Informationen zum Buch

Erstens kommt es anders …

Charlotte hat es satt: den pubertären Sohn Jonas, die großen und kleinen Macken des dauergestressten Gatten, vom Schwiegervater ganz zu schweigen. Jetzt ist endlich sie dran. Seit klar ist, dass Jonas ein Jahr in England verbringen wird, plant sie, mit demselben Organisationstalent, mit dem sie auch ihre Familie am Laufen hält, ihre Auszeit in der Toskana. Doch statt cucina italiana, vino und ganz viel Sonne genießen zu können, verkündet ihr Jonas, dass er zu Hause zu bleibt, ihr Mann nimmt eine neue Stelle an, und sein dauerrenitenter Vater quartiert sich kurzerhand im Familienheim ein. Und plötzlich sieht Charlotte bunt.

Humorvoll und voller Wärme erzählt: Eine Frau entdeckt sich neu.

Antje Szillat

Ab heute seh ich BUNT

Roman

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Pesche di Prato (Prateser Pfirsiche)

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Ich möchte mich bei …

Über Antje Szillat

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

Für meine Freundin Claudia!

Amici veri sono come meloni,

di cento ne trovi due buoni.

PESCHE DI PRATO (Prateser Pfirsiche)

Charlottes Lieblingsrezept

Man nehme: 350 g Mehl, 75 g Zucker, etwas Salz, 1 Ei, ein wenig abgeriebene Schale einer Bio-Zitrone, 35 g geschmolzene Butter, 15 g Bierhefe, 50 ml Alchermes (italienischer Likör) und etwas Zucker zum Bestreuen.

Und für die Konditorcreme: 250 ml Milch, 60 g Zucker, Mark von ¼ Vanilleschote, 2 Eigelb und 35 g Mehl

Und so geht es:

Das Mehl auf der Arbeitsplatte verteilen und eine Mulde hineindrücken. Zucker und Salz hineingeben, dann das Ei, die Zitronenzesten und die geschmolzene Butter. Die Bierhefe mit 180 ml lauwarmem Wasser verrühren und unterheben. Das Ganze zu einem einheitlichen Teig verkneten und dann zwei Stunden gehen lassen.

Vier gleiche Kugeln formen und auf ein mit Backpapier belegtes Backblech setzen. Mit einem Tuch abdecken und eine weitere Stunde gehen lassen. Anschließend bei 160 Grad 30 Minuten im Ofen backen.

In der Zwischenzeit die Milch mit einem Esslöffel Zucker und dem Vanillemark erhitzen. Die Eigelbe mit dem übrigen Zucker cremig schlagen und dann das Mehl sorgfältig unterrühren.

Die aufkochende Milch vom Herd nehmen, unter Rühren zur Eigelbmischung geben. Bei kleiner Hitze aufkochen lassen, dabei ständig rühren. Sobald die Creme dick wird, kräftig durchschlagen, damit sie nicht klumpt.

Für die Prateser Pfirsiche den Likör mit 50 ml Wasser mischen. Die ausgekühlten Teigkugeln halbieren, kurz in das Likör-Wasser eintauchen und dann in Zucker wenden. Die unteren Kugelhälften mit der Creme bestreichen und mit den oberen Hälften belegen.

Buon Appetito!

Kapitel 1

Wie gut, dass ich auf mein Bauchgefühl gehört hatte!

Als ich die Website von Kunstmann Kocherlebnisse aufgerufen hatte, war ich zunächst skeptisch gewesen: ein Veranstalter, der Kochkurse für toskanische Küche in einem, wie mir auf den ersten Blick schien, doch eher gediegenen deutschen Restaurant anbot? War dieses Ambiente nicht viel zu steif, um einen Einblick in die sinnliche und oft rustikale cucina italiana zu vermitteln? Doch das Kursprogramm versprach genau das, wonach ich suchte: einen italienischen Koch, der uns an zwei Nachmittagen beibrachte, mehrgängige Menüs zuzubereiten und uns außerdem gemeinsam mit dem aus Florenz stammenden Küchenprofi Luigi einige Einkaufstipps vor Ort geben wollte. Alles in allem ein anspruchsvolles Programm, aber ich kochte schon seit Jahren leidenschaftlich – und viel zu selten. Sowohl mein Sohn Jonas als auch mein Ehemann aßen am liebsten Schnitzel.

Nun war endlich der erste Kurstag gekommen, und ich war ganz ungeduldig, loszulegen und das erste Mal in einer richtigen Großküche zu kochen. Ich sah mich schon zwischen Kupfertöpfen und -pfannen stehen und aus den leckersten Zutaten ein köstliches Gericht zaubern. Doch zunächst wurden wir eingeladen, ein Willkommensbüfett, das auf einer langen Holztafel aufgebaut war, zu probieren. Antipasti, Nudeln, gegrillte Truthahnbrust, Salate, mir kam es so vor, als wäre ich aus dem grauen, kühlen Norddeutschland direkt in die traumhaft bunte und warme Toskana gereist – und das in weniger als einer Autofahrstunde. Gerade als ich von meinem ersten Fantasia di crostini abbiss und herauszuschmecken versuchte, was in dem wirklich leckeren Aufstrich enthalten sein könnte, sprach mich eine junge Frau an. Sie war blond, elegant gekleidet und unglaublich schlank.

»Hi, ich bin Franziska, aber alle nennen mich Zis.« Sie streckte mir mit einem herzlichen Lächeln ihre schmale Hand mit perfekt manikürten roten Nägeln entgegen, die ich, noch ganz in Gedanken versunken, ergriff. Eigentlich hatte ich sogar kurz überlegt, heimlich mit meinem Handy Fotos zu machen und, samt einer Kurzmemo mit möglichen Zutaten, an mich selbst zu schicken. Nun fühlte ich mich ein wenig ertappt und geriet ins Stottern.

»Ach ja, ähm … schön. Ich, ich bin, äh, heiße Charlotte …«

Zis ergriff meine Hand und drückte sie fest.

»Und was verschlägt dich hierher?« Sie beugte sich leicht zu mir vor und fügte mit fast verschwörerischer Stimme hinzu: »Ich habe den Kochkurs von meinem Freund zum Geburtstag bekommen.« Sie stockte erneut und rollte dabei vielsagend mit den Augen. »Weißt du, ich hasse Kochen. Ich ernähre mich sowieso fast überwiegend von grünen Smoothies und bin damit absolut happy.« Sie deutete mit den Daumen auf sich selbst. »Glaubst du, diesen Körper hätte ich mit Ende zwanzig noch, wenn ich zum Beispiel täglich so etwas in mich hineinschaufeln würde?!« Nun richtete sich ihr Zeigefinger fast ein wenig anklagend auf den Crostino in meiner Hand. »Aber Hannes meint, er möchte abends auch mal etwas Selbstgekochtes von mir vorgesetzt bekommen und nicht immer nur vom Pizzabringdienst.«

Sie seufzte kummervoll. »Na ja, und jetzt hat er mir doch tatsächlich diesen bescheuerten Gutschein geschenkt und besteht darauf, dass ich ihn auch einlöse.« Erneut rollte sie so heftig mit ihren himmelblauen Augen, dass mir fast ein wenig schummrig davon wurde, bevor sie mich noch mal fragte: »Und du? Wem hast du das hier zu verdanken?«

Ich hob die Schultern. »Wenn ich ehrlich bin, mir selbst.« Und weil sie mich nun beinah fassungslos anstarrte, fügte ich schnell hinzu: »Und meiner besten Freundin Britta, die gerade ihr eigenes kleines Wellnesshotel eröffnet und der ich in den ersten Monaten in der Küche helfen werde.« Zis guckte mich mit großen Augen an, aber ich war plötzlich nicht mehr zu bremsen. »Das Hotel befindet sich in der Toskana und soll ein Ort werden, an dem die Gäste ein wenig zur Ruhe kommen und ja, auch einfach mal nur das Leben genießen sollen. Dazu muss natürlich auch die Küche passen.«

Die Augenbrauen dieser Zis schnellten in die Höhe. »Willst du mir damit sagen, du fährst in die Toskana, um dann von morgens bis abends in der Küche zu stehen?«

Ich nickte. »Genau das ist mein Plan. Vielleicht nicht den ganzen Tag, aber ich freue mich schon sehr darauf. Die italienische Küche ist meine Leidenschaft. Nur leider bin ich bisher nur selten dazu gekommen, meine Männer sind da leider wenig experimentierbereit.«

»Männer? Wie viele Männer hast du denn?« In Zis’ Blick lag nun so viel Unverständnis, dass ich auflachen musste.

»Keine Angst, nur einen. Zumindest einen Ehemann und den auch schon ziemlich lange. Der andere Mann ist mein siebzehnjähriger Sohn.« Dass es noch einen dritten Mann in meinem Leben gab, nämlich meinen dauerschlechtgelaunten Schwiegervater, ließ ich unerwähnt. Ich wollte mir die gute Zeit nicht selbst verderben, indem ich ihm Platz in meinen Gedanken einräumte.

»Du hast einen siebzehnjährigen Sohn? Echt?« Zis starrte mich ungläubig an. »Wann hast du den denn bekommen? Mit zwölf?«

Ich verbuchte das jetzt mal als Kompliment und grinste schief. »Na ja, ich war schon ein paar Tage älter, siebenundzwanzig.«

»Was?« Zis’ Augen weiteten sich. »Dann bist du ja jetzt schon …« Sie schien angestrengt nachzurechnen, und weil das ihr wohl leichte Probleme bereitete, half ich ihr auf die Sprünge.

»Ich bin 44 Jahre alt.«

Sie klatschte in die Hände und schob einen kleinen anerkennenden Pfiff hinterher. »Wow, so siehst du nicht aus. Ich hätte dich nicht einen Tag älter als 35 geschätzt. Echt nicht!«

Ich lächelte verlegen und spürte sogar, wie mir eine leichte Röte ins Gesicht stieg. »Danke, aber … na ja, jetzt übertreibst du vielleicht ein bisschen.«

Vehement schüttelte sie ihren hellblonden Schopf. »Absolut nicht. Du siehst klasse aus. Und um diese rehbraunen Haare beneide ich dich direkt ein bisschen. Deshalb habe ich mich ja auch sofort zu dir hingezogen gefühlt.« Sie zwinkerte mir grinsend zu. »Ich dachte, wir seien Schwestern im Geiste und beide unfreiwillig hier gelandet.«

Ich erwiderte ihr Schmunzeln. »Tut mir leid, ich stehe auf Kochen und bin absolut freiwillig hier. Und was meine Haare betrifft, da muss ich dich leider auch enttäuschen, die sind gefärbt.«

Sie strich sich mit einer vielsagenden Geste ihre hellblonde Mähne zurück. »Straßenköterblond, oder hast du etwa gedacht, ich habe nicht auch ein bisschen nachgeholfen?«

Natürlich war mir das sofort klar gewesen. Und wo ich sie nun einer genaueren Musterung unterzog, war ich mir auch fast sicher, dass ihr Busen ebenfalls optimiert worden war. Ich nahm diesen superschlanken Frauen ihre dann im Vergleich zu der zierlichen Taille überdimensionierten Brüste ja nicht ab. An derartige Wunder der Natur glaubte ich einfach nicht. Und was die volle Oberlippe betraf, so war die bestimmt auch kein großzügiges Geschenk Gottes. Ich sollte auch direkt erfahren, wer der edle Spender von alldem war.

»Weißt du, Charlotte, ich hab da ja überhaupt kein Problem mit, nachzuhelfen, wo die Natur letztendlich versagt hat. Und zum Glück hat Hannes auch die entsprechend prall gefüllte Geldbörse, um mir jeden Beautywunsch zu erfüllen.« Sie kicherte, deutete leicht auf ihre wirklich beachtlichen Brüste und erklärte dann: »Na ja, bei den beiden Hübschen hier ging es mehr darum, Hannes einen langersehnten Wunsch zu erfüllen. Seine Exfrau war oben herum nicht gerade üppig und nach der Geburt der beiden Kinder dann quasi flach wie ein Brett. Aber dafür konnte sie gut kochen …« Zis lachte gedankenverloren auf. »Männer sind echt schräg, da träumt mein Hannes jahrelang von einer wie mir, und dann hat er das späte Glück, und was fehlt ihm nun schon wieder? Eine warme Mahlzeit am Abend.«

Eigentlich hätte ich Zis doof finden müssen. Allem Anschein nach war sie der Typ Frau, die, ohne zu zögern und Skrupel zu haben, eine Ehe und Familie zerstörten. Und wahrscheinlich nicht nur, weil Hannes so ein knackiger Kerl und die Liebe ihres Lebens war, sondern recht vermögend.

Aber Zis ging derart offen und, na ja, fast schon amüsant und selbstironisch damit um, dass ich es nicht verhindern konnte, sie spontan zu mögen.

Und was das Thema komische Männer mittleren Alters betraf, da war ich eh ganz bei ihr, denn ich hatte selbst ein Exemplar davon daheim.

»Und die Sache mit der Toskana ist echt cool«, plapperte Zis weiter. »Wirst du länger dort bleiben?«

Ich nickte. »Ja, angedacht ist ein halbes Jahr.«

Tatsächlich war angedacht maßlos untertrieben. Seit Monaten hatte ich meinen Aufenthalt minutiös geplant. Alles war bestens durchdacht und organisiert, denn zum selben Zeitpunkt würde Jonas’ Auslandsjahr in England beginnen, und ich konnte gut von zu Hause weg. Peter hatte zwar erst ein wenig geschmollt, schließlich blieb er unversorgt zurück, mir aber letztendlich dann keine weiteren Steine in den Weg gelegt.

Zis seufzte laut. »Ach, ich bin neidisch. Hannes und ich können nie länger als zwei Wochen irgendwohin fahren. Er möchte seine Firma nicht so lange alleine lassen. Und erst recht nicht, seitdem Christopher, sein ältester Sohn, mit in die Geschäftsleitung eingestiegen ist.« Sie sah sich kurz um, als fürchtete sie, abgehört zu werden, bevor sie mit gesenkter Stimme erklärte: »Hannes ist davon überzeugt, Christopher wolle ihn nach und nach entmachten. Angeblich steckt seine Exfrau dahinter. Aber ich schätze, dass ist nur vorgeschoben, denn Hannes ist nun mal mit Leib und Seele Chef.« Wieder kicherte sie. »Nur nicht im Bett, wenn du verstehst, was ich damit meine?!«

Okay, nun wurde mir das Ganze dann doch etwas zu persönlich. Ich war heilfroh, als Chefkoch Luigi uns aufforderte, ihm in die Küche zu folgen. Wir traten in einen langen Raum mit Sprossenfenstern, die den Blick auf eine himmlische Gartenterrasse freigaben. Die anderen Kursteilnehmer, vier Männer und sechs Frauen, hatten sich bereits um eine Arbeitsfläche aus Blauschiefer, so groß wie drei Tischtennisplatten, versammelt. Während Zis sich mit einem bezaubernden Lächeln zwischen zwei Mittfünfziger drängte, stellte ich mich am Ende der gewaltigen Arbeitsplatte neben eine etwas korpulentere dunkelhaarige Frau, die mir lächelnd zunickte, und flüsterte: »Hallo, ich bin Gaby.«

»Charlotte«, hauchte ich und erwiderte ihr freundliches Lächeln.

Der Chefkoch begrüßte uns mit einem strahlenden Lächeln und ging anschließend mit uns die Gerichte durch: Minestrone con ceci, Auberginen-Törtchen, Toskana-Brotnudeln, Tomatensugo, Hähnchenrouladen mit Trüffeln, Kotelettbraten mit Kräutern der Toskana, Rotbarben in Tomatensud, Sardinen mit Petersilie und Knoblauch, Tintenfische mit Mangold, Ziegenfrischkäse mit Kastanienhonig, Mandelkekse und andere Desserts. Anschließend teilte er uns in Gruppen auf.

Leider hatte Zis es irgendwie geschafft, in meine Gruppe zu kommen, und wisperte mir ohne Unterbrechung zu, was sie in der kurzen Zeit schon alles über unsere Mitkochenden erfahren hatte. Ich versuchte sie so gut wie möglich zu ignorieren, um wenigstens etwas von dem mitzubekommen, was Luigi über die quirligen Wochenmärkte im Florentiner Hinterland erzählte.

Dann wurden die Zutaten verteilt, und mein Herz machte einen Hüpfer. Ich hatte lange nicht mehr so saftige und gutriechende Tomaten gesehen, eine ganze Kiste voller Salatköpfe, die so frisch aussahen, als kämen sie gerade aus dem Garten, und Kartoffeln, die so zart und frisch waren, dass ich am liebsten sofort hineingebissen hätte.

Mein erstes Gericht war eine Minestrone, und ich machte mich mit Feuereifer an die Zubereitung der Zutaten, als plötzlich Luigi hinter mich trat.

»Bella, den Mangold für die Minestrone bitte quer und nicht längs schneiden«, forderte er mich mit einem nachsichtigen Lächeln auf.

»Oh ja, natürlich«, beeilte ich mich zu erwidern und ärgert mich über mich selbst. Selbstverständlich wusste ich, dass man Mangold quer schneidet, aber Zis’ permanentes Geplapper hatte mich ganz durcheinandergebracht.

Luigi nickte mir zu und schlenderte dann zu der Hauptgericht-Gruppe weiter, die gerade damit begonnen hatte, die Hühnerbrüste zu entbeinen.

»Meine Güte, der ist aber streng«, stöhnte Zis. Im Gegensatz zu mir hatte sie die Frühlingszwiebeln in feine Ringe geschnitten und dafür von Luigi ein »Perfetto!« eingeheimst.

»Zis, sei mir bitte nicht böse, aber ich möchte mich jetzt wirklich aufs Kochen konzentrieren und …«

»Oh nein!«, fiel sie mir erschrocken ins Wort. »Ich rede schon wieder zu viel. Ist es so? Nerve ich dich? Verdammt, Hannes sagt auch immer, ich müsse endlich mal lernen, meinen Mund zu halten.«

Plötzlich kam sie mir unter all ihrer Schminke und der teuren Kleidung sehr jung und verletzlich vor.

»Du nervst mich nicht, Zis«, versicherte ich ihr mit einem versöhnlichen Lächeln. »Bestimmt nicht.«

»Juchhu!« Sie fiel mir erleichtert um den Hals. »Da bin ich aber beruhigt. Ich dachte schon, ich hätte es mir mit dir verscherzt. Dabei mag ich dich doch so sehr.« Was für eine verrückte Nudel.

Wir schnippelten Karotten und Lauch, schälten die Knoblauchzehen und schnitten sie in kleine Scheiben. Wir gossen die bereits eingeweichten Kichererbsen in ein Sieb und spülten sie kalt ab, während Luigi uns unentwegt mit Fakten versorgte, die ich möglichst alle mitzuschreiben versuchte: Koteletts nach dem Braten zum Ruhen in eine Alufolie legen, dann bleiben sie saftig. Rote Zwiebeln gehören nicht in den Gemüsefond, weil sie einen zu intensiven Geschmack haben.

All das waren zu meinem Erstaunen für Zis jedoch keine Neuigkeiten. »Weißt du, Charlotte, ich habe ja unheimlich viel Zeit, und Hannes hat mir vor diesem Kurs sehr, sehr viele Kochbücher geschenkt.«

»Die du alle gelesen hast?«, staunte ich.

Wobei mir nun aber klar wurde, warum ihr jeder Handgriff so locker gelang, und das, obwohl sie mir zuvor glaubhaft versichert hatte, dass sie Kochen hasse.

Mit einem Lächeln verzog sie das Gesicht. »Manche kenne ich schon fast auswendig und habe sie zigmal nachgekocht.«

Ich starrte sie an. »Aber du hast doch gerade gesagt, dass du Kochen hasst?«

Zis zuckte nur mit den schmalen Schultern. »Na ja, das war vielleicht ein kleines bisschen an der Wahrheit vorbei. Eigentlich macht es mir schon Spaß.«

»Okay«, sagte ich gedehnt. »Aber warum bestellst du dann für deinen Hannes jeden Abend etwas beim Pizzabringdienst und setzt ihm nicht das vor, was du gekocht hast?«

Sie sah mich verständnislos an. »Ich bin doch nicht so wie seine Exfrau und bekoche ihn. Nein, nein, so weit darf es erst gar nicht kommen. Er soll mich in keiner Situation mit ihr vergleichen können. Zumindest in keiner, in der sie besser sein könnte.«

Ich fasste es nicht. Die bildschöne, junge Zis fürchtete sich davor, dass ihrem Hannes aufging, dass sie zwar besser im Bett war, nicht jedoch in der Küche, und er sich letztendlich für das schmackhaftere Essen entscheiden würde?

»Und was machst du mit dem ganzen Essen?«, wollte ich wissen.

Sie zuckte fast gleichgültig mit den Schultern. »Wegschmeißen, was sonst.«

Oh mein Gott, was für eine Verschwendung. Ihre Antwort tat mir fast körperlich weh.

»Das ist verrückt«, sagte ich ihr.

Sie nickte. »Ich weiß. Aber was soll ich machen?«

Ich holte tief Luft. »Na ja, eben du selbst sein. Und dich nicht wegen eines Mannes verbiegen und einfach alles tun, damit du ihm gefällst und er bei dir bleibt.«

Wie sich Zis diesem Hannes offensichtlich anpasste, machte mich richtig wütend – obwohl ich ihn ja nicht einmal kannte.

Jetzt musterte sie mich nachdenklich. »Wie ist es denn bei dir, Charlotte? Tust du nur das, wozu du Lust hast? Lebst du dein Leben völlig selbstbestimmt?«

»Natürlich nicht«, gab ich zu. »In einer Beziehung muss man immer irgendwie Kompromisse machen, wenn sie funktionieren soll.«

»Und welche Kompromisse machst du so?«

Meine Güte, langsam, aber sicher wurde mir das Gespräch viel zu persönlich. Außerdem war ich zum Kochen hier und nicht, um über meine Ehe zu sprechen.

»Den ein oder anderen«, erklärte ich ausweichend.

»Das ist jetzt aber eine sehr vage Antwort«, fand Zis. »Vielleicht ist dir ja selbst gar nicht bewusst, wie viele Kompromisse du tatsächlich Tag für Tag eingehst? Womöglich verbiegst du dich ja noch weitaus mehr als ich?«

Okay, das war’s, schoss es mir ärgerlich durch den Kopf. Was bildete sich dieses junge, blonde Ding eigentlich ein, mir etwas über meine Beziehung erzählen zu wollen? Unverschämt! Ich straffte die Schultern, verzog meine Lippen zu einem angestrengten Lächeln und erklärte, dass ich jetzt erst einmal die Toilette aufsuchen wolle.

»Jetzt hab ich dich verärgert«, wisperte sie geknickt. »Ach, ich bin aber auch immer schrecklich.« Sie wirkte ernsthaft bekümmert, aber das war mir ernsthaft egal.

Kapitel 2

Vier Stunden später waren wir mit unserer Küchenarbeit fertig. Wir versammelten uns im Kaminzimmer, tranken einen Aperitif, während Luigi uns von seinem Lieblingsrestaurant vorschwärmte. Wie sehr er es mochte, wenn die Sonne tief am Himmel stand und die Villa La Tenda Rossa in ein goldenes Licht tauchte.

»Wenn ihr einmal nach Florenz kommen solltet«, riet er uns, »dann müsst ihr unbedingt bei Chiara und Luca Poggianella einkehren. Luca bereitet das beste Ricotta-Trüffel-Soufflé der Toskana. Dazu empfehle ich euch einen Chianti Classico, der aus eigenem Anbau der Familie Poggianella stammt.«

Ich notierte mir den Namen des Restaurants, das Gericht und natürlich den Wein und spürte, wie die Vorfreude auf meine Zeit bei Britta in mir zu kribbeln anfing. Meine Güte, ich konnte mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so sehr auf etwas gefreut hatte – und gleichzeitig gefürchtet. Sechs Monate Toskana klangen traumhaft, aber sie bedeuteten auch, sechs Monate von zu Hause fort zu sein, etwas, was ich in den letzten zwanzig Jahren nicht einmal für ein verlängertes Wochenende geschafft hatte. Tatsächlich war es so, dass ich, solange ich meinen Mann Peter kannte, nicht ein einziges Mal ohne ihn verreist war.

Bevor ich mir weitere Gedanken darüber machen konnte, bat Luigi uns, am gedeckten Tisch Platz zu nehmen. Kaum dass wir saßen, wurde unser selbstgekochtes Essen vom Küchenteam serviert. Da kamen die minestrone con ceci, fegato alla val di chiana und crostata con passato di more, und ich fand, das Ganze war uns richtig gut gelungen.

»So genussvoll habe ich schon lange nicht mehr gegessen«, brachte es Gaby neben mir am Tisch mit einem glücklichen Strahlen im Gesicht auf den Punkt. »Hm, absolut köstlich …«

Zum Essen tranken wir einen duftigen Weißwein aus Montepulciano und unterhielten uns übers Kochen, natürlich. Und über Restaurants und Zutaten, besonders schöne Orte in der Toskana und Umbrien, irgendwann auch über Küchenmaschinen, die man unbedingt haben sollte.

»Ich wünsche mir schon seit Ewigkeiten eine elektrische Eismaschine, nicht irgendeine, sondern eine richtig professionelle, aus Italien. In Deutschland bekommt man sie gar nicht«, erklärte Dunja, eine Assistentin für visuelles Marketing bei einer Parfümerie.

»Ich glaub, ich hab so eine«, verriet Zis und zog damit sämtliche Blicke an der langen Tafel auf sich.

»Was heißt, du glaubst?«, wollte Kathrin erstaunt von ihr erfahren.

Zis zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Na ja, ich hab halt jede Menge Küchenmaschinen. Ich meine mich zu erinnern, dass diese auch darunter ist.«

Ich sah Dunja an, dass ihr schon ein zynischer Kommentar auf den Lippen lag. Ich konnte es ihr nicht verübeln, Zis hatte eben ziemlich überheblich geklungen. Aber ich glaubte jetzt zu wissen, dass ihr das überhaupt nicht bewusst war und sie es auch bestimmt nicht so gemeint hatte.

Ich beschloss, Dunjas Kommentar zuvorzukommen und schnell das Thema zu wechseln.

»Du, sag mal, was verbirgt sich eigentlich hinter deiner Berufsbezeichnung? Klingt ja irre interessant.«

Sie sah mich verdattert an, lächelte dann aber und erklärte: »Das klingt in der Tat wesentlich spannender, als es eigentlich ist. Ich bin Schauwerbegestalterin, früher sagte man auch Dekorateurin. Aber inzwischen heißt ja die Verkäuferin beim Bäcker auch Brotfachberaterin.« Sie lachte auf, und die anderen stiegen mit ein. Im Nu hatte sich eine lustige Gesprächsrunde über Neuerungen in Sachen Berufsbezeichnungen ergeben, und keiner dachte mehr über die vielen ungebrauchten Küchenmaschinen in Zis’ Schränken nach.

Als ich am Abend zurück nach Hause fuhr, war ich rundum zufrieden. Dass ich schon am ersten Tag so viele Inspirationen bekommen hatte und vor allem so viele Tipps von Luigi, die mir dann später vor Ort bestimmt nützlich sein würden, stimmte mich zuversichtlich.

Ich war sehr gespannt darauf, was die nächsten zwei Tage noch bringen würden, und beschloss, am Sonntag meine Männer mit einem der Gerichte, die wir heute gekocht hatten, zu beglücken.

Komme, was wolle!

***

Vier Tage später machte ich die Probe aufs Exempel und beging damit einen fatalen Fehler – oder nein, eigentlich waren es gleich zwei. Zunächst wagte ich es, meinem Schwiegervater, der wie jeden zweiten Sonntag bei uns zu Mittag aß, nicht seinen geliebten Schweinebraten mit Speck samt Semmelknödeln und Rotkohl zu servieren, sondern arista in porchetta. Ich fand, ich hatte ihm mit dieser Roulade nicht zu viel Veränderung auf einen Schlag zugemutet, denn schließlich befand sich noch immer Fleisch auf seinem Teller. Nur eben alles viel bekömmlicher zubereitet und mit vielen frischen Kräutern und leichteren Zutaten versehen.

Doch das sah mein Schwiegervater komplett anders, er weigerte sich konsequent, diesen neumodischen Fraß zu essen.

»Aber Hans-Hermann, du hast doch noch nicht einmal probiert«, sagte ich kopfschüttelnd, nachdem er den Teller mit solch einer Wucht von sich geschoben hatte, dass er fast vom Tisch geflogen wäre, wenn ich ihn nicht so geistesgegenwärtig davon abgehalten hätte.

»Ich will sofort meinen Schweinebraten«, knurrte er mich an.

Der Mann war wirklich verstockt bis zum Gehtnichtmehr. Doch am meisten ärgerte es mich, dass Peter einfach nur danebensaß und nichts unternahm, rein gar nichts.

»Jetzt sag doch auch mal was«, zischte ich ihm zu.

Er hob die Schultern und brummte: »Na ja, wenn ich ehrlich bin, dann schmeckt mir dein Schweinebraten mit Speck auch besser …«

Ich hätte ihm den Hals umdrehen können. Auf der Stelle. Stattdessen tat ich etwas weitaus Schlimmeres, ich schnaubte nämlich: »Wenn ich erst mal für sechs Monate bei Britta in der Toskana bin, lieber Peter, dann kannst du ja mit deinem Vater jeden Tag euren geliebten Schweinebraten essen.«

Im nächsten Moment hätte ich mich dafür selbst ohrfeigen können, denn Hans-Hermann sollte erst kurz vor meiner Abreise von meiner Auszeit erfahren, er würde mir sonst wochenlang die Hölle heißmachen und mir natürlich diesen Unsinn ausreden wollen.

Doch nun war es mir rausgerutscht, und es folgte, was folgen musste: Mein Schwiegervater bekam erst Schnappatmung, dann fing er an zu brüllen. »Das kann unmöglich dein Ernst sein!« Er starrte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, bevor er sich mit demselben verständnislosen Blick an seinen Sohn wandte. »Und du erlaubst deiner Frau diesen Unsinn etwa auch noch, oder wie soll ich dein Schweigen dazu verstehen, Peter?«

»Vater, was heißt hier denn erlauben? Charlotte ist ein erwachsener Mensch …«

Mein Schwiegervater gab ein verächtliches Knurren von sich und schob ebenso abwertend hinterher: »Feigling, du bist ein Feigling, der sich von seiner Frau auf der Nase herumtanzen lässt.«

Mein Mann zog es vor, sich nicht zu äußern, und ich beschloss, das Zimmer zu verlassen.

»Wo willst du hin?«, rief mir mein Schwiegervater aufgebracht hinterher.

Weit weg von dir ewig stänkerndem Patriarchen und deinem Sohn, der dir mal wieder nichts entgegenzusetzen hat, dachte ich, als ich Jonas sagen hörte: »Mensch Opa, jetzt hack doch nicht ständig auf Mama herum. Sie hat sich so viel Mühe mit dem Essen gegeben, und du musst mal wieder mit deiner schlechten Laune alles kaputtmachen.«

Einem ersten Impuls folgend, wollte ich auf dem Absatz kehrtmachen und meinem siebzehnjährigen Sohn für seine mutige Unterstützung um den Hals fallen. Doch dann entschied ich mich doch dafür, erst einmal den Rückzug anzutreten, um mich in der Küche bei einem Glas Wein zu sammeln.

Natürlich kochte ich innerlich vor Wut. Und dass Peter, wie meistens, beharrlich schwieg, wenn sein Vater genau das Gegenteil tat, ärgerte mich ebenfalls. Doch sich mit Hans-Hermann Saalbach anzulegen war noch nie eine gute Idee gewesen. Das hatte ich schon bei unserem Kennenlernen vor knapp zwanzig Jahren erfahren dürfen.

Ich hatte selten einen Menschen getroffen, der so herrisch auftrat, wie mein Schwiegervater meinte, es sich stets herausnehmen zu können. Und seit dem Tod seiner Frau Renate vor knapp vier Jahren hatte sich sein grobes Verhalten nur noch verstärkt.

In einem schwachen Moment hatte Peter damals mir gegenüber behauptet, dass seine Mutter wohl letztendlich nur diesen Weg gesehen hatte, um ihrem renitenten Ehemann zu entkommen.

Eine bittere Vorstellung, aber anscheinend hatte sie tatsächlich nie die Kraft und den Willen aufgebracht, sich der herrischen Art ihres Mannes zu widersetzen.

Aber konnte ich sie deshalb verurteilen? Schließlich stand ich selbst gerade in der Küche, trank heimlich Wein, um wenigstens einigermaßen die Fassung wahren zu können.

Ja, mein Schwiegervater war ein echtes Ekel und Jonas anscheinend der Einzige in unserer Familie, der sich traute, ihm das mehr oder weniger direkt ins Gesicht zu sagen.

Im Wohnzimmer wurden Stimmen laut. Hans-Hermann hatte sich offensichtlich immer noch nicht beruhigt und hackte ordentlich auf seinem Sohn herum, der sich das wohl nun doch nicht länger bieten lassen wollte.

Ich nahm einen letzten Schluck, strich mir den Rock glatt und marschierte dann zurück in die Höhle des Löwen. Augen zu und durch, Charlotte!

»Da bist du ja endlich!« Peter sprang von seinem Stuhl auf und machte einen Schritt auf mich zu. »Ich wollte gerade nach dir sehen.«

»Ich brauchte einen Moment für mich«, entgegnete ich leise. »Sonst wäre ich ihm womöglich an die Kehle gegangen.«

Entschuldigend verzog Peter den Mund. »Tut mir leid, heute ist es mal wieder ganz besonders schwierig mit ihm, aber warum musstest du ihm das auch jetzt schon mit deiner Auszeit sagen …?«

»Was flüstert ihr denn da so herum?«, wetterte mein Schwiegervater los. »Ich kann es nicht leiden, wenn geflüstert wird. Meistens sind das nämlich nur Lügen, und das kann ich erst recht nicht ausstehen.«

Ruckartig erhob sich Jonas vom Tisch und funkelte meinen Schwiegervater finster an. »Und wenn du so weitermachst, Opa, dann kann dich bald auch keiner mehr ausstehen.«

Während mein Schwiegervater noch empört nach Luft schnappte, ich mir nicht ganz sicher war, ob ich sicherheitshalber den Notarzt verständigen sollte, verließ Jonas türenknallend das Zimmer.

Peter machte Anstalten, ihn zurückzuhalten, doch ich legte ihm die Hand auf den Unterarm. »Lass ihn, Peter, sonst eskaliert das Ganze hier nur noch mehr.«

Den Rest des Essens verbrachten Peter und ich damit, uns abwechselnd von seinem Vater vorhalten zu lassen, wer von uns beiden mehr bei der Erziehung unseres Sohnes versagt hatte. Wobei von Essen eigentlich keine Rede mehr sein konnte, denn mir war der Appetit gründlich vergangen, Hans-Hermann weigerte sich, auch nur den Teller anzugucken, und Peter stocherte ebenfalls gequält auf seinem Teller herum.

Als mein Schwiegervater sich schließlich vom Tisch erhob und von seinem Sohn barsch verlangte, sofort nach Hause gefahren zu werden, war ich froh, endlich allein zu sein. Gleichzeitig tat Peter mir trotz allem leid. Er war auf jeden Fall schlechter weggekommen: Nicht nur hatte er in Sachen Kindererziehung versagt, sondern außerdem auch noch seine Ehefrau nicht im Griff, für Hans-Hermann unvorstellbar.

»Ist er weg?« Jonas trat neben mich an den Küchentisch, auf dem sich das benutzte Geschirr stapelte.

Ich nickte. »Ja, Papa fährt ihn gerade nach Hause.«

»Zum Glück. Ich war echt kurz davor, ihm eine reinzuhauen, dem alten Sack.«

»Jonas, bitte, so spricht man doch nicht über seinen Großvater.« Ich schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Obwohl ich Jonas vollkommen verstehen konnte.

»Warum verteidigst du ihn eigentlich noch?«, motzte Jonas nun mich an. »Er ist nur ätzend zu dir. Macht dich ständig blöd an, und du nimmst das einfach so hin. Und was ist eigentlich mit Papa los? Ich kapier echt nicht, dass er sich ständig so runtermachen lässt von dem. Und noch weniger, dass er zulässt, dass der so fies zu dir ist …«

Ich holte tief Luft, bevor ich darauf antwortete. »Na ja, es ist halt nicht so leicht für Papa. Opa ist schon ziemlich alt, und ich schätze, er meint vieles gar nicht so, wie er es sagt …«

Mit einem bitteren Lachen fiel mir Jonas ins Wort. »Logo. Und dass Papa dir deinen Aufenthalt bei Britta gefälligst verbieten soll, notfalls auch unter Anwendung von Gewalt, das war nichts weiter als ein Scherz vom ach so lieben Opilein.«

Ich begann, das Geschirr in die Maschine einzuräumen. Gespräche dieser Art brachten einfach nichts, und ich hatte vorher gewusst, wie er auf meine Pläne reagieren würde.

Aber ich würde mir die Vorfreude darauf bestimmt nicht von dem alten Griesgram verderben lassen. Zumal Britta fest mit mir rechnete, denn bei ihr war inzwischen absolute Not am Mann. Ihre eigentliche Köchin hatte sich bei einem Radunfall so unglücklich verletzt, dass sie für mindestens sechs Monate oder sogar noch länger ausfiel. Die Küche lag jetzt also voll und ganz in meiner Verantwortung. Eine Vorstellung, die mir ziemlichen Respekt einflößte und mich gleichzeitig ganz aufgeregt vor Glück machte! Endlich würde ich wieder etwas tun, was mir so richtig Spaß machte, etwas komplett und nur für mich.

»Weißt du, was ich total daneben von dir finde?«, motzte Jonas mich an. »Dein konsequentes Schweigen, wenn du keinen Bock mehr hast, über irgendwas zu reden.«

Ich legte das Geschirrtuch zur Seite und blickte Jonas fest in die Augen. »Das hat mit Bock überhaupt nichts zu tun, Jonas. Ich bin nur einfach zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Sinn macht, sich über Opa zu ärgern. Er ist, wie er ist, und wir werden ihn bestimmt nicht mehr ändern können. Und deshalb mag ich mich nicht mehr über ihn aufregen.«

Jonas schnaufte verächtlich. »Du machst es dir echt verdammt leicht.«

Nun hätte ich erwidern können, dass ich es mir bestimmt nicht so einfach machte, wie Jonas es mir gerade unterstellte. Ich konnte mich wahrhaftig nicht mehr erinnern, wie oft schon ich in den letzten zwanzig Jahren mit Peter wegen seiner Eltern und ganz besonders seines Vaters gestritten hatte.

Aber keiner dieser Dispute hatte am Ende zu irgendeinem Ergebnis geführt – oder doch, das Resultat dieser ewigen Auseinandersetzungen lautete, dass mein Ehemann auch heute mit siebenundvierzig Jahren nicht in der Lage war, sich bei seinem übermächtigen Vater durchzusetzen. Früher hatte mich das maßlos geärgert, aber nach all den Jahren hatte ich einen Weg gefunden, darüberzustehen. Zumindest äußerlich.

»Jonas, können wir jetzt nicht einfach das Thema beenden?«, bat ich meinen Sohn und lächelte ihn gewinnend an. »Ich hab wirklich keine Lust, mich länger mit Opa zu beschäftigen.«

Jonas strich sich eine Strähne seines halblangen dunkelbraunen Haares aus dem Gesicht und blickte unentschlossen zwischen mir und dem Herd hin und her.

»Gibt es noch was vom Mittagessen?«, murmelte er schließlich. »Dein toskanisches Keine-Ahnung-wie-das-Gericht-noch-mal-hieß hat nämlich echt gut geschmeckt.«

Lachend verwuschelte ich ihm die Haare, was er wie die Pest hasste und ich wie verrückt liebte. »Klar doch.«

***

Peter kam erst kurz vor sechs wieder nach Hause und machte auf mich den Eindruck, als wäre er gerade mehrfach durch den Fleischwolf gedreht worden.

»So schlimm?«, fragte ich ihn, als er sich schwer seufzend neben mich aufs Sofa sinken ließ.

»Schlimmer«, stöhnte er. »Aber frag bitte nicht. Ich mag heute keinen einzigen Gedanken mehr an meinen Vater verschwenden.«

Ich akzeptierte seinen Wunsch. Zumal ich selbst nicht die geringste Lust verspürte, mich weiter mit meinem Schwiegervater zu beschäftigen.

»Sag mal, ist eigentlich noch was von deinem Essen übrig?«

Nickend erhob ich mich. »Ich mach dir eine Portion warm.«

Er lächelte mich an. »Danke, aber wirklich nur das Fleisch. Dieses ganze Tomaten-Auberginen-Zeugs ist einfach nichts für mich.«

»Wie du meinst.« Resignierend hob ich die Schultern und ging in die Küche rüber.

Während ich das Fleisch aus dem Kühlschrank holte, zwei etwas größere Stücke auf einen Teller legte und dann in die Mikrowelle schob, verirrten sich meine Gedanken zu Zis und wie sie mich gefragt hatte, ob ich mich nicht auch ständig in meiner Ehe verbiegen und anpassen würde, so wie ich es ihr vorgehalten hatte.

Ich war ihr eine Antwort schuldig geblieben, vielleicht auch mir selbst. Und auch jetzt spürte ich, dass es mir nicht leichtfiel, mich damit auseinanderzusetzen.

Unwillkürlich hatte ich meinen Mann vor Augen, wie er drüben im Wohnzimmer auf dem Sofa hockte, völlig erschöpft und ausgelaugt von den Stunden mit seinem Vater. Oh ja, Peter musste sich verbiegen, wenn er Stress mit Hans-Hermann vermeiden wollte. Genauso wie ich.

»Woran denkst du gerade?« Erschrocken fuhr ich herum. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Peter in die Küche gekommen war, um sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank zu holen.

»Peter. Verdammt. Musst du mich denn so erschrecken?«

Er lachte leise auf und machte einen Schritt auf mich zu. Eh ich mich versah, hatte er mich in seine Arme gezogen.

»Peter, was soll das denn?« Ich versuchte mich aus seiner Umklammerung zu lösen.

»Nun sei doch nicht so, Schatz«, raunte er mir ins Ohr. »Jonas’ Roller steht nicht in der Einfahrt, das heißt, wir sind ganz alleine im Haus …«

Ich schob ihn von mir weg. »Peter, bitte, ich möchte das jetzt nicht«, erklärte ich. »Außerdem kann Jonas jeden Moment zurück sein.«

Doch mein Mann ließ sich einfach nicht abwimmeln. »Nun komm schon, Charlotte. Die Gelegenheit ist günstig.«

Ich schnappte nach Luft. »Das sehe ich leider nicht so.«

»Bist du etwa noch immer wegen des Essens beleidigt?« Er sah mich fassungslos an. »Meine Güte, jetzt mach doch daraus nicht so ein Drama!« Erneut grabschte er nach mir, und mir platzte endgültig der Kragen. »Verdammt, ich habe nein gesagt!«

Meinem Mann entglitten die Gesichtszüge.

»Was hab ich denn falsch gemacht?«, krächzte er verdattert.

Langsam schüttelte ich den Kopf. »Schlimm genug, dass du überhaupt fragen musst. Du hast mich eben in keiner Weise unterstützt. Ist dir vielleicht klar, wie sich das für mich anfühlt?«

Er fuhr sich mit beiden Händen durch das blonde Haar, das bislang nur von vereinzelten grauen Strähnen durchzogen war.

»Meine Güte, Charlotte«, stöhnte er. »Das alles nur, weil mir dein Essen nicht geschmeckt hat?«