Jeder von uns war schon einmal krank, ist vielleicht gerade akut oder chronisch krank, hat dauernd Schmerzen, leidet an einer Krebserkrankung oder betreut jemanden, der schwer erkrankt ist. Jeder kennt das Gefühl, für sich selbst oder andere Hilfe zu benötigen, weil Körper, Geist oder Seele nicht mehr im gewohnten Maße funktionieren. Das macht hilflos, denn wir fühlen uns ohnmächtig gegen das Wegbrechen der Gesundheit, es macht Angst, manchmal sogar Todesangst. Vielleicht fühlen wir uns aber seit einiger Zeit nur nicht wirklich wohl und spüren, dass unser Lebensstil nicht gesund ist: Der Körper revoltiert, wir schlafen schlecht, sind angespannt und nervös, haben hohen Blutdruck, dunkle Augenringe und immer weniger Freunde. Was machen wir dann? Wir suchen uns einen guten Arzt, der uns untersucht, uns ein Heilmittel gibt und oft geht es uns dann auch gleich viel besser. Bereits vor mehr als 50 Jahren sprach der Londoner Psychoanalytiker Michael Balint von der »Erkenntnis, dass nicht die Flasche Medizin oder die Tabletten ausschlaggebend [seien], sondern die Art und Weise, wie der Arzt sie verschreibe ...«1
Es reicht also nicht aus, ein Rezept über den Tisch zu reichen, um den Patienten zu heilen. Es geht immer auch um die Persönlichkeit des Heilers, damit seine Hilfe wirksam werden kann. Sicher haben viele von uns in entscheidenden Lebenssituationen nach einem charismatischen Arzt, nach einem »Medicus« gesucht, wie er uns in Noah Gordons wunderbarem Roman begegnet: einem Arzt aus Berufung, mit einer intuitiven Fähigkeit, sich in seinen Patienten hineinzuversetzen, und seinem Willen, ihm aufrichtig helfen zu wollen, seine gesunden Kräfte zu wecken und das Kranke in ihm mit viel persönlichem Einsatz zu bekämpfen. – Aber das Leben ist eben keine »Schwarzwaldklinik« und auch kein kitschiger Arztroman, deswegen haben viele Menschen ihren »Medicus« noch nicht gefunden.
Besonders nicht die Menschen, die an einer Erkrankung leiden, die nicht in das rigide und etwas engstirnige Schubladensystem unserer Schulmedizin passt. Denn dann finden die Mediziner in ihren Köpfen keinen Namen für die Erkrankung, und die Betroffenen laufen in einer regelrechten Arzt-Odyssee verzweifelt von einem Arzt zum nächsten – und keiner kann »etwas« finden. So geht es besonders den Menschen, bei denen keine organische Ursache festgestellt werden kann, beispielsweise für die Enge im Hals, für die Bauchschmerzen, die Atemnot, das Herzstolpern, für Verdauungsbeschwerden, das Beklemmungsgefühl in der Brust oder die chronischen Schmerzen im Genitaltrakt.
Wir haben dieses Buch geschrieben, weil wir Sie bei der Suche nach einem geeigneten Arzt unterstützen wollen, dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Art Focus-Liste der angeblich besten Ärzte! Es gibt diesen Arzt in jedem von uns: Es ist unser persönlicher innerer Arzt, der »Medicus« in uns. Er ist in jeden Menschen serienmäßig »eingebaut«. Dieser Arzt bündelt alle uns innewohnenden schützenden Kräfte. Sein Potenzial ist unglaublich groß.
Wenn Sie jetzt skeptisch sind und die Existenz dieses inneren Heilers bezweifeln, dann lohnt es sich erst recht, dieses Buch zu lesen. Das hier ist kein esoterisches Gerede, diesen »Personal Doc« gibt es wirklich und die Wissenschaft unserer Zeit ist ihm zunehmend auf der Spur.
Dieses Buch hat zwei Teile: Wir schauen für Sie im ersten Teil des Buches in das diagnostische Repertoire des inneren Arztes und versuchen Ihnen zu zeigen, dass er eine regelrechte Koryphäe ist. Wir beobachten, welche Fähigkeiten er hat, welche Methoden er anwendet und was er sonst noch so drauf hat. Im zweiten Teil versuchen wir, Ihnen eine Anleitung zu geben, wie Sie sich mit diesem inneren Arzt verbünden, ihn zu Wort kommen und ihn gezielt zu Ihren Gunsten handeln lassen können. Was dabei herauskommt, ist ein Schritt – vielleicht sind es auch mehrere Schritte – in Richtung Selbstheilung. »Selbstheilung« bedeutet nicht Voodoo, Zauberei oder Magie. Selbstheilung meint die vielfältigen Fähigkeiten von Körper-Geist-Seele, innere oder äußere Verletzungen und Krankheiten aus sich selbst heraus zu heilen, zu reparieren mit dem Ziel der Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Organismus.
Betrachten Sie beispielsweise das Immunsystem des menschlichen Darms, das sich im Laufe der Zeit mit den darin lebenden Mikroorganismen zu einem Team verbündet hat, das man »Mikrobiom« nennt. Dieses Mikrobiom besteht aus allen Bakterien, Viren und Mikroorganismen, die in den verschiedensten Organen des Körpers einen Lebensraum gefunden haben. Es bildet eine Art schützendes »Superorgan« in unserem Körper. Es ist ein Werkzeug unseres inneren Arztes – ebenso wie die Fähigkeit des Menschen, allein durch die Kraft seiner Imagination eine reale Heilung zu ermöglichen. Untersuchungen mit Scheinmedikamenten, die Placebo- wie auch die Nocebo-Forschung konnten dies sehr eindrucksvoll nachweisen.
Aber auch die spirituelle Ebene des menschlichen Geistes ermöglicht eine Heilung. Sie kann darin bestehen, ungeheure Kräfte für die innere Gesundung freizusetzen, oder darin, Heilung als eine sinngebende Neuorientierung am Ende des Lebens zu verstehen, was mit einer Umwertung der bisherigen Werte vor dem baldigen oder auch viel späteren Tod einhergeht.
Zahlreiche wissenschaftliche Studien beschäftigen sich in letzter Zeit mit den positiven Auswirkungen bestimmter Meditationsformen auf das menschliche Hormon- und Immunsystem sowie auf das Nervensystem. So wie andauernder Stress uns krank machen kann, eröffnet eine durch Meditation geschulte innere Einstellung die Herbeiführung gesundheitsfördernder psychischer Zustände. Über diese und andere Fähigkeiten verfügt Ihr innerer Arzt. Es ist ihm sogar möglich, modifizierend auf das Erbgut einzuwirken – siehe hierzu das Kapitel über Epigenetik, einer neueren Wissenschaft über die Art und Weise, wie wir unser Erbgut durch unseren Lebensstil beeinflussen können.
Die Entscheidung liegt bei uns: wie wir leben und ob wir mit dem inneren Arzt kooperieren oder nicht, ob wir unsere innere Stimme beachten und auf uns achtgeben oder aber sie nicht beachten und blindlings und kopflos ohne Rücksicht auf unsere inneren Grenzen drauflosleben.
Welche innere Stimme, fragen Sie sich?
Wenn wir über längere Zeit ungesund leben, antwortet unser Körper mit sogenannten Stressantworten, die wir zunächst nur als ein leises Flüstern wahrnehmen: Herzrasen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Gereiztheit, Einsamkeit, Völlegefühl oder Angst und der gelegentliche leise Gedanke: »Vielleicht sollte ich etwas ändern ...?«
Wenn wir auf unsere innere Stimme hören, auf die Bedürfnisse unseres Körpers eingehen, Stressreaktionen des Körpers vermindern und Entspannungsimpulse an den Körper geben, dann können wir die Entstehung einer wirklichen Krankheit wirkungsvoll verhindern und uns heilen. Wenn wir zufrieden, ausgeglichen, entspannt, vielleicht sogar glücklich sind, geben wir unserem Organismus die Chance, unglaubliche Leistungen des Selbstschutzes zu vollbringen. Dann gelingt es dem Körper sogar, Schäden im Erbgut zu reparieren, die zu Krebserkrankungen führen könnten, dann kann er Immunzellen stimulieren, schützende Enzyme aktivieren, freie Radikale abfangen, Reparaturzellen zur Verfügung stellen und noch so vieler mehr.
Ihr Körper hat ein wunderbares Potenzial zur Selbstheilung, das nur darauf wartet, für Sie aktiv zu werden. Wir wünschen uns, dass Sie ihm dies ermöglichen!
1 Michael Balint: Der Arzt, sein Patient und die Krankheit. Klett, Stuttgart 1957.