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»Die Erde lehrt uns mehr über uns als
alle Bücher. Denn sie leistet uns Widerstand.
Der Mensch findet zu sich
selbst, wenn er sich an einem Hindernis misst. Aber um das zu
erreichen, braucht er ein Werkzeug. Er braucht
dazu einen Hobel oder einen Pflug. Der Bauer
ringt der Natur durch seine Arbeit mit der Zeit
ein paar Geheimnisse ab und fördert eine universelle Wahrheit zutage. So konfrontiert auch
das Werkzeug der Fluglinien, das Flugzeug,
den Menschen wieder mit den alten Problemen.«
ANTOINE DE SAINT-EXUPÉRY

Zum Buch

Dieser Band enthält den Kinder- (und Erwachsenen-) Buchklassiker »Der kleine Prinz« sowie die autobiographische Essaysammlung »Die Erde der Menschen«, in der Saint-Exupéry über sein abenteuerliches Leben als Pilot berichtet.

Antoine de Saint-Exupéry

Der Kleine Prinz
Die Erde der Menschen

Antoine de Saint-Exupéry

Der Kleine Prinz
Die Erde der Menschen

Aus dem Französischen
von Corinna Popp

Mit Zeichnungen des Verfassers

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© by marixverlag in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2015 Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2015
Covergestaltung: network! Werbeagentur GmbH, München
Bildnachweis: Boya Sun, Louisville
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0532-2

www.verlagshaus-roemerweg.de

»Wir atmen nur, wenn wir mit unseresgleichen durch
ein gemeinsames Ziel verbunden sind,
das außerhalb von uns liegt.
Und die Erfahrung zeigt, dass lieben nicht heißt,
einander anzusehen,
sondern gemeinsam in die gleiche Richtung zu blicken.«

Antoine de Saint-Exupéry

INHALT

DER KLEINE PRINZ

DIE ERDE DER MENSCHEN

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Antoine de Saint-Exupéry

Der Kleine Prinz

Aus dem Französischen
von Corinna Popp

Mit Zeichnungen des Verfassers

Für Léon Werth.

Ich bitte die Kinder mir zu verzeihen, dass ich dieses Buch einem von den großen Leuten widme. Ich habe dafür einen ernsthaften Grund: Diese Person ist der beste Freund, den ich auf der Welt habe. Ich habe noch einen Grund: diese Person versteht alles, sogar Bücher für Kinder. Und ich habe einen dritten Grund: diese Person wohnt in Frankreich, wo sie hungert und friert. Sie kann Trost gut gebrauchen. Wenn all diese Gründe nicht ausreichen, würde ich das Buch dem Kind widmen, das diese Person früher gewesen ist. Die großen Leute waren früher alle einmal Kinder. (Aber wenige von ihnen erinnern sich daran.) Ich korrigiere also meine Widmung:

Für Léon Werth,
als er ein kleiner Junge war.

INHALT

Kaptiel I

Kaptiel II

Kaptiel III

Kaptiel IV

Kaptiel V

Kaptiel VI

Kaptiel VII

Kaptiel VIII

Kaptiel IX

Kaptiel X

Kaptiel XI

Kaptiel XII

Kaptiel XIII

Kaptiel XIV

Kaptiel XV

Kaptiel XVI

Kaptiel XVII

Kaptiel XVIII

Kaptiel XIX

Kaptiel XX

Kaptiel XXI

Kaptiel XXII

Kaptiel XXIII

Kaptiel XXIV

Kaptiel XXV

Kaptiel XXVI

Kaptiel XXVII

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I

Als ich sechs Jahre alt war, sah ich einmal ein großartiges Bild in einem Buch über den Urwald, das »Wirkliche Begebenheiten« hieß. Das Bild zeigte eine Boaschlange, die ein Raubtier verschlingt. Das hier ist eine Kopie der Zeichnung.

Im Buch stand: »Boas schlingen ihre Beute am Stück hinunter, ohne sie zu kauen. Danach können sie sich nicht mehr bewegen und schlafen während der sechs Monate langen Verdauung.«

Ich habe dann viel über die Abenteuer des Dschungels nachgedacht, woraufhin es auch mir gelang, mit einem Buntstift ein erstes Bild zu zeichnen. Mein Bild Numero 1. So sah es aus:

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Ich habe mein Meisterwerk den großen Leuten gezeigt und sie gefragt, ob mein Bild ihnen Angst einflöße.

Sie antworteten mir: »Was soll an einem Hut angsteinflößend sein?«

Mein Bild zeigte keinen Hut. Es zeigte eine Boa, die gerade einen Elefanten verdaut. Ich habe daraufhin das Schlangeninnere gezeichnet, damit die großen Leute es verstünden. Sie brauchen für alles eine Erklärung. Mein Bild Numero 2 sah so aus:

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Die großen Leute gaben mir den Rat, aufzuhören, Boas von innen oder von außen zu zeichnen und mich dafür mehr für Geographie, Geschichte, Rechnen und Grammatik zu interessieren. So kam es, dass ich im Alter von sechs Jahren eine herausragende Karriere als Maler an den Nagel hängte. Der Misserfolg meines Bildes Numero 1 und meines Bildes Numero 2 hatte mich zutiefst entmutigt. Die großen Leute verstehen nie etwas von sich aus und es ist sehr ermüdend für die Kinder, ihnen wieder und wieder alles zu erklären …

Ich musste mir also einen anderen Beruf aussuchen und habe gelernt, wie man Flugzeuge steuert. Ich bin so ziemlich überall in der Welt herumgeflogen. Und die Geographie, das ist richtig, hat mir sehr viel genützt. Ich konnte auf den ersten Blick China und Arizona voneinander unterscheiden. Das ist hilfreich, wenn man sich nachts verirrt hat.

So hatte ich im Laufe meines Lebens eine Menge Kontakte zu einer Menge ernsthafter Leute. Ich habe sehr lange bei den großen Leuten gelebt. Ich habe sie aus nächster Nähe gesehen. Das hat meine Meinung nicht allzu sehr verbessert.

Wenn ich jemanden traf, der mir ein bisschen hell im Kopf vorkam, führte ich an ihm den Test mit meinem Bild No. 1 durch, das ich immer noch aufbewahrte. Ich wollte wissen, ob er wirklich Einfühlungsvermögen besaß. Aber immer bekam ich zur Antwort: »Das ist ein Hut.« Also redete ich mit meinem Gegenüber weder über Boas, noch über Urwälder, noch über Sterne. Ich begab mich auf seine Augenhöhe. Ich redete mit ihm über Bridge, über Golf, Politik und Krawatten. Und derjenige freute sich, es mit einem so vernünftigen Menschen zu tun zu haben …

II

So kam es, dass ich allein lebte, ohne jemanden, mit dem ich wirklich reden konnte, bis ich vor sechs Jahren in der Sahara eine Panne hatte. Es war irgendetwas an meinem Motor kaputt gegangen. Und da ich weder einen Mechaniker noch Passagiere dabei hatte, bereitete ich mich darauf vor, zu versuchen, ganz allein eine schwierige Reparatur durchzuführen. Es ging dabei für mich um Leben und Tod. Mein Trinkwasser reichte für knapp acht Tage.

So legte ich mich am ersten Abend zum Schlafen in den Sand, tausend Meilen weit weg von unserer bewohnten Erde. Ich war noch viel isolierter als ein Schiffbrüchiger auf einem Floß in der Mitte des Ozeans. Insofern könnt ihr euch meine Überraschung vorstellen, als ich bei Tagesanbruch von einem seltsamen Stimmchen geweckt wurde. Es sagte:

»Entschuldigen Sie … Zeichne mir ein Schaf!«

»Was?«

»Zeichne mir ein Schaf …«

Wie vom Blitz getroffen sprang ich auf die Füße. Ich rieb mir gründlich die Augen. Ich schaute genau hin. Was ich sah, war ein absolut merkwürdiger kleiner Mann, der mich mit ernstem Blick musterte. Das hier ist das beste Porträt, das mir später von ihm gelang.

Aber natürlich hat mein Bild bei weitem nicht den Charme seines Modells. Das ist nicht meine Schuld. Im Alter von sechs Jahren wurde ich in meiner Karriere als Maler von den großen Leuten derart entmutigt, dass ich nichts anderes zu zeichnen gelernt habe als Boas von innen und außen.

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Ich machte beim Anblick dieser Erscheinung vor Verwunderung ganz große Augen. Ihr dürft nicht vergessen, dass ich mich ja tausend Meilen weit weg von jeder bewohnten Region befand. Und mein kleiner Mann schien sich weder verirrt zu haben, noch halbtot vor Müdigkeit, vor Hunger, vor Durst oder vor Angst zu sein. Seine Erscheinung hatte nichts mit der eines Kindes gemeinsam, das sich mitten in der Wüste verlaufen hätte, tausend Meilen weit weg von jeder bewohnten Region. Als ich endlich einen Ton herausbrachte, fragte ich ihn:

»Was machst du hier?«

Und er wiederholte daraufhin ganz langsam, als handelte es sich um eine sehr ernsthafte Sache:

»Entschuldigen Sie … Zeichne mir ein Schaf …«

Wenn etwas Wundersames zu beeindruckend ist, wagt man nicht zu widersprechen. So absurd es mir tausend Meilen weit weg von jeder bewohnten Gegend und in Lebensgefahr schien, holte ich ein Blatt Papier und einen Füllfederhalter aus meiner Tasche. Aber da erinnerte ich mich, dass ich vor allem Geographie, Geschichte, Rechnen und Grammatik gelernt hatte und sagte zu dem kleinen Mann (mit einem Anflug von schlechter Laune), dass ich nicht zeichnen könne. Er antwortete mir:

»Macht nichts. Zeichne mir ein Schaf.«

Da ich noch nie ein Schaf gezeichnet hatte, reproduzierte ich eine der beiden einzigen Zeichnungen, zu denen ich in der Lage war. Und zwar die Boa von außen. Und ich war sehr überrascht über die Antwort, die der kleine Mann mir darauf gab:

»Nein! Nein! Ich will keinen Elefanten in einer Boa. Eine Boa ist sehr gefährlich und ein Elefant nimmt viel Platz weg. Bei mir zu Hause ist es winzig. Ich brauche ein Schaf. Zeichne mir ein Schaf.«

Also zeichnete ich.

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Er sah es sich aufmerksam an. Dann:

»Nein! Das hier ist schon ganz krank. Mach noch ein anderes.«

Ich zeichnete:

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Mein Freund lächelte liebenswürdig und mit Nachsicht:

»Du siehst doch, dass das kein Schaf ist, sondern ein Widder. Es hat Hörner …«

Ich machte also noch eine weitere Zeichnung:

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Aber wie die vorherigen wurde sie abgelehnt:

»Das ist jetzt zu alt. Ich will ein Schaf, das lange lebt.«

Mir riss die Geduld, weil ich es eilig hatte, meinen Motor zu demontieren und ich kritzelte noch diese Zeichnung hier hin:

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Und kommentierte:

»Hier, das ist die Kiste. Das Schaf, das du willst, ist da drin.«

Erstaunt sah ich, dass sich das Gesicht meines jungen Richters aufhellte:

»Das ist genau, wie ich es wollte! Denkst du, es braucht viel Gras, dieses Schaf?«

»Warum?

»Weil bei mir zu Hause ist es winzig …«

– Es wird schon reichen. Das Schaf, das ich dir gegeben habe, ist auch winzig.«

Er beugte den Kopf über die Zeichnung:

»So winzig auch wieder nicht … Ach! Es ist eingeschlafen …«

Und so machte ich die Bekanntschaft des kleinen Prinzen.

III

Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen woher er kam. Der kleine Prinz stellte mir viele Fragen, aber von meinen Fragen schien er nie eine zu hören. Ich habe erst nach und nach alles erfahren, aus beiläufig Dahingesagtem. Als er mein Flugzeug zum ersten Mal sah (ich werde mein Flugzeug nicht zeichnen, diese Zeichnung wäre viel zu kompliziert für mich), fragte er:

»Was ist das denn für ein Ding?«

»Das ist kein Ding. Es fliegt. Es ist ein Flugzeug. Es ist mein Flugzeug.«

Ich war stolz, ihm sagen zu können, dass ich flog. Da rief er:

»Wie! Du bist vom Himmel gefallen!«

»Ja«, erwiderte ich bescheiden.

»Ach! Das finde ich lustig …«

Und der kleine Prinz brach in ein hübsches Lachen aus, was mich sehr irritierte. Ich wünsche mir, dass meine Probleme ernst genommen werden. Dann sprach er weiter:

»Du kommst also auch vom Himmel! Und von welchem Planeten bist du?«

Das brachte mir ein wenig Licht ins Dunkel seines geheimnisvollen Auftritts und ich fragte unvermittelt:

»Du kommst also von einem anderen Planeten?«

Aber er antwortete nicht. Er sah sich mein Flugzeug an und nickte leicht mit dem Kopf:

»Stimmt, damit kannst du nicht von besonders weit gekommen sein …«

Dann verfiel er in langes Träumen. Schließlich holte er mein Schaf aus seiner Tasche und versenkte sich in der Betrachtung seines Schatzes.

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Ihr könnt euch ja vorstellen, dass mich dieses halbe Eingeständnis über »die anderen Planeten« neugierig gemacht hat. Ich versuchte, mehr darüber herauszufinden:

»Wo kommst du kleiner Mann her? Wo ist »bei dir zu Hause«? Wo willst du mein Schaf hinbringen?«

Nach einem andächtigen Schweigen antwortete er:

»Das ist das Gute an der Kiste, die du mir gemalt hast, nachts kann es sie als Haus benutzen.«

»Ja sicher. Wenn du nett bist, gebe ich dir noch ein Seil, um es tagsüber anzubinden. Und einen Pflock.«

Mein Vorschlag schien den kleinen Prinzen zu schockieren:

»Anbinden? Was für eine komische Idee!«

»Aber wenn du es nicht anbindest, läuft es einfach irgendwohin und verläuft sich …«

Mein Freund brach erneut in Gelächter aus:

»Aber wo willst du denn, dass es hinläuft!«

»Ganz egal wohin. Der Nase nach …«

Der kleine Prinz bemerkte feierlich:

»Das macht nichts. Bei mir zu Hause ist es so winzig!«

Und er ergänzte, vielleicht ein wenig melancholisch:

»Der Nase nach kommt man nicht besonders weit …«

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IV

So hatte ich eine zweite, sehr wichtige Sache erfahren: Dass der Planet, von dem er kam, kaum größer war als ein Haus!

Das erstaunte mich aber nicht besonders. Ich wusste gut, dass es neben den großen Planeten wie der Erde, dem Jupiter, dem Mars oder der Venus, denen man Namen gegeben hat, Hunderte andere gibt, die manchmal so klein sind, dass man Schwierigkeiten hat, sie mit dem Teleskop zu sehen. Wenn ein Astronom einen entdeckt, gibt er ihm eine Nummer als Namen. Er nennt ihn zum Beispiel den »Asteroiden 325«.

Ich habe ernsthafte Gründe anzunehmen, dass es sich bei dem Planeten des kleinen Prinzen um den Asteroiden B 612 handelte. Dieser Asteroid war nur einmal im Teleskop gesehen worden, im Jahr 1909 von einem türkischen Astronomen.

Dieser hatte bei einem großen Vortrag auf einem Internationalen Astronomie-Kongress seine Entdeckung präsentiert. Aber niemand glaubte ihm, wegen seiner Kleider. So sind sie, die großen Leute.

Zum Glück für den Ruf des Asteroiden B 612 zwang ein türkischer Diktator sein Volk unter Androhung der Todesstrafe, sich wie die Europäer zu kleiden. Der Astronom hielt 1920 seinen Vortrag ein zweites Mal und trug dabei einen sehr eleganten Anzug. Und dieses Mal waren alle seiner Ansicht.

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Dass ich euch diese ganzen Details über den Asteroiden B 612 erzähle und euch seine Nummer mitteile, ist wegen der großen Leute. Die großen Leute lieben Zahlen. Wenn ihr ihnen von einem neuen Freund erzählt, fragen sie euch nie etwas über das Wesentliche. Sie fragen nie: »Wie klingt seine Stimme? Welche Spiele spielt er am liebsten? Sammelt er Schmetterlinge?« Sie fragen euch: »Wie alt ist er? Wieviele Geschwister hat er? Wieviel wiegt er? Wieviel verdient sein Vater?« Nur dann denken sie, lernen sie ihn kennen. Wenn ihr zu den großen Leuten sagt: »Ich habe ein schönes Haus aus rosa Ziegelstein gesehen, mit Geranien in den Fenstern und Tauben auf dem Dach …« gelingt es ihnen nicht, sich das Haus vorzustellen. Man muss ihnen sagen: »Ich habe ein Haus im Wert von hunderttausend Francs gesehen.« Dann rufen sie: »Das ist ja schön!«

Sagt ihr ihnen also: »Der Beweis, dass der kleine Prinz wirklich existiert hat, ist, dass er Charme besaß, viel lachte und ein Schaf wollte. Und wenn jemand ein Schaf will, beweist das, dass er wirklich existiert«, dann werden sie mit den Schultern zucken und euch Kinder nennen. Sagt ihr ihnen aber: »Der Planet, von dem er kam, ist der Asteroid B 612«, werden sie überzeugt sein und euch mit ihren Fragen in Ruhe lassen. So sind sie eben. Man darf es ihnen nicht übelnehmen. Die Kinder müssen den großen Leuten gegenüber sehr nachsichtig sein.

Aber natürlich brauchen wir, die das Leben verstehen, keine Zahlen! Ich hätte diese Geschichte gerne begonnen wie ein Märchen. Ich hätte gerne gesagt:

»Es war einmal ein kleiner Prinz, der wohnte auf einem Planeten, der kaum größer war als er selbst und er brauchte einen Freund ….« Für diejenigen, die das Leben verstehen, wäre das um einiges glaubwürdiger gewesen.

Ich möchte nämlich nicht, dass man mein Buch leichtherzig liest. Mir bereitet es großen Kummer, diese Erinnerungen zu erzählen. Es ist schon sechs Jahre her, dass mein Freund mit seinem Schaf fortgegangen ist. Ich versuche, ihn hier zu beschreiben, damit ich ihn nicht vergesse. Einen Freund zu vergessen, ist traurig. Nicht alle haben einen Freund gehabt. Und ich werde vielleicht noch wie die großen Leute, die sich nur für Zahlen interessieren! Deshalb habe ich eine Schachtel mit Buntstiften und Bleistiften gekauft. In meinem Alter wieder mit dem Zeichnen anzufangen, ist hart, wenn man abgesehen von einer Boa von innen und von außen im Alter von sechs Jahren nie etwas anderes zu zeichnen versucht hat! Natürlich bemühe ich mich bei den Porträts um größtmögliche Ähnlichkeit. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es mir gelingt. Das eine Bild geht, das andere ähnelt ihm gar nicht. Ich irre mich auch bei seiner Größe. Hier ist der kleine Prinz zu groß. Da zu klein. Außerdem bin ich mir nicht mehr sicher, welche Farbe seine Kleider hatten. Ich taste mich so voran, mehr schlecht als recht. Bestimmt irre ich mich auch noch bei wichtigeren Details. Aber man muss mir das verzeihen. Mein Freund hat nie irgendwelche Erklärungen abgegeben. Vielleicht dachte er, ich würde ihm irgendwie ähneln. Aber ich kann leider keine Schafe durch Kisten hindurch sehen. Vielleicht bin ich schon ein bisschen wie die großen Leute. Ich muss älter geworden sein.

V

Jeden Tag fand ich etwas heraus über den Planeten, weswegen er fortging und über seine Reise. Dazu kam es sehr langsam, durch zufällige Bemerkungen. Und so erfuhr ich am dritten Tag vom Drama der Baobabs.

Auch diesmal war es dem Schaf zu verdanken, denn der kleine Prinz fragte mich plötzlich, als wäre er von schweren Zweifeln befallen:

»Es stimmt doch, oder, die Schafe fressen Sträucher?«

»Ja, das stimmt.«

»Ach, da bin ich froh!«

Ich verstand nicht, was so wichtig daran war, dass Schafe Sträucher fraßen. Aber der kleine Prinz ergänzte:

»Logischerweise fressen sie dann ja auch Baobabs?«

Ich wies den kleinen Prinzen darauf hin, dass Baobabs keine Sträucher, sondern Bäume, so groß wie Kirchen, waren, und dass nicht einmal eine ganze Herde Elefanten, wenn er eine mitnehmen würde, mit einem einzigen Baobab fertig werden könnte.

Die Vorstellung von der Elefantenherde brachte den kleinen Prinzen zum Lachen:

»Die müsste ich ja aufeinander stapeln …«

Aber er merkte weise an:

»Baobabs sind ja erstmal klein, bevor sie wachsen.«

»Das ist richtig! Aber wieso willst du denn, dass deine Schafe kleine Baobabs fressen?«

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Er antwortete: »Naja! Also bitte!« als handelte es sich um eine völlig offensichtliche Sache. Und es kostete mich einige intellektuelle Anstrengung, um von selbst auf das Problem zu kommen.

Auf dem Planeten des kleinen Prinzen gab es nämlich, wie auf allen Planeten, nützliche und schädliche Pflanzen. Infolgedessen gab es von den nützlichen Pflanzen nützliche Samen und von den schädlichen Pflanzen schädliche Samen. Aber die Pflanzensamen sind unsichtbar. Sie schlafen im Geheimnis der Erde, bis einer von ihnen auf die Idee kommt, aufzuwachen. Dann streckt er sich und wächst der Sonne zunächst schüchtern in einem bezaubernden kleinen unschädlichen Spross entgegen. Ist der Spross von einem Radischen oder von einem Rosenstock, kann man ihn wachsen lassen, wie er will. Handelt es sich aber um eine schädliche Pflanze, muss man sie ausreißen, sobald man sie erkennt. Nun gab es aber auf dem Planeten des kleinen Prinzen furchterregende Samen, die Baobabsamen. Der Boden des Planeten war übersät davon. Einen Baobab wird man nämlich nie mehr los, wenn man ihn zu spät entdeckt. Er überwuchert den ganzen Planeten. Er durchbohrt ihn mit seinen Wurzeln. Und wenn es ein kleiner Planet ist und es zu viele Baobabs gibt, können sie ihn sprengen.

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»Es ist eine Frage der Disziplin«, sagte mir der kleine Prinz eine Weile später. »Wenn man mit seiner Morgentoilette fertig ist, muss man sich um die Morgentoilette des Planeten kümmern. Man muss sich zwingen, die Baobabs regelmäßig auszureißen, wenn man sie zwischen den Rosenstöcken entdeckt, denen sie ganz jung sehr ähnlich sind. Diese Arbeit ist sehr langweilig, aber sehr leicht.«

Und einmal riet er mir, mich an einer schönen Zeichnung zu versuchen, damit das in die Köpfe der Kinder bei mir zu Hause hineinginge. »Das kann ihnen sehr nützlich sein, falls sie eines Tages reisen, sagte er zu mir. Manchmal ist es unbedenklich, eine Arbeit auf später zu verschieben. Aber wenn es um Baobabs geht, ist es immer eine Katastrophe. Ich kannte mal einen Planeten, auf dem jemand Faules wohnte. Er hatte drei Sträucher stehen lassen …«

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Und auf Anweisung des kleinen Prinzen hin zeichnete ich diesen Planeten. Ich möchte ungern wie ein Moralist klingen. Aber über die Gefahr, die die Baobabs darstellen, ist sehr wenig bekannt, und würde sich jemand auf einen Asteroiden verirren, wäre das Risiko für denjenigen so bedenklich, dass ich dieses eine Mal eine Ausnahme in meiner Zurückhaltung mache und sage: »Kinder! Passt auf mit den Baobabs!« Ich habe an dieser Zeichnung so sorgfältig gearbeitet, um meine Freunde vor der Gefahr zu warnen, an der sie seit langem haarscharf vorbeischlittern, ohne es zu wissen, so wie ich selbst. Meine Lektion war auch nötig. Ihr fragt euch vielleicht: Warum sind die anderen Zeichnungen in diesem Buch nicht so grandios wie diese Zeichnung von den Baobabs? Die Antwort ist ganz simpel: Ich habe es versucht, aber ich bin gescheitert. Beim Zeichnen der Baobabs hat mich ein Gefühl von Dringlichkeit angespornt.

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VI

Ach, kleiner Prinz, so habe ich dein kleines melancholisches Dasein nach und nach verstanden. Lange waren die anmutigen Sonnenuntergänge deine einzige Unterhaltung. Dieses neue Detail erfuhr ich am Morgen des vierten Tages, als du zu mir sagtest:

»Ich mag die Sonnenuntergänge. Komm, wir schauen uns einen Sonnenuntergang an …«

»Aber wir müssen noch warten …«

»Worauf denn warten?«

»Warten, bis die Sonne untergeht.«

Zuerst hast du sehr erstaunt ausgesehen, dann musstest du über dich selbst lachen. Und sagtest mir:

»Dauernd denke ich, ich bin bei mir zu Hause!«

Natürlich. Es weiß ja jeder, dass, wenn es in den Vereinigten Staaten Mittag ist, in Frankreich gerade die Sonne untergeht. Um den Sonnenuntergang sehen zu können, müsste man einfach innerhalb von einer Minute in Frankreich sein können. Leider ist Frankreich viel zu weit weg. Aber dein Planet war so klein, dass du deinen Stuhl nur ein paar Meter weiterrücken musstest. Du hast dir die Abendröte angesehen, wann immer du wolltest.

»Einmal habe ich die Sonne vierundvierzig Mal am gleichen Tag untergehen sehen!«

Eine Weile später hast du noch gesagt:

»Weißt du … wenn man so traurig ist, liebt man die Sonnenuntergänge …«

»Warst du an dem Tag mit den vierundvierzig Mal denn so traurig?«

Aber der kleine Prinz antwortete nicht.

VII

Am fünften Tag erfuhr ich, wieder dank des Schafes, von dem Geheimnis im Leben des kleinen Prinzen. Völlig aus dem Nichts fragte er mich ohne große Vorrede, so als hätte er sein Problem lange in der Stille gewälzt:

»Wenn ein Schaf Sträucher frisst, frisst es dann auch Blumen?«

»Ein Schaf frisst alles, was es findet.«

»Sogar Blumen, die Dornen haben?«

»Ja. Sogar Blumen, die Dornen haben.«

»Aber was nützen dann die Dornen?«

Ich wusste es nicht. Ich war außerdem gerade sehr beschäftigt mit dem Versuch, eine zu fest gedrehte Schraube am Motor zu lockern. Ich machte mir große Sorgen, denn der Schaden fing an, mir sehr kompliziert vorzukommen und dass mein Trinkwasser zur Neige ging, ließ mich Schlimmstes fürchten.

»Was nützen denn die Dornen?«

Der kleine Prinz ließ nie von einer Frage ab, die er einmal gestellt hatte. Ich war wütend wegen meiner Schraube und antwortete einfach irgendetwas:

»Dornen sind zu gar nichts nütze, das ist reine Boshaftigkeit von Seiten der Blumen!«

»Oh!«

Aber nach kurzem Schweigen entgegnete er mir mit einer Art Groll:

»Ich glaube dir nicht! Die Blumen sind schwach. Sie sind naiv. Sie suchen Bestätigung, wo sie können. Sie glauben sich furchterregend mit ihren Dornen …«

Ich gab keine Antwort. Ich dachte in dem Moment: »Wenn diese Schraube nicht nachgibt, haue ich sie mit einem Hammer weg.« Erneut unterbrach mich der kleine Prinz in meinen Überlegungen:

»Und du glaubst also, dass die Blumen …«

»Ach nein! Nein, nein! Ich glaube gar nichts! Ich habe bloß irgendetwas geantwortet. Ich muss mich gerade um eine ernsthafte Sache kümmern!«

Überrascht sah er mich an.

»Eine ernsthafte Sache!«

Er betrachtete mich, wie ich mich mit dem Hammer in der Hand und meinen vom Schmieröl schwarzen Fingern über ein Objekt beugte, das ihm sehr hässlich vorkam.

»Du redest wie die großen Leute!«

Ich schämte mich ein bisschen. Aber er sprach erbarmungslos weiter:

»Du verwechselst alles … alles bringst du durcheinander!«

Er war wirklich verärgert. Er schüttelte den Kopf, dass die Haare ganz golden im Wind flogen:

»Ich kenne einen Planeten, auf dem wohnt ein puterroter Herr. Er hat noch nie an einer Blume gerochen. Er hat sich noch nie einen Stern angesehen. Er hat noch nie jemanden geliebt. Er hat noch nie etwas anderes gemacht als zu rechnen. Und den ganzen Tag redet er wie du: »Ich bin ein ernsthafter Mensch! Ich bin ein ernsthafter Mensch!« und vor Hochmut bläst es ihn ganz auf. Er ist aber kein Mensch, er ist ein Pilzgewächs!«

»Ein was?«

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»Ein Pilzgewächs!«

Der kleine Prinz war nun ganz bleich vor Wut.

»Seit mehreren Millionen Jahren fabrizieren die Blumen Dornen. Seit mehreren Millionen Jahren essen die Schafe die Blumen trotzdem. Und da soll es keine ernsthafte Sache sein, verstehen zu wollen, warum sie sich solche Mühe machen, Dornen zu fabrizieren, wenn sie überhaupt nichts nützen? Ist das vielleicht nicht wichtig, der Krieg zwischen den Schafen und den Blumen? Ist das nicht ernsthaft und nicht so wichtig wie das, was sich ein dicker roter Herr zusammenrechnet? Und wenn ich nun eine auf der Welt einzigartige Blume kenne, die es nirgends gibt, außer auf meinem Planeten und ein kleines Schaf kann sie mit einem Bissen vernichten, einfach so, eines Morgens, ohne ein Bewusstsein für das, was es da tut, dann ist das wohl nicht wichtig!«

Er wurde rot, dann redete er weiter:

»Wenn jemand eine Blume liebt, von der es nur ein einziges Exemplar auf Millionen und Abermillionen Sternen gibt, reicht es ihm zum Glücklichsein, zu ihnen hochzusehen. Er sagt sich: »Meine Blume ist irgendwo da draußen …« Wenn aber das Schaf die Blume frisst, ist es für ihn so, als würden plötzlich alle Sterne erlöschen! Und das ist nicht wichtig!«

Mehr konnte er nicht sagen. Er brach plötzlich in Schluchzen aus. Es war dunkel geworden. Ich hatte mein Werkzeug fallenlassen. Der Hammer, die Schraube, der Durst und der Tod waren mir mit einem Mal egal. Auf einem der Sterne, einem der Planeten, meinem Planeten, der Erde, war ein kleiner Prinz, der getröstet werden musste! Ich nahm ihn in den Arm. Ich wiegte ihn. Ich sagte ihm: »Die Blume, die du liebst, sie ist nicht in Gefahr … Ich zeichne deinem Schaf einen Maulkorb … Ich zeichne dir eine Rüstung für deine Blume … Ich …« Ich wusste nicht genau, was ich ihm sagen sollte. Ich fand mich sehr ungeschickt. Ich wusste nicht, wie ich ihn erreichen, wo ich zu ihm gelangen könnte … Es bleibt ein großes Geheimnis, das Land der Tränen!

VIII

Ich lernte diese Blume ziemlich schnell besser kennen. Auf dem Planeten des kleinen Prinzen waren immer sehr einfache Blumen gewachsen, die nur einen Kranz Blütenblätter besaßen, nicht viel Platz einnahmen und niemanden störten. Sie erschienen eines Morgens im Gras und am Abend erloschen sie wieder. Aber diese eine war eines Tages aus einem Saatkorn gewachsen, das von wer weiß woher kam, und der kleine Prinz hatte diesen Spross, der keinem anderen Spross ähnlich sah, aus nächster Nähe überwacht. Es hätte eine neue Art Baobab sein können. Aber bald hörte der Strauch auf zu wachsen und begann eine Blüte auszubilden. Der kleine Prinz sah beim Bau einer riesigen Knospe zu und fühlte, dass daraus eine wunderbare Erscheinung hervortreten musste, aber die Blume verbarg sich in ihrem grünen Zimmer und wurde einfach nicht fertig, sich herauszuputzen. Sie wählte mit Sorgfalt ihre Farben aus. Sie schlüpfte langsam in ihre Kleider und richtete ihre Blütenblätter eines nach dem anderen. Sie wollte sich nicht so zerknittert sehen lassen wie die Mohnblumen. Sie wollte erst herauskommen, wenn sie in vollkommener Schönheit erstrahlte. Ach ja! Sie war ziemlich eitel! Ihre mysteriöse Badezimmerveranstaltung dauerte also mehrere Tage. Und dann, eines Morgens, gerade zu Sonnenaufgang, zeigte sie sich.

Und gähnend sagte sie, die mit so großer Sorgfalt an sich gearbeitet hatte:

»Ach, ich bin gerade erst aufgewacht … Ich bitte um Verzeihung … Ich sehe noch ganz zerzaust aus …«

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Der kleine Prinz konnte seine Bewunderung nicht zurückhalten:

»Wie schön Sie sind!«

»Nicht wahr?« antwortete die Blume mit sanfter Stimme. »Und ich bin im selben Moment geboren wie die Sonne …«

Der kleine Prinz erriet, dass sie nicht besonders bescheiden war, aber sie rührte ihn so!

»Es ist, glaube ich, Zeit für ein Frühstück«, sagte sie kurz darauf, wären Sie so liebenswürdig, an mich zu denken?

Und der kleine Prinz ging ganz verwirrt davon, um eine Gießkanne frisches Wasser zu holen und brachte der Blume ihr Getränk.

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Ziemlich rasch ärgerte er sich über ihre ein wenig empfindliche Eitelkeit. Eines Tages zum Beispiel, als es um ihre vier Dornen ging, sagte sie zum kleinen Prinzen:

»Sie können ruhig kommen, die Tiger mit ihren Krallen!«

»Es gibt auf meinem Planeten keine Tiger«, hatte der kleine Prinz angemerkt, »und Tiger fressen auch kein Gras.«

»Ich bin kein Gras«, hatte die Blume mit sanfter Stimme geantwortet.

»Verzeihung …«

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»Die Tiger fürchte ich nicht, aber mir graut vor der Zugluft. Sie haben nicht zufällig einen Paravent?«

»Wenn einem vor der Zugluft graut, hat man es als Pflanze auch schlecht getroffen«, fand der kleine Prinz. »Ganz schön kompliziert, diese Blume …«

»Am Abend stellen Sie mich unter eine Glasglocke. Es ist wirklich kalt hier bei Ihnen. Das ist schlecht eingerichtet. Da, wo ich herkomme …«

Aber sie unterbrach sich. Sie war in Form eines Saatkorns angereist. Sie konnte gar keine Ahnung haben von anderen Welten. Beschämt, dass sie dabei ertappt wurde, eine so naive Lüge erzählen zu wollen, hüstelte sie zwei oder drei Mal, um den kleinen Prinzen in ihre Schuld zu bringen.

»Dieser Paravent? …

»Ich wollte ihn ja holen, aber Sie haben mit mir geredet!«

Also hustete sie noch mehr, um ihm trotzdem Gewissensbisse zu machen.

So kamen dem kleinen Prinzen trotz der Gutwilligkeit seiner Liebe bald Zweifel an ihr. Er nahm belanglose Worte ernst und wurde sehr unglücklich.

»Ich hätte ihr gar nicht zuhören sollen, vertraute er mir einmal an, auf Blumen darf man überhaupt nie hören. Man muss sie ansehen und ihren Duft riechen. Mein ganzer Planet duftete nach ihr, aber ich konnte mich nicht daran freuen. Diese Geschichte mit den Krallen, über die ich mich so geärgert habe, hätte mich rühren müssen …«

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Er gestand mir außerdem:

»Ich habe einfach nichts begriffen! Ich hätte sie nach dem, was sie tat, beurteilen sollen, nicht nach dem, was sie sagte. Sie ließ mich ihren Duft riechen und leuchtete für mich. Ich hätte niemals davonlaufen dürfen. Ich hätte hinter diesen kläglichen Strategien ihre Liebe erkennen müssen! Blumen sind sowas von widersprüchlich. Aber ich war zu jung, um zu wissen, wie man sie lieben soll.«

IX

Ich glaube, er machte sich bei seiner Flucht einen Schwarm Zugvögel zu nutze. Am Morgen seiner Abreise räumte er seinen Planeten ordentlich auf. Sorgfältig fegte er seine aktiven Vulkane. Er besaß zwei aktive Vulkane. Und das war ziemlich praktisch, er konnte morgens das Frühstück darauf warm machen. Er besaß auch einen erloschenen Vulkan. Er sagte sich aber »man weiß ja nie!« und fegte auch den erloschenen Vulkan. Wenn die Vulkane gut gefegt sind, brennen sie leicht und gleichmäßig, ohne auszubrechen. Vulkanausbrüche sind wie Kaminbrände. Natürlich sind wir auf der Erde viel zu klein, um unsere Vulkane zu fegen. Deshalb machen sie uns eine Menge Ärger.

Mit ein wenig Melancholie riss der kleine Prinz außerdem ein paar letzte Sprieße Baobabs aus. Er glaubte, er müsste nie wieder zurückkommen. Doch an jenem Morgen schienen ihm all diese gewohnheitsmäßigen Arbeiten extrem angenehm. Und als er die Blume zum letzten Mal goss und sie zum Schutz unter die Glasglocke stellen wollte, merkte er, dass ihm zum Weinen zumute war.

»Auf Wiedersehen«, sagte er zu der Blume.

Aber sie antwortete nicht.

»Auf Wiedersehen«, wiederholte er.

Die Blume hustete. Aber nicht wegen ihrer Erkältung.

»Ich bin dumm gewesen«, sagt sie schließlich zu ihm. »Ich bitte dich um Verzeihung. Gib dir Mühe, glücklich zu sein.«

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Er war überrascht, dass keine Vorwürfe kamen. Verunsichert blieb er mit der Glasglocke in der Hand stehen. Er verstand diese ruhige Sanftmut nicht.

»Aber ja doch, ich liebe dich«, sagte die Blume zu ihm. »Dass du nichts davon gewusst hast, lag an mir. Es ist vollkommen ohne Bedeutung. Aber du warst genauso dumm wie ich. Gib dir Mühe, glücklich zu sein … Tu diese Glocke weg. Ich will sie nicht mehr.«

»Aber der Wind …«

»So erkältet bin ich auch wieder nicht … Die frische Nachtluft wird mir guttun. Ich bin eine Blume.«

»Aber die Tiere …«

»Dann muss ich eben zwei oder drei Raupen ertragen, wenn ich Bekanntschaft mit den Schmetterlingen machen will. Das soll ja so schön sein. Wer wird mich denn sonst besuchen? Du wirst weit fort sein. Vor den großen Tieren fürchte ich mich nicht. Ich habe meine Krallen.«

Und ahnungslos zeigte sie ihre vier Dornen vor. Dann sagte sie noch:

»Trödel nicht so herum, das geht einem auf die Nerven. Du hast entschieden zu gehen. Also geh.«

Denn sie wollte nicht, dass er sie weinen sah. Sie war eine so stolze Blume …

X

Er befand sich in der Umgebung der Asteroiden 325, 326, 327, 328, 329 und 330. Um eine Beschäftigung zu haben und sich weiterzubilden, fing er damit an, sie zu besichtigen.

Auf dem ersten wohnte ein König. In Purpur und Hermelin gekleidet saß der König auf einem sehr einfachen und dennoch majestätischen Thron.

»Ah! Ein Untertan!« rief der König aus, als er den kleinen Prinzen erblickte.

Und der kleine Prinz fragte sich:

»Wie kann er mich erkennen, wo er mich doch noch nie gesehen hat!«

Er wusste nicht, dass die Welt für die Könige sehr einfach gestrickt ist. Alle Menschen sind Untertanen.

»Komm näher, damit ich dich besser sehe«, sagte der König zu ihm, sehr stolz, endlich für jemanden König sein zu können.

Der kleine Prinz suchte mit den Augen nach einer Sitzgelegenheit, aber der ganze Planet war mit dem herrlichen Hermelinmantel vollgestopft. Er blieb also stehen und weil er müde war, gähnte er.

»Es verstößt gegen die Etikette, in Gegenwart eines Königs zu gähnen«, sagte der Monarch. »Ich verbiete es dir.«

»Ich kann nichts dagegen machen«, antwortete der kleine Prinz ganz verwirrt. »Ich habe eine lange Reise hinter mir und ich habe nicht geschlafen …«

»In diesem Fall«, sagte der König, befehle ich dir zu gähnen. Ich habe seit Jahren niemanden gähnen sehen. Gähner sind für mich ein Kuriosum. Na los, gähne noch einmal. Das ist ein Befehl.«

»Das schüchtert mich ein … jetzt kann ich nicht mehr …«, sprach der kleine Prinz und wurde ganz rot.

»Hm! Hm!« antwortete der König. »Also dann, äh … dann befehle ich dir, manchmal zu gähnen und manchmal …«

Er brabbelte irgendetwas und schien gekränkt.

Denn im Wesentlichen war dem König daran gelegen, dass seine Autorität respektiert wurde. Ungehorsam tolerierte er nicht. Er war ein absoluter Monarch. Aber weil er sehr gut war, gab er vernünftige Befehle.

»Würde ich, sagte er häufig, einem General befehlen, sich in einen Meeresvogel zu verwandeln und der General gehorchte nicht, wäre es nicht die Schuld des Generals. Es wäre meine Schuld.«

»Kann ich mich setzen?« erkundigte sich der kleine Prinz schüchtern.

»Ich befehle dir, dich zu setzen«, antwortete der König und zog ein Stück seines Hermelinmantels majestätisch zu sich heran.

Aber da staunte der kleine Prinz. Der Planet war total winzig. Worüber konnte der König denn da herrschen?

»Sire«, sagte er zu ihm … »Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen eine Frage stelle …«

»Ich befehle dir, mir Fragen zu stellen«, beeilte der König sich zu sagen.

»Sire … worüber herrschen Sie?«

»Über alles«, antwortete der König mit großer Schlichtheit.

»Über alles?«

Mit einer dezenten Geste deutete der König auf seinen, auf die anderen Planeten und auf die Sterne.

»Über das alles?« fragte der kleine Prinz.

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»Über das alles …« antwortete der König.

Denn er war nicht nur ein absoluter Monarch, sondern er war sogar ein Universalmonarch.

»Und gehorchen Ihnen die Sterne?«

»Natürlich«, sagte der König. »Sie gehorchen unverzüglich. Undiszipliniertheit dulde ich nicht.«

Der kleine Prinz bewunderte eine so große Macht. Besäße er selbst solche Macht, könnte er sich nicht nur vierundvierzig, sondern zweiundsiebzig Sonnenuntergänge ansehen, oder sogar hundert, oder vielleicht sogar zweihundert, ohne auch nur einmal seinen Stuhl verrücken zu müssen! Und da er ein wenig traurig wurde, als er an seinen kleinen verlassenen Planeten zurückdachte, fasste er sich ein Herz und bat den König um eine Gunst:

»Ich würde gerne einen Sonnenuntergang sehen … Würden Sie mir die Freude machen, einen Sonnenuntergang anzuordnen?«

»Würde ich einem General befehlen, wie ein Schmetterling von einer Blume zur anderen zu fliegen oder eine Tragödie zu schreiben oder sich in einen Meeresvogel zu verwandeln, und der General käme dem Befehl nicht nach, wäre das sein oder mein Unrecht?«

»Ihres«, sagte der kleine Prinz entschieden.

»Richtig. Man kann von jedem nur das fordern, was er leisten kann«, ergänzte der König. »Autorität beruht auf Vernunft. Wenn du deinem Volk befiehlst, sich ins Meer zu stürzen, wird es eine Revolution beginnen. Ich habe das Recht, Gehorsam einzufordern, weil meine Befehle vernünftig sind.«

»Und was ist mit meinem Sonnenuntergang?« erinnerte ihn der kleine Prinz, der niemals eine Frage vergaß, die er einmal gestellt hatte.

»Du bekommst deinen Sonnenuntergang. Ich werde ihn einfordern. Aber meinen Regierungsgrundsätzen entsprechend warte ich ab, bis die Bedingungen günstig sind.«

»Wann wird das sein?« informierte sich der kleine Prinz.

»Hm, äh …« antwortete der König, der erst einen dicken Kalender befragen musste, »hm, äh, also das wird heute Abend gegen … gegen neunzehn Uhr vierzig sein. Und du wirst sehen, wie man mir gehorcht.«

Der kleine Prinz gähnte. Er trauerte dem ausgefallenen Sonnenuntergang nach. Und er langweilte sich auch schon ein bisschen:

»Ich habe hier nichts mehr zu tun«, sagte er zum König. »Ich gehe wieder!«

»Nein, geh nicht«, antwortete der König, der so stolz war, einen Untertan zu haben. »Geh nicht, ich mache dich zum Minister!«

»Minister von was?«

»Äh … Justizminister!«

»Aber hier ist keiner, über den man richten könnte!«

»Das weiß man nicht«, sagte der König. »Ich war noch nicht überall in meinem Königreich. Ich bin sehr alt und für eine Kutsche habe ich keinen Platz und Laufen ermüdet mich.«

»Oh! Also ich habe alles gesehen«, sagte der kleine Prinz und beugte sich vor, um noch einen Blick auf die andere Seite des Planeten zu werfen. »Da unten ist auch keiner …«