vgl. Kapitel 2.3).

In Kapitel 2.4 wird anschließend das Augenmerk auf die Professionalität der Grundschullehrkräfte gelegt, die den Unterricht entsprechend umsetzen sollen. Die Professionalität der Lehrkräfte bezieht sich nicht ausschließlich auf den Unterricht. Vielmehr bestimmt sie durch das gesamte professionelle Wissen und Können in den verschiedenen Domänen, durch Einstellungen und Haltungen, durch Beziehungsgestaltung und durch diagnostische Kompetenzen maßgeblich, ob sich Kinder in der Schule wohlfühlen und ob sie hier Wertschätzung, Anerkennung und Zutrauen erfahren. Insofern beinhaltet die Stärkenorientierung alle Aufgabenbereiche des Lehrberufs. Die verschiedenen professionstheoretischen Ansätze, die zu Beginn des Kapitels vorgestellt werden, beschreiben im kompetenztheoretischen Modell die verschiedenen Kompetenzen im Rahmen des professionellen Wissens für die verschiedenen Aufgabenbereiche. Sie machen andererseits im strukturtheoretischen Modell auch auf die vorhandenen Antinomien im Lehrberuf aufmerksam, die sich teilweise aus der Funktionslogik des Schulsystems ergeben und deutliche Grenzen und Widersprüche einer rein stärkenorientierten Handlungspraxis markieren.

Die Handlungspraxis der Lehrkräfte wird außerdem durch die organisatorischen und institutionellen Strukturen der Einzelschule bestimmt, die in Kapitel 2.5 ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Durch eine systematische Schulentwicklung können sich Schulen zu »starken« Schulen entwickeln und dabei – teilweise auch in benachteiligten sozialen Lagen – zu einer erwartungswidrigen guten Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung der Kinder beitragen. Die konzeptionellen Grundlagen sollen in diesem Kapitel anhand von Beispielschulen und einzelnen Merkmalen vorgestellt werden.

Wir werden hier also einen stärkenden und ressourcenorientierten Blick auf die Entwicklung der individuellen und sozialen Kompetenzen von Kindern im vorschulischen Bereich unter Berücksichtigung der wichtigsten Sozialisationsinstanzen einnehmen. Danach untersuchen wir Unterrichtskonzepte und Schulentwicklungsmaßnahmen sowie das professionelle Handeln der Lehrkräfte danach, inwiefern sie zur Stärkung und Unterstützung einen Beitrag leisten, und berücksichtigen dabei jeweils die Fragen der sozialen Ungleichheit und möglicher pädagogischer Umgangsweisen und Kompensationen. Mit diesem Vorgehen ist ein gewisser pädagogischer Optimismus verbunden, der vielleicht manchen sogar naiv erscheinen mag. Wir halten an ihm trotzdem fest, weil wir anhand von empirisch belegten Beispielen zeigen wollen, dass Vieles in der Grundschule auf der Ebene des Unterrichts, der Schulentwicklung und der Professionalität bereits nachweislich genau im Sinne dieser Stärkenorientierung entwickelt worden ist und sich in der realen Praxis zeigt, wenn natürlich auch nicht durchgängig.

Zugleich möchten wir aber immer auch die Widersprüche reflektieren, die im Schulsystem angelegt sind. So ist spätestens seit Veröffentlichung der »Illusion der Chancengleichheit« von Bourdieu und Passeron (1971), aber auch seit der immer wieder empirisch erneut bestätigten Tatsache belegt, dass soziale Unterschiede scheinbar nur sehr bedingt auszugleichen sind. Insofern ist es nur realistisch, die Erwartungen hinsichtlich des Chancenausgleichs durch die Schule nicht zu hoch zu stecken.

»Die prägende Wirkung der Lebensverhältnisse, der familialen, biographischen und soziokulturellen Erfahrungen sowie der anthropogenen Voraussetzungen sind durch die Schule allein nicht überwindbar« (Burk, 1994, S. 2, zit, n. Schorch, 2007, S. 82).

Hinzu kommt, dass in Anbetracht der gesellschaftlichen Funktion der Schule – insbesondere aufgrund der Allokationsfunktion (Fend, 1980, 2006) – das System Schule oder gar einzelne Institutionen und Akteure nur einen sehr begrenzten Handlungsspielraum haben. Trotzdem soll nachfolgend beleuchtet werden, welche Möglichkeiten sich bieten, den gegebenen, aber begrenzten Handlungsspielraum so auszuschöpfen, dass die Kinder sowohl in ihren personellen und sozialen als auch in ihren individuellen Ressourcen bestmöglich gestärkt werden.

1         Kinderstärken im Grundschulalter

Zu den zentralen Entwicklungsaufgaben von Kindern in der sogenannten »Mittleren Kindheit«, also im Alter von ca. sechs bis elf Jahren, zählt neben der intellektuellen Bildung die Entwicklung individueller und sozialer Kompetenzen (vgl. Schneekloth & Pupeter, 2010, S. 187). Im Hinblick auf einen guten Schulstart und eine positive Grundschulzeit für alle Kinder erweisen sich personale und soziale Ressourcen der Kinder als Basis bzw. Motor grundlegender Entwicklungs- und Lernprozesse. Demnach kann die Stärkung personaler und sozialer Ressourcen in Anlehnung an Schütte et al. (2007) als deren Zielperspektive bzw. Bildungsergebnis gesehen werden. Darüber hinaus bietet insbesondere die personale und soziale Kompetenzentwicklung fruchtbare Ansatzpunkte für die Grundschule, will sie allen Kindern eine chancengerechte Grundschulzeit ermöglichen. Nicht alle Kinder haben nämlich die besten Voraussetzungen für eine gute Grundschulzeit: Ob ein Kind grundlegende personale und soziale Kompetenzen adäquat entwickeln kann, erweist sich als abhängig davon, wie es aufwächst und welche Unterstützungsmöglichkeiten sich ihm bieten (vgl. Andresen & Hurrelmann, 2007, 2010, 2013; Lichtblau, 2013). Die in den repräsentativen World Vision-Studien und der qualitativen Längsschnittstudie von Lichtblau befragten Kinder, die unter schwierigen Bedingungen aufwachsen, geben darüber hinaus an, dass sie für sich in ihrem Leben nur geringe Möglichkeiten der Entfaltung sehen. Dementsprechend ist mit Blick auf Chancengerechtigkeit und inklusive Bildungsprozesse insbesondere die Entwicklung personaler und sozialer Ressourcen von Grundschulkindern zu betrachten und als Anknüpfungspunkt grundschulpädagogischer Unterstützungen sowie der Unterrichts- und Schulentwicklung mit dem Ziel der Förderung personaler und sozialer Ressourcen der Grundschulkinder zu deuten.

1.1        Selbstkonzept, Selbstwirksamkeit und Interessenentwicklung als individuelle Ressourcen im Grundschulalter

Neben schulfachnahen Kompetenzen wie beispielsweise phonologischer Bewusstheit oder Zählfertigkeiten und Mengenkonzepten, die einen nachweislichen Einfluss auf das fachspezifische Lernen in der Grundschule haben, sind vor allem individuelle personale Ressourcen unmittelbar mit der Identitätsbildung verknüpft (vgl. Berk, 2005, S. 332f., S. 431ff.). Ihnen kommt als proximalen bereichsübergreifenden Grundlagen im Grundschulalter eine große Bedeutung in Bezug auf die individuelle Persönlichkeits- und Lernentwicklung eines Grundschulkindes zu. Vor allem die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts, positiver Selbstwirksamkeitserwartungen sowie die Entwicklung differenzierter Interessen sind wesentliche Aspekte der Persönlichkeit. Sie ermöglichen allen Kindern einen guten Schulstart und eine positive Schulzeit (vgl. Helmke, 1992; Kammermeyer & Martschinke, 2004).

Dabei sind die Unterschiede unter den Schulanfängern aufgrund ihrer Vorerfahrungen und Bedingungen des Aufwachsens oft recht breit gestreut: Empirische Studien weisen beispielsweise darauf hin, dass Kinder in Armutslagen und sozial benachteiligten Familien ein signifikant niedrigeres Selbstkonzept, geringere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und differenzierte Interessen entwickeln (vgl. Andresen & Hurrelmann, 2010, 2013; Lichtblau, 2013).

Im Folgenden werden das Selbstkonzept, die Selbstwirksamkeit sowie die Interessenentwicklung im Grundschulalter als wesentliche personale Ressourcen bestimmt und zueinander in Bezug gesetzt. Darauf folgend werden deren Entwicklung im Grundschulalter und mögliche Einflussfaktoren sowie milieuspezifische Bedingungen dieser Entwicklung aufgefächert. Die pädagogische Relevanz der Konstrukte für das Leben und Lernen in der Grundschule wird ebenfalls reflektiert. Der Fokus liegt insbesondere darauf, welche Ressourcen im Sinn von Schutzfaktoren für Kinder in Armutslagen oder mit anderen Benachteiligungen in der Grundschule gestärkt werden können.

1.1.1      Selbstkonzept

Selbstkonzept als hierarchisches multidimensionales Modell mit prozessorientierter Perspektive

Kognitionen über sich selbst und die eigenen Fähigkeiten, die diese Kompetenzen bewertende Einschätzung sowie die handlungsleitende Ableitung eigener Bewältigungsprogosen bilden den Kern der Identität (vgl. Haußer, 1995; Renner, Martschinke u. a., 2011). Das Selbstkonzept bezieht sich in Abgrenzung zur Selbstwirksamkeit und zu anderen selbstbezogenen Bewertungen vor allem auf das explizite Wissen über sich selbst und seine individuellen Kompetenzen