Der neue Landdoktor 5 – Liebe ist nicht vorgesehen

Der neue Landdoktor –5–

Liebe ist nicht vorgesehen

Roman von Tessa Hofreiter

Schöne Umgebung, dachte Ela Wiesner, als sie noch eine Weile auf dem Bahnsteig stehen blieb, nachdem sie aus dem Zug gestiegen war. Bergmoosbach, die nächste Station auf Florians Tournee, ein Dorf am Fuße der Allgäuer Alpen, eingebettet in ein grünes Tal mit sanften Erhebungen und glitzernden Seen.

Der Bahnhof lag auf einer Anhöhe, das weiße Empfangsgebäude mit seinem roten Dach und der blau umrandeten Bahnhofsuhr sah so frisch und sauber aus wie alle Häuser, auf die sie hinunterschaute. Das große Festzelt, in dem Florian König, der in den letzten Jahren zu einem der beliebtesten Sänger im Alpenraum aufgestiegen war, in drei Tagen auftreten würde, stand bereits auf der Wiese am Ortsrand. Morgen würden sie die Bühne aufbauen und am nächsten Tag die Musikanlage, damit Florian vor seinem Auftritt noch einmal mit den Musikern proben konnte.

»Du musst die Arbeiten im Zelt kontrollieren, auch das gehört zu den Aufgaben meiner Assistentin. Du musst alles wissen, du musst alles verstehen, damit wir sicher sind, dass Florian sicher ist«, hatte Sibylle, Florians Managerin, ihr vor ein paar Tagen geantwortet, als sie ihr erklärte, dass sie die Technik der Tonanlage nicht überprüfen könne.

Sie hatte nichts mehr darauf entgegnet. Florian hatte ihr schon mehrfach versichert, dass die Leute, die ihn während einer Tournee begleiteten, alle zuverlässig seien und dass man sie nicht überwachen musste. Dass Sibylle trotzdem darauf bestand, dass sie vor ihr und Florian in Bergmoosbach ankam, hatte auch etwas Gutes. Sie konnte sich ein paar Stunden frei bewegen, ohne ständig einen neuen Auftrag von Sibylle zu erhalten.

Das ist beinahe wie Urlaub, dachte Ela, als sie ihre Reisetasche umhängte und den Bahnhof verließ. Wenn da nur nicht diese Übelkeit wäre, die sie seit einigen Tagen quälte. Sie musste sich mit irgendetwas den Magen verdorben haben.

Das Hotel, in dem Florian und sein Tross während ihres Aufenthaltes in Bergmoosbach wohnen würden, lag nur ein paar Minuten vom Bahnhof entfernt auf der nächsten Erhebung. Die Straße machte zwar einen weiten Bogen, aber für Fußgänger gab es eine Treppe, die auf direktem Weg hinaufführte.

Das dreistöckige Gebäude war im alpenländischen Stil erbaut, alle Zimmer hatten Balkons mit gelb weißen Markisen und in den Blumenkästen blühten gelbe Geranien. Einige Hotelgäste hatten es sich auf den Liegestühlen im Garten bequem gemacht, lasen Zeitung oder dösten in der warmen Mittagssonne.

Hier wird es Florian gefallen, dachte Ela, als sie die Lobby betrat. Heller Teppichboden, Wandverkleidungen aus edlem Holz, ein offener Kamin, Sessel und Sofas mit goldfarbenem Stoff bezogen, Deckenstrahler und gedimmte Stehlampen. Wie schon in den Außenanlagen wurde auch hier viel Wert auf eine luxuriöse und farblich aufeinander abgestimmte Ausstattung gelegt, so wie es von einem fünf Sterne Hotel zu erwarten war. Die junge Hotelangestellte in dem blauen Kostüm, die hinter dem Empfangstresen stand, begrüßte sie freundlich und übergab ihr den Zimmerschlüssel, nachdem sie die Anmeldung erledigt hatte.

Ihr Zimmer lag im ersten Stock am Ende des Gangs, in dem sich auch die beiden Suiten befanden, die sie für Florian und Sibylle hatte reservieren lassen. Es war ein schönes gemütliches Zimmer, hellroter Teppichboden, ein breites Bett, ein Schreibtisch, auf dem gelbe Rosen standen, und wenn sie sich in den Sessel setzte, der vor dem großen bodentiefen Fenster stand, bot sich ihr ein atemberaubender Blick auf die Berge.

Nicht schon wieder, dachte Ela, als ihr erneut übel wurde und sie sich gerade noch rechtzeitig in ihr Badezimmer retten konnte. Als es ihr wieder besser ging, stellte sie sich erst einmal unter die Dusche, um sich nach der Reise zu entspannen. Danach zog sie ihren hellen Leinenrock und den dunkelblauen Seidenpullover an, kämmte ihr kinnlanges braunes Haar gegen den Strich, um es in Form zu bringen, und frischte den dunklen Lidstrich auf, der ihre blauen Augen betonte. Danach sah sie nicht mehr ganz so blass aus, aber sie würde trotzdem erst einmal in die Apotheke gehen, um sich etwas gegen die Übelkeit zu besorgen.

Bergmoosbach war auch aus der Nähe betrachtet ein Dorf wie aus dem Bilderbuch. Die Fassaden der Häuser, die Gehwege und Straßen, alles war ordentlich und sauber. Auch bei Urlaubern schien das Dorf beliebt, wie sie an den fröhlichen Wandergruppen erkennen konnte, die sich auf dem Marktplatz mit dem imposanten Brunnen und den Häusern mit den hübschen Lüftlmalereien tummelten. Die Plakate, die im Dorf aufgehängt waren und Florians Konzert ankündigten, trugen alle einen Aufkleber, der darauf hinwies, dass es keine Karten mehr für seinen Auftritt gab.

Die Apotheke lag gegenüber des Marktplatzes in einem Eckhaus mit grau weißen Fensterläden. Über der Apotheke war die Praxis einer Hebamme, wie Ela auf dem Schild lesen konnte, das an der Hauswand angebracht war. Ein Mädchen mit langem kastanienfarbenem Haar kam aus der Apotheke und lächelte sie freundlich an, als sich ihre Blicke trafen.

Oh Gott, was ist jetzt los?, dachte Ela, als sich plötzlich alles um sie herum drehte. Sie konnte sich gerade noch mit einer Hand an der Hauswand abstützen, dann wurde ihr schwarz vor Augen.

»Hallo, sehen Sie mich an! Hallo, aufwachen!«, hörte sie jemand wie aus weiter Ferne rufen. »Anna, komm schnell hierher!«, rief die Stimme.

»Was ist denn mit mir?«, fragte Ela leise, während sie langsam die Augen öffnete.

»Sie waren ohnmächtig. Geht es Ihnen wieder besser?«

»Ich weiß nicht«, flüsterte Ela und sah das Mädchen an, das sie kurz zuvor noch vor der Apotheke gesehen hatte und das jetzt neben ihr kniete.

»Was ist passiert, Emilia?«, fragte die junge Frau mit den schönen grünen Augen, die dem Mädchen half, sie soweit aufzurichten, dass sie sich auf die Treppenstufe vor der Apotheke setzen konnte.

»Sie ist einfach umgekippt«, antwortete das Mädchen.

»Ich bin Anna Bergmann, darf ich Sie fragen, wie Sie heißen?«

»Ela Wiesner.«

»Ist Ihnen noch schwindlig, Frau Wiesner?«, erkundigte sich Anna.

»Es geht schon wieder.«

»Ist Ihnen das schon häufiger passiert?«

»Mir wird in letzter Zeit öfter schwindlig, aber ich bin noch nie ohnmächtig geworden.«

»Wird Ihnen auch übel?«

»Ja, ziemlich oft.«

»Sind Sie Ärztin?«, fragte Ela.

»Nein, Hebamme.«

»Und eine gute Krankenschwester«, fügte Emilia hinzu.

»Verstehe, deshalb die gezielten Fragen.«

»Ihre Antworten sagen mir, dass Sie sich unbedingt von einem Arzt untersuchen lassen sollten.«

»Vermuten Sie etwas?«, fragte Ela erschrocken.

»Lassen Sie sich untersuchen, Frau Wiesner.« Eine Ohnmacht konnte viele Ursachen haben, Anna wollte sich dazu auf keinen Fall äußern.

»Ich rufe Papa an«, erklärte Emilia und zückte ihr Handy.

»Nein, warte, wir bringen Frau Wiesner zu ihm. Ich denke, das wird sie schaffen«, sagte Anna, als sie feststellte, dass die Farbe in das Gesicht der jungen Frau zurückkehrte.

»Zu wem wollen Sie mich denn bringen?«

»Zu Doktor Seefeld.«

»Aber es geht mir schon wieder viel besser, vielleicht habe ich einfach nicht genug getrunken oder ich habe zu wenig gegessen.«

»Sie müssen keine Angst haben, mein Vater ist sehr nett, so nett, dass einige aus dem Dorf sogar in seine Sprechstunde gehen, obwohl sie kerngesund sind«, erzählte Emilia lächelnd.

»Ich weiß nicht, ob es wirklich nötig ist.«

»Ich würde Ihnen aber wirklich dazu raten«, sagte Anna.

»Also gut«, willigte Ela ein. Dass sie gerade das Bewusstsein verloren hatte, war ihr schon ein wenig unheimlich, auch wenn sie nach einer harmlosen Erklärung suchte.

»Ich kann bei ihr bleiben, bis du dein Auto aus der Garage geholt hast«, schlug Emilia vor.

»Wir nehmen ein Taxi, das geht schneller«, erklärte Anna.

»Ein Taxi?«, entgegnete Emilia verwundert.

»Miriam!«, rief Anna und ging auf die gut aussehende Blondine zu, die mit einer Medikamententüte aus der Apotheke kam und in den Geländewagen einsteigen wollte, auf dessen Türen in großen weißen Buchstaben »Sägewerk Holzer« stand.

»Was ist los?«, fragte Miriam mürrisch.

»Wir haben einen Notfall. Würdest du Frau Wiesner bitte zu Sebastian bringen?«

»Zu Sebastian«, wiederholte Miriam und ihre Miene hellte sich sofort auf. »Sicher, gern, kommen Sie, steigen Sie ein«, forderte sie Ela höflich auf. »Du kommst auch mit?«, fragte sie und runzelte die Stirn, nachdem Anna Ela auf den Beifahrersitz geholfen hatte und sich auf die Rückbank setzte.

»Es ist ein Notfall, Miriam, würdest du bitte losfahren«, bat Anna und reagierte erst gar nicht auf Miriams ablehnende Haltung ihr gegenüber.

»Papa, wenn du wüsstest«, seufzte Emilia und stieg auf ihr Fahrrad.

Seitdem Miriam Holzer, die Erbin des Sägewerks, begreifen musste, dass Sebastian Seefeld mehr Sympathien für Anna hegte als für sie, sah sie in der jungen Hebamme nur noch eine Konkurrentin, die ihr auf dem Weg zu Sebastian im Weg stand.

»Hallo, Emilia, grüß deinen Vater!«, riefen drei Frauen, die in ein Gespräch vertieft auf dem Marktplatz standen, ihre Einkaufskörbe abgestellt hatten und kurz hochschauten, als das Mädchen auf seinem Fahrrad vorbeikam.

»Ja, mache ich!«, antwortete Emilia und lächelte in sich hinein.

*

Ela schaute auf das Haus mit den lindgrünen Fensterläden, das auf einem Hügel am Rande des Dorfes lag und in dessen Einfahrt der Geländewagen einbog. Eine Treppe führte durch den blühenden Steingarten zum Wintergarten, einem mit roten Schindeln überdachtem Glasbau. Die Arztpraxis lag in einem Anbau im Hof, der von der mächtigen Krone einer alten Ulme beschattet wurde.

»Danke, Miriam«, sagte Anna, als sie Ela gleich darauf aus dem Auto half und sich bei ihr unterhakte.

»Ich begleite euch«, erklärte Miriam und lief voraus, um den beiden die Tür zur Praxis aufzuhalten. »Gerti, ein Notfall!«, rief sie der rundlichen älteren Frau zu, die in einem weißen Kittel hinter dem Empfangstresen gegenüber der Eingangstür stand.

»Welche Art Notfall?«, fragte Gerti Fechner, Sebastian Seefelds Sprechstundenhilfe, und steckte den Bleistift, den sie in der Hand hielt, hinter ihr Ohr, bis er beinahe unter ihrem kurzen dunklen Haar verschwand.

»Eine Ohnmächtige«, antwortete Miriam.

»Wo?«, fragte Gerti erschrocken und kam hinter dem Tresen hervor.

»Frau Wiesner ist vor der Apotheke zusammengebrochen, jetzt geht es ihr schon wieder besser«, klärte Anna Gerti auf, »aber ich denke, es wäre gut, wenn Sebastian sie untersucht.«

»Ja, auf jeden Fall, warten Sie bitte hier, Frau Wiesner.« Gerti deutete auf die beiden Stühle neben dem Tresen.

»Ganz schön voll«, stellte Miriam fest, nachdem sie einen Blick ins Wartezimmer geworfen hatte, in dem fast jeder Stuhl besetzt war.

»Es ist wie immer«, entgegnete Gerti.

»Man könnte fast auf die Idee kommen, seitdem Sebastian die Praxis von seinem Vater übernommen hat, sind einige Damen besonders sensibel geworden in Bezug auf mögliche Krankheitssymptome.«

»Willst du dich dazu setzen?«, fragte Gerti und tauschte einen kurzen Blick mit Anna.

»Nein, danke, ich mische mich ungern unter die Massen«, antwortete Miriam.

»Na dann, auf Wiedersehen«, sagte Gerti und machte eine Kopfbewegung zur Tür hin, während sie den Telefonhörer für die Hausprechanlage in die Hand nahm. »Herr Doktor, hier ist eine junge Dame, sie hat vor ein paar Minuten kurz das Bewusstsein verloren. Nein, nicht im Wartezimmer, hier bei mir. Doktor Seefeld ist gleich bei Ihnen«, wandte sie sich an Ela, nachdem sie den Hörer wieder aufgelegt hatte. »Ist noch etwas?«, fragte sie, da Miriam ihre Aufforderung, die Praxis wieder zu verlassen, ignorierte.

Aber Miriam hörte ihr gar nicht zu. Sie starrte auf die Tür des Sprechzimmers, die gerade von innen geöffnet wurde. »Hallo, Sebastian«, flötete sie, als der junge Arzt in den Gang hinaustrat.

»Hallo, Miriam, willst du zu mir?«

»Ich habe Frau Wiesner hergebracht.«

»Zusammen mit Anna«, sagte Gerti.

»Hallo, Anna«, begrüßte Sebastian die Hebamme, bevor er wieder die ältere Frau anschaute, die mit einem Zwillingspärchen, einem kleinen blonden Jungen und einem Mädchen mit dicken blonden Zöpfen das Sprechzimmer verließ.