Liebesbriefe
aus alter Zeit

Emmilia Theresia,

geb. am 6.1.1870 in Mugrau,

gest. am 21.4.1955 in Linz

Franz Seraphin,

geb. am 19.5.1862 in Allspitzenberg,

gest. am 19.5.1921 in Linz

Für Gundl

Vorwort

Meine Großeltern mütterlicherseits stammen beide aus dem Böhmerwald. Ein viel beschriebener Ort voll Magie und Geschichte, ein Teil des Königreiches Böhmen mit seiner wechselvollen Vergangenheit, dessen Herrscher im 19. Jahrhundert der österreichische Kaiser Franz Joseph l. war.

Die gesamte Verwaltung, Rechtsprechung und das Militär wurden zentral von Wien aus bestimmt. Das alte Österreich war ein Vielvölkerstaat, innerhalb dessen Grenzen viele verschiedene Nationalitäten lebten. Die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn war ein riesiges Reich: 50 Millionen Menschen waren auf einer Fläche von 700.000 Quadratkilometern Untertanen des Kaisers: Deutsche, Tschechen, Slowaken, Italiener, Rumänen, Kroaten, Serben, Slowenen, Magyaren, Polen und Ukrainer. Mit dem Ersten Weltkrieg fand die Donaumonarchie schließlich ihr Ende. Noch heute können viele Österreicher auf eine lange Kette von Vorfahren aus jener Zeit zurückblicken.

Kein Wunder also, dass es einem k.k. Fachlehrer für Kunst wie Franz passieren konnte, eine Stelle im weit entfernten Gottschee (im heutigen Slowenien) antreten zu müssen. Oder zu können …

Nach Böhmen war es somit eine Zwei-Tages-Reise mit Autobus und Zug und konnte daher nur zu besonderen Anlässen und natürlich nur in den Schulferien angetreten werden.

Nachdem sich Emmi und Franz am Ende der Sommerferien 1883 bei einer Einladung kurz gesehen hatten, war es um Franz geschehen. Er erkundigte sich noch nach ihrem Namen und ihrer Adresse, bevor er in Gottschee das neue Unterrichtsjahr in der Kunst-Fachhochschule beginnen musste.

Und dann schrieb er ihr. Und dann antwortete sie. Und dann verlobten sie sich. Und dann, erst zu Weihnachten, trafen sie sich zum ersten Mal als verliebtes Paar – beziehungsweise nahmen sie sich erstmals überhaupt bewusst und leibhaftig wahr!

Bis zum Ende des Schuljahres war alles geregelt, eine Wohnung gefunden, die Aussteuer erledigt und die Hochzeit geplant. In den Ferien wurde geheiratet. Das Hin und Her von Briefen war überflüssig geworden.

Nach einigen Jahren und zwei Kindern wurde Franz von Gottschee nach Bruck an der Mur versetzt. Von dieser Zeit sind mir so gut wie keine schriftlichen Aufzeichnungen überliefert. Schließlich, nach der Geburt eines dritten Kindes, meiner Mutter, kam er nach Linz, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1921 als Kunstprofessor wirkte.

Von Emmi, meiner geliebten Großmutter, weiß ich viel, viel mehr. Und das nicht nur, weil ich sie noch erlebte und mich allerlei Erinnerungen an sie und ihre Nachkommen bis heute begleiten.

Von ihr und ihrer böhmischen Herkunft ist uns in Briefen, Dokumenten, Zeichnungen und Fotos wesentlich mehr erhalten. Letztlich teilen wir mit vielen österreichischen Familien so manche Traditionen aus dem Böhmerwald, die sich bevorzugt rund um Feste und köstliche Speisen bis heute erhalten haben.

Geboren 1870 in Mugrau als Tochter des Verwalters des dortigen Bergwerkes wuchs sie wohlbehütet und mit Liebe umsorgt mit drei Brüdern auf – ganz im Sinne dessen, was ein „Fräulein“ damals tun konnte und lassen musste, um ihren guten Ruf nicht zu gefährden.

Sie war 23 Jahre alt, als sie den ersten Brief von Franz bekam. Man spürt aus ihren Briefen mit der zierlichen, feinen Handschrift geradezu, wie aufregend und neu das Werben eines Mannes für sie war.

Sie hatte in einem Internat der französischen Schwestern in Neuhaus am Inn ganz offensichtlich etwas von „der Welt da draußen“ gesehen und erlebt und war von ihren Eltern nicht ganz auf häusliche Pflichten und Tugenden reduziert worden. So lernte sie z. B. die Kurzschrift, sicherlich damals nicht ganz so üblich für ein Mädchen.

Geradezu unvorstellbar heute, wenn sie schreibt, dass sie froh ist, wenn das Wetter besser wird, damit sie endlich wieder in die Natur hinaus kann! Daraus kann man schließen, dass entsprechendes Schuhwerk und halbwegs wetterfeste Kleidung früher allenfalls für Männer vorgesehen war.

Wie oft kann man beim Lesen erahnen, wie langweilig und eintönig sie ihr Leben manches Mal empfand. Noch vielmehr wahrscheinlich, wenn sie es mit dem ihrer Brüder verglich.

Ebenso nicht wirklich vorstellbar mag es uns heute erscheinen, dass man einem Mann seine Liebe und Treue versprechen kann, ehe man ihn überhaupt von Angesicht zu Angesicht kennenlernen konnte. Aber immerhin wurde nichts von den Eltern arrangiert und der Tochter die Entscheidung überlassen.

Meine Großmama habe ich als zerbrechliches Wesen in Erinnerung. Klein und zart, sanft und geliebt von ihren Kindern und Enkeln. Ganz selten nur erlebte ich bei ihr so etwas wie Verstimmtheit oder Ärger.

Wobei das Leben mit Franz nicht ganz einfach gewesen sein muss. Als Künstler, der er war, mag er sich vielleicht so manches Mal nicht wirklich gerne in die Niederungen des Alltags begeben haben. Meine Mutter erzählte jedenfalls nicht viel von ihm; außer, dass er ein schwieriger Mensch gewesen ist und am Ende seines Lebens von Krankheit gequält war. Andererseits – sie war erst 17 Jahre, als er starb, und allein deshalb dürften ihre Erinnerungen mit den Jahren verblasst sein.

Das, was ich als Jugendliche in den Skizzenbüchern und Zeichenmappen von ihm fand, faszinierte mich schon immer, so manches zarte Aquarell hängt bis heute gerahmt in meiner Wohnung. Halbreliefs seiner Kinder und Plastiken gehörten, seit ich denken kann, zum Inventar. Zuerst noch in der Wohnung meiner Großmama in Urfahr und zuletzt bei uns in Linz, wo sie ihre letzten Lebensjahre verbrachte.

Erst viele Jahre später entdeckte ich im Nachlass meiner Mutter die fein zusammengebundenen Briefe, die wie viele andere Erinnerungsstücke die Jahrzehnte in Schubladen überdauert haben und erst jetzt ans Licht geholt wurden. Gelesen und von meiner ältesten Kusine aus der Kurrentschrift transkribiert wurden sie letztlich erst 2014.

Vieles mag uns heute übertrieben, ja kitschig und emotional überladen erscheinen.

Auch Großpapas Bilder und Plastiken atmen den Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Außerdem fertigte er viele Auftragsarbeiten an und musste quasi Kundenwünsche erfüllen.

Trotzdem dürften seine Briefe sehr wohl seine persönliche künstlerische Phantasie und Emotionalität widerspiegeln. Denn Emmis Briefe sind längst nicht so poetisch und überschwänglich. Ihr Wesen war sicherlich einfacher und pragmatischer den „weltlichen“ Dingen gegenüber und nicht von dramatischen Gefühlen und künstlerischen Höhenflügen überlagert, uneins mit den Anforderungen der Realität des täglichen Lebens.

Ich glaube, nach über 120 Jahren sind diese Liebesbriefe auch so etwas wie ein historisches Dokument der Alltagsgeschichte einer vergangenen Epoche.

Viele Tausende ähnlicher Briefe würden wohl Tausende Familiengeschichten widerspiegeln, wenn sie denn erhalten geblieben wären.

Vor allem aber mögen sie mit ihren blumigen und gefühlvollen Liebesbezeugungen auch für jüngere Leser ein weit entferntes und vielleicht gerade heute emotional anrührendes Beispiel zwischenmenschlicher schriftlicher Kommunikation sein.