Dr. Laurin 81 – Verliebt in einen Patienten

Dr. Laurin –81–

Verliebt in einen Patienten

Roman von Patricia Vandenberg

In der Prof.-Kayser-Klinik hatte sich viel Prominenz eingefunden. Auf der Gynäkologischen Station hatte die Contessa Falcone Zwillinge zur Welt gebracht, und die Schwestern stöhnten über die vielen Blumen, die schon am ersten Tag abgegeben wurden. Dabei wollte die Contessa keinen der Sträuße im Zimmer haben, weil sie auf verschiedene Düfte allergisch reagierte und dann unentwegt niesen müsste, was ihr freilich nach einem Kaiserschnitt nicht gut bekäme.

Am selben Tag war die bekannte Schauspielerin Rita Bartosch operiert worden, unter strenger Geheimhaltung, denn weder ihr Alter noch die Art der Operation sollte bekannt werden.

Zwei Tage zuvor war der Schauspieler Anthony Barring mit einem sehr komplizierten Beinbruch eingeliefert worden. Er kannte Rita sehr gut, aber er hatte keine Ahnung, dass sie sich ebenfalls in der Prof.-Kayser-Klinik befand.

Er war zuerst wütend über sein Missgeschick gewesen, jetzt war er deprimiert, weil die Ärzte ihm eröffnet hatten, dass es eine langwierige Geschichte werden würde. Allerdings hatten sie ihm nicht gesagt, dass sein Bein unter Umständen steif bleiben könnte. Er war dreißig Jahre alt und hatte schon einen so hohen Grad an Berühmtheit erreicht, dass man ihn als Fernsehstar bezeichnen konnte.

Die meisten Krankenschwestern kannten ihn deshalb, und natürlich auch Schwester Charlotte. Sie schwärmte schon seit geraumer Zeit für ihn. Seit zwei Tagen schwebte sie aber sozusagen auf Wolken, und am liebsten hätte sie Nonstop-Dienst gemacht, um ihn immer versorgen zu können.

Aber nur in den ersten zwei Tagen hatte Anthony keinen Besuch bekommen. Nun gaben sich seine Kolleginnen und Freundinnen die Klinke in die Hand, und es wurden so manche giftigen Blicke unter ihnen getauscht.

Dennoch hatte man in der Prof.-Kayser-Klinik keine Ahnung, welche Probleme aus der Anwesenheit dieser drei prominenten Personen erwachsen würden. Sie waren genauso Patienten wie alle anderen auch und wurden auch genauso gut betreut.

Dr. Laurin brauchte keine Publicity, und er war gar nicht darauf erpicht, noch mehr Prominenz aufzunehmen, weil damit auch mehr Aufwand verbunden war.

Conte Amadeo Falcone schirmte seine Frau ab. Besuche wurden nicht gestattet. Zwei Großelternpaare muss­ten erst noch anreisen. Seine Eltern aus Florenz, Biancas Eltern aus Locarno.

Amadeo leitete die deutsche Niederlassung eines großen Unternehmens, an dem seine Eltern wie auch seine Schwiegereltern beteiligt waren, aber man konnte seine Ehe mit Bianca wahrhaftig nicht als Interessengemeinschaft bezeichnen. Es war eine Liebesehe, und Bianca wurde von ihm als kostbares Kleinod bewacht.

Allerdings hatte er eine Schwester, die ein bisschen aus der Art schlug, sich über die Familientradition hinwegsetzte und Schlagersängerin geworden war. Außerdem war sie eine von Anthony Barrings engen Freun­dinnen.

Aber das wusste Amadeo nicht, und er hatte auch keine Ahnung, dass Anthony Barring sich ebenfalls in der Prof.-Kayser-Klinik befand. Seine Schwester Lauretta wusste dies allerdings auch nicht, aber sie hatte die Nachricht bekommen, dass sie Tante von Zwillingen geworden war.

In der Prof.-Kayser-Klinik herrschte jetzt wieder Ruhe. Nichts ließ ahnen, was sich da alles anbahnte. Schwester Charlotte war wieder einmal in Anthony Barrings Krankenzimmer und überglücklich, dass er so nett mit ihr sprach.

Sie war ein apartes Mädchen, Anfang zwanzig und seit ein paar Wochen als Krankenschwester auf der chirurgischen Station der Prof.-Kayser-Klinik tätig. Sie hatte ihr Examen mit Auszeichnung bestanden und war als überaus intelligent beurteilt worden. Da war sie natürlich mit Kuss­hand genommen worden, als sie sich in der Prof.-Kayser-Klinik bewarb, in der sie zur Welt gekommen war. Aber ganz gewiss hätte man sie auch ohne diese Protektion genommen, die Schwester Marie als Charlottes Taufpatin geboten hatte.

Sie war sofort beliebt. Damals war sie als uneheliches Kind zur Welt gekommen, und erst vier Jahre später hatte ihre Mutter in dem Elektromeis­ter Hallberg einen guten Partner gefunden, der auch ihrem Kind ein liebevoller Vater wurde.

Schwester Marie hatte stets Verbindung zu diesem armen kleinen Patenkind gehalten, und sie war Charlottes großes Vorbild geworden. Charlotte wollte eine genauso gute Krankenschwester werden, wie die jung gebliebene und und immer noch flotte und attraktive Marie es war. Alles sprach dafür.

Ihre Schwärmerei für Anthony Barring wurde nicht ernst genommen. Für diesen Herzensbrecher schwärmten zu viele. Und er hatte ganz andere Chancen, als sich ausgerechnet ernsthaft für eine Krankenschwester zu interessieren.

Aber auch bei Anthony Barring war ein seltsames Gefühl aufgekommen, das er sich nicht erklären konnte, wenn er mit Charlotte sprach, wenn sie neben seinem Bett stand, nach seinen Wünschen fragte. Er war es gewöhnt, von Frauen umschwärmt zu sein, von schönen interessanten und reichen Frauen, aber Charlotte war eben ganz anders. Sie war so natürlich, so selbstlos und aufmerksam! Er kannte fast ausschließlich Frauen, die etwas forderten, die egois­tisch waren und sich viel auf sich selbst einbildeten, die umworben werden wollten.

Allzu deutlich zeigte Charlotte ihre Gefühle nicht. Aufdringlich war sie schon gar nicht. Sie ahnte auch nicht, wie wohl Anthony diese natürliche Zuneigung tat, die er als guter Frauenkenner sofort richtig deutete. Und er wusste sie auch zu schätzen, da er wahrhaft genug Frauen kannte und seine Erfahrungen mit ihnen gemacht hatte.

Er war launisch, weil er liegen musste. Er hatte auch überhaupt keinen Appetit gehabt, aber durch Charlottes liebe Art motiviert, hatte er zum ersten Mal richtig gegessen.

»Warum sind Sie Krankenschwes­ter geworden?«, fragte er. »Ist der Beruf für Sie nicht viel zu schwer?«

»Wieso für mich?«, fragte Charlotte verlegen.

»Sie sind doch viel zu zart!«

»Oh, ich bin nicht zart«, erwiderte sie lachend, »ich habe mehr Kraft als Schwergewichtige. Ich bin sehr sportlich.«

»Was treiben Sie für Sport?«

»Schwimmen, Ski fahren, Rad fahren, Laufen, Kegeln und Eisstock schießen.«

»Toll«, sagte er bewundernd.

»Ich habe leider nicht viel Zeit dafür«, fuhr sie fort. »Aber ich bin sehr gern Krankenschwester. Es befriedigt mehr, wenn man helfen kann, als wenn man allzu viel Freizeit hat und diese nicht richtig nutzt.«

Er sah sie forschend an. »Es wundert mich, dass man Sie noch nicht für den Film entdeckt hat.«

»Für den Film? Du liebe Güte, ich habe überhaupt kein schauspielerisches Talent, und fotogen bin ich auch nicht.«

»Sagen Sie das nicht. Und machen Sie bitte nicht so ein Gesicht, ich will Ihnen nicht schmeicheln. Ich muss so oft in dumme, ausdruckslose Visagen gucken, dass ich mich frage, worauf es eigentlich in unserem Metier ankommt.«

»Aber Sie sind doch auch sehr attraktiv«, sagte Charlotte ernsthaft, »und außerdem sind Sie ein sehr guter Schauspieler.«

»Finden Sie das?«, fragte er.

»Ja, natürlich, sonst würde ich es doch nicht sagen.«

»Haben Sie den letzten Fernsehfilm mit mir gesehen? Ich fand mich nicht gut.«

»Ich fand ihn am besten«, erwiderte Charlotte. »Das war mal nicht Klischee. Sie dürfen sich nicht auf einen bestimmten Typ abstempeln lassen.«

Sie biss sich fast auf die Zunge. »Das war wohl nicht angebracht«, fügte sie hastig hinzu.

»Das war ehrlich, und so redet man selten mit mir. Was gefällt Ihnen sonst noch nicht? Ich bin lernfähig«, scherzte er.

»Ich bin nicht kompetent«, erwiderte sie ernsthaft.

»Ich finde es besser, wenn man spontan kritisiert wird. Ich bin auch nicht beleidigt.«

»Aber ich finde nichts zu kritisieren an Ihnen. Sie spielen Rollen, nicht sich selbst, und Sie schlüpften in die Haut eines anderen … So sehe ich das.«

»Das ist sehr klug gedacht«, meinte Anthony.

Nun wurde wieder nach ihr gerufen. »Schade, dass Sie nicht mehr Zeit haben, Schwester Charlotte«, sagte er, »ich würde mich gern länger mit Ihnen unterhalten.«

»Sie bekommen bestimmt bald wieder Besuch«, erwiderte sie schnell und eilte davon.

Anthony Barring bekam viel Besuch, aber nach drei anstrengenden Stunden konnte er feststellen, dass er nur Geplapper ertragen hatte und versteckte Vorwürfe, dass er so lange ausfallen würde. Freilich ärgerte es ihn auch, wenn seine Rolle durch einen anderen besetzt werden musste, aber finanzielle Sorgen würden für ihn daraus nicht entstehen, denn er hatte ein beträchtliches Erbe zu erwarten von seinem todkranken Vater.

Mit seinem Vater hatte sich An­thony eigentlich nie sonderlich verstanden, weil er sich nicht seinen Lebensanschauungen angepasst hatte.

Erst vor ein paar Monaten, als Henry Barring nach einem völligen Zusammenbruch in die Klinik kam, hatte sich auch bei Anthony Mitgefühl geregt. Aber nun war er selbst ans Bett gefesselt und hatte sich nicht um seinen Vater kümmern können.

Anthonys Stimmungen wechselten ständig, aber durch Charlotte war in seinem Innern eine Ruhe eingekehrt, die er sich selbst nicht erklären konnte. Es war ihm unbegreiflich, da sie so ganz anders war als all seine Freun­dinnen – und derer gab es genug. Man bezeichnete ihn nicht umsonst als Herzensbrecher.

Das war auch Schwester Maries Meinung, und diese äußerte sie mit sanfter Warnung. Obgleich Schwester Charlotte auf der Chirurgischen Station arbeitete, traf sie sich in der Mittagspause gern mit Marie, deren Rat ihr nach wie vor wichtig war.

Sie gab nicht zu, dass sie tatsächlich für Anthony schwärmte, sie sagte nur, dass sie nicht gedacht hätte, dass er so ein netter Mensch wäre.

»Er ist Schauspieler, und diese Typen können immer in bestimmte Rollen schlüpfen«, meinte Marie vorsichtig, denn sie hatte es im Gefühl, dass sich bei Charlotte eine heimliche Liebe entwickelte. Und sie wusste, wie leicht ein schwärmerisches junges Mädchen in Bedrängnis geraten konnte. Bei Charlottes Mutter war es ja auch so gewesen. »Er hat ja auch jede Menge Freundinnen«, fügte Marie nach einem kurzen Schweigen gedankenvoll hinzu.

»Darüber stöhnt er genug. Es sind ja keine richtigen Freundinnen, sondern hauptsächlich Starlets, die hinter ihm her sind.«

Sie glaubt wirklich alles, was er ihr erzählt, dachte Marie. Ihr war es nun doch ziemlich bange, und deshalb sagte sie sehr direkt, dass Rita Bartosch ihn als einen Herzensbrecher bezeichnet und nicht besonders nett über ihn geredet hätte.

»Sie ärgert sich vielleicht, dass er sich nicht um sie bemüht. Aber sie ist doch sowieso viel zu alt für ihn«, sagte Charlotte bestimmt.

»Sie ist reich und berühmt«, meinte Marie beiläufig.

»Und ich bin nur eine arme kleine Krankenschwester. Aber trotzdem kann ich mich sehr gut mit ihm unterhalten, und er freut sich darüber.«

»Ist ja recht, reg dich nicht auf. Ich meine doch auch nur, dass du deine Gefühle nicht verzetteln solltest, Charlotte«, sagte Marie. »Ich als deine Patin werde das doch sagen dürfen, oder?«

»Du darfst mich nicht mit Mama vergleichen. Sie hat ihre Erkenntnisse erst nach ihrem Reinfall gesammelt. Und außerdem habe ich einen lieben Paps bekommen, mit dem ich mich wunderbar verstehe.«

Das war allerdings ein Glück, das auch Marie zu würdigen wusste. Karl Hallberg war nicht nur ein sehr tüchtiger Mann, er war zudem ein guter Mensch, der Charlotte nicht zurücksetzte, als Veronika ihm nach fünf­jähriger Ehe noch einen Sohn schenkte.

Und der wiederum hing an Charlotte, wie ein Junge seines Alters selten an Geschwistern hing.

Marie war von Herzen froh über dieses harmonische Familienleben, das sie durch nichts gefährdet sehen wollte. Erst recht nicht wieder durch eine bittersüße Liebesgeschichte, die nur Kummer bereiten würde.

So konnte sie nur hoffen, dass An­thony Barring Charlotte nicht als Zeitvertreib betrachtete, und sie überlegte schon, wie sie es anfangen könnte, um mal Anthony Barrings Meinung über Charlotte zu erforschen.

Ein Zufall kam ihr zu Hilfe. Schwes­ter Gerdas Mutter war gestorben, und sie brauchte drei Tage Sonderurlaub.

Dr. Sternberg hatte schon mit Dr. Laurin darüber gesprochen und auch durchblicken lassen, dass es ihm gar nicht recht wäre, wenn Charlotte noch mehr Dienst machen müsste, weil sie dann von Barring noch mehr beansprucht würde.

»Wieso beansprucht?«, fragte der ahnungslose Dr. Laurin verblüfft.

»Er möchte sie anscheinend ganz für sich haben, und ich fürchte, sie lässt sich durch seine Art beeindrucken. Ich habe nichts gegen ihn, Leon, und er verhält sich auch durchaus korrekt, aber Charlotte opfert sogar ihre Freizeit für ihn, und das will ich nicht.«

»Du meinst, da ist das Herz im Spiel?«, fragte Leon nachdenklich.

»Es könnte sein. Irgendwie scheint er tatsächlich unwiderstehlich zu sein, und die Bezeichnung ›Herzensbrecher‹ mag zutreffen. Aber Charlotte ist zu schade für ein Abenteuer.«

»Ich halte sie für sehr vernünftig.«

»Ich auch, aber nicht gegen alles ist ein Kraut gewachsen.«

»Marie wird ihn gründlich unter die Lupe nehmen, und wie wir sie kennen, wird sie schon herausfragen, wie er Charlotte einschätzt.«

Eckart Sternberg nickte. »Auf Marie ist Verlass. Kannst du sie überhaupt entbehren?«

»Ich will nicht daran denken, was einmal sein wird, wenn sie nicht mehr bei uns sein kann.«

So hielt Marie die Fäden wieder einmal in ihren Händen, und sie ging klug und sogar raffiniert vor, um An­thony Barrings Innenleben zu ergründen.

Er machte zuerst ein sehr enttäuschtes Gesicht, als Marie anstelle von Charlotte eintrat, aber sie merkte bald, dass es nicht deshalb war, weil sie eben nicht mehr so jung und so hübsch war. Und sie erfuhr auch sofort, dass er tatsächlich Gemüt hat-te.

»Sie sind also die legendäre Schwester Marie«, sagte er mit einem wahrhaft bezwingenden Lächeln.

»Na, na, na, nur nicht übertreiben«, meinte sie.

»Aber Sie sind doch schon eine Legende, allerdings eine sehr lebendige«, meinte er neckend.

»Von wem beziehen Sie solche Weisheit?«, fragte Marie.

»Zum Beispiel von Rita Bartosch. Aber Charlotte hat mir auch schon von Ihnen vorgeschwärmt.«

»Sie wissen, dass Frau Bartosch hier ist?«, fragte Marie überrascht, und im ersten Moment verdächtigte sie Charlotte, ohne sich darüber klar zu sein, dass sie es nun selbst verraten hatte.

»Rita ist hier?«, fragte er bestürzt. »Wieso das? Was fehlt ihr?«

»Tut mir leid, ich dachte, Sie wüss­ten es. Es war also eine Indiskretion von mir, die mir Frau Bartosch sehr verübeln könnte.«